BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Joseph von Eichendorff

1788 - 1857

 

Aus dem Leben eines Taugenichts,

Das Marmorbild,

Lieder und Romanzen

 

Aus dem Leben eines Taugenichts

 

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[109]

Neuntes Kapitel.

 

Die treuen Berg' steh'n auf der Wacht:

„Wer streicht bei stiller Morgenzeit

Da aus der Fremde durch die Haid'?“ –

Ich aber mir die Berg' betracht'

Und lach' in mich vor großer Lust,

Und rufe recht aus frischer Brust

Parol und Feldgeschrei sogleich:

Vivat Oestreich!

 

Da kennt mich erst die ganze Rund,

Nun grüßen Bach und Vöglein zart

Und Wälder rings nach Landesart,

Die Donau blitzt aus tiefem Grund,

Der Stephansthurm auch ganz von fern

Guckt übern Berg und säh' mich gern,

Und ist er's nicht, so kommt er doch gleich,

Vivat Oestreich!

 

Ich stand auf einem hohen Berge, wo man zum erstenmal nach Oestreich hineinsehen kann, und schwenkte voller Freude noch mit dem Hute und sang die letzte Strophe, da fiel auf einmal hinter mir im Walde eine prächtige Musik von Blasinstrumenten mit ein. Ich dreh' mich schnell um und erblicke drei junge Gesellen in langen blauen Mänteln, davon bläst der Eine Oboe, der Andere die Klarinett, und der Dritte, der einen alten Dreistutzer auf dem Kopfe hatte, das Waldhorn – die akkompagnirten mich plötzlich, daß der ganze Wald erschallte. Ich, nicht zu faul, ziehe meine Geige hervor, und spiele und singe sogleich frisch mit. Da sah [110] Einer den Andern bedenklich an, der Waldhornist ließ dann zuerst seine Bausbacken wieder einfallen und setzte sein Waldhorn ab, bis am Ende Alle stille wurden, und mich anschauten. Ich hielt verwunden ein, und sah sie auch an. – „Wir meinten,“ sagte endlich der Waldhornist, „weil der Herr so einen langen Frack hat, der Herr wäre ein reisender Engländer, der hier zu Fuß die schöne Natur bewundert; da wollten wir uns ein Viatikum verdienen. Aber, mir scheint, der Herr ist selber ein Musikant.“ – „Eigentlich ein Einnehmer,“ versetzte ich, „und komme direkt von Rom her, da ich aber seit geraumer Zeit nichts mehr eingenommen, so habe ich mich unterweges mit der Violine durchgeschlagen,“ – „Bringt nicht viel heut zu Tage!“ sagte der Waldhornist, der unterdeß wieder an den Wald zurückgetreten war, und mit seinem Dreistutzer ein kleines Feuer anfachte, das sie dort angezündet hatten. „Da gehn die blasenden Instrumente schon besser,“ fuhr er fort; „wenn so eine Herrschaft ganz ruhig zu Mittag speißt, und wir treten unverhofft in das gewölbte Vorhaus und fangen alle drei aus Leibeskräften zu blasen an – gleich kommt ein Bedienter herausgesprungen mit Geld oder Essen, damit sie nur den Lärm wieder los werden. Aber will der Herr nicht eine Collation mit uns einnehmen?“

Das Feuer loderte nun recht lustig im Walde, der Morgen war frisch, wir setzten uns alle rings umher auf den Rasen, und zwei von den Musikanten nahmen ein Töpfchen, worin Kaffee und auch schon Milch war, [111] vom Feuer, holten Brodt aus ihren Manteltaschen hervor, und tunkten und tranken abwechselnd aus dem Topfe, und es schmeckte ihnen so gut, daß es ordentlich eine Lust war anzusehen. – Der Waldhornist aber sagte: „Ich kann das schwarze Gesöff nicht vertragen,“ und reichte mir dabei die eine Hälfte von einer großen übereinander gelegten Butterschnitte, dann brachte er eine Flasche Wein zum Vorschein. „Will der Herr nicht auch einen Schluck?“ – Ich that einen tüchtigen Zug, mußte aber schnell wieder absetzen und das ganze Gesicht verziehn, denn es schmeckte wie Drei=Männer=Wein. „Hiesiges Gewächs,“ sagte der Waldhornist, „aber der Herr hat sich in Italien den deutschen Geschmack verdorben.“

Darauf kramte er eifrig in seinem Schubsack und zog endlich unter allerlei Plunder eine alte zerfetzte Landkarte hervor, worauf noch der Kaiser in vollem Ornate zu sehen war, den Zepter in der rechten, den Reichsapfel in der linken Hand. Er breitete sie auf dem Boden behutsam auseinander, die Andern rückten näher heran, und sie berathschlagten nun zusammen, was sie für eine Marschroute nehmen sollten.

„Die Vakanz geht bald zu Ende,“ sagte der Eine, „wir müssen uns gleich von Linz links abwenden, so kommen wir noch bei guter Zeit nach Prag.“ – „Nun wahrhaftig!“ rief der Waldhornist, „wem willst Du da was vorpfeifen? nichts als Wälder und Kohlenbauern, kein geläuterter Kunstgeschmack, keine vernünftige freie Station!“ – „O Narrenspossen!“ erwiederte [112] der Andere, „die Bauern sind mir grade die Liebsten, die wissen am Besten wo einen der Schuh drückt, und nehmens nicht so genau, wenn man manchmal eine falsche Note bläst.“ – „Das macht, Du hast kein point d'honneur,“ versetzte der Waldhornist, „odi profanum vulgus et arceo, sagt der Lateiner.“ – „Nun, Kirchen aber muß es auf der Tour doch geben,“ meinte der Dritte, „so kehren wir bei den Herren Pfarrern ein.“ – „Gehorsamster Diener!“ sagte der Waldhornist, „die geben kleines Geld und große Sermone, daß wir nicht so unnütz in der Welt herumschweifen, sondern uns besser auf die Wissenschaften appliciren sollen, besonders wenn sie in mir den künftigen Herrn Konfrater wittern. Nein, nein, Clericus clericum non decimat. Aber was giebt es denn da überhaupt für große Noth? die Herren Professoren sitzen auch noch im Karlsbade, und halten selbst den Tag nicht so genau ein.“ – „Ja, distinguendum est inter et inter,“ erwiederte der Andere, „quod licet Jovi, non licet bovi!“

Ich aber merkte nun, daß es Prager Studenten waren, und bekam einen ordentlichen Respekt vor ihnen, besonders da ihnen das Latein nur so wie Wasser vom Munde floß. – „Ist der Herr auch ein Studirter?“ fragte mich darauf der Waldhornist. Ich erwiederte bescheiden, daß ich immer besondere Lust zum studiren, aber kein Geld gehabt hätte. – „Das thut gar nichts,“ rief der Waldhornist, „wir haben auch weder Geld, noch reiche Freundschaft. Aber ein gescheuter Kopf [113] muß sich zu helfen wissen. Aurora musis amica, das heißt zu deutsch: mit vielem frühstücken sollst Du Dir nicht die Zeit verderben. Aber wenn dann die Mittagsglocken von Thurm zu Thurm und von Berg zu Berg über die Stadt gehen, und nun die Schüler auf einmal mit großem Geschrei aus dem alten finstern Kollegium heraus brechen und im Sonnenscheine durch die Gaßen schwärmen – da begeben wir uns bei den Kapuzinern zum Pater Küchenmeister und finden unsern gedeckten Tisch, und ist er auch nicht gedeckt, so steht doch für jeden ein voller Topf darauf, da fragen wir nicht viel darnach und essen, und perfektioniren uns dabei noch im Lateinischsprechen. Sieht der Herr, so studiren wir von einem Tage zum andern fort. Und wenn dann endlich die Vakanz kommt, und die Andern fahren und reiten zu ihren Aeltern fort, da wandern wir mit unsern Instrumenten unter'm Mantel durch die Gaßen zum Thore hinaus, und die ganze Welt steht uns offen.“

Ich weiß nicht – wie er so erzählte – ging es mir recht durch's Herz, daß so gelehrte Leute so ganz verlassen seyn sollten auf der Welt. Ich dachte dabei an mich, wie es mir eigentlich selber nicht anders ginge, und die Thränen traten mir in die Augen. – Der Waldhornist sah mich groß an. „Das thut gar nichts,“ fuhr er wieder weiter fort, „ich möchte gar nicht so reisen: Pferde und Kaffee und frischüberzogene Betten, und Nachtmützen und Stiefelknecht voraus bestellt. Das ist just das Schönste, wenn wir so frühmorgens her=[114]austreten, und die Zugvögel hoch über uns fortziehn, daß wir gar nicht wissen, welcher Schornstein heut für uns raucht, und gar nicht voraussehen, was uns bis zum Abend noch für ein besonderes Glück begegnen kann.“ – „Ja,“ sagte der Andere, „und wo wir hinkommen und unsere Instrumente herausziehen, wird alles fröhlich, und wenn wir dann zur Mittagsstunde auf dem Lande in ein Herrschaftshaus treten, und im Hausflur blasen, da tanzen die Mägde mit einander vor der Hausthür, und die Herrschaft läßt die Saalthür etwas aufmachen, damit sie die Musik drin besser hören, und durch die Lücke kommt das Tellergeklapper und der Bratenduft in den freudenreichen Schall heraus gezogen, und die Fräuleins an der Tafel verdrehen sich fast die Hälse, um die Musikanten draußen zu sehn.“ – „Wahrhaftig,“ rief der Waldhornist mit leuchtenden Augen aus, „laßt die Andern nur ihre Kompendien repetiren, wir studiren unterdeß in dem großen Bilderbuche, das der liebe Gott uns draußen aufgeschlagen hat! Ja glaub' nur der Herr, aus uns werden grade die rechten Kerls, die den Bauern dann was zu erzählen wissen und mit der Faust auf die Kanzel schlagen, daß den Knollfinken unten vor Erbauung und Zerknirschung das Herz im Leibe bersten möchte.“

Wie sie so sprachen, wurde mir so lustig in meinem Sinn, daß ich gleich auch hätte mit studiren mögen. Ich konnte mich gar nicht satt hören, denn ich unterhalte mich gern mit studirten Leuten, wo man et=[115]was profitiren kann. Aber es konnte gar nicht zu einem recht vernünftigen Diskurse kommen. Denn dem einen Studenten war vorhin angst geworden, weil die Vakanz so bald zu Ende gehen sollte. Er hatte daher hurtig sein Klarinett zusammen gesetzt, ein Notenblatt vor sich auf das aufgestemmte Knie hingelegt, und exerzirte sich eine schwierige Passage aus einer Messe ein, die er mitblasen sollte, wenn sie nach Prag zurückkamen. Da saß er nun und fingerte und pfiff dazwischen manchmal so falsch, daß es einem durch Mark und Bein ging und man oft sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.

Auf einmal schrie der Waldhornist mit seiner Baßstimme. „Topp, da hab' ich es,“ er schlug dabei fröhlich auf die Landkarte neben ihm. Der Andere ließ auf einen Augenblick von seinem fleißigen Blasen ab, und sah ihn verwundert an. „Hört,“ sagte der Waldhornist, „nicht weit von Wien ist ein Schloß, auf dem Schloße ist ein Portier, und der Portier ist mein Vetter! Theuerste Kondiszipels, da müssen wir hin, machen dem Herrn Vetter unser Kompliment, und er wird dann schon dafür sorgen, wie er uns wieder weiter fortbringt!“ – Als ich das hörte, fuhr ich geschwind auf. „Bläst er nicht auf dem Fagott?“ rief ich, „und ist von langer grader Leibesbeschaffenheit, und hat eine große vornehme Nase?“ – Der Waldhornist nickte mit dem Kopfe. Ich aber embrassirte ihn vor Freuden, daß ihm der Dreistutzer vom Kopfe fiel, und wir beschlossen nun sogleich, alle miteinander im [116] Postschiffe auf der Donau nach dem Schloß der schönen Gräfin hinunter zu fahren.

Als wir an das Ufer kamen, war schon alles zur Abfahrt bereit. Der dicke Gastwirth, bei dem das Schiff über Nacht angelegt hatte, stand breit und behaglich in seiner Hausthür, die er ganz ausfüllte, und ließ zum Abschied allerlei Witze und Redensarten erschallen, während in jedem Fenster ein Mädchenkopf herausfuhr und den Schiffern noch freundlich zunickte, die so eben die letzten Pakete nach dem Schiffe schafften. Ein ältlicher Herr mit einem grauen Ueberrock und schwarzen Halstuch, der auch mitfahren wollte, stand am Ufer, und sprach sehr eifrig mit einem jungen schlanken Bürschchen, das mit langen ledernen Beinkleidern und knapper, scharlachrother Jacke vor ihm auf einem prächtigen Engländer saß. Es schien mir zu meiner großen Verwunderung, als wenn sie beide zuweilen nach mir hinblickten und von mir sprächen. – Zuletzt lachte der alte Herr, das schlanke Bürschchen schnallzte mit der Reitgerte, und sprengte, mit den Lerchen über ihm um die Wette, durch die Morgenluft in die blitzende Landschaft hinein.

Unterdeß hatten die Studenten und ich unsere Kasse zusammengeschossen. Der Schiffer lachte und schüttelte den Kopf, als ihm der Waldhornist damit unser Fährgeld in lauter Kupferstücken aufzählte, die wir mit großer Noth aus allen unsern Taschen zusammen gebracht hatten. Ich aber jauchzte laut auf, als [117] ich auf einmal wieder die Donau so recht vor mir sah; wir sprangen geschwind auf das Schiff hinauf, der Schiffer gab das Zeichen, und so flogen wir nun im schönsten Morgenglanze zwischen den Bergen und Wiesen hinunter.

Da schlugen die Vögel im Walde, und von beiden Seiten klangen die Morgenglocken von fern aus den Dörfern, hoch in der Luft hörte man manchmal die Lerchen dazwischen. Von dem Schiffe aber jubilirte und schmetterte ein Kanarienvogel mit darein, daß es eine rechte Lust war.

Der gehörte einem hübschen jungen Mädchen, die auch mit auf dem Schiffe war. Sie hatte den Käfig dicht neben sich stehen, von der andern Seite hielt sie ein feines Bündel Wäsche unterm Arm, so saß sie ganz still für sich und sah recht zufrieden bald auf ihre neue Reiseschuhe, die unter dem Röckchen hervorkamen, bald wieder in das Wasser vor sich hinunter, und die Morgensonne glänzte ihr dabei auf der weißen Stirn, über der sie die Haare sehr sauber gescheitelt hatte. Ich merkte wohl, daß die Studenten gern einen höflichen Diskurs mit ihr angesponnen hätten, denn sie gingen immer an ihr vorüber, und der Waldhornist räusperte sich dabei und rückte bald an seiner Halsbinde, bald an dem Dreistutzer. Aber sie hatten keine rechte Kourage, und das Mädchen schlug auch jedesmal die Augen nieder, sobald sie ihr näher kamen.

Besonders aber genirten sie sich vor dem ältlichen Herrn, mit dem grauen Ueberrock, der nun auf der [118] andern Seite des Schiffes saß, und den sie gleich für einen Geistlichen hielten. Er hatte ein Brevier vor sich, in welchem er las, dazwischen aber oft in die schöne Gegend von dem Buche aufsah, dessen Goldschnitt und die vielen dareingelegten bunten Heiligenbilder prächtig im Morgenschein blitzten. Dabei bemerkte er auch sehr gut, was auf dem Schiffe vorging, und erkannte bald die Vögel an ihren Federn; denn es dauerte nicht lange, so redete er einen von den Studenten lateinisch an, worauf alle drei heran traten, die Hüte vor ihm abnahmen, und ihm wieder lateinisch antworteten.

Ich aber hatte mich unterdeß ganz vorn auf die Spitze des Schiffes gesetzt, ließ vergnügt meine Beine über dem Wasser herunter baumeln, und blickte, während das Schiff so fort flog und die Wellen unter mir rauschten und schäumten, immerfort in die blaue Ferne, wie da ein Thurm und ein Schloß nach dem andern aus dem Ufergrün hervorkam, wuchs und wuchs, und endlich hinter uns wieder verschwand. Wenn ich nur heute Flügel hätte! dachte ich, und zog endlich vor Ungeduld meine liebe Violine hervor, und spielte alle meine ältesten Stücke durch, die ich noch zu Hause und auf dem Schloß der schönen Frau gelernt hatte.

Auf einmal klopfte mir Jemand von hinten auf die Achsel. Es war der geistliche Herr, der unterdeß sein Buch weggelegt, und mir schon ein Weilchen zugehört hatte. „Ey,“ sagte er lachend zu mir, „ey, ey, Herr Ludi magister, Essen und Trinken vergißt er.“ Er hieß mich darauf meine Geige einstecken, um einen [119] Inbiß mit ihm einzunehmen, und führte mich zu einer kleinen lustigen Laube, die von den Schiffern aus jungen Birken und Tannenbäumchen in der Mitte des Schiffes aufgerichtet worden war. Dort hatte er einen Tisch hinstellen lassen, und ich, die Studenten, und selbst das junge Mädchen mußten uns auf die Fäßer und Pakete ringsherum setzen.

Der geistliche Herr packte nun einen großen Braten und Butterschnitten aus, die sorgfältig in Papier gewickelt waren, zog auch aus einem Futteral mehrere Weinflaschen und einen silbernen, innerlich vergoldeten Becher hervor, schenkte ein, kostete erst, roch daran und prüfte wieder und reichte dann einem Jeden von uns. Die Studenten saßen ganz kerzengrade auf ihren Fäßern, und aßen und tranken nur sehr wenig vor großer Devotion. Auch das Mädchen tauchte bloß das Schnäbelchen in den Becher, und blickte dabei schüchtern bald auf mich, bald auf die Studenten, aber je öfter sie uns ansah, je dreister wurde sie nach und nach.

Sie erzählte endlich dem geistlichen Herrn, daß sie nun zum erstenmale von Hause in Condition komme, und so eben auf das Schloß ihrer neuen Herrschaft reise. Ich wurde über und über roth, denn sie nannte dabei das Schloß der schönen gnädigen Frau. – Also das soll meine zukünftige Kammerjungfer seyn! dachte ich und sah sie groß an, und mir schwindelte fast dabei. – „Auf dem Schloße wird es bald eine große Hochzeit geben,“ sagte darauf der geistliche Herr. „Ja,“ erwiederte das Mädchen, die gern von der Geschichte [120] mehr gewußt hätte; „man sagt, es wäre schon eine alte, heimliche Liebschaft gewesen, die Gräfin hätte es aber niemals zugeben wollen.“ Der Geistliche antwortete nur mit: „Hm, hm!“ während er seinen Jagdbecher vollschenkte, und mit bedenklichen Mienen daraus nippte. Ich aber hatte mich mit beiden Armen weit über den Tisch vorgelegt, um die Unterredung recht genau anzuhören. Der geistliche Herr bemerkte es. „Ich kann's Euch wohl sagen,“ hub er wieder an, „die beiden Gräfinnen haben mich auf Kundschaft ausgeschickt, ob der Bräutigam schon vielleicht hier in der Gegend sey.“ – Eine Dame aus Rom hat geschrieben, daß er schon lange von dort fort sey.“ – Wie er von der Dame aus Rom anfing, wurd' ich wieder roth. „Kennen denn Ew. Hochwürden den Bräutigam?“ fragte ich ganz verwirrt. – „Nein,“ erwiederte der alte Herr, „aber er soll ein lustiger Vogel sein.“ – „O ja,“ sagte ich hastig, „ein Vogel, der aus jede[m] Käfig ausreißt, sobald er nur kann, und lustig singt, wenn er wieder in der Freiheit ist.“ – „Und sich in der Fremde herumtreibt,“ fuhr der Herr gelassen fort, „in der Nacht paßatim geht, und am Tage vor den Hausthüren schläft.“ – Mich verdroß das sehr. „Ehrwürdiger Herr,“ rief ich ganz hitzig aus, „da hat man Euch falsch berichtet. Der Bräutigam ist ein moralischer, schlanker, hoffnungsvoller Jüngling, der in Italien in einem alten Schloße auf großen Fuß gelebt hat, der mit lauter Gräfinnen, berühmten Malern und Kammerjungfern umgegangen ist, der sein Geld sehr [121] wohl zu Rathe zu halten weiß, wenn er nur welches hätte, der“ – „Nun, nun, ich wußte nicht, daß Ihr ihn so gut kennt,“ unterbrach mich hier der Geistliche, und lachte dabei so herzlich, daß er ganz blau im Gesichte wurde, und ihm die Thränen aus den Augen rollten. – „Ich hab' doch aber gehört,“ ließ sich nun das Mädchen wieder vernehmen, „der Bräutigam wäre ein großer, überaus reicher Herr.“ – „Ach Gott, ja doch, ja! Confusion, nichts als Confusion!“ rief der Geistliche und konnte sich noch immer vor Lachen nicht zu Gute geben, bis er sich endlich ganz verhustete. Als er sich wieder ein wenig erholt hatte, hob er den Becher in die Höh und rief: „das Brautpaar soll leben!“ – Ich wußte gar nicht, was ich von dem Geistlichen und seinem Gerede denken sollte, ich schämte mich aber, wegen der römischen Geschichten, ihm hier vor allen Leuten zu sagen, daß ich selber der verlorene glückseelige Bräutigam sey.

Der Becher ging wieder fleißig in die Runde, der geistliche Herr sprach dabei freundlich mit Allen, so daß ihm bald ein Jeder gut wurde, und am Ende alles fröhlich durcheinander sprach. Auch die Studenten wurden immer redseliger und erzählten von ihren Fahrten im Gebirge, bis sie endlich gar ihre Instrumente holten und lustig zu blasen anfingen. Die kühle Wasserluft strich dabei durch die Zweige der Laube, die Abendsonne vergoldete schon die Wälder und Thäler, die schnell an uns vorüberflogen, während die Ufer von den Waldhornsklängen wiederhallten. – Und als dann [122] der Geistliche von der Musik immer vergnügter wurde und lustige Geschichten aus seiner Jugend erzählte: wie auch er zur Vakanz über Berge und Thäler gezogen, und oft hungrig und durstig, aber immer fröhlich gewesen, und wie eigentlich das ganze Studentenleben eine große Vakanz sey zwischen der engen düstern Schule und der ernsten Amtsarbeit – da tranken die Studenten noch einmal herum, und stimmte dann frisch ein Lied an, daß es weit in die Berge hineinschallte:

 

Nach Süden nun sich lenken

Die Vöglein allzumal,

Viel Wandrer lustig schwenken

Die Hüt' im Morgenstrahl.

Das sind die Herrn Studenten,

Zum Thor hinaus es geht,

Auf ihren Instrumenten

Sie blasen zum Valet:

Ade in die Läng' und Breite

O Prag, wir ziehn in die Weite.

Et habeat bonam pacem,

Qui sedet post fornacem!

 

Nachts wir durch's Städtlein schweifen,

Die Fenster schimmern weit,

Am Fenster dreh'n und schleifen

Viel schön geputzte Leut.

Wir blasen vor den Thüren

Und haben Durst genung,

Das kommt vom Musiziren,

Herr Wirth, einen frischen Trunk!

Und siehe über ein Kleines

Mit einer Kanne Weines

Venit ex sua domo

Beatus ille homo![123]

 

Nun weht schon durch die Wälder

Der kalte Boreas,

Wir streichen durch die Felder,

Von Schnee und Regen naß,

Der Mantel fliegt im Winde,

Zerrissen sind die Schuh,

Da blasen wir geschwinde

Und singen noch dazu:

Beatus ille homo

Qui sedet in sua domo

Et sedet post fornacem

Et habet bonam pacem!

 

Ich, die Schiffer und das Mädchen, obgleich wir alle kein Latein verstanden, stimmten jedesmal jauchzend in den letzten Vers mit ein, ich aber jauchzte am allervergnügtesten, denn ich sah so eben von fern mein Zollhäuschen und bald darauf auch das Schloß in der Abendsonne über die Bäume hervorkommen.

 

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