BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

II. Theil

 

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45.

Reden Jesu zu seinen Jüngern. Begebenheiten in Gethsemane.

 

Es sprach der Herr zu seinen Jüngern: «Ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Liebet euch unter einander, wie ich euch geliebet habe, daran wird Jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seyd, wenn ihr Liebe untereinander habt.» Petrus fragte ihn, wo er denn hingehe? Der Herr erwiederte ihm: «Wo ich hingehe, kannst du mir diesmal nicht folgen.» Petrus sprach: «Warum soll ich dir nicht folgen können? Ich will mein Leben für dich lassen. Wenn dich alle verlassen, ich verlasse dich nicht.» Jesus sprach zu ihm: «Du wolltest dein Leben für mich lassen? Wahrlich, ehe der Hahn kräht, (das heißt, ehe der Tag kommt,) wirst du mich dreimal verläugnen.»

Auch mit andern Worten ermahnte und tröstete er sie, und versprach ihnen die Sendung und den Beistand des heiligen Geistes, wann er nicht mehr bei ihnen seyn würde. «Ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch bleibe ewiglich, den Geist der Wahrheit; derselbige wird euch in alle Wahrheit leiten.»

Endlich betete er auch noch für sie und für alle, die durch ihr Wort noch an ihn glauben würden, daß wir eins bleiben mögen in ihm, und daß uns Gott einst zu ihm bringen wolle in seine Herrlichkeit, die ihm Gott gegeben hat.

Nach diesen Worten ging er mit ihnen in einen Garten, Gethsememe genannt.

In dem Garten sprach er zu ihnen: «Setzet euch hier! Ich will dort hingehen und beten.» Doch nahm er mit sich den Petrus, Jacobus und Johannes. Jetzt fieng er an zu trauren und zu zagen. «Meine Seele,» sprach er, «ist betrübt bis in den Tod. Bleibet hier, und wachet mit mir.» Alsdann gieng er noch einige Schritte weiter allein, warf sich in seiner Seelenangst auf die Erde nieder, und betete, daß ihn Gott vor den schrecklichen Leiden bewahren wolle, die auf ihn warteten. «Mein Vater,» so betete er, «wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber. Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.» Als er zu seinen Jüngern zurückkam, wie wenn er Trost bei ihnen suchen wollte, schliefen sie. Da sprach er zu ihnen: «Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet.» Das Nämliche that er zum zweiten- und zum drittenmale, wie in der Betrübniß und Angst zu geschehen pflegt. Bald ist das geängstete Herz lieber allein und betet. Bald sucht es wieder Trost und Stärkung bei freundlichen Menschen. Als er zum drittenmale wieder kam, und die Jünger schlafend fand, sprach er: «Ach, wollt ihr denn nur schlafen und ruhen! Siehe die Stunde ist hier, daß des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet werde. Stehet auf,» sprach er, «laßt uns gehen. Siehe mein Verräther ist da.» Als er aber noch redete, kam in den Garten Judas, der Bösewicht, und brachte mit sich eine Schaar von Gerichtsdienern und Kriegsknechten mit Fackeln, mit Schwertern und mit Stangen. So gieng er zu Jesu hin, grüßte und küßte ihn: «Gegrüßet seyst du, Rabbi!» Dieses Zeichen hatte er mit seinen Begleitern verabredet: «Welchen ich küssen werde, der ist's.» Denn sie kannten Jesum nicht, im Dunkeln gar nicht. Es war ein tiefer Schmerz für das fromme heilige Gemüth Jesu, daß das schöne Zeichen der Freundschaft und der Liebe, Gruß und Kuß, zu einer so schändlichen Treulosigkeit konnte gemißbraucht werden. «Wozu,» sprach er, «bist du gekommen? Judas, verrathest du des Menschen Sohn mit einem Kuß?» Als aber die Jünger sahen, was aus der Sache werden wolle – der fromme Jesus wurde angegriffen und wie ein Verbrecher gefangen genommen – wollten sie anfänglich Gewalt gegen Gewalt gebrauchen. Petrus griff sogar einen der Kriegsknechte mit gezogenem Schwerte an und verwundete ihn. Nur Jesus blieb ruhig und besonnen in dem bedenklichen und furchtbarsten Augenblicke. Wo der gewöhnliche Mensch nicht mehr weiß, was er thut, gibt Gott Besinnung und Ruhe dem frommen und unschuldigen Herzen. Er sprach zu Petrus: «Stecke dein Schwert in die Scheide, denn wer das Schwert gebraucht, kommt durch das Schwert um. Oder soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?» Denn er wußte, daß Gott den Menschen große Wohlthaten durch seinen Tod erweisen wollte. Also ließ er sich willig binden und aus ihrer Mitte hinwegführen. In diesem Augenblick verließen ihn alle Jünger und flohen.