BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

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Zwölfte Rede.

 

Ueber die Mittel, uns bis zur Erreichung

unsers Hauptzwecks aufrecht zu erhalten.

 

Diejenige Erziehung, die wir den Deutschen zu ihrer künftigen Nationalerziehung vorschlagen, ist nun sattsam beschrieben. Wird das Geschlecht, das durch dieselbe gebildet ist, nur einmal dastehen, dieses lediglich durch seinen Geschmack am Rechten und Guten, und schlechthin durch nichts Anderes, getriebene, dieses mit einem Verstande, der für seinen Standpunct ausreichend das Rechte allemal sicher erkennt, versehene, dieses mit jeder geistigen und körperlichen Kraft, das Gewollte allemal durchzusetzen, ausgerüstete Geschlecht: so wird alles, was wir mit unsern kühnsten Wünschen begehren können, aus dem Daseyn desselben von selbst sich ergeben, und aus ihm natürlich hervorwachsen. Diese Zeit bedarf unserer Vorschriften so wenig, dass wir vielmehr von derselben zu lernen haben wurden.

Da inzwischen dieses Geschlecht noch nicht gegenwärtig ist, sondern erst herauferzogen werden soll, und, wenn auch alles über unser Erwarten trefflich gehen sollte, wir dennoch eines beträchtlichen Zwischenraums bedürfen werden, um in jene Zeit hinüberzukommen, so entsteht die näherliegende Frage: wie sollen wir uns auch nur durch diesen Zwischenraum hindurchbringen? Wie sollen wir, da wir nichts Besseres können, uns erhalten, wenigstens als den Boden, auf dem die Verbesserung vorgehen, und als den Ausgangspunct, an welchen dieselbe sich anknüpfen könne? Wie sollen wir verhindern, dass, wenn einst das also gebildete Geschlecht aus seiner Absonderung hervor unter uns träte, es nicht an uns eine Wirklichkeit vor sich finde, die nicht die mindeste Verwandtschaft habe zu der Ordnung der Dinge, welche es als das Rechte begriffen, und in welcher niemand dasselbe verstehe, oder den mindesten Wunsch und Bedürfniss einer solchen Ordnung der Dinge hege, sondern das Vorhandene als das ganz Natürliche und das einzig Mögliche ansehe? Würden nicht diese eine andere Welt im Busen Tragenden gar bald irre werden, und würde so nicht die neue Bildung eben so unnütz für die Verbesserung des wirklichen Lebens verhallen, wie die bisherige Bildung verhallt ist?

Geht die Mehrheit in ihrer bisherigen Unachtsamkeit, Gedankenlosigkeit und Zerstreutheit so ferner hin, so ist gerade dieses, als das nothwendig sich Ergebende, zu erwarten. Wer sieh ohne Aufmerksamkeit auf sich selbst gehen lässt, und von den Umständen sich gestalten, wie sie wollen, der gewöhnt sich bald an jede mögliche Ordnung der Dinge. So sehr auch sein Auge durch etwas beleidiget werden mochte, als er es das erstemal erblickte, lasst es nur täglich auf dieselbe Weise wiederkehren, so gewöhnt er sich daran, und findet es späterhin natürlich und als eben so seyn müssend, gewinnt es zuletzt gar lieb, und es würde ihm mit der Herstellung des erstern bessern Zustandes wenig gedient seyn, weil dieser ihn aus seiner nun einmal gewohnten Weise zu seyn herausrisse. Auf diese Weise gewöhnt man sich sogar an Sklaverei, wenn nur unsre sinnliche Fortdauer dabei ungekränkt bleibt, und gewinnt sie mit der Zeit lieb; und dies ist eben das Gefährlichste an der Unterworfenheit, dass sie für alle wahre Ehre abstumpft und sodann ihre sehr erfreuliche Seite hat für den Trägen, indem sie ihn mancher Sorge und manches Selbstdenkens überhebt.

Lasst uns auf der Hut seyn gegen diese Ueberraschung der Süssigkeit des Dienens, denn diese raubt sogar unsern Nachkommen die Hoffnung künftiger Befreiung. Wird unser äusseres Wirken in hemmende Fesseln geschlagen, lasst uns desto kühner unsern Geist erheben zum Gedanken der Freiheit, zum leben in diesem Gedanken, zum Wünschen und Begehren nur dieses einigen. Lasst die Freiheit auf einige Zeit verschwinden aus der sichtbaren Welt; geben wir ihr eine Zuflucht im Innersten unserer Gedanken, so lange, bis um uns herum die neue Welt emporwachse, die da Kraft habe, diese Gedanken auch äusserlich darzustellen. Machen wir uns mit demjenigen, was ohne Zweifel unserm Ermessen frei bleiben muss, mit unserm Gemüthe, zum Vorbilde, zur Weissagung, zum Bürgen desjenigen, was nach uns Wirklichkeit werden wird. Lassen wir nur nicht mit unserm Körper zugleich auch unsern Geist niedergebeugt und unterworfen und in die Gefangenschaft gebracht werden!

Fragt man mich, wie dies zu erreichen sey, so ist darauf die einzige, alles in sich fassende Antwort diese: wir müssen eben zur Stelle werden, was wir ohnedies seyn sollten Deutsche. Wir sollen unsern Geist nicht unterwerfen: so müssen wir eben vor allen Dingen einen Geist uns anschaffen, und einen festen und gewissen Geist; wir müssen ernst werden in allen Dingen, und nicht fortfahren bloss leichtsinnigerweise und nur zum Scherze dazuseyn; wir müssen uns haltbare und unerschütterliche Grundsätze bilden, die allem unserm übrigen. Denken und unserm Handeln zur festen Richtschnur dienen Leben und Denken muss bei uns aus einem Stücke seyn, und ein sich durchdringendes und gediegenes Ganzes; wir müssen in beiden der Natur und der Wahrheit gemäss werden und die fremden Kunststücke von uns werfen; wir müssen, um es mit einem Worte zu sagen, uns Charakter anschaffen; denn Charakter haben und deutsch seyn, ist ohne Zweifel gleichbedeutend, und die Sache hat in unsrer Sprache keinen besondern Namen, weil sie eben, ohne alles unser Wissen und Besinnung, aus unserm Seyn unmittelbar hervorgehen soll.

Wir müssen zuvörderst über die grossen Ereignisse unsrer Tage, ihre Beziehung auf uns, und das, was wir von ihnen zu erwarten haben, mit eigner Bewegung unsrer Gedanken nachdenken, und uns eine klare und feste Ansicht von allen diesen Gegenständen, und ein entschiedenes und unwandelbares Ja oder Nein über die hieherfallenden Fragen verschaffen; jeder, der den mindesten Anspruch auf Bildung macht, soll das. Das thierische Leben des Menschen läuft in allen Zeitaltern ab nach denselben Gesetzen, und hierin ist alle Zeit sich gleich. Verschiedene Zeiten sind da nur für den Verstand, und nur derjenige, der sie mit dem Begriffe durchdringt, lebt sie mit, und ist da zu dieser seiner Zeit; ein andres Leben ist nur ein Thier- und Pflanzenleben. Alles, was da geschieht, unvernommen an sich vorübergehen zu lassen, gegen dessen Andrang wohl gar geflissentlich Auge und Ohr zu verstopfen, sich dieser Gedankenlosigkeit wohl gar noch als grosser Weisheit zu rühmen, mag anständig seyn einem Felsen, an den die Meereswellen schlagen, ohne dass er es fühlt, oder einem Baumstamme, den Stürme hin und her reissen, ohne dass er es bemerkt, keinesweges aber einem denkenden Wesen. – Selbst das Schweben in höhern Kreisen des Denkens spricht nicht los von dieser allgemeinen Verbindlichkeit, seine Zeit zu verstehen. Alles Höhere muss eingreifen wollen auf seine Weise in die unmittelbare Gegenwart, und wer wahrhaftig in jenem lebt, lebt zugleich auch in der letztern, lebte er nicht auch in dieser, so wäre dies der Beweis, dass er auch in jenem nicht lebte, sondern in ihm nur träumte. Jene Achtlosigkeit auf das, was unter unsern Augen vorgeht, und die künstliche Ableitung der allenfalls entstandenen Aufmerksamkeit auf andere Gegenstände, wäre das Erwünschteste, was einem Feinde unsrer Selbstständigkeit begegnen könnte. Ist er sicher, dass wir uns bei keinem Dinge etwas denken, so kann er eben, wie mit leblosen Werkzeugen, alles mit uns vornehmen, was er will; die Gedankenlosigkeit eben ist es, die sich an Alles gewöhnt: wo aber der klare und umfassende Gedanke, und in diesem das Bild dessen, was da seyn sollte, immerfort wachsam bleibt, da kommt es zu keiner Gewöhnung.

Diese Reden haben zunächst Sie eingeladen, und sie werden einladen die ganze deutsche Nation, inwieweit es dermalen möglich ist, dieselbe durch den Bücherdruck um sich zu versammeln, bei sich selbst eine feste Entscheidung zu fassen, und innerlich mit sich einig zu werden über folgende Fragen: 1) ob es wahr sey, oder nicht wahr, dass es eine deutsche Nation gebe, und dass deren Fortdauer in ihrem eigenthümlichen und selbstständigen Wesen dermalen in Gefahr sey? 2) ob es der Mühe werth sey, oder nicht werth sey, dieselbe zu erhalten? 3) ob es irgend ein sicheres und durchgreifendes Mittel dieser Erhaltung gebe, und welches dieses Mittel sey?

Vorher war die hergebrachte Sitte unter uns diese, dass, wenn irgend ein ernsthaftes Wort, mündlich oder im Drucke, sich vernehmen liess, das tägliche Geschwätz sich desselben bemächtigte, und es in einen spasshaften Unterhaltungsstoff seiner drückenden Langeweile verwandelte. Zunächst um mich herum habe ich dermalen, nicht, so wie ehemals bemerkt, dass man von Meinen gegenwärtigen Vorträgen denselben Gebrauch gemacht hätte; von dem zeitigen Tone aber der geselligen Zusammenkünfte auf dem Boden des Bücherdrücks, ich meine die Literaturzeitungen und anderes Journalwesen, habe ich keine Kunde genommen, und weiss nicht, ob von diesem sich Scherz oder Ernst erwarten lassen. Wie dies sich verhalten möge, meine Absicht wenigstens ist es nicht gewesen zu scherzen, und den bekannten Witz den unser Zeitalter besitzt, wieder in den Gang zu bringen.

Tiefer unter uns eingewurzelt, fast zur andern Natur geworden, und das Gegentheil beinahe unerhört, war unter den Deutschen die Sitte, dass man alles, was auf die Bahn gebracht wurde, betrachtete als eine Aufforderung an jeden, der einen Mund hätte, nur geschwind und auf der Stelle sein Wort auch dazuzugeben und uns zu berichten, ob er auch derselben Meinung sey, oder nicht; nach welcher Abstimmung denn die ganze Sache vorbei sey, und das öffentliche Gespräch zu einem neuen Gegenstande eilen müsse. Auf diese Weise hatte sich aller literarische Verkehr unter den Deutschen verwandelt, sowie die Echo der alten Fabel, in einen blossen reinen Laut, ohne allen Leib und körperlichen Gehalt. Wie in den bekannten schlechten Gesellschaften des persönlichen Verkehrs, so kam es auch in dieser nur darauf an, dass die Menschenstimme forthalle, und dass jeder ohne Stocken sie aufnehme, und sie dem Nachbar zuwerfe, keinesweges aber darauf, was da ertönte. Was ist Charakterlosigkeit und Undeutschheit, wenn es das nicht ist? Auch dies ist nicht meine Absicht gewesen, dieser Sitte zu huldigen, und nur das öffentliche Gespräch rege zu erhalten. Ich habe, eben auch, indem ich etwas Anderes wollte, meinen persönlichen Antheil zu dieser öffentlichen Unterhaltung schon vorlängst hinlänglich abgetragen, und man könnte mich endlich davon lossprechen. Ich will nicht gerade auf der Stelle wissen, wie dieser oder jener über die in Anregung gebrachten Fragen denke, d.h. wie er bisher darüber gedacht, oder auch nicht gedacht habe. Er soll es bei sich selbst überlegen und durchdenken, so lange bis sein Urtheil fertig ist und vollkommen klar, und soll sich die nöthige Zeit dazu nehmen; und gehen ihm etwa die gehörigen Vorkenntnisse, und der ganze Grad der Bildung, der zu einem Urtheile in diesen Angelegenheiten erfordert wird, noch ab, so soll er sich auch dazu die Zeit nehmen, sich dieselben zu erwerben. Hat nur einer auf diese Weise sein Urtheil fertig und klar, so wird nicht gerade verlangt, dass er es auch öffentlich abgebe; sollte dasselbe mit dem hier Gesagten übereinstimmen, so ist dieses eben schon gesagt, und es bedarf nicht eines zweiten Sagens, nur wer etwas Anderes und Besseres sagen kann, ist aufgefordert zu reden; dagegen aber soll es jeder in jedem Falle nach seiner Weise und Lage wirklich leben und treiben.

Am allerwenigsten endlich ist es meine Absicht gewesen, an diesen Reden unseren deutschen Meistern in Lehre und Schrift eine Schreibeübung vorzulegen, damit sie dieselbe verbessern, und ich bei dieser Gelegenheit erfahre, was sich etwa von mir hoffen lässt. Auch in dieser Rücksicht ist guter Lehre und Rathes schon sattsam an mich gewendet worden, und es müsste sich schon jetzt gezeigt haben, wenn Besserung zu erwarten wäre.

Nein, das war zunächst meine Absicht, aus dem Schwarme von Fragen und Untersuchungen, und aus dem Heere widersprechender Meinungen über dieselben, in welchem die Gebildeten unter uns bisher herumgeworfen worden sind, so viele derselben ich könnte, auf einen Punct zu führen, bei welchem sie sich selbst Stand hielten, und zwar auf denjenigen, der uns am allernächsten liegt, den unserer eigenen gemeinschaftlichen Angelegenheiten; in diesem einigen Puncte sie zu einer festen Meinung, bei der es nun unverrückt bleibe, und zu einer Klarheit, in der sie wirklich sich zurechtfinden, zu bringen; so viel anderes auch zwischen ihnen streitig seyn möge, wenigstens über dieses Eine sie zur Einmüthigkeit des Sinnes zu verbinden; auf diese Weise endlich einen festen Grundzug des Deutschen hervorzubringen, den, dass er es gewürdigt habe, sich über die Angelegenheit der Deutschen eine Meinung zu bilden; dagegen derjenige, der über diesen Gegenstand nichts hören und nichts denken möchte, von nun an mit Recht angesehen werden könnte, als nicht zu uns gehörend.

Die Erzeugung einer solchen festen Meinung, und die Vereinigung und das gegenseitige sich Verstehen mehrerer über diesen Gegenstand, wird, sowie es unmittelbar die Rettung ist unseres Charakters aus der unserer unwürdigen Zerflossenheit, zugleich auch ein kräftiges Mittel werden, unseren Hauptzweck, die Einführung der neuen Nationalerziehung zu erreichen. Besonders darum, weil wir selber, sowohl jeder mit sich, als alle untereinander, niemals einig waren, heute dieses und morgen etwas Anderes wollten, und jeder anders hinein schrie in das dumpfe Geräusch, sind auch unsere Regierungen, die allerdings, und oft mehr als rathsam war, auf uns hörten, irre gemacht worden, und haben hin und her geschwankt, ebenso wie unsere Meinung. Soll endlich einmal ein fester und gewisser Gang in die gemeinsamen Angelegenheiten kommen: was verhindert, dass wir zunächst bei uns selbst anfangen, und das Beispiel der Entschiedenheit und Festigkeit geben! Lasse sich nur einmal eine übereinstimmende und sich gleichbleibende Meinung hören, lasse ein entschiedenes und als allgemein sich ankündigendes Bedürfniss sich vernehmen, das der Nationalerziehung, wie wir voraussetzen; ich halte dafür, unsere Regierungen werden uns hören, sie werden uns helfen, wenn wir die Neigung zeigen, uns helfen zu lassen. Wenigstens würden wir im entgegengesetzten Falle sodann erst das Recht haben, uns über sie zu beklagen; dermalen, da unsere Regierungen ohngefähr also sind, wie wir sie wollen, steht uns das Klagen übel an.

Ob es ein sicheres und durchgreifendes Mittel gebe zur Erhaltung der deutschen Nation, und welches dieses Mittel sey, ist die bedeutendste unter den Fragen, die ich dieser Nation zur Entscheidung vorgelegt habe. Ich habe diese Frage beantwortet, und die Gründe meiner Art der Beantwortung dargelegt, keinesweges um das Endurtheil vorzuschreiben, was zu nichts helfen könnte, indem jeder, der in dieser Sache Hand anlegen soll, in seinem eigenen Inneren durch eigene Thätigkeit sich überzeugt haben muss, sondern nur, um zum eigenen Nachdenken und Urtheilen anzuregen. Ich muss von nun an jeden sich selbst überlassen. Nur warnen kann ich noch, dass man durch seichte und oberflächliche Gedanken, die auch über diesen Gegenstand sich im Umlaufe befinden, sich nicht täuschen, vom tieferen Nachdenken sich nicht abhalten und durch nichtige Vertröstungen sich nicht abfinden lasse.

Wir haben z.B. schon lange vor den letzten Ereignissen, gleichsam auf den Vorrath, hören müssen, und es ist uns seitdem häufig wiederholt worden, dass, wenn auch unsere politische Selbstständigkeit verloren sey, wir dennoch unsere Sprache behielten und unsere Literatur, und in diesen immer eine Nation blieben, und damit über alles Andere uns leichtlich trösten könnten.

Worauf gründet sich denn zuvörderst die Hoffnung, dass wir auch ohne politische Selbstständigkeit dennoch unsere Sprache behalten werden? Jene, die also sagen, schreiben doch wohl nicht ihrem Zureden und ihren Ermahnungen, auf Kind und Kindeskind hinaus und auf alle künftigen Jahrhunderte, diese wunderwirkende Kraft zu? Was von den jetztlebenden und gemachten Männern sich gewöhnt hat, in deutscher Sprache zu reden, zu schreiben, zu lesen, wird ohne Zweifel also fortfahren; aber was wird das nächstkünftige Geschlecht thun, und was erst das dritte? Welches Gegengewicht gedenken wir denn in diese Geschlechter hineinzulegen, das ihrer Begierde, demjenigen, bei welchem aller Glanz ist, und das alle Begünstigungen austheilt, auch durch Sprache und Schrift zu gefallen, die Wage halte? Haben wir denn niemals von einer Sprache gehört, welche die erste der Welt ist, ohnerachtet bekannt wird, dass die ersten Werke in derselben noch zu schreiben sind, und sehen wir nicht schon jetzt unter unseren Augen, dass Schriften, durch deren Inhalt man zu gefallen hofft, in ihr erscheinen? Man beruft sich auf das Beispiel zweier anderen Sprachen, eine der alten, eine der neuen Welt, welche, ohnerachtet des politischen Unterganges der Völker, die sie redeten, dennoch als lebendige Sprachen fortgedauert. Ich will in die Weise dieser Fortdauer nicht einmal hineingehen; so viel aber ist auf den ersten Blick klar, dass beide Sprachen etwas in sich hatten, das die unsrige nicht hat, wodurch sie vor den Ueberwindern Gnade fanden, welche die unsrige niemals finden kann. Hätten diese Vertröster besser um sich geschaut, so würden sie ein anderes, unseres Erachtens hier durchaus passendes Beispiel gefunden haben, das der wendischen Sprache. Auch diese dauert seit der Reihe von Jahrhunderten, dass das Volk derselben seine Freiheit verloren hat, noch immer fort, in den ärmlichen Hütten des an die Scholle gebundenen Leibeigenen nämlich, damit er in ihr, unverstanden von seinem Bedrücker, sein Schicksal beklagen könne.

Oder setze man den Fall, dass unsere Sprache lebendig und eine Schriftstellersprache bleibe, und so ihre Literatur behalte; was kann denn das für eine Literatur seyn, die Literatur eines Volkes ohne politische Selbstständigkeit? Was will denn der vernünftige Schriftsteller, und was kann er wollen? Nichts Anderes, denn eingreifen in das allgemeine und öffentliche Leben, und dasselbe nach seinem Bilde gestalten und umschaffen; und wenn er dies nicht will, so ist alles sein Reden leerer Laut, zum Kitzel müssiger Ohren. Er will ursprünglich und aus der Wurzel des geistigen Lebens heraus denken, für diejenigen, die ebenso ursprünglich wirken, d. i. regieren. Er kann deswegen nur in einer solchen Sprache schreiben, in der auch die Regierenden denken, in einer Sprache, in der regiert wird, in der eines Volkes, das einen selbstständigen Staat ausmacht. Was wollen denn zuletzt alle unsere Bemühungen selbst um die abgezogensten Wissenschaften? Lasset seyn, der nächste Zweck dieser Bemühungen sey der, die Wissenschaft fortzupflanzen von Geschlecht zu Geschlecht, und in der Welt zu erhalten; warum soll sie denn auch erhalten werden? Offenbar nur, um zu rechter Zeit das allgemeine Leben und die ganze menschliche Ordnung der Dinge zu gestalten. Dies ist ihr letzter Zweck; mittelbar dient sonach, sey es auch erst in einer späteren Zukunft, jede wissenschaftliche Bestrebung dem Staate. Giebt sie diesen Zweck auf, so ist auch ihre Würde und ihre Selbstständigkeit verloren. Wer aber diesen Zweck hat, der muss schreiben in der Sprache des herrschenden Volkes.

