BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1796

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Diotima

 

Bruchstücke einer älteren Fassung

 

Lange todt und tiefverschlossen,

Grüßt mein Herz die schöne Welt,

Seine Zweige blühn und sprossen,

Neu von Lebenskraft geschwellt;

O! ich kehre noch in's Leben,

Wie heraus in Luft und Licht,

Meiner Blumen seelig Streben

Aus der dürren Hülse bricht.

 

Die ihr meine Klage kanntet,

Die ihr liebezürnend oft

Meines Sinnes Fehle nanntet

Und geduldet und gehoft,

Eure Noth ist aus, ihr Lieben!

Und das Dornenbett ist leer,

Und ihr kennt den immertrüben

Kranken Weinenden nicht mehr.

 

Wie so anders ist's geworden!

Alles was ich haßt und mied,

Stimmt in freundlichen Akkorden

Nun in meines Lebens Lied,

Und mit jedem Stundenschlage

Werd ich wunderbar gemahnt

An der Kindheit goldne Tage,

Seit ich dieses Eine fand.

 

Diotima! seelig Wesen!

Herrliche, durch die mein Geist

Von des Lebens Angst genesen

Götterjugend sich verheißt!

Unser Himmel wird bestehen,

Unergründlich sich verwandt

Hat, noch eh' wir uns gesehen

Unser Wesen sich gekannt.

 

Da ich noch in Kinderträumen

Friedlich wie der blaue Tag,

Unter meines Gartens Bäumen

Auf der warmen Erde lag,

Da mein erst Gefühl sich regte,

Da zum erstenmale sich

Göttliches in mir bewegte,

Säuselte dein Geist um mich.

 

Ach und da mein schöner Friede

Wie ein Saitenspiel, zerriß,

Da von Haß und Liebe müde

Mich mein guter Geist verließ,

Kamst du, wie vom Himmel nieder

Und es gab mein einzig Glük

Meines Sinnes Wohllaut wieder

Mir ein Traum von dir zurük.

 

Da ich flehend mich vergebens

An der Wesen kleinstes hieng,

Durch den Sonnenschein des Lebens

Einsam, wie ein Blinder, gieng,

Oft vor treuem Angesichte

Stand und keine Deutung fand,

Darbend vor des Himmels Lichte,

Vor der Mutter Erde stand,

 

Lieblich Bild mit deinem Strale

Drangst du da in meine Nacht!

Neu an meinem Ideale

Neu und stark war ich erwacht;

Dich zu finden, warf ich wieder

Warf ich meinen trägen Kahn

Von dem todten Porte nieder

In den blauen Ozean. –

 

Nun ich habe dich gefunden!

Schöner, als ich ahndend sah

In der Liebe Feierstunden,

Hohe Gute! bist du da;

O der armen Phantasien!

Dieses Eine bildest nur

Du in deinen Harmonien

Frohvollendete Natur!

 

Wie auf schwanker Halme Bogen

Sich die trunkne Biene wiegt,

Hin und wieder angezogen

Taumelnd hin und wieder fliegt,

Wankt und weilt vor diesem Bilde

 

 

 

Hab', ins tiefste Herz getroffen,

Oft um Schonung sie gefleht,

Wenn so klar und heilig offen

Mir ihr eigner Himmel steht,

Wenn die Schlaken, die mich kümmern,

Dieses Engelsauge sieht,

Wenn vor meines Friedens Trümmern

Dieser Unschuld Blume blüht;

 

Habe, wenn in reicher Stille

Wenn in einem Blik und Laut

Seine Ruhe, seine Fülle

Mir ihr Genius vertraut,

Wenn ihr Geist, der mich begeistert,

An der hohen Stirne tagt,

Von Bewundrung übermeistert,

Zürnend ihr mein Nichts geklagt.

 

Aber, wie in zarten Zweigen,

Liebend oft von mir belauscht,

Traulich durch der Haine Schweigen

Mir ein Gott vorüberrauscht,

So umfängt ihr himmlisch Wesen

Auch im Kinderspiele mich,

Und in süßem Zauber lösen

Freudig meine Bande sich.

 

 

Diotima

 

Mittlere Fassung

 

Lange todt und tiefverschlossen,

Grüßt mein Herz die schöne Welt;

Seine Zweige blühn und sprossen,

Neu von Lebenskraft geschwellt;

O! ich kehre noch in's Leben,

Wie heraus in Luft und Licht

Meiner Blumen seelig Streben

Aus der dürren Hülse bricht.

 

Wie so anders ists geworden!

Alles, was ich haßt' und mied,

Stimmt in freundlichen Akkorden

Nun in meines Lebens Lied,

Und mit jedem Stundenschlage

Werd' ich wunderbar gemahnt

An der Kindheit goldne Tage,

Seit ich dieses Eine fand.

 

Diotima! seelig Wesen!

Herrliche, durch die mein Geist,

Von des Lebens Angst genesen,

Götterjugend sich verheißt!

Unser Himmel wird bestehen,

Unergründlich sich verwandt,

Hat sich, eh wir uns gesehen,

Unser Innerstes gekannt.

 

Da ich noch in Kinderträumen,

Friedlich, wie der blaue Tag,

Unter meines Gartens Bäumen

Auf der warmen Erde lag,

Und in leiser Lust und Schöne

Meines Herzens Mai begann,

Säuselte, wie Zephirstöne,

Diotimas Geist mich an.

 

Ach! und da, wie eine Sage,

Mir des Lebens Schöne schwand,

Da ich vor des Himmels Tage

Darbend, wie ein Blinder, stand,

Da die Last der Zeit mich beugte,

Und mein Leben, kalt und blaich,

Sehnend schon hinab sich neigte

In der Schatten stummes Reich;

 

Da, da kam vom Ideale,

Wie vom Himmel, Muth und Macht,

Du erscheinst mit deinem Strahle,

Götterbild! in meiner Nacht;

Dich zu finden, warf ich wieder,

Warf ich den entschlafnen Kahn

Von dem todten Porte nieder

In den blauen Ocean. –

 

Nun! ich habe dich gefunden,

Schöner, als ich ahndend sah

In der Liebe Feierstunden,

Hohe! Gute! bist du da;

O der armen Phantasien!

Dieses Eine bildest nur

Du, in ew'gen Harmonien

Frohvollendete Natur!

 

Wie die Seeligen dort oben,

Wo hinauf die Freude flieht,

Wo, des Daseyns überhoben,

Wandellose Schöne blüht,

Wie melodisch bei des alten

Chaos Zwist Urania,

Steht sie, göttlich rein erhalten,

Im Ruin der Zeiten da.

 

Unter tausend Huldigungen

Hat mein Geist, beschämt, besiegt,

Sie zu fassen schon gerungen,

Die sein Kühnstes überfliegt.

Sonnengluth und Frühlingsmilde,

Streit und Frieden wechselt hier

Vor dem schönen Engelsbilde

In des Busens Tiefe mir.

 

Viel der heil'gen Herzensthränen

Hab' ich schon vor ihr geweint,

Hab' in allen Lebenstönen

Mit der Holden mich vereint,

Hab', ins tiefste Herz getroffen,

Oft um Schonung sie gefleht,

Wenn so klar und heilig offen

Mir ihr eigner Himmel steht;

 

Habe, wenn in reicher Stille,

Wenn in einem Blik und Laut

Seine Ruhe,seine Fülle

Mir ihr Genius vertraut,

Wenn der Gott, der mich begeistert,

Mir an ihrer Stirne tagt,

Von Bewundrung übermeistert,

Zürnend ihr mein Nichts geklagt;

 

Dann umfängt ihr himmlisch Wesen

Süß im Kinderspiele mich,

Und in ihrem Zauber lösen

Freudig meine Bande sich;

Hin ist dann mein dürftig Streben,

Hin des Kampfes lezte Spur,

Und ins volle Götterleben

Tritt die sterbliche Natur.

 

Da, wo keine Macht auf Erden,

Keines Gottes Wink uns trennt,

Wo wir Eins und Alles werden,

Das ist nun mein Element;

Wo wir Noth und Zeit vergessen,

Und den kärglichen Gewinn

Nimmer mit der Spanne messen,

Da, da weiß ich, daß ich bin.

 

Wie der Stern der Tyndariden,

Der in lichter Majestät

Seine Bahn, wie wir, zufrieden

Dort in dunkler Höhe geht,

Wie er in die Meereswoogen,

Wo die schöne Ruhe winkt,

Von des Himmels steilem Bogen

Klar und groß hinuntersinkt:

 

O Begeisterung, so finden

Wir in dir ein seelig Grab,

Tief in deine Woogen schwinden,

Still frohlokend, wir hinab,

Bis der Hore Ruf wir hören

Und, mit neuem Stolz erwacht,

Wie die Sterne wieder kehren

In des Lebens kurze Nacht.

 

 

Susette Gontard