BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Kaspar Hauser

1812 - 1833

 

Georg Friedrich Daumer:

Enthüllungen über Kaspar Hauser

 

1859

 

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[329]

VIII.

Chronologische Uebersicht.

 

Es folgt nun schließlich eine chronologische Uebersicht der hervor­tretendsten und interessantesten Thatsachen und Umstände der Ge­schichte und Entwicklung Hauser's und der damit zusammenhän­genden Dinge von seinem Erscheinen in Nürnberg an, so weit sie noch mit Sicherheit zu bestimmen sind.

 

1828

 

den 26. Mai.

 

Hauser's erstes Erscheinen in Nürnberg und Beginn seines Aufenthaltes im Gefängniß­thurme daselbst.

den 7. Juli.

 

Bürgermeister Binder's Bekanntmachung über ihn.

den 11. Juli.

 

Besuch Feuerbach's bei ihm. [330]

den 18. Juli.

 

Er wird in meine Wohnung versetzt, wo er An­fangs noch Nichts, als Wasser und Brod genießt. 1)

Juli, August, Sept.

 

Er gewöhnt sich an Wassersuppen, Gesundheitschokolade, Milchbreie, Kartoffeln.

August.

 

Er unterscheidet Scherz u. Ernst.

den 30–31. Aug.

 

Er träumt von einem Schlosse, wie er es zu Nürnberg noch nicht gesehen hatte.

September.

 

Er beginnt, seine Lebensgeschichte aufzusetzen.

den 9. September.

 

Er wird von einer kleinen Quantität frischen Weinbeerensaftes berauscht. 2)

den 10. September.

 

Er findet zufällig die feinere, gewürzte Brodart wieder, mit welcher er in seinem Gefängnisse genährt worden war.

den 11. September.

 

Er reitet zum ersten Male spazieren. [331]

den 14. September.

 

Er erinnert sich auf der Burg mit um so größerer Bestimmtheit an das Schloß, von welchem er träumte.

November.

 

Gewöhnung an Fleischkost.

 

1829

 

im Frühling.

 

Er schreibt ein gereimtes Gedicht nieder und hat einen symbolisch poetischen Traum. 3)

den 17. October.

 

Mordversuch in meinem Hause. Um diese Zeit ist auch Graf Stanhope bei und in Nürnberg, doch nur ganz in der Stille und ohne sich mit H. in Berührung zu setzen.

den 22. October.

[26. Januar 1830?]

 

H. der Sicherheit wegen von mir hinweg und in die Wohnung des Kaufmanns und Magistratsrathes Biberbach versetzt.

 

1830

 

März.

 

H. v. Pirch entdeckt, daß H. ungarische und polnische Wörter und Redensarten versteht. Es erwachen in H. noch weitere Erinnerungen an seine Kinderzeit.

Juni.

 

Er kommt zu dem zu seinem Vormunde [332] ernannten Freiherrn v. Tucher in Nürnberg.

Juli.

 

Merker tritt auf, ihn für einen Betrüger erklärend.

 

1831

 

Mai.

 

Graf Stanhope erscheint in Nürnberg und nimmt sich Hauser's an.

November.

 

H. v. Tucher beschwert sich über den höchst verderblichen Einfluß, den der Graf auf H. habe.

December.

 

H. wird nach Ansbach versetzt und dem Lehrer Meyer übergeben. 4)

 

1832

 

 

 

Feuerbach's Schrift über ihn und meine „Mittheilungen.“

October.

 

Religionsunterricht bei Pfarrer Fuhrmann in Ansbach.

 

1833

 

den 20. Mai.

 

H. begeht seine Confirmationsfeier.

den 23. Mai.

 

Feuerbach stirbt plötzlich zu

Frankfurt a. M. [333]

November.

 

H. erhält auf's Neue Unterricht bei Pfarrer Fuhrmann.

den 14. December.

 

H. erhält im Schloßgarten zu Ansbach eine tödtliche Stichwunde, während Graf Stanhope in der Annäherung begriffen.

den 17. December.

 

Hauser's Tod.

den 19. December.

 

Leichenöffnung.

den 21. December.

 

Begräbniß.

den 22. December.

 

Graf Stanhope erscheint und giebt eine gänzlich veränderte Ansicht und Gesinnung kund. Er erklärt den Verstorbenen für einen Betrüger und Selbstmörder, so wie er es dann auch zu München bei Gelegenheit einer gerichtlichen Vernehmung thut.

 

1834 und 1835

 

 

 

Er sammelt Zeugnisse und streut Schriften aus, welche dieselbe Behauptung zu unterstützen und zu bewahrheiten den Zweck haben.

Im Frühling des Jahres 1834 ist er auch bei mir, sucht mich zu seinem Verbündeten zu machen und zu einem öffentlichen [334] Schritt gegen H. zu bewegen. Er benimmt sich überhaupt sehr auffallend und räthselhaft. Mehrere Personen fassen einen schweren Verdacht gegen ihn.

 

Ich füge dieser Uebersicht eine Rechnung von der Hand meiner ver­storbenen Mutter bei.

„Den 18. Juli kam Hauser zu uns. Die erste Woche genoß er nur Wasser und Brod, für 6 kr. täglich.“

„Dann aß er Mittags und Abends Suppe. Diese nebst Brod täglich 8 kr.“

„Dann Morgends Gesundheitschokolade. Diese nebst dem Uebrigen bis zum 16. August täglich 11 kr.“

„Vom 17.– 31. August Abends statt der Suppe ebenfalls Chokolade. Mit dem Uebrigen täglich 13 kr.“

„Vom 31. August bis zum 31. October des Morgens Chokolade mit Weißbrod, Abends mit schwarzem; Mittags Milch und andere Speisen, täglich 15 kr.“

„Für Wäsche wöchentlich 8 kr.“ u. s. w.

Hieraus sieht man ohngefähr, was H., von dem man sagte, es werde mit ihm ein unziemlicher Aufwand gemacht, der Stadt für Kosten verursachte. Ich ließ mir nur die für ihn gemachten bestimmten Auslagen vergüten; von meinem Verhältnisse zu ihm irgend einen Gewinn ziehen wollte ich nicht; auch wurde mir durchaus kein Lohn dafür. Die anderen Lehrer Hauser's unterrichteten ihn [335] gleichfalls unentgeldlich. Viele Kleidungsstücke und andere Dinge wurden ihm geschenkt; die Pferde, die er ritt, wurden ihm umsonst überlassen; das Theater, wenn es ihm verstattet wurde, bezahlte Binder für ihn, wie ich das Alles noch ausführlich in meinen Papieren verzeichnet finde.

Von ihm selbst ist ein Zettelchen vorhanden, wo es wörtlich und mit den Fehlern, die er damals noch machte, also heißt:

„Vom 9. Sept. Will ich eine ordung halten im lehrnen.

„Den 10. Sept. Zum ersten mein Brod. 5)

„Den 11. Sept. Zum ersten mal spaziren Geriten.“ Vielleicht wird diese merkwürdige Erscheinung, die in derselben Art nie wiederkehren dürfte, einst einer neuen Prüfung und Untersuchung, einer anderen, als die Herren Merker und Eschricht geliefert, unterworfen und von einem wahrhaft verständigen und wissenschaftlichen Standpunkte aus be­leuchtet und dargestellt werden. Wenn die Cultur nicht völlig sinkt, die Wissenschaft nicht ganz verseichtet und verkommt, so wird sie ein so interessantes und instruktives Phänomen nicht fallen lassen und nicht dulden, daß man es durch bornirte Klügeleien und alberne Hypothesen [336] verfälsche. Dann wird alles Faktische willkommen sein, auch was so kleine und scheinbar geringfügige Notizen, wie obige, betrifft. Gerne würde ich es unter begünstigenden Umständen unternehmen, ein vollständiges und systematisches Gemälde dieser Erscheinung mit Benutzung aller noch vorhandenen Aufzeichnungen zu geben; ich zweifle jedoch, ob es dazu kommen wird. Und so nehme ich hiemit von diesem Gegenstande wahrscheinlich für immer Abschied, ihn noch schließlich angelegentlichst allen tiefer Denkenden und Forschenden zum Studium empfehlend.

 

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1) Ohngefähr drei Wochen vorher war ich mit ihm bekannt geworden, und hatte ihn im Thurme zu unterrichten begonnen. 

2) S. „Mittheilungen“ II, S. 35. Ein Jahr darauf wiederholt sich diese Erscheinung, doch in gemindertem Grade. 

3) S. „Mittheilungen“ I. S. 45. II. S. 29. 

4) „Graf Stanhope nahm seinen Schützling am 1. Dec. 1831 mit sich hieher in unsere Stadt“ sagt Fuhrmann in seiner Trauerrede. Und weiterhin: „Am 9. Dec. wurde er Herrn Lehrer Meyer und seiner würdigen Gattin übergeben.“ 

5) Es ist die feiner gewürzte Brodart gemeint, die er während seiner Einsperrung genossen und in Nürnberg einmal zufällig wieder fand. 

 

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Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient.