BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1792

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 2, Gedichte nach 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1953

 

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Hymne

an die Liebe.

 

Froh der süßen Augenwaide

Wallen wir auf grüner Flur;

Unser Priestertum ist Freude,

Unser Tempel die Natur; –

Heute soll kein Auge trübe,

Sorge nicht hienieden sein!

Jedes Wesen soll der Liebe,

Frei und froh, wie wir, sich freu'n!

 

Höhnt im Stolze, Schwestern, Brüder!

Höhnt der scheuen Knechte Tand!

Jubelt kün das Lied der Lieder,

Vestgeschlungen Hand in Hand!

Steigt hinauf ins weite Thal!

Überall der Liebe Flügel,

Hold und herrlich überall!

 

Liebe bringt zu jungen Rosen

Morgenthau von hoher Luft,

Lehrt die warmen Lüfte kosen

In der Maienblume Duft;

Um die Orione leitet

Sie die treuen Erden her,

Folgsam ihrem Winke, gleitet

Jeder Strom in's weite Meer;

 

An die wilden Berge reihet

Sie die sanften Thäler an,

Die entbrannte Sonn' erfreuet

Sie im stillen Ozean;

Siehe! mit der Erde gattet

Sich des Himmels heil'ge Lust,

Von den Wettern überschattet

Bebt entzükt der Mutter Brust.

 

Liebe wallt durch Ozeane,

Höhnt der dürren Wüste Sand,

Blutet an der Siegesfahne

Jauchzend für das Vaterland;

Liebe trümmert Felsen nieder,

Zaubert Paradiese hin –

Lächelnd kehrt die Unschuld wieder,

Göttlichere Lenze blüh'n.

 

Mächtig durch die Liebe, winden

Von der Fessel wir uns los,

Und die trunknen Geister schwinden

Zu den Sternen, frei und groß!

Unter Schwur und Kuß vergessen

Wir die träge Fluth der Zeit,

Und die Seele naht vermessen

Deiner Lust, Unendlichkeit!