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- B a l l a d e n
_______________________________
- Der Graf von Thal
(1834/35)
I
Das war der Graf von Thal,
So ritt an der Felsenwand;
Das war sein ehlich Gemahl,
Die hinter dem Steine stand.
- 5
- Sie schaut' im Sonnenstral
Hinunter den linden Hang,
«Wo bleibt der Graf von Thal?
Ich hört' ihn doch reiten entlang!»
«Ob das ein Hufschlag ist?
- 10
- Vielleicht ein Hufschlag fern?
Ich weiß doch wohl ohne List,
Ich hab' gehört meinen Herrn!»
Sie bog zurück den Zweig.
«Bin blind ich oder auch taub?»
- 15
- Sie blinzelt' in das Gesträuch,
Und horcht' auf das rauschende Laub.
Oed' war's, im Hohlweg leer,
Einsam im rispelnden Wald;
Doch über'm Weiher, am Wehr,
- 20
- Da fand sie den Grafen bald.
In seinen Schatten sie trat.
Er und seine Gesellen,
Die flüstern und halten Rath,
Viel lauter rieseln die Wellen.
- 25
- Sie starrten über das Land,
Genau sie spähten, genau,
Sahn jedes Zweiglein am Strand,
Doch nicht am Wehre die Frau.
Zur Erde blickte der Graf,
- 30
- So sprach der Graf von Thal:
«Seit dreizehn Jahren den Schlaf
Rachlose Schmach mir stahl.»
«War das ein Seufzer lind?
Gesellen, wer hat's gehört?»
- 35
- Sprach Kurt: «Es ist nur der Wind,
Der über das Schilfblatt fährt.» -
«So schwör' ich bei'm höchsten Gut,
Und wär's mein ehlich Weib,
Und wär's meines Bruders Blut,
- 40
- Viel minder mein eigner Leib:»
«Nichts soll mir wenden den Sinn,
Daß ich die Rache ihm spar';
Der Freche soll werden inn',
Zins tragen auch dreizehn Jahr'.»
- 45
- «Bei Gott! das war ein Gestöhn!»
Sie schossen die Blicke in Hast.
Sprach Kurt: «Es ist der Föhn,
Der macht seufzen den Tannenast.» -
«Und ist sein Aug' auch blind,
- 50
- Und ist sein Haar auch grau,
Und mein Weib seiner Schwester Kind -»
Hier that einen Schrei die Frau.
Wie Wetterfahnen schnell
Die Dreie wendeten sich.
- 55
- «Zurück, zurück, mein Gesell!
Dieses Weibes Richter bin ich.»
«Hast du gelauscht, Allgund?
Du schweigst, du blickst zur Erd'?
Das bringt dir bittre Stund'!
- 60
- Allgund, was hast du gehört?» -
«Ich lausch' deines Rosses Klang,
Ich späh' deiner Augen Schein,
So kam ich hinab den Hang.
Nun thue was Noth mag seyn.» -
- 65
- «O Frau!» sprach Jakob Port,
«Da habt Ihr schlimmes Spiel!
Grad' sprach der Herr ein Wort,
Das sich vermaß gar viel.»
Sprach Kurt: «Ich sag' es rund,
- 70
- Viel lieber den Wolf im Stall,
Als eines Weibes Mund
Zum Hüter in solchem Fall.»
Da sah der Graf sie an,
Zu Einem und zu Zwei'n;
- 75
- Drauf sprach zur Fraue der Mann:
«Wohl weiß ich, du bist mein.»
«Als du gefangen lagst
Um mich ein ganzes Jahr,
Und keine Sylbe sprachst:
- 80
- Da ward deine Treu' mir klar.»
«So schwöre mir denn sogleich:
Sey's wenig oder auch viel,
Was du vernahmst am Teich,
Dir sey's wie Rauch und Spiel.»
- 85
- «Als seye nichts gescheh'n,
So muß ich völlig meinen;
Darf dich nicht weinen seh'n,
Darfst mir nicht bleich erscheinen.»
«Denk' nach, denk' nach, Allgund!
- 90
- Was zu verheißen Noth.
Die Wahrheit spricht dein Mund,
Ich weiß, und brächt' es Tod.»
Und konnte sie sich besinnen,
Verheißen hätte sie's nie;
- 95
- So war sie halb von Sinnen,
Sie schwur, und wußte nicht wie.
II
Und als das Morgengrau
In die Kemnate sich stahl:
Da hatte die werthe Frau
- 100
- Geseufzt schon manches Mal;
Manch Mal gerungen die Hand,
Ganz heimlich wie ein Dieb;
Roth war ihrer Augen Rand,
Todtblaß ihr Antlitz lieb.
- 105
- Drei Tage kredenzt' sie den Wein,
Und saß bei'm Mahle drei Tag',
Drei Nächte in steter Pein
In der Waldkapelle sie lag.
Wenn er die Wacht besorgt,
- 110
- Der Thorwart sieht sie gehn,
Im Walde steht und horcht
Der Wilddieb dem Gestöhn'.
Am vierten Abend sie saß
An ihres Herren Seit',
- 115
- Sie dreht' die Spindel, er las,
Dann sahn sie auf, alle beid'.
«Allgund, bleich ist dein Mund!»
«Herr, 's macht der Lampe Schein.»
«Deine Augen sind roth, Allgund!»
- 120
- «'S drang Rauch vom Heerde hinein.
«Auch macht mir's schlimmen Muth,
Daß heut vor fünfzehn Jahren
Ich sah meines Vaters Blut;
Gott mag die Seele wahren!»
- 125
- «Lang ruht die Mutter im Dom,
Sind Wen'ge mir verwandt,
Ein' Muhm' noch und ein Ohm:
Sonst ist mir keins bekannt.»
Starr sah der Graf sie an:
- 130
- «Es steht dem Weibe fest,
Daß um den ehlichen Mann
Sie Ohm und Vater läßt.»
«Ja, Herr! so muß es seyn.
Ich gäb' um Euch die zweie,
- 135
- Und mich noch obendrein,
Wenn's seyn müßt', ohne Reue.»
«Doch daß nun dieser Tag
Nicht gleich den andern sey,
Les't, wenn ich bitten mag,
- 140
- Ein Sprüchlein oder zwei.»
Und als die Fraue klar
Darauf das heil'ge Buch
Bot ihrem Gatten dar,
Es auf von selber schlug.
- 145
- Mit Einem Blicke er maß
Der nächsten Sprüche einen;
«Mein ist die Rach'», er las;
Das will ihm seltsam scheinen.
Doch wie so fest der Mann
- 150
- Auf Frau und Bibel blickt,
Die saß so still und spann,
Dort war kein Blatt geknickt.
Um ihren schönen Leib
Den Arm er düster schlang:
- 155
- «So nimm die Laute, Weib,
Sing' mir einen lust'gen Sang!» -
«O Herr! mag's euch behagen,
Ich sing' ein Liedlein werth,
Das erst vor wenig Tagen
- 160
- Mich ein Minstrel gelehrt.»
«Der kam so matt und bleich,
Wollt' nur ein wenig ruh'n,
Und sprach, im oberen Reich
Sing' man nichts Anderes nun.»
- 165
- Drauf, wie ein Schrei verhallt,
Es durch die Kammer klingt,
Als ihre Finger kalt
Sie an die Saiten bringt.
«Johann! Johann! was dachtest du
- 170
- An jenem Tag,
Als du erschlugst deine eigne Ruh'
Mit Einem Schlag?
Verderbtest auch mit dir zugleich
Deine drei Gesellen;
- 175
- O, sieh nun ihre Glieder bleich
Am Monde schwellen!
Weh dir, was dachtest du Johann
Zu jener Stund'?
Nun läuft von dir verlornem Mann
- 180
- Durchs Reich die Kund'!
Ob dich verbergen mag der Wald,
Dich wird's ereilen;
Horch nur, die Vögel singen's bald,
Die Wölf' es heulen!
- 185
- O weh! das hast du nicht gedacht,
Johann! Johann!
Als du die Rache wahr gemacht
Am alten Mann.
Und wehe! nimmer wird der Fluch
- 190
- Mit dir begraben,
Dir, der den Ohm und Herrn erschlug,
Johann von Schwaben!»
Aufrecht die Fraue bleich
Vor ihrem Gatten stand,
- 195
- Der nimmt die Laute gleich,
Er schlägt sie an die Wand.
