Johann Peter Hebel
1760 - 1826
Schatzkästleindes rheinischen Hausfreundes
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Nützliche Lehren.
5.Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet.“ Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Für's andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ Von dem Doctor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiederte der fromme und witzige Mann: in einem Birkenwald sey der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten.“
6.
Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.“ Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht [75] abgelassen, bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchthurm stand. So ist Rom entstanden. Was du zu thun hast, machs auch so!
7.
Frisch gewagt ist halb gewonnen.“ Daraus folgt: Frisch gewagt ist auch halb verloren.“ Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man auch: Wagen gewinnt, Wagen verliert.“ Was muß also den Ausschlag geben? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen will, Ueberlegung wie es anzufangen sey, Benutzung der günstigen Zeit und Umstände, und hintennach, wenn man sein muthiges A. gesagt hat, ein besonnenes B., und sein bescheidenes C. Aber so viel muß wahr bleiben: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, und kann nicht anders seyn, so ist ein frischer Muth zur Sache der Meister, und der muß dich durchreißen. Aber wenn du immer willst, und fangst nie an, oder du hast schon angefangen, und es reut dich wieder, und willst, wie man sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken, guter Freund, dann ist schlecht gewagt ganz verloren.“
8.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Mancher, der nicht an dieses Sprichwort denkt, wird betrogen. Aber eine andere Erfahrung wird noch öfter vergessen: Manches glänzt nicht und ist doch Gold,“ und wer das nicht glaubt, und nicht daran denkt, der ist noch schlimmer daran. In einem wohlbestellten Acker, in einem gut eingerichteten Gewerbe ist viel Gold verborgen, und eine fleißige Hand weiß es zu finden, und ein ruhiges Herz dazu und ein gutes Gewissen glänzt auch nicht, und ist noch mehr als Goldes werth. [76] Oft ist gerade da am wenigsten Gold, wo der Glanz und die Prahlerei am grösten ist. Wer viel Lerm macht, hat wenig Muth. Wer viel von seinen Thalern redet, hat nicht viel. Einer prahlte, er habe ein ganzes Simri (Sester) Dukaten daheim. Als er sie zeigen sollte, wollte er lange nicht daran. Endlich brachte er ein kleines rundes Schächtelein zum Vorschein, das man mit der Hand decken konnte. Doch half er sich mit einer guten Ausrede. Das Dukaten-Maas, sagte er, sey kleiner als das Frucht-Maas. |