BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1790

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Hymne an die Unsterblichkeit

 

Froh, als könnt' ich Schöpfungen beglüken,

Stolz, als huldigten die Sterne mir,

Fleugt, ins Stralenauge dir zu bliken,

Mit der Liebe Kraft mein Geist zu dir.

Schon erglüht dem wonnetrunknen Seher

Deiner Halle gold'nes Morgenroth,

Ha, und deinem Götterschoose näher

Höhnt die Siegesfahne Grab und Tod.

 

Mich umschimmern Orionenheere,

Stolz ertönet der Plejaden Gang.

Ha, sie wähnen, Ewigkeiten währe

Ihrer Pole wilder Donnerklang.

Majestätisch auf dem Flammenwagen

Durchs Gefild' der Unermeßlichkeit,

Seit das Chaos kreiste, fortgetragen,

Heischt sich Helios Unsterblichkeit.

 

Auch die Riesen dort im Gräberlande,

Felsgebirg' und Sturm und Ozean,

Wähnen endlos ihrer Schöpfung Bande,

Wurzelnd in dem ew'gen Weltenplan;

Doch es nahen die Vernichtungsstunden,

Wie des Siegers Klinge, schreklichschön. –

Erd' und Himmel ist dahin geschwunden,

Schnell, wie Blize kommen und vergeh'n.

 

Aber kehre, stralendes Gefieder,

Zu der Halle, wo das Leben wohnt!

Triumphire, triumphire wieder,

Siegesfahne, wo die Göttin thront!

Wenn die Pole schmettern, Sonnen sinken

In den Abgrund der Vergangenheit,

Wird die Seele Siegeswonne trinken,

Hocherhaben über Grab und Zeit.

 

Ach, wie oft in grausen Mitternächten,

Wenn die heiße Jammerthräne rann,

Wenn mit Gott und Schiksaal schon zu rechten

Der verzweiflungsvolle Mensch begann,

Bliktest du aus trüber Wolkenhülle

Tröstend nieder auf den Schmerzenssohn!

Drüben, riefst du liebevoll und stille,

Drüben harrt des Dulders schöner Lohn.

 

Müßte nicht der Mensch des Lebens fluchen,

Nicht die Tugend auf der Dornenbahn

Trost im Arme der Vernichtung suchen,

Täuschte sie ein lügenhafter Wahn?

Trümmern möchte der Natur Geseze

Menschenfreiheit, möcht' in blinder Wuth,

Wie die Reue die gestohlnen Schäze,

Niederschmettern ihr ererbtes Gut.

 

Aber nein, so wahr die Seele lebet,

Und ein Gott im Himmel oben ist,

Und ein Richter, dem die Hölle bebet,

Nein, Unsterblichkeit, du bist, du bist!

Mögen Spötter ihrer Schlangenzungen,

Zweifler ihres Flattersinns sich freu'n,

Der Unsterblichkeit Begeisterungen

Kann die freche Lüge nicht entweih'n.

 

Heil uns, Heil uns, wenn die freie Seele,

Traulich an die Führerin geschmiegt,

Treu dem hohen göttlichen Befehle,

Jede nied're Leidenschaft besiegt!

Wenn mit tiefem Ernst der Denker spähet

Und durch dich sein Wesen erst begreift,

Weil ihm Lebenslust vom Lande wehet,

Wo das Saamenkorn zur Erndte reift!

 

Wenn im Heiligtume alter Eichen

Männer um der Königin Altar

Sich die Bruderhand zum Bunde reichen,

Zu dem Bunde freudiger Gefar;

Wenn entzükt von ihren Götterküssen

Jeglicher, des schönsten Lorbeers werth,

Lieb' und Lorbeer ohne Gram zu missen

Zu dem Heil des Vaterlandes schwört!

 

Wenn die Starken den Despoten weken,

Ihn zu mahnen an das Menschenrecht,

Aus der Lüste Taumel ihn zu schreken,

Muth zu predigen dem feilen Knecht!

Wenn in todesvollen Schlachtgewittern,

Wo der Freiheit Heldenfahne weht,

Muthig, bis die müden Arme splittern,

Ruhmumstralter Sparter Phalanx steht!

 

Allgewaltig ist im Gräberthale,

Herrscherin, dein seegensvoller Lohn!

Aus der Zukunft zauberischer Schaale

Trinkt sich stolzen Muth der Erdensohn.

Hoffend endet er sein Erdenleben,

Um an deiner mütterlichen Hand

Siegestrunken einst empor zu schweben

In der Geister hohes Vaterland:

 

Wo der Tugend königliche Blume

Unbetastet von dem Wurme blüht,

Wo der Denker in dem Heiligtume

Hell und offen alle Tiefen sieht,

Wo auf Trümmern kein Tyrann mehr thronet,

Keine Fessel mehr die Seele bannt,

Wo den Heldentod die Palme lohnet,

Engelkuß den Tod fürs Vaterland.

 

Harret eine Weile, Orione!

Schweige, Donner der Plejadenbahn!

Hülle, Sonne, deine Stralenkrone,

Athme leiser, Sturm und Ozean!

Eilt zu feierlichen Huldigungen,

All ihr großen Schöpfungen der Zeit,

Denn, verloren in Begeisterungen,

Denkt der Seher der Unsterblichkeit!

 

Siehe! da verstummen Menschenlieder,

Wo der Seele Lust unnennbar ist,

Schüchtern sinkt des Lobgesangs Gefieder,

Wo der Endlichkeit der Geist vergißt.

Wann vor Gott sich einst die Geister sammeln,

Aufzujauchzen ob der Seele Sieg,

Mag Entzükungen der Seraph stammeln,

Wo die trunkne Menschenlippe schwieg.