BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christoph Martin Wieland

1733 - 1813

 

Erinnerungen an eine Freundin

 

1754

 

Textgrundlage:

Erinnerungen an eine Freundin.

in: Christoph Martin Wieland,

Sämmtliche Werke, Band 3

Hrsg.: Johann Gottfried Gruber

Leipzig: G. J. Göschen, 1820

Faksimile: Google Books

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

 

Erinnerungen an eine Freundin

 

Von jeher war der Weisheit Amt, die Schönheit

Mit Geist zu schmücken, und ihr ein Gefolge

Von Grazien zu geben, die die Tugend

Gebar, und die nicht mit den Wangen welken.

5

Erstaunt sieht sich durch sie die Seele schöner

Und göttlicher, als sie zu hoffen wagte;

Olympier, die mit dem Sonnenblick

Durch diese Farben, die uns hemmen, dringen,

Sehn in der Seele heil'gem Schooß die Erbin

10

Der Ewigkeit, den Engel, sich enthüllen.

 

Mir gab der Himmel unter seinen Gaben,

Die Unschuld in der Anmuth sanftem Schmucke

Nie ohne Bruderzärtlichkeit zu sehn.

Mich rührt sonst nicht, was die Bewundrer rührt.

15

Von Wünschen frey, hab ich den goldnen Pomp,

Der um die Großen rauscht, gesehen.

Mich rühret nicht der kleine Stolz der Hoffnung,

Als Sklav der Sklaven andern zu gebieten;

Nicht ihre marmornen Paläste,

20

Und die zur Schmach der Kunst bezwungene Natur.

Dagegen rühret mich in sanften Augen

Die unverstellte sich bewußte Unschuld,

Ein menschenfreundliches heitres Lächeln,

Und auf die reitzenden Gespielen

25

Ein Blick, den nicht der Neid vergiftet.

Nur solchen möge mein Gesang gefallen,

Nur ihnen soll aus dem gerührten Auge

Serenens Unglück eine Thrän' entlocken!

Und unter ihnen dir, o holde Freundin,

30

Gespielin meiner Muse, die sich jetzt

Vertraut, wie eine Schwester mit der andern,

Mit dir bespricht. O! neige sanft dein Ohr

Zu den Erinnrungen der treuen Freundschaft,

Der Freundschaft, die zum festen Augenmerk

35

Die Ewigkeit, und hier dein Glück sich macht,

Und drücke sie in deine weiche Seele.

Und wenn mein Schicksal deiner Gegenwart

Mich einst entzieht, so sey dieß Blatt dir oft

Ein nicht unwerthes Denkmahl unsrer Freundschaft.

 

40

Vor allen schwebe dir, o Freundin, stets

Der Seele hohe Würde vor den Augen.

Beschau ihn oft, den heiligen Gedanken,

Du trägst der Gottheit Bildniß, die Vernunft,

Die hohe Kraft die Wahrheit zu erkennen,

45

Und deine Neigungen nach ihr zu bilden.

Der Schmeichler lügt, der deine Rosenwangen

Und was an dir einst welket, englisch nennt.

Nur durch den Geist, nur durch dein ewig Theil

Bist du den Serafim verwandt, und künftig

50

Die selige Gespielin ihrer Freuden.

Das Göttliche, das in uns denkt und liebt,

Strebt stets nach Gott, und ruhet nur in Ihm.

Oft sey in einsamen geweihten Stunden

Dieß dein Geschäft, das Wesen zu betrachten,

55

Durch welches du des Tages goldnes Licht

Mit Freuden trinkst, und unter den Geschöpfen

Dein liebenswürdig Angesicht erhebst.

Betracht und lieb Ihn in dem Wiederschein,

Den seine Schöpfung in die Geister strahlet!

60

Und wenn du, von der göttlichen Betrachtung

Entzückt, dich im geheimnißvollen Abgrund

Der Majestät und Größe des Erschaffers

So ganz verlierst, daß du im Licht der Gottheit

Wie in dein Nichts zerfließest: dann, o Freundin,

65

Erhebe dich, und fühl in ihrem Umfang

Des Geistes Hoheit, welcher Gott zu denken,

Zu schauen fähig ist, und nur in Gott

Den letzten Endzweck seines Daseyns findet.

Und wenn du den Gedanken, der den Engeln

70

Ein ganzer Himmel ist, bey dir bedenkest,

«Daß Gott dich sieht, daß deine ganze Seele

Vor ihm enthüllt mit ihren Thaten liegt,»

So möge stets dein unbeflecktes Herz

In stiller heiliger Entzückung wallen!

75

O! Niemahls laß dir diese Seligkeit

Entwenden, überall und immer dich

Mit Ruh' in Seiner Gegenwart zu fühlen!

O! diesem Frieden Gottes gleicht kein andres Glück;

Er überwieget ein Gebirg von Leiden;

80

Wer ihn besitzt, o den versucht die Welt

Umsonst mit ihren übertünchten Freuden,

 

Wenn Tugend durch den Flor der Schönheit scheint,

Was kann so stark, wie sie, zur Liebe reitzen?

Ein denkend Auge, das mit ernster Anmuth,

85

Und mit der Majestät der sich bewußten Unschuld

Stillschweigend tadelt oder billigt,

Wie mächtig strahlet es in edle Seelen?

Oft lehrt ein Blick von einer Panthea

Gewaltiger, als eines Platons Reden.

90

Hingegen sieh, den strengesten Kontrast

Der Schönheit mit der Häßlichkeit zu sehen,

Narcissen an, die einer Venus gleicht.

Sprich, was verhüllen diese stolzen Farben?

Was deckt dieß zierliche Gewand? Wer wohnt

95

In diesem prächtig ausgeschmückten Hause? –

Ein Tempel von Porfyr deckt einen Affen!

In ihren Augen laurt der Durst nach Siegen,

Aus jedem Zug spricht Selbstgefälligkeit,

Die Mißgunst schielt hervor aus ihrem Lächeln,

100

Und schlaue Sittsamkeit färbt ihre Wangen;

Wie würd' ein Blick in ihre Seel' uns schrecken,

Wenn sie, entkleidet von den Frühlingsfarben

Des schönen Leibes, unserm Aug erschiene?

 

Nicht so verachtenswerth ist eine Agnes,

105

Schön ohne Seele, blühend wie die Rose

An ihrer Brust, beredt wie eine Puppe.

Sie lächelt allen zu; ihr blaues Auge

Sagt allen – nichts, und niemahls widerspricht

Ihr Rosenmund dem seelenlosen Auge.

110

So steht auf einem marmornen Gestelle

Ein Venusbild, fürs Anschaun nur gemacht;

Es lüget Leben, zeigt die gleiche Miene

Von Jahr zu Jahr, und lächelt alle an.

 

Das Weib, mit jedem Reitz das Herz zu schmelzen,

115

Ward nicht zum Endzweck eines Steins erschaffen,

Noch zu dem Tändeln geistberaubter Küsse.

Sie ist dazu gemacht, des Mannes Kummer

Hinwegzulächeln oder zu erleichtern,

Und seine Freuden zärtlicher zu machen.

120

Die Unschuld soll in liebenswerther Einfalt

Aus ihrem Blick, aus ihren Thaten leuchten.

Oft hat die männliche zu strenge Tugend

Vonnöthen, durch die kluge Zärtlichkeit

Der weiblichen besänftiget zu werden.

 

125

Vergiß es niemahls, Freundin, daß es bloß

Die Seele ist, die in des Weisen Urtheil

Dich liebenswürdig macht, daß ihm dein Herz

In allen deinen Zügen offen steht,

Und daß er, was du denkst, in deinen Augen liest.

 

130

Doch sorge nicht, wie du gefallen mögest!

Die Unschuld und die heitre Sittsamkeit,

Ein offnes Antlitz, wo die Güte lächelt,

Muß stets gefallen. Aber niemahls zeige

Dein Blick ein triumfierendes Bewußtseyn

135

Daß du gefällst; nie werf auf deine Anmuth

Die Eitelkeit unangenehme Schatten!

 

Zelinde, die durch Kunst gefallen will,

Findt das Geheimniß, lächerlich zu werden.

Mit großer Müh vernichtet die Betrogne

140

Das Schönste von ihr selbst, und will durch Zwang

Das werden, was sie durch Natur schon war.

Sie richtet vor dem schmeichlerischen Spiegel

Zugleich den Putz und ihre Mienen ein;

Geberde, Blick, Bewegung, Stellung, alles

145

Ist in der Regel und verräth uns Absicht.

Selbst ihre Grazien sind steif, und eh' sie lächelt,

Wird überlegt, wie weit es sich gezieme

Die kleinen Lippen zu verlängern. Kurz,

Vor lauter Sehnsucht immer zu gefallen,

150

Gefällt sie andern nie, und kaum sich selbst.

 

Wie angenehm ist Stella gegen sie?

Wohin sie geht, folgt ihr die sanfte Freude;

Ihr Blick voll unbewußter Anmuth macht

Den Frühling reitzender, die Wolken heiter.

155

Mit Sittsamkeit und allgemeiner Güte,

Und tausend unerworbnen Lieblichkeiten

Gewinnt sie jedes Herz, und weiß es nicht.

Nie suchte sie den Schein des feinen Witzes

Und alles was sie spricht, gefällt und rührt.

160

Doch hört sie lieber. Niemahls hat ein Spiegel,

Der ihr vorüber stand, ihr freundlich Auge

Zur Selbstbewunderung den Freundinnen entzogen.

Nie hat ein stolzer Blick, ein höhnisch Lächeln

Auf eine übertroffene Gespielin

165

Ihr Angesicht voll sanfter Huld entheiligt.

 

Der Witz, o Freundin, ist für unsre Seele,

Was dem Gesicht der Farben Glanz; ein Gut,

Das die Natur gewährt, und das die Kunst

So wenig geben kann, als eine Piktin,

170

Kunstmäßig ausgemahlt, Dir gleichen wird.

Witz ohne Geist ist ein vergoldter Narr.

Nur die Vernunft, die Richterin der Dinge,

Weiß Witz und Schönheit weislich zu gebrauchen,

Zum äußern Schmuck der Wahrheit und der Güte.

175

Der falsche Witz begnügt sich, wenn wir lachen;

Wir lachen auch, doch über ihn allein.

Er will bewundert seyn, nicht nützen,

Und bey noch größern Thoren als er selbst,

Gelingt es ihm. Denn Kluge sehn noch lieber,

180

Die seelenlose schöne Agnes an,

Die immer lacht und weiße Zähne bleckt,

Als einen leeren aufgeblähten Witzling,

Der stets entscheidend spricht, und niemahls denkt.

 

Heil dir! Vernunft, du ewig blüh'nde Schönheit,

185

Gesundheit unsrer Seele, ohne welche

Der leichte Witz ein tönend Nichts,

Geschmack ein leckrer ungewisser Kitzel,

Die Fantasie Bacchanten ähnlich ist.

Du zierest und verbesserst jedes Alter,

190

Du lehrst die Jugend, Meisterin der Sitten,

Du gießest Licht in die erwärmte Seele;

Von deinem Einfluß glüht das edle Herz

Von frommen Wünschen, sieht mit unverwandtem,

Verliebtem Auge auf das Engelsbild

195

Der reinen Tugend, und bestrebt sich emsig,

Dem unerreichbarn stets sich mehr zu nähern.

 

Indeß, weil unser blödes Auge selten

Der Wahrheit eignen Sonnenglanz erträgt,

Muß ihr die vielgestaltige und immer

200

Gefäll'ge Muse ihren Schleier leihen.

Wo ist das Herz, das dann ihr widersteht?

Es sey nun, daß dich die erhabne Rowe

In heiliger Entzückung in die Auen

Des Friedens, jenseits dieser Schattensonne,

205

Erhebet; oder daß die weise Lambert

Die Sitten adelt, oder Graffigny

Die Unschuld uns in nakter Schönheit, reitzend

Und wild wie die Natur, und Freyheit athmend,

Mit jeder süßen Weiblichkeit geschmückt,

210

Im Bilde zeigt, und Zilia benennt.

 

Auch soll dir oft, in Stunden der Betrachtung,

Die reitzende Gestalt der sanften Thamar,

Und Rahels keusche Zärtlichkeit erscheinen.

Erhabne Muster, die der Sokrates

215

Der Dichter, dir und deinen schönen Schwestern

Zum Beyspiel gab, damit einst eure Töchter

In euerm Schooß von euch zu gleicher Unschuld

Gebildet werden. Lerne von Debora

Mit frommer Stille dich den Fügungen

220

Der unerforschten Vorsicht unterwerfen.

Sieh, wie in Sunith sich die schöne Unschuld,

Nicht lang vom Schein der Tugend hintergangen.

In ihrer Majestät wie göttlich zeigt;

Ihr erster Anblick schlägt den Sünder nieder,

225

Die Melodie der Stimme, die ihn straft,

Ist dem geschreckten Ohr ein Donner Gottes. –

 

Von diesen reitzerfüllten Schildereyen

Der Tugend und der Weisheit eingenommen,

Wirf deinen Blick umher, und suche

230

Sie bey den Menschen, und an wem sie glänzen

Den ehre. Wer die Tugend thätig preiset,

Der sey dein Freund. Zwar Muster, wie die Muse

In dichtrischen der Nachwelt heilgen Nächten

Der Weisen zeigt, die suchest du vielleicht

235

Umsonst bey deinen Zeitgenossen; doch

Zerstreut wirst du die schönen Züge finden,

Die wir in Ein vollkommnes Bild versammeln,

Und auch zerstreut und einzeln sind sie liebenswerth;

Die Freundschaft kann in Einen Kranz sie winden.

 

240

Sey stets bereit durch ungefärbte Güte

Wo möglich aller Herzen zu gewinnen

Die dich umgeben; aber schließe doch

Dein Inners nicht vor jeder auf, die dir

Sich mit dem Anschein offner Freundschaft naht,

245

Und wähle keine andre zur Vertrauten,

Als welche gleicher Sinn für das, was gut

Und schön und edel ist, mit dir verschwistert.

Und hat dein günstig Schicksal eine solche

Dir zugeführt, o dann genieß es ganz

250

Das hohe Glück, dem Busen deiner Freundin

Dich sorglos zu vertrauen, deines Herzens

Geheimste Neigungen ihr aufzudecken

Und Schmerz und Freuden stets mit ihr zu theilen.

Sie lehrt dich mehr durch Thaten als durch Reden;

255

Sie ist ein treuer Spiegel deiner Seele

Und schmeichelt nicht, wie andre Spiegel pflegen.

Sie liebt an dir das Schön' und Gute nur,

Und will viel lieber deine Fehler bessern

Als gütig übersehn; denn Fehler werden

260

Doch niemahls schön, und wenn wir sie auch liebten.

Sie wacht, gleich deinem Schutzgeist, für dein Herz

Und für ihr eignes, daß sie stets verdiene

Von dir geliebt und nachgeahmt zu werden.

So war einst Anna Howe's und Klarissens Freundschaft,

265

Ein ewigglänzend Beyspiel für die Nachwelt!

 

Verachte stets den Schmeichler in der Larve

Der Freundschaft oder Liebe. Seine Worte sind

Sirenensang, den Ohren süß, der Unschuld

Verderblich. Wenn er dich in seinen

270

Oft nur geheuchelten Entzückungen

Zum Engel macht, und, was an dir zu loben ist,

Auf seinen Lippen himmlisch, göttlich wird,

So glaube mir, er kennet deine Schwäche,

Und grüßt' dich Göttin, wie dort Satan Even,

275

Dich leichter um die Menschheit zu betrügen.

 

Dich, Freundin, hat in einer goldnen Stunde

Des Himmels Güte segnend angelächelt,

Kein Reitz wird dich der tugendhaften Einfalt

Entziehn; vergebens macht die Eitelkeit

280

Auf ein so schönes Herz, wie deines, Anspruch.

Du blühest in den sanften Influenzen

Der frommen Tugend auf, ein künftig Beyspiel.

In deinem Arm wird einst ein edler Mann

Sein wohlgebrauchtes Leben süßer fühlen;

285

Nach dir wird sich dereinst an deinem Busen

Der schönen Tochter weiche Seele bilden.

Sey immer glücklich, immer liebenswerth!

Stets sey dein Herz mit einer Engelswache

Von Tugend umringt. Der anspruchlose

290

Bescheidne Stolz auf selbstbewußten Werth,

Die Wahrheit, die nichts scheinen will als was

Sie ist, die stets sich gleiche Güte,

Die Keuschheit mit dem heitern Engelsblick,

Die Nachsicht mit den fehlenden, die stille

295

Ergebung, und, ihr reines Auge stets

Dem Himmel zugekehrt, die Frömmigkeit,

Sie sollen ewig einen lichten Kreis

Um deine Seele schließen; sanfte Ruhe

Dich stets in ihre Rosenflügel hüllen,

300

Und Serafim, die ungeseh'nen Zeugen

Von unsern stillsten Thaten, himmlischlächelnd

Bey deines Lebens Anblick sich verweilen!