BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

 

 

Aber noch schlauer als er, verwandle ich schnell den Extract dieser Phantasie in ein Lied, betitelt Einsamkeit, was sich nun leicht vom Herzen weg singen läst. Herr Gomis sagt mir Tröstliches und Ermunterndes und giebt sich nicht wenig Mühe, mir die Regeln des Generalbasses beizubringen – aber leichter verschluckt Gretchen im Dorfe die Regeldetri, als ich diese gallenbittre Theorie! – Trotz dem muss ich componiren, ich mag nun wollen oder nicht; es geschieht also, wie Du siehst, ohne mein Verdienst und nur so von ohngefähr. Kaum lese ich ein Gedicht, so ist auch bald der Ton dem Worte beigesellt. Das einzige Mittel ist: niederzuschreiben das, was der Geist ausgeboren; sonst läuft es mir nach, daß Tag und Nacht keine Ruhe ist. –

Madame  E.  K...,  meine  mütterliche  Freundin,  lud mich  gestern  zu  sich  ein,  um  von  Liszt  und  Osborne Beethovens  Septett  vortragen  zu  hören.  Eingetreten.  in den  Salon,  sah   ich  einen  jungen,  blassen  Mann,  den sie  mir  als  den  gefeierten  Liszt  vorstellte.  Er  begrüste mich  freundlich  in  meiner  Muttersprache,  und  bald begann  das  ersehnte  Septett.  Fragt  man  mich  nach dem Spiel  dieser   beiden  genialen  Künstler,  so  muß  ich antworten,  daß  ich  wenig  Lust  hatte,  Reflexionen  über Vortrag,  Präcision  und  Fingersatz  anzustellen,  denn  zu mächtig  erfaßten  mich  Beethovens  reiche  Schöpfungen. Die  Leistungen  von  Liszt  achte  ich  jedoch  für außerordentlich.  Das  Leben  in  seiner  Zerrissenheit,  mit allen  schmerzvollen   Beziehungen,  wogte,  indem   ich ihn  hörte,  vor  meinen  Blicken  auf  und  nieder;  Os­borne's  Ruhe  und Klarheit wirkte  dagegen  um  so  wohl-

 

thuender, und bei so großer Verschiedenheit waren sie doch durch die Weihe der Kunst innigst verbunden.

Auch lernte ich einen jungen Arzt aus altem toskani­schen Geschlechte kennen, der mir in meinen Freistunden Untericht in seiner Sprache, die er elegantissimo spricht, ertheilt. Er ist ein Mann von ausgezeichneter Schönheit, macht glänzende Verse, und wird ohne Zweifel die cholerakranken Vicomtessinen mit einem Blick kuriren.

 

―――――

 

Vor wenig Stunden, es war eben 11 Uhr, spielten Lady und ich ein Duo, sie die Harfe und ich das Klavier. Da steht sie plötzlich auf, geht in das Nebenzimmer – ich höre sie laut sprechen – sie tritt herein mit den Worten: Ich muß Ihnen nur sagen, Liebe! daß wir in acht Tagen zusammen nach Irland reisen. Vor Erstaunen war ich sprachlos geworden. In acht Tagen? nach Irland? Daran lerne ich nun wie ein Kind an der Lection. – Die Engländer entschließen sich schneller zum Reisen, als wir Deutsche. Da wird keine Karte, kein Kalender, kein Wetter und keine Geldbörse zu Rathe gezogen. „Sophiens Reise von Memel nach Sachsen“ war weiland etwas Erstaunliches, ja, der deutsche Peter in der Fremde kehrt schon am Kreuzweg wieder um, während   so   ein   reiselustiger   Engländer   stracks   in den   Krater   und   in   den   Rheinfall   fährt.   –   Von   nun an  müssen  Deine  Gedanken  und  Briefe  einen  weiten Weg   machen   –  werde   nur   nicht   müde,  liebster Vater!  The  House oder  das  Schloß,  welches  wir bewohnen  werden,  soll  dicht  bei  der  Stadt  Dungannon,

 

 


 

Noten des Liedes Einsamkeit auf der folgenden Seite

Regeldetri = Regula de tri, die Dreisatzrechnung

 

―――――

 

Franz List (1811 - 1886)

 

George Alexander Osborne (1806-1893)

 

Johann Timotheus Hermes' Roman Sophiens Reise von Memel nach Sachsen, 1778