BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

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Romanze I

Rosablankens Traum

 

In des ernsten Tales Büschen

Ist die Nachtigall entschlafen,

Mondenschein muß auch verblühen,

Wehet schon der Frühe Atem.

 

Jetzt auch hält auf stummen Hügeln

Einsam freudig seine Wache

Phosphoros, der Held der Frühe,

Strahlend, ernsthaft, sinnend, harrend.

 

Und es geht mit leisen Füßen,

Daß der Vater nicht erwache,

Rosablanka aus der Hütte,

Um die Sonne zu erwarten.

 

Nieder sitzt sie an der Türe

Und blickt betend in den Garten,

Ehe noch mit grauem Flügel

An dem Dach die Schwalbe raschelt.

 

Auf den Schattenkelchen glühen

Milden Taues Diamanten;

Sind es Tränen, sind es Küsse,

Ists der Glanz prophetscher Flammen?

 

«Morgenstern, o sei gegrüßet,

Du, Maria, voll der Gnaden,

Bitte für uns arme Sünder

Jetzt und in dem Tode, Amen!»

 

Spricht sie – und vom Stern der Frühe

Weissagt auch die fromme Schwalbe,

Und des Traumes schwülen Flügel

Spannt sie über Rosablanken.

 

Auf der goldnen Locke Fülle,

Schwer vom blanken Nacken wallend,

Sinkt ihr schlummernd Haupt zurücke,

Himmelsspiegel wird die Wange.

 

Schüchtern um die rosgen Füße

Ihr der Tau die Traumflut sammelt,

Und der West mit kühlem Flüstern

Dunkle Schlummersegel spannet.

 

Und der Traum spielt, sie berückend,

Auf der Wimpern goldnen Strahlen,

Die zum Schlummer sind entzücket

In des Morgensternes Glanze.

 

Und es kreuziget die Süße

Fromm gewohnt sich Stirn und Wange,

Legt in Gottes Hand die Zügel

Der nachtwandelnden Gedanken.

 

Von den lichtergrauten Hügeln

Nieder zu des Tales Garten

Durch die Nebelwege düster

Sieht sie einen Jüngling wallen.

 

Zu des Gartens Rosengrüften,

Wo die Düfte schlummernd schwanken,

Eilet Rosablanka schüchtern;

Jener folget ihrem Pfade,

 

Wandelt ernsthaft durch die Türe,

In der Rechten einen Spaten,

Und sie wagt nicht, ihn zu grüßen,

Also hell und finster war er.

 

Und sie pflückt gebückt in Züchten

Süße Blümlein, die noch schlafen,

Die unschuldgen, ohne Sünde,

Ohne Taufe, ihm zum Kranze.

 

Da sie scheu den Kranz schon ründet,

Steht vor ihr der trübe Wandrer,

Spricht: «Wohl selig sind die Blüten,

Die du tötetest im Schlafe;

 

Selig in der Nacht gepflücket,

Die in Unschuld sind empfangen,

Die nicht traf der Fluch der Sünde,

Starben selig vor dem Apfel.

 

Aber uns tut not zu büßen,

Denn das Weib ward durch die Schlange

Zu dem Gottesraub verführet,

Den sie teilte mit dem Manne.

 

Und so hat der Herr erzürnet

An die Erde uns gebannet;

In der Mutter muß ich wühlen

Nach dem göttlichen Erbarmen.

 

Mit dem Fleische ist die Sünde

Aus der Erde aufgegangen;

In der Mutter muß ich wühlen,

Bis der Vater sich erbarmet!»

 

Und vor Rosablankens Füßen

Fing der Ernste an zu graben,

Und da er die Gruft erwühlet,

Hat die Erde ihn umfangen.

 

Mit ihm zu der Erden Grüften

Sinken auch des Tales Schatten;

Aus den Gründen zu den Hügeln

Tritt die Nebelwoge wachsend.

 

Trüb getürmt auf düstern Füßen

Schwankt der Riese auf am Walde,

Schwingt die Nacht auf seinen Rücken,

Kalt die Nebelfäuste ballend.

 

Trügend rüstet sich der Lügner

Mit dem Sonnengott zum Kampfe,

Der auf goldnen Flügelfüßen

Flammet aus dem Ozeanen.

 

Seinen Spiegel stellt er lügend

In der Dünste giftgem Walle

Antichristisch ihm genüber;

Jeder wache, nicht zu fallen!

 

Wo der Traum in irdschen Gründen

Barg den Mann, will Rosablanke

Ganz in tiefer Angst entzücket

Ihren Blumenkranz begraben.

 

Aber ihr entgegen züngelnd

Reckt sich eine bunte Schlange,

Und mit heilgem Mut gerüstet

Betet bebend Rosablanke:

 

«Sei verflucht, du Geist der Lügen,

Dich zertrat des Weibes Samen;

O Maria, sei gegrüßet,

Mutter Gottes, voller Gnaden!

 

Amen!» und aus Himmelsflüssen

Gießt sich aus ein Meer des Glanzes:

Maris Stella sei gegrüßet,

Semper virgo, ave, salve!

 

Und der Jungfrau Heldenfüße

Traten auf das Haupt der Schlange;

Kindisch ihre Schuld zu sühnen

Gibt dem Kranz ihr Rosablanke.

 

Aber auf des Tales Hügeln

Glüht die Sonne, und es wallen

Schon die Bienen nach den Blüten,

Und es eilt die fromme Schwalbe,

 

Kühlt des Traumes schwülen Flügel

Auf dem Spiegel klarer Wasser,

Und beträufelt mit dem Flügel

Weckend Rosablankens Wange.