BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Peter Hebel

1760 - 1826

 

Biblische Geschichten

Für die Jugend bearbeitet

 

I. Theil

 

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18.

Zweite Reise nach Aegypten.

 

Die Söhne Jakobs mußten zum zweitenmale nach Aegypten reisen, und Korn kaufen. Gar ungern gab er ihnen den Benjamin mit, aber er konnte nicht anders, und Juda sagte ihm gut für den Knaben. Auch gab er ihnen zwiefaches Geld und köstliche Erzeugnisse aus dem Lande Canaan für Joseph mit, und wußte nicht, daß er sie seinem eigenen Sohn schickte. «Der allmächtige Gott,» sagte er, «gebe euch Barmherzigkeit vor dem Manne, daß er euch den gefangenen Bruder wieder gebe, und den Benjamin lasse! Ich aber muß seyn, sagte er, wie einer, der gar keine Kinder hat.» In Aegypten befahl Joseph seinem Hausvogt, daß er sie zu ihm bringen sollte, denn er wollte ihnen eine Mahlzeit halten und mit seinen Brüdern zu Mittag essen. – Ehe sie vor ihm erschienen, sagten sie dem Hausvogt, was ihnen begegnet sey mit dem Gelde. Der Hausvogt sagte: «Euer Geld ist mir geworden.» Auch gab er ihnen ihren gefangenen Bruder Simeon wieder. Als sie vor Joseph erschienen, reichten sie ihm die Geschenke dar. Etwas köstlicheres wäre kein König im Stande gewesen ihm zu schenken, als diese Gaben waren, aus dem Lande seiner schönen Heimath, aus den Händen seines Vaters. Joseph grüßte sie mit freundlichen Worten: «Geht es eurem Vater wohl? lebt er noch?» Sie sprachen: «Es geht deinem Knechte, unserm Vater, wohl.» – «Ist das euer Bruder?» sagte er, als er den Benjamin er blickte; «Gott segne dich, mein Sohn!» sprach er zu Benjamin. Aber er konnte nicht weiter reden, sein Herz war so bewegt gegen seinen Bruder, den Sohn seiner Mutter Rahel, daß er hinweggehen und weinen mußte. Als er aber ausgeweint hatte und wieder kam, setzte er seine Brüder zu Tische, wie sie dem Alter nach auf einander folgten, und that dem Benjamin eine besondere Ehre an. Er selbst aß mit ihnen, wiewohl an einem eigenen Tisch. Aber zu erkennen gab er sich ihnen noch nicht.

Hierauf ließ Joseph ihre Säcke mit Getreide füllen. Auch wurde auf seinen Befehl jedem sein Geld wieder oben in den Sack gelegt, und in den Sack des Benjamin außer diesem noch sein silberner Becher, daraus er zu trinken pflegte.

Als aber die Brüder schon wieder auf dem Heimweg waren, und meynten, dießmal seye alles besser gegangen, als das erstemal, schickte ihnen Joseph seinen Hausvogt nach. Als der Hausvogt sie eingeholt hatte, sprach er zu ihnen: «Warum vergeltet ihr Gutes mit Bösem? Welcher von euch hat meines Herrn silbernen Becher gestohlen?» Sie sprachen«Warum redet mein Herr solche Worte? Wir sind ehrliche Leute. Bei welchem der Becher gefunden wird, der soll sterben? Wir aber wollen deines Herrn Knechte seyn?» Hierauf wurden alle Säcke geöffnet und durchsucht, und der Becher ward gefunden in dem Sack Benjamins. Da zerrissen die Brüder ihre Kleider vor Schrecken und Betrübniß, und kehrten wieder alle mit einander um. Als sie wieder vor Joseph gebracht wurden, redete er sie hart an, daß sie solches sich unterstanden hätten. Juda nahm das Wort und sagte: «Wie können wir uns rechtfertigen? Gott hat unsere Missethat gefunden. Siehe, wir sind deine Knechte.» Joseph sprach: «Das sey ferne! Der, bei welchem der Becher gefunden ist, soll mein Knecht seyn. Ihr aber zieht in Frieden zu eurem Vater.» Da flehte Juda inständig, daß das nicht geschehen möge. Solchen Jammer seines Vaters könne er nicht ansehen, wenn er zurückkäme und den Knaben nicht wieder brächte, an welchem sein Herz hieng. Lieber wollte er selbst an seiner Statt in der Gefangenschaft und Knechtschaft zurückbleiben.

Das alles that Joseph, daß er sähe, wie seine Bruder gestimmt seyen, und ob sie die Zeit gebessert habe. Als er nun sahe, wie sie jetzt ihren alten Vater und seinen Bruder Benjamin so lieb hatten, und wie Juda sich ängstete, konnte er sich der Thränen nimmer erwehren. Die Aegypter, welche zugegen waren, mußten alle hinausgehen. Als sie allein unter sich waren, ließ er den Thränen freien Lauf. «Ich bin Joseph,» sprach er. «Lebt mein Vater noch?»,

Ob sein Vater noch lebe, fragte der fromme Sohn. –

Darüber erschracken seine Brüder so sehr, daß sie ihm nicht antworten konnten. Er aber sprach noch einmal zu ihnen: «Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr verkauft habt Aber fürchtet euch nicht! Eilet und saget meinem Vater, daß er zu mir komme mit aller seiner Habe, und wohne bei mir.» Hierauf fiel er seinem Bruder Benjamin um den Hals, und weinte, und Benjamin weinte auch an seinem Halse. Alle seine Brüder küßte er und weinte über sie vor Rührung und Liebe. Hernach erst redeten seine Brüder mit ihm. Auch der König ließ den Vater des Joseph einladen, daß er nach Aegypten zöge, und Joseph schenkte jedem ein Feierkleid, dem Benjamin aber schenkte er fünf Feierkleider und dreihundert Silberstücke, und schickte seinem Vater viel köstliches Gut aus Aegypten zum Gruß, und Wagen zur Reise, und «Zanket nicht auf dem Wege,» sprach er zu seinen Brüdern.

Freilich war dießmal die Heimreise erfreulicher, als das erstemal. Wenn die Noth am größten, ist oft ihr Trost am nächsten.