Und als der Schall verklang,
Da hört man noch zuletzt,
Wie er die Hall' entlang
- 200
- Den zorn'gen Fußtritt setzt.
III
Von heut am siebenten Tag'
Das war eine schwere Stund',
Als am Balkone lag
Auf ihren Knien Allgund.
- 205
- Laut waren des Herzens Schläge:
«O Herr! erbarme dich mein,
Und bracht' ich Böses zuwege,
Mein sey die Buß' allein.»
Dann beugt sie tief hinab,
- 210
- Sie horcht und horcht und lauscht:
Vom Wehre tos't es herab,
Vom Forste drunten es rauscht.
War das ein Fußtritt? nein!
Der Hirsch setzt über die Kluft.
- 215
- Sollt' ein Signal das seyn?
Doch nein, der Auerhahn ruft.
«O mein Erlöser, mein Hort!
Ich bin mit Sünde beschwert,
Sey gnädig und nimm mich fort,
- 220
- Eh' heim mein Gatte gekehrt.»
«Ach, wen der Böse umgarnt,
Dem alle Kraft er bricht!
Doch hab' ich ja nur gewarnt,
Verrathen, verrathen ja nicht!»
- 225
- «Weh! das sind Rossestritte.»
Sie sah sie fliegen durch's Thal
Mit wildem grimmigen Ritte,
Sie sah auch ihren Gemahl.
Sie sah ihn dräuen, genau,
- 230
- Sie sah ihn ballen die Hand:
Da sanken die Knie der Frau,
Da rollte sie über den Rand.
Und als zum Schlimmen entschlossen
Der Graf sprengt' in das Thor,
- 235
- Kam Blut entgegen geflossen,
Drang unter'm Gitter hervor.
Und als er die Hände sah falten
Sein Weib in letzter Noth,
Da konnt' er den Zorn nicht halten,
- 240
- Bleich ward sein Gesicht so roth.
«Weib, das den Tod sich erkor!» -
«'S war nicht mein Wille» sie sprach,
Noch eben bracht' sie's hervor.
«Weib, das seine Schwüre brach!»
- 245
- Wie Abendlüfte verwehen
Noch einmal haucht sie ihn an:
«Es mußt' eine Sünde geschehen -
Ich hab' sie für dich gethan!»
Der Tod des Erzbischofs
Engelbert von Cöln
(1841)
I
Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,
Im scharfen Ost die Halme pfeifen,
Da trabt es sachte durch die Flur,
Da taucht es auf wie Nebelstreifen,
- 5
- Da nieder rauscht es in den Fluß,
Und stemmend gen der Wellen Guß
Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.
Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei
Das Roß schwingt seine nassen Flanken,
- 10
- Und wieder ein, und wieder zwei,
Bis fünf und zwanzig stehn wie Schranken:
Voran, voran durch Haid und Wald,
Und wo sich wüst das Dickicht ballt,
Da brechen knisternd sie die Ranken.
- 15
- Am Eichenstamm, im Ueberwind,
Um einen Ast den Arm geschlungen,
Der Isenburger steht und sinnt
Und naget an Erinnerungen.
Ob er vernimmt, was durch's Gezweig
- 20
- Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,
Raunt leise wie mit Vögelzungen?
«Graf,» flüstert es, «Graf haltet dicht,
Mich dünkt, als woll' es euch bethören;
Bei Christi Blute, laßt uns nicht
- 25
- Heim wie gepeitschte Hunde kehren
Wer hat gefesselt eure Hand,
Den freien Stegreif euch verrannt?» -
Der Isenburg scheint nicht zu hören.
«Graf,» flüstert es, «wer war der Mann,
- 30
- Dem zu dem Kreuz die Rose 1) paßte?
Wer machte euren Schwäher dann
In seinem eignen Land zum Gaste?
Und, Graf, wer höhnte euer Recht,
Wer stempelt euch zum Pfaffenknecht?» -
- 35
- Der Isenburg biegt an dem Aste.
«Und wer, wer hat euch zuerkannt,
Im härnen Sünderhemd zu stehen,
Die Schandekerz' in eurer Hand,
Und alte Vetteln anzuflehen
- 40
- Um Kyrie und Litaney!?» -
Da krachend bricht der Ast entzwei
Und wirbelt in des Sturmes Wehen.
Spricht Isenburg: «Mein guter Fant,
Und meinst du denn ich sey begraben?
- 45
- O laß mich nur in meiner Hand -
Doch ruhig, still, ich höre traben!»
Sie stehen lauschend, vorgebeugt;
Durch das Gezweig der Helmbusch steigt
Und flattert drüber gleich dem Raben.
II
- 50
- Wie dämmerschaurig ist der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildniß hallt
Von Astgestöhn und Windesklagen!
«Horch, Knabe, war das Waffenklang?» -
- 55
- «Nein, gnäd'ger Herr! ein Vogel sang,
Von Sturmesflügeln hergetragen.» -
Fort trabt der mächtige Prälat,
Der kühne Erzbischof von Cöllen,
Er, den der Kaiser sich zum Rath
- 60
- Und Reichsverweser mochte stellen,
Die ehrne Hand der Clerisey, -
Zwei Edelknaben, Reis'ger zwei,
Und noch drei Aebte als Gesellen.
Gelassen trabt er fort, im Traum
- 65
- Von eines Wunderdomes Schöne,
Auf seines Rosses Hals den Zaum,
Er streicht ihm sanft die dichte Mähne,
Die Windesodem senkt und schwellt; -
Es schaudert, wenn ein Tropfen fällt
- 70
- Von Ast und Laub, des Nebels Thräne.
Schon schwindelnd steigt das Kirchenschiff,
Schon bilden sich die krausen Zacken -
Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,
Ein Helmbusch hier, ein Arm im Nacken!
- 75
- Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,
Die Aebte fliehn wie Spreu, und dann
Mit Reisigen sich Reis'ge packen.
Ha, schnöder Straus! zwei gegen zehn!
Doch hat der Fürst sich losgerungen,
- 80
- Er peitscht sein Thier und mit Gestöhn
Hat's über'n Hohlweg sich geschwungen;
Die Gerte pfeift - «Weh, Rinkerad!» -
Vom Rosse gleitet der Prälat
Und ist ins Dickicht dann gedrungen.
- 85
- «Hussah, hussah, erschlagt den Hund,
Den stolzen Hund!» und eine Meute
Fährt's in den Wald, es schließt ein Rund,
Dann vor - und rückwärts und zur Seite;
Die Zweige krachen - ha es naht -
- 90
- Am Buchenstamm steht der Prälat
Wie ein gestellter Eber heute.
Er blickt verzweifelnd auf sein Schwert,
Er löst die kurze breite Klinge,
Dann prüfend unter'n Mantel fährt
- 95
- Die Linke nach dem Panzerringe;
Und nun wohlan, er ist bereit,
Ja männlich focht der Priester heut,
Sein Streich war eine Flammenschwinge.
Das schwirrt und klingelt durch den Wald,
- 100
- Die Blätter stäuben von den Eichen,
Und über Arm und Schädel bald
Blutrothe Rinnen tröpfeln, schleichen;
Entwaffnet der Prälat noch ringt,
Der starke Mann, da zischend dringt
- 105
- Ein falscher Dolch ihm in die Weichen.
Ruft Isenburg: «es ist genug,
Es ist zuviel!» und greift die Zügel;
Noch sah er wie ein Knecht ihn schlug,
Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.
- 110
- «Es ist zuviel, hinweg, geschwind!»
Fort sind sie, und ein Wirbelwind
Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. - -
Des Sturmes Odem ist verrauscht,
Die Tropfen glänzen an dem Laube,
- 115
- Und über Blutes Lachen lauscht
Aus hohem Loch des Spechtes Haube;
Was knistert nieder von der Höh'
Und schleppt sich wie ein krankes Reh?
Ach armer Knabe, wunde Taube!
- 120
- «Mein gnädiger, mein lieber Herr,
So mußten dich die Mörder packen?
Mein frommer, o mein Heiliger!»
Das Tüchlein zerrt er sich vom Nacken,
Er drückt es auf die Wunde dort,
- 125
- Und hier und drüben, immerfort,
Ach, Wund' an Wund' und blut'ge Zacken!
«Ho, hollah ho!» - dann beugt er sich
Und späht, ob noch der Odem rege;
War's nicht als wenn ein Seufzer schlich,
- 130
- Als wenn ein Finger sich bewege? -
«Ho, hollah ho!» - «Halloh, hoho!»
Schallt's wieder um, deß war er froh:
«Sind unsre Reuter allewege!»
III
Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib
- 135
- Am Rabensteine unter'm Rade,
Und über'm Rade liegt ein Leib,
An dem sich weiden Kräh' und Made;
Zerbrochen ist sein Wappenschild,
Mit Trümmern seine Burg gefüllt,
- 140
- Die Seele steht bei Gottes Gnade.
Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch
Von Ampeln und von Weihrauchschwehlen -
Um seinen qualmt der Moderhauch
Und Hagel peitscht der Rippen Höhlen;
- 145
- Im Dome steigt ein Trauerchor,
Und ein Tedeum stieg empor
Bei seiner Qual aus tausend Kehlen.
Und wenn das Rad der Bürger sieht,
Dann läßt er rasch sein Rößlein traben,
- 150
- Doch eine bleiche Frau die kniet,
Und scheucht mit ihrem Tuch die Raben:
Um sie mied er die Schlinge nicht,
Er war ihr Held, er war ihr Licht -
Und ach! der Vater ihrer Knaben!
Das Fräulein
von Rodenschild
(1840)
Sind denn so schwül die Nächt' im April?
Oder ist so siedend jungfräulich Blut?
Sie schließt die Wimper, sie liegt so still,
Und horcht des Herzens pochender Fluth.
- 5
- «O will es denn nimmer und nimmer tagen!
O will denn nicht endlich die Stunde schlagen!
Ich wache, und selbst der Seiger ruht!
Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, -
Noch immer fort? - sechs, sieben und acht,
- 10
- Elf, zwölf, - o Himmel, war das ein Schrei?
Doch nein, Gesang steigt über der Wacht,
Nun wird mir's klar, mit frommem Munde
Begrüßt das Hausgesinde die Stunde 2),
Anbrach die hochheilige Osternacht.»
- 15
- Seitab das Fräulein die Kissen stößt,
Und wie eine Hinde vom Lager setzt,
Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,
In's Häubchen drängt sie die Locken jetzt,
Dann leise das Fenster öffnend, leise,
- 20
- Horcht sie der mählig schwellenden Weise,
Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.
O dunkel die Nacht! und schaurig der Wind!
Die Fahnen wirbeln am knarrenden Thor, -
Da tritt aus der Halle das Hausgesind'
- 25
- Mit Blendlaternen und einzeln vor.
Der Pförtner dehnet sich, halb schon träumend,
Am Dochte zupfet der Jäger säumend,
Und wie ein Oger gähnet der Mohr.
Was ist? - wie das auseinander schnellt!
- 30
- In Reihen ordnen die Männer sich,
Und eine Wacht vor die Dirnen stellt
Die graue Zofe sich ehrbarlich,
«Ward ich gesehn an des Vorhangs Lücke?
Doch nein, zum Balkone starren die Blicke,
- 35
- Nun langsam wenden die Häupter sich.
O weh meine Augen! bin ich verrückt?
Was gleitet entlang das Treppengeländ?
Hab' ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?
Das sind meine Glieder, - welch ein Geblend'!
- 40
- Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,
Das ist mein Strich über Stirn und Locken!
Weh, bin ich toll, oder nahet mein End'?»
Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,
Das Fräulein wendet die Blicke nicht,
- 45
- Und leise rührend die Stufen zieht
Am Steingelände das Nebelgesicht,
In seiner Rechten trägt es die Lampe,
Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,
Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.
- 50
- Nun schwebt es unter dem Sternendom,
Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,
Nun durch die Reihen zieht das Phantom,
Und Jeder tritt einen Schritt zur Seit'. -
Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, -
- 55
- Nun wieder drinnen erscheint die Helle,
Hinauf sich windend die Stiegen breit.
Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,
Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,
Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,
- 60
- Wie dunstig über die Scheiben es streicht.
- Nun ists im Saale - nun im Archive -
Nun steht es still an der Nische Tiefe -
Nun matter, matter, - ha! es erbleicht!
«Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!»
- 65
- Und wie ein Aal die beherzte Maid
Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,
Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,
Leis tritt sie, leise, o Geistersinne
Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!
- 70
- Ja, muthig ist sie, bei meinem Eid!
Ein dunkler Rahmen, Archives Thor;
- Ha, Schloß und Riegel! - sie steht gebannt,
Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr
Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,
- 75
- Tiefdunkel drinnen - doch einem Rauschen
Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,
Und einem Streichen entlang der Wand.
So niederkämpfend des Herzens Schlag,
Hält sie, den Odem, sie lauscht, sie neigt -
- 80
- Was dämmert ihr zur Seite gemach?
Ein Glühwurmleuchten - es schwillt, es steigt,
Und Arm an Arm, auf Schrittes Weite,
Lehnt das Gespenst an der Pforte Breite,
Gleich ihr zur Nachbarspalte gebeugt.
- 85
- Sie fährt zurück, - das Gebilde auch -
Dann tritt sie näher - so die Gestalt -
Nun stehen die Beiden, Auge in Aug',
Und bohren sich an mit Vampyres Gewalt.
Das gleiche Häubchen decket die Locken,
- 90
- Das gleiche Linnen, wie Schneees Flocken,
Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.
Langsam das Fräulein die Rechte streckt,
Und langsam, wie aus der Spiegelwand,
Sich Linie um Linie entgegen reckt
- 95
- Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;
Nun rührt sich's - die Lebendige spüret
Als ob ein Luftzug schneidend sie rühret,
Der Schemen dämmert, - zerrinnt - entschwand.
Und wo im Saale der Reihen fliegt,
- 100
- Da siehst ein Mädchen du, schön und wild,
- Vor Jahren hat's eine Weile gesiecht -
Das stets in den Handschuh die Rechte hüllt.
Man sagt, kalt sey sie wie Eises Flimmer,
Doch lustig die Maid, sie hieß ja immer:
- 105
- «Das tolle Fräulein von Rodenschild.»
Die Vergeltung
(1841)
I
Der Kapitän steht an der Spiere,
Das Fernrohr in gebräunter Hand,
Dem schwarzgelockten Passagiere
Hat er den Rücken zugewandt.
- 5
- Nach einem Wolkenstreif in Sinnen
Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,
Der Fremde spricht: «was braut da drinnen?»
«Der Teufel», brummt der Kapitän.
Da hebt von morschen Balkens Trümmer
- 10
- Ein Kranker seine feuchte Stirn,
Des Aethers Blau, der See Geflimmer,
Ach, Alles quält sein fiebernd Hirn!
Er läßt die Blicke, schwer und düster,
Entlängs dem harten Pfühle gehn,
- 15
- Die eingegrabnen Worte liest er:
«B a t a v i a. F ü n f h u n d e r t Z e h n.»
Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde
Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,
Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde,
- 20
- Die Bohlen weichen mit Gestöhn.
«Jesus, Marie! wir sind verloren!»
Vom Mast geschleudert der Matros',
Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,
Und langsam löst der Bau sich los.
- 25
- Noch liegt der Kranke am Verdecke,
Um seinen Balken fest geklemmt,
Da kommt die Flut, und eine Strecke
Wird er in's wüste Meer geschwemmt.
Was nicht geläng' der Kräfte Sporne,
- 30
- Das leistet ihm der starre Krampf,
Und wie ein Narwall mit dem Horne
Schießt fort er durch der Wellen Dampf
Wie lange so? er weiß es nimmer,
Dann trifft ein Stral des Auges Ball,
- 35
- Und langsam schwimmt er mit der Trümmer
Auf ödem glitzerndem Kristall.
Das Schiff! - die Mannschaft! - sie versanken.
Doch nein, dort auf der Wasserbahn,
Dort sieht den Passagier er schwanken
- 40
- In einer Kiste morschem Kahn.
Armsel'ge Lade! sie wird sinken,
Er strengt die heisre Stimme an:
«Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!»
Und immer näher schwankt's heran,
- 45
- Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;
«COURAGE!» ruft der kranke Schwimmer,
«Mich dünkt ich sehe Land im West!»
Nun rühren sich der Fähren Ende,
- 50
- Er sieht des fremden Auges Blitz,
Da plötzlich fühlt er starke Hände,
Fühlt wüthend sich gezerrt vom Sitz.
«Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.»
Er klammert dort, er klemmt sich hier;
- 55
- Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,
Am Balken schwimmt der Passagier.
Dann hat er kräftig sich geschwungen,
Und schaukelt durch das öde Blau,
Er sieht das Land wie Dämmerungen
- 60
- Enttauchen und zergehn in Grau.
Noch lange ist er so geschwommen,
Umflattert von der Möve Schrei,
Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,
Viktoria! nun ist er frei!
II
- 65
- Drei kurze Monde sind verronnen,
Und die Fregatte liegt am Strand,
Wo mittags sich die Robben sonnen,
Und Bursche klettern über'n Rand,
Den Mädchen ist's ein Abentheuer
- 70
- Es zu erschaun vom fernen Riff,
Denn noch zerstört ist nicht geheuer
Das greuliche Korsarenschiff.
Und vor der Stadt da ist ein Waten,
Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,
- 75
- Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.
Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,
Hat man den Galgen, dicht am Meer,
In wüster Eile aufgezimmert.
- 80
- Dort dräut er von der Düne her!
Welch ein Getümmel an den Schranken! -
«Da kommt der Frey - der Hessel jetzt -
Da bringen sie den schwarzen Franken,
Der hat geleugnet bis zuletzt.»
- 85
- «Schiffbrüchig sei er hergeschwommen»,
Höhnt eine Alte: «ei, wie kühn!
Doch keiner sprach zu seinem Frommen,
Die ganze Bande gegen ihn.»
Der Passagier, am Galgen stehend,
- 90
- Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,
Zu jedem Räuber flüstert flehend:
«Was tat dir mein unschuldig Blut?
Barmherzigkeit! - so muß ich sterben
Durch des Gesindels Lügenwort,
- 95
- O, mög' die Seele euch verderben!»
Da zieht ihn schon der Scherge fort.
Er sieht die Menge wogend spalten -
Er hört das Summen im Gewühl -
Nun weiß er, daß des Himmels Walten
- 100
- Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!
Und als er in des Hohnes Stolze
Will starren nach den Aetherhöhn,
Da liest er an des Galgens Holze:
«B a t a v i a. F ü n f h u n d e r t Z e h n.»
Der Spiritus Familiaris
des Roßtäuschers
(1842)
_____________
Deutsche Sagen;
herausgegeben von den
Gebrüdern Grimm.
Berlin. 1816. Nr. 84:
Spiritus familiaris
Er wird gemeiniglich in einem wolhverschlossenen Gläslein aufbewahrt, sieht aus nicht recht wie eine Spinne, nicht recht wie ein Skorpion, bewegt sich aber ohne Unterlaß. Wer diesen kauft, bei dem bleibt er, er mag das Fläschlein hinlegen, wohin er will, immer kehrt er von selbst zu ihm zurück. Er bringt großes Glück, läßt verborgene Schätze sehen, macht bei Freunden geliebt, bei Feinden gefürchtet, im Kriege fest wie Stahl und Eisen, also daß sein Besitzer immer den Sieg hat, auch behütet er vor Haft und Gefängniß. Man braucht ihn nicht zu pflegen, zu baden und zu kleiden, wie ein Galgenmännlein. Wer ihn aber behält, bis er stirbt, der muß mit ihm in die Hölle, darum sucht ihn der Besitzer wieder los zu werden. - -
Ein Soldat, der ihn für eine Krone gekauft und den gefährlichen Geist kennen lernte, warf ihn seinem vorigen Besitzer vor die Füße und eilte fort; als er zu Hause ankam, fand er ihn wieder in seiner Tasche. Nicht besser ging es ihm, als er ihn in die Donau warf.
Ein Augsburgischer Roßtäuscher und Fuhrmann zog in eine berühmte deutsche Stadt ein. Der Weg hatte seine Thiere sehr mitgenommen, im Thore fiel ihm ein Pferd, im Gasthaus das zweite und binnen wenigen Tagen die übrigen sechs. Er wußte sich nicht zu helfen, ging in der Stadt umher und klagte den Leuten mit Thränen seine Noth. Nun begab sich's, daß ein anderer Fuhrmann ihm begegnete, dem er sein Unglück erzählte. Dieser sprach: «seyd ohne Sorgen, ich will euch ein Mittel vorschlagen, dessen Ihr mir danken sollt!» DerRoßtäuscher meinte, dieß wären leere Worte. «Nein, nein, Gesell, euch soll geholfen werden. Geht in jenes Haus und fragt nach der «Gesellschaft», der erzählt euren Unfall und bittet um Hülfe!» Der Roßtäuscher folgte dem Rathe, ging in das Haus und fragte einen Knaben, der da war, nach der Gesellschaft. Er mußte auf Antwort warten, endlich kam der Knabe wieder und öffnete ihm ein Zimmer, in welchem etliche alte Männer an einer runden Tafel saßen. Sie redeten ihn mit Namen an und sagten «Dir sind acht Pferde gefallen, darüber bist du niedergeschlagen, und nun kömmst du auf Anrathen eines deiner Gesellen, zu uns, um Hülfe zu suchen: du sollst erlangen, was du begehrst!» Er mußte sich an einen Nebentisch setzen, und nach wenigen Minuten überreichten sie ihm ein Schächtelein mit den Worten:
«Dieß trage bei dir, und du wirst von Stund an reich werden, aber hüte dich, daß du die Schachtel, wo du nicht wieder arm werden willst, niemals öffnest!» Der Roßtäuscher fragte, was er für dieses Schächtelein zu zahlen habe, aber die Männer wollten nichts dafür; nur mußte er seinen Namen in ein großes Buch schreiben, wobei ihm die Hand geführt ward. Der Roßtäuscher ging heim, kaum aber war er aus dem Haus getreten, so fand er einen ledernen Beutel mit dreihundert Dukaten, womit er sich neue Pferde kaufte. Ehe er die Stadt verließ, fand er in dem Stalle, wo die neuen Pferde standen, noch einen großen Topf mit alten Thalern. Kam er sonst wohin und setzte das Schächtelein auf die Erde, so zeigte sich da, wo Geld verloren oder vorzeiten vergraben war, ein hervordringendes Licht, also daß er es leicht heben konnte. Auf diese Weise erhielt er ohne Diebstahl und Mord große Schätze zusammen. Als die Frau des Roßtäuschers von ihm vernahm, wie es zuging, erschrack sie und sprach: «Du hast etwas Böses empfangen, Gott will nicht, daß der Mensch durch solche verbotene Dinge reich werde, sondern hat gesagt, im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brod essen. Ich bitte dich um deiner Seligkeit willen, daß du wieder nach der Stadt zurück reisest und der «Gesellschaft» deine Schachtel zustellst.» Der Mann, von diesen Worten bewogen, entschloß sich und schickte einen Knecht mit dem Schächtelein hin, um es zuriick zu liefern, aber der Knecht brachte es wieder mit der Nachricht zurück, daß die Gesellschaft nicht mehr zu finden sey und niemand wisse, wo sie sich aufhalte. Hierauf gab die Frau genau Acht, wo ihr Mann das Schächtelein hinsetzte, und bemerkte, daß er es in einem besonders von ihm gemachten Täschchen in dem Bund seiner Beinkleider verwahre. In der Nacht stand sie auf, zog es hervor und öffnete es: da flog eine schwarze sumsende Fliege heraus und nahm ihren Weg durch das Fenster hin. Sie machte den Deckel wieder darauf und legte es an seinen Ort, unbesorgt wie es ablaufen würde. Allein von Stund an verwandelte sich all das vorige Glück in das empfindlichste Unglück. Die Pferde fielen oder wurden gestohlen. Das Korn verdarb auf dem Boden, das Haus brannte zu dreienmalen ab, und der gesammelte Reichtum verschwand zusehends. Der Mann gerieth in Schulden und ward ganz arm, so daß er in Verzweiflung erst seine Frau mit einem Messer tödtete, dann sich selbst eine Kugel durch den Kopf schoß.
