Karoline von Günderrode
1780 - 1806
Bettina von Arnimüber den Selbstmordder Günderrode
1835
Text:in: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde,Erster Theil, Berlin 1835
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Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schlosser; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil er ins Rheingau reisen werde und wolle gern ihre Bekanntschaft machen. Ich sagte, daß ich mit ihr brouillirt sei, ich bäte ihn aber, von mir zu sprechen und acht zu geben, was es für einen Eindruck auf sie mache; – wann gehen Sie hin, sagte ich, morgen? Nein, in acht Tagen; o gehen Sie morgen, sonst treffen Sie sie nicht mehr; – am Rhein ist's so melancholisch, sagte ich scherzend, da könnte sie sich ein Leid's anthun; – Schlosser sah mich ängstlich an; ja, ja, sagte ich muthwillig, sie stürzt sich in's Wasser oder ersticht sich aus bloßer Laune. – Frevlen Sie nicht, sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht: Geben Sie acht, Schlosser, Sie finden Sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich sage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten Sie sie von unzeitiger melancholischer Laune; – und im Scherz beschrieb ich sie, wie sie sich umbringen werde, im rothen Kleid, mit aufgelöstem Schnürband, dicht unter der Brust die Wunde; das nannte man tollen Übermuth von mir, es war aber bewußtloser Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkommen genau beschrieb. – Am andern Tag kam Franz und sagte: Mädchen, wir wollen ins Rheingau gehen, da kannst du die Günderode besuchen. – Wann? fragte ich. – Morgen, sagte er; – ach, ich packte mit Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, daß wir gingen; alles, was mir begegnete, schob ich hastig aus dem Weg, aber es vergingen mehrere Tage, und es ward die Reise immer verschoben; endlich, da war meine Lust zur Reise in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär' lieber zurückgeblieben. – Da wir in Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah in's mondbespiegelte Wasser; meine Schwägerin Toni saß am Fenster; die Magd, die den Tisch deckte, sagte: Gestern hat sich auch eine junge schöne Dame, die schon sechs Wochen hier sich aufhielt, bei Winckel umgebracht; sie ging am Rhein spazieren ganz lang, dann lief sie nach Hause, holte ein Handtuch; am Abend suchte man sie vergebens; am andern Morgen fand man sie am Ufer unter Weidenbüschen, sie hatte das Handtuch voll Steine gesammelt und sich um den Hals gebunden, wahrscheinlich, weil sie sich in den Rhein versenken wollte, aber da sie sich ins Herz stach, fiel sie rückwärts, und so fand sie ein Bauer am Rhein liegen unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefsten ist. Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und schleuderte ihn voll Abscheu weit in den Rhein, die Schiffer sahen ihn fliegen – da kamen sie herbei und trugen sie in die Stadt. – Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hört' ich's mit an und rief: Das ist die Günderode! Man redete mir's aus und sagte, es sei wohl eine andre, da so viel Frankfurter im Rheingau wären. Ich ließ mir's gefallen und dachte: grade, was man prophezeie, sei gewöhnlich nicht wahr. – In der Nacht träumte mir, sie käme mir auf einem mit Kränzen geschmückten Nachen entgegen, um sich mit mir zu versöhnen; ich sprang aus dem Bett in des Bruders Zimmer und rief: es ist alles nicht wahr, eben hat mir's lebhaft geträumt! Ach, sagte der Bruder, baue nicht auf Träume! Ich träumte noch einmal, ich sei eilig in einem Kahn über den Rhein gefahren, um sie zu suchen; da war das Wasser trüb und schilfig, die Luft war dunkel und es war sehr kalt; – ich landete an einem sumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuchten Mauern, aus dem schwebte sie hervor und sah mich ängstlich an und deutete mir, daß sie nicht sprechen könne; – ich lief wieder zum Schlafzimmer der Geschwister und rief: nein, es ist gewiß wahr; denn mir hat geträumt, daß ich sie gesehen habe, und ich hab' gefragt: Günderode, warum hast Du mir dies gethan? da hat sie geschwiegen, hat den Kopf gesenkt und hat sich, traurig, nicht verantworten können. Nun überlegte ich im Bett alles und besann mich, daß sie mir früher gesagt hatte, sie wolle sich erst mit mir entzweien, eh' sie diesen Entschluß ausführen werde; nun war mir unsre Trennung erklärt; auch daß sie mir ein Zeichen geben werde, wenn ihr Entschluß reif sei; – das war also die Geschichte von ihrer todten Schwester, die sie mir ein halb Jahr früher mittheilte; da war der Entschluß schon gefaßt. – O ihr großen Seelen, dieses Lamm in seiner Unschuld, dieses junge, zaghafte Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, so zu handeln? Am andern Morgen fuhren wir bei früher Zeit auf dem Rhein weiter; – Franz hatte befohlen, daß das Schiff jenseits sich halten solle, um zu vermeiden, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort stand der Fritz Schlosser am Ufer, und der Bauer, der sie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die Füße und daß das Gras noch niederliege, – und der Schiffer lenkte unwillkürlich dorthin, und Franz, bewußtlos, sprach im Schiff alles dem Bauer nach, was er in der Ferne verstehen konnte, und da mußt' ich denn mit anhören die schauderhaften Bruchstücke der Erzählung vom rothen Kleid, das aufgeschnürt war und der Dolch, den ich so gut kannte, und das Tuch mit Steinen um ihren Hals und die breite Wunde; – aber ich weinte nicht, ich schwieg. – Da kam der Bruder zu mir und sagte: sei stark, Mädchen. – Wir landeten in Rüdesheim; überall erzählte man sich die Geschichte; ich lief in Windeseile an allen vorüber, den Ostein hinauf, eine halbe Stunde bergan, ohne auszuruhen; oben war mir der Atem vergangen, mein Kopf brannte, ich war den andern weit vorausgeeilt. – Da lag der herrliche Rhein mit seinem smaragdnen Schmuck der Inseln; da sah ich die Ströme von allen Seiten dem Rhein zufließen und die reichen friedlichen Städte an beiden Ufern und die gesegneten Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich die Zeit über diesen Verlust beschwichtigen werde, und da war auch der Entschluß gefaßt, kühn mich über den Jammer hinauszuschwingen; denn es schien mir unwürdig, Jammer zu äußern, den ich einstens beherrschen könne. |