BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Gottlieb Fichte

1762 - 1814

 

Der geschlossene Handelsstaat

 

3. Buch

 

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Achtes Capitel.

 

Eigentlicher Grund des Anstosses,

den man an der vorgetragenen Theorie

nehmen wird.

 

Die Einwürfe, welche man gegen einzelne Theile unserer Theorie machen könnte, habe ich im Verlaufe der Untersuchung zu heben gesucht. Aber bei einem grossen Theile der Menschen fruchtet es nichts, dass man mit ihnen auf Gründe eingehe, indem ihre ganze Denkart nicht nach Gründen, sondern durch den blinden Zufall zu Stande gekommen ist, sie den ihnen dargebotenen Faden in jedem Augenblicke wieder verlieren, vergessen, was sie soeben gewusst und eingesehen haben, und woraus man gegenwärtig folgert, und so immer wieder zu der gewohnten Denkweise zurückgerissen werden. Können diese auch gegen keinen der Theile, aus denen das Ganze besteht, etwas vorbringen, so bleiben sie doch dem Ganzen abgeneigt.

Oft ist es nützlicher, den ihnen selbst verborgenen Grund ihrer Denkart aufzusuchen, und vor ihre Augen zu stellen. Werden auch die schon – gemachten Männer dadurch nicht gebessert, so kann man doch hoffen, dass diejenigen, die noch an sich bilden, und die künftigen Generationen, die Fehler und Irrthümer der vorhergehenden vermeiden werden.

So halte ich folgendes für den wahren Grund, warum die hier aufgestellten Ideen vielen innigst misfallen, und sie es nicht aushalten werden, denjenigen Zustand der Dinge sich zu denken, den diese Ideen beabsichtigen: Es ist ein gegen den Ernst und die Nüchternheit unserer Vorfahren abstechender charakteristischer Zug unseres Zeitalters, dass es spielen, mit der Phantasie umherschwärmen will, und dass es, da nicht viel andere Mittel sich vorfinden, diesen Spieltrieb zu befriedigen, sehr geneigt ist, das Leben in ein Spiel zu verwandeln. Einige Zeitgenossen, die diesen Hang gleichfalls bemerkten, und selbst weder poetische noch philosophische Naturen waren, haben der Poesie und Philosophie die Schuld dieser Erscheinung aufgebürdet, da doch die erstere jenen auf etwas anderes ableitet, und die letztere ihn, inwiefern er auf das Leben gebt, bestreitet. Wir glauben, dass er ein durch die blosse Natur herbeigeführter nothwendiger Schritt auf der fortrückenden Bahn unseres Geschlechtes sey.

Zufolge dieses Hanges will man nichts nach einer Regel, sondern alles durch List und Glück erreichen. Der Erwerb, und aller menschliche Verkehr soll einem Hazardspiele ähnlich seyn. Man könnte diesen Menschen dasselbe, was sie durch Ränke, Bevortheilung anderer, und vom Zufalle erwarten, auf dem geraden Wege anbieten, mit der Bedingung, dass sie sich nun damit für ihr ganzes Leben begnügten, und sie würden es nicht wollen. Sie erfreut mehr die List des Erstrebens, als die Sicherheit des Besitzes. Diese sind es, die unablässig nach Freiheit rufen, nach Freiheit des Handels und Erwerbes, Freiheit von Aufsicht und Polizei, Freiheit von aller Ordnung und Sitte. Ihnen erscheint alles, was strenge Regelmässigkeit und einen festgeordneten, durchaus gleichförmigen Gang der Dinge beabsichtigt, als eine Beeinträchtigung ihrer natürlichen Freiheit. Diesen kann der Gedanke einer Einrichtung des öffentlichen Verkehrs, nach welcher keine schwindelnde Speculation, kein zufälliger Gewinn, keine plötzliche Bereicherung mehr stattfindet, nicht anders als widerlich seyn.

Lediglich aus diesem Hange entsteht jener Leichtsinn, dem es mehr um den Genuss des laufenden Augenblickes, als um die Sicherheit der Zukunft zu thun ist, dessen Hauptmaximen diese sind: es wird sich schon finden, wer weiss, was indessen geschieht, was für ein Glücksfall sich ereignet; dessen Lebensweisheit bei Einzelnen, und Politik bei Staaten in der Kunst besteht, sich nur immer aus der gegenwärtigen Verlegenheit zu helfen, ohne Sorge für die zukünftige, in die man sich durch das Auskunftsmittel stürzt. Diesem Leichtsinne ist die Sicherheit der Zukunft, welche man ihm verspricht, und die er nie begehrte, kein geltender Ersatz für die Ungebundenheit des Augenblickes, welche allein Reiz für ihn hat.

Wie es nicht leicht irgend einer vernunftwidrigen Denkart an einem vernünftig scheinenden Vorwande fehlt! so auch dieser. So hat man an dem ausgebreiteten Welthandelssysteme uns die Vortheile der Bekanntschaft der Nationen unter einander durch Reisen und Handelschaft, und die vielseitige Bildung, die dadurch entstehe, viel angepriesen. Wohl: wenn wir nur erst Völker und Nationen wären; und irgendwo eine feste Nationalbildung vorhanden wäre, die durch den Umgang der Völker mit einander in eine allseitige, rein menschliche übergehen, und zusammenschmelzen könnte. Aber, sowie mir es scheint, sind wir über dem Bestreben, Alles zu seyn, und allenthalben zu Hause, nichts recht und ganz geworden, und befinden uns nirgends zu Hause.

Es giebt nichts, das allen Unterschied der Lage und der Völker rein aufhebe, und bloss und lediglich dem Menschen, als solchem, nicht aber dem Bürger angehöre, ausser der Wissenschaft. Durch diese, aber auch nur durch sie, werden und sollen die Menschen fortdauernd zusammenhängen, nachdem für alles übrige ihre Absonderung in Völker vollendet ist. Nur diese bleibt ihr Gemeinbesitz, nachdem sie alles übrige unter sich getheilt haben. Diesen Zusammenhang wird kein geschlossener Staat aufheben; er wird ihn vielmehr begünstigen, da die Bereicherung der Wissenschaft durch die vereinigte Kraft des Menschengeschlechtes sogar seine abgesonderten irdischen Zwecke befördert. Die Schätze der Literatur des Auslandes werden durch besoldete Akademien eingeführt, und gegen die des Inlandes ausgetauscht werden.

Kein Staat des Erdbodens, nachdem nur erst dieses System allgemein geworden, und der ewige Friede zwischen den Völkern begründet ist, hat das mindeste Interesse einem anderen seine Entdeckungen vorzubehalten; indem ja jeder sie nur innerlich für sich selbst, keinesweges aber zur Unterdrückung anderer, und um sich ein Übergewicht über sie zu verschaffen, gebrauchen kann. Nichts sonach verhindert, dass die Gelehrten und Künstler aller Nationen in die freiste Mittheilung mit einander eintreten. Die öffentlichen Blätter enthalten von nun an nicht mehr Erzählungen von Kriegen und Schlachten, Friedensschlüssen oder Bündnissen; denn dieses alles ist aus der Welt verschwunden. Sie enthalten mir noch Nachrichten von den Fortschritten der Wissenschaft, von neuen Entdeckungen, vom Fortgange der Gesetzgebung, der Polizei; und jeder Staat eilt, die Erfindung des anderen bei sich einheimisch zu machen.