BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Zedlers Universal-Lexicon

1732 - 1754

 

Grosses vollständiges Universallexikon

aller Wissenschaften und Künste

 

Band LXIV (Zum - Zz)

1750

 

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[1648]

Zwillinge, Lat. Gemini oder Gemelli, sind zwey Kinder, die aus einer Mutter Leibe durch eine Geburt zur Welt kommen; oder zwey Kinder von einer Bürde. Etliche von den Alten haben vorgegeben, es wären in der Mutter sehr viel Zellen, oder Unterschiede, darnach nun viel oder wenig gefüllet würden, so würden auch viel oder wenig Früchte. Allein es ist dieses von denen Lehrern der Zergliederungs-Kunst mit der augenscheinlichen Erfahrung genungsam widerleget worden. Unsere heutige Natur-Verständige und Zergliederungs-Lehrer sagen folgendes davon: Sie haben nehmlich befunden, daß auch der Mensch aus einem Eye entspringe, wie sie denn in denen Weiblichen testibus solche kleine Eyerlein klar zeigen, welche, nachdem sie von dem männlichen Saamen gezeitiget und belebet worden, per tubam Uteri in den gehörigen Ort getrieben und daselbst voll und perfectioniret werden. Wenn nun zwey Eyerlein entweder in einem, oder in beyden Eyerstöcken fruchtbar werden, und entweder beyde durch eine, oder eines durch die rechte, das andere durch die lincke Trompete in die Mutter gebracht werden; so werden Zwillinge erzeuget. Und auf eben eine solche Weise lässet es sich begreiffen, daß mehr, als zwey Kinder auf einmahl erzeuget werden. Da in einem jeden, auch dem allerkleinesten Tröpflein Saamen, eine unsägliche Menge Saamen-Thierlein vorhanden sind; so können auch durch einen einigen Beyschlaf, da der Saame in die Mutter kömmet, viel Kinder zugleich erzeuget werden. Unterdessen ist es auch nicht unmöglich, daß ein jedes Eyerlein durch einen besonderen Beyschlaf fruchtbar gemacht wird. Wolffs vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur, p. 740.

Es haben zwar auch etliche solche Wasser haben wollen, die dergleichen Fruchtbarkeit würcken und zuwege bringen sollen. Als wie Seneca von dem Wasser des Nili geschrieben 3 nat. quaest. daß durch die Nitrosische Art dieses Wassers der unfruchtbare Leib eröffnet werde, daher die Egyptischen Weiber zu 4 oder 5 Kinder auf einmahl brächten. Ob man nun zwar gerne gestehet, daß köstliche Wasser seyn, welche die Mängel der Mutter zu rechte bringen können: Daß aber das Wasser solche Eigenschafften haben solte, die Menge der Fruchtbarkeit zuwege zu bringen, kan nicht behauptet werden. Sonst müste sich auch diese Fruchtbarkeit auf das Vieh erstrecken, das in dasselbe getrieben wird, und solches häuffig trincket: Man hat aber noch niemahls gelesen, daß die Kühe in Ägypten zu 5 bis 6 Kälber auf einmahl bringen. Historisch. Schauplatz natürlicher Curiosität. p. 247. u. f. [1649] Man mercket an, daß Zwillinge einerley Geschlechts eher aufkommen, als wenn sie von beyderley Geschlecht sind. Insgemein ist unter Zwillingen eine grosse Gleichheit des Angesichts, zuweilen auch eine Uebereinstimmung der Gemüther, auch wohl, aber selten eine heimliche Gemeinschaft der Leibes-Beschaffenheit und Mitempfindung bey dem einem der Zufälle, so dem andern begegnen, ob sie gleich von einander entfernt sind. Jablonski, Lexikon der Künste und Wissenschaften.

Bey der Geburt der Zwillinge geschiehet mannichmahl, daß man nicht beobachtet, welcher unter selbigen der erste oder andere gebohrne sey, da doch sonderlich, wo das Recht der ersten Geburt eingeführet ist, ein grosses daran gelegen ist. Nun halten zwar einige Rechts-Lehrer, in solchem Fall, bald den stärcksten, bald den schönsten, bald den verständig- und klügsten vor den Erstgebohrnen, andere stellen hierunter die Determination und Wahl des Vaters Willen anheim. Noch andere aber achten vor rathsam und billiger, daß wegen des sonderbahren unterlauffenden Zweifels die Vorrechte der Erstgeburt, (Commoda Primogeniti) zwischen beyden getheilet würden. Hingegen ziehen andere, auch vornehme Rechtsgelehrte allen nur gedachten Mitteln und Wegen das Looß vor, daß beyde Kinder es aufs Looß stellen müssen, als dessen Führer der allwissende GOtt selbst ist, und sowohl, Innhalts Göttlicher Schrift, als auch geist- und weltlicher Rechte, sothanes Mittels in dergleichen zweifelhaften Dingen sich zu bedienen, zugelassen. Wie denn, so viel die Heilige Schrift anlanget, vor allen andern der in den Sprüchen Salomonis, Cap. XVI, §. 33 befindliche Text merckwürdig ist: „Looß wird geworfen in den Schooß, aber es fället, wie der Herr will.“ Welchem die Worte Augustins beyzufügen, welche er in der andern Predigt über den 31 Psalm, und insbesondere über die Worte: In deine Hände befehle ich meinen Geist, führet: Sors non aliquid mali est, sed res, indubitare humana divinam inducens voluntatem. Es mangelt auch nicht an Texten, welche aus dem Bürgerlichen und Canonischen Rechte sothaner Decision zu statten kommen; davon im Jure Civ. l. 14. ff. de Judic. l. 5. ff. familiae hercisc. &c. und im Jure Can. C. l. caus. 26. qu. 2. woselbst die Worte: in sorte est voluntas Dei, zu bemercken sind.

Die Medizinische Facultät zu Montpellier hat in Ansehung der Frage, welcher unter zweyen Zwillingen vor den ältesten zu achten sey? vor den gesprochen, der der letzte in der Geburt ist, weil er nach ihrer Meynung der erste in der Empfängniß gewesen. Wenn aber hierunter ein Zweifel und eine Ungewißheit wäre, so wollen einige, wie gedacht, es auf des Vaters Erklärung, oder auf das Looß ankommen lassen. Die Rechte aber stellen es zur eydlichen Aussage der Hebamme. Besold Contin. Jablonski. Siehe auch den Artickel: Wahl; im LII Bande, p. 720 u. ff.

In der heiligen Schrifft findet man von Jacob und Esau, 1 B. Mose XXV, 25; Peretz und Serah, [1650] 1 B. Mose XXXVIII, 27; ingleichen von Thomas, Job. XI, 26. XX, 24. daß sie Zwillinge gewesen. Auch sind einige der Meynung, daß Cain und Abel, die Söhne Adams, gleichfalls Zwillinge gewesen, wovon aber folgendes zu bemercken: Es halten solches die Jüden, und sonderlich die Rabbinen davor, auch Calvinus und Piscator stehen in solchen Gedancken. Ihr Fundament, daher sie es schliessen, ist, weil sie so gleich beysammen stehen, und nicht wieder gedacht werde, daß Adam aufs neue seine Evam erkannt habe, wie nachgehends bey Seth abermahl stehet. Allein es ist diese Ursache nicht zulänglich, und kan man daher noch nicht schliessen, daß es Zwillinge gewesen wären: Denn Mosis Vorsatz war hier nicht, zu beschreiben, wie Eva schwanger worden, sondern wie sie einen Sohn nach den andern gebohren hätte, und zudem wird mit dem Worte gebähren das erstere zugleich angezeiget. Ist daher wahrscheinlicher und gewisser zu sagen, daß es nicht Zwillinge gewesen. Denn vors Erste meldet der Heilige Geist hier nichts darvon, so ferne es aber also wäre, würde er es schon deutlicher ausgedrückt haben. Hiernächst nennete auch Eva diesen ihren Sohn deswegen Abel, Eitel oder Nichtig, weil sie von Cains Geburt an bis zur Geburt Abels viel Beschwerlichkeit, Mühe und Verdrießlichkeit in Erziehung des Cains mochte gehabt, und also inzwischen viel Eitelkeit des Menschlichen Lebens erfahren haben; wären sie aber zugleich gebohren worden, so würde sie ihm einen weit andern Nahmen gegeben, und gleiche Freude, wie bey Cain, bezeuget haben. Allein so war sie dort frölich und hier traurig, und läst sich also nicht glauben, daß sie zwey widerwärtige Bewegungen auf einmahl gehabt hätte. Indessen, ob sie schon nicht Zwillinge gewesen, so darf man doch nicht dencken, als ob Cain und Abel funfzehn, oder gar dreyßig Jahre von einander wären, und Eva so lange gewartet hätte, ehe sie schwanger worden wäre, und gebohren hätte, sondern ohne Zweifel wird es das andere Jahr darauf geschehen seyn, weil ja beyde Söhne mit einander aufgewachsen, und zugleich erzogen worden. Gerhard Comment. in h. l. Quaest. III, p. 131. – Schrödters continuata Acerra Bibl. IV Hundert, p. 691 u. ff.

 

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