BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Friedrich Daniel Schubart

1739 - 1791

 

Gedichte

 

1753-1776

 

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Schneiderlied (1753/56)

Auf die Leiche eines Regenten (1767)

Der Tod eines Armen (1767)

Der Wolf und der Hund (1774)

Der Hahn und der Adler (1774)

An Stupor (1774)

Der Wanderer und der Pegasus (1774)

Der Patriot und der Weltbürger (1774)

Mein Reichtum (1774)

Der exemplarische Prediger (1774)

Palinodie (1774)

An Ihro Gnaden (1774)

Märchen (1774)

Der Frühlingsabend (1774/86)

An den Haps (1775)

An einen Kritikaster (1775)

Der Leipziger Musenalmanach (1775)

An die Schwaben (1775)

Thraso (1775)

Physiognomik der Totenschädel (1775)

Froschkritik (1775)

Freiheitslied eines Kolonisten (1775)

Der gnädige Löwe (1775)

Der Arme (1775)

Schlittenlied (1776)

Virtuosenglück (1776)

An den Hutmacher Städele in Memmingen (1776)

 

 

 

Schneiderlied

(1753/56)

 

Als einst ein Schneider wandern soll,

Weint' er und schrie er sehr:

«O Mutter, lebe ewig wohl,

Mich siehst du nimmermehr!»

5

Die Mutter weint' entsetzlich:

«Das laß ich nicht geschehen,

Du sollst mir nicht so plötzlich

Aus deiner Heimat gehen.»

 

«O Mutter, nein, ich muß von hier,

10

Ist das nicht jämmerlich!»

«Mein Büble, ich weiß Rat dafür,

Verstecken will ich dich.

In meinem Taubenschlag

Verberg ich dich, mein Kind,

15

Bis deine Wandertag

Gesund verflossen sind.»

 

Mein guter Schneider merkt' sich dies

Und tut als ging er fort,

Nahm traurig Abschied und verließ

20

Sich auf der Mutter Wort.

Doch abends nach der Glocke

Stellt' er sich wieder ein

Und kroch gleich einem Bocke

In Taubenschlag hinein.

 

25

Hier ging er auf die Wanderschaft

Im Schlage auf und ab

Und wartete, bis ihm zur Kraft

Die Mutter Nudeln gab.

Am Tag war er auf Reisen,

30

Und ach! in finstrer Nacht

Da hatt' er mit den Mäusen

Und Ratten manche Schlacht.

 

Einst hatte seine Schwester Streit

Nicht weit von seinem Haus,

35

Er hört, wie seine Schwester schreit,

Und guckt zum Schlag hinaus.

Mein Schneiderlein ergrimmte,

Macht eine Faust und droht:

«Wär ich nicht in der Fremde,

40

Ich schlüge dich zu Tod!»

 

 

 

Auf die Leiche eines Regenten

(1767)

 

Seid ihr, Götter dieser Erde,

Seid ihr menschengleich wie wir?

O so zittert! – Der Gefährte

Eurer Größe lieget hier.

5

Steigt von goldnen Stufen nieder

Zu den Särgen eurer Brüder;

Denkt beim Leichenpompe heut

Auch an eure Sterblichkeit.

 

Habt ihr, wann der junge Waise

10

Vor euch klagte, auch gehört?

Und den fetten Bauch vom Schweiße

Einer Witwe nie genährt?

Seid ihr willig, reiche Sklaven

Schwarzer Laster zu bestrafen?

15

Helfet ihr dem Tugendfreund,

Wann er hülflos vor euch weint?

 

Frönt ihr selber nicht den Lüsten,

Die ihr scharf an andern straft?

Seid ihr Bürger, seid ihr Christen?

20

Seid ihr weis und tugendhaft?

Sieht man nie von stolzen Höhen

Euch verächtlich niedersehen?

Kennt ihr eure Ritterpflicht?

Oh! So kommt und zittert nicht.

 

25

Denn hier lieget ein Regente,

Der Verlaßnen Gutes tat

Und die richterlichen Hände

Nie mit Blut gefärbet hat;

Der auf Lastertaten blitzte

30

Und der Witwen Recht beschützte;

Der dem Waisen und der Not

Willig seine Hände bot.

 

Unparteiisch, wie der Sonne

Warmer, segenschwangrer Strahl,

35

Der den Zedern strömet Wonne

Und dem Veilchen in dem Tal,

Strahlt' von seines Stuhles Höhen

Allgemeines Wohlergehen

In der Reichen Marmorhaus,

40

Wie in arme Hütten aus.

 

Noch in halbentnervten Händen

Trug er den Regentenstab,

Und das Schwert an schlaffen Lenden,

Das Gerechtigkeit ihm gab.

45

Und, wie Helden, wann sie sterben,

Sprach er, ohne zu entfärben:

«Gott, hier ist die schwere Last,

Die du mir vertrauet hast.»

 

Aufgelöst in Tränen schwanken

50

Arme hinter seiner Bahr;

Stimmen der Verlaßnen danken

Ihm, der ihre Stütze war.

Goldne Zierde deines Standes,

Vater unsers Vaterlandes,

55

Unser unerkauftes Ach!

Fliege deiner Seele nach.

 

Große, hebt die Angesichter

Über jene Sternenbahn!

Dorten trefft ihr euren Richter,

60

Wie der ärmste Bettler, an;

Ihn, vor dessen Ungewittern

Auch der Zedern Wipfel zittern.

Drum so übt noch in der Zeit

Tugend und Gerechtigkeit.

 

 

 

Der Tod eines Armen

(1767)

 

Da liegt der Bettler auf dem Stroh,

Mit abgezehrten Lenden

Bald wird er, wie ein Engel froh,

Sein armes Leben enden.

5

Komm, kühle Erde, stilles Grab,

Bedecke seine Glieder;

Er leget seinen Bettelstab

Mit Freuden vor euch nieder.

 

Nicht Ehre, Häuser, Glück und Geld

10

Sind seiner Wünsche Ketten.

Er eilet nackend aus der Welt,

Als wie er sie betreten.

Er stirbe mit Freuden, als ein Christ,

Wenn Reiche zittern müssen;

15

Sein ungeraubter Reichtum ist

Ein – freudiges Gewissen,

 

Im schlechten Sarge lieget er,

Sein Haupt auf harten Spänen;

Kein Leichenpomp starrt um ihn her

20

Und weint erkaufte Tränen.

Unrühmlich wird er in dem Sand

In kurzer Zeit verwesen.

Die Welt, die ihn schon hier verkannt,

Vergißt – daß er gewesen.

 

25

Nur Gott an seinem Weltgericht

Wird ihn bei Namen nennen;

Und seine stumme Tugend nicht,

Als wie der Mensch, verkennen.

Der, den die Fetten in dem Land

30

Verächtlich von sich stießen,

Wird einstens an der rechten Hand

Den Stolz beschämen müssen.

 

Drum, Arme, trocknet das Gesicht:

Gott wird euch schon erlösen.

35

Dann fragt euch euer Richter nicht:

Ob ihr auch reich gewesen?

Seufzt nur umsonst am Bettelstab,

Erbarmen zu erwecken;

Bald wird euch mitleidsvoll das Grab

40

Mit warmen Flügeln decken.

 

Ist es dein ewiger Entschluß,

Herr, soll ich Mangel leiden;

So bin ich fromm, wie Lazarus,

Und wart auf deine Freuden.

45

Dann trägt dein Engel mich, wie ihn,

Aus kummervollen Stunden;

Und durch die Himmel sing ich hin:

Ich habe überwunden.

 

 

 

Der Wolf und der Hund

(1774)

 

Zum Hunde, der die ganze Nacht

An seiner Kette zugebracht

Und, wann der Tag zu grauen fing,

Aufs Gay mit seinem Metzger ging,

5

Sprach einst ein Wolf:

Herr Bruder, wie so mager,

So schäbicht und so hager!

