BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1786

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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An die Nachtigall

 

Dir flüstert's leise – Nachtigall! dir allein,

Dir, süße Tränenwekerin! sagt es nur

Die Saite. – Stellas wehmutsvoller

Seufzer – es raubte mein Herz – dein Kehlchen –

 

Es klagte – o! es klagte – wie Stella ists.

Starr sah' ich hin beim Seufzer, wie, als dein Lied

Am liebevollsten schlug, am schönsten

Aus der melodischen Kehle strömte.

 

Dann sah' ich auf, sah' bebend, ob Stellas Blik

Mir lächle – ach! ich suche dich, Nachtigall!

Und du verbirgst dich. – Wem, o Stella!

Seufztest du? Sangest du mir, du süße?

 

Doch nein! doch nein! ich will es ja nicht, dein Lied,

Von ferne will ich lauschen – o! singe dann!

Die Seele schläft – und plözlich schlägt die

Brust mir empor zum erhabnen Lorbeer.

 

O Stella! sag' es! sag' es! – ich bebe nicht! –

Es tödtete die Wonne, geliebt zu sein,

Den Schwärmer. – Aber tränend will ich

Deinen beglükten Geliebten seegnen.