BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Versuch einer Critik aller Offenbarung

 

1792

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

§ 2.

Theorie des Willens,

als Vorbereitung einer Deduction

der Religion überhaupt.

 

Sich mit dem Bewusstseyn eigener Thätigkeit zur Hervorbringung einer Vorstellung bestimmen, heisst Wollen; das Vermögen, sich mit diesem Bewusstseyn der Selbstthätigkeit zu bestimmen, heisst das Begehrungsvermögen: beides in der weitesten Bedeutung. Das Wollen unterscheidet sich vom Begehrungsvermögen, wie das Wirkliche vom Möglichen. – – Ob das im Wollen vorkommende Bewusstseyn der Selbstthätigkeit uns nicht vielleicht täuschen möge, bleibt vor der Hand ununtersucht und unentschieden.

Die hervorzubringende Vorstellung ist entweder gegeben, insofern nemlich eine Vorstellung gegeben seyn kann, die ihrem Stoffe nach, wie aus der theoretischen Philosophie als ausgemacht und anerkannt vorausgesetzt wird; oder die Selbstthätigkeit bringt sie auch sogar ihrem Stoffe nach hervor, wovon wir die Möglichkeit oder Unmöglichkeit vor der Hand noch ganz an ihren Ort gestellt seyn lassen.

 

 

I.

 

Der Stoff einer Vorstellung kann, wenn er nicht durch absolute Spontaneität hervorgebracht seyn soll, nur der Receptivität, und dieses nur in der Sinnenempfindung gegeben seyn; – denn selbst die a priori gegebenen Formen der Anschauung und der Begriffe müssen, insofern sie den Stoff einer Vorstellung ausmachen sollen, der Empfindung, in diesem Falle der inneren, gegeben werden; – folglich steht jedes Object des Begehrungsvermögens, dem eine Vorstellung entspricht, deren Stoff nicht durch absolute Spontaneität hervorgebracht ist, unter den Bedingungen der Sinnlichkeit, und ist empirisch. In dieser Rücksicht also ist das Begehrungsvermögen gar keiner Bestimmung a priori fähig; was Object desselben werden soll, muss empfunden seyn, und sich empfinden lassen, und jedem Wollen muss die Vorstellung der Materie des Wollens (des Stoffes der hervorzubringenden Vorstellung) vorhergegangen seyn.

Nun aber ist mit dem blossen Vermögen, sich durch die Vorstellung des Stoffes einer Vorstellung zur Hervorbringung dieser Vorstellung selbst – zu bestimmen, noch gar nicht die Bestimmung gesetzt, so wie mit dem Möglichen noch nicht das Wirkliche gesetzt ist. Die Vorstellung nemlich soll nicht bestimmen, in welchem Falle sich das Subject bloss leidend verhielte, – bestimmt würde, nicht aber sich bestimmte, – sondern wir sollen uns durch die Vorstellung bestimmen, welches «durch» sogleich völlig klar seyn wird. Es muss nemlich ein Medium seyn, welches von der einen Seite durch die Vorstellung, gegen welche das Subject sich bloss leidend verhält, von der anderen durch Spontaneität, deren Bewusstseyn der ausschliessende Charakter alles Wollens ist, bestimmbar sey; und dieses Medium nennen wir den Trieb.

Was von der einen Seite das Gemüth in der Sinnenempfindung als bloss leidend afficirt, ist der Stoff oder die Materie derselben; nicht ihre Form, welche ihr vom Gemüthe durch seine Selbstthätigkeit gegeben wird. 1) Der Trieb ist also, insofern er auf eine Sinnenempfindung geht, nur durch das Materielle derselben, durch das in dem Afficirtwerden unmittelbar empfundene, bestimmbar. – Was in der Materie der Sinnenempfindung von der Art ist, dass es den Trieb bestimmt, nennen wir angenehm, und den Trieb, insofern er dadurch bestimmt wird, den sinnlichen Trieb: welche Erklärungen wir vor der Hand für nichts weiter, als für Worterklärungen geben.

Nun theilt die Sinnempfindung überhaupt sich in die des äusseren, und die des inneren Sinnes; davon der erstere die Veränderungen der Erscheinungen im Raume mittelbar, der zweite die Modificationen unseres Gemüthes, insofern es Erscheinung ist, in der Zeit unmittelbar anschaut; und der Trieb kann, insofern er auf Empfindungen der ersteren Art geht, der grobsinnliche, und insofern er durch Empfindungen der zweiten Art bestimmt wird, der feinsinnliche genannt werden: aber in beiden Fällen bezieht er sich doch bloss auf das angenehme, weil, und inwiefern es angenehm ist; ein angemaasster Vorzug des letzteren könnte sich doch auf nichts weiter gründen, als dass seine Objecte mehr Lust, nicht aber eine der Art nach verschiedene Lust gewährten; jemand, der sich vorzugsweise durch ihn bestimmen liesse, könnte höchstens etwa das von sich rühmen, dass er sich besser auf das Vergnügen verstehe, und könnte auch sogar das dem nicht beweisen, der ihn versicherte: er mache aus seinen feineren Vergnügungen einmal nichts, er lobe sich seine gröberen; – da das auf den Sinnengeschmack ankommt, über den sich nicht streiten lässt; und da alle angenehme Affectionen des inneren Sinnes sich doch zuletzt auf angenehme äussere Sensationen dürften zurückführen lassen.

Soll von der anderen Seite dieser Trieb durch Spontaneität bestimmbar seyn, so geschieht diese Bestimmung entweder nach gegebenen Gesetzen, die durch die Spontaneität auf ihn bloss angewendet werden, mithin nicht unmittelbar durch Spontaneität; oder sie geschieht ohne alle Gesetze, mithin unmittelbar durch absolute Spontaneität.

Für den ersteren Fall ist dasjenige Vermögen in uns, das gegebene Gesetze auf gegebenen Stoff anwendet, die Urtheilskraft: folglich müsste die Urtheilskraft es seyn, die den sinnlichen Trieb den Gesetzen des Verstandes gemäss bestimmte. – Dies kann sie nun nicht so thun, wie die Empfindung es thut, dass sie ihm Stoff gebe, denn die Urtheilskraft giebt überhaupt nicht, sondern sie ordnet nur das gegebene Mannigfaltige unter die synthetische Einheit.

Zwar geben alle oberen Gemüthsvermögen durch ihre Geschäfte reichlichen Stoff für den sinnlichen Trieb, aber sie geben ihn nicht dem Triebe; ihm giebt sie die Empfindung. Die Thätigkeit des Verstandes beim Denken, die hohen Aussichten, die uns die Vernunft eröffnet, gegenseitige Mittheilung der Gedanken unter vernünftigen Wesen u. dergl. sind allerdings ergiebige Quellen des Vergnügens; aber wir schöpfen aus diesen Quellen gerade so, wie wir uns vom Kitzel des Gaumens afficiren lassen – durch die Empfindung.

Ferner kann das Mannigfaltige, welches sie für die Bestimmung des sinnlichen Triebes ordnet, nicht das Einer gegebenen Anschauung an sich seyn, wie sie es für den Verstand, um es zum Behuf einer theoretischen Erkenntniss auf Begriffe zu bringen, thun muss; also keine Bestimmung des Stoffes durch Form, weil der sinnliche Trieb bloss durch den Stoff, und gar nicht durch Begriffe bestimmt wird; – eine Anmerkung, die für die Theorie des Begehrungsvermögens sehr wichtig ist, da man durch Vernachlässigung derselben von ihr aus in das Gebiet der ästhetischen Urtheilskraft irregeleitet wird: – sondern mannigfaltige angenehme Empfindungen. Die Urtheilskraft steht während dieses Geschäftes ganz und lediglich im Dienste der Sinnlichkeit; diese liefert Mannigfaltiges, und Maassstab der Vergleichung: der Verstand giebt nichts, als die Regeln des Systems.

Der Qualität nach ist das zu beurtheilende durch die Empfindung unmittelbar gegeben; es ist positiv das angenehme, welches ebenso viel heisst, als das den sinnlichen Trieb bestimmende, und keiner weiteren Zergliederung fähig ist. Das Angenehme ist angenehm, weil es den Trieb bestimmt, und es bestimmt den Trieb, weil es angenehm ist. Warum etwas der Empfindung unmittelbar wohlthue, und wie es beschaffen seyn müsse, wenn es ihr wohlthun solle, untersuchen wollen, hiesse sich geradezu widersprechen; denn dann sollte es ja auf Begriffe zurückgeführt werden, mithin der Empfindung nicht unmittelbar, sondern vermittelst eines Begriffes wohlthun. Negativ, das unangenehme; limitativ, das indifferente für die Empfindung.

Der Quantität nach werden die Objecte des sinnlichen Triebes beurtheilt ihrer Extension und Intension nach; alles nach dem Maassstabe der unmittelbaren Empfindung. – Der Relation nach, wo wieder bloss das angenehme bloss auf das angenehme bezogen wird: 1) in Absicht seines Einflusses auf die Beharrlichkeit des Empfindungsvermögens selbst, wie sie nemlich unmittelbar durch die Empfindung dargestellt wird; 2) in Absicht seines Einflusses auf Entstehung oder Vermehrung anderer angenehmer Sinnenempfindungen – der Causalität des angenehmen aufs angenehme; 3) in Absicht der Bestehbarkeit oder Nichtbestehbarkeit mehrerer angenehmer Empfindungen nebeneinander. – Endlich der Modalität nach wird beurtheilt: 1) die Möglichkeit, ob eine Empfindung angenehm seyn könne, nach Maassgabe vorhergegangener Empfindungen ähnlicher Art; 2) die Wirklichkeit – dass sie angenehm sey; 3) die Nothwendigkeit ihrer Annehmlichkeit, wobei der Trieb Instinct wird.

Durch diese Bestimmung des Mannigfaltigen, das in der Empfindung bloss angenehm ist, nach Verstandesgesetzen, – durch dieses Ordnen desselben entsteht der Begriff des Glücks; der Begriff von einem Zustande des empfindenden Subjectes, in welchem nach Regeln genossen wird: so dass eine angenehme Empfindung einer anderen von grösserer Intension oder Extension, – eine, die dem Empfindungsvermögen schadet, einer anderen, die es stärkt – eine, die in sich isolirt ist, einer anderen, die selbst wieder Ursache angenehmer Empfindungen wird, oder viele andere neben sich duldet, und erhöht – endlich ein bloss möglicher Genuss, Empfindungen, die nothwendig angenehm seyn, müssen, oder die man als wirklich angenehm empfindet, nachgesetzt und aufgeopfert werden. Ein nach diesem Grundrisse verfertigtes System gäbe eine Glückslehre – gleichsam eine Rechenkunst des Sinnengenusses, 2) welche aber keine Gemeingültigkeit haben könnte, da sie bloss empirische Principien hätte. Jeder müsste sein eigenes System haben, da jeder nur selbst beurtheilen kann, was ihm angenehm, oder noch angenehmer sey; nur in der Form kämen diese individuellen Systeme überein, weil diese durch die nothwendigen Verstandesgesetze gegeben ist, nicht aber in der Materie. Den Begriff des Glückes so bestimmt ist es völlig richtig, dass wir nicht wissen können, was das Glück des anderen befördere, ja, worein wir selbst in der nächsten Stunde unser Glück setzen werden.

Wird dieser Begriff des Glückes durch die Vernunft aufs unbedingte und unbegrenzte ausgedehnt, so entsteht die Idee der Glückseligkeit, welche, als gleichfalls lediglich auf empirischen Principien beruhend, nie allgemeingültig bestimmt werden kann. Jeder hat in diesem Sinne seine eigene Glückseligkeitslehre: eine auch nur comparativ allgemeine ist unmöglich, und widersprechend.

Aber mit einer solchen bloss mittelbaren Bestimmbarkeit des sinnlichen Triebes durch Spontaneität reichen wir zur Erklärung der wirklichen Bestimmung noch gar nicht aus; denn schon für die Möglichkeit dieser Bestimmbarkeit mussten wir wenigstens ein Vermögen, die durch die Empfindung geschehene Bestimmung des Triebes wenigstens aufzuhalten, stillschweigend voraussetzen, weil ohne dies eine Vergleichung und Unterordnung des verschiedenen Angenehmen unter Verstandesgesetze, zum Behufe einer Bestimmung des Willens nach den Resultaten dieser Vergleichung, gar nicht möglich wäre. Dieses Aufhalten nemlich kann gar nicht durch die Urtheilskraft selbst nach Verstandesgesetzen geschehen; denn dann müssten Verstandesgesetze auch praktisch seyn können, welches ihrer Natur geradezu widerspricht. Wir müssen demnach den obengesetzten zweiten Fall annehmen: dass dieses Aufhalten unmittelbar durch die Spontaneität geschehe.

Aber nicht nur dieses Aufhalten, sondern auch die endliche wirkliche Bestimmung des Willens kann nicht bloss durch jene Gesetze vollendet werden; denn alles, was wir nach ihnen in unserem Gemüthe zu Stande bringen, geschiehet mit dem Gefühle der Nothwendigkeit, welches dem jedes Wollen charakterisirenden Bewusstseyn der Selbstthätigkeit widerstreitet: sondern sie muss unmittelbar durch Spontaneität geschehen.

Aber man beurtheile das hier gesagte ja nicht zu voreilig, als ob wir es uns hier bequem machten, und aus unserem Bewusstseyn der Selbstthätigkeit im Wollen unmittelbar auf die wirkliche Existenz dieser Selbstthätigkeit schlössen. Allerdings könnte nicht bloss dies Bewusstseyn der Selbstthätigkeit, oder der Freiheit, welches an sich und seiner Natur nach nicht anders als negativ (eine Abwesenheit des Gefühles der Nothwendigkeit) ist, bloss aus dem Nichtbewusstseyn der eigentlichen erst aufhaltenden, dann bestimmenden Ursache entstehen; sondern wenn wir keinen anderweitigen Grund für Freiheit, d. i. Unabhängigkeit vom Zwange des Naturgesetzes fänden, müsste es sogar daher entstehen: dann wäre die Jochsche Philosophie die einzige wahre, und einzige consequente: aber dann gäbe es auch gar keinen Willen, die Erscheinungen desselben wären erweisbare Täuschungen, Denken und Wollen wären nur dem Anscheine nach verschieden, und der Mensch wäre eine Maschine, in der Vorstellungen in Vorstellungen eingriffen, wie in der Uhr Räder in Räder. (Gegen diese durch die bündigsten Schlüsse abzuleitenden Folgerungen ist keine Rettung, als durch Anerkennung einer praktischen Vernunft, und, was eben das sagt, eines kategorischen Imperativs derselben.) – Wir haben also bisjetzt nichts weiter gethan, als den vorausgesetzten Begriff eines Willens, insofern er durch das untere Begehrungsvermögen bestimmt seyn soll, analysirt; wir haben gezeigt, wenn ein Wille sey, wie seine Bestimmung durch den sinnlichen Trieb möglich sey; dass aber ein Wille sey, haben wir bisjetzt weder erweisen gewollt, noch gekonnt, noch zu erweisen vorgegeben. Ein solcher Erweis dürfte vielleicht aus Untersuchung des oben angenommenen zweiten Falles, – dass nemlich die durch die Handlung des Willens hervorzubringende Vorstellung selbst ihrem Stoße nach, nicht durch Empfindung, sondern durch absolute Spontaneität, d. i. durch Spontaneität mit Bewusstseyn hervorgebracht sey, – sich ergeben.

 

 

II.

 

Alles, was blosser Stoff ist, und nichts anderes seyn kann, wird durch die Empfindung gegeben; die Spontaneität bringt nur Formen hervor: die angenommene Vorstellung müsste demnach eine Vorstellung von so etwas seyn, das an sich Form, und nur als Object einer Vorstellung von ihr, relativ (in Beziehung auf diese Vorstellung) Stoff wäre; so wie z.B. Raum und Zeit, – an sich Formen der Anschauung – von einer Vorstellung von Raum oder Zeit der Stoff sind.

Formen kündigen sich dem Bewusstseyn nur in ihrer Anwendung auf Objecte an. Nun werden die in der reinen Vernunft ursprünglich liegenden Formen der Anschauung, der Begriffe und der Ideen auf ihre Objecte mit dem Gefühle der Nothwendigkeit angewendet; sie kündigen sich demnach dem Bewusstseyn mit Zwang, und nicht mit Freiheit an, und heissen daher auch gegeben, nicht hervorgebracht.

Soll nun jene gesuchte Form sich dem Bewusstseyn als durch absolute Spontaneität hervorgebracht (nicht als mit Zwang gegeben) ankündigen, so muss sie es in Anwendung auf ein durch absolute Spontaneität bestimmbares Object thun. Nun ist das einzige, was unserem Selbstbewusstseyn als ein solches gegeben ist, – das Begehrungsvermögen; mithin muss jene Form, objectiv betrachtet, Form des Begehrungsvermögens seyn. Wird diese Form Stoff einer Vorstellung, so ist dieser Vorstellung Stoff durch absolute Spontaneität hervorgebracht; wir haben eine Vorstellung wie wir sie suchten – welches aber die einzige in ihrer Art seyn muss, weil die Bedingungen ihrer Möglichkeit einzig auf das Begehrungsvermögen passen – und die aufgegebene Frage ist gelöst. Dass nun wirklich eine solche ursprüngliche Form des Begehrungsvermögens, und ein ursprüngliches Begehrungsvermögen selbst vermittelst dieser Form sich in unserem Gemüthe dem Bewusstseyn ankündige, ist Thatsache dieses Bewusstseyns; und über dieses letzte, einzig allgemeingeltende Princip aller Philosophie hinaus findet keine Philosophie mehr statt. Durch diese Thatsache nun wird es erst gesichert, dass der Mensch einen Willen habe.

In diesem Zusammenhange wird denn auch, welches wir hier bloss im Vorbeigehen erinnern, völlig klar, wie Vorstellungen, nemlich jene einzige, deren Stoff nicht durch Sinnenempfindung gegeben, sondern durch absolute Spontaneität hervorgebracht ist, und die von ihr abgeleiteten, möglich sind, welche über alle Erfahrung in der Sinnenwelt hinausgehen; – wie der Stoff dieser Vorstellungen, der reingeistig ist, um ins Bewusstseyn aufgenommen werden zu können, durch die uns für Gegenstände der Sinnenwelt gegebenen Formen müsse bestimmt werden; welche Bestimmungen aber, da sie nicht durch die Bedingungen des Dinges an sich, sondern durch die Bedingungen unseres Selbstbewusstseyns nothwendig gemacht wurden, nicht für objectiv, sondern nur für subjectiv – doch aber, da sie sich auf die Gesetze des reinen Selbstbewusstseyns gründen, für allgemeingültig für jeden discursiven Verstand angenommen, aber nicht weiter ausgedehnt werden müssen, als ihre Aufnehmbarkeit ins reine Selbstbewusstseyn es erfordert, weil sie im letzteren Falle ihre Allgemeingültigkeit verlieren würden; endlich, dass dieser Uebergang in das Reich des Uebersinnlichen für endliche Wesen der einzig mögliche sey.

Insofern nun – um den Faden unserer Betrachtung da wieder aufzunehmen, wo wir ihn fallen liessen – insofern dem Begehrungsvermögen ursprünglich seine Form bestimmt ist, wird es nicht erst durch ein gegebenes Object bestimmt, sondern es giebt sich durch diese Form sein Object selbst: d.h. wird diese Form Object einer Vorstellung, so ist diese Vorstellung Object des Begehrungsvermögens zu nennen. Diese Vorstellung nun ist die Idee des schlechthin rechten. Auf den Willen bezogen treibt dieses Vermögen, – zu wollen, schlechthin weil man will. Dieses wunderbare Vermögen in uns nun nennt man das obere Begehrungsvermögen, und sein charakteristischer Unterschied von dem niederen Begehrungsvermögen ist der, dass dem ersteren kein Object gegeben wird, sondern dass es sich selbst eins giebt, dem letzteren aber sein Object gegeben werden muss. Das erstere ist absolut selbstthätig, das letztere in vieler Rücksicht bloss leidend.

Dass aber dieses obere Begehrungsvermögen, welches auch bloss ein Vermögen ist, – ein Wollen, als wirkliche Handlung des Gemüths, mithin eine empirische Bestimmung, hervorbringe, dazu wird noch etwas mehr erfordert. Nemlich jedes Wollen als Handlung des Gemüths betrachtet, geschieht mit dem Bewusstseyn der Selbstthätigkeit. Nun kann dasjenige, worauf die Selbstthätigkeit in dieser Handlung wirkt, nicht selbst wieder Selbstthätigkeit seyn, wenigstens in dieser Function nicht sondern es ist, insofern die Spontaneität auf dasselbe wirkt, bloss leidend, mithin eine Affection. Die dem oberen Begehrungsvermögen a priori beiwohnende nothwendige Willensform aber kann nie durch eine im empirischen Selbstbewusstseyn gegebene Spontaneität afficirt werden, welches ihrer Ursprünglichkeit und ihrer Nothwendigkeit schlechthin widersprechen würde. Soll nur die Bestimmbarkeit des Willens in endlichen Wesen durch jene nothwendige Form nicht ganz aufgegeben werden, so muss sich ein Medium aufzeigen lassen, das von der einen Seite durch die absolute Spontaneität jener Form hervorgebracht, von der anderen durch die Spontaneität im empirischen Selbstbewusstseyn bestimmbar sey. 3) Insofern es das letztere ist, muss es leidend bestimmbar, mithin eine Affection des Empfindungsvermögens seyn. Insofern es aber, der ersteren Bedingung gemäss, durch absolute Spontaneität hervorgebracht sein soll, kann es nicht eine Affection der Receptivität durch gegebene Materie – mithin, da sich ausser dieser keine positive Affection des Empfindungsvermögens denken lässt, überhaupt keine positive, sondern nur eine negative Affection – eine Niederdrückung, eine Einschränkung desselben seyn. Nun aber ist das Empfindungsvermögen, insofern es blosse Receptivität ist, weder positiv noch negativ durch die Spontaneität, sondern bloss durchs Gegebenwerden eines Materiellen afficirbar; folglich kann die postulirte negative Bestimmung überhaupt nicht die Receptivität betreffen (etwa eine Verstopfung oder Verengerung der Sinnlichkeit an sich seyn); sondern sie muss sich auf die Sinnlichkeit beziehen, insofern sie durch Spontaneität bestimmbar ist (s. oben), sich auf den Willen bezieht, und sinnlicher Trieb heisst.

Insofern nun diese Bestimmung auf die absolute Spontaneität zurückbezogen wird, ist sie bloss negativ – eine Unterdrückung der willensbestimmenden Anmaassung des Triebes; – insofern sie auf die Empfindung dieser geschehenen Unterdrückung bezogen wird, ist sie positiv, und heisst das Gefühl der Achtung. Dieses Gefühl ist gleichsam der Punct, in welchem die vernünftige und die sinnliche Natur endlicher Wesen innig zusammenfliessen.

Um das höchstmöglichste Licht über unseren weiteren Weg zu verbreiten, wollen wir hier noch über dieses wichtige Gefühl, den Momenten des Urtheilens nach, reflectiren. – Es ist nemlich, wie eben jetzt erörtert worden, der Qualität nach eine positive Affection des inneren Sinnes, die aus der Vernichtung des sinnlichen Triebes, als alleinigen Bestimmungstriebes des Willens, mithin aus Einschränkung desselben entsteht. Die Quantität desselben ist bedingt – bestimmbar, der Grade der Intension und Extension fähig, in Beziehung der Willensformen empirisch-bestimmbares Wesen auf das Gesetz – unbedingt, und völlig bestimmt, keiner Grade der Intension oder Extension fähig, Achtung schlechthin, gegen de einfache Idee des Gesetzes; – unbedingt, und unbestimmbar, unendlich, gegen das Ideal, in welchem Gesetz und Willensform Eins ist. Der Relation nach bezieht sich dieses Gefühl auf das Ich, als Substanz, entweder im reinen Selbstbewusstseyn, und wird dann Achtung unserer höheren geistigen Natur, die sich ästhetisch im Gefühle des Erhabenen äussert; oder im empirischen, in Absicht der Congruenz unserer besonderen Willensformen mit dem Gesetze – Selbstzufriedenheit, – Scham vor-sich selbst: – oder auf das Gesetz, als Grund unserer Verbindlichkeit – die Achtung schlechthin, das Gefühl des nothwendigen Primats des Gesetzes, und unserer nothwendigen Subordination unter dasselbe – oder, auf das Gesetz als Substanz gedacht, – – unser Ideal. Endlich der Modalität nach ist Achtung möglich gegen empirisch bestimmbare vernünftige Wesen; wirklich gegen das Gesetz, und nothwendig gegen das alleinheilige Wesen.

So etwas nun, wie Achtung ist, welches wir hier bloss zur Erläuterung hinzusetzen, ist zwar in allen endlichen Wesen anzunehmen, in denen die nothwendige Form des Begehrungsvermögens noch nicht nothwendig Willensform ist; aber in einem Wesen, in welchem Vermögen und Handlung, Denken und Wollen Eins ist, lässt sich Achtung gegen das Gesetz gar nicht denken.

Insofern nun dieses Gefühl der Achtung den Willen, als empirisches Vermögen, bestimmt; und wieder im Wollen durch Selbstthätigkeit bestimmbar ist, als zu welchem Behufe wir ein solches Gefühl in uns aufsuchen mussten, heisst es Trieb. – Trieb aber eines wirklichen Wollens kann es, da kein Wollen ohne Selbstbewusstseyn (der Freiheit) möglich ist, nur durch Beziehung auf das Ich, folglich nur in der Form der Selbstachtung seyn: – Dass diese Selbstachtung nun entweder rein, schlechthin Achtung der Würde der Menschheit in uns, oder empirisch, Zufriedenheit über die wirkliche Behauptung derselben, sey, haben wir eben gesagt. Es scheint in der Betrachtung allerdings weit edler und erhabener, sich durch die reine Selbstachtung, – durch den einfachen Gedanken, ich muss so handeln, wenn ich ein Mensch seyn will, als durch die empirische, – durch den Gedanken, wenn ich so handle, werde ich als Mensch mit mir zufrieden seyn können, bestimmen zu lassen: aber in der Ausübung fliessen beide Gedanken so innig ineinander, dass es selbst dem aufmerksamsten Beobachter schwer werden muss, den Antheil, den der eine oder der andere an seiner Willensbestimmung hatte, genau voneinander zu scheiden. – Aus dem gesagten erhellet, dass es eine völlig richtige Maxime der Sittlichkeit sey: respectire dich selbst; und erklärt sich, warum nicht unedle Gemüther vor sich selbst weit mehr Furcht und Scheu empfinden, als vor der Macht der gesammten Natur, – und den Beifall ihres eigenen Herzens weit höher achten, als die Lobpreisungen einer ganzen Welt.

Insofern nun diese Selbstachtung als activer, den Willen zwar nicht nothwendig zum wirklichen Wollen, aber doch thätig zur Neigung bestimmender Trieb betrachtet wird, heisst sie sittliche Interesse; welches entweder rein ist, – Interesse für die Würde der Menschheit an sich, oder empirisch – Interesse für die Würde der Menschheit in unserem empirisch bestimmbaren Selbst. Interesse aber muss nothwendig von einem Gefühle der Lust begleitet seyn, und ein wirklich behauptetes Interesse empirisch ein Gefühl der Lust hervorbringen, daher auch die empirische Selbstachtung sich als Selbstzufriedenheit äussert. Dieses Interesse bezieht sich allerdings auf das Selbst, aber nicht auf die Liebe, sondern auf die Achtung dieses Selbst, welches Gefühl seinem Ursprunge nach rein sittlich ist. Will man den sinnlichen Trieb den eigennützigen, und den sittlichen den uneigennützigen nennen, so kann man zur Erläuterung das wohl thun; aber mir wenigstens scheint diese Benennung da, wo es um scharfe Bestimmung zu thun ist, unbequem, da auch der sittliche Trieb, um ein wirkliches Wollen zu bewirken, sich auf das Selbst beziehen muss; und empirische Merkmale da, wo man die oben erörterten transscendentalen hat, überflüssig. – Dass aber die ursprüngliche nothwendige Bestimmung des Begehrungsvermögens ein Interesse, und zwar ein alles Sinnliche unterjochendes Interesse hervorbringt, entsteht aus der kategorisch-gesetzlichen Form desselben, und ist nur unter dieser Voraussetzung zu erklären. 4) Man erlaube mir hierbei einen Augenblick stehenzubleiben.

Achtung ist das zunächst, und wohl in jedem Menschen sich äussernde wunderbare Gefühl, das aus der ganzen sinnlichen Natur desselben sich nicht erklären lässt, und auf seinen Zusammenhang mit einer höheren Welt unmittelbar hindeutet. Das wunderbarste dabei ist dies, dass dieses Gefühl, das an sich doch niederbeugend für unsere Sinnlichkeit ist, von einem unnennbaren, der Art nach von jeder Sinnenlust gänzlich verschiedenen, dem Grade nach sie unendlich übertreffenden Vergnügen begleitet wird. Wer, der dieses Vergnügen nur einmal innig empfand, möchte nur z.B, das Hinstaunen in den tobenden Sturz des Rheinfalls, oder das Aufblicken an den jeden Augenblick das Herabsinken zu drohen scheinenden ewigen Eismassen, unter dem erhebenden Gefühle: ich trotze eurer Macht 5) – oder sein Selbstgefühl bei der freien und wohl überlegten Unterwerfung auch nur unter die Idee des allgemeinen nothwendigen Naturgesetzes, dieses Naturgesetz unterjoche nun seine Neigung oder seine Meinung – oder endlich sein Selbstgefühl bei der freien Aufopferung seines Theuersten für die Pflicht, gegen irgend einen sinnlichen Genuss vertauschen? Dass der sinnliche Trieb von einer, und der reinsittliche Trieb von der anderen Seite im menschlichen Willen sich die Wage halten, liesse sich wohl daraus erklären, weil sie beide in einem und ebendemselben Subjecte erscheinen; dass aber der erstere dem letzteren sich so wenig gleichsetzt, dass er vielmehr bei der blossen Idee eines Gesetzes sich niederbeugt, und ein weit innigeres Vergnügen aus seiner Nichtbefriedigung, als aus seiner Befriedigung gewährt – dieses, oder mit einem Worte, das Kategorische, schlechthin unbedingte und unbedingbare des Gesetzes deutet auf unseren höheren Ursprung, und auf unsere geistige Abkunft – ist ein göttlicher Funke in uns, und ein Unterpfand, dass Wir Seines Geschlechts sind: und hier geht denn die Betrachtung in Bewunderung und Erstaunen über. An diesem Puncte stehend verzeiht man der kühnsten Phantasie ihren Schwung, und wird mit der liebenswürdigen Quelle aller Schwärmereien der Pythagoräer und Platoniker, wenn auch nicht mit ihren Ausflüssen völlig ausgesöhnt.

Und hierdurch wäre denn auch die Dunkelheit gehoben, welche noch immer, besonders guten Seelen, die sich des dringendsten Interesse fürs schlechthin Rechte bewusst waren, das Verstehen des hartscheinenden Ausspruchs der Kritik, dass das Gute gar nicht auf unsere Glückseligkeit bezogen werden müsste, erschwerte. Sie haben ganz recht, wenn sie auf ihrem Selbstgefühle bestehen, dass sie zu wirklich guten Entschliessungen doch nur durch das Interesse bestimmt werden; nur müssen sie den Ursprung dieses Interesse, wenn ihre Entschliessung rein sittlich war, nicht im Sinnengefühle, sondern in der Gesetzgebung der reinen Vernunft aufsuchen. Der nächste, nicht nothwendig bestimmende, aber doch eine Neigung verursachende Bestimmungsgrund ihres Willens ist freilich das Vergnügen des inneren Sinnes aus Anschauung des Rechten; dass aber eine solche Anschauung ihnen Vergnügen macht, davon liegt der Grund gar nicht in einer etwanigen Affection der inneren Receptivität durch den Stoff jener Idee, welches schlechthin unmöglich ist; sondern in der a priori vorhandenen nothwendigen Bestimmung des Begehrungsvermögens, als oberen Vermögens. – Wenn ich also jemanden fragte: würdest du, selbst wenn du keine Unsterblichkeit der Seele glaubtest, lieber unter tausend Martern dein Leben aufopfern, als unrecht thun; und er mir antwortete: auch unter dieser Bedingung würde ich lieber sterben, und das um mein selbst willen, weil ein unter unsäglichen Martern mich vernichtender Tod mir weit erträglicher ist, als ein, in dem Gefühle der Unwürdigkeit zu leben, unter Scham und Selbstverachtung hinzubringendes Leben – so würde er darin, insofern er von dem empirischen Bestimmungstriebe seiner Entschliessung redete, völlig recht haben. Dass er aber in diesem Falle sich selbst würde verachten müssen – dass die Aussicht auf eine solche Selbstverachtung ihm so drückend wäre, dass er lieber sein Leben aufopfern, als ihr sich unterwerfen wollte, davon würde er den Grund vergebens wieder in der Sinnenempfindung aufsuchen, aus welcher er so etwas, wie Achten oder Verachten, mit aller Mühe nicht würde herauskünsteln können.

Selbst dieses Interesse aber bewirkt noch nicht nothwendig ein wirkliches Wollen; dazu wird in unserem Bewusstseyn noch eine Handlung der Spontaneität erfordert, wodurch das Wollen, als wirkliche Handlung unseres Gemüthes, erst vollendet wird. Die in dieser Function des Wählens dem Bewusstseyn empirisch gegebene Freiheit der Willkür (libertas arbitrii), die auch bei einer Bestimmung des Willens durch die sinnliche Neigung vorkommt, und nicht bloss in dem Vermögen zwischen der Bestimmung nach dem sittlichen, oder nach dem sinnlichen Triebe, sondern auch zwischen mehreren sich widerstreitenden Bestimmungen durch den letzteren – zum Behuf einer Beurtheilung derselben – zu wählen besteht, ist wohl zu unterscheiden von der absolut ersten Aeusserung der Freiheit durch das praktische Vernunftgesetz; wo Freiheit gar nicht etwa Willkür heisst, indem das Gesetz uns keine Wahl lässt, sondern mit Nothwendigkeit gebietet, sondern nur negativ gänzliche Befreiung vom Zwange der Naturnothwendigkeit bedeutet, so dass das Sittengesetz auf gar keinen in der theoretischen Naturphilosophie liegenden Gründen, als seinen Prämissen, beruhe, und ein Vermögen im Menschen voraussetze, sich unabhängig von der Naturnothwendigkeit zu bestimmen. Ohne diese absolut erste Aeusserung der Freiheit wäre die zweite bloss empirische nicht zu retten, sie wäre ein blosser Schein, und das erste ernsthafte Nachdenken vernichtete den schönen Traum, in dem wir uns einen Augenblick von der Kette der Naturnothwendigkeit losgefesselt wähnten. – Wo ich nicht irre, so ist die Verwechselung dieser zwei sehr verschiedenen Aeusserungen der Freiheit eine der Hauptursachen, warum man sich die moralische (nicht etwa physische) Nothwendigkeit, womit ein Gesetz der Freiheit gebieten soll, so schwer denken konnte. Denkt man nemlich in den Begriff der Freiheit das Merkmal der Willkür hinein (ein Gedanke, dessen noch immer viele sich nicht erwehren können), so lässt damit sich freilich auch die moralische Nothwendigkeit nicht vereinigen. Aber davon ist bei der ersten ursprünglichen Aeusserung der Freiheit, durch welche allein sie sich überhaupt bewährt, gar nicht die Rede. Die Vernunft giebt sich selbst, unabhängig von irgend etwas ausser ihr, durch absolut eigene Spontaneität, ein Gesetz; das ist der einzig richtige Begriff der transscendentalen Freiheit: dieses Gesetz nun gebietet, eben weil es Gesetz ist, nothwendig und unbedingt, und da findet keine Willkür, kein Auswählen zwischen verschiedenen Bestimmungen durch dieses Gesetz statt, weil es nur auf eine Art bestimmt. – Folgendes noch zur Erläuterung. Diese transscendentale Freiheit, als ausschliessender Charakter der Vernunft, insofern sie praktisch ist, ist jedem moralischen Wesen, folglich auch dem Unendlichen beizulegen. Insofern aber diese Freiheit auf empirische Bedingungen endlicher Wesen sich bezieht, gelten ihre Aeusserungen in diesem Falle nur unter diesen Bedingungen; folglich ist eine Freiheit der Willkür, da sie auf der Bestimmbarkeit eines Wesens noch durch andere als das praktische Vernunftgesetz beruht, in Gott, der bloss durch dieses Gesetz bestimmt wird, ebensowenig, als Achtung fürs Gesetz, oder Interesse am Schlechthinrechten anzunehmen; und die Philosophen, welche in diesem Sinne des Worts die Freiheit, als durch die Schranken der Endlichkeit bedingt, Gott absprachen, hatten daran vollkommen recht.

Damit nun diese Zergliederung, die neben der Hauptabsicht, unbemerkte Schwierigkeiten einer Offenbarungskritik zu heben, noch die Nebenabsicht hatte, einige Dunkelheiten in der kritischen Philosophie überhaupt aufzuklären, und den bisherigen Nichtkennern oder Gegnern derselben eine neue Thür zu eröffnen, um in sie einzudringen, nicht von kritischen Philosophen selbst misverstanden, und so gedeutet werde, als sey dadurch die Tugend abermals zur Magd der Lust herabgewürdigt, so machen wir unsere Gedanken durch folgende Tabelle noch deutlicher:

Wollen, die Bestimmung durch Selbstthätigkeit zur Hervorbringung einer Vorstellung, als Handlung des Gemüths betrachtet,

ist

A.

rein,

wenn Vorstellung sowohl als Bestimmung durch absolute Selbstthätigkeit hervorgebracht ist. – Dieses ist nur in einem Wesen möglich, das bloss thätig und nie leidend ist, in Gott

B.

nicht rein,

a. wenn zwar die Bestimmung, aber nicht die Vorstellung durch Selbstthätigkeit hervorgebracht wird. – Bei der Bestimmung durch den sinnlichen Trieb in endlichen Wesen.

b. wenn zwar die Vorstellung, aber nicht die Bestimmung durch Selbstthätigkeit hervorgebracht wird. – Nun aber soll schon vermöge des Begriffs des Wollens die Bestimmung allemal durch Selbstthätigkeit hervorgebracht werden; folglich ist dieser Fall nur unter der Bedingung denkbar, dass zwar die eigentliche Bestimmung als Handlung durch Spontaneität geschehe, der bestimmende Trieb aber eine Affection sey. – Sittliche Bestimmung des Willens in endlichen Wesen vermöge des Triebes der Selbstachtung, als eines sittlichen Interesse.

Reines Wollen ist demnach in endlichen Wesen nicht möglich, weil das Wollen nicht Geschäft des reinen Geistes, sondern des empirisch bestimmbaren Wesens ist; aber wohl ein reines Begehrugsvermögen, als Vermögen, welches nicht dem empirisch bestimmbaren Wesen, sondern dem reinen Geiste beiwohnt, und allein durch sein Daseyn unsere geistige Natur offenbart – Anders hat sich denn auch, sowie ich wenigstens es verstanden habe, die reine Vernunft durch ihren bevollmächtigten Interpreten unter uns nicht erklärt, wie aus einer Vergleichung dieser Darstellung mit der in der Kritik der praktischen Vernunft sich ergeben dürfte 6).

 

 

III.

 

Die Affection des Glückseligkeitstriebes durch das Sittengesetz zur Erregung der Achtung ist, in Beziehung auf ihn als Glückseligkeitstrieb, bloss negativ: auch die Selbstachtung wirkt so wenig Glückseligkeit, wenn Glückseligkeit, wie es geschehen muss, bloss in das angenehme gesetzt wird, dass sie vielmehr steigt, so wie jene fällt, und dass man sich nur um so mehr achten kann, je mehr von seiner Glückseligkeit man der Pflicht aufgeopfert hat. Dennoch ist zu erwarten, dass das Sittengesetz den Glückseligkeitstrieb, selbst als Glückseligkeitstrieb, wenigstens mittelbar auch positiv afficiren werde, um Einheit in den ganzen, rein- und empirisch-bestimmbaren Menschen zu bringen; und da dieses Gesetz ein Primat in uns verlangt, so ist es sogar zu fordern 7).

Nemlich der Glückseligkeitstrieb wird vors erste durch das Sittengesetz nach Regeln eingeschränkt; ich darf nicht alles wollen, wozu dieser Trieb mich bestimmen könnte. Durch diese vors erste bloss negative Gesetzmässigkeit nun kommt der Trieb, der vorher gesetzlos und blind vom Ohngefähr oder der blinden Naturnothwendigkeit abhing, überhaupt unter ein Gesetz, und wird auch da, wo das Gesetz nicht redet, wenn dieses Gesetz nur für ihn alleingültig ist, eben durch das Stillschweigen des Gesetzes, positiv gesetzmässig (gesetzlich noch nicht). Darf ich nicht wollen, was das Sittengesetz verbietet, so darf ich alles wollen, was es nicht verbietet – nicht aber, ich soll es wollen, denn das Gesetz schweigt ganz; sondern das hängt ganz von meiner freien Willkür ab. – Dieses Dürfen ist einer der Begriffe, die ihren Ursprung an der Stirn tragen. Er ist nemlich offenbar durch das Sittengesetz bedingt; – die Naturphilosophie weiss nur von können, oder nichtkönnen, aber von keinem dürfen:- aber er ist durch dasselbe nur negativ bedingt, und überlässt die positive Bestimmung lediglich der Neigung.

Was man, wegen des Stillschweigens des Gesetzes, darf, heisst, insofern es auf das Gesetz bezogen wird, negativ nicht unrecht; und insofern es auf die dadurch entstehende Gesetzmässigkeit des Triebes bezogen wird, positiv ein Recht. Zu allem, was nicht unrecht ist, habe ich ein Recht 8).

Insofern das Gesetz durch sein Stillschweigen dem Triebe ein Recht giebt, ist dieser bloss gesetzmässig; der Genuss wird durch dieses Stillschweigen bloss (moralisch) möglich. Dies leitet uns auf eine Modalität der Berechtigung des Triebes, und es lässt sich erwarten, dass der Trieb durch das praktische Gesetz mittelbar auch gesetzlich – dass ein Genuss durch dasselbe auch wirklich werden könne. Dieser letztere Ausdruck kann nun nicht soviel heissen, als ob die Sinnlichkeit durch einen ihr vom Sittengesetze gegebenen Stoff in der Receptivität positiv angenehm afficirt werden solle, wovon die Unmöglichkeit schon oben zur Genüge dargethan worden; – der Genuss soll nemlich nicht physisch-, sondern moralisch-wirklich gemacht werden, welcher ungewöhnliche Ausdruck sogleich seine völlige Klarheit erhalten wird. Eine solche moralische Wirklichmachung des Genusses müsste sich noch immer auf jene negative Bestimmung des Triebes durchs Gesetz gründen, Durch diese nun erhielt der Trieb vors erste ein Recht. Nun aber können Fälle eintreten, wo das Gesetz seine Berechtigung zurücknimmt. So ist ohne Zweifel jeder berechtigt zu leben; dennoch aber kann es Pflicht werden, sein Leben aufzuopfern. Dieses Zurücknehmen der Berechtigung wäre ein förmlicher Widerspruch des Gesetzes mit sich selbst. Nun kann das Gesetz sich nicht widersprechen, ohne seinen gesetzlichen Charakter zu verlieren, aufzuhören, ein Gesetz zu seyn, und gänzlich aufgegeben werden zu müssen. – Dieses würde uns nun vors erste darauf führen, dass alle Objecte des sinnlichen Triebes, laut der Anforderung des Sittengesetzes sich nicht selbst zu widersprechen, nur Erscheinungen, nicht Dinge an sich, seyn könnten; dass mithin ein solcher Widerspruch in den Objecten, insofern sie Erscheinungen sind, gegründet, mithin nur scheinbar sey. Jener Satz ist also ebenso gewiss ein Postulat der praktischen Vernunft, als er ein Theorem der theoretischen ist. Es gäbe demnach an sich gar keinen Tod, kein Leiden, keine Aufopferung für die Pflicht, sondern der Schein dieser Dinge gründete sich bloss auf das, was die Dinge zu Erscheinungen macht.

Aber, da unser sinnlicher Trieb doch einmal auf Erscheinungen geht; da das Gesetz ihn als solchen, mithin insofern er darauf geht, berechtigt, so kann es auch diese Berechtigung nicht zurücknehmen; es muss mithin, vermöge seines geforderten Primats, auch über die Welt der Erscheinungen gebieten. Nun kann es das nicht unmittelbar, da es sich positiv nur an das Ding an sich, an unser oberes, reingeistiges Begehrungsvermögen wendet; es muss also mittelbar, mithin durch den sinnlichen Trieb geschehen, auf den es negativ allerdings wirkt. Daraus nun entsteht eine von der negativen Bestimmung des Triebes durch das Gesetz abgeleitete positive Gesetzlichkeit desselben. – Wer z.B. für die Pflicht stirbt, dem nimmt das Sittengesetz ein vorher zugestandenes Recht; das kann aber das Gesetz nicht thun, ohne sich zu widersprechen; folglich ist ihm dieses Recht nur insofern er Erscheinung ist (hier – in der Zeit) genommen: sein durch das Gesetz berechtigter Lebenstrieb fordert es als Erscheinung, mithin in der Zeit, zurück, und wird durch dieses rechtliche Zurückfordern gesetzlich für die Welt der Erscheinungen. Wer im Gegentheile auf Anforderung des Gesetzes an ihn sein Leben nicht aufgeopfert hat, ist des Lebens unwürdig, und muss es, wenn das Sittengesetz auch für die Welt der Erscheinungen gelten soll, der Causalität dieses Gesetzes gemäss, als Erscheinung verlieren 9).

Aus dieser Gesetzlichkeit des Triebes entsteht der Begriff der Glückswürdigkeit, als das zweite Moment der Modalität der Berechtigung – Würdig ist ein Begriff, der sich offenbar auf Sittlichkeit bezieht, und der aus keiner Naturphilosophie zu schöpfen ist; ferner sagt würdig offenbar mehr, als ein Recht, – wir gestehen manchem ein Recht zu einem Genusse zu, den wir doch desselben sehr unwürdig halten, niemanden aber werden wir umgekehrt eines Glücks würdig achten, auf welches er ursprünglich (nicht etwa hypothetisch) kein Recht hat; endlich entdeckt man auch im Gebrauche den negativen Ursprung dieses Begriffs, denn in der Beurtheilung, ob jemand eines Genusses würdig sey, sind wir genöthigt, den wirklichen Genuss wegzudenken. – – Es ist eine der äusseren Anzeigen der Wahrheit der kritischen Moralphilosophie, dass man keinen Schritt in ihr thun kann, ohne auf einen in der allgemeinen Menschenempfindung tief eingeprägten Grundsatz zu stossen, der sich nur aus ihr, und aus ihr leicht und fasslich erklärt. So ist hier die Billigung und das Verlangen der Wiedervergeltung (jus talionis) allgemeine Menschenempfindung. Wir gönnen es jedem, dass es ihm ebenso gehe, wie ers anderen gemacht hat, und dass ihm gerade so geschehe, wie er gehandelt hat. Wir betrachten demnach, selbst in der gemeinsten Beurtheilung, die Erscheinungen seines sinnlichen Triebes, als gesetzlich für die Welt der Erscheinungen; wir nehmen an, seine Handlungsarten sollen, in Rücksicht auf ihn, als allgemeines Gesetz gelten.

Diese Gesetzlichkeit des Triebes fordert nun die völlige Congruenz der Schicksale eines vernünftigen Wesens mit seinem sittlichen Verhalten, als erstes Postulat der an sinnliche Wesen sich wendenden praktischen Vernunft: in welchem verlangt wird, dass stets diejenige Erscheinung erfolge, welche, wenn der Trieb legitim durch das Sittengesetz bestimmt, und für die Welt der Erscheinungen gesetzgebend gewesen wäre, hätte erfolgen müssen. – Und hier sind wir denn zugleich unvermerkt über eine, von keinem Gegner der kritischen Philosophie, soviel ich weiss, bemerkte, aber darum nicht minder sie drückende Schwierigkeit hinweggekommen: wie es nemlich möglich sey, das Sittengesetz, welches an sich nur auf die Willensform moralischer Wesen, als solches anwendbar ist, auf Erscheinungen in der Sinnenwelt zu beziehen; welches doch, zum Behuf einer postulirten Congruenz der Schicksale moralischer Wesen mit ihrem Verhalten, und der übrigen daraus zu deducirenden Vernunftpostulate, nothwendig geschehen musste. Diese Anwendbarkeit nemlich erhellet bloss aus der, von der negativen Bestimmung des Glückseligkeitstriebes abgeleiteten, Gesetzlichkeit desselben für die Welt der Erscheinungen.

Werden endlich im dritten Momente der Modalität Recht und Würdigkeit in Verbindung gedacht, in welcher Verbindung das Recht seinen positiven Charakter, als Gesetzmässigkeit der sinnlichen Neigung 10), und die Würdigkeit ihren negativen, als durch Aufhebung eines Rechts durch ein Gebot entstanden, verliert; so entsteht ein Begriff, der positiv für uns überschwänglich ist, weil alle Schranken aus ihm hinweggedacht werden, negativ aber ein Zustand ist, in dem das Sittengesetz keine sinnliche Neigung einzuschränken hat, weil keine da ist – unendliche Glückseligkeit mit unendlichem Rechte, und Würdigkeit 11) – Seligkeit – eine unbestimmbare Idee, die aber dennoch durch das Sittengesetz uns als das letzte Ziel aufgestellt wird, und an die wir uns, da die Neigungen in uns immer übereinstimmender mit dem Sittengesetze werden, folglich unsere Rechte sich immer mehr ausbreiten sollen, stets annähern; aber sie, ohne Vernichtung der Schranken der Endlichkeit, nie erreichen können. Und so wäre denn der Begriff des ganzen höchsten Guts, oder der Seligkeit, aus der Gesetzgebung der praktischen Vernunft, deducirbar: der erste Theil desselben, die Heiligkeit, rein; aus der positiven Bestimmung des oberen Begehrungsvermögens durch dieses Gesetz, welches in der Kritik der praktischen Vernunft so einleuchtend geschehen ist, dass hier keine Wiederholung nöthig war: der zweite Theil, die Seligkeit (im engeren Sinne), nicht rein; aus der negativen Bestimmung des niederen Begehrungsvermögens durch dieses Gesetz. Dass wir aber, um den zweiten Theil zu deduciren, von empirischen Prämissen ausgehen mussten, darf uns nicht irren; da theils zwar das zu bestimmende empirisch, das bestimmende aber rein geistig war; theils in der aus diesen Bestimmungen deducirten Vernunftidee der Seligkeit alles empirische weggedacht und diese Idee rein geistig aufgefasst werden sollte, welches für sinnliche Wesen freilich nicht möglich ist.

 

__________

 

1)

Diese Form der empirischen Anschauung, insofern sie empirisch ist, ist der Gegenstand des Gefühls des Schönen. Richtig verstanden, entdeckt dies einen leichteren Weg zum Eindringen in das Feld der ästhetischen Urtheilskraft. 

2)

Ehemals auch – Sittenlehre genannt. 

3)

Es sind nemlich, bei der charakteristischen Beschaffenheit endlicher Wesen leidend afficirt zu werden, und durch Spontaneität sich zu bestimmen, bei jeder Aeusserung ihrer Thätigkeit Mittelvermögen anzunehmen, die von der einen Seite der Bestimmbarkeit durch Leiden, von der anderen der Bestimmbarkeit durch Thun fähig sind. 

4)

Ich füge zur Erläuterung auch hier noch hinzu, dass so etwas, wie Interesse am Guten bloss von endlichen, d.h. empirisch bestimmbaren Wesen gelte, von dem Unendlichen aber gar nicht auszusagen sey: dass mithin in der reinen Philosophie, wo von allen empirischen Bedingungen gänzlich abstrahirt wird, der Satz: das Gute muss schlechthin darum geschehen, weil es gut ist – ohne alle Einschränkung vorzutragen; für sinnlich bestimmbare Wesen aber so einzuschränken ist: das Gute wirkt Interesse, schlechthin darum, weil es gut ist, und dieses Interesse muss den Willen bestimmt haben, es hervorzubringen, wenn die Willensform rein moralisch seyn soll. 

5)

Sollten wir nicht bei der Erziehung mehr auf die Entwickelung des Gefühls für das Erhabene bedacht seyn? – ein Weg, den uns die Natur selbst öffnete, um von der Sinnlichkeit aus zur Moralität überzugehen, und der in unserem Zeitalter uns meist schon sehr früh durch Frivolitäten und Colifichets, und unter anderen auch durch Theodiceen und Glückseligkeitslehren, verdämmt wird. – Nil admirari – omnia humana infra se posita cernere – ist es nicht das unsichtbare Wehen dieses Geistes, das uns hier weniger, da mehr an die klassischen Schriften der Alten anzieht? Was müssten wir bei unseren ohne Zweifel entwickelteren Humanitätsgefühlen gegen jene bald werden, wenn wir ihnen nur hierin ähnlich werden wollen? und was sind wir jetzt gegen sie? 

6)

Welches nicht zum Beweise, sondern kat' anthrôpon gesagt wird. Jede Behauptung muss auf sich selbst stehen, oder fallen. – Der verehrt Kanten noch wenig, der es nicht am ganzen Umrisse und Vortrage seiner Schriften gemerkt hat, dass er uns nicht seinen Buchstaben, sondern seinen Geist mittheilen wollte; und er verdankt ihm noch weniger. 

7)

Die Vernachlässigung dieses Theils der Theorie des Willens, nemlich der Entwickelung der positiven Bestimmung des sinnlichen Triebes durch das Sittengesetz, führt nothwendig zum Stoicismus in der Sittenlehre – dem Princip der Selbstgenügsamkeit – und zur Läugnung Gottes und der Unsterblichkeit der Seele, wenn man consequent ist 

8)

Im Vorbeigehen die Frage: Soll der erste Grundsatz des Naturrechts ein Imperativ, oder eine Thesis seyn? Soll diese Wissenschaft im Tone der praktischen, oder in dem der theoretischen Philosophie vorgetragen werden? 

9)

Welch ein sonderbares Zusammentreffen! – «Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren; wer es aber verliert, der wirds erhalten zum ewigen Leben:» sagte Jesus; welches gerade soviel heisst, als das obige. 

10)

Gott hat keine Rechte: denn er hat keine sinnliche Neigung. 

11)

Welche beiden letzteren Begriffe hier nur dazu dastehen, und die leere Stelle einer Idee zu bezeichnen, die aus ihrer Verbindung entsteht, und die für uns undenkbar ist.