BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1789

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Die Tek

 

Ah! so hab' ich noch die Traubenhügel erstiegen

Ehe der leuchtende Stral an der güldenen Ferne hinabsinkt.

Und wie wohl ist mir! Ich strek' im stolzen Gefühle –

Als umschlänge mein Arm das Unendliche – auf zu den Wolken

Meine gefaltete Hände, zu danken im edlen Gefühle

Daß er ein Herz mir gab, dem Schaffer der edlen Gefühle.

Mich mit den frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel,

Wie sie die köstliche Traube mit heiterstaunendem Blike

Über sich halten, und lange noch zaudern, die glänzende Beere

In des Kelterers Hände zu geben – wie der gerührte

Silberlokigte Greis an der abgeerndteten Rebe

Königlich froh zum herbstlichen Mahle sich sezt mit den Kleinen

O! und zu ihnen spricht aus der Fülle des dankenden Herzens

Kinder! am Seegen des Herrn ist alles, alles gelegen – –

Mich mit den frohen zu freuen, zu schauen den herbstlichen Jubel

War ich herauf von den Hütten der gastlichen Freundschaft gegangen.

Aber siehe! allmächtig reißen mich hin in ernste Bewundrung

Gegenüber die waldigte Riesengebirge. – Laß mich vergessen

Laß mich deine Lust, du falbigte Rebe, vergessen,

Daß ich mit voller Seele sie schaue die Riesengebirge!

Ha! wie jenes so königlich über die Brüder emporragt!

Tek ist sein Nahme. Da klangen einst Harnische, Schwerder ertönten

Zwischen den moosigten Mauren der Fürsten und blinkende Helme.

Eisern waren und groß und bieder seine Bewohner.

Mit dem kommenden Tag stand über den moosigten Mauren

In der ehernen Rüstung der Fürst, sein Gebirge zu schauen.

Mein diß Riesengebirge – so stolz – so königlich herrlich –?

Sprach er mit ernsterer Stirne, mit hohem, denkendem Auge –

Mein die trozende Felsen? die tausendjährige Eichen?

Ha! und ich? – und ich? – bald wäre mein Harnisch gerostet

O! der Schande! mein Harnisch gerostet in diesem Gebirge.

Aber ich schwör' – ich schwör', ich meide mein Riesengebirge,

Fliehe mein Weib, verlasse das blaue redliche Auge,

Biß ich dreimal gesiegt im Kampfe des Bluts und der Ehre.

Trage mich mein Roß zu deutscher statlicher Fehde

Oder wider der Christenfeinde wütende Säbel –

Biß ich dreimal gesiegt, verlass' ich das stolze Gebirge.

Unerträglich! stärker als ich, die trozende Felsen,

Ewiger, als mein Nahme, die tausendjährige Eichen!

Biß ich dreimal gesiegt, verlass' ich das stolze Gebirge.

Und er gieng und schlug, der feurige Fürst des Gebirges.

Ja! so erheben die Seele, so reißen sie hin in Bewundrung

Diese felsigte Mitternachtswälder, so allerschütternd

Ist sie, die Stunde, da ganz es fühlen, dem Herzen vergönnt ist. –

Bringet ihn her, den frechen Spötter der heilsamen Wahrheit,

O! und kommet die Stunde, wie wird er staunen, und sprechen:

Warlich! ein Gott, ein Gott hat dieses Gebirge geschaffen.

Bringet sie her, des Auslands häßlich gekünstelte Affen

Bringet sie her, die hirnlos hüpfende Puppen, zu schauen

Dieses Riesengebirge so einfach schön, so erhaben;

O und kommet die Stunde, wie werden die Knaben erröten,

Daß sie Gottes herrlichstes Werk so elend verzerren. –

Bringet sie her der deutschen Biedersitte Verächter,

Übernachtet mit ihnen, wo Moder und Disteln die graue

Trümmer der fürstlichen Mauern, der stolzen Pforten bedeken,

Wo der Eule Geheul, und des Uhus Todtengewimmer

Ihnen entgegenruft aus schwarzen, sumpfigten Höhlen.

Wehe! wehe! so flüstern im Sturme die Geister der Vorzeit

Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!

Ritterwort, und Rittergrus, und traulicher Handschlag! –

Laßt euch mahnen, Suevias Söhne! Die Trümmer der Vorzeit!

Laßt sie euch mahnen! Einst standen sie hoch, die gefallene Trümmer,

Aber ausgetilget ward der trauliche Handschlag,

Ausgetilget das eiserne Wort, da sanken sie gerne,

Gerne hin in den Staub, zu beweinen Suevias Söhne.

Laßt sie euch mahnen, Suevias Söhne! die Trümmer der Vorzeit!

Beben werden sie dann der Biedersitte Verächter,

Und noch lange sie seufzen, die fallverkündende Worte –

Ausgetilget aus Suevia redliche biedere Sitte!

Aber nein! nicht ausgetilget ist biedere Sitte

Nicht ganz ausgetilget aus Suevias friedlichen Landen – –

O mein Thal! mein Tekbenachbartes Thal! – ich verlasse

Mein Gebirge, zu schauen im Tale die Hütten der Freundschaft.

Wie sie von Linden umkränzt bescheiden die rauchende Dächer

Aus den Fluren erheben, die Hütten der biederen Freundschaft.

O ihr, die ihr fern und nahe mich liebet, Geliebte!

Wär't ihr um mich, ich drükte so warm euch die Hände, Geliebte!

Jezt, o! jezt über all' den Lieblichkeiten des Abends.

Schellend kehren zurük von schattigten Triften die Heerden,

Und fürs dritte Gras der Wiesen, im Herbste noch fruchtbar,

Schneidend geklopfet ertönt des Mähers blinkende Sense.

Traulich summen benachbarte Abendgloken zusammen,

Und es spielet der fröliche Junge dem lauschenden Mädchen

Zwischen den Lippen mit Birnbaumblättern ein scherzendes Liedchen.

Hütten der Freundschaft, der Seegen des Herrn sei über euch allen!

Aber indessen hat mein hehres Riesengebirge

Sein gepriesenes Haupt in nächtliche Nebel verhüllet,

Und ich kehre zurük in die Hütten der biederen Freundschaft.