(Trutz Simplex Leben der Landstörzerin COURAGE. Cap. 18 und 23 Der Leipziger AVANTURIER. Frkft. u. Lpzg. 1756. Th. 2. S. 38-42)
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Den hier angegebenen Kennzeichen des SPIRITUS FAMILIARIS fügt der Volksglaube an manchen Orten noch andere hinzu. Seine ununterbrochenen Bewegungen sollen von einem feinen knisternden Geräusch begleitet seyn, was den Träger Andern unheimlich und den Wissenden kenntlich mache. Ueber Tag sey er schwarz, gebe aber im Dunkeln ein starkes phosphorisches Licht von sich, und so oft der Besitzer eine Kirche betrete, bete, oder sich nur einem frommen Gedanken überlasse, bekomme einer seiner feinen zahllosen Füße oder Fühlhörner die Macht, das Glas zu durchdringen und demselben einen Stich zu geben, der jedesmal die Lebenskraft bedeutend schwäche. Auch sollen seine Gaben dies mit andern höllischen gemein haben, daß sie zwar nicht wie diese zu Kohlen, aber schon in der zweiten Hand verderblich werden, das Vieh falle, das Getreide verderbe, oder, bis zur Aussaat gebracht, nicht keime, so daß dem Käufer von dem scheinbar vortheilhaftesten Handel nur der schlimmste Schaden bleibe. - Als Orte, wo die Fläschlein zu erhalten sind, wird bald ein Kreuzweg, bald der Rabenstein, bald ein leerstehendes, durch darin begangene Verbrechen dem Bösen anheim gefallenes Haus bezeichnet.
I
So hat er sich umsonst gequält, umsonst verkauft die werthe Stätte,
Wo seiner Kindheit Linde steht und seiner Eltern Sterbebette,
Umsonst hat er so manchen Tag den frostbeklemmten Hauch gesogen,
In seiner starren Hand den Zaum, umknistert von des Schnees Wogen,
- 5
- Beim Morgenroth, beim Abendroth,
Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!
Der Täuscher kniet am Pflastergrund, er streicht des Rosses heiße Flanken,
Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten wanken;
Bei Gott, es lebt! - im Aug' ein Blitz! - es schleudert, zittert, hüben, drüben,
- 10
- Dann streckt es sich, die Nüstern stehn, vom wilden Schreie aufgetrieben,
Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,
Der Lebenswärme letzter Kampf.
Der Täuscher kniet und streichelt fort, nicht trauen will er seinem Auge,
Und schwellend in die Wimper steigt der Mannesthräne bittre Lauge,
- 15
- Sacht langt die Decke er herbei und schlägt sie um des Thieres Weichen,
Dann läßt er der Laterne Schein ob den gespannten Sehnen streichen;
Es ist vorbei, kein Odemhauch,
Und schon verschwimmt der Flanken Rauch.
Vom Boden hebt er sich, er steht, der schwergebeugte Mann der Sorgen,
- 20
- Und langsam hat er seine Stirn, hat sie in hohler Hand geborgen;
Was heute war? was morgen wird? wie könnt' er dessen sich entsinnen!
Und der Verzweiflung Schlange fühlt er kalt zum Herzen niederrinnen.
Was war? was ist? - er fährt empor,
Ein Klirren, dicht an seinem Ohr!
- 25
- Und an dem nächsten Ständer lehnt, des todten Rappen Zaum und Zügel
Gelassen wägend in der Hand, ein Mann mit Hafermaaß und Striegel,
So stämmig, wie durch Frost und Staub der Kärrner treibt die derben Glieder,
In seinem breiten Nacken hängt der breite Schlapphut tröpfelnd nieder,
Und ruhig auf den Täuscher itzt
- 30
- Sein graubewimpert Auge blitzt.
«Herr!» hebt er an: «Ihr dauert mich, ein feines Thier ist euch gefallen,
Doch weiß ich eins, ihm gleich wie sich am Paternoster zwei Korallen;
Ich nenne euch den Ort, das Haus, Ihr habt es um zweihundert Gulden,
Dann wüßt' ich einen Herrn, der drum sein halbes Erbe würde schulden.»
- 35
- Der Täuscher horcht und stammelt dann:
«Ich bin ein ganz verarmter Mann!»
«Wie, eure prächt'ge Kuppel hin? wie, die ich in den Ostertagen
So frisch das Pflaster stampfen sah? führwahr, da seyd Ihr zu beklagen!
O, euer Brauner mit dem Stern, der zierlich vor den Damen kniete!
- 40
- O, euer Weißgeborner, dem's wie Funken aus den Nüstern sprühte!»
Der Täuscher hat sich abgewandt,
Er zupft am Zaume, ballt die Hand.
Und sinnend steht der Schlapphut, mißt mit steifem Blick der Kiste Bohlen,
«Herr!» flüstert er: «schließt eure Faust um blankgeränderte Pistolen!
- 45
- Die Stunde zehrt, es schwillt der Mond, bald ist des Jahres Schluß gekommen,
Habt Ihr auf euren Zügen denn von der G e s e l l s c h a f t nichts vernommen?»
Der Täuscher blickt verwirrt umher,
Und: «Die Gesellschaft?» murmelt er.
«Wie, die so manchen braven Mann aus seinen Nöthen hat gezogen
- 50
- Und keinen Heller Zinsen nimmt, zwei Worte nur auf weißem Bogen,
Die euch, und lebt ihr hundert Jahr, mit keiner Mahnung wird beschämen,
Die kennt ihr nicht? die kennt ihr nicht? fürwahr, das muß mich Wundernehmen!»
Der Täuscher horcht, er spricht kein Wort,
Und flüsternd fährt der Andre fort:
- 55
- «Hört an, wenn in Silvesternacht das Mondlicht steigt in volle Bahnen,
Kein Dach, kein Baum es schatten mag, wenn silbern stehn der Thürme Fahnen,
Zum Schleusenthor geht dann hinaus, den Strom zur Rechten, links die Föhren,
Wer euch begegnet - achtet's nicht; wer euch begrüßt - laßt euch nicht stören,
Und hinterm Friedhof liegt ein Haus,
- 60
- Ein wenig öde sieht es aus.
Verstorbnen Wuchrers Erb' um das sich sieben Lumpe hitzig streiten,
Und drinnen flimmt ein schwaches Licht, Ihr seht es freilich nicht von weiten,
Alljährlich nur in dieser Nacht, sonst stehen Thür und Thor verrammelt,
In einem Hinterbaue brennt's, wo die G e s e l l s c h a f t sich versammelt;
- 65
- Ihr trefft sie, bis der Hahn gekräht, -»
Der Täuscher wendet sich und geht.
Wie trunken schwankt er durch den Hof, schwankt in die buntgefüllte Halle;
Der Kannen Klappern, das Geschrei - ihm ist, als ob die Decke falle;
Und seufzend löst vom Gürtel er die Lederkatze, und beklommen
- 70
- Läßt er den ärmlichen Gehalt so Stück vor Stück zu Tage kommen;
Dann springt er auf, sein Sporenklang
Klirrt trotzig das Gehöft entlang.
Doch was er rufen, pfeifen mag, leer ist der Stall, nur aus den Raufen
Hängt wirres Heu wie sträubend Haar, und drunter dampfen Strohes Haufen,
- 75
- Nur der Laterne feuchter Docht wirft Flämmchen auf mit leichtem Knallen,
Und läßt ein seltsam zuckend Licht um den gestreckten Rappen fallen,
Und in der Fensterscheibe steht
Des Mondes bleiche Majestät.
II
Das nenn ich eine Winternacht! das eine Jahresleiche! Gnade
- 80
- Der Himmel Jedem, den die Noth treibt über diese blanken Pfade!
Sie glitzern auf, der Schlange gleich im weißen Pyramidensande,
Und drüber hängt, ein Todtenlicht, der Mond an unsichtbarem Bande,
Mit Fünkchen ist die Luft gefüllt,
Die Sterbeseufzer zieht und quillt.
- 85
- Nie hat, seit Menschendenken, sich Silvesternacht so scharf ergossen,
Der Tag hat Flocken ausgestreut, der Abend sie mit Glas umschlossen;
In den Gehöften Taub' und Huhn auf ihrer Stange ächzend ducken,
Der Hund in seinem Schober heult und fühlt den Wurm im Hirne zucken;
Zwei Spannen hat in dieser Nacht
- 90
- Das Eis dem Strome zugebracht.
Verklommen steht am Thor die Wach' und haucht in die erstarrten Hände,
«Wer da!» «Ein Freund!» und hastig stampft es längs der Brücke Steingelände;
Betroffen sieht ihn der Rekrut wie einen Mast am Strome schwanken:
«Der ist betrunken oder irr!» er steht ein Weilchen in Gedanken,
- 95
- Bekreuzt sich, zieht die Uhr heraus,
Und lehnt sich an sein Schilderhaus.
In's offne Land der Täuscher tritt, er athmet auf und schaut nach oben;
Kein Wölkchen hängt am Riesenbau der dunklen Saphirkuppel droben,
Er wendet sich und sieht die Stadt wie eine Nebelmasse liegen,
- 100
- Und drüber, auf Sankt Thomas Thurm, das Wetterkreuz sich schimmernd wiegen,
Den Mantel zieht er an's Gesicht
Und schreitet fort im Mondenlicht.
Was liegt dort überm Weg? - ein Mensch, ein Mann in dünnem Zwillichrocke, -
Der Täuscher zuckt. doch zaudert nicht; wohl sieht des Greisen dünne Locke,
- 105
- Die Glatze leuchtend aus dem Schnee, er sieht sie im Vorüberschreiten.
Und wie mit tausend Stricken zieht es nieder, nieder ihn, zur Seiten;
An's Herz hat er die Faust geballt,
Und weiter, weiter sonder Halt!
Die Scholle unterm Fuße kracht und scheint ihn wimmernd anzuklagen,
- 115
- Die Luft mit ihrem leisern Hauch ihm Sterberöcheln zuzutragen,
In dem verglas'ten Föhrenwald ein irres Leben surrt und klingelt,
In seiner eignen Kehle Hauch mit Funkenstaube ihn umzingelt,
Voran, voran, der Würfel liegt,
Verloren oder keck gesiegt!
- 115
- Da wie ein Glöckchen tönt's von fern, und dann ein Lichtchen kömmt geschwommen
Den blanken Schlangenpfad entlang, ist an des Hügels Bug geklommen,
Das Glöckchen schwirrt, das Flämmchen schwankt, Gestalten dunkel sich bewegen,
Ein Priester mit dem Sakrament zieht dem verstörten Mann entgegen,
Und wie's an ihm vorüber schwebt
- 120
- Der Mönch die Hostie segnend hebt.
Der Täuscher schaudert, und ihn reißt's wie Bleigewichte an den Knieen,
Doch weiter, weiter! - und vorbei läßt er den Gnadenengel ziehen;
Noch einmal schaudert er - ein Knall - des Stromes Flächen spaltend zittern,
Ein Windstoß durch der Föhren Haar, und die kristallnen Stäbchen klittern -
- 125
- Da tritt zum Friedhof er hinaus,
Und vor ihm liegt das öde Haus.
Er starrt es an - ein düstrer Bau! mit Zackengiebel, Eisenstangen,
Vom offnen Thore Nägelreihn wie rostige Gebisse hangen;
Der Täuscher zaudert, dann umschleicht behutsam wie ein Fuchs im Winde
- 130
- Die Mauern er; - ist's nicht als ob ein Licht im Innern sich entzünde?
Er schüttelt sich, er tritt hinein
Und steht im finstern Gang allein;
Tappt am Gemäuer, wendet sich; dort flimmt es durch der Thüre Spalten,
Sacht beugt er zu der Ritze, lauscht, den schweren Odem angehalten;
- 135
- Kein Ton, kein Räuspern, nur ein Laut wie scharfgeführter Feder Schrillen
Und ein Geriesel wie wenn Sand auf Estrich stäubt durch schmale Rillen;
Sacht greift er an die Klinke, sacht
Hat er gepocht und aufgemacht.
III
Wie friedlich in der Erde Schooß die still geringen Leutchen schlafen!
- 140
- Endlich ein Pfühl nach hartem Stroh, nach saurer Fahrt endlich ein Hafen!
Dem Flockenwulste, sichtbar kaum, entheben sich die niedern Hügel,
Doch Gottes Engel kennt sie wohl, und schirmend breitet er die Flügel
den Kreuzlein zu, die Pflock an Pflock
Sich reihen um den Malmorblock.
- 145
- Am Sockel kreucht der Drachenwurm und scheint zum Grund hinabzukrallen,
Zum toten Wuchrer unterm Stein, von eigner Frevelhand gefallen,
Wohl hat ihm Gold ein ehrlich Grab geworben an der Friedhofsmauer,
Doch drüber zuckt sein Flammenschwert Sankt Michael in Zorn und Trauer,
So silbergrau ein Nachtgesicht,
- 150
- Steht das versteinerte Gericht.
Vom öden Hause, seinem einst, wo blutge Thränen sind geflossen,
Hat sich ein seltsam dämmernd Licht bis an den Marmelstein ergossen,
Es ist. als ob das Monument bei der Berührung zitternd schwanke,
Im Schnee wühlend eine Hand dem Schuldner sich entgegen ranke;
- 155
- Er kömmt, er naht, die Pforte dröhnt,
Er hat sich an den Stein gelehnt;
Bleich wie der Marmor über ihm, und finster wie das Kreuz zur Seiten,
Von Stirn und Wimper, Zähren gleich, geschmolznen Reifes Tropfen gleiten;
Was er in dieser schweren Nacht gelitten oder auch gesündet,
- 160
- Er hat es Keinem je geklagt und Keinem reuig es verkündet;
In's Dunkel starrt er, wie man wohl
So starrt gedankenlos und hohl.
Ihm ist, als fühl' er noch die Hand, die seinen Federzug geleitet,
Als fühle er den Nadelstich, der seines Blutes Quell bereitet,
- 165
- Und leise zitternd tastet er zum Gurte - hörst du nicht ein Knirren,
Viel schrillender als Uhrgetick, viel zarter als der Spange Klirren ? -
O, seine Heimath still umlaubt!
O, seines Vaters graues Haupt!
Bewußtlos an des Engels Knie drückt er die Stirn, klemmt er die Hände,
- 170
- Der toten Gäule Klingeln hört er schleichen durch die Fichtenwände;
Genüber ihm am Horizonte schleifen schwarze Wolkenspalten,
Wie lässig eine träge Hand zum Sarge schleift des Bahrtuchs Falten;
Er streicht das Auge, reckt sich auf
Und schaut zum Aetherdom hinauf.
- 175
- Noch hängt die Mondesampel klar am goldgestickten Kuppelringe,
Noch leuchtet von Sankt Thomas Thurm das Kreuz wie eine Doppelklinge,
Noch ist die Stunde nicht, wo sich der Hahn auf seiner Stange schüttelt,
O eilig, eilig, eh die Uhr das letzte Sandkorn hat gerüttelt!
Er wendet sich, da - horch, ein Klang,
- 180
- Und wieder einer, schwer und bang!
Und mit dem zwölften Schlage hat der Wolkenmantel sich gebreitet,
Der immer höher, riesig hoch, sich um die Himmelskuppel weitet,
Und, horch! - ein langgedehnter Schrei, des Hahnes mitternächt'ge Klage;
Im selbigen Moment erhebt und lischt der Schein am Sarkophage,
- 185
- Und Engel, Drache, Flammenschwert
Sind in die wüste Nacht gekehrt.
IV
Ho! Gläserklang und Jubelsang und «Hurrah hoch!» fährt's durch die Scheiben,
Getroffen schwankt der goldne Leu, die Buben auseinander stäuben,
Und drängen sich und balgen sich, das fliegende Confekt zu fangen;
- 190
- Ein Glas, 'ne Frucht, 'ne Börse gar, die blieb am Speer des Schildes hangen,
Und schreiend nach der Stange sticht
Das kleine gierige Gezücht.
Da klirrt aus des Balkones Thür ein Mann mit Gert' und Eisensporen,
Ihm nach ein Andrer, Flasch' im Arm, in Rausches Seligkeit verloren,
- 195
- «Gesindel!» - ruft der Eine - «halt! ich will euch lehren Börsen stechen!»
«Frisch, Jungens, frisch!» der Andre drauf: «die Birn ist mein, wer kann sie brechen?
Ihn schlag ich heut, ich, Hans von Spaa,
Zum Ritter von Lumpatia.»
«Besinnt euch,» spricht der Erste; - «was, besinnen? hab' ich mich besonnen
- 200
- Als euer Falber wie 'n gestochner Stier zusammenbrach am Bronnen?
Besann ich mich zu zahlen, Herr? o euer Vieh! dreihundert Kronen!»
Die Stimme bricht in trunknem Weh, er schluchzt: «mag euch der Teufel lohnen!»
Und schraubt den Pfropfenzieher ein;
Der Täuscher murmelt finster drein,
- 205
- Und wendet sich. «He, holla, halt!» schreit's hinter ihm, «nicht von der Stelle!
Hoch euer Galgenmännlein, hoch der kleine rauchige Geselle!
Und wieder hoch! und dreimal hoch! - Alräunchen, Hütchen meinetwegen,
Mag's ferner goldne Eier euch, und Andern todte Bälgc legen!»
Der Täuscher lächelt, aschenfahl,
- 210
- Und schlendert pfeifend in den Saal.
Noch zwei Minuten, und du siehst den Gassenpöbel vor ihm weichen,
Ihn scheu wie ein umstelltes Wild entlang die Häuserreihen streichen:
So schleicht kein Trinker schweren Hirns und freudesatt sich vom Gelage,
So grüßt kein freies Herz, nicht steht auf offner Stirn so trübe Frage;
- 215
- Man meint, das Thor gewinne jetzt
Ein Schelm, von Gläubigern gehetzt.
Erst als die Fichte ihn umstarrt, an seiner Sohle Nadeln rauschen,
Hat er den Schritt gehemmt und steht, in sich gebeugt, zu lauschen - lauschen -
So lauscht kein Liebender dem Klang der Glocke, die zur Minne ladet,
- 220
- Kein Kranker so des Priesters Schritt, der mit dem Heilthum ihn begnadet:
Ein Delinquent so lauschen mag
Der letzten Stunde Pendelschlag.
Am Sonnenbrande schlummmernd liegt der Wald in des Aroma Wellen,
Und Harz entquillt den Nadeln, wie aus Schläfers Wimpern Thränen quellen,
- 225
- Die sonnentrunkne Klippe nickt, die Vögel träumen vom Gesange,
In sich gerollt das Eichhorn liegt, umflattert von dem Franzenhange,
An jeder Nadel weißer Rauch
Verdunstet Terpentines Hauch.
Durch das Gezweig' ein Sonnenstrahl bohrt in des Horchers Scheitellocke,
- 230
- Die aus dem dunklen Wulste glimmt wie Seegewürmes Feuerflocke;
Er steht und lauscht, er lauscht und steht, vernimmst du nicht ein feines Schrillen,
Ein Rieseln, wie wenn Sandgekörn auf Estrich stäubt durch schmale Rillen?
So scharf es geht, so bohrend ein,
Wie Sensenwetzen am Gestein.
- 235
- Der Täuscher richtet sich, er seufzt, dann drängend nach des Forstes Mitte.
An eklem Pilze klirrt der Sporn, und Blasen schwellen unterm Tritte,
Hier wuchern Kress' und Binsenwust, Gewürme klebt an jedem Halme,
Insektenwirbel wimmelt auf und nieder in des Mooses Qualme,
Und zischend, mit geschwelltem Kamm,
- 240
- Die Eidechs sucht den hohlen Stamm.
Der Wandrer bricht die Rank', er reißt und wüthet in den Brombeerhecken,
Da seitwärts durch Geröhres Speer erglänzt des Kolkes Dintenbecken,
Ein wüster Kübel, wie getränkt mit schweflichen Asphaltes Jauche,
Langbeinig füßelnd Larvenvolk regt sich in Fadenschlamm und Lauche,
- 245
- Und faule Spiegel, blau und grün,
Wie Regenbogen drüber ziehn.
In Mitten starrt ein dunkler Fleck, vom Riesenauge die Pupille,
Dort steigt die Wasserlilg' empor, dem Fußtritt lauschend durch die Stille;
Wen sie verlockt mit ihrem Schein, der hat sein letztes Lied gesungen,
- 250
- Drei Tage suchte man das Kind umsonst in Kraut und Wasserbungen,
Wo Egel sich und Kanker jetzt
An seinen bleichen Gliedchen letzt.
Der Täuscher steht, den Arm verschränkt, und stuurt verdüstert in die Lache,
Sein Haar voll Laub und Kletten bauscht sich finster an der Krempe Dache
- 255
- Gleich einem Senkblei scheint der Blick des Kolkes tiefsten Grund zu messen,
Zur Seite schaut er, rückwärts dann, kein Strauch, kein Hälmchen wird vergessen,
Greift dann behend zum Gürtelband
Und hält ein Fläschlein in der Hand.
Kaum hat das Ohr sich überzeugt, im Glase klingle das Gerispel,
- 260
- Ein Wimmeln kaum das Aug erhascht, wie spinnefüßelndes Gewispel,
Da, hui! pfeift's im Schwung' und, hui! fährt's an der Lilie Krone nieder,
Das Wasser zischt, es brodelt auf, es reckt die modergrünen Glieder,
Und rückwärts, rückwärts sonder Halt
Raschelt der Täuscher durch den Wald.
- 265
- Erst im Verhaue, wo die Luft spielt mit der Beere Würzarome
Und auf den goldnen Schwingen trägt das Festgeläut vom nahen Dome,
Dort sinkt er schluchzend auf die Knie, so fest, so fest die Händ gefaltet,
O selten hat ein Seufzer so des Herzens tiefsten Grund gespaltet!
Was dieser Seufzer trägt, es muß
- 270
- Sich nahen wie ein glüher Kuß.
Und Zähren Perl' an Perle sich entlang die braunen Wangen schmiegen,
So mochte der verlorne Sohn zu seines Vaters Füßen liegen;
Da plötzlich zuckt der Beter - greift zum Gurte - tastet dann auf's Neue -
Mit dumpfem Laute, klirrend fährt vom Grund er wie ein wunder Leue,
- 275
- Und in den Fingern angstgekrampft
Die triefende Phiole dampft!!
V
Tief tiefe Nacht, am Schreine nur der Maus geheimes Nagen rüttelt,
Der Horizont ein rinnend Sieb, aus dem sich Kohlenstaub entschüttelt;
Die Träume ziehen, schwer wie Blei und leicht wie Dunst, um Flaum und Streue,
- 280
- In Gold der hagere Poet, der dürre Klepper wühlt im Heue,
Vom Kranze träumt die Braut, vom Helm
Der Krieger, und vom Strick der Schelm.
In jener Kammer, wo sich matt der Fenster tiefes Grau schattiret,
Hörst du ein Rieseln, wie die Luft der Steppe zarten Staub entführet?
- 285
- Und ein Gesäusel, wie im Glas gefangner Bremse Flügel wispelt?
Vielleicht 'ne Sanduhr, die verrinnt? ein Mäuschen, das im Kalke rispelt?
So scharf es geht, so bohrend ein,
Wie Sensenwetzen am Gestein.
Und dort am Hange - Phosphorlicht, wie's kranken Gliedern sich entwickelt?
- 290
- Ein grünlich Leuchten, das wie Flaum mit hundert Fäden wirrt und prickelt,
Gestaltlos, nur ein glüher Punkt in Mitten, wo die Fasern quellen,
Mit klingelndem Gesäusel sich an der Phiole Wände schnellen,
Und drüber, wo der Schein zerfleußt,
Ein dunkler Augenspiegel gleißt.
Und immer krimmelt's, wimmelt's fort, die grüne Wand des Glases streifend,
- 295
- Ein glüher gieriger Polyp, vergebens nach der Beute greifend,
Und immer starrt das Auge her, als ob kein Augenlid es schatte,
Ein dunkles Haar, ein Nacken hebt sich langsam an des Tisches Platte,
Dann plötzlich schließt sich eine Hand
- 300
- Und im Moment der Schein verschwand.
Es tappt die Diel' entlang, es stampft wie Männertritt auf weichen Sohlen,
Behutsam tastend an der Wand will Jemand Rathes sich erholen,
Dann leise klinkt der Thüre Schloß, die losgezognen Riegel pfeifen,
Durch das Gemach, verzitternd, scheu, gießt sich ein matter Dämmerstreifen,
- 305
- Und in dem Rahmen, duftumweht,
Im Nachtgewand der Täuscher steht.
Wie ist die stämmige Gestalt zum sehnenharten Knorren worden!
Wie manches, manches graue Haar schattirt sich an der Schläfe Borden!
O, diese Falten um den Mund, wo leise Kummerzüge lauern -
- 310
- So mocht an Babels Strömen einst der grollende Prophete trauern,
So der Verfemte sonder Rast,
Wie ihn Salvator 3) aufgefaßt.
Genüber, feingeschnitzelt, lehnt die Gnadenmutter mit dem Kinde,
Das sein vergoldet Händchen streckt wie segnend aus der Mauerspinde,
- 315
- Und drunter, in Kristall gehegt, von funkelndem Gestein umbunden,
Ein überköstlich Heiligthum, ein Nagel aus des Heilands Wunden;
Zu seiner Ehre Nacht für Nacht
Das Lämpchen am Gestelle wacht.
Nie hat, in aller Schuld und Noth, der Täuscher einen Tag beschlossen,
- 320
- Daß nicht an dieser Schwelle ihm ein glüher Seufzer wär entflossen,
Selbst auf der Fahrt, auf nächt'gem Ritt, dämmert sein Auge in die Weite,
Von des Polacken Rücken hat er mühsam sich gebeugt zur Seite
Und sein beladnes Haupt geneigt,
Woher das Kind die Händlein reicht.
- 325
- Ein scheuer Bettler Tag für Tag, so steht er an des Himmels Pforte,
Er schlägt kein Kreuz, er beugt kein Knie, nicht kennt sein Odem Gnadenworte,
Schlaftrunknes Murmeln nur - und glüh fühlt er's durch die Phiole ranken,
Die seinem Leibe angetraut wie nagend Krebsgeschwür dem Kranken;
Und von dem kargen Lebensheerd
- 330
- Ein Jahresscheit ist weggezehrt.
Auch jetzt, in dieser Stunde, steht er lautlos, mit gestreckten Knieen,
Nur leises Aechzen, und voran! - schau, schau, wie seine Muskeln ziehen!
Voran! - das Heilthum - der Krystall - er lehnt sich an die Wand, er schwindelt,
Ein angstvoll Zupfen - ein Gestöhn - er hat den Nagel losgewindelt
- 335
- Und stößt ihn dicht am Heil'genschrein In der Phiole Siegel ein.
Hui! knallt der Pfropfen, hui, fährt das Glas in Millionen Splitter!
Gewinsel hier, Gewinsel dort und spinnefüßelndes Geflitter;
Es hackt und prickelt nach dem Mann, der unterm Gnadenbilde wimmert,
- 340
- Bis Faser sich an Faser lischt, des Zentrums letzter Hauch verschimmert,
Und an der Gotteslampe steigt
Das Haupt des Täuschers, s c h n e e g e b l e i c h t.
VI
Weh, Glockensturm! Trompetenstoß ! und Spritzen rasseln durch die Gassen,
Der aufgeschreckte Pöbel drängt und kreiselt sich in wüsten Massen,
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- Hoch schlägt die Brunst am Giebel auf, Gewieher kreischt aus Stall und Scheunen,
Der Eimer fliegt hinab, hinauf umhergestohne Kinder weinen,
Und zögernd steigt das Morgenroth
Dem dopplt Glut entgegen loht.
Es war beim ersten Hahnenschrei, als alle Bürger aufgeschüttert
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- Mit Schlossenpfeifen Knall auf Knall; so gräulich hat es nie gewittert!
Grad ob des reichen Böhmen Dach, des Täuschers, ballte sich das Wetter,
Wie Blitz an Blitze niederzuckt, mit ohrbetäubendem Geschmetter,
Nun überall an Scheun' und Haus
Prasselt der Flammenhag hinaus.
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- Im Hof die Knechte hin und her mit Axt und Beilen fluchend rennen,
Wer schob die innern Riegel vor? die Thüren weichen nicht und brennen,
«Der Herr! der Herr!» ruft's hier und dort: «wo ist der Herr?» daß Gott ihm gnade,
An seinem Kammerfenster leckt die Loh' aus der geschlossnen Lade!
Und eben krachte in's Portal
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- Die Stiege zu dem obern Saal!
Entsetzt Gemurmel läuft umher und schwillt in des Gedränges Wogen,
Dann Alles todtenstill, sie stehn, die Brauen finster eingezogen;
So um den Scheiterhaufen einst gruppirten sich des Südens Söhne:
«Da brennt der Schächer, dessen Vieh das Land verlockt mit fremder Schöne
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- Und, kaum verkauft, am dritten Tag,
Ein todtes Aas, im Stalle lag!
Der Gaukler brennt, aus dessen Gurt ein wunderlich Geklingel surrte,
Daß man in rabenschwarzer Nacht ihn kennen mocht an seinem Gurte,
Der keine Kirche je betrat, vor keinem Gnadenbild sich neigte
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- Wenn ihm begegnet Christi Leib, von Schwindel stammelt und erbleichte,
Im gottgesandten Element
Der Täuscher, mit der Kuppel, brennt!»
VII
Am Wiesenhang 'ne Linde steht, so lieblich winkend mit den Zweigen,
Auf jedem Ast ein Vogelnest, um jede Blüth' ein Bienenreigen,
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- Sie scheint den düstern Föhrenwald aus ihren Kelchen anzulächeln,
Des nahen Städtleins Angelus ein säuselnd Ave zuzufächeln,
Und für den nahen Friedhof auch
Hat sie versüßt des Westes Hauch.
Und Blatt an Blatt vom Blüthenzweig verstreut sie auf des Greises Stirne,
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- Der in dem Wurzelmoose lehnt sein Haupt mit siedendem Gehirne;
Zur Seite liegt der Stab, gefüllt mit Bettelbrode liegt der Ranzen,
Und Schemen hier und Schemen dort mit Elfenschritten drüber tanzen,
Wie sie der Brust geheimster Hut
Entschlüpfen in des Fiebers Glut.
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- Den Anger seiner Kindheit sieht er in den Lindenzweigen spielen,
Die süße Heimat, und das Haupt der Eltern auf den Sterbepfühlen;
Was er verloren und erstrebt, was er gesündet und getragen,
Wie Eine Nacht sein Haar gebleicht, die eignen Knechte ihn geschlagen.
O Nacht, die Ehre, Kräfte, Hab'
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- Zerbrach und ihm die Seele gab!
Er sieht sein faltiges Gesicht im Wasserspiegel widerscheinen,
Wie er sich selber nicht erkannt und kindisch dann begann zu weinen;
Ach, all die Thränen, so nachher aus tiefrer Quelle sind geflossen,
Ob sie ihn Christi Blut vereint? des Himmels Pforten aufgeschlossen?
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- Wohl Schweres trug er mit Geduld,
Doch willenlos, durch eigne Schuld!
Mit vierzig Jahren siecher Greis, ist er von Land zu Land geschlichen,
Hat seines Namens Fluch gehört und ist zur Seite scheu gewichen,
Aus mancher Hand, die ihm gedient, hat er das Bettelbrod gebrochen
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- Und ist, ein todeskranker Mann, an dieses Hügels Bug gekrochen,
ln diesen Hügel - ew'ge Macht!
Er schaudert auf - Sylvesternacht!
Der Föhrenwald - das öde Haus - dort stand der Priester, dort am Hagen -
O, in der Sterbestunde hat sein irrer Fuß ihn hergetragen,
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- Das ist kein Schemen, dieses nicht; dort streckt Sankt Michael die Flügel,
Dort kreucht am Fußgestell der Drach' und schlägt die Kralle in den Hügel;
Des Greises Auge dunkelt, wild
Die Agonie zum Haupt quillt.
Das Buch - das Buch - er sieht das Buch - o Gottesmutter, Gnade! Gnade!
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- Er liebte dich, er liebte dich in Sünd' und Schmach! - gleich einem Rade
Die Zeichen kreisen - Gott, o Gott, er sieht ein Händchen niederreichen,
Mit leisem goldnem Fingerzug die blutgetränkten Lettern streichen!
Und auf des Täuschers bleichen Mund Ein Lächeln steigt in dieser Stund'.
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- Um Mittag hat der Mähder ihn am Lindenstamme aufgehoben
Und in des Karrens Futtergrün dem Leichenhause zugeschoben,
Auf der Gemeinde Kosten ist ein grobes Sterbehemd bereitet,
Ein kurzer träger Glockenschlag hat zu der Grube ihn geleitet,
Wo sich der Engelsflügel neigt
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- Und nicht des Drachen Kralle reicht.
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1)
Zu (dem Kreuz) Cöln die Rose (das Wappen von) Berg, dessen Besitz Engelbert dem Bruder von Isenburgs Gemalin vorenthielt.
2)
Es bestand und besteht hier und dort noch in katholischen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oster- und Weihnachtstages den zwölften Glockenschlag abzuwarten, um den Eintritt des Festes mit einem frommen Liede zu begrüßen.
3)
Salvator Rosa
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