Du armer Hund!

Da sieh mich an, wie froh und wie gesund

10

Ich bin! – Ich rieche nach der Luft.

Mein Wolfsbalg atmet frischen Duft,

Ich fresse dir mit gleicher Lust, Herr Bruder,

Bald frisches Fleisch, bald Luder,

Denn leck ich klaren Quell und bin

15

Den ganzen Tag von frohem Sinn. –

Du aber, ach! versetzte Melak, ach!

Herr Bruder, nur gemach;

Drum bist du Wolf, ich Hund – du frei,

Ich aber in der Sklaverei.

 

20

Und die Moral? – o die ist jedermann bekannt

In Deutschland und in Engelland.

 

 

 

Der Hahn und der Adler

(1774)

 

Eine Fabel ohne Moral

 

Ein Fürst war einem Hahnen hold –

Warum nicht gar!-Was? einem Hahnen?

Ja, ja, er liebt' ihn mehr als seine Untertanen. –

Sein Kamm war Purpur, seine Federn Gold.

5

Dumm war er zwar, jedoch sein Kikriki

Galt an dem Hofe vor Genie.

Kein Höfling durfte sich erdreusten,

Dem Hahnen was zu tun. Ihn speisten

Prinzessinnen mit eigner Hand

10

Und schmückten seinen Hals mit einem goldnen Band.

Der Hofmann ehrte ihn, der oft vor Neid erstickte,

Wann sich die Dame: niederbückte

Und er die Perlenschnur am Marmorarm bepickte.

An einem Morgen flog der Hahn

15

Hinab in Garten, schlug die Flügel

Und krähete von einem Rasenhügel

Den goldnen Morgen an.

Ein Adler flog vorbei. Der stolze Haushahn schrie

In seiner schmettrenden Trompetenmelodie:

20

Wohin, Herr Bruder, schon so früh? –

Quälst du dich noch mit Sonnenflug?

Zu deinem Glück ist's schon genug

An einem Hahnenflügelschlage. –

Komm und genieße goldne Tage! –

25

Die Könige bewundern dich,

Dich speisen Fürstinnen mit hoher Hand wie mich

Was willst du dich mit Donnerkeulen plagen?

Kann Zeus sie dann nicht selber tragen? –

Schweig, sprach mit einem ernsten Blicke

30

Der Sonnenflieger zu dem Hahn,

Ich fliege nach der Wolkenbahn;

Du aber bleibst im Staub zurücke.

Ein Schwätzer, leer wie du, ist's wert,

Daß ihn der goldne Höfling ehrt.

35

Ihr Beifall und ein Band ziemt deinem Hahnenwitze;

Ich aber fliege zu dem Sitze

Des Donnerers und trage Blitze,

Und der Olympus sieht mich lächlend an,

Selbst Vater Zeus, der donnern kann,

40

Gibt mir zum Lohne väterliche Blicke;

Dann eil ich stolz zum Felsennest zurücke.

Und Teuts erhabnes Bardenchor

Singt aus dem Eichenhain zu meinem Fels empor.

Vor trunkner Wollust schlummr ich hin

45

Und fühl's – daß ich ein Adler bin.

 

 

 

An Stupor

(1774)

 

Herr Stupor spricht: Bei meiner Ehre!

Kein Deutscher hat Genie!

Sie hätten recht, Herr Stupor, wäre

Das ganze Volk so dumm wie Sie!

 

 

 

Der Wanderer und der Pegasus

(1774)

 

W.

Du, Flügelpferd, wo trabst du her

Mit unbeschlagnen Hufen?

P.

Ein  D e u t s c h e r  hat mich übers Meer

Zu sich ins Haus gerufen.

W.

5

Allein in London, Rom, Athen

Hast du viel besser ausgesehn;

Dir muß der Haber fehlen.

P.

Mein deutscher Herr hat selbst kein Brot;

Drum muß er in der Hungersnot

10

Mir oft den Haber stehlen.

 

 

 

Der Patriot und der Weltbürger

(1774)

 

Wie lieb ich dich, mein Vaterland,

Wo ich den ersten Odem zog

Und frische Lüfte atmete;

Wie lieb ich dich! wie lieb ich dich!

5

So sprach ein deutscher Biedermann,

Und Tränen flossen vom Gesicht.

(Oft weint ich in der Mitternacht

Auch solche Tränen; Gott, du weißt's!)

 

Ihn hört ein Weltmann, kalt wie Schnee,

10

Nahm Schnupftobak und lächelte;

Was Vaterland? – Haha, ha, ha!

Mir ist, weil ich weit klüger bin,

Die ganze Welt mein Vaterland.

Wo für mich Brot und Ehre ist,

15

Da ist mein Vaterland! –

Der  D e u t s c h e  sprach biedermännisch, keck und kalt:

So schlägst du mit geballter Faust

Die eigne Mutter, die dich tränkte,

Ins Angesicht? – Undankbarer,

Hat jene Dirne dich gesäugt,

20

Der du die geilen Lippen küssest? –

Fleuch hin zur Krippe, draus du frißt,

Und nenne sie dein Vaterland! –

 

 

 

Mein Reichtum

(1774)

 

Elysium ist völlig mein,

Cytherens halber Lorbeerhain,

Am Styx hab ich Zypressenwälder

Und in Arkadien Hain, Silberbach und Felder.

5

Die Berge Pindus und Parnaß,

Den Helikon nicht zu vergessen,

Sind mein per nefas und per fas,

Oh, das Empirium hab ich schon längst besessen.

Mit prächtigen Regalien

10

Gehört mir ganz Thessalien,

Und im Olymp sind zwanzig Hufen meine,

Mit Haus und Hof und Scheune.

Nur leider bin ich itze reche sehr um Geld betreten,

Und alles steht mir zum Verkauf;

15

Oh, liebes Deutschland, sei gebeten

Und leih mir tausend Taler drauf.

 

 

 

Der exemplarische Prediger

(1774)

 

Pathetisch predigt Stax: Ihr Leute, stehlet nicht,

Laßt jedem, was er hat, wie es die Schrift befohlen.

Doch was er geistreich sagt, das tut er selber nicht;

Die ganze Predigt war gestohlen.

 

 

 

Palinodie

(1774)

 

Wie? Staxens Predigt wär gestohlen?

Verleumdung ist's! Ich sag es frei!

Er ließ, ich selber stund dabei,

Für bares Geld sie aus dem Laden holen.

 

 

 

An Ihro Gnaden

(1774)

 

Es kennen Ihro Gnaden

Redouten, Maskeraden,

Die Prüden und Koketten

An ihren Toiletten.

5

Sie sprechen mit der Base

Französisch durch die Nase,

Sie können Deutschland schimpfen

Vornehm mit Nasenrümpfen;

Den Bürger stolz verachten,

10

Und die nach Weisheit trachten,

Bestraft ihr kühner Tadel – –

Mein Seel! Sie sind von Adel!

 

 

 

Märchen

(1774)

 

Es starb 'nmal ein Bäuerlein,

Sein Engel – hell wie Sonnenschein,

Mit einem güldnen Stabe wies

Dies Bäuerlein ins Paradies.

 

5

Es ging an den bestimmten Ort

Auf einer Morgenröte fort;

Kam an das Tor von Diamant

Und klopfte sittsam mit der Hand:

 

St. Peter hütete die Tür

10

Und schrie: «Nun, wer ist wieder hier?»

«Ich bin ein armer Bauersmann,

Der auf der Erde nichts getan

Als seine Felder angebaut,

Mit einem Weibe sich getraut,

15

Die mir zum Stecken und zum Stab

'n Dutzend derbe Buben gab.

 

In meinem Leben gab ich gern

Die Steuren meinem gnäd'gen Herrn;

Ich glaubte, was der Pfarrer sprach,

20

Kam treulich seinen Lehren nach;

Und zahlt ihn redlich, wie mich deucht,

Für seine Predigt, Bet und Beicht.

Ich starb. Er salbte mich mit Öl;

Ein Engelein wies meine Seel

25

Zu dir ins Paradies herauf:

O heil'ger Peter mach mir auf!»

 

Nun öffnete die Pforte sich,

St. Peter sprach: «Ich lobe dich,

Du guter Mann verdienst gewiß

30

Ein Plätzchen in dem Paradies. –

Du sollt's auch haben: Aber heut,

Mein Bäuerlein, fehlt mir die Zeit.

Wir feiren heut ein großes Fest,

Das mich an dich nicht denken läßt.

35

Geh dort in jene Laube hin,

Gewölbt von himmlischem Schasmin,

Und warte, bis ich komme, da,

Beim Nektar und Ambrosia!» –

 

Das Bäuerlein sprach: «Habe Dank!»

40

Setzt' sich auf eine Veilchenbank

Und wartete, bis Peter rief:

– Erhabne Stille herrschte tief.

Doch plötzlich sprang das goldne Tor,

Der ganze Himmel war Ein  C h o r

45

Es schwammen süße Symphonien

Durch den entzückten Himmel hin;

Der Schatten eines Priesters schwebt

Herauf, vom Lobesang erbebt

Der Himmel: «Leuchte wie ein Stern,

50

Komm, du Gesegneter des Herrn!»

 

Mit Abraham und Isaak saß

Der Selige zu Tisch und aß

Das erstemal Ambrosia;

Und Amen und Hallelujah!

55

Sang laut der Seraphimen Chor

Um des entzückten Priesters Ohr.

Und erst am Himmelsabend kam

St. Peter vor das Tor und nahm

Mit sich den armen Bauersmann

60

Und wies ihm auch sein Plätzchen an.

 

Der Bauer faßte wieder Mut

Und sprach: «Herr Peter, sei so gut

Und sag mir, warum war denn heut

Im Himmel solche große Freud?»

 

65

«Sahst du's dann nicht», sagt' Peter drauf,

«Ein frommer Priester schwebt' herauf?

Drum hat ob seiner Seligkeit

Der Himmel solche große Freud!»

 

«So müssen», fiel der Bauer ein,

70

«Im Himmel lauter Feste sein,

Weil's ja viel tausend Priester gibt

Und jeder seinen Herrgott liebt?»

 

St. Peter lachte laut dazu

Und sprach: «Du liebe Einfalt du!!

75

Ich, der ich bald zweitausend Jahr

Türhüter in dem Himmel war,

Hab vor den Pfaffen gute Ruh –

Doch solche Baurenkerls wie du,

Die kommen oft so häufig an,

80

Daß ich sie nimmer zählen kann.»

 

Dies Märchen hat Hans Sachs erdacht

Und es in Knittelvers gebracht:

Doch, ärgert dich's, mein frommer Christ,

So denk, daß es ein Märchen ist!!

 

 

 

Der Frühlingsabend

(1774/86)

 

Kühlender Abend, steige vom Hügel,

Lieblich verguldet vom sonnigen Strahl,

Taue von deinem purpurnen Flügel

Tropfen aufs durstige Blümlein im Tal.

5

Gluckt, Nachtigallen, zärtliche Lieder,

Reget, ihr Weste, euer Gefieder;

Schüttelt vom Baum

Seidenen Flaum!

Walle, o Duft! vom Blütenzweig nieder.

 

10

Hier auf der Erde blumigem Schoße

Ruh ich! es ruhet mein Mädchen bei mir.

Meine Geliebte: Kennst du die große,

Kennst du die fühlende Freundin von dir?

Lieblicher Abend, lächle der Trauten!

15

Lächle der Schlanken, Himmlischgebauten!

Schöner war nicht

Florens Gesicht,

Als sie des Morgens Tropfen betauten.

 

Hesperus äugelt hoch in der Ferne;

20

Ziehst du schon, Mond, am Sternenfeld auf?

Sieh doch, Geliebte, sieh doch die Sterne!

Sieh doch zur freundlichen Luna hinauf!

Doch seh ich nicht im Auge der Milden

Tränen der Liebe schimmernd sich bilden!

25

Sind sie es nicht,

Die dein Gesicht

Wie eines Engels Antlitz vergülden?

 

Lieblicher Abend, Erweicher der Herzen,

Dank dir, des Frühlings liebkosender Sohn,

30

Daß du geendigt zärtliche Schmerzen;

Sieh doch, die Holde umarmet mich schon!

Schmelzende Wonne flimmt in den Blicken –

Ach, ich empfinde Himmelsentzücken.

Liebe, nur du

35

Wiegst uns in Ruh;

Kannst, wie ein Gott, allein uns beglücken.

 

 

 

An den Haps

(1775)

 

Sprichst stets von deiner Redlichkeit,

Treu, gut Gewissen, Frömmigkeit.

Pfui, Haps, mußt das nicht tun!

Laß doch die  T o t e n  ruhn.

 

 

 

An einen Kritikaster

(1775)

 

Über Goethes Text:

Schlagt den Hund tot, er ist ein Rezensent

 

Wer nichts als deinen Geifer kennt,

Der echt Verdienst zu stürzen brennt,

Ruft: der verfluchte Rezensent!

Schlagt tot den Hund! schlagt tot!

5

Wer aber deine Ohnmacht kennt,

Wer weiß, du schimpfst ums liebe Brot,

Sagt: mit dem Schlingel hat's nicht Not!

Laßt ihn nur leben, er ist tot!

 

 

 

Der Leipziger Musenalmanach

(1775)

 

Herr Schmid in Gießen bestach

Die Diener der trefflichsten Dichter.

Bringt mir, o Freunde – so sprach

Er zu Leuten von diesem Gelichter –

5

Was eure Herren insgesamt

Zum Gebrauch an heimliche Orte verdammt.

Die Schurken ließen sich verführen

Und brachten die Menge von solchen Papieren.

Daraus entstand dann nach und nach

10

Der Leipziger Musenalmanach.

 

 

 

An die Schwaben

(1775)

 

Ihr lieben Schwaben insgesamt,

Wenn noch ein Fünklein in euch flammt

Von Ahnenglut, so höret mich;

Dann biderb, frei und deutsch bin ich.

5

Unüberwindlich groß und stark,

In ihrer Knochen Löwenmark,

War eurer großen Väter Art;

Jetzt seid ihr zärtlich, winzig, zart,

Tragt statt der Waffe Degelein

10

Mit Bändern dran, gar hübsch und fein,

Und sprecht mit eurem lieben Sohn

Franzosensprach im Nasenton.

Ihr lauft verbuhlt um eure Weiber,

Wie Maulwurf, Sperling oder Täuber.

15

Wer Komplimente schneiden kann,

Wer schmeichlen, kriechen, heuchlen kann,

Der ist bei euch ein braver Mann.

Ihr haschet nur nach Rauch und Dunst

Und nicht nach Wissenschaft und Kunst;

20

Drum gilt bei euch der Gauch und Tropf

Mehr als der Weise und der Kopf.

Der Jüngling sitzt beim Wein so kalt,

Als wär er achtzig Jahre alt

Und säße auf der Alpen Höh

25

Mit bloßem A . . . im ew'gen Schnee.

Ist's Wunder, wenn man euch entehrt,

Als wenn ihr Yahoo wärt?

Schnipst euch der Sachs und Brenne doch

Verächtlich unters Nasenloch.

30

O denkt einmal im Ernste nach,

Was einst Bohemus von uns sprach:

D e r  S c h w a b e  w i r d  e r s t  s p ä t  g e s c h e i t.

Ach denkt daran, 's ist hohe Zeit.

Seid klug, schon vor den vierzig Jahren,

35

Wie's eure braven Väter waren.

Wie schön, wenn einst der Enkel spricht:

Die Narrenkappe paßt mir nicht.

 

 

 

Thraso

(1775)

 

Der Untertanen Last erschweren,

Um seines Fürsten Schatz zu mehren;

An keinen Jammer sich zu kehren

Und Städt und Länder zu verheeren:

5

Dies ist die hohe Wissenschaft,

Die Thraso Ehr und Reichtum schafft.

Er hat des Tigers Grausamkeit,

Des Wolfes Raubbegierd, die List

Des Fuchses, eines Hundes Neid,

10

Nicht seine Treu und Tapferkeit,

Und keines Menschen Herz – er ist

Ein trefflicher Kameralist.

 

 

 

Physiognomik der Totenschädel

(1775)

 

Der große Schädel, nur halb kahl,

Mit breiter Stirn und hart wie Stahl,

Und diese Knochen, fest wie Stein:

Wem mögen sie gewesen sein? –

5

Dumpf sprach der Genius, der um das Beinhaus schwebt,

Es war ein  D e u t s c h e r,  der Natur-gemäß gelebt.

Und dieses Schädelein hier,

So weiß und dünn wie Postpapier,

Und diese Gebeinlein darbei,

10

Wie Marzipan weiß und weich wie Brei,

Wer war dann dies?

E i n  G e c k  a u s  P a r i s.

 

 

 

Froschkritik

(1775)

 

Sang in 'nem Busch 'ne Nachtigall –

So wunderlieblich war ihr Schall

Als wie der 'rausgezogne Ton

Aus Meister Liedels Bariton.

5

Es war 'n Sumpf nicht weit davon,

Drin lag 'ne ganze Legion

Von Fröschen; und die hörten all

Den Wundersang der Nachtigall.

Da war ein hochstudierter Frosch

10

Mit runzlichter Stirn und breiter Gosch  *),

Hatte die edle Musikam,

Den Kontrapunkt, die Algebram

In manchem Sumpf und Weiher studiert

Und orgelte, wie sich's gebührt.

15

Doch weil er war gar kalter Natur;

E m p f a n d  er nichts und  k ü n s t e l t e  nur.

Der hörte auch die Nachtigall

Und sprach: Ihr Brüder, hört 'nmal,

Wie singt das Tier so abgeschmackt,

20

Macht falsche Quinten, hält keinen Takt,

Weiche nicht in künstlicher Modulation

Aus einem Ton in andern Ton;

In ihrem eklen di – di – di –

Und dukdukdukdukduk – steckt ihre ganze Melodie.

25

Magister Frosch – lacht drob so laut,

Daß ihm beinah zerplatzt die Haut,

Und sprach: Kameraden, wißt ihr was? –

Eine Fuge klingt doch baß,

Wollen's singen im Sopran, Alt und Tenor,

Ich orgle euch das Thema vor.

Nun ging's an ein scheußlich Gequack

30

Im wahren antiken Geschmack.

Mit Bund und Motu contrario;

Der Frosch hielt Tasto solo;

Unaufgelöst in der Fuge ganz

Folgt Dissonanz auf Dissonanz.

35

Nach mancher halsbrechenden Modulation

Kam endlich doch der letzte Ton.

Die Fledermaus und der Uhu

Hörten dem Froschkonzerte zu.

Waren drob gar lustig und froh

40

Und schrien laut: Bravissimo!

Ein Jüngling voll Empfindsamkeit,

Gelockt von sanfter Abendzeit,

Kam aus dem nahen Rosental,

Hörte das Lied der Nachtigall

45

Und weint' und sah zum Himmel 'nauf –

Und als die Frösche fugierten drauf;

Da warf er Steine in den Teich

Und schrie: Der Henker hole euch!

Hm, sprach der Kritikus unterm Gewässer:

50

Der Kerl versteht's nicht besser! –

 

  *)

Mit Gunst, ihr auswärtigen Sprachwaradeins, wenn 'n ehrlicher

Schwab auch seine Provