BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Feuerbach

1804 -1872

 

Das Wesen des Christentums

 

Erster Theil

Die Religion in ihrer Uebereinstimmung

mit dem Wesen des Menschen.

 

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Das Geheimniß des leidenden Gottes.

 

Der Glaube an den aus Liebe Mensch gewordnen Gott – und dieser Gott ist der Mittelpunkt der christlichen Religion – ist nichts andres als der Glaube an die Liebe, [61] der Glaube aber an die Liebe der Glaube an die Wahrheit und Gottheit des menschlichen Herzens. Der seiner selbst bewußte, der denkende Mensch erkennt das Herz als Herz, den Verstand als Verstand, beide in der Einheit ihrer Wesenheit und Wirklichkeit, als göttliche, absolute Mächte. Aber die Religion, ihrer sich nicht bewußt, und beruhend auf der Scheidung der Wesenheit von der Wirklichkeit des Wesens des Menschen, als eines andern Wesens, vom wirklichen individuellen Menschen, vergegenständlicht auch das Wesen des Herzens, wie des Verstandes, als ein andres, objectives und zwar persönliches Wesen.

Eine Wesensbestimmung des menschgewordnen oder, was eins ist, des menschlichen Gottes, also Christi, ist die Passion. Die Liebe bewährt sich durch Leiden. Alle Gedanken und Empfindungen, die sich zunächst an Christus anschließen, concentriren sich in dem Begriffe des Leidens. Gott als Gott ist der Inbegriff aller menschlichen Vollkommenheit, Christus der Inbegriff alles menschlichen Elends. Die heidnischen Philosophen feierten die Actuosität, die Spontaneität der Intelligenz als die höchste, als die göttliche Thätigkeit; die Christen heiligten das Leiden, setzten das Leiden selbst in Gott. Wenn Gott als Actus purus der Gott der Philosophie, so ist dagegen Christus, der Gott der Christen, die Passio pura – der höchste metaphysische Gedanke, das être suprême des Herzens. Denn was macht mehr Eindruck auf das Herz als Leiden? und zwar das Leiden des an sich Leidlosen, des über alles Leiden Erhabenen, das Leiden des Unschuldigen, des Sündenreinen, das Leiden lediglich zum Besten Anderer, das freiwillige Leiden, das Leiden der Liebe, der Selbstaufopferung? Aber eben deßwegen weil die Passionsgeschichte die ergreifendste [62] Geschichte für das menschliche Herz oder überhaupt für das Herz ist – denn es wäre ein lächerlicher Wahn des Menschen, sich ein andres Herz als das menschliche vorstellen zu wollen – so folgt daraus aufs unwidersprechlichste, daß in ihr nichts ausgedrückt, nichts vergegenständlicht ist als das Wesen des Herzens, daß sie zwar nicht in dem menschlichen Verstande oder Dichtungsvermögen, aber doch im menschlichen Herzen ihren Ursprung hat. Das Christenthum, seinem bessern Theil nach, gereinigt von den widersprechenden eigenthümlichen Elementen des religiösen Bewußtseins, die erst später in Betracht kommen, ist eine Invention des menschlichen Herzens. Aber das Herz erfindet nicht, wie die freie Phantasie oder Intelligenz; es verhält sich leidend, empfangend; alles, was aus ihm kommt, erscheint ihm als gegeben, tritt gewaltsam auf, wirkt mit der Kraft der dringenden Nothwendigkeit. Das Herz bewältigt, bemeistert den Menschen; wer einmal von ihm ergriffen, ist von ihm als seinem Dämon, seinem Gotte ergriffen. Das Herz kennt keinen andern Gott, kein trefflicheres Wesen als sich, als einen Gott, dessen Name zwar ein besonderer, ein andrer sein mag, dessen Wesen, dessen Substanz aber das eigne Wesen des Herzens ist. Und aus dem Herzen, aus dem innern Drange, Gutes zu thun, für die Menschen zu leben und sterben, aus dem göttlichen Triebe der Wohlthätigkeit, die Alle beglücken will, die Keinen, auch den Verworfensten, den Niedrigsten nicht, von sich ausschließt, aus der sittlichen Pflicht der Wohlthätigkeit im höchsten Sinne, wie sie zu einer innern Nothwendigkeit, d. i. zum Herzen geworden, aus dem menschlichen Wesen also, wie es sich als Herz und durch das Herz offenbart, ist die Pars melior, der bessere Theil des Christenthums entsprungen. [63]

Was nämlich die Religion zum Prädicat macht, Das dürfen wir nur immer zum Subject, und, was sie zum Subject, zum Prädicat machen, also die Orakelsprüche der Religion umkehren, als contre-véritez auffassen, so haben wir das Wahre. Gott leidet – Leiden ist Prädicat – aber für die Menschen, für Andere, nicht für sich. Was heißt das auf Deutsch? nichts andres als: Leiden für Andere ist göttlich  1); wer für Andere leidet, seine Seele läßt, handelt göttlich, ist den Menschen Gott. Aber leidende, sich selbst aufopfernde Liebe ist das höchste Wesen des Herzens. Christus also das sich selbst gegenständliche Herz – der Eindruck und Inhalt seiner Leidensgeschichte ein rein menschlicher. Denn daß Christus zugleich Gott war, Gott im Sinne der Religion oder Dogmatik, ist eine vage, nichtige, phantastische Vorstellung. Der positive, reale Eindruck auf Kopf und Herz, der Eindruck, der allein den objectiven Inhalt in seiner Wahrheit ausdrückt, ist: daß er freiwillig litt, daß er nicht zu leiden brauchte, wenn er nicht hätte leiden wollen, daß er litt unverschuldet, daß er litt für Andere, litt aus freier Liebe. Aber solches Leiden geht wohl über den gemeinen, aber nicht über den Menschen an sich, über den wahren Menschen. Denke ich dagegen zugleich mit diesem menschlichen Leiden den supranaturalistischen religiösen oder dogmatischen Inhalt, den leidenden [64] Christus zugleich als Gott, so geht alle Wahrheit verloren, so litt er, so zu sagen, nur auf der einen Seite, auf der andern aber nicht – denn was war für ihn als Gott, als den seiner Gottheit, seiner Ewigkeit und himmlischen Seligkeit Bewußten sein Leiden? – so war sein Leiden nur ein Leiden für ihn als Menschen, nicht als Gott, nur ein scheinbares, kein wahres Leiden – kurz eine bloße Komödie.

Das Leiden Christi repräsentirt jedoch nicht nur das sittliche Leiden, das Leiden der Liebe, der Kraft, sich selbst zum Wohle Anderer aufzuopfern: es repräsentirt auch das Leiden als solches, das Leiden inwiefern es ein Ausdruck der Passibilität überhaupt ist. Die christliche Religion ist so wenig eine übermenschliche, daß sie selbst die menschliche Schwachheit sanctionirt. Wenn der heidnische Philosoph selbst bei der Nachricht von dem Tode des eignen Kindes die Worte ausruft: Ich wußte, daß ich einen Sterblichen gezeugt; so vergießet dagegen Christus Thränen über den Tod des Lazarus – einen Tod, der doch in Wahrheit nur ein Scheintod war. Wenn Sokrates mit unbewegter Seele den Giftbecher leert, so ruft dagegen Christus aus: „wenn es möglich, so gehe dieser Kelch von mir.“ 2) Christus ist in dieser Beziehung das Selbstbekenntniß der menschlichen Sensibilität. Der Christ hat, ganz im Gegensatz gegen das heidnische, namentlich stoische Princip mit seiner rigorosen Willensenergie und Selbstständigkeit, das Bewußtsein [65] der eignen Reizbarkeit und Empfindlichkeit in das Bewußtsein Gottes aufgenommen; in Gott findet er sie, wenn sie nur keine sündliche Schwachheit, nicht negirt, nicht verdammt  3).

Leiden ist das höchste Gebot des Christenthums – die Geschichte des Christenthums selbst die Leidensgeschichte der Menschheit. Wenn bei den Heiden das Jauchzen der sinnlichen Lust sich in den Cultus der Götter mischte, so gehören bei den Christen, natürlich den alten Christen, die Seufzer und Thränen des leidenden Herzens, des Gemüths zum Gottesdienst. Wie aber ein sinnlicher Gott, ein Gott des Lebens, der Lebensfreude da verehrt wird, wo sinnliches Freudengeschrei zu seinem Cultus gehört, ja wie dieses Freudengeschrei nur eine sinnliche Definition ist von dem Wesen der Götter, denen dieses Geschrei gilt: so sind auch die Herzensseufzer der Christen Töne, die aus der innersten Seele, dem innersten Wesen ihres Gottes kommen. Der Gott des Gottesdienstes, bei den Christen des innern Gottesdienstes, nicht der Gott der sophistischen Theologie ist der wahre Gott des Menschen. Aber mit Thränen, den Thränen der Reue und Sehnsucht, glaubten die Christen, natürlich die alten Christen, ihrem Gott die höchste Ehre anzuthun. Die Thränen sind also die sinnlichen Glanzpunkte des christlich religiösen Gemüths, in denen sich das Wesen ihres Gottes abspiegelt. Aber ein Gott, der an Thränen Gefallen hat, ist nichts andres als das gegenständliche Wesen des leidenden Herzens – des Gemüths. Zwar heißt es in der christlichen Religion: [66] Christus hat Alles für uns gethan, hat uns erlöst, versöhnt mit Gott; und es ließe sich daher hieraus der Schluß ziehen: Lasset uns fröhlichen Sinnes sein, was brauchen wir uns darüber zu kümmern, wie wir uns mit Gott versöhnen sollen; wir sind es ja schon. Aber das Imperfectum des Leidens macht einen stärkern, anhaltendern Eindruck, als das Perfectum der Erlösung. Die Erlösung ist nur das Resultat des Leidens; das Leiden der Grund, die Quelle der Erlösung. Das Leiden befestigt sich daher tiefer im Gemüthe; das Leiden macht sich zu einem Gegenstande der Nachahmung, die Erlösung nicht. Wenn Gott selber litt um meinetwillen, wie soll ich fröhlich sein, wie mir eine Freude gönnen, wenigstens auf dieser verdorbnen Erde, die der Schauplatz seiner Leiden war  4)? Soll ich besser sein als Gott? soll ich also sein Leiden mir nicht aneignen? Ist was Gott, mein Herr thut, nicht mein Vorbild? Oder soll ich nur den Gewinn, nicht auch die Kosten tragen? Weiß ich nur, daß er mich versöhnt, erlöst hat? Ist mir seine Leidensgeschichte nicht auch Gegenstand? Soll sie mir nur ein Gegenstand kalter Erinnerung sein oder gar ein Gegenstand der Freude, weil dieses Leiden mir die Seligkeit erkauft? Aber wer kann so denken, wer sich ausschließen wollen von den Leiden seines Gottes, außer der verworfenste religiöse Egoismus?

Die christliche Religion ist die Religion des Leidens. Die Bilder des Gekreuzigten, die uns heute noch in allen Kirchen begegnen, stellen uns keinen Erlöser, sondern nur den Gekreuzigten, den Leidenden dar. Selber die Selbstkreuzigungen unter [67] den Christen sind psychologisch tief begründete Folgen ihrer religiösen Anschauung. Wie sollte dem nicht die Lust kommen, sich selbst oder Andere zu kreuzigen, der stets das Bild eines Gekreuzigten im Sinne hat? Wenigstens sind wir zu diesem Schlusse eben so gut berechtigt, als Augustin und andere Kirchenväter zu dem Vorwurf gegen die heidnische Religion, daß die unzüchtigen religiösen Bilder die Heiden zur Unzucht aufforderten.

Aber so sehr dem objectiven Gemüthe, dem Herzen des natürlichen oder selbstbewußten Menschen das Leiden widerspricht, weil in ihm der Trieb zur Selbstthätigkeit, zur Kraftäußerung der vorherrschende ist: so sehr entspricht dem subjectiven, nur einwärts gekehrten, weltscheuen, nur auf sich concentrirten Herzen, d. i. dem Gemüthe das Leiden. Leiden ist eine Selbstnegation, aber eine selbst subjective, dem Gemüthe wohlthätige – auch ganz abgesehen davon, daß das christliche Leiden, selbst das Leiden des Märtyrerthums identisch ist mit der Hoffnung der himmlischen Seligkeit  5) – die Anschauung eines leidenden Gottes daher die höchste Selbstbejahung, die höchste Wollust des leidenden Herzens.

Gott leidet, heißt aber nichts andres als: Gott ist ein Herz. Das Herz ist die Quelle, der Inbegriff aller Leiden. Ein Wesen ohne Leiden ist ein Wesen ohne Herz. Im Verstande sind wir selbstthätig; im Herzen leiden, d. i. empfinden wir. Das Geheimniß des leidenden Gottes ist [68] daher das Geheimniß der Empfindung. Ein leidender Gott ist ein empfindender, empfindsamer Gott 6). Aber was der Religion nur Prädicat, das ist in Wahrheit das Subject, die Sache selbst, das Wesen. Der Satz: Gott ist ein empfindendes Wesen, ist nur die religiöse Periphrase des Satzes: die Empfindung ist absoluten, göttlichen Wesens. Die Religion ist nichts andres als das vergegenständlichte Selbstbewußtsein des Menschen – so verschieden daher, als verschieden das Selbstbewußtsein des Menschen, d. h. der Gegenstand, dessen der Mensch sich als seines höchsten Wesens bewußt ist. Der Mensch hat aber nicht nur das Bewußtsein einer Thätigkeitsquelle, sondern auch Leidensquelle in sich. Ich empfinde; und empfinde die Empfindung, nicht blos das Wollen, nicht blos das Denken, welches nur zu oft im Gegensatze mir mir und meinen Empfindungen ist, als zu meinem Wesen gehörig, und obwohl als die Quelle aller Leiden und Schmerzen, doch zugleich als eine herrliche, göttliche Macht und Vollkommenheit. Was wäre der Mensch ohne Empfindung? Sie ist die musikalische Macht im Menschen. Aber was wäre der Mensch ohne den Ton? So gut der Mensch einen musikalischen Trieb, eine innere Nöthigung in sich fühlt, im Tone, im Liede seine Empfindungen auszuhauchen, so nothwendig strömt er in religiösen Seufzern und Thränen das Wesen der Empfindung als gegenständliches göttliches Wesen aus.

Die Religion ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst. Was ist, hat [69] nothwendig einen Gefallen an sich. Weil es ist, ist es vortrefflich. Sein ist ein Glück, ein Vorzug. Was ist, liebt sich. Tadelst Du, daß es sich liebt, so machst Du ihm den Vorwurf, daß es ist. Sein heißt Sich bejahen, Sich lieben. Wer des Lebens überdrüssig, nimmt sich das Leben. Wo die Empfindung daher nicht zurückgesetzt oder unterdrückt wird, wie bei den Stoikern, wo ihr Sein gegönnt wird, da ist ihr auch schon religiöse Macht und Bedeutung eingeräumt, da ist sie auch schon auf die Stufe erhoben, auf welcher sie sich in sich spiegeln und reflectiren, in Gott in ihren eignen Spiegel blicken kann. Gott ist der Spiegel des Menschen.

Was für den Menschen wesentlichen Werth hat, was ihm für das Vollkommne, das Treffliche gilt, woran er wahres Gefallen hat, das allein ist ihm Gott. Wem die Empfindung für eine herrliche Eigenschaft, für eine Realität gilt, dem gilt sie eben damit für eine göttliche Eigenschaft, eine göttliche Essenz. Der empfindende, gefühlvolle Mensch glaubt an einen empfindenden, gefühlvollen Gott, glaubt nur an die Wahrheit seines eignen Seins und Wesens, denn er kann nichts andres glauben, als was er selbst in seinem Wesen ist. Sein Glaube ist das Bewußtsein dessen, was ihm heilig ist. Aber heilig ist dem Menschen nur, was sein Innerstes, sein Eigenstes, der letzte Grund, das Wesen seiner Individualität ist. Dem empfindungsvollen Menschen ist ein empfindungsloser Gott ein leerer, todter, abstracter, negativer Gott, weil ihm das fehlt, was dem Menschen werth und heilig ist, und weil nur der Gott den Menschen befriedigt, welcher des Menschen eignes Wesen enthält und ausdrückt. Gott ist dem Menschen das Collectaneenbuch seiner höchsten Gedanken und Empfindungen, das Stammbuch, [70] in welches er die Namen der ihm theuersten, heiligsten Wesen einträgt.