Wie es ohne Zweifel wahr ist, dass allenthalben, wo eine besondere Sprache angetroffen wird, auch eine besondere Nation vorhanden ist, die das Recht hat, selbstständig ihre Angelegenheiten zu besorgen und sieh selber zu regieren; so kann man umgekehrt sagen, dass, wie ein Volk aufgehört hat, sich selbst zu regieren, es eben auch schuldig sey, seine Sprache aufzugeben und mit den Ueberwindern zusammenzufliessen, damit Einheil, innerer Friede und die gänzliche Vergessenheit der Verhältnisse, die nicht mehr sind, entstehe. Ein nur halbverständiger Anführer einer solchen Mischung muss hierauf dringen, und wir können uns sicher darauf verlassen, dass in unserem Falle darauf gedrungen werden wird. Bis diese Verschmelzung erfolgt sey, wird es Uebersetzungen der verstatteten Schulbücher in die Sprache der Barbaren geben, d. i. derjenigen, die zu ungeschickt sind, die Sprache des herrschenden Volkes zu lernen, und die eben dadurch von allem Einflusse auf die öffentlichen Angelegenheiten sich ausschliessen und sich zur lebenslänglichen Unterwürfigkeit verdammen; auch wird es diesen, die zur Stummheit über die wirklichen Begebenheiten sich selbst verurtheilt haben, verstattet werden an erdichteten Weithändeln ihre Redefertigkeit zu üben, oder ehemalige und alte Formen sich selber nachzuahmen, wo man für das erste an der zum Beispiel angeführten alten, für das letztere an der neuen Sprache die Belege aufsuchen mag. Eine solche Literatur möchten wir vielleicht noch auf einige Zeit behalten, und mit derselben mag sich trösten der, der keinen besseren Trost hat; dass aber auch solche, die wohl fähig wären, sich zu ermannen, die Wahrheit zu sehen und aufgeschreckt zu werden durch ihren Anblick zu Entschluss und That, durch solchen nichtigen Trost, mit welchem einem Feinde unserer Selbstständigkeit recht eigentlich gedient sein würde, in dem trägen Schlummer erhalten werden: dieses möchte ich verhindern, wenn ich es könnte.

Man verheisst uns also die Fortdauer einer deutschen Literatur auf die künftigen Geschlechter. Ihn die Hoffnungen, die wir hierüber fassen können, näher zu beurtheilen, würde es sehr zuträglich seyn, sich umzusehen ob wir denn auch nur bis auf diesen Augenblick eine deutsche Literatur im wahren Sinne des Wortes noch haben. Das edelste Vorrecht und das heiligste Amt des Schriftstellers ist dies, seine Nation zu versammeln, und mit ihr über ihre wichtigsten Angelegenheiten zu berathschlagen; ganz besonders aber ist dies von jeher das ausschliessende Amt des Schriftstellers gewesen in Deutschland, indem dieses in mehrere abgesonderte Staaten zertrennt war, um! als gemeinsames Ganzes fast nur durch das Werkzeug des Schriftstellers, durch Sprache und Schrift, zusammengehalten wurde; am eigentlichsten und dringendsten wird es sein Amt in dieser Zeit, nachdem das letzte äussere Band, das die Deutschen vereinigte, die Reichsverfassung, auch zerrissen ist. Sollte es sich nun etwa zeigen – wir sprechen hieran nicht etwa aus, was wir wüssten oder befürchteten, sondern nur einen möglichen Fall, auf den wir jedoch ebenfalls im voraus Bedacht nehmen müssen – sollte es sich, sage ich, etwa zeigen, dass schon jetzt Diener besonderer Staaten von Angst, Furcht und Schrecken so eingenommen wären, dass sie solchen, eine Nation eben noch als daseyend voraussetzenden und an dieselbe sich wendenden Stimmen, zuerst das Lautwerden, oder durch Verbote die Verbreitung versagten: so wäre dies ein Beweis, dass wir schon jetzt keine deutsche Schriftstellerei mehr hätten, und wir wüssten, wie wir mit den Aussichten auf eine künftige Literatur daran wären. –

Was könnte es doch seyn, dass diese fürchteten? Etwa, dass dieser und jener dergleichen Stimmen nicht gern hören werde? Sie würden für ihre zarte Besorgtheit wenigstens die Zeit übel gewählt haben. Schmähungen und Herabwürdigungen des Vaterländischen, abgeschmackte Lobpreisungen des Ausländischen, können sie ja doch nicht verhindern; seyen sie doch nicht so strenge gegen ein dazwischen tönendes vaterländisches Wort! Es ist wohl möglich, dass nicht alle alles gleich gern hören; aber dafür können wir zur Zeit nicht sorgen, uns treibt die Noth, und wir müssen eben sagen, was diese zu sagen gebietet. Wir ringen ums Leben; wollen sie, dass wir unsere Schritte abmessen, damit nicht etwa durch den erregten Staub irgend ein Staatskleid bestäubt werde? Wir gehen unter in den Fluthen; sollen wir nicht um Hülfe rufen, damit nicht irgend ein schwachnerviger Nachbar erschreckt werde?

Wer sind denn diejenigen, die es nicht gern hören könnten, und unter welcher Bedingung könnten sie es denn nicht gern hören? Allenthalben ist es nur die Unklarheit und die Finsterniss, die da schreckt. Jedes Schreckbild verschwindet, wenn man es fest ins Auge fasst. Lasset uns mit derselben Unbefangenheit und Unumwundenheit, mit der wir bisher jeden in diese Vorträge fallenden Gegenstand zerlegt haben, auch diesem Schrecknisse unter die Augen treten.

Man nimmt an, entweder, dass das Wesen, dem dermalen die Leitung eines grossen Theiles der Weltangelegenheiten anheimgefallen ist, ein wahrhaft grosses Gemüth sey, oder man nimmt das Gegentheil an, und ein Drittes ist nicht möglich. Im ersten Falle: worauf beruht denn alle menschliche Grösse, ausser auf der Selbstständigkeit und Urspünglichkeit der Person, und dass sie nicht sey ein erkünsteltes Gemachte ihres Zeitalters, sondern ein Gewächs aus der ewigen und ursprünglichen Geisterwelt, ganz so wie es ist hervorgewachsen, dass ihr eine neue und eigenthümliche Ansicht des Weltganzen aufgegangen sey, und dass sie festen Willen habe, und eiserne Kraft, diese ihre Ansicht einzufahren in die Wirklichkeit? Aber es ist schlechthin unmöglich, dass ein solches Gemüth nicht auch ausser sich, an Völkern und Einzelnen, ehre, was in seinem Inneren seine eigene Grösse ausmacht, die Selbstständigkeit, die Festigkeit, die Eigenthümlichkeit des Daseyns. So gewiss es sich in seiner Grösse fühlt und derselben vertraut, verschmäht es über armseligen Knechtssinn zu herrschen, und gross zu seyn unter Zwergen; es verschmäht den Gedanken, dass es die Menschen erst herabwürdigen müsse, um über sie zu gebieten; es ist gedrückt durch den Anblick des dasselbe umgebenden Verderbens, es thut ihm weh, die Menschen nicht achten zu können; alles aber, was sein verbrüdertes Geschlecht erhebt, veredelt, in ein würdigeres Licht setzt, thut wohl seinem selbst edeln Geiste, und ist sein höchster Genuss. Ein solches Gemüth sollte ungern vernehmen, dass die Erschütterungen, die die Zeiten herbeigeführt haben, benutzt werden, um eine alte ehrwürdige Nation, den Stamm der mehrsten Volker des neuen Europa, und die Bildnerin aller, aus dem tiefen Schlummer aufzuregen, und dieselbe zu bewegen, dass sie ein sicheres Verwahrungsmittel ergreife, um sich zu erheben aus dem Verderben, welches dieselbe zugleich sichert, nie wieder herabzusinken, und mit sich selbst zugleich alle übrige Völker zu erheben? Es wird hier nicht angeregt zu ruhestörenden Auftritten; es wird vielmehr vor diesen, als sicher zum Verderben führend, gewarnt, es wird eine feste unwandelbare Grundlage angegeben, worauf endlich in einem Volke der Welt die höchste, reinste und noch niemals also unter den Menschen gewesene Sittlichkeit aufgebaut, für alle folgende Zeiten gesichert, und von da aus über andere Völker verbreitet werde; es wird eine Umschaffung, des Menschengeschlechtes angegeben, aus irdischen und sinnlichen Geschöpfen zu reinen und edeln Geistern. Durch einen solchen Vorschlag, meint man, könne ein Geist, der selbst rein ist und edel und gross, oder irgend jemand, der nach ihm sich bildet, beleidigt werden?

Was würden dagegen diejenigen, welche diese Furcht hegten und dieselbe durch ihr Handeln zugeständen, annehmen, und laut vor aller Welt bekennen, dass sie es annehmen? Sie würden bekennen, dass sie glaubten, dass ein menschenfeindliches und ein sehr kleines und niedriges Princip über uns herrsche, dem jede Regung selbstständiger Kraft bange mache, der von Sittlichkeit, Religion, Veredlung der Gemüther nicht ohne Angst hören könne, indem allein in der Herabwürdigung der Menschen, in ihrer Dumpfheit und ihren Lastern für ihn Heil sey, und Hoffnung, sich zu erhalten. Mit diesem ihrem Glauben, der unseren anderen Leben noch die drückende Schmach hinzufügen würde, von einem solchen beherrscht zu seyn, sollen wir nun ohne weiteres und ohne die vorhergegangene einleuchtende Beweisführung einverstanden seyn, und in demselben handeln?

Den schlimmsten Fall gesetzt, dass sie recht hätten, keinesweges aber wir, die wir das Erstere durch unsere That annehmen: soll denn nun wirklich, einem zu gefallen, dem damit gedient ist, und ihnen zu gefallen, die sich fürchten, das Menschengeschlecht herabgewürdigt werden und versinken, und soll keinem, dem sein Herz es gebietet, erlaubt seyn, sie vor dem Verfalle zu warnen? Gesetzt, dass sie nicht bloss recht hätten, sondern dass man sich auch noch entschliessen sollte, im Angesichte der Mitwelt und der Nachwelt ihnen recht zu geben, und das eben hingelegte Urtheil über sich selbst laut auszusprechen: was wäre denn nun das Höchste und Letzte, das für den unwillkommenen Warner daraus erfolgen könnte? Kennen sie etwas Höheres, denn den Tod? Dieser erwartet uns ohnedies alle, und es haben vom Anbeginn der Menschheit an Edle um geringerer Angelegenheit willen – denn wo gab es jemals eine höhere, als die gegenwärtige? – der Gefahr desselben getrotzt. Wer hat das Recht zwischen ein Unternehmen, das auf diese Gefahr begonnen ist, zu treten?

Sollte es, wie ich nicht hoffe, solche unter uns Deutschen geben, so würden diese ungebeten, ohne Dank, und, wie ich hoffe, zurückgewiesen, ihren Hals dem Joche der geistigen Knechtschaft darbieten; sie würden, bitter schmähend indem sie staatsklug zu schmeicheln glauben, weil sie nicht wissen, wie wahrer Grösse zu Muthe ist, und die Gedanken derselben nach denen ihrer eigenen Klarheit messen, – sie würden die Literatur, mit der sie nichts Anderes anzufangen wissen, gebrauchen, um durch die Abschlachtung derselben als Opferthier ihren Hof zu machen. Wir dagegen preisen durch die That unseres Vertrauens und unseres Muthes weit mehr, denn Worte es je vermöchten, die Grösse des Gemüthes, bei dem die Gewalt ist. Ueber das ganze Gebiet der ganzen deutschen Zunge hinweg, wo irgend hin unsere Stimme frei und unaufgehalten ertönt, ruft sie durch ihr blosses Daseyn den Deutschen zu: niemand will eure Unterdrückung, euren Knechtssinn, eure sklavische Unterwürfigkeit, sondern eure Selbstständigkeit, eure wahre Freiheit, eure Erhebung und Veredlung will man, denn man hindert nicht, dass man sich öffentlich mit euch darüber berathschlage, und euch das unfehlbare Mittel dazu zeige. Findet diese Stimme Gehör und den beabsichtigten Erfolg, so setzt sie ein Denkmal dieser Grösse und unseres Glaubens an dieselbe ein in den Fortlauf der Jahrhunderte, welches keine Zeit zu zerstören vermag, sondern das mit jedem neuen Geschlechte höher wachst, und sieh weiter verbreitet. Wer darf sich gegen den Versuch setzen, ein solches Denkmal zu errichten?

Anstatt also mit der zukünftigen Blüthe unserer Literatur über unsere verlorene Selbstständigkeit uns zu trösten, und von der Aufsuchung eines Mittels, dieselbe wieder herzustellen, uns durch dergleichen Trost abhalten zu lassen, wollen wir lieber wissen, ob diejenigen Deutschen, denen eine Art von Bevormundung der Literatur zugefallen ist, den übrigen selbst schreibenden oder lesenden Deutschen eine Literatur im wahren Sinne des Wortes noch bis diesen Tag erlauben, und ob sie dafür halten, dass eine solche Literatur dermalen in Deutschland noch erlaubt sey, oder nicht; wie sie aber wirklich darüber denken, das wird sich demnächst entscheiden müssen.

Nach allem ist das nächste, was wir zu thun haben, um bis zur völligen und gründlichen Verbesserung unseres Stammes uns auch nur aufzubehalten, dies, dass wir uns Charakter anschaffen, und diesen zunächst dadurch bewahren, dass wir uns durch eigenes Nachdenken eine feste Meinung bilden über unsere wahre Lage und über das sichere Mittel, dieselbe zu Verbessern. Die Nichtigkeit des Trostes aus der Fortdauer unserer Sprache und Literatur ist gezeigt. Noch aber giebt es andere, in diesen Reden Doch nicht erwähnte Vorspiegelungen, welche die Bildung einer solchen festen Meinung verhindern. Es ist zweckmässig, dass wir auch auf diese Rücksicht nehmen; jedoch behalten wir dieses Geschäft vor der nächsten Stunde.