Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1844
Balladen
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Die Vergeltungentstanden 1841
I
Der Kapitän steht an der Spiere,Das Fernrohr in gebräunter Hand,Dem schwarzgelockten PassagiereHat er den Rücken zugewandt. | |
5 | Nach einem Wolkenstreif in SinnenDie beiden wie zwei Pfeiler sehn,Der Fremde spricht: «was braut da drinnen?»«Der Teufel», brummt der Kapitän.
Da hebt von morschen Balkens Trümmer |
10 | Ein Kranker seine feuchte Stirn,Des Aethers Blau, der See Geflimmer,Ach, Alles quält sein fiebernd Hirn!Er läßt die Blicke, schwer und düster,Entlängs dem harten Pfühle gehn, |
15 | Die eingegrabnen Worte liest er:«Batavia. Fünfhundert Zehn.»
Die Wolke steigt, zur MittagsstundeDas Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde, |
20 | Die Bohlen weichen mit Gestöhn.«Jesus, Marie! wir sind verloren!»Vom Mast geschleudert der Matros',Ein dumpfer Krach in Aller Ohren,Und langsam löst der Bau sich los.
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25 | Noch liegt der Kranke am Verdecke,Um seinen Balken fest geklemmt,Da kommt die Flut, und eine StreckeWird er in's wüste Meer geschwemmt.Was nicht geläng' der Kräfte Sporne, |
30 | Das leistet ihm der starre Krampf,Und wie ein Narwall mit dem HorneSchießt fort er durch der Wellen Dampf
Wie lange so? er weiß es nimmer,Dann trifft ein Stral des Auges Ball, |
35 | Und langsam schwimmt er mit der TrümmerAuf ödem glitzerndem Kristall.Das Schiff! – die Mannschaft! – sie versanken.Doch nein, dort auf der Wasserbahn,Dort sieht den Passagier er schwanken |
40 | In einer Kiste morschem Kahn.
Armsel'ge Lade! sie wird sinken,Er strengt die heisre Stimme an:«Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!»Und immer näher schwankt's heran, |
45 | Und immer näher treibt die Trümmer,Wie ein verwehtes Möwennest;«Courage!» ruft der kranke Schwimmer,«Mich dünkt ich sehe Land im West!»
Nun rühren sich der Fähren Ende, |
50 | Er sieht des fremden Auges Blitz,Da plötzlich fühlt er starke Hände,Fühlt wüthend sich gezerrt vom Sitz.«Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen.»Er klammert dort, er klemmt sich hier; |
55 | Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,Am Balken schwimmt der Passagier.
Dann hat er kräftig sich geschwungen,Und schaukelt durch das öde Blau,Er sieht das Land wie Dämmerungen |
60 | Enttauchen und zergehn in Grau.Noch lange ist er so geschwommen,Umflattert von der Möve Schrei,Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,Viktoria! nun ist er frei!
II
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65 | Drei kurze Monde sind verronnen,Und die Fregatte liegt am Strand,Wo mittags sich die Robben sonnen,Und Bursche klettern über'n Rand,Den Mädchen ist's ein Abentheuer |
70 | Es zu erschaun vom fernen Riff,Denn noch zerstört ist nicht geheuerDas greuliche Korsarenschiff.
Und vor der Stadt da ist ein Waten,Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill, |
75 | Da die verrufenen PiratenEin jeder sterben sehen will.Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,Hat man den Galgen, dicht am Meer,In wüster Eile aufgezimmert. |
80 | Dort dräut er von der Düne her!
Welch ein Getümmel an den Schranken! –«Da kommt der Frey – der Hessel jetzt –Da bringen sie den schwarzen Franken,Der hat geleugnet bis zuletzt.» |
85 | «Schiffbrüchig sei er hergeschwommen»,Höhnt eine Alte: «ei, wie kühn!Doch keiner sprach zu seinem Frommen,Die ganze Bande gegen ihn.»
Der Passagier, am Galgen stehend, |
90 | Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,Zu jedem Räuber flüstert flehend:«Was tat dir mein unschuldig Blut?Barmherzigkeit! – so muß ich sterbenDurch des Gesindels Lügenwort, |
95 | O, mög' die Seele euch verderben!»Da zieht ihn schon der Scherge fort.
Er sieht die Menge wogend spalten –Er hört das Summen im Gewühl –Nun weiß er, daß des Himmels Walten |
100 | Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!Und als er in des Hohnes StolzeWill starren nach den Aetherhöhn,Da liest er an des Galgens Holze:«Batavia. Fünfhundert Zehn.» |