Es ist ein Zeichen einer haushälterischen Gemüthlichkeit, ein weiblicher Trieb, zu sammeln und das Gesammelte zusammen zu halten, nicht den Wogen der Vergeßlichkeit, dem Zufall der Erinnerung, überhaupt nicht sich selbst zu überlassen und anzuvertrauen, was man Werthes hat kennen lernen. Der Freigeist ist der Gefahr eines dissoluten Lebens ausgesetzt, der Religiöse, weil er Alles in Eins zusammenfaßt, ist der Gefahr, sich im sinnlichen Leben zu verlieren, entnommen, aber dafür der Gefahr der Illiberalität, der geistlichen Selbst- und Gewinnsucht ausgesetzt. Der Ir- oder wenigstens Nichtreligiöse erscheint daher auch, wenigstens dem Religiösen, als der Menschliches Vergötternde, als der Subjective, Eigenmächtige, Hochmüthige, nicht deßwegen, weil ihm nicht auch an sich heilig wäre, was dem Religiösen heilig ist, sondern nur, weil Das, was der Nicht-religiöse nur in seinem Kopfe behält, der Religiöse außer sich als Object sich gegenüber und zugleich über sich setzt, daher das Verhältniß der Subordination, der Subjection in sich aufnimmt. Kurz der Religiöse hat, weil ein Collectaneenbuch, einen Sammelpunkt, einen Zweck. Ohne Religion erscheint den Menschen das Leben als ein zweckloses. In der That setzten auch alle tüchtigen Menschen sich einen höchsten Zweck. Das Geheimniß eines im höhern Sinne sittlichen Lebens beruht auf dieser Teleologie. Nicht der Wille als solcher, nicht das vage Wissen, nur der Zweck, in dem sich die theoretische Thätigkeit mit der praktischen verbindet, gibt dem Menschen einen sittlichen Grund und Halt, d. h. Charakter. Der gewöhnliche Mensch verliert sich ohne Religion (im gewöhnlichen, aber weltgültigen Sinne), es fehlt ihm der [71] Punkt der Sammlung, des Zusammenhalts. Jeder Mensch muß sich daher einen Gott d. h. einen Endzweck setzen. Der Endzweck ist der bewußte und gewollte wesentliche Lebenstrieb, der Genieblick, der Lichtpunkt der Selbsterkenntniß – die Einheit von Natur und Geist im individuellen Menschen. Wer einen Endzweck, hat ein Gesetz über sich: er leitet sich nicht selbst nur; er wird geleitet. Wer keinen Endzweck, hat keine Heimath, kein Heiligthum. Größtes Unglück ist Zwecklosigkeit. Selbst wer sich gemeine Zwecke setzt, kommt besser durch, auch wenn er nicht besser ist, als wer keinen Zweck sich setzt. Der Zweck beschränkt; aber die Schranke ist der Tugend Meisterin. Wer einen Zweck hat, einen Zweck, der an sich wahr und wesenhaft ist, der hat darum eo ipso Religion – wenn auch nicht im Sinne der gewöhnlichen, der herrschenden Religion, aber doch im Sinne der Vernunft, der Wahrheit, der universellen Liebe, der allein wahren Liebe.

 

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1) Die Religion spricht durch Exempel. Das Exempel ist das Gesetz der Religion. Was Christus gethan, ist Gesetz. Christus hat gelitten für Andere, also sollen wir dasselbe thun..... Quae necessitas fuit ut sic exinaniret se, sic humiliaret se, sie abbreviaret se Dominus majestatis, nisi ut vos similiter faciatis? (Bernardus in Die nat. Domini.) Aber diese Wahrheit negirt die Eifersucht der Religion auf den Menschen, auf die Moral dadurch wieder, daß sie das Handeln und Leiden für Andere, für die Menschen nur zu einem Handeln und Leiden für Christus, für Gott und seine Ehre macht. Doch davon erst später. 

2) Haerent plerique hoc loco.... Ego autem non solum excusandum non puto, sed etiam nusquam magis pietatem ejus majestatemque demiror. Minus enim contulerat mihi, nisi meum suscepisset affectum. Ergo pro me doluit, qui pro se nihil habuit, quod doleret.... Suscepit enim tristitiam meam, ut mihi suam laetitiam largiretur.... Non me fefellit, ut aliud esset et aliud videretur. Tristis videbatur ettristis erat. Ambrosius. (Exposit. in Lucae Evangel. l. X. c. 22.) 

3) Quando enim illi (Deo) appropinquare auderemus in sua impassibilitate manenti. Bernardus (Tract. de XII grad. hum. et sup.) 

4) Deus meus pendet in patibulo et ego voluptati operam dabo? (Formula hon. vitae. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) 

5) S. z. B. I. Petri 4, 1. 13. Römer 8, 17. 18. II. Korinth. 4, 10. 17. Abstine ... ab omnibus seculi delectationibus, ut post hanc vitam in coelo laetari possis cum angelis. (de modo bene viv. Serm. 23. Unter den unächten Schriften des heil. Bernhard.) 

6) Pati voluit, sagt der „letzte Kirchenvater“ der katholische Luther, der heil. Bernhard (in der cit. Schrift de grad.) pati voluit, ut compati sciret, miser fieri, ut misereri disceret (Hebrae. 5, 15.)