BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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société! Doch dienen mir solche Versammlungen, mein Studium in der Physiognomik zu erweitern; manches wird notirt, und eine stille Beobachterin kann leicht aus der Schale den Kern lösen. Von allen Originellen, die ich bis jetzt gesehen, ist jener Edelmann mir der Merkwürdigste. Du kennst mein glückliches Organ, Ähnlichkeiten zu entdecken; aber diesem einen Doppelgänger zu finden, wäre mir unmöglich. Er tritt ein; seine Verbeugung gilt für tausende, denn mager, beweglich wie er ist, klappert Alles an ihm, ja die leiseste Bewegung seines kleinen Fingers macht der ganze Mensch mit. Er spricht, und sein Mund hat die Form eines mathematischen Dreiecks oder einer altdeutschen Schnippe*), doch was spricht er? witziges Zeug, was seine Natur ist. Er mag sechs und dreißig Jahre alt seyn, ist eher groß als klein, hat schwarze Haare, kleine listige, blaß graugrüne Augen, längliches fast regelmäßiges Gesicht, keine Lippen, blauen Bart, gute Zähne. Dieß Ensemble sah ich noch nie, sonst würd' ich, wie oben bemerkt es vermöge meiner Vergleichungssucht einem andern Menschenkinde vergleichen. Er ahmt trefflich den Ton der deutschen und französischen Sprache nach, ohne ein deutsches oder französisches Wort zu nennen. Vorgestern spielten wir in der Galerie aux graces (kleine Reife[n], die man sich zuwirft und mit zwei Stäbchen auffängt,)  zufällig  fällt  von  dem  danebenstehenden  Tische ein  Journalblatt,  er  hebt  es  auf,  schnell  ist's  in  Form  eines  Schleiers  aufgestülpt,  ein  Stuhl  wird  zum  Kahn,  die  beiden  Stäbe  seine  Ruder  und  nun  ruft  er,  so  zart  als  möglich:  voilà  l'amour dans un bâteau.  Sein

 

 

Französisch aber durchschneidet einem die armen Ohren; je mehr Mühe er sich giebt, je toller stolpern die Worte einher. So fragte er mich neulieh in allem Ernst: tous-ceux qui sont morts du cholera à Paris, ont ils été tous enterrés dans la chaise percée? (statt Père la chaise)? Auch Andere liefern ihre Anecdoten. Eine englische Dame hielt kürzlich für höchst unschicklich, daß unser Schooßhündchen zur Hälfte geschoren, folglich halb nackt einher gehe. „Man muß ihm Höschen anziehen,“ sagte sie. Bekanntlich haben es die Engländerinnen in der Decence so weit gebracht, daß sie um Alles nicht in Gegenwart eines Andern das Wort: „Hemd“ aussprechen würden, während man doch oft in der Anordnung ihrer Toilette nicht eben die größte Strenge beobachtet sieht. – Ein kleines Männchen, mit schwarzen Augen erzählte mir, er habe auf seinen Reisen durch Deutschland den Thee, besonders in Erfurt, so schlecht gefunden, daß er schnurstracks zum Magistrat der Stadt gegangen sey, Wirthe und Thee zu verklagen. Man entgegnete ihm freilich, es sei noch kein Gesetz da für solche Schmach, und er müße sich beruhigen. Vergebens! ausser sich, nicht gerichtlich einschreiten zu können,  läuft  er  zurück  in  den  Gasthof,  sucht  sich  des  Theevorraths  zu  bemächtigen,  und  bestreut  damit  Hausflur  und  Stiegen,  Küche  und  Keller.  Die  Hausbewohner  gera­then  in  Alarm, nur  der  Wirth  faßt  sich  und  verlangt  die  Bezahlung  einer  übermäßigen  Zeche.  Unterdessen  hat  sich  das  Hotel  mit  Zuschauern  angefüllt  aus  Neugierde,  den  Thee-Reformator  zu  sehen,  der  noch  aus  dem  Wagen   heraus   als   Adieu  der  Menge  zuruft:

 

 

*) spitz zulaufendes Vorderteil einer Haube

 


 

Vorgestern spielten wir in der Galerie aux grâces