Jacob Grimm
1785 - 1863
Von der Poesie im Recht
1815
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§. 11.[Beweis aus der frömmigkeit.]Dieser glaube an gott geht sichtbar durch unser ganzes altes recht, man kann sagen, dasz es beinahe ganz auf gottesurtheil gebaut ist, und ich rechne seine innere tugendhaftigkeit mit fug zu einem seiner hauptsächlichsten poetischen bestandtheile. die poesie ist rein und fromm, nicht anders das einfache recht des alterthums. allerwärts sehen sie den finger des allmächtigen.Bei den Griechen und Römern hiengen opfer, feste und wahrsagungen aufs engste an sitte, glauben und recht, die augurien namentlich greifen deutlich in die formeln alter gesetze. nachdem der vogel den flug nahm, des sterbenden thieres herz zuckte, wurde eine handlung des volks recht oder unrecht, krieg begonnen, bündnis geschlossen; die feierlichkeit der schwüre war auf das mitwissen und die unsichtbare gegenwart der frevel ahndenden gottheit berechnet 1).So waren auch im germanischen recht und volksglauben unzählige vorbedeutungen, loosungen und rathschläge, ob etwas zu thun oder zu lassen sei. selbst kleinere vorfälle, wie wir oben in einigen beispielen gesehen haben, schnitt das gesetz nicht gern gänzlich für sich durch, sondern liesz eher irgend etwas übrig, das durch den hinzutretenden zufall gott oder dem schicksal vertraut wurde. die sogenannten gottesurtheile, wodurch sich peinlich verklagte reinigen oder schuldigen musten, sind wol bei keinem andern volk, wiewol sie bei fast allen anzutreffen sind, so gründlich und dauerhaft ausgebildet worden. es stände über sie, aus näherer vergleichung der lieder mit den gesetzen, manches neue und aufschlieszende zu sagen, das sich jedoch ebenfalls besser zu einer besonderen abhandlung eignet.Die hausthiere kommen bei solchen bestimmungen häufig in anwendung; durch ihre vertraulichkeit und bekanntschaft mit den menschen schienen sie gewissermaszen geeignet, das worauf es ankam dunkel zu verstehen und füglich zu entscheiden, rein von aller parteilichkeit. gleichwol wird auch manches von wilden thieren, wie sie im zufall aufstoszen, angegeben.Gänse retten die hohe burg der Römer, nach der volkssage, durch ihr geschrei 2); auch in der Edda schreien sie bei Gudrunens jammer; unsere einheimischen sagen sind voll der rührendsten beispiele getreuer, mitleidender und kluger pferde. der hahn weckt nicht blosz, sondern mit seinem flug bestimmt er die grösze des landstücks, welches jemanden dem recht nach zufallen soll.Etwas juristisches berühren auch schon die meisten traditionen von gestifteten städten, schlössern und geschiedenen grenzen. ein unschuldiges thier gewöhnlich merkt die stelle oder umschreibt die erste form jener und schlichtet die streitigkeit dieser 3).Varro meldet: ‚oppida condebant in Latio, etrusco ritu, multa. id est, junctis bobus, tauro et vacca interiore aratro circumagebant sulcum; hoc faciebant religionis causa, die auspicato, ut fossa et muro essent munita; terram unde exscalpserant, fossam vocabant et introrsum factum murum, postea quod fiebat orbis, urbs.‘ und M. Cato: ‚captato augurio, qui urbem novam condebat, tauro et vacca arabat, ubi arasset, murum faciebat, ubi portam volebat esse, aratrum tollebat et portam vocabat.‘ hier scheint freilich der pflüger die thiere selbst zu lenken; frühere sagen haben aber vermutlich die sache deutlicher deren willkür 4) heimgestellt, gerade wie unsere altdeutschen.Wir wissen, dasz grenzstreite durch ordalien 5) entschieden wurden; ganz in dieser art ist folgende hessische volkserzählung, die ich aus dem munde des greben zu Wilmshausen, einem dorf zwischen Cassel und Münden aufgenommen habe: ‚einst war uneinigkeit zwischen der gemeinde und einer benachbarten über ihre grenze entsprungen. man wuste sie nicht mehr recht auszumitteln. also kam man übereins, einen krebs zu nehmen und über das streitige ackerfeld laufen zu lassen, dessen spuren man folgte und danach die steine legte. weil er nun so wunderlich in die kreuz und quer lief, ist daselbst eine sonderbare grenze mit mancherlei ecken und winkeln bis auf heutigen tag‘ 6).
―――――――― 1) griech. und röm. formeln: II. III, 267 - 301. Liv. I, 9. 2) Liv. V, 47: (hostes) anseres non fefellere, quibus sacris Junoni in summa inopia cibi tarnen abstinebatur. 3) cf. Festus v. primigenius sulcus. [Niebuhr röm. gesch. 1, 157.] 4) in christlichen legenden bestimmen die vor den wagen gespannten ochsen den ort, wo der heilige leichnam ruhen soll. 5) z. b. durch ein kreuzurtheil s. Dippoldts leben Carls d. gr. s. 211. cf. Du Cange v. terminatio. 6) auf die lustige seite gekehrt ist dies märchen in dem lalenbuch, wo der krebs für einen schneider gehalten, auf das tuch gesetzt und ihm nachgeschnitten wird. ich zweifle aber nicht, derselbe grund. |