BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karoline von Günderrode

1780 - 1806

 

Poetische Fragmente

 

1805

 

Text:

Karoline von Günderrode

Poetische Fragmente

Frankfurt a. M.: Friedrich Wilmans, 1805

Faksimile: Google

 

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Hildgund

Piedro

Der Pilger

Der erste Pilger

Der zweite Pilger

Der Kuß im Traume

Mahomed, der Prophet von Mekka

 

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Piedro

 

Dunkel ruhet auf den Wassern,

Tiefe Stille weit umher,

Piedros Schiff nur teilt die Wellen,

Seine Ruder schlägt das Meer.

 

5

Aber Piedro steht am Maste

Und sein Aug' in trüber Glut,

Sucht den Räuber der Geliebten,

Sucht sie durch des Meeres Flut.

 

Endlich naht er ihrem Segel,

10

Endlich geht die lange Nacht,

Und mit ungeduld'ger Eile

Ordnet er der Schiffe Schlacht.

 

Viele fallen, viele siegen,

Einer kämpft mit Löwenmut,

15

Naht sich Piedron durch die Menge

Kühnlich mit bescheidnem Mut.

 

Und sie kämpfen, keiner weichet,

Tapferkeit wird wilde Wut;

Und in zornigen Strömen mischet

20

Sich der Kämpfer heißes Blut.

 

Endlich in des Jünglings Busen

Senket Piedro seinen Stahl,

Vor dem unwillkommenen Gaste

Flieht sein süßes - Leben all.

 

25

Und er stirbt so hold im Tode,

Daß Piedro niedersinkt,

Und von seinen blassen Lippen

Reuig heiße Küsse trinkt.

 

Nacht will endlich niedersinken,

30

Tiefe Stille weit umher;

Piedros Schiff nur teilt die Wellen,

Seine Ruder schlägt das Meer.

 

Piedro aber liegt verwundet

Einsam in des Schiffes Raum;

35

Seine Seele ist gefangen,

Ganz und gar in einem Traum.

 

Denn ihm deucht er sei umschlungen

Von des toten Jünglings Arm,

Freundlich will sein Auge brechen,

40

Doch es schlägt sein Herz noch warm.

 

Piedro will sich von ihm reißen,

Doch mit sehnsuchtsvollem Blick

Und mit heißen Liebesküssen

Hält der Knabe ihn zurück.

 

45

Freudig, daß er sie befreiet,

Tritt die Braut zu Piedro hin,

Will ihn trösten, will versuchen,

Ob die bösen Träume fliehn.

 

Und sie neigt sich zu ihm nieder,

50

Ruft des Teuern Namen laut.

Er erwacht und mit Entsetzen

Wendet er sich von der Braut.

 

Und er mag sie nicht mehr schauen,

Ihre Liebe ist ihm Pein.

55

Tief versenkt nur im Betrachten

Des Gestorbenen mag er sein.

 

Und das süße Mädchen weinet

Sie verhüllt ihr Angesicht,

Möchte gern vor Schmerzen sterben

60

Nur den Teuern lassen nicht.

 

Piedro sieht's, ein tiefes Sehnen

Zieht ihn nach des Grabes Ruh,

Er zerreißt der Wunde Banden

Und geht still den Toten zu.

 

65

Dunkel ruhet auf den Wassern,

Tiefe Stille weit umher

Piedros Schiff erreicht die Küste

Aber er schläft tief im Meer.

 

 

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Der Kuß im Traume

 

Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht,

Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten.

Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten,

Daß neue Wonnen meine Lippe saugt.

 

5

In Träume war solch Leben eingetaucht,

Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten,

Kann aller andern Freuden Glanz verachten,

Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.

 

Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,

10

Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen

Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.

 

Drum birg dich Aug' dem Glanze irrd'scher Sonnen!

Hüll' dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen

Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen.