BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

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§ 10.

Kriterien der Göttlichkeit einer

Offenbarung ihrer Form nach.

 

Um uns von der Möglichkeit, dass eine gegebene Offenbarung von Gott sey, vernünftig überzeugen zu können, müssen wir sichere Kriterien dieser Göttlichkeit haben. Da der Begriff einer Offenbarung a priori möglich ist, so ist es dieser Begriff selbst, an den wir eine a posteriori gegebene Offenbarung halten müssen, d. i. von diesem Begriffe müssen sich die Kriterien ihrer Göttlichkeit ableiten lassen.

Wir haben bisher den Begriff der Offenbarung, bloss ihrer Form nach, insofern diese religiös seyn muss, mit gänzlicher Abstraction vom möglichen Inhalte einer in concreto gegebenen Offenbarung, erörtert; wir haben also vor jetzt nur die Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihrer Form festzusetzen. An der Form einer Offenbarung aber, d. i. an einer blossen Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers durch eine übernatürliche Erscheinung in der Sinnenwelt, können wir zweierlei unterscheiden, nemlich das äussere derselben, d. i. die Umstände, unter welchen, und die Mittel, durch welche diese Ankündigung geschah, und dann das innere, d. i. die Ankündigung selbst.

Der Begriff der Offenbarung a priori setzt ein empirisch gegebenes moralisches Bedürfniss derselben voraus, ohne welches sich die Vernunft eine Veranstaltung der Gottheit, die dann überflüssig und gänzlich zwecklos war, nicht als moralisch möglich denken konnte, und die empirische Deduction der Bedingungen der Wirklichkeit dieses Begriffs entwickelte dieses Bedürfniss. Es muss also gezeigt werden können, dass zur Zeit der Entstehung einer Offenbarung, die auf einen göttlichen Ursprung Anspruch macht, dieses Bedürfniss wirklich da gewesen, und dass nicht schon eine andere, alle Kriterien der Göttlichkeit an sich tragende Religion unter eben den Menschen, denen sich diese bestimmte, vorhanden, oder ihnen leicht durch natürliche Mittel mitzutheilen war. Eine Offenbarung, von der dies gezeigt werden kann, kann von Gott seyn: eine, von der das Gegentheil gezeigt werden kann, ist sicher nicht von Gott – Es ist nöthig, dieses Kriterium ausdrücklich festzusetzen, um aller Schwärmerei und allen möglichen unberufenen Inspirirten, jetziger oder künftiger Zeiten, Einhalt zu thun. Ist eine Offenbarung, ihrem Inhalte nach, verfälscht, so ist es Pflicht und Recht jedes tugendhaften Mannes, ihr ihre ursprüngliche Reinigkeit wiederzugeben, aber dazu bedarf es keiner neuen göttlichen Autorität, sondern blosser Berufung auf die schon vorhandene, und Entwickelung der Wahrheit aus unserm moralischen Gefühle. Auch wird durch dieses Kriterium nicht schlechthin die Möglichkeit zweier zugleich existirenden göttlichen Offenbarungen geläugnet, wenn die Besitzer derselben nur nicht in der Lage sind, sie sich mitzutheilen.

Gott soll Ursache der Wirkungen seyn, durch welche die Offenbarung geschieht. Alles aber, was unmoralisch ist, widerspricht dem Begriffe von Gott. Jede Offenbarung also, die sich durch unmoralische Mittel angekündigt, behauptet, fortgepflanzt hat, ist sicher nicht von Gott. – Es ist allemal, die Absicht mag seyn, welche sie wolle, unmoralisch, zu betrügen. Unterstützt also ein angeblich göttlicher Gesandter seine Autorität durch Betrug, so kann das Gott nicht gewollt haben. Ueberdies bedarf ein wirklich von Gott unterstützter Prophet keines Betrugs. Er führt nicht seine Absicht, sondern die Absicht Gottes aus, und kann es also Gott völlig überlassen, inwieweit, und wie er diese Absicht unterstützen wolle. Aber, könnte man noch sagen, der Wille des göttlichen Gesandten ist frei, und er kann, vielleicht aus wohlmeinender Absicht, mehr thun wollen, als ihm aufgetragen ist, die Sache noch mehr beglaubigen wollen, als sie schon beglaubigt ist, und dadurch zum Betruge hingerissen werden; und dann ist nicht Gott, sondern der Mensch, dessen er sich bediente, Ursache dieses Betruges. – Wir dürfen nicht überhaupt läugnen, dass sich Gott nicht unmoralischer, oder moralisch schwacher Menschen zur Ausbreitung einer Offenbarung bedienen könne; denn wie, wenn keine andere da sind? und es werden, wo das höchste Bedürfniss der Offenbarung vorhanden ist, allerdings keine andere seyn. Aber er darf ihnen, wenigstens in Verrichtung seines Auftrags, den Gebrauch unmoralischer Mittel auch nicht zulassen; er müsste es durch seine Allmacht verhindern, wenn ihr freier Wille sich dahin lenkte. Denn wenn der Betrug entdeckt würde, – und jeder Betrug kann es, – so sind zwei Fälle möglich. Entweder die erregte Aufmerksamkeit verschwindet, und an ihre Stelle tritt der Verdruss, sich getäuscht zu sehen, und das Mistrauen gegen alles, was aus diesen oder ähnlichen Quellen kommt, welches dem bei dieser Anstalt überhaupt beabsichtigten Zwecke widerspricht: oder wenn die Lehre schon autorisirt genug ist, so wird dadurch auch der Betrug autorisirt; jeder hält sich für völlig erlaubt, was ein göttlicher Gesandter sich erlaubte; welches der Moralität, und dem Begriffe aller Religion widerspricht.

Der Endzweck jeder Offenbarung ist reine Moralität. Diese ist nur durch Freiheit möglich, und lässt sich also nicht erzwingen. Nicht nur sie aber, sondern auch die Aufmerksamkeit auf Vorstellungen, welche dahin abzwecken, das Gefühl für sie zu entwickeln, und die Bestimmung des Willens beim Widerstreite der Neigung zu erleichtern, lässt sich nicht erzwingen, sondern ist ihr vielmehr entgegen. Keine göttliche Religion also muss durch Zwang oder Verfolgung sich angekündigt oder ausgebreitet haben: denn Gott kann sich keiner zweckwidrigen Mittel bedienen, oder den Gebrauch solcher Mittel bei Absichten, die seinigen sind, auch nur zulassen, weil sie dadurch gerechtfertiget würden. Jede Offenbarung also, die durch Verfolgung sich angekündigt und befestigt hat, ist sicher nicht von Gott. Diejenige Offenbarung aber; die sich keiner anderen, als moralischer Mittel, zu ihrer Ankündigung nach Behauptung bedient hat, kann von Gott seyn. Dies sind die Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Rücksicht auf ihre äussere Form. Wir gehen zu denen der inneren fort.

Jede Offenbarung soll Religion begründen, und alle Religion gründet sich auf den Begriff Gottes, als moralischen Gesetzgebers. Eine Offenbarung also, die uns ihn als etwas anderes ankündigt, welche uns etwa theoretisch sein Wesen kennen lehren will, oder ihn als politischen Gesetzgeber aufstellt, ist wenigstens das nicht, was wir suchen: sie ist nicht geoffenbarte Religion. Jede Offenbarung also muss uns Gott als moralischen Gesetzgeber ankündigen, und nur von derjenigen, deren Zweck das ist, können wir aus moralischen Gründen glauben, dass sie von Gott sey.

Der Gehorsam gegen die moralische Befehle Gottes kann sich nur auf Verehrung, und Achtung für seine Heiligkeit gründen, weil er nur in diesem Falle rein moralisch ist. Jede Offenbarung also, die uns durch andere Motive, z.B. durch angedrohte Strafen, oder versprochene Belohnungen, zum Gehorsam bewegen will, kann nicht von Gott seyn, denn dergleichen Motive widersprechen der reinen Moralität. – Es ist zwar sicher, und wird weiter unten ausgeführt werden, dass eine Offenbarung die Verheissungen des Moralgesetzes, als Verheissungen Gottes, entweder ausdrücklich enthalten, oder uns auf ihre Aufsuchung in unserem eigenen Herzen hinleiten könne. Aber sie müssen nur als Folgen, und nicht als Motive aufgestellt werden. 1)

 

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1)

Wenn es erwiesen werden könnte, dass ein vernünftiges Fürwahrhalten einer Offenbarung Gottes als politischen Gesetzgebers (etwa als Vorbereitung auf eine moralische Offenbarung) möglich wäre, als mit welcher Möglichkeit des Fürwahrhaltens zugleich die Möglichkeit der ganzen Sache steht und fällt (ein Erweis, der aus dem oben § 5. gesagten als fast unmöglich erscheint); so wäre es klar, dass der Gehorsam gegen dergleichen Gesetze in einer solchen Offenbarung auf Furcht der Strafe, und Hoffnung der Belohnung, nicht nur gegründet werden könnte, sondern müsste, da der Endzweck politischer Gesetze blosse Legalität ist, und diese durch jene Triebfedern am sichersten bewirkt wird.