BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Reden an die deutsche Nation

 

1807/08

 

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Zehnte Rede.

 

Zur nähern Bestimmung der

deutschen Nationalerziehung.

 

Die Anführung des Zöglings, zuerst seine Empfindungen, sodann seine Anschauungen sich klar zu machen, mit welcher eine folgegemässe Kunstbildung seines Körpers Hand in Hand gehen muss, ist der erste Haupttheil der neuen deutschen Nationalerziehung. Was die Bildung der Anschauung betrifft, haben wir eine zweckmässige Anleitung von Pestalozzi; die noch ermangelnde zur Bildung des Empfindungsvermögens wird derselbe Mann und seine Mitarbeiter, die zur Lösung dieser Aufgabe zunächst berufen sind, leicht geben können. Eine Anweisung zur folgegemässen Ausbildung der körperlichen Kraft fehlt noch: es ist angegeben, was zu Lösung dieser Aufgabe erfordert werde, und es ist zu hoffen, dass, wenn die Nation Begierde nach dieser Lösung bezeigen sollte, dieselbe sich finden werde. Dieser ganze Theil der Erziehung ist nur Mittel und Vorübung zu dem zweiten wesentlichen Theile derselben, der bürgerlichen und religiösen Erziehung. Was hier, über im allgemeinen zu sagen dermalen noth thut, ist in unserer zweiten und dritten Rede schon beigebracht, und wir haben in dieser Rücksicht nichts hinzuzusetzen. Eine bestimmte Anweisung zur Kunst dieser Erziehung zu geben, ist, – immer, wie sich versteht, in Berathung und Rücksprache mit der Pestalozzischen eigentlichen Erziehungskunst – die Sache derselben Philosophie, die eine deutsche Nationalerziehung überhaupt in Vorschlag bringt; und diese Philosophie wird, wenn nur erst das Bedürfniss einer solchen Anweisung durch vollendete Ausübung des ersten Theils eintritt, nicht säumen, dieselbe zu liefern. Wie es möglich seyn werde, dass jedweder Zögling, auch aus dem niedrigsten Stande geboren, indem der Stand der Geburt wahrhaftig keinen Unterschied in den Anlagen macht, den Unterricht über diese Gegenstände, der allerdings, wenn man so will, die allertiefste Metaphysik enthält und die Ausbeute der abgezogensten Speculation ist, und welche zu fassen dermalen sogar Gelehrten und selbst speculirenden Köpfen so unmöglich fallt, fassen, und sogar leicht fassen werde; darüber ermüde man sich nur vorläufig nicht im Hin- und Herzweifeln; wenn man nur in Absicht der ersten Schritte folgen will, so wird dies späterhin die Erfahrung lehren. Nur darum, weil unsre Zeit überhaupt in der Welt der leeren Begriffe gefesselt, und an keiner Stelle in die Welt der wahrhaftigen Realität und Anschauung, hineingekommen ist, ist es ihr nicht anzumuthen, dass sie gerade bei der allerhöchsten und geistigsten Anschauung und nachdem sie schon über alles Maass klug ist, das Anschauen anfange. Ihr muss die Philosophie anmuthen, ihre bisherige Welt aufzugeben und eine ganz andere sich zu verschaffen, und es ist kein Wunder, wenn eine solche Anmuthung ohne Erfolg bleibt. Der Zögling unserer Erziehung aber ist gleich von Anbeginn an einheimisch geworden in der Welt der Anschauung und hat niemals eine andere gesehen; er soll seine Welt nicht verändern, sondern sie nur steigern, und dieses ergiebt sich von selbst. Jene Erziehung ist zugleich, wie wir schon oben darauf deuteten, die einzig mögliche Erziehung für Philosophie, und das einige Mittel, diese letztere allgemein zu machen.

Mit dieser bürgerlichen und religiösen Erziehung nun ist die Erziehung beschlossen und der Zögling zu entlassen, und so wären wir denn fürs erste in Absicht des Inhalts der vorgeschlagenen Erziehung im Reinen.

Es müsse niemals das Erkenntnissvermögen des Zöglings angeregt werden, ohne dass die Liebe für den erkannten Gegenstand es zugleich werde, indem ausserdem die Erkenntniss todt, und eben so niemals die Liebe, ohne dass sie der Erkenntniss klar werde, indem ausserdem die Liebe blind bleibe: ist einer der Hauptgrundsätze der von uns vorgeschlagenen Erziehung, mit welchem auch Pestalozzi seinem ganzen Denkgebäude zufolge einverstanden seyn muss. Die Anregung und Entwicklung dieser Liebe nun knüpft sich an den folgegemässen Lehrgang am Faden der Empfindung und der Anschauung von selbst und kommt ohne allen unsern Vorsatz oder Zuthun Das Kind hat einen natürlichen Trieb nach Klarheit und Ordnung; dieser wird in jenem Lehrgange immerfort befriedigt, und erfüllt so das Kind mit Freude und Lust; mitten in der Befriedigung aber wird es durch die neuen Dunkelheiten, die Run zum Vorschein kommen, wiederum angeregt und so ferner befriediget, und so geht das Leben hin in Liebe und Lust am Lernen. Dies ist die Liebe, wodurch jeder einzelne an die Welt des Gedankens geknüpft wird, das Band der Sinnen- und Geisterwelt überhaupt. Durch diese Liebe entsteht, in dieser Erziehung sicher und berechnet, so wie bisher durch das Ohngefähr bei wenigen vorzüglich begünstigten Köpfen, die leichte Entwicklung des Erkenntnissvermögens und die glückliche Bearbeitung der Felder der Wissenschaft.

Noch aber giebt es eine andere Liebe, diejenige, welche den Menschen an den Menschen bindet, und alle Einzelne zu einer einigen Vernunftgemeine der gleichen Gesinnung verbindet. Wie jene die Erkenntniss, so bildet diese das handelnde Leben, und treibt an, das Erkannte in sich und andern darzustellen. Da es für unsern eigentlichen Zweck wenig helfen würde, bloss die Gelehrtenerziehung zu verbessern, und die von uns beabsichtigte Nationalerziehung zunächst nicht darauf ausgeht, Gelehrte, sondern eben Menschen zu bilden, so ist klar, dass neben jener ersten auch die Entwicklung der zweiten Liebe unerlassliche Pflicht dieser Erziehung ist.

Pestalozzi redet *) von diesem Gegenstande mit herzerhebender Begeisterung; dennoch aber müssen wir bekennen, dass alles dieses uns nicht im mindesten klar geschienen hat, und am allerwenigsten so klar, dass es einer kunstmässigen Entwickelung jener Liebe zur Grundlage dienen könne. Es ist darum nöthig, dass wir unsere eigenen Gedanken zu einer solchen Grundlage mittheilen.

Die gewöhnliche Annahme, dass der Mensch von Natur selbstsüchtig sey, und auch das Kind mit dieser Selbstsucht geboren werde, und dass es allein die Erziehung sey, die demselben eine sittliche Triebfeder einpflanze, gründet sich auf eine sehr oberflächliche Beobachtung, und ist durchaus falsch. Da aus nichts sich nicht etwas machen lässt, die noch so weit fortgesetzte Entwickelung eines Grundtriebes aber ihn doch niemals zu dem Gegentheile von sich selbst machen kann: wie sollte doch die Erziehung vermögen, jemals Sittlichkeit in das Kind hineinzubringen, wenn diese nicht ursprünglich und vor aller Erziehung vorher in demselben wäre? So ist sie es denn auch wirklich in allen menschlichen Kindern, die zur Welt geboren werden; die Aufgabe ist bloss, die ursprünglichste und reinste Gestalt, in der sie zum Vorschein kommt, zu ergründen.

Durchgeführte Speculation sowohl, als die gesammte Beobachtung stimmen überein, dass diese ursprünglichste und reinste Gestalt der Trieb nach Achtung sey, und dass diesem Triebe erst das Sittliche, als einzig möglicher Gegenstand der Achtung, das Rechte und Gute, die Wahrhaftigkeit, die Kraft der Selbstbeherrschung, in der Erkenntniss aufgehe. Beim Kinde zeigt sich dieser Trieb zuerst als Trieb auch geachtet zu werden von dem, was ihm die höchste Achtung einflösst; und es richtet sich dieser Trieb, zum sicheren Beweise, dass keinesweges aus der Selbstsucht die Liebe stamme, in der Regel weit stärker und entschiedener auf den ernsteren, öfter abwesenden und nicht unmittelbar als Wohlthäter erscheinenden Vater, denn auf die mit ihrer Wohlthätigkeit stets gegenwärtige Mutter. Von diesem will das Kind bemerkt seyn, es will seinen Beifall haben; nur inwiefern dieser mit ihm zufrieden ist, ist es selbst mit sich zufrieden: dies ist die natürliche Liebe des Kindes zum Vater; keinesweges als zum Pfleger seines sinnlichen Wohlseyns, sondern als zu dem Spiegel, aus welchem ihm sein eigener Werth oder Unwerth entgegenstrahlt; an diese Liebe kann nun der Vater selbst schweren Gehorsam und jede Selbstverläugnung leicht anknüpfen: für den Lohn seines herzlichen Beifalls gehorcht es mit Freuden. Wiederum ist dies die Liebe, die es vom Vater begehrt: dass dieser bemerke sein Bestreben, gut zu seyn, und es anerkenne, dass er sich merken lasse, es mache ihm Freude, wenn er billigen könne, und thue ihm herzlich wehe, wenn er misbilligen müsse, er wünsche nichts mehr, als immer mit demselben zufrieden seyn zu können, und alle seine Forderungen an dasselbe haben nur die Absicht, das Kind selbst immer besser und achtungswürdiger zu machen; deren Anblick wiederum die Liebe des Kindes fortdauernd belebt und verstärkt, und ihm zu allen seinen ferneren Bestrebungen neue Kraft giebt. Dagegen wird diese Liebe ertödtet durch Nichtbeachtung, oder anhaltendes unbilliges Verkennen, ganz besonders aber erzeugt sogar Hass, wenn man in der Behandlung desselben Eigennützigkeit blicken lässt, und z.B. einen durch die Unvorsichtigkeit desselben verursachten Verlust als ein Hauptverbrechen behandelt. Es sieht sich sodann als ein blosses Wertzeug betrachtet, und dies empört sein zwar dunkles, aber dennoch nicht abwesendes Gefühl, dass es durch sich selbst einen Werth haben müsse.

Um dies an einem Beispiele zu belegen. Was ist es doch, das dem Schmerze der Züchtigung beim Kinde noch die Scham hinzufügt, und was ist diese Scham? Offenbar ist sie das Gefühl der Selbstverachtung, die es sich zufügen muss, da ihm das Misfallen seiner Eltern und Erzieher bezeugt wird. Daher denn auch in einem Zusammenhange, wo die Bestrafung von keiner Scham begleitet wird, es mit der Erziehung zu Ende ist, und die Bestrafung erscheint als eine Gewaltthätigkeit, über die der Zögling mit hohem Sinne sich hinwegsetzt und ihrer spottet.

Dies also ist das Band, was die Menschen zur Einheit des Sinnes verknüpft, und dessen Entwickelung ein Hauptbestandtheil der Erziehung zum Menschen ist, – keinesweges sinnliche Liebe, sondern Trieb zu gegenseitiger Achtung. Dieser Trieb gestaltet sich auf eine doppelte Weise: im Kinde, ausgehend von unbedingter Achtung für die erwachsene Menschheit ausser sich, zu dem Triebe, von dieser geachtet zu werden, und an ihrer wirklichen Achtung, als seinem Maassstabe, abzunehmen, inwiefern es auch selbst sich achten dürfe. Dieses Vertrauen auf einen fremden und ausser uns befindlichen Maassstab der Selbstachtung ist auch der eigenthümliche Grundzug der Kindheit und Unmündigkeit, auf dessen Vorhandenseyn ganz allein die Möglichkeit aller Belehrung und aller Erziehung der nachwachsenden Jugend zu vollendeten Menschen sich gründet. Der mündige Mensch hat den Maassstab seiner Selbstschätzung in ihm selber, und will von anderen geachtet seyn, nur inwiefern sie selbst erst seiner Achtung sich würdig gemacht haben; und bei ihm nimmt dieser Trieb die Gestalt des Verlangens an, andere achten zu können, und achtungewürdiges ausser sich hervorzubringen. Wenn es nicht einen solchen Grundtrieb im Menschen gäbe: woher käme doch die Erscheinung, dass es dem auch nur erträglich guten Menschen wehe thut, die Menschen schlechter zu finden, als er sie sich dachte, und dass es ihn tief schmerzt, sie verachten zu müssen; da es ja der Selbstsucht im Gegentheile wohl thun müsste, über andere sich hochmüthig erheben zu können? Diesen letzten Grundzug der Mündigkeit nun soll der Erzieher darstellen, sowie auf den ersten bei dem Zöglinge sicher zu rechnen ist. Der Zweck der Erziehung in dieser Rücksicht ist es eben, die Mündigkeit, in dem von uns angegebenen Sinne, hervorzubringen, und nur, nachdem dieser Zweck erreicht ist, ist die Erziehung wirklich vollendet und zu Ende gebracht. Bisher sind viele Menschen ihr ganzes Leben hindurch Kinder geblieben: diejenigen, welche zu ihrer Zufriedenheit des Beifalls der Umgebung bedurften, und nichts Rechtes geleistet zu haben glaubten, als wenn sie dieser gefielen. Ihnen hat man entgegengesetzt, als starke und kräftige Charaktere, die wenigen, die über fremdes Urtheil sich zu erheben und sich selbst zu genügen vermochten, und hat diese in der Regel gehasst, indess man jene zwar nicht achtete, aber dennoch sie liebenswürdig fand.

Die Grundlage aller sittlichen Erziehung ist es, dass man wisse, es sey ein solcher Trieb im Kinde, und ihn festiglich voraussetze, sodann, dass man ihn in seiner Erscheinung erkenne, und ihn durch zweckmässige Aufregung und durch Darreichung eines Stoffes, woran er sich befriedige, allmählig immer mehr entwickele. Die allererste Regel, dass man ihn auf den ihm allein angemessenen Gegenstand richte, auf das Sittliche, keinesweges aber etwa in einem ihm fremdartigen Stoffe ihn abfinde. Das Lernen z.B. führt seinen Reiz und seine Belohnung in sich selber; höchstens könnte angestrengter Fleiss als eine Uebung der Selbstüberwindung Beifall verdienen; aber dieser freie und über die Forderung hinausgehende Fleiss wird wenigstens in der blossen, allgemeinen Nationalerziehung kaum eine Stelle finden. Dass daher der Zögling lerne, was er soll, muss betrachtet werden als etwas, das sich eben von selbst versteht, und wovon nicht weiter geredet wird; selbst das schnellere und bessere Lernen des fähigeren Kopfes muss betrachtet werden eben als ein blosses Naturereigniss, das ihm selber zu keinem Lobe oder Auszeichnung dient, am allerwenigsten aber andere Mängel verdeckt. Nur im Sittlichen soll diesem Triebe sein Wirkungskreis angewiesen werden; aber die Wurzel aller Sittlichkeit ist die Selbstbeherrschung, die Selbstüberwindung, die Unterordnung seiner selbstsüchtigen Triebe unter den Begriff des Ganzen. Nur durch diese, und schlechthin durch nichts anderes, sey es dem Zöglinge möglich, den Beifall des Erziehers zu erhalten, dessen für seine eigene Zufriedenheit zu bedürfen er von seiner geistigen Natur angewiesen, und durch die Erziehung gewöhnt ist. Es giebt, wie wir schon in unserer zweiten Rede erinnert haben, zwei sehr verschiedene Weisen jener Unterordnung des persönlichen Selbst unter das Ganze. Zuvörderst diejenige, die schlechthin seyn muss, und keinem in keinem Stücke erlassen werden kann, die Unterwerfung unter das, um der blossen Ordnung des Ganzen willen entworfene, Gesetz der Verfassung. Wer gegen dieses sich nicht vergeht, den trifft nur nicht Misfallen, keinesweges aber wird ihm Beifall zu Theil; sowie den, der sich dagegen verginge, wirkliches Misfallen und Tadel treffen würde, der da, wo öffentlich gefehlt worden, auch öffentlich ergehen müsste, und, wo er fruchtlos bliebe, sogar durch hinzugefügte Strafe geschärft werden könnte. Sodann giebt es eine Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze, die nicht gefordert, sondern nur freiwillig geleistet werden kann: dass man durch eigene Aufopferung den Wohlstand desselben steigere und vermehre. Um das Verhältniss der blossen Gesetzmässigkeit und dieser höheren Tugend zu einander den Zöglingen gleich von Jugend auf recht einzuprägen, wird es zweckmässig seyn, nur demjenigen, gegen den einen gewissen Zeitraum hindurch in der ersten Rücksicht keine Klage gewesen, solche freiwillige Aufopferungen, gleichsam als den Lohn der Gesetzmässigkeit, zu gestalten, dem aber, der in Regelmässigkeit und Ordnung seiner selbst noch nicht ganz sicher ist, die Erlaubniss dazu zu versagen. Die Gegenstände solcher freiwilligen Leistungen sind im allgemeinen schon oben angezeigt, und werden tiefer unten sich noch näher ergeben. Dieser Art der Aufopferung werde zu Theil thätige Billigung, wirkliche Anerkennung ihrer Verdienstlichkeit, keinesweges zwar öffentlich, als Lob, was das Gemüth verderben und eile machen, und es von der Selbstständigkeit ableiten könnte, sondern in geheim und mit dem Zöglinge allein. Diese Anerkennung soll nichts mehr seyn, als das eigene, dem Zöglinge auch äusserlich dargestellte, gute Gewissen desselben, und die Bestätigung seiner Zufriedenheit mit sich selbst, seiner Selbstachtung, und die Ermunterung, sich auch ferner zu vertrauen: Die hiebei beabsichtigten Vortheile würde folgende Einrichtung vortrefflich befördern. Wo mehrere Erzieher und Erzieherinnen sind, wie wir denn dies als die Regel voraussetzen, da wähle jedes Kind, frei, und so wie sein Vertrauen und sein Gefühl dasselbe treibt, einen darunter zum besonderen Freunde und gleichsam Gewissensrathe. Bei diesem suche es Rath, in allen Fällen, wo es ihm schwer wird, recht zu thun; er helfe ihm durch freundliche Zusprache nach; er sey der Vertraute der freiwilligen Leistungen, die es übernimmt; und er sey endlich derjenige, der das Treffliche mit seinem Beifalle krönt. In den Personen dieser Gewissensräthe nun müsste die Erziehung, jedem einzelnen nach seiner Weise, folgegemäss zu immer grösserer Stärke in der Selbstüberwindung und Selbstbeherrschung emporhelfen; und so wird allmählig Festigkeit und Selbstständigkeit entstehen, durch deren Erzeugung die Erziehung sich selbst abschliesst, und für die Zukunft aufhebt. Durch eigenes Thun und Handeln schliesst sich uns am klarsten der Umfang der sittlichen Welt auf, und wem sie also aufgegangen ist, dem ist sie wahrhaftig aufgegangen. Ein solcher weiss nun selbst, was in ihr enthalten ist, und bedarf keines fremden Zeugnisses mehr über sich, sondern vermag es, selbst ein richtiges Gericht über sich zu halten, und ist von nun an mündig.

Wir haben durch das soeben Gesagte eine Lücke, die in unserem bisherigen Vortrage blieb, geschlossen, und unseren Vorschlag erst wahrhaftig ausführbar gemacht. Das Wohlgefallen am Rechten und Guten um sein selbst willen soll durch die neue Erziehung an die Stelle der bisher gebrauchten sinnlichen Hoffnung oder Furcht gesetzt werden und dieses Wohlgefallen soll, als einzig vorhandene Triebfeder, alles künftige Leben in Bewegung setzen: dies ist die Hauptsache unseres Vorschlages. Die erste hiebei sich aufdringende Frage ist; aber, wie soll denn nun jenes Wohlgefallen selbst erzeugt werden? Erzeugt werden, im eigentlichen Sinne des Wortes, kann es nun wohl nicht; denn der Mensch vermag nicht aus nichts etwas zu machen. Es muss, wenn unser Vorschlag irgend ausführbar seyn soll, dieses Wohlgefallen ursprünglich vorhanden seyn, und schlechthin in allen Menschen ohne Ausnahme vorhanden seyn und ihnen angeboren werden. So verhält es sich denn auch wirklich. Das Kind ohne alle Ausnahme will recht und gut seyn, keinesweges, will es, sowie ein junges Thier, bloss wohl seyn. Die Liebe ist der Grundbestandtheil des Menschen; diese ist da, sowie der Mensch da ist, ganz und vollendet, und es kann ihr nichts hinzugefügt werden; denn diese liegt hinaus über die fortwachsende Erscheinung des sinnlichen Lebens und ist unabhängig von ihm. Nur die Erkenntniss ist es, woran sich dieses sinnliche Leben knüpft, und welche mit demselben entsteht und fortwächst. Diese entwickelt sich nur langsam und allmählig, im Fortlaufe der Zeit. Wie soll nun, so lange, bis ein geordnetes Ganzes von Begriffen des Rechten und Guten entstehe, an welches das treibende Wohlgefallen sich knüpfen könne, jene angeborene Liebe, über die Zeiten der Unwissenheit hinwegkommen, sich entwickeln und üben? Die vernünftige Natur hat ohne alles unser Zuthun der Schwierigkeit abgeholfen. Das dem Kinde in seinem Inneren abgehende Bewusstseyn stellt sich ihm äusserlich und verkörpert daran dem Urtheile der erwachsenen Welt. Bis in ihm selbst ein verständiger Richter sich entwickele, wird es durch einen Naturtrieb an diese verwiesen, und so ihm ein Gewissen ausser ihm gegeben, bis in ihm selber sich eins erzeuge. Diese bis jetzt wenig bekannte Wahrheit soll die neue Erziehung anerkennen, und sie soll die ohne ihr Zuthun vorhandene Liebe auf das Rechte leiten. Bis jetzt ist in der Regel diese Unbefangenheit und diese kindliche Gläubigkeit der Unmündigen an die höhere Vollkommenheit der Erwachsenen zum Verderben derselben gebraucht worden; ihre Unschuld gerade, und ihr natürlicher Glauben an uns, machte es uns möglich, ihnen statt des Guten, das sie innerlich wollten, unser Verderbniss, das sie verabscheut haben würden, wenn sie es zu erkennen vermocht hätten, einzupflanzen, noch ehe sie Gutes und Böses unterscheiden konnten.

Dies ist eben die allergrösste Vergehung, die unserer Zeit zur Last fällt; und es wird hierdurch auch die täglich sich darbietende Erscheinung erklärt, dass in der Regel der Mensch um so schlechter, selbstsüchtiger, für alle guten Regungen er storbener, und zu jedem rechten Werke untauglicher wird, je mehrere Jahre er zählt, und um je weiter daher er sich von den ersten Tagen seiner Unschuld, die fürs erste noch immer in einigen Ahnungen des Guten leise nachklingen, entfernt hat; es wird dadurch ferner bewiesen, dass das gegenwärtige Geschlecht, wenn es nicht einen durchaus trennenden Abschnitt in sein Fortleben macht, eine noch verdorbenere Nachkommenschaft, und diese eine abermals verdorbenere, nothwendig hinterlassen werde. Von solchen sagt ein verehrungswürdiger Lehrer des Menschengeschlechtes mit treffender Wahrheit, dass es besser sey, wenn ihnen bei Zeiten ein Mühlstein an den Hals gehängt würde, und sie ersäuft wurden im Meere, da wo es am tiefsten ist. Es ist eine abgeschmackte Verleumdung der menschlichen Natur, dass der Mensch als Sünder geboren werde; wäre dies wahr, wie könnte doch jemals an ihn auch nur ein Begriff von Sünde kommen, der ja nur im Gegensatze mit einer Nichtsünde möglich ist? Er lebt sich zum Sünder; und das bisherige menschliche Leben war in der Regel eine im steigenden Fortschritte begriffene Entwickelung der Sündhaftigkeit.

Das Gesagte zeigt in einem neuen Lichte die Nothwendigkeit, ohne Verzug Anstalt zu einer wirklichen Erziehung zu machen. Könnte nur die nachwachsende Jugend ohne alle Berührung mit den Erwachsenen und völlig ohne Erziehung aufwachsen, so möchte man ja immer den Versuch machen, was sich hieraus ergeben würde. Aber, wenn wir sie auch nur in unserer Gesellschaft lassen, macht ihre Erziehung, ohne allen unseren Wunsch oder Willen, sich von selbst; sie selbst erziehen sich an uns: unsere Weise zu seyn dringt sich ihnen auf, als ihr Muster, sie eitern uns nach, auch ohne dass wir es verlangen, und sie begehren nichts anderes, denn also zu werden, wie wir sind. Nun aber sind wir, in der Regel und nach der grossen Mehrheit genommen, durchaus verkehrt, theils ohne es zu wissen und indem wir selbst, ebenso unbefangen wie unsere Kinder, unsere Verkehrtheit für das Rechte halten; oder, wenn wir es auch wüssten, wie vermöchten wir doch in der Gesellschaft unserer Kinder plötzlich das, was ein langes Leben uns zur zweiten Natur gemacht hat, abzulegen, und unseren ganzen alten Sinn und Geist mit einem neuen zu vertauschen? In der Berührung mit uns müssen sie verderben, dies ist unvermeidlich; haben wir einen Funken Liebe für sie, so müssen wir sie entfernen aus unserem verpestenden Dunstkreise, und einen reineren Aufenthalt für sie errichten, wir müssen sie in die Gesellschaft von Männern bringen, welche, wie es auch übrigens um sie stehen möge, dennoch durch anhaltende Uebung und Gewöhnung wenigstens die Fertigkeit sich erworben haben, sich zu besinnen, dass Kinder sie beobachten und das Vermögen, wenigstens so lange sich zusammenzunehmen, und die Kenntniss, wie man vor Kindern erscheinen muss; wir müssen aus dieser Gesellschaft in die unsrige sie nicht eher wieder zurücklassen, bis sie unser ganzes Verderben gehörig verabscheuen gelernt haben, und vor aller Ansteckung dadurch völlig gesichert sind.

So viel haben wir über die Erziehung zur Sittlichkeit im allgemeinen hier beizubringen für nöthig erachtet.

Dass die Kinder in gänzlicher Absonderung von den Erwachsenen mit ihren Lehrern und Vorstehern allein zusammenleben sollen, ist mehrmals erinnert. Es versteht sich ohne unser besonderes Bemerken, dass beiden Geschlechtern diese Erziehung auf dieselbe Weise zu Theil werden müsse. Eine Absonderung dieser Geschlechter in besondere Anstalten für Knaben und Mädchen wurde zweckwidrig seyn, und mehrere Hauptstücke der Erziehung zum vollkommenen Menschen aufheben. Die Gegenstände des Unterrichtes sind für beide Geschlechter gleich; der in den Arbeiten stattfindende Unterschied kann, auch bei Gemeinschaftlichkeit der übrigen Erziehung, leicht beobachtet werden. Die kleinere Gesellschaft, in der sie zu Menschen gebildet werden, muss, ebenso wie die grössere, in die sie einst als vollendete Menschen eintreten sollen, aus einer Vereinigung beider Geschlechter bestehen; beide müssen erst gegenseitig in einander die gemeinsame Menschheit anerkennen und lieben lernen, und Freunde haben und Freundinnen, ehe sich ihre Aufmerksamkeit auf den Geschlechtsunterschied richtet, und sie Gatten und Gattinnen werden. Auch muss das Verhältniss der beiden Geschlechter zu einander im Ganzen, starkmüthiger Schutz von der einen, liebevoller Beistand von der anderen Seite, in der Erziehungsanstalt dargestellt, und in den Zöglingen gebildet werden.

Wenn es zur Ausführung unseres Vorschlages kommen sollte, würde das erste Geschäft seyn, ein Gesetz für die innere Verfassung dieser Erziehungsanstalten zu entwerfen. Wenn der von uns aufgestellte Grundbegriff nur gehörig durchdrungen ist, so ist dies eine sehr leichte Arbeit, und wir wollen uns hier dabei nicht aufhalten.

Ein Haupterforderniss dieser neuen Nationalerziehung ist es, dass in ihr Lernen und Arbeiten vereinigt sey, dass die Anstalt durch sich selbst sich zu erhalten den Zöglingen wenigstens scheine, und dass jeder in dem Bewusstseyn erhalten werde, zu diesem Zwecke nach aller seiner Kraft beizutragen. Dies wird, durchaus noch ohne alle Beziehung auf den Zweck der äusseren Ausführbarkeit und der Sparsamkeit hiebei, die man unserem Vorschlage ohne Zweifel anmuthen wird, schon unmittelbar durch die Aufgabe der Erziehung selbst gefordert: theils darum, weil alle, die bloss durch die allgemeine Nationalerziehung hindurchgehen, zu den arbeitenden Ständen bestimmt sind, und zu deren Erziehung die Bildung zum tüchtigen Arbeiter ohne Zweifel gehört; besonders aber darum, weil das gegründete Vertrauen, dass man sich stets durch eigene Kraft werde durch die Welt bringen können, und für seinen Unterhalt keiner fremden Wohlthätigkeit bedürfe, zur persönlichen Selbstständigkeit des Menschen gehört, und die sittliche, weit mehr als man bis jetzt zu glauben scheint, bedingt. Diese Bildung würde einen anderen, bis jetzt auch in der Regel dem blinden Ohngefähr preisgegebenen Theil der Erziehung abgeben, den man die wirthschaftliche Erziehung nennen könnte, und der keinesweges aus der dürftigen und beschränkten Ansicht, über welche einige unter Benennung der Oekonomie spotten, sondern aus dem höheren sittlichen Standpuncte angesehen werden muss. Unsere Zeit stellt es oft als einen über alle Gegenrede erhabenen Grundsatz auf, dass man eben schmeicheln, kriechen, sich zu allem gebrauchen lassen müsse, wenn man leben wolle, und dass es auf keine andere Weise angehe. Sie besinnt sich nicht, dass; wenn man sie auch mit dem heroischen, aber durchaus wahren Gegenspruche verschonen wollte, dass, wenn es so ist, sie eben nicht leben, sondern sterben solle, noch die Bemerkung übrig bleibt, dass sie hätte lernen sollen, mit Ehren leben zu können. Man erkundige sich nur näher nach den Personen, die durch ehrloses Betragen sich auszeichnen; immer wird man finden, dass sie nicht arbeiten gelernt haben, oder die Arbeit scheuen, und dass sie noch überdies üble Wirthschafter sind. Darum soll der Zögling unserer Erziehung an Arbeitsamkeit gewöhnt werden, damit er der Versuchung zur Unrechtlichkeit durch Nahrungssorgen überhoben sey, und tief, und als allererster Grundsatz der Ehre, soll es in sein Gemuth geprägt werden, dass es schändlich sey, seinen Lebensunterhalt einem anderen, denn seiner Arbeit verdanken zu wollen.

Pestalozzi will während des Lernens zugleich allerlei Handarbeiten treiben lassen. Indem wir die Möglichkeit dieser Vereinigung unter der von ihm angegebenen Bedingung, dass das Kind die Handarbeit schon vollkommen fertig könne, nicht läugnen wollen, scheint uns dennoch dieser Vorschlag aus der Dürftigkeit des ersten Zweckes hervorzugehen. Der Unterricht muss, meines Erachtens, als so heilig und ehrwürdig dargestellt werden, dass er der ganzen Aufmerksamkeit und Sammlung bedürfe, und nicht neben einem anderen Geschäfte empfangen werden könne. Sollen in Jahreszeilen, welche die Zöglinge ohnedies ins Zimmer einschliessen, in den Arbeitsstunden dergleichen Arbeiten, als da ist Stricken, Spinnen u. dergl. getrieben werden, so wird es, damit der Geist in Thätigkeit bleibe, sehr zweckmässig seyn, gemeinschaftliche Geistesübungen unter Aufsicht damit zu verknüpfen; dennoch ist jetzt die Arbeit die Hauptsache, und diese Uebungen sind nicht zu betrachten als Unterricht, sondern bloss als ein erheiterndes Spiel.

Alle Arbeiten dieser niederen Art müssen überhaupt nur als Nebensache, keinesweges als die Hauptarbeit vorgestellt werden. Diese Hauptarbeit ist die Ausübung des Acker- und Gartenbaues, der Viehzucht und derjenigen Handwerke, deren sie in ihrem kleinen Staate bedürfen. Es verstellt sich, dass der Antheil hieran, der einem zugemuthet wird, mit der körperlichen Kraft seines Alters in Gleichgewicht zu bringen und die abgehende Kraft durch neu zu erfindende Maschinen und Werkzeuge zu ersetzen ist. Die Hauptrücksicht hiebei ist die, dass sie, so weit möglich, in seinen Gründen verstehen müssen, was sie treiben, dass sie die zu ihren Geschäften nöthigen Kenntnisse von der Erzeugung der Pflanzen, von den Eigenschaften und Bedürfnissen des thierischen Körpers, von den Gesetzen der Mechanik, schon erhalten haben. Auf diese Art wird theils ihre Erziehung schon ein folgegemässer Unterricht über die Gewerbe, die sie künftig zu treiben haben, und es wird der denkende und verständige Landwirth in unmittelbarer Anschauung gebildet, theils wird schon jetzt ihre mechanische Arbeit veredelt und vergeistiget, sie ist in eben dem Grade Beleg in der freien Anschauung dessen, was sie begriffen haben, als sie Arbeit um den Unterhalt ist, und auch in Gesellschaft mit dem Thiere und der Erdscholle bleiben sie dennoch im Umkreise der geistigen Welt, und sinken nicht herab zu den letzteren.

Das Grundgesetz dieses kleinen Wirthschaftsstaates sey dieses, dass in ihm kein Artikel zu Speise, Kleidung u.s.w. noch, so weit dies möglich ist, irgend ein Werkzeug gebraucht werden dürfe, das nicht in ihm selbst erzeugt und verfertigt sey. Bedarf diese Haushaltung einer Unterstützung von aussen, so werden ihr die Gegenstände in Natur, aber keine anderer Art, als die sie auch selbst hat, gereicht, und zwar, ohne dass die Zöglinge erfahren, dass ihre eigene Ausbeute vermehrt worden, oder, dass sie, wo das letztere zweckmässig ist, es nur als Darlehn erhalten, und es zu bestimmter Zeit wieder zurückerstatten. Für diese Selbstständigkeit und Selbstgenügsamkeit des Ganzen arbeite nun jeder Einzelne aus aller seiner Kraft, ohne dass er doch mit demselben abrechne, oder für sich auf irgend ein Eigenthum Anspruch mache. Jeder wisse, dass er sich dem Ganzen ganz schuldig ist, und geniesse nur, oder darbe, wenn es sich so fügt, mit dem Ganzen. Dadurch wird die ehrgemässe Selbstständigkeit des Staates und der Familie, in die er einst treten soll, und das Verhältniss ihrer einzelnen Glieder zu ihnen, der lebendigen Anschauung dargestellt, und wurzelt unaustilgbar ein in sein Gemüth.

Hier, bei dieser Anführung zur mechanischen Arbeit, ist der Ort, wo die in der allgemeinen Nationalerziehung liegende und auf sie gestützte Gelehrtenerziehung von der ersteren sich absondert, und wo von derselben zu sprechen ist. Die in der allgemeinen Nationalerziehung liegende Gelehrtenerziehung, habe ich gesagt. Ob es nicht auch fernerhin jedem, der eigenes Vermögen genug zu haben glaubt, um zu studiren, oder der sich aus irgend einem Grunde zu den bisherigen höheren Ständen rechnet, frei stehen werde, den bisher üblichen Weg der Gelehrtenerziehung zu beschreiten, lasse ich dahingestellt seyn; wie, wenn es nur einmal zur Nationalerziehung kommen sollte, die Mehrheit dieser Gelehrten, ich will nicht sagen, gegen den in der neuen Schule gebildeten Gelehrten, sondern sogar gegen den aus ihr hervorgehenden gemeinen Mann, mit ihrer erkauften Gelehrsamkeit bestehen werde, wird die Erfahrung lehren: ich aber will jetzt nicht davon, sondern von der Gelehrtenerziehung in der neuen Weise reden.

In den Grundsätzen derselben muss auch der künftige Gelehrte durch die allgemeine Nationalerziehung, hindurchgegangen seyn, und den ersten Theil derselben, die Entwickelung der Erkenntniss an Empfindung, Anschauung und dem, was an die letztere geknüpft wird, vollständig und klar erhalten haben. Nur dem Knaben, der eine vorzügliche Gabe zum Lernen, und eine hervorstechende Hinneigung nach der Welt der Begriffe zeigt, kann die neue Nationalerziehung erlauben, diesen Stand zu ergreifen; jedem aber, der diese Eigenschaften zeigt, wird sie es ohne Ausnahme, und ohne Rücksicht auf einen vorgeblichen Unterschied der Geburt, erlauben müssen; denn der Gelehrte ist es keinesweges zu seiner eigenen Bequemlichkeit, und jedes Talent dazu ist ein schätzbares Eigenthum der Nation, das ihr nicht entrissen werden darf.

Der Ungelehrte ist bestimmt, das Menschengeschlecht auf dem Standpuncte der Ausbildung, die es errungen hat, durch sich selbst zu erhalten, der Gelehrte, nach einem klaren Begriffe und mit besonnener Kunst dasselbe weiter zu bringen.

Der letztere muss mit seinem Begriffe der Gegenwart immer voraus seyn, die Zukunft erfassen, und dieselbe in die Gegenwart zu künftiger Entwickelung hineinzupflanzen vermögen. Dazu bedarf es einer klaren Uebersicht des bisherigen Weltzustandes, einer freien Fertigkeit im reinen und von der Erscheinung unabhängigen Denken, und, damit er sich mittheilen könne, des Besitzes der Sprache bis in ihre lebendige und schöpferische Wurzel hinein. Alles dieses erfordert geistige Selbstthätigkeit ohne alle fremde Leitung und einsames Nachdenken, in welchem darum der künftige Gelehrte von der Stunde an, da sein Beruf entschieden ist, geübt werden muss, keinesweges bloss, wie beim Ungelehrten, ein Denken unter dem Auge des stets gegenwärtigen Lehrers; es erfordert eine Menge Hülfskenntnisse, die dem Ungelehrten für seine Bestimmung durchaus unbrauchbar sind. Die Arbeit des Gelehrten und das Tagwerk seines Lebens wird eben jenes einsame Nachdenken seyn; zu dieser Arbeit ist er nun sogleich anzuführen, die andere mechanische Arbeit ihm dagegen zu erlassen. Indess also die Erziehung des künftigen Gelehrten zum Menschen überhaupt mit der allgemeinen Nationalerziehung wie bisher fortginge, und er dem dahin einschlagenden Unterrichte mit allen übrigen beiwohnte, würden ihm nur diejenigen Stunden, die für die anderen Arbeitsstunden sind, gleichfalls zu Lehrstunden gemacht werden müssen in demjenigen, was sein einstiger Beruf eigenthümlich erfordert; und dieses wäre der ganze Unterschied. Die allgemeinen Kenntnisse des Ackerbaues, anderer mechanischen Künste und der Handgriffe dabei, die schon dem blossen Menschen anzumuthen sind, wird er ohne Zweifel schon bei seinem Durchgange durch die erste Klasse gelernt haben, oder diese Kenntnisse wären, falls dies nicht der Fall seyn sollte, nachzuholen. Dass er, weit weniger denn irgend ein anderer, von den eingeführten körperlichen Uebungen losgesprochen werden könne, versteht sich von selbst. Die besonderen Lehrgegenstände aber, die in den gelehrten Unterricht fallen würden, sowie den dabei zu beobachtenden Lehrgang noch anzugeben, liegt ausserhalb des Planes dieser Reden.

 

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*) Ansichten, Erfahrungen und Mittel zur Beförderung einer der Menschennatur angemessenen Erziehungsweise. Leipzig 1807, bei Gräff.