BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Aus dem Leben eines Taugenichts,

Das Marmorbild,

Lieder und Romanzen

 

Gedichte. Erste Abteilung

 

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[201]

 

An die Freunde.

 

Der Jugend Glanz, der Sehnsucht irre Weisen,

Die tausend Ströme durch das duft'ge Land,

Es zieht uns All' zu seinen Zauberkreisen. –

Wem Gottesdienst in tiefster Brust entbrannt,

Der sieht mit Wehmuth ein unendlich Reisen

Zu ferner Heimath, die er fromm erkannt;

Und was sich spielend wob als ird'sche Blume,

Wölbt still den Kelch zum ernsten Heiligthume.

 

So schauet denn das buntbewegte Leben

Ringsum von meines Gartens heitrer Zinn',

Daß hoch die Bilder, die noch dämmernd schweben –

Wo Morgenglanz geblendet meinen Sinn –

An Eurem Blick erwachsen und sich heben.

Verwüstend rauscht die Zeit darüber hin;

In Euren treuen Herzen neu geboren,

Sind sie im wilden Strome unverloren.

 

__________

 

[202]

Frische Fahrt.

 

Laue Luft kommt blau geflossen,

Frühling, Frühling soll es seyn!

Waldwärts Hörnerklang geschossen,

Muth'ger Augen lichter Schein;

Und das Wirren bunt und bunter

Wird ein magisch wilder Fluß,

In die schöne Welt hinunter

Lockt dich dieses Stromes Gruß.

 

Und ich mag mich nicht bewahren!

Weit von Euch treibt mich der Wind,

Auf dem Strome will ich fahren,

Von dem Glanze seelig blind!

Tausend Stimmen lockend schlagen,

Hoch Aurora flammend weht,

Fahre zu! ich mag nicht fragen,

Wo die Fahrt zu Ende geht!

 

__________

 

Die Lerche.

 

Ich kann hier nicht singen,

Aus dieser Mauern dunklen Ringen

Muß ich mich schwingen

Vor Lust und tiefem Weh.

[203]

O Freude, in klarer Höh

Zu sinken und sich zu heben,

In Gesang

Ueber die grüne Erde dahinzuschweben,

Wie unten die licht' und dunkeln Streifen

Wechselnd im Fluge vorüberschweifen,

Aus der Tiefe ein Wirren und Rauschen und Hämmern,

Die Erde aufschimmernd im Frühlingsdämmern,

Wie ist die Welt so voller Klang!

Herz, was bist Du bang?

Mußt aufwärts dringen!

Die Sonne tritt hervor,

Wie glänzen mir Brust und Schwingen,

Wie still und weit ist's droben am Himmelsthor!

 

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Der zufriedene Musikant.

 

I.

Wandern lieb' ich für mein Leben,

Lebe eben wie ich kann,

Wollt' ich mir auch Mühe geben,

Paßt' es mir doch gar nicht an.

 

Schöne alte Lieder weiß ich,

In der Kälte, ohne Schuh'

Draußen in die Saiten reiß' ich,

Weiß nicht, wo ich Abend's ruh'.

 

[204]

Manche Schöne macht wohl Augen,

Meinet, ich gefiel' ihr sehr,

Wenn ich nur was wollte taugen,

So ein armer Lump nicht wär'. –

 

Mag dir Gott ein'n Mann bescheeren

Wohl mit Haus und Hof versehn!

Wenn wir zwei zusammen wären,

Möcht' mein Singen mir vergehn.

 

II.

Wenn die Sonne lieblich schiene

Wie in Wälschland, lau und blau,

Ging' ich mit der Mandoline

Durch die überglänzte Au.

 

In der Nacht dann Liebchen lauschte

An dem Fenster süß verwacht,

Wünschte mir und ihr – uns Beiden,

Heimlich eine schöne Nacht.

 

Wenn die Sonne lieblich schiene

Wie in Welschland lau und blau,

Ging' ich mit der Mandoline

Durch die überglänzte Au.

 

[205]

III.

Ist auch schmuck nicht mein Rößlein,

So ist's doch recht klug,

Trägt im Finstern zu 'nem Schlößlein

Mich rasch noch genug.

 

Ist das Schloß auch nicht prächtig:

Zum Garten aus der Thür

Tritt ein Mädchen doch allnächtig

Dort freundlich herfür.

 

Und ist auch die Kleine

Nicht die Schönst' auf der Welt,

So giebt's doch just Keine,

Die mir besser gefällt.

 

Und spricht sie vom Freien:

So schwing' ich mich auf mein Roß –

Ich bleibe im Freien,

Und sie auf dem Schloß.

 

IV.

Mürrisch sitzen sie und maulen

Auf den Bänken stumm und breit,

Gähnend strecken sich die Faulen,

Und die Kecken suchen Streit.

 

[206]

Da komm' ich durch's Dorf geschritten,

Fernher durch den Abend kühl,

Stell' mich in des Kreises Mitten,

Grüß' und zieh' mein Geigenspiel.

 

Und wie ich den Bogen schwenke,

Ziehn die Klänge in der Rund'

Allen recht durch die Gelenke

Bis zum tiefsten Herzensgrund.

 

Und nun geht's ans Gläserklingen,

An ein Walzen um und um,

Je mehr ich streich', je mehr sie springen

Keiner fragt erst lang: warum? –

 

Jeder will dem Geiger reichen

Nun sein Scherflein auf die Hand –

Da vergeht ihm gleich sein Streichen,

Und fort ist der Musikant.

 

Und sie seh'n ihn fröhlich steigen

Nach den Waldeshöh'n hinaus,

Hören ihn von fern noch geigen,

Und gehn All' vergnügt nach Haus.

 

Doch in Waldes grünen Hallen

Rast' ich dann noch manche Stund',

Nur die fernen Nachtigallen

Schlagen tief aus nächt'gem Grund.

 

[207]

Und es rauscht die Nacht so leise

Durch die Waldeseinsamkeit,

Und ich sinn' auf neue Weise,

Die der Menschen Herz erfreut.

 

__________

 

Reise=Lied.

 

Durch Feld und Buchenhallen

Bald singend, bald fröhlich still,

Recht lustig sey vor allen

Wer's Reisen wählen will!

 

Wenn's kaum im Osten glühte,

Die Welt noch still und weit:

Da weht recht durch's Gemüthe

Die schöne Blüthenzeit!

 

Die Lerch' als Morgenbote

Sich in die Lüfte schwingt,

Eine frische Reisenote

Durch Wald und Herz erklingt.

 

O Lust, vom Berg zu schauen

Weit über Wald und Strom,

Hoch über sich den blauen

Tiefklaren Himmelsdom!

 

[208]

Vom Berge Vöglein fliegen

Und Wolken so geschwind,

Gedanken überfliegen

Die Vögel und den Wind.

 

Die Wolken zieh'n hernieder,

Das Vöglein senkt sich gleich,

Gedanken gehn und Lieder

Fort bis in's Himmelreich.

 

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In die Höh'!

(Tafellied.)

 

Viel Essen macht viel breiter

Und hilft zum Himmel nicht,

Es kracht die Himmelsleiter,

Kommt so ein schwerer Wicht.

Das Trinken ist gescheidter,

Das schmeckt schon nach Idee,

Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Da braucht man keine Leiter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

[209]

Viel Reden ist manierlich:

„Wohlauf? – Ein wenig flau. –

Das Wetter ist spazierlich –

Was macht die liebe Frau? –

Ich danke“ – und so weiter,

Und breiter als ein See –

Das singen ist gescheidter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Das Singen ist gescheidter,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Die Fisch' und Musikanten

Die trinken beide frisch,

Die Wein, die andern Wasser –

Drum hat der dumme Fisch

Statt Flügel Flederwische

Und liegt elend im See –

Doch wir sind keine Fische,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Chor.

Doch wir sind keine Fische,

Das geht gleich in die Höh'.

 

Ja, Trinken frisch und Singen

Das bricht durch alles Weh,

Das sind zwei gute Schwingen,

Gemeine Welt, ade!

[210]

Du Erd' mit deinem Plunder,

Ihr Fische sammt der See,

'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Höh'!

 

Chor.

'S geht alles, alles unter,

Wir aber in die Höh'!

 

__________

 

Frühlingsfahrt.

 

Es zogen zwei rüst'ge Gesellen

Zum ersten Mal von Haus,

So jubelnd recht in die hellen,

Klingenden, singenden Wellen

Des vollen Frühlings hinaus.

 

Die strebten nach hohen Dingen,

Die wollten, trotz Lust und Schmerz,

Was Rechts in der Welt vollbringen,

Und wem sie vorüber gingen,

Dem lachten Sinnen und Herz. –

 

Der Erste, der fand ein Liebchen,

Die Schwieger kauft' Hof und Haus;

Der wiegte gar bald ein Bübchen,

Und sah aus heimlichem Stübchen

Behaglich in's Feld hinaus.

 

[211]

Dem Zweiten sangen und logen

Die tausend Stimmen im Grund,

Verlockend' Syrenen, und zogen

Ihn in der buhlenden Wogen

Farbig klingenden Schlund.

 

Und wie er auftaucht' vom Schlunde,

Da war er müde und alt,

Sein Schifflein das lag im Grunde,

So still war's rings in die Runde

Und über die Wasser weht's kalt.

 

Es singen und klingen die Wellen

Des Frühlings wohl über mir;

Und seh' ich so kecke Gesellen,

Die Thränen im Auge mir schwellen –

Ach Gott, führ' uns liebreich zu Dir!

 

__________

 

An eine junge Tänzerin.

 

Castagnetten lustig schwingen

Seh' ich Dich, Du zierlich Kind!

Mit der Locken schwarzen Ringen

Spielt der sommerlaue Wind.

Künstlich regst Du schöne Glieder,

Glühendwild

Zärtlichmild

Tauchest in Musik Du nieder

Und die Woge hebt Dich wieder.

 

[212]

Warum sind so blaß die Wangen,

Dunkelfeucht der Augen Glanz,

Und ein heimliches Verlangen

Schimmert glühend durch den Tanz?

Schalkhaft lockend schaust Du nieder,

Liebesnacht

Süß erwacht,

Wollüstig erklingen Lieder –

Schlag nicht so die Augen nieder!

 

Wecke nicht die Zauberlieder

In der dunklen Tiefe Schoos,

Selbst verzaubert sinkst Du nieder,

Und sie lassen Dich nicht los.

Tödtlich schlingt sich um die Glieder

Sündlich Glüh'n,

Und verblühn

Müssen Schönheit, Tanz und Lieder,

Ach, ich kenne Dich nicht wieder!

 

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Die Fröhliche.

 

Zwischen Bergen, liebe Mutter,

Weit den Wald entlang,

Reiten da drei junge Jäger

Auf drei Rößlein blank,

lieb Mutter,

Auf drei Rößlein blank.

 

[213]

Ihr könnt fröhlich seyn, lieb' Mutter

Wird es draußen still:

Kommt der Vater heim vom Walde,

Küßt Euch, wie er will,

lieb Mutter,

Küßt Euch, wie er will.

 

Und ich werfe mich im Bettchen

Nachts ohn' Unterlaß,

Kehr' mich links und kehr' mich rechts hin,

Nirgends hab' ich was,

lieb' Mutter,

Nirgends hab' ich was.

 

Bin ich eine Frau erst einmal,

In der Nacht dann still

Wend' ich mich nach allen Seiten,

Küß', so viel ich will,

lieb Mutter,

Küß', so viel ich will.

 

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Ständchen.

 

Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden

Nun so still und seltsam wird!

Oben gehn die goldnen Heerden,

Für uns alle wacht der Hirt.

 

[214]

In der Ferne ziehn Gewitter;

Einsam auf dem Schifflein schwank,

Greiff' ich draußen in die Zitter,

Weil mir gar so schwül und bang.

 

Schlingend sich an Bäum' und Zweigen,

In Dein stilles Kämmerlein,

Wie auf goldnen Leitern, steigen

Diese Töne aus und ein.

 

Und ein wunderschöner Knabe

Schifft hoch über Thal und Kluft,

Rührt mit seinem goldnen Stabe

Säuselnd in der lauen Luft.

 

Und in wunderbaren Weisen

Singt er ein uraltes Lied,

Das in linden Zauberkreisen

Hinter seinem Schifflein zieht.

 

Ach, den süßen Klang verführet

Weit der buhlerische Wind,

Und durch Schloß und Wand ihn spüret

Träumend jedes schöne Kind.

 

__________

 

Morgengruß.

 

Stand ein Mädchen an dem Fenster,

Da es draußen Morgen war,

Kämmte sich die langen Haare,

Wusch sich ihre Aeuglein klar.

 

[215]

Sangen Vöglein aller Arten,

Sonnenschein spielt' vor dem Haus,

Draußen über'm schönen Garten

Flogen Wolken weit hinaus.

 

Und sie dehnt' sich in den Morgen

Als ob sie noch schläfrig sey,

Ach, sie war so voller Sorgen,

Flocht ihr Haar und sang dabei:

 

Wie ein Vöglein hell und reine,

Ziehet draußen muntre Lieb',

Lockt hinaus zum Sonnenscheine,

Ach wer da zu Hause blieb'!

 

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Die Stille.

 

Es weiß und räth es doch Keiner,

Wie mir so wohl ist, so wohl!

Ach, wüßt' es nur Einer, nur Einer,

Kein Mensch es sonst wissen soll!

 

So still ist's nicht draußen im Schnee,

So stumm und verschwiegen sind

Die Sterne nicht in der Höhe,

Als meine Gedanken sind.

 

Ich wünscht', es wäre schon Morgen,

Da fliegen zwei Lerchen auf,

Die überfliegen einander,

Mein Herze folgt ihrem Lauf.

 

[216]

Ich wünscht', ich wäre ein Vöglein

Und zöge über das Meer,

Wohl über das Meer und weiter,

Bis daß ich im Himmel wär'!

 

__________

 

Leid und Lust.

 

Euch Wolken beneid' ich

In blauer Luft,

Wie schwing't Ihr Euch freudig

Ueber Berg und Kluft!

 

Mein Liebchen wohl seht Ihr

Im Garten gehn,

Am Springbrunnen steht sie

So morgenschön.

 

Und wäscht an der Quelle

Ihr goldenes Haar,

Die Aeugelein helle,

Und blickt so klar.

 

Und Busen und Wangen

Dürft' Ihr da sehn. –

Ich brenn' vor Verlangen,

Und muß hier stehn!

__________

 

[217]

Euch Wolken bedau'r ich

Bei stiller Nacht;

Die Erde bebt schaurig,

Der Mond erwacht:

 

Da führt mich ein Bübchen

Mit Flügelein fein,

Durch's Dunkel zum Liebchen,

Sie läßt mich ein.

 

Wohl schau't Ihr die Sterne

Weit, ohne Zahl,

Doch bleiben sie ferne

Euch allzumal.

 

Mir leuchten zwei Sterne

Mit süßem Strahl,

Die küß' ich so gerne

Viel tausendmal.

 

Euch grüßt mit Gefunkel

Der Wasserfall,

Und tief aus dem Dunkel

Die Nachtigall.

 

Doch süßer es grüßet

Als Wellentanz,

Wenn Liebchen hold flüstert:

„Dein bin ich ganz.“

 

[218]

So seegelt denn traurig

In öder Pracht!

Euch Wolken, bedau'r ich

Bei süßer Nacht.

 

__________

 

Liedchen.

 

Wie jauchzt meine Seele

Und singet in sich!

Kaum, daß ich's verhehle

So glücklich bin ich.

 

Rings Menschen sich drehen

Und sprechen gescheut,

Ich kann nichts verstehen,

So fröhlich zerstreut. –

 

Zu eng wird das Zimmer,

Wie glänzet das Feld,

Die Thäler voll Schimmer,

Weit herrlich die Welt!

 

Gepreßt bricht die Freude

Durch Riegel und Schloß,

Fort über die Haide!

Ach, hätt' ich ein Roß! –

 

Und frag' ich und sinn' ich,

Wie so mir geschehn?: –

Mein Liebchen herzinnig,

Das soll ich heut sehn!

 

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[219]

Erwartung.

 

O schöne, bunte Vögel

Wie singt ihr gar so hell!

O Wolken, luft'ge Seegel,

Wohin so schnell, so schnell?

 

Ihr alle, ach, gemeinsam

Flieg't zu der Liebsten hin,

Sag't Ihr, wie ich hier einsam

Und voller Sorgen bin.

 

Im Walde steh' und laur' ich,

Verhallt ist jeder Laut,

Die Wipfel nur weh'n schaurig,

O komm, Du süße Braut!

 

Schon sinkt die dunkelfeuchte

Nacht rings auf Wald und Feld,

Des Mondes hohe Leuchte

Tritt in die stille Welt.

 

Wie schauert nun im Grunde

Der tiefsten Seele mich!

Wie öde ist die Runde

Und einsam ohne Dich!

 

Was rauscht? – Sie naht von ferne! –

Nun, Wald, rausch' von den Höh'n,

Nun laß' Mond, Nacht und Sterne

Nur auf und untergehn!

 

__________

 

[220]

Abschied und Wiedersehn.

 

I.

In süßen Spielen unter nun gegangen

Sind Liebchens Augen, und sie athmet linde,

Stillauschend sitz' ich bei dem holden Kinde,

Die Locken streichelnd ihr von Stirn und Wangen.

 

Ach! Lust und Mond und Sterne sind vergangen,

Am Fenster mahnen schon die Morgenwinde:

Daß ich vom Nacken leis die Arme winde,

Die noch im Schlummer lieblich mich umfangen.

 

O öffne nicht der Augen süße Strahle!

Nur Einen Kuß noch – und zum Letztenmale

Geh' ich von Dir durchs stille Schloß hernieder.

 

Streng greift der eis'ge Morgen an die Glieder,

Wie ist die Welt so klar und kalt und helle –

Tiefschauernd tret' ich von der lieben Schwelle.

 

II.

Ein zart Geheimniß webt in stillen Räumen,

Die Erde löst die diamantnen Schleifen,

Und nach des Himmels süßen Strahlen greifen

Die Blumen, die der Mutter Kleid besäumen.

 

Da rauscht's lebendig draußen in den Bäumen,

Aus Osten langen purpurrothe Streifen,

Hoch Lerchenlieder durch das Zwielicht schweifen –

Du hebst das blüh'nde Köpfchen hold aus Träumen.

 

[221]

Was sind's für Klänge, die an's Fenster flogen?

So altbekannt verlocken diese Lieder,

Ein Sänger steht im schwanken Dämmerschein.

 

Wach auf! Dein Liebster ist fernher gezogen,

Und Frühling ist's auf Thal und Bergen wieder,

Wach auf, wach auf, nun bist Du ewig mein!

 

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Das Flügelroß.

 

Ich hab' nicht viel hienieden,

Ich hab' nicht Geld noch Gut;

Was vielen nicht beschieden,

Ist mein: – der frische Muth.

 

Was Andre mag ergötzen,

Das kümmert wenig mich,

Sie leben in den Schätzen,

In Freuden lebe ich.

 

Ich hab' ein Roß mit Flügeln,

Getreu in Lust und Noth,

Das wiehernd spannt die Flügel

Bei jedem Morgenroth.

 

Mein Liebchen! wie so öde

Wird's oft in Stadt und Schloß,

Frisch auf und sey nicht blöde,

Besteig mit mir mein Roß!

 

[222]

Wir seegeln durch die Räume

Ich zeig' Dir Meer und Land,

Wie wunderbare Träume

Tief unten ausgespannt.

 

Hellblinkend zu den Füßen

Unzähl'ger Ströme Lauf –

Es steigt ein Frühlingsgrüßen

Verhallend zu uns auf.

 

Und bunt und immer wilder

In Liebe, Haß und Lust

Verwirren sich die Bilder –

Was schwindelt Dir die Brust?

 

So fröhlich tief im Herzen,

Zieh' ich all' himmelwärts,

Es kommen selbst die Schmerzen

Melodisch an das Herz.

 

Der Sänger zwingt mit Klängen

Was störrig, dumpf und wild,

Es spiegelt in Gesängen

Die Welt sich göttlich mild.

 

Und unten nun verbrauset

Des breiten Lebens Strom,

Der Adler einsam hauset

Im stillen Himmelsdom. –

 

[223]

Und seh'n wir dann den Abend

Verhallen und verblühn,

Im Meere, kühlelabend,

Die heil'gen Sterne glühn:

 

So lenken wir hernieder

Zu Waldes grünem Haus,

Und ruh'n vom Schwung der Lieder

Auf blüh'ndem Moose aus.

 

O Sterndurchwebtes Düstern,

O heimlichstiller Grund!

O süßes Liebesflüstern

So innig Mund an Mund!

 

Die Nachtigallen locken,

Mein Liebchen athmet lind,

Mit Schleier zart und Locken

Spielt buhlerisch der Wind.

 

Und schlaf' denn bis zum Morgen

So sanft gelehnt an mich!

Süß sind der Liebe Sorgen,

Dein Liebster wacht für Dich.

 

Ich halt' die blüh'nden Glieder,

Vor süßen Schauern bang,

Ich laß' Dich ja nicht wieder

Mein ganzes Leben lang! –

 

[224]

Aurora will sich heben,

Du schlägst die Augen auf,

O wonniges Erbeben,

O schöner Lebenslauf! –

 

__________

 

Warnung.

 

Wann der kalte Schnee zergangen,

Stehst Du draußen in der Thür,

Kommt ein Knabe schön gegangen,

Stellt sich freundlich da zu Dir,

Lobet Deine frischen Wangen,

Dunkle Locken, Augen licht,

Wann der kalte Schnee zergangen,

Glaub dem falschen Herzen nicht!

 

Wann die lauen Lüfte wehen,

Scheint die Sonne lieblich warm:

Wirst Du wohl spazieren gehen,

Und er führet Dich am Arm,

Thränen Dir im Auge stehen,

Denn so schön klingt, was er spricht,

Wann die lauen Winde wehen,

Glaub dem falschen Herzen nicht!

 

Wann die Lerchen wieder schwirren,

Trittst Du draußen vor das Haus,

Doch er mag nicht mit Dir irren,

Zog weit in das Land hinaus;

[225]

Die Gedanken sich verwirren,

Wie Du siehst den Morgen roth, –

Wann die Lerchen wieder schwirren,

Armes Kind, ach wärst Du todt!

 

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Wehmuth.

 

Ich kann wohl manchmal singen,

Als ob ich fröhlich sey,

Doch heimlich Thränen dringen,

Da wird das Herz mir frei.

 

So lassen Nachtigallen,

Spielt draußen Frühlingsluft,

Der Sehnsucht Lied erschallen

Aus ihres Käfigts Gruft.

 

Da lauschen alle Herzen,

Und alles ist erfreut,

Doch keiner fühlt die Schmerzen,

Im Lied das tiefe Leid.

 

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Die weinende Braut.

 

Du warst so herrlich anzuschauen,

So kühn und wild und doch so lieb,

Dir mußt ich Leib und Seel' vertrauen,

Ich mocht' nichts mehr, das meine blieb!

[226]

Da hast Du, Falscher, mich verlassen

Und Blumen, Lust und Frühlingsschein,

Die ganze Welt sah ich erblassen,

Ach Gott, wie bin ich nun allein!

 

Wohl Jahrlang sah ich von den Höhen

Und grüßte Dich vieltausendmal,

Und unten sah ich Viele gehen,

Doch Du erschienst nicht in dem Thal.

Und mancher Lenz mit bunten Scherzen

Kam und verflog im lust'gen Lauf,

Doch ach! in dem betrognen Herzen

Geht niemals mehr der Frühling auf.

 

Ein Kränzlein trag' ich nun im Haare,

In reichen Kleidern schön geschmückt,

Führt mich ein andrer zum Altare,

Die Eltern sind so hoch beglückt.

Und fröhlich kann ich mich wohl zeigen,

Die Sonne hell wie damals scheint,

Und vor dem Jauchzen und dem Geigen

Hört Keiner, wie die Braut still weint.

 

Die Frühlingslieder neu beginnen –

Du kehrst nach manchem Jahr' zurück,

Und stehest still, Dich zu besinnen,

Wie auf ein längstvergangnes Glück.

Doch wüstverwachsen liegt der Garten,

Das Haus steht lange still und leer,

Kein Lieb' will Dein am Fenster warten,

Und Dich und mich kennt Niemand mehr.

 

[227]

Doch eine Lerche siehst Du steigen

Vom Thal zum blauen Himmelsport,

Ein Bächlein rauschet da so eigen,

Als weinte es in einem fort.

Dort haben sie mich hingetragen,

Bedeckten mir mit Stein den Mund –

Nun kann ich Dir nicht einmal sagen,

Wie ich Dich liebt' aus Herzensgrund.

 

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Das zerbrochene Ringlein.

 

In einem kühlen Grunde

Da geht ein Mühlenrad,

Mein' Liebste ist verschwunden,

Die dort gewohnet hat.

 

Sie hat mir Treu versprochen,

Gab mir ein'n Ring dabei,

Sie hat die Treu gebrochen,

Mein Ringlein sprang entzwei.

 

Ich möcht' als Spielmann reisen

Weit in die Welt hinaus,

Und singen meine Weisen,

Und gehn von Haus zu Haus.

 

Ich möcht' als Reiter fliegen

Wohl in die blut'ge Schlacht,

Um stille Feuer liegen

Im Feld bey dunkler Nacht.

 

[228]

Hör' ich das Mühlrad gehen:

Ich weiß nicht, was ich will –

Ich möcht' am liebsten sterben,

Da wär's auf einmal still!

 

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Bei einer Linde.

 

Seh' ich Dich wieder, Du geliebter Baum,

In dessen junge Triebe

Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum

Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?

 

Wie anders ist seitdem der Aeste Bug,

Verwachsen und verschwunden

Im härt'ren Stamm der vielgeliebte Zug,

Wie ihre Liebe und die schönen Stunden!

 

Auch ich seitdem wuchs stille fort, wie Du,

Und nichts an mir wollt' weilen,

Doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht zu,

Und wird wohl niemals mehr hienieden heilen.

 

__________

 

Der Kranke.

 

Vögelein munter

Singen so schön,

Laßt mich hinunter

Spazieren gehn!

 

[229]

„Nacht ist's ja draußen;

S'war nur der Sturm,

Den Du hörst sausen

Droben vom Thurm.“

 

Liebchen im Garten

Seh' ich dort steh'n,

Lang mußt' sie warten,

O laß't mich gehn!

 

„Still nur! der blasse

Tod ist's, der sacht

Dort durch die Gasse

Schleicht in der Nacht.“

 

Wie mir ergraute,

Bleiches Gesicht!

Gebt mir die Laute,

Mir wird so licht!

 

„Was willst Du singen

In tiefster Noth?

Lenz, Lust vergingen,

Liebchen ist todt!“ –

 

Laßt mich, Gespenster,

Lied, riegl' auf die Gruft!

Oeffnet die Fenster,

Luft, frische freie Luft!

 

__________

 

[230]

Abendlandschaft.

 

Ach, daß auch wir schliefen!

Die blühenden Tiefen,

Die Ströme, die Auen

So heimlich aufschauen,

Als ob sie all' riefen:

„Dein Liebchen ist todt!“

Unter Rosen roth,

Ach, daß wir auch schliefen!“

 

„Hast doch keine Schwingen,

Durch Wolken zu dringen!

Mußt immerfort schauen

Die Ströme, die Auen –

Die werden Dir singen

Von ihr Tag und Nacht,

Mit Wahnsinnes=Macht

Die Seele umschlingen.“

 

So singt, wie Syrenen,

Von hellblauen, schönen

Vergangenen Zeiten

Der Abend vom weiten,

Versinkt dann im Tönen,

Erst Busen dann Mund,

Im blühenden Grund –

O schweige, Syrene!

 

[231]

O wecke nicht wieder!

Denn zaub'rische Lieder

Gebunden hier träumen

Auf Feldern und Bäumen,

Und ziehen mich nieder,

So müde vor Weh,

Zu tiefstillem See –

O weckt nicht die Lieder!

 

Du kanntest die Wellen

Des Sees, sie schwellen

In magischen Ringen.

Ein wehmüthig Singen,

Tief unter den Quellen,

Im Schlummer dort hält

Verzaubert die Welt.

Wohl kennst Du die Wellen! –

 

Kühl wird's auf den Gängen,

Vor alten Gesängen

Möcht's Herz mir zerspringen.

So will ich denn singen!

Schmerz fliegt ja auf Klängen

Zu himmlischer Lust,

Und still wird die Brust

Auf kühlgrünen Gängen.

 

Laß fahren die Träume!

Der Mond scheint durch Bäume,

Die Wälder nur rauschen,

Die Thäler still lauschen,

[232]

Wie einsam die Räume!

Ach, Niemand ist mein!

Herz, wie so allein!

Laß fahren die Träume!

 

Der Herr wird Dich führen.

Tief kann ich ja spüren

Der Sterne still Walten.

Der Erde Gestalten

Kaum hörbar sich rühren.

Durch Nacht und durch Graus

Gen Morgen, nach Haus –

Ja, Gott wird mich führen.

 

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Angedenken.

 

Wenn Zwei geschieden sind von Herz und Munde,

Da zieh'n Gedanken über Berg' und Schlüfte

Wie Tauben säuselnd durch die blauen Lüfte,

Und tragen hin und wieder süsse Kunde.

 

Ich schweif' umsonst, so weit der Erde Runde,

Und stieg' ich hoch auch über alle Klüfte:

Dein Haus ist höher noch als diese Lüfte,

Da reicht kein Laut hin, noch zurück zum Grunde.

 

Ja, seit Du todt – mit seinen blüh'nden Borden

Wich ringsumher das Leben mir zurücke,

Ein weites Meer, wo keine Bahn zu finden.

 

Doch ist Dein Bild zum Sterne mir geworden,

Der nach der Heimath weist mit stillem Blicke,

Daß fromm der Schiffer streite mit den Winden.

 

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[233]

Nachhall.

 

Laß', mein Herz, das bange Trauern

Um vergang'nes Erdenglück,

Ach, von diesen Felsenmauern

Schweifet nur umsonst der Blick!

 

Sind denn alle fortgegangen:

Jugend, Sang und Frühlingslust?

Lassen, scheidend, nur Verlangen

Einsam mir in meiner Brust?

 

Vöglein hoch in Lüften reisen,

Schiffe fahren auf der See,

Ihre Seegel, ihre Weisen

Mehren nur des Herzens Weh.

 

Ist vorbei das bunte Ziehen,

Lustig über Berg und Kluft,

Wenn die Bilder wechselnd fliehen,

Waldhorn immer weiter ruft?

 

Soll die Lieb' auf sonn'gen Matten

Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt,

Uebergolden Wald und Schatten

Und die weite, schöne Welt? –

 

Laß' das Bangen, laß das Trauern,

Helle wieder nur den Blick!

Fern von dieser Felsen Mauern

Blüht Dir noch gar manches Glück!

 

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An die Entfernte.

 

Denk ich, du Stille, an Dein ruhig Walten,

An jenes letzten Abends rothe Kühle,

Wo ich die theu're Hand noch durfte halten:

Steh' ich oft sinnend stille im Gewühle,

Und, wie den Schweitzer heim'sche Alphornslieder

Auf fremden Bergen, fern den Freunden allen,

Oft unverhofft befallen,

Kommt tiefe Sehnsucht plötzlich auf mich nieder.

 

Ich hab' es oft in Deiner Brust gelesen:

Nie hast Du recht mich in mir selbst gefunden,

Fremd blieb, zu keck und treibend Dir mein Wesen,

Und so bin ich im Strome Dir verschwunden.

O nenn' drum nicht die schöne Jugendwilde,

Die mit dem Leben und mit seinen Schmerzen

Mag unbekümmert scherzen,

Weil sie die Brust reich fühlt und ernst und milde!

 

Getrennt ist längst schon uns'res Lebens Reise,

Es trieb' mein Herz durch licht' und dunkle Stunden.

Dem festern Blick erweitern sich die Kreise,

In Duft ist jenes erste Reich verschwunden –

Doch, wie die Pfade einsam sich verwildern,

Was ich seitdem, von Lust und Leid bezwungen,

Geliebt, geirrt, gesungen:

Ich knie' vor Dir in all' den tausend Bildern.