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Es war in den Tagen der guten Ahnfrau im Lande Hennegau unter dem weiblichen Geschlecht eine traurige tiefsinnige Andachtsweise eingerissen; das Ei wollte klüger seyn, als das Huhn, und die Hühner sprachen erstaunlich viel über umgelegte Eier. Es war wie eine Krankheit unter den Mägdlein des Landes geworden, aller weiblichen Handarbeit und Pflege und ebenso aller Freude und Heiterkeit zu entsagen und sich allein einem tiefsinnigen Hinbrüten zu ergeben, wodurch manche auf sehr verkehrte Dinge kamen. – Da nun im Jahre 1310 Porette, eine Jungfrau aus Hennegau, welche die Gräfin Amey kannte, durch diese Lebensweise auf so unsinnige Meinungen und Lehren kam, daß sie in Paris zum Feuertode verurtheilt ward, nahm Gräfin Amey sich dieses so zu Herzen, daß sie sich entschloß, dieser Verkehrtheit durch ihr Beispiel entgegen zu arbeiten. Sie errichtete deswegen für Jungfrauen den Orden der freudigen frommen Kinder, in welchem sie alle ihre Freundinnen verbindlich machte, mit Arbeit und Pflege für die Armen, kindliche Freude und Andacht zu vereinigen. Alles Gute und Heilige hatte einen Altar in ihrem Herzen, alles Kindliche und Heitere aber auch eine gastfreie Herberge darin; und so kam die liebe Amey in ein recht liebes, natürliches Wesen. Sie ward der Trost der Armen und die Freude der Kinder, sie selbst nannte sich als Großmeisterinn des Ordens das arme Kind von Hennegau. Da begann eine gute Zeit für die Kinder in Hennegau, welche durch die übertriebene Selbstbeschauung ihrer Mütter und älteren Schwestern ganz unbeobachtet, verwildert, schmutzig, zerrissen und zerlumpt geworden waren. Die liebe Amey errichtete große Ordensfeste und jede ihrer Ordensgespielinnen mußte eine Heerde Kinder sauber und reinlich gekleidet auf die Wiese bringen, wo getanzt und gespielt, gegessen und getrunken und auch Gott gedankt wurde. Alle edlen Jungfrauen wollten in dem Orden der freudig frommen Kinder seyn, und die weibliche Sitte erhielt eine neue schöne Wendung, so daß es ein Sprichwort geworden: «Wie wohl wär mir, hätt' ich zur Frau ein' edle Dirn aus Hennegau!» Um aber die Verbindung der freudigen Frömmigkeit und Kindlichkeit zu bezeichnen, um auszudrücken, daß die tiefste Betrachtung es eben nicht viel weiter bringt, als ein lallendes Kind, so besteht das Ordenszeichen aus einer Figur, welche auf der einen Seite ein zur Sonne auffliegendes Lerchlein als das Bild freudiger Betrachtung und auf der anderen Seite ein kleines, lächelndes Wickelkind, das sich geduldig von einem Arm auf den andern nehmen läßt, vorstellt. Es wird dieser Orden aber an einem amaranthrothen, mit allerlei Glöckchen und Quästchen und sieben Sächelchen behängten Bande um den Hals getragen, weil die Amaranthe nicht verwelkt und ihre tiefe, rothe Farbe auch getrocknet bewahrt. Die Amaranthe ist das Sinnbild treuer, beständiger Gottes- und Menschenliebe, und ein Schmuck geliebter Todten, und es ward dem armen Kind von Hennegau hier im Blumenbettlein die schöne Amaranthenkrone aufgesetzt, weil es recht gewandelt ist. Die Erde trägt eigentlich nur den Schatten dieser Blume, der Himmel allein bringt sie in der Fülle ihrer ganzen Bedeutung wirklich hervor, als ein unvergängliches, unbeflecktes, unverwelkliches Erbtheil, das uns in ihm bewahrt ist. – Die Amaranthe ist ein Sinnbild der unschuldigen Kindlein, weil diese durch das Schwert vom Leben getrennt, in ihrem Blute im Himmel wie die tiefrothen Amaranthen glühen, welche selbst von der Pflanze abgeschnitten, ihre Farbe nicht verlieren. – Die Amaranthe ist das Sinnbild der Beständigkeit, der treuen Ausdauer, und von ihr heißt es, in Kälte und Hitze, auch getrennt beständig, nimmer welkend, in Thränen erneuet. – Dieser Eigenschaften wegen trägt Gräfin Amey die Amaranthen-Krone und den Orden am amaranthrothen Band; daß aber am Saum dieses ernsten Bandes alle die kleinen artigen Spielsachen, Quasten, Glöckchen, Troddeln hängen, deutet wieder auf unschuldige Freude am Saum des ernsten Tagwerks, so wie die Beete eines Gartens, den wir mühselig bauen, mit kleinen lieblichen Blumen eingefaßt sind. Sieh Gackeleia, wegen der tiefen Bedeutung der Amaranthenfarbe hatte die gute Ahnfrau auch wohl eine so tiefe Rührung bei ihrem Anblick, denn sie konnte sich oft gar nicht zurückhalten, wenn sie diese Farbe sah; oder entsprang die Macht dieser Farbe über sie aus einem Vorgefühl des Schicksals, das ihr durch dieselbe bevorstand? – ich kann es nicht entscheiden – nur muß ich dich ermahnen, liebe Gackeleia, nie eine Hinneigung zu irgend einer Sache allzu heftig werden zu lassen, damit sie dich nicht endlich überwältige; denn sieh – die gute Ahnfrau wurde durch diese Farbe gefangen und aus Hennegau hieher nach Gockelsruh entführt. Die Räuber, welche wußten, daß sie dieser Farbe nicht wiederstehen konnte, breiteten auf einer grünen Wiese, auf der sie oft spazieren gierig, eine amaranthfarbige, seidene Decke aus, und sangen ein Lied in der Nähe, das sie sehr liebte:
«Feuerrothe Blümelein,
Aus dem Blute springt der Schein,
Aus der Erde dringt der Wein,
Roth schwing ich mein Fähnelein.»
Dieses Lied lockte Amey ans Fenster und als sie den tiefrothen Fleck im Abendschein auf der Wiese funkeln sah, konnte sie der Begierde nicht wiederstehen; sie mußte hineilen, und sich auf die Decke niedersetzen, und so entschlummerte sie. Da zogen die Räuber mit verborgenen Schnüren plötzlich die Decke über ihr zusammen, banden sie auf ein Pferd und entführten sie bis hieher unter die Hennenlinde, wo Urgockel sie auf ihr Hülfsgeschrei befreite. – Sieh, sie ist ganz in ein weites amaranthseidenes Gewand gehüllt, das deutet auf jene Decke, in der sie entführt, gerettet und die Braut Urgockels ward.» – «Es paßt recht schön,» sprach nun Gackeleia, «daß sie diese Farbe auch hier im Tode trägt, denn so ist sie auch in dieser Farbe von der Erde entführt, und unter dem wahren Hennenkreuz gerettet, eine Braut des Himmels und wie ein Küchlein unter die Flügel der Henne versammelt worden. – Aber sage, warum haben denn die Räuber die liebe Ahnfrau entführen wollen? – Sie sieht doch gar nicht so reichgeschmückt aus wie andere Gräfinnen, die von funkelndem Geschmeide strotzen, und ich habe mich schon über diese Armuth verwundert, kannst du mir wohl sagen, warum hat sie denn gar keinen andern Schmuck auf ihrem amaranthseidenen Brautkleid, als nur zwei kleine Edelsteine auf den beiden Spangen, welche das weite Gewand auf den Schultern zusammen fassen?» – Da schaute Gockel die Gackeleia lächelnd an und sprach: «du bist ein rechter Schelm, du fragst mich über Allerlei, was längst vergessen ist, und dann drehst du heimlich den Ring Salomonis, damit mir Alles in den Sinn kommen soll, was ich nie oder doch nur dunkel gewußt habe.» – «Freilich mache ich es so,» antwortete Gackeleia, «denn wie jede Speise ihr eigenthümliches Gefäß hat, so sind solche alte Geschichten immer am schönsten, wenn sie der Vater erzählt.» – Da fuhr Gockel fort: «du fragst ganz recht wegen den Räubern, die sie entführten und diesen einsamen Edelsteinen auf ihren Achselbändern zugleich, denn wegen dieser wollten die Räuber, welches böse Edelleute aus dem Turgau waren, sie entführen, und Kronovus mag dich nur gut bewachen, sonst kann dir es auch so gehen; denn auch du trägst solche zwei kleine Edelsteine auf den goldnen Spangen, welche die Aermel deines amaranthfarbigen Brautkleides auf der Schulter schürzen, und es sind diese Spangen deine eigentliche Morgengabe, welche dir allein gehört. Es sind die sogenannten heiligen Lehns-Kleinode der Grafschaft Vadutz, deren Wappen darauf eingegraben ist. Vadutz mit seinen Felsenschlößern ist ein Frauenlehn und gehört allen erstgebornen Gräfinnen von Hennegau, die mit diesen Spangen auch alle Rechte einer Lehnshuldinn von Vadutz empfangen. Es ist eine alte geheimnisvolle Sage mit diesen Steinen verbunden; es heißt, die wahren, heiligen Gnaden-Kleinode, habe schon Rebecka auf ihren Schultern getragen, sie seyen wunderthätig, die Ahnfrau habe sie mit ins Grab genommen, um ihre Nachkommen vor Gefahren zu hüten, und jene, welche diese trügen, seyen gewöhnliche Edelsteine; das mag wohl auch so seyn, denn Mutter Hinkel trug diese Kleinode auch, seit sie Gräfin von Vadutz ward, aber ich habe sie dadurch nie Wunder wirken sehen. Jedoch sind die Kleinode, wodurch die Gräfin Amey ihre Tochter zur Gräfin von Vadutz weihte und welche nun bis auf deine Schultern gekommen sind, an die ächten Edelsteine angerührt worden und mögen so einen Strahl ihres Segens empfangen haben. Die ächten heiligen Lehns-Kleinode aber sehen wir hier auf den Spangen der lieben Ahnfrau, und in dem großen Buche, welches hier neben ihr im Sarge liegt, steht von dem Geheimniß dieser Steine, wir wollen es heute nach der Hochzeitsmahlzeit lesen, jetzt aber sollt ihr mit der Nachricht Vorlieb nehmen, wie diese Kleinodien und das Ländchen Vadutz an die Gräfinnen von Hennegau gekommen sind. – Der Vater der lieben Ahnfrau trug diese Kleinode selbst, er war ein Erb-Graf von Vadutz, vermählte sich aber mit einer Gräfin von Hennegau, zog mit den Kleinoden nach Hennegau und nahm dessen Namen an. Er sehnte sich lange nach einem Töchterlein; als nun seine Gemahlin die liebe Amey gebohren, war es gerade Neujahrstag, der Graf von Hennegau war in der Schloßkapelle und im Augenblick als man sang:
«Uns ist geboren ein Kindelein,
Sein Reich lehnt auf den Schultern sein.»
kam ein Edelknab gelaufen, er solle geschwind zu der Frau Gräfin kommen, so eben habe ihr der Klapperstorch ein allerliebstes Töchterchen gebracht. Da lief der Graf geschwind hinauf in das Zimmer der Gräfin und sang den ganzen Weg:
«Mir ist geboren ein Töchterlein,
Sein Reich lehnt auf den Schultern sein,»
und als er hinauf kam, saß die Gräfin aufrecht auf ihrem Lager und hatte das liebe, arme Kind von Hennegau am Herzen, und der Graf war ganz außer sich vor Freude und lehnte sein Haupt auf die Schulter der Mutter und sah dem Töchterlein in die lieben Augen und vergoß Freudenthränen, dann nahm er seine Achselbänder, worauf zwei Edelsteine, die Reichskleinode von Vadutz, befestiget waren und sagte feierlich: «weil uns das liebe Töchterchen gerade bescheert worden ist, da man das Verschen sang, so will ich ihm auch sein Reich auf seine Schultern lehnen und zwar jetzt dir, als seiner treuen Vormünderin.» Da heftete er seiner Gemahlin die Achselbänder mit den Edelsteinen, worauf das Wappen von Vadutz eingeschnitten war, auf die Schultern und sagte: «Ich belehne deine Erstgeborne durch dich und alle erstgebornen Töchter ihrer Nachkommen mit dem Ländchen Vadutz, es sey ein Frauenlehn, ein Kunkellehn in unsren Nachkommen, und sollen den erstgebornen Töchtern der Grafen von Hennegau, sobald sie die erste Kunkel des zartesten Flachses für die Armen, ohne den Faden zu zerreißen, abgesponnen haben, diese Edelsteine auf die Schultern geheftet und sie so mit dem Ländchen Vadutz belehnt werden.» – Du nun, liebe Gackeleia, trägst jetzt diese Kleinodien auf deinen Achselbändern. Der alte Graf von Hennegau sprach nichts von dem Ursprung und den Gnaden dieser Kleinode, die bei seinen Vorfahren schon in Vergessenheit gekommen waren, welche aber die Ahnfrau später von drei Klosterfrauen erfuhr, denen sie zum Lohn ein Kloster Lilienthal stiftete, es sind dieselben, welche dort neben den Lilien bei ihr stehen. – Wegen diesen Kleinoden nun und dem Besitz der Grafschaft Vadutz entführten einige Ritter, welche nicht vom Auslande her regiert werden wollten, die Lehnshuldin und wurden hier von Urgockel erschlagen.»
Hierauf schwieg Gackeleia ein Weilchen, und da Gockel sie fragte, «warum sprichst du nicht?» antwortete sie, in dem sie ihm eine Spindel voll des feinsten Gespinnstes reichte: «Ei Vater, weil ich jenen Rocken nicht abgesponnen, lehnte mir das Ländchen so schwer auf den Schultern wie ungerechtes Gut, da drehte ich den Ring Salomonis geschwind, geschwind am Finger wie eine Spindel und da hab ich sie nun voll feinem Garn für die Armen und es ist mir wieder ganz leicht auf den Schultern.»
Da lächelten sie alle über die Gewissenhaftigkeit der neuen Königin Gackeleia von Gelnhausen, Gräfin von Gockelsruh und Hennegau, Lehnshuldin von Vadutz, und schauten die liebe Ahnfrau weiter an. Die goldnen Armringe, welche einst die weiten Aermel fest angeschlossen, waren los an den dürren Armen herabgesunken, die feinen weißen Hände ruhten an beiden Seiten des Leibes. Die Linke hielt die obengenannten Heilkräuter, die Rechte ruhte auf einem großen Buch und faßte acht lange amaranthfarbige, mit Perlen gestickte Bänder, welche von dem ähnlichen Gürtel ausliefen, der das weite Gewand über den Hüften umschloß. An diesem Gürtel hingen auch Schlüssel, und ein Löffel, Kinder zu speisen und eine Rassel, Scheere und Aehnliches. Die hagern feinen Füßchen schauten so arm und rührend unter dem Saum des Gewandes hervor, als zitterten sie, und die mit Perlen gestickten Goldpantöffelchen waren zu weit geworden, und eines herunter gefallen, so daß der eine Fuß mit den weißen schimmernden Zehen hervorsah. – Da kniete Gackeleia mit großer Liebe und Rührung an dem Sarge nieder und küßte den Fuß und benetzte ihn mit Thränen, mit den Worten: «du liebes armes Kind von Hennegau hast ja dein Pantöffelchen verloren, o Mutter Hinkel sieh, wie muß das liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatscht seyn, die Spitze des Fußes ist ganz braun, sie hat sich die Füße verfroren, – wart, ich weiß, was ich thue, in der goldnen Gallina der Königin von Saba ist eine Frostsalbe, hohle mir sie Kronovus!» – Gleich brachte Kronovus die Salbe und sie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit und schaute mit Thränen den Vater an und sprach: «Vater Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau ist schon lange todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das ist nicht ganz unvernünftig? denn sieh, ich muß es thun aus Liebe und Dank und würde mich schämen, so ich es nicht thäte, ich thue es mit dem Wunsche, es ihr selbst zu thun, sie wird schon wissen, wozu sie es gebrauchen kann, vielleicht kann sie jetzt, da ich ihr Liebe erwiesen habe, viel lustiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir es.» – Unter diesen Worten küßte Gackeleia den Fuß, den sie gepflegt und nur einem reinen Tüchlein verbunden hatte und steckte ihn wieder in das Pantöffelchen, dann erhob sie sich und alle umarmten sie schweigend, und es ertönte von dem Geiste der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Gesang her:
«Mein Schmerz ward milder, tausend Dank!
Lieb ewig heilt, was zeitlich krank,
Nimm dir zu deiner Liebe Lohn
Die ächten Steine von Vadutz;
Im großen Buche findst du schon,
Wie heilsam dieser Gnadenputz;
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
Es war eine schimmernde Freude in der Erscheinung und den drei weisen Nönnchen bei den Lilien, die süßer dufteten, als je. – Gackeleia aber besann sich nicht lange, schnell vertauschte sie ihre Achselspangen mit jenen des armen Kindes von Hennegau, und nahm zugleich das große Buch aus dem Sarg und gab es dem Vater. – Gockel blätterte ein wenig dann und sagte: «es ist kurios geschrieben von beiden Seiten nach der Mitte zu. Von einer Seite einhält es die Rechnungen der Grafschaft Vadutz, von der andern ein Tagebuch. – Potz tausend! was stehen da für Lehen und Zinsen darin, aber – aber irren ist menschlich, das Kind hat sich auch da einmal verrechnet. Hier auf diesem Blatt bei der Almosen-Rechnung hatte sie subtrahiren sollen, 1 von 100 bleibt 99, aber sie hat statt dessen gesagt, 1 von 100 kann ich nicht, 1 von 10 bleibt 9 und 9 von 9 geht auf, – das kann ja unmöglich eintreffen, aber auf-gegangen ist's doch, wie Saat im Garten der Armen. – In der Ortho-graphie war sie auch nicht ganz fest, hier in der täglichen Haus-haltungsrechnung steht immer, eine Maß Michl, ein Schoppen Michl, immer Michl statt Milch; aber halt, da kömmt Etwas, das muß jetzt verlesen werden, lies Gackeleia!» und er gab ihr das Buch und sie las:
Gräflich Hennegauische Hühner- und Menschensatzungen
Zu der Sache ewiger Gedächtniß. Wir von Gottes Gnaden Gräfin Amey, Urhinkel von Hennegau, allererste Lehnshuldin des Ländchens Vadutz, armes Kind von Hennegau und des Ordens der freudigen frommen Kinder Stifterin, erklären in hoher Pünktlichkeit, Komma cum Pünktlichkeit und Duopünktlichkeit. – Als wir, der abgründlichen Untiefe übertriebener Beschaulichkeit zu begegnen, unsern Orden errichteten, haben wir unsern Namensverwandten und ersten Ordensgespielinnen bei verschiedenen Veranlassungen, welche in den Tagebüchern des Jahres 1318 aufgeschrieben sind, mancherlei Gnaden und Rechte für sich und ihre weiblichen Nachkommen verliehen, wogegen dem Brautzug und Leichenzug jeder Gräfin von Hennegau eine Nachkommin dieser Gespielinnen gottesfürchtig beizuwohnen und ein Huhn an dem sogenannten Hühnerabend abzuliefern hat. Auch sollen dieselben solchen Braut- und Leichenzügen mit ihren Namen bezeichnenden Blumen geschmückt beiwohnen und derlei Blumen zu Füßen des Grabes erhalten, mit der kindlichen Liebesmeinung, diese möchten dort statt ihrer beten, wenn sie selbst nicht anwesend seyn könnten. – Eine jede erstgeborne Tochter meiner Nachkommen nimmt mit ihren mündigen Jahren das Amt der Ordensgeneralin und den Titel: «das arme Kind von Hennegau» an und hat an ihrem Gürtel als Braut und als Leiche acht Bänder von amaranthfarbigem Linnenband befestiget, welche die Ordensgespielinnen anfassen, wenn sie dem Zuge folgen. Sie gehen in dem Grand Cortege dicht hinter den drei Klosterfrauen von Lilienthal. – Sie haben dies Alles zu erfüllen bei Verlust ihrer Rechte.
Diese unsre Erklärung soll bei Braut- und Leichenzügen den Ordensgespielinnen jedesmal vorgelesen werden. – Sodann sind die Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal zu lesen und dieselben aufzurufen, worauf die Ordensgespielinnen oder deren Lehnserben aufgerufen und von ihnen die Pflichthühner abgeliefert werden sollen.
Gegeben in unserm Kabinetchen im Jahr, da man sang:
«Gott grüß dich Mond und Sternenschein,
Entlaubet ist das Fensterlein!»
Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal.
Als ich am Tage nach Johanni des Jahres 1318 den drei Fräulein zur Lilien auf Gottes höhere Mahnung und ihr dringendes Bitten das Kloster Lilienthal gründete und ausstattete, wurde dieses Kloster Lilienthal verpflichtet, den Braut- und Leichenzug jeder Gräfin von Hennegau und Lehnshuldinn von Vadutz, welche das Kleinod auf den Schultern trägt, von drei Klosterjungfrauen begleiten zu lassen und auf ewige Zeiten drei weiße Lilien auf meinem Grabe zu erhalten. – Es sind aber diese drei Klosterschwestern bei solcher Gelegenheit mit den Worten aufzurufen:
«Ihr Lilien im Garten
Gedenket der Nacht,
Gedenket der Zarten,
Die bei euch gewacht;
Gedenket der Gnade,
Die auf euch gethaut,
Und duftet am Pfade
Der lieblichen Braut,
Und bittet am Grabe,
In dem sie nun ruht,
Daß Friede sie habe,
Die lieb war und gut.»
Da neigten sich die drei weißen Klosterfrauen gegen die rechte Schulter der Ahnfrau und man hörte die Worte wieder:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
Hierauf nahte die Mutter Gackeleias dem Sarge und legte vier der acht Amaranthbänder, die von dem Gürtel der Ahnfrau ausliefen, zur rechten und vier zur linken Seite des Sarges heraus, und indem sie die weiten Aermel ein wenig über den hagern elfenbeinernen Händen der Ahnfrau in die Höhe zog, sprach sie: «sieh Gackeleia, da bewährt sich das Sprichwort wieder – an der Klaue kennt man den Löwen und an der Hand die Gräfin von Hennegau. – Wenn wir es auch nicht wüßten, so würden uns diese Hände sagen, daß sie der Gräfin Amey von Hennegau gehören. Sieh, Gackeleia, von ihr haben wir die sogenannten Hennegauischen Dockadaumen oder Gnadendaumen geerbt.» Gackeleia küßte die Hände der Ahnfrau ehrerbietig, indem sie den Vater fragte, woher denn der Name Hennegauische Gnadendaumen komme; da erwiederte Gockel: «die ganze Hennegauische Familie stammt mütterlicher Seite von einem römischen Kaiser Curio und dessen Weib Docka her, die Christen geworden, nach Deutschland gezogen und auch das Land Vadutz gegründet. Es war aber bei den heidnischen Römern eine grausame Belustigung, Männer mit Schwertern auf Tod und Leben mit einander fechten zu sehen. Wenn nun einer der Kämpfer unterlag, setzte ihm der andere das Messer an die Kehle und schaute umher, ob man ihn tödten oder begnadigen lassen wolle; wer nun verlangte, der Ueberwundene solle leben bleiben, der hob die Hände in die Höhe und schloß den Daumen fest in die Faust, das war das Zeichen der Gnade; die Kaiserinn Docka soll gleich nach ihrer Geburt schon die Händchen in dieser Stellung gehabt haben, so daß die Mutter ausrief: «Ach mein liebes Kind du bist ein Gnadenkind!» – Docka aber hielt bei jeder Gelegenheit, wo es Hilfe und Rettung galt, von frühester Jugend auf ihre Händchen immer in dieser Gnadenstellung, so daß ihre Daumen sich ganz danach bildeten und man dieselben Gnadendaumen, Dockadaumen nannte, und von ihr ist diese Handbildung auf alle Gräfinnen von Hennegau, mit der großen Neigung zu begnadigen und zu vergeben, vererbt. – Sieh Gackeleia, daher kömmt der Gebrauch, daß man sagt, halte mir den Daumen, wenn man verlangt, ein anderer solle mit seiner ganzen Seele unser Glück wünschen.»
«Nun wissen wir Alles,» sprach Gackeleia, «so recht, wie man sagt, bis auf den Fingernagel; wir wissen, warum die drei Lilien und die drei weißen Klosterfrauen bei der lieben Ahnfrau unter der Hennenlinde stehen; und warum dort bei den acht Pflanzen die acht Ordensgespielen des armen Kindes von Hennegau festlich geschmückt erscheinen und Hühner in Körbchen unter dem Arm tragen. Sie kommen zur Leichen-Uebertragung des ältesten armen Kindes von Hennegau und zum Brautzug des jüngsten, und das bin ich! – Sie wollen ihre Pflichthühner abliefern. – Geschwind, geschwind, laßt uns sie empfangen, ich sehe, sie schwanken schon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe sie auf – «Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Gräfin Amey von Hennegau, ersten Lehnshuldin von Vadutz und ersten armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Königin von Gelnhausen, Gräfin in Hennegau und von Gockelsruh, jüngste Lehnshuldin von Vadutz und jüngstes armes Kind von Hennegau, – Euch, acht erste Ordensgespielen, die acht Pflichthühner abzuliefern. – Zuerst rufe ich auf. Fräulein Ornitogalia, für eine am 30. April 1318 empfangene Weide-Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!»
Auf diesen Ruf schwebte Ornitogalia, ein Kränzlein des Kräutleins Hühnermilch auf den blonden Locken und ein schönes Huhn in einem Körbchen tragend, zwischen den Sarg und Gackeleia. Sie verbeugte sich gegen den Geist der Ahnfrau, küßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im Sarge trug. Hierauf erhob sie sich wieder, lehnte ihr Haupt gegen das Kleinod der rechten Achselspange Gackeleias, setzte sodann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Füßen nieder und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf sie das erste der acht amaranthfarbenen Bänder ergriff und ruhig an ihrer Stelle stehen blieb. – Hierauf rief Gackeleia nach der Reihe die sieben folgenden Fräulein auf. Alle trugen sie Kränze von Kräutern ihres Namens und den Orden der freudig frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. – Osterluzia lieferte für ein am 1. Mai empfangenes Stück Wald ein Waldhuhn. – Kretellina brachte für das am 7. Mai erhaltene Recht, im Wald zu grasen, ein Grashuhn. – Serpoleta gab für den am 14. Mai verliehenen jährlichen Holzbedarf ein Rauchhuhn. – Morgelina hatte am 21. Mai das Recht erhalten, im Walde Laub zu sammeln und brachte ein Laubhuhn. – Moskatellina entrichtete für ein am 28. Mai empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. – Kornelia leistete ihre Lehnspflicht für einen am 4. Juni empfangenen Rosengarten mit einem Gartenhuhn. – Esparsetta entrichtete für ein am 13. Juni, Pfingstdienstag, empfangenes Feldgut ein Pfingsthuhn. – Als alle Ordensgespielinnen ihre Pflicht gelöst und die acht Bänder anfassend, zur Rechten und Linken des Blumensarges standen, erhoben Gackeleia und Kronovus die beiden vorderen, Gockel und Hinkel die beiden hinteren Stangen der Tragbahre und zogen mit dem Blumensarge der Kapelle zu. – Der Geist der Ahnfrau folgte seinem eignen Leibe zu Grab. – Es war ein Anblick von der rührendsten Erhabenheit. – Hinter dem von den acht Ordensgespielinnen umgebenen bunten Blumensarg, in welchem das bleiche, arme Kind von Hennegau in tiefrothem Gewand gleich einem elfenbeinernen ernsten Jungfräulein zu schlummern schien, schwebte dessen eigner Geist zwischen den drei weißen Klosterfrauen, welche Lilien trugen – selbst eine Lilie – in unaussprechlich rührender Einfachheit, in schneeweißem, langem Gewand, Spindel und Brod tragend, das verschleierte Haupt mit weißen Rosen bekränzt, mit lieblichem Frieden im Angesicht über die Blumen und Grasspitzen dahin. Eine der drei Klosterjungfrauen, welche sie mehr, als die beiden andern zu lieben schien, trug ihr demüthig die Schleppe. – Alle drei sangen:
«Die reine Lilie prangt mit größrer Herrlichkeit,
Als jemals Salomo in seinem Königskleid,
Du trägst dies Brautgewand seit deiner Tauf' auf Erden,
Du konntest herrlicher niemals geschmücket werden.»
Worauf der Geist der Ahnfrau mit wehmüthiger Innigkeit wieder sang:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
Nun aber folgte der ganze Zug der Geister der dankbaren Armen, welche den Sarg geschmückt hatten, sie trugen die schimmernden Fahnen von Röckchen, Hemdchen, Schürzchen, Jäckchen, Mützchen, die guten Werke des armen Kindes von Hennegau. Wer aber kam ganz, ganz zuletzt, so daß gar nichts mehr hinter ihm kam? – Niemand Anders, als jene alte Frau mit einer blauen Schürze, welche bei allen Prozessionen und Leichenzügen zuletzt kommen muß – jene gesetzte, solide Person, die nicht im Himmel ist, nicht auf der Erde ist und die selber nicht weiß, wo sie ist und wer sie ist. Alle Nachforschungen der so ausgezeichneten geheimen Polizei von Gelnhausen haben doch keine entschiedenere Auskunft über sie zu Stande gebracht, als, es heiße, sie solle ein buckliches Fragezeichen hinter einer Leichenrede seyn, man halte sie für eine Art Nachrede, sie gebe sich für ein gewisses Gewissen aus u. dgl. mehr. – Man suchte ihrer auf alle Weise habhaft zu werden, man stellte bei allen Blaufärbern Spionen auf, um sie zu ergreifen, wenn sie etwa ihre Schürze neu wolle färben lassen; aber sie ließ sie nicht färben. Endlich ward sie von der Verschönerungskommission, als geschmacklos und die künstlerische Würde solcher Prachtzüge störend, und von der Aufklärungskommission als ein abgeschmackter alter Aberglauben für null und nichtig in Contumaziam erklärt. – Der Oberhof-Osterhaas schrieb eine gekrönte Preisschrift gegen sie, worin er sie für eine optische Täuschung, oder höchstens für das fünfte Rad am Wagen erklärte, welches, so oft man seiner auch erwähne, doch eigentlich niemals da sey. – Unter der Regierung des Kronovus aber ward, weil er sie selbst trotz aller Null- und Nichtigkeits-Erklärung hinter dem Leichenzug seines Herrn Vaters Eifrasius allerhöchstaugenscheinlich herschleichen gesehen, alles Schreiben über sie verboten und eingeführt, bei ihrem Anblick immer einem Armen eine neue blaue Schürze zu schenken; man hat bemerkt, daß sie seitdem immer eine neue blaue Schürze trägt, und daß die Blaufärberei in Gelnhausen einen solchen Aufschwung gewonnen hat, daß sie der Bäcker- und Fleischerzunft gar nichts nachgiebt.
So nun kam der Zug in die Kapelle, wo unter dem Vortritt Alektryos und Gallinas alles anwesende Federvieh sich tiefneigend Spalier machte. Als sie mit dem Sarg vor den Altar kamen, drehte Gackeleia den Ring, das Grab Urgockels öffnete sich, da sahen sie das Gerippe des alten Herrn auch im reichen Grafenornat gar ehrbar unten ruhen.
Nun legten die acht Ordensgespielinnen, die acht Bänder in die Hand der Ahnfrau im Sarge zurück und ergriffen die ähnlichen Bänder, die zum Gürtel Gackeleias gehörten, und standen eine Weile um sie her. Man senkte den Sarg neben den Sarg des Urgockels hinab, das Grab schloß sich, die Jungfrauen stellten ihre Körbchen mit den Hühnern darauf und legten alle ihre Kränze umher. – Der Geist der Frau Urhinkel schwebte licht gegen den Grabstein Urgockels, die drei Klosterfrauen mit den Lilien standen zu dessen Füssen. Eine Lichtwolke erfüllte die Kapelle und zog sich oben wie in einen offnen Himmel hinauf, dahin schwebte der Geist der lieben Gräfin Amey von Hennegau zwischen den drei Klosterfrauen. – Gackeleia sprach zu den acht Jungfrauen um sich her: «segne euch Gott, liebe Gespielen, ich danke eurer Treue, folget dem liebsten Herzen dahin, wo es noch besser ist als hier in Gockelsruh!» da neigten sie sich gegen ihre rechte Schulter und schwebten in die Lichtbahn des ersten Kindes von Hennegau hinan, und die ganze Prozession der Armen zog hinten nach und man hörte den Gesang:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
immer leiser und leiser, bis er zuletzt ganz verstummte und Alles in der Kapelle wie vorher war; da sah man das Steinbild der Frau Urhinkel mit der Urgallina auf der Schulter neben dem des Urgockels an der Wand und unter demselben schauten drei weiße Lilien über dem Altare hervor. Auf dem Grab vor dem Altar hatten die Kränze der Ordensgespielen Wurzel geschlagen und grünten alle die Kräuter, aus denen sie bestanden. – Gackeleia übergab die verehrten Hühner dem Alektryo, der sie sogleich in Eid und Pflicht nahm und nebst der übrigen Hühnergemeinde in den Hühnerhof führte, wo ihnen ein Hochzeitsschmaus von Waitzenkörnern, Brodsamen, allerlei Grünem, Maikäfern, Regenwürmern und andern Delikatessen zubereitet war. – Während allem diesem wurden fortwährend die Glocken geläutet, lief die Kunstfigur immer mit dem Klingelbeutel umher und endeten der Organist und die Primadonna ihre Fuge nicht. – Hierauf setzte sich der Zug in Bewegung, den Wappenfahnen folgten die blumentragenden Knaben, die blumenstreuenden Mägdlein, die Jünglinge mit den Geschenken Salomos; – dann Kronovus und Gackeleia, welche die Kunstfigur im Arm trug, und zuletzt Gockel und Hinkel, welchen, als sie die Thüre verließen, Alektryo und Gallina auf die Schulter flogen. – So kam der Zug in den herrlichen Raugräflich-Gockelschen Speisesaal, wo eine vortreffliche Mahlzeit aufgetragen war. Im ganzen Schlosse gieng es lustig zu, viele gute Leute aus Gelnhausen, die sich damals über Gockels Pallast so verwundert hatten, waren Extrapost hergefahren. Der Herr Postmeister hatte nichts zu thun, als einzuspannen, der Herr Schirrmeister schmierte unerschöpflich, die Herrn Postillone bliesen sich schier den Athem aus. Alles was in Gelnhausen kurfähig war, wurde zur gräflichen Tafel gezogen, und sogar der geheime Oberhof-Osterhaas, alle Ritter und Ritterinnen des hohen Eierordens; auch viele reisende Künstler und Gelehrte und Standespersonen, welche gerade zu der Frankfurter-Messe durchpassirten, benutzten die seltene Gelegenheit, alle die Herrlichkeit mit anzusehen. – Es wurden der Gäste so viel, daß Gackeleia alle Augenblicke den Ring drehen mußte, um den Tisch zu verlängern. Einen großen Tisch allein bedurfte der Oberhof-Osterhaas, denn er hatte eine ihm empfohlene großmächtige, breite Schottländerinn bei sich, deren Gefolge aus einem lebensgroßen Lebkuchenfiguren-Kabinet und einem Leib-Lebküchler bestand, die Alle mit ihr an einer Tafel saßen. – Der Oberhof-Osterhaas stellte sie den hohen Herrschaften mit den Worten vor: «die sehr honorable Kounteß Samsonia Molle Gothol, Meisterinn von St. Eduards Stuhl, auf welchem die Könige von England gesalbt werden, eine Nachkomminn der schottischen Könige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. s. w., welche schon Jahrhunderte vor christlicher Zeit, auf jenem Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz schlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, dessen Pflege ihr anvertraut ist. Diese hohe Dame ist mir von der Akademie der old druidical Superstitionsdringend empfohlen, sie hat sich eine schwarze Melancholie durch zu urälterliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem sie schon auf ihrem Kinderstühlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem darin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe spielend zur Wache gesessen und dann durch stätes Brüten über die Herkunft dieses Steins vor lauter Kindern Gottes und der Menschen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit verloren hat. Nun aber reist sie mit ihrem Kinderstühlchen umher, dieselbe wieder zu finden und darauf zu setzen. Da sie Alles vom Ei an ergründen muß, und von meinen geringen Verdiensten als unwürdigem Oberhof-Osterhaas gehört hat, hat sie gehofft, vielleicht in einem Osterei, den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! – Es ist ihr bei längerem Aufenthalt in der Grafschaft Vadutz bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieser Grafschaft die Achselspangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und weil sie weiß, daß diese Kleinode mit dem Stein Jakobs zusammenhängen, so wünscht sie für ihre Studien eine nähere Kenntniß dieser Alterthümer aus schriftlichen, gleichzeitigen Urkunden zu erlangen. – Die bei ihr befindlichen Lebkuchen sind ihre theils noch heidnische Vorfahren, die schottischen Könige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und dergleichen. Der sie begleitende Leib-Lebküchler arbeitet mit lauter Honig aus dem Rachen des Löwen Samsons, und da sie eine Vorstellung dieses ihres Namenspatrons, wie er seine Feinde mit dem Eselskinnbacken erschlägt, in Honigkuchenteich poussiren lassen will, hat sie ihn mitgenommen, um Studien zu skitziren, was sehr unterhaltend ist; er hat mich schon portraitirt, und es gleicht, wie kein Osterei dem andern. – Diese würdige Märtyrin der Ernsthaftigkeit empfehle ich nun der theilnehmenden Kind- und Kinds-Kindlichkeit der königlichen und gräflichen Familie, allerunterthänigster, unwürdiger Oberhof-Osterhaas.» Gackeleia empfand eine große Theilnahme für die honorable Kounteß und wollte sie umarmen, sie war aber zu groß und zu breit und wollte sich nicht bücken, da half sich Gackeleia mit dem Ring und drehte die Kounteß herunter, daß sie gerade groß genug war und schloß sie herzlich in ihre Arme, wobei dieser sehr wohl zu Muthe ward, so daß sie lächelnd sagte: «Euer Kindlichkeit können auch mehr als Brod essen!» – Gackeleia lächelte und drehte die Kounteß wieder in ihre große, breite Gestalt zurück, worauf sich Alles zu Tisch niedersetzte. – Daß Gackeleia mehr als Brod essen konnte, bewies der Küchenzettel der hochzeitlichen Mahlzeit; denn aus Achtung für die Kounteß verwandelte Gackeleia durch den Ring Salomonis die ganze Gelnhausische Mahlzeit in eine Schottländische, und die Verwunderung der auftragenden Bedienten und die Verlegenheit der Gelnhauser Gäste, die nicht wußten, wie sie die fremden Gerichte anfassen sollten, erlustigte das ganze Fest. – Besonders viel zur allgemeinen Freude trug der Leib-Lebküchler der Kounteß Gothol bei. Sie saß zwischen den Bildern ihrer Vorältern, er neben dem Oberhof-Osterhaas unten an und war in stäter Arbeit, daß ihm der Schweiß ausbrach, er hatte einen großen Kübel Honigteich neben sich, und indem er mit großen Appetit zu essen schien, knetete er mit Löffel, Messer und Gabel, das Bild irgend eines Anwesenden aus Teig auf den Boden seines Tellers, dann begehrte er einen frischen Teller und ließ den andern am Tische von Hand zu Hand gehen, was ein großes Aufsehen unter allen Gästen machte. Als nun Gackeleias Bild zu Kronovus und des Kronovus Bild zu Gackeleia kam, fanden diese sich so getroffen, daß sie sich freßlieb gewannen, und das wurde auf einmal Mode am Tisch, Einer aß des Andern Bild auf. Da drehte Gackeleia, die melancholische Kounteß auch wieder durch eine Artigkeit zu erheitern, den Ring Salomonis, daß alle ihre Lebzelten-Vorältern neben ihr leben und mit ihr sprechen möchten und eben so möchten die neugeformten Gesichter mit dem Lebküchler thun. Das gab nun einen seltsamen Spaß, die alten Schottischen Könige fiengen an mit der Kounteß, und dann unter einander von dem Stein Jakobs zu disputiren und zwar sehr heftig, die Gesichter, welche der Künstler auf die Teller formte, schnitten Gesichter und streckten ihm die Zunge heraus, er wurde unwillig darüber, knetete ihnen die Mäuler zu, da bliesen sie dann die Backen auf, kurz es ward eine stäte Abwechslung von Grimassen. Da nun alle die Könige anfiengen, dem Meth und Aepfelwein tüchtig zu zusprechen und auch dem Lebküchler häufig zutranken, gab es Streit und sie warfen sich die Teller ins Gesicht und modellirten sich ganz grandios mit den Humpen auf den Köpfen herum. Diese alten Schotten-Könige hatten eine Art Bauernkrieg unter einander und bald war dieser bald jener Trumpf, – und dazwischen wurde immer vom Stein Jakobs geschrieen, ohne daß sie irgend einig werden konnten. Alles das ward der guten Kounteß ein Stein des Anstoßes, sie wußte gar nicht mehr, was sie von ihren Altvorderen halten sollte, sie kam zitternd und bebend mit ihrem Kinderstühlchen zu Gackeleia gelaufen und lehnte ihren großen Kopf Hilfe suchend, da Gackeleia, um dem Streite zu zusehen, auf den Stuhl gestiegen war, ganz bequem gegen das Achselband ihrer rechten Schulter mit den Worten: «o mein Gott, welch ein Greul, o wo seyd ihr hin, ihr schönen Tage meiner Kindheit!» – Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunsche, alle die Streitenden möchten sich in unschuldige, belustigende Gegenstände verwandeln und alsbald wurden die Könige und der Lebküchler zu Hollundermännchen, welche sich einander auf den Kopf stellten und wieder auf die Füße purzelten, was allgemeinen Beifall fand. Die Ueberreste der Lebkuchen-Bilder wurden theils von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina verzehrt. – Selbst die Kounteß lächelte darüber und sagte: «seit ich die Achselspange der Rebecka berührt habe, ist mir ein solcher kindlicher Friede, eine solche Lust ins Herz gekommen, daß es mir lächerlich vorkömmt, wie ich so entsetzlich über den Stein Jakobs habe studieren können, o jetzt habe ich keinen Wunsch mehr, als daß ich noch, wie einst auf meinen Kinderstühlchen neben St. Eduards Stuhl sitzen und meine Puppe darauf stellen könnte.» – Diese Rede gefiel der ganzen gräflichen Familie so wohl, daß Gockel ihr Kinderstühlchen auf den Tisch und die Puppe daraufstellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei, Kronovus den Orden des goldnen Ostereis mit zwei Dottern, und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder umhängten, sie rückten zusammen und nahmen sie in die Mitte und tranken Gesundheiten und Alles war voll Lust und Herrlichkeit. – Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geschenken Salomos und der Königin von Saba auf dem Tische lag und überreichte es der Kounteß mit der Bitte, da sie sich so sehr für schriftliche Urkunden interessire und eine so schöne Aussprache habe, möge sie mit der Vorlesung die Mahlzeit beschließen; wahrscheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeichnet seyn. – Sie nahm das Buch, blätterte ein wenig darin hin und her, wie ein Kind, das keine Lust zu lesen hat, und sagte: «es sind gar keine Bilder darin, das ist Schade, es ist mir auch jetzt ganz unleserlich zu Muthe; mir ist so lustig und kindisch, daß ich mich ordentlich zusammennehmen muß, um mich nicht da auf den Tisch hinauf auf mein Kinderstühlchen zu setzen und mit den Füßen zu pampeln. So lächerlich, ja unmöglich dieses bei meiner allzu großmächtigen Figur nun scheint, muß ich dennoch leiblich dagegen kämpfen; denn mein Seelchen sitzt wirklich schon darauf und läßt jedermann seine schönen, neuen, rothen Schuhe bewundern. Nein, jetzt lese ich nicht – ich habe eine große Angst, wieder in die Untersuchungen alttestamentarischer Antiquitäten zu fallen, mir ist, als verstünde ich jetzt erst den Stein Jakobs recht, mir ist, als stiege ich mit den Engeln auf der Himmelsleiter, die er auf diesem Steine schlafend im Traume gesehen, auf und nieder, und wir spielten zusammen und einer von ihnen hat mir gesagt: «sey ein frommes Kind, laufe nicht in alle Gassen hinein, halte dich hübsch fest an der Schürze der Mutter und trau den falschen Ammen nicht – die treuen Kinder wird die Mutter gewiß zum lieben Vater bringen, und da giebt es Kuchen und Herz, was verlangst du?» – seht, so ist mir – ich will mir keine neuen Skrupel in den Kopf setzen; aber ich will Euch hernach doch aus dem Buche lesen – jetzt nun hätte ich vor mein Leben gern, daß die liebe Gackeleia mir und uns Allen das wünsche, was ihr das Liebste und uns Allen das Nützlichste und Gott das Wohlgefälligste, am Ende aber ein wenig plaisirlich für jedermann wäre. – Wünsche, Gackeleia, wünsche, bitte, bitte, bitte!» – Die große majestätische Schottländerin sagte dies so von ganzen Herzen, so ganz wie ein unschuldiges Kind, das erst der Flamme des Lichtes mit den Händchen winkt, und weil sie nicht gleich naht, unbesorgt hinein greift, ja so ganz von Herzen, daß sie in ihrer jetzigen Aeußerung einem schönen, schimmernden Schmetterling glich, der sich aus der finsteren Hülle einer Puppe, wie aus einem Kerker hervorwindet; die Flügel träumend entfaltet, und rührt und ruft: o Blumen her, Rosen, Lilien, mich zu schauckeln! – o es war rührend, leicht hätte er das Licht selbst für eine in der Nacht leuchtende Lilie halten und den Tod darin finden können. – Gackeleia fühlte das Alles so tief, daß sie die gute Samsonia Molle Gothol ans Herz drückte, mit den Worten: «gewiß, gewiß, du bist die erste liebste Ordensgespielin des armen Kindes von Hennegau!» – Da blickte Gackeleia den Kronovus und Vater und Mutter und alle Gäste gar lieblich, schlau und kindlich lächelnd der Reihe nach an und hob den Ring an dem Finger mit der Frage empor: «wollt ihr von Herzen mit Allem zufrieden seyn, was ich wünsche?» und alle riefen einstimmig: «ja, ja, von Herzen zufrieden, wünsche Gackeleia, wünsche!»
Nun umarmte Gackeleia Vater und Mutter und den Kronovus und drückte die schöne Kunstfigur ans Herz und reichte allen Gästen der Reihe nach die Hand – dann schaute sie rings um aber das fröhliche Volk, über Schloß, Hof und Garten, über die ganze freudige Umgegend und sprach: «o wie ist Alles so einig und freudig umher! nur Eines bleibt zu wünschen übrig – ich wünsche es,» da drehte sie den Ring Salomonis am Finger und sprach:
«Salomo, du weiser König,
Dem die Geister unterthänig,
Setz' uns von dem stolzen Pferde,
Ohne Fallen sanft zur Erde,
Führ uns von dem hohen Stuhle
Bei der Nachtigall zur Schule,
Die mit ihrem süßen Lallen
Gott und Menschen kann gefallen,
Laß, das hohe Lied zu singen,
Uns aufs Kinderstühlchen schwingen,
Führ uns nicht in die Versuchung
Unfruchtbarer Untersuchung;
Nicht der Kelter ew'ge Schraube,
Nein die Rebe bringt die Traube.
Mach' einfältig uns gleich Tauben,
Segne uns mit Kinderglauben.
Lasse uns um jede Gnade
Kindlich bitten, kindlich danken
Und durch Dorn und Blumenpfade
Treu gepflegt sie ohne Wanken,
Freudig, doch mit frommem Zagen,
Hin zum lieben Vater tragen.
Laß die Engel bei uns wachen,
Daß wir wie die Kinder lachen,
Daß wir wie die Kinder weinen,
Laß uns Alles seyn, nichts scheinen. -
Mache uns zu Kindern Alle,
Jedes sey nach seiner Art,
Wie's dem lieben Gott gefalle,
Einsam oder treu gepaart.
Bricht ein Herz am andern Herzen,
Mach ihm Blumen aus den Schmerzen,
Daß mit duftendem Gewinde
Seine Wunde es verbinde,
Roth, wie Amaranthen blühe,
Bis in Schmerzen es verglühe.
Wessen Herz ein Anderes spiegelt,
Der sey rein und stark geflügelt,
Daß er heil empor es trage
Zur Befriedung aller Klage,
Zur Erlösung aller Frage,
Aus der Nacht zum Herrn der Tage.
Zieh'n schon Engel durch die Halmen,
Wogt das Korn schon Well auf Welle,
Naht der Schnitter unter Psalmen,
Spielen Kinder auf der Schwelle
Doch mit Blumen roth und blau,
Die des letzten Tages Thau
Bräutlich schmückt mit mildem Glanz
Für des Festes Erndtekranz,
Und sie singen: Uns liebt morgen,
Der uns heut so treu geliebt,
Ein fromm Kind braucht nicht zu sorgen,
Wenn's noch Heut und Morgen giebt;
Und kömmt erst die Ewigkeit,
Halt ich reinlich nur mein Kleid,
Bin ich fertig und bereit
Und geh ein zur Herrlichkeit.
Darum liebster Salomo!
Mach uns heute groß und klein
Gleich zu solchen Kinderlein,
Knaben derb und Mägdlein fein,
Die im Grase frisch und froh
All in Kleidchen nett und rein
Rings um den Alektryo
Glücklich bei einander sitzen
Und die Ohren horchend spitzen.
Mach, daß Alles auf ein Häärchen
Nichts ist, als ein altes Mährchen,
Das der Hahn uns hübsch erzählt,
Den wir lang darum gequält,
Und die Puppe, nein – die nur
Eine schöne Kunstfigur,
Sey gleich eine ganz scharmante,
Aprobirte Gouvernante,
Schmeidig, wie ein Seidenfädchen,
Zierlich, wie ein Silberdräthchen,
Die mit zimperlichen Schritten
Einen Kuchen schon zerschnitten,
Weil das Beste kömmt zuletzt,
Lächelnd vor uns niedersetzt.
Und wir drängen uns um sie,
Herzen und bekränzen sie,
Und sie stimmet mit uns ein:
«Bitte, bitte, artig seyn!»
Und wir patschen in die Hände,
Und das Mährchen hat ein Ende;
Ringlein, Ringlein, dreh dich um,
Mach es so, ich bitt dich drum!»
Während Gackeleia diese Worte theils mit tiefer Rührung, so daß ihr die Thränen in die Augen traten, theils lächelnd mit gutmüthigem Muthwill aussprach, drehte sie den Ring immer schneller, denn sie ward immer ungeduldiger, wieder ein Kind zu seyn. Kronovus hängte sich an ihren Arm, er war ordentlich bang, sie würde ganz klein werden und ihm endlich gar verschwinden; weil sich aber in seiner Seele alles zugleich mit ihr veränderte, merkte er keinen Unterschied. – Das verschiedene Betragen aller Gäste war lustig anzusehen, einigen sehr soliden Standespersonen aus Gelnhausen war gleich anfangs schon nicht recht wohl bei dem Handel zu Muthe, sie waren froh, die Kinderschuhe ausgetreten zu haben, sie fürchteten, sie müßten wieder in die Schule und besonders in die Kinderlehre gehen und würden sehr beschämt werden, weil sie den Katechismus ganz vergessen hatten. – Einige Damen dachten auch, man könne sich das Verjüngen bis auf einen gewissen Grad wohl gefallen lassen, dann aber wollten sie sich unter irgend einem Vorwand zurückziehen; so kam es dann, daß vielen gleich anfangs übel ward, daß sie Nasenbluten bekamen, heftig zu husten anfiengen und sich aus dem Staube machten. Andere, welche tüchtig gegessen und getrunken hatten, begannen zu gähnen und schliefen ein oder fiengen an zu tändeln und zu spielen und ganz kindisch vertraut allerlei Neckereien mit ihren Nachbarn zu treiben. – Es kam viele Natur, viele Art und Unart, aber auch gar viel verstecktes Liebes an den Leuten zu Tag. – Da nun Gackeleia mit ihrem Wunsche fertig war, zog sie den Ring ab und legte ihn auf den Teller, um ihn für immer dem Kronovus zu überreichen, aber Alektryo, der neben ihr auf der Schulter Gockels saß, zuckte mit dem Schnabel hervor nach dem Ringe und verschluckte ihn wieder, in demselben Augenblicke gieng der Wunsch Gackeleias plötzlich in seine ganze Erfüllung. – Die großmächtige Schottländerin hatte noch gerade so viel Zeit, das große Tagebuch der Ahnfrau unter den Arm zu klemmen und ihr Kinderstühlchen zu erwischen, denn sonst hätte sie mit den andern Kindern auf der Erde sitzen müßen. –
Mehr als drei dutzend Personen waren gerade noch übrig, und diese waren auch richtig in eben so viele gesunde vergnügte Kinder verwandelt, die auf einem schönen, blumigen Grasplätzchen am Rande eines Kornfeldes um den Hahn Alektryo herumsaßen, der ihnen die Geschichte erzählte, die ein altes Mährchen war, welches er in seiner Kindheit von einem italienischen Schokolademacher gehört, und um das sie ihn schon lange gequält hatten. Als er nun eben fertig war, kam das Beste zuletzt, nicht die Puppe, sondern nur die allerschönste Kunstfigur war in eine wohl aprobirte Gouvernante verwandelt und trippelte mit einem Präsentirteller, worauf ein großer, schon getheilter Kuchen lag, mitten unter die Kinder und ließ sich auf ein Knie nieder und setzte den Kuchen auf den Rasen zwischen die Kinder. Da war der Jubel allgemein, die Kinder drängten sich um sie, umarmten sie, schmeichelten ihr, setzten ihr Kränze auf, machten Musik, schrien Vivat, und jedes that nach seiner Art, gesellt oder einsam; es waren auch Kinder da, die schliefen, die gähnten, die aufwachten, die sich neckten, versteckten, liebkosten, Kränzchen aufsetzten. – Sie hatten ihre Lämmchen, Hündchen, Vögelchen u. s. w. bei sich. – Unter allen diesen lustigen Kindern saß Eines ein wenig abgesondert, etwas ernsthafter auf einem Kinderstühlchen, es hatte ein großes Buch unter dem Arm, ein Schmetterling lebte und starb ihm auf dem Händchen. Es schien ein Bißchen tiefsinnig, wie träumend, als sey es einmal eine sehr große breite Figur gewesen und könnte sich noch nicht in Alles recht finden. Ein Knabe auf dem Steckenpferd wollte es vorwärts reißen, wodurch es sich noch mehr zusammennahm. Es sah auf den Kuchen hin, auf welchem seine Vorältern, als Hollundermännchen um eine Puppe herumpurzelten. – Es lächelte kaum, denn es hörte in der Ferne die ernsten Psalmen des Schnitters, es hörte das Wogen der Aehren Welle auf Welle, und wenn es gleich freudig mit den andern Kindern auf der Schwelle des Erndtefestes saß, so spielte es doch nicht mit den blauen und rothen Blumen, die vom Thau des letzten Tages schimmerten, sondern es gedachte dieses Tages und sah die Boten der Erndte, zwei Engel aus dem Weizen hervortreten; der eine führte ein armes verwaistes Kind, das lange keine Freude gehabt, hin auf die Schwelle, wo die freudig frommen Kinder spielten, und zu dem Kuchen, der da ausgetheilt ward. – Da sagte das nachdenkliche Mädchen auf dem Kinderstühlchen vor sich: «ach und das Leben ist doch so ernst!» – Gleich darauf sah es den zweiten Engel, sich aus dem Korn hervorbeugend, mit einem andern Kinde in das Nest der Gallina schauen, welche dort brütete; da sprach das ernste Kind:
«Engel, die Gott zugesehn,
Sonn und Mond und Sterne bauen,
Sprechen: «Herr, es ist auch schön,
Mit dem Kind ins Nest zu schauen!»
Darüber dachte es nun wieder nach, als der Knabe auf dem Stecken-pferd vorüber reitend es an der Schürze zupfte.
Als nun Alles so voll Freude und Jubel über die wohlaprobirte Gouvernante und ihren Kuchen war, sagte diese, dem Ungestümm der Kinder wehrend: «bitte, bitte, artig seyn, jetzt will ich austheilen.» Da patschten Alle so freudig in die Hände, und ich vor allen so unmäßig, daß mir die Hände noch brennen, denn ich war auch dabei, sonst
hätte ich die ganze Geschichte ja nie erfahren und
hätte keinen Kuchen erhalten
von der Puppe – nein der nur
allerschönsten
Kunstfigur
u. s. w.
*
Alle patschten in die Hände
Und das Mährchen schien am Ende
Selbst ganz artig zugespitzt,
Ja ein kleines Sternchen blitzt
Unten an der Himmelsleiter
Unter einem – und so weiter;
Und dies heißt: der kleine Stern
Plauderte noch gar zu gern;
Denn, wie sichs versteht am Rande,
Hat die edle Gouvernante
All die Kinder heimgeführt,
Und dann, wie es sich gebührt,
Gleich die Schaar, daß sie gedeihe,
Rein gewaschen, nach der Reihe
Umgekleidet und gepflegt,
Wie ins Bett man Kinder legt;
Und weil Alles auf ein Härchen
Mußte sein ein artig Mährchen,
Kämmt' und flocht den Kinderköpfchen
Allen sie die linden Zöpfchen,
Sprengte dann mit Wassertröpfchen
Noch die lieblichen Geschöpfchen,
So wie Blumen man erquickt,
Die man in die Kirche schickt,
Und nun ist sie fromm mit Allen
Auf die Kniee hingefallen,
Hat mit ihnen süß gesungen,
Daß zum Himmel es gedrungen:
«Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe beide Aeuglein zu,
Vater, laß die Augen dein
Ueber meinem Bette seyn;
Hab ich Unrecht heut gethan,
Sieh es, lieber Gott, nicht an,
Deine Gnad und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut;
Vater hab mit mir Geduld
Und vergieb mir meine Schuld,
Wie ich Allen auch verzeih,
Daß ich ganz in Liebe sey.
Alle, die mir sind verwandt,
Herr laß ruhn in deiner Hand,
Alle Menschen groß und klein
Sollen dir befohlen seyn.
Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu,
Laß den Mond am Himmel stehn,
Und die stille Welt besehn!» -
Alle sagten dann gut Nacht,
Haben lieb sich angelacht,
Zu einander nach der Reihe
Sprachen sie: «verzeih, verzeihe,
Morgen, läßt uns Gott erwachen,
Wollen wir es besser machen.»
All ins Bettchen dann gesteckt
Hat sie und hübsch zugedeckt.
Als sie dann in sich gekehrt
Suchte, was ihr Gott bescheert,
Trat ihr Engel ihr entgegen
Und gab ihr den Kindersegen,
Und, was Alles sie geträumt,
War mit Himmelsgold gesäumt.
Nicht lang nach dem Abendlied,
Als die Gouvernante schied,
Alle Kinder einen tiefen
Traum-durchblümten Schlummer schliefen;
Eines nur verließ das Pfühlchen,
Mit dem Buch und Kinderstühlchen
Wollt's zum Mond in's Freie gehn
Und die stille Welt besehn.
Und ich folgt' ihm, sah im Traum,
Wie es an der Aehren Saum
Zwischen Lilien in dem Feld
Vor Sankt Eduards Thronstuhl dicht
Hat sein Stühlchen hingestellt.
Aus dem Thronstuhl sind von Licht
Dann zwei Pflanzen aufgeschossen,
Blatt vor Blatt gleich Leitersproßen
Waren wie das Blatt des Mohns
Und des Siegels Salomons,
Und sie wuchsen bis zum Mond.
Oben in dem Strauße thront
Mild ein Weib in ernster Feier,
Thront die Nacht in weiter Hülle,
Schauet, thauet durch den Schleier
Mutterstille, Mutterfülle
Träumerisch vom blauen Zelt
Auf das goldne Aehrenfeld.
Ihr zur Rechten, ihr zur Linken
Auf des Mohnes Blumen winken
Sterne, Kinder aller Launen,
Die da sinnen, harren, staunen,
Beten, sehnen, prophezeihen,
Wenig wohl um uns bekümmert
Schweigen und ins Herz uns schreien.
Während oben es so schimmert,
Blättert unten in dem Düstern
Still das Kind im großen Buche,
«Find' nicht,» sprach es, «was ich suche,
Hör, doch alle Blätter flüstern
Von des Jakobs Schlummerstein
Und Rebeckas Edelstein,
Was zu lesen ich so lüstern;
Stiegen doch die Engel wieder
Auf der Himmelsleiter nieder,
Brächten mir ein Bischen Licht!
Denn trotz Mond und Sterngefunkel
Ist's zum Lesen doch zu dunkel.
Sieh, als kaum das Kind so spricht,
Nahen auf der lichten Bahn
Gleich zwei Engel sich geschwinde
Mit zwei Sternlein und dem Kinde
Zünden sie die Lilien linde
Zu des Thronstuhls Seiten an,
Und nun ist es hell zum Lesen
Wie in einem Chor gewesen,
Wo man wechselnd singt die Psalmen,
Als das Kind hat intoniret,
Haben auf des Mohnes Halmen
Gleich die Sterne respondiret:
«Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid, Zeit und Ewigkeit.»
Und den ganzen Wiederhall
Sang das Lied der Nachtigall,
Die da auf dem Thronstuhl saß
Und kein Wörtchen je vergaß,
Das das Kind im Buche las.
Und ich sah das Kind im Singen
Sich zum höhern Chor erschwingen,
Wie es so emporgestiegen,
Ließ sein Buch es unten liegen,
Hat zu mir sich umgeschaut,
Und sprach milde, wie es thaut:
«War in Schottland einst geboren,
Irrt in Irland lang verloren,
Geh ins wahre Engelland
An der lieben Engel Hand;
Gieb mir Acht auf meine Sachen,
Wenn die Kinder all erwachen,
Lese ihnen aus dem Buch
Von dem Segen, von dem Fluch,
Von des Kleinods Heil und Noth,
Von der Fahne weiß und roth,
Von dem Wolfbrand Hammelstutz
Und dem Hego von Vadutz;
Jetzt gut Nacht, auf Wiedersehn!»
Und da war's um mich geschehn,
Kind gieng in den Himmel ein,
Und ich blieb allein, allein!
Rings die weite, weite Nacht
Und der Sterne ernste Pracht,
Keiner hat an mich gedacht,
Keiner hat mich angelacht.
In der Lilien Wunderlicht
Sitz ich gleichsam vor Gericht,
Und das liebe Kinderstühlchen
Ward mein Armesünderstühlchen;
In die Nacht hab ich gedichtet,
Was gen Morgen wird gelichtet,
Und gesichtet und gerichtet;
Vor mir ruht das große Buch,
Und ich harre auf den Spruch.
Horch, wie ernst die Aehren wogen,
Horch, der Schnitter kömmt gezogen!
Träume thauen von dem Mohn
Und vom Schlafe übermannt
Sinkt das müde Haupt mir schon
Auf des Thronstuhls harten Rand,
Und mir träumt, wie zwei Jungfrauen
Aus der frühen alten Welt
Durch das reiche Aehrenfeld
Mild zu mir herüberschauen;
Und die Junge fragt die Alte:
«Vreneli, was macht das Büblein?»
«Amey,» sprach die, «dicht am Grüblein
Schläft es, o daß Gott sein walte!
Seine Sache hats vollbracht,
Und daß, wenn der Tag erwacht,
In der Erndte es nicht darbe,
Leg ihm milde in den Arm
Eine kleine feine Garbe,
Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!»
Und so that die liebe, gute,
Daß mein Haupt nun friedlich ruhte,
Flocht dann bei der Sterne Glanz
Aemsig an dem Erndtekranz,
Neben ihr die andere kniete,
Betend: «Büblein ruh in Friede!»
Aber ach! es wehrt nicht lange,
Horch! es rührt sich auf der Stange
Bei der Henne schon der Hahn;
Morgenthau rührt mir die Wange
Weckend, bald zerrinnt der Wahn;
Und der erste Hahnenschrei,
Wenn die Kinder auferstehen,
Bricht den lieben Traum entzwei;
Und sie werden dann verstehen,
Wie mir also ist geschehen.
Dann wird Alles vorgelesen,
Und wird das, was es gewesen,
Tretend aus dem trüben Schein
Auch in vollem Lichte seyn;
Ja dann ist selbst auf ein Härchen
Dieses Mährchen mehr kein Mährchen;
Und bis so das Mährchen aus,
Sing ich in die Nacht hinaus:
«O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!»
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