BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1794

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Das Schiksaal

 

Προσκυνοῦντες τὴν εἱμαρμένην, σοφοί.

Aeschylus [Prom. desm.]

 

Als von des Friedens heil'gen Thalen,

Wo sich die Liebe Kränze wand,

Hinüber zu den Göttermahlen

Des goldnen Alters Zauber schwand,

Als nun des Schiksaals eh'rne Rechte,

Die große Meisterin, die Noth,

Dem übermächtigen Geschlechte

Den langen, bittern Kampf gebot;

 

Da sprang er aus der Mutter Wiege,

Da fand er sie, die schöne Spur

Zu seiner Tugend schwerem Siege,

Der Sohn der heiligen Natur;

Der hohen Geister höchste Gaabe,

Der Tugend Löwenkraft begann

Im Siege, den ein Götterknabe

Den Ungeheuern abgewann.

 

Es kann die Lust der goldnen Erndte

Im Sonnenbrande nur gedeih'n;

Und nur in seinem Blute lernte

Der Kämpfer, frei und stolz zu sein;

Triumph! die Paradiese schwanden,

Wie Flammen aus der Wolke Schoos,

Wie Sonnen aus dem Chaos, wanden

Aus Stürmen sich Heroën los.

 

Der Noth ist jede Lust entsprossen,

Und unter Schmerzen nur gedeiht

Das Liebste, was mein Herz genossen,

Der holde Reiz der Menschlichkeit;

So stieg, in tiefer Fluth erzogen,

Wohin kein sterblich Auge sah,

Stilllächelnd aus den schwarzen Woogen

In stolzer Blüte Cypria.

 

Durch Noth vereiniget, beschwuren

Vom Jugendtraume süß berauscht

Den Todesbund die Dioskuren,

Und Schwerd und Lanze ward getauscht;

In ihres Herzens Jubel eilten

Sie, wie ein Adlerpaar, zum Streit,

Wie Löwen ihre Beute, theilten

Die Liebenden Unsterblichkeit. –

 

Die Klagen lehrt die Noth verachten,

Beschämt und ruhmlos läßt sie nicht

Die Kraft der Jünglinge verschmachten,

Giebt Muth der Brust, dem Geiste Licht;

Der Greise Faust verjüngt sie wieder;

Sie kömmt, wie Gottes Bliz, heran,

Und trümmert Felsenberge nieder,

Und wallt auf Riesen ihre Bahn.

 

Mit ihrem heil'gen Wetterschlage,

Mit Unerbittlichkeit vollbringt

Die Noth an Einem großen Tage,

Was kaum Jahrhunderten gelingt;

Und wenn in ihren Ungewittern

Selbst ein Elysium vergeht,

Und Welten ihrem Donner zittern –

Was groß und göttlich ist, besteht. –

 

O du, Gespielin der Kolossen,

O weise, zürnende Natur,

Was je ein Riesenherz beschlossen,

Es keimt' in deiner Schule nur.

Wohl ist Arkadien entflohen;

Des Lebens beßre Frucht gedeiht

Durch sie, die Mutter der Heroën,

Die eherne Nothwendigkeit. –

 

Für meines Lebens goldnen Morgen

Sei Dank, o Pepromene, dir!

Ein Saitenspiel und süße Sorgen

Und Träum' und Thränen gabst du mir;

Die Flammen und die Stürme schonten

Mein jugendlich Elysium,

Und Ruh' und stille Liebe thronten

In meines Herzens Heiligtum.

 

Es reife von des Mittags Flamme,

Es reife nun vom Kampf und Schmerz

Die Blüth' am gränzenlosen Stamme,

Wie Sprosse Gottes, dieses Herz!

Beflügelt von dem Sturm, erschwinge

Mein Geist des Lebens höchste Lust,

Der Tugend Siegeslust verjünge

Bei kargem Glüke mir die Brust!

 

Im heiligsten der Stürme falle

Zusammen meine Kerkerwand,

Und herrlicher und freier walle

Mein Geist in's unbekannte Land!

Hier blutet oft der Adler Schwinge;

Auch drüben warte Kampf und Schmerz!

Bis an der Sonnen lezte ringe,

Genährt vom Siege, dieses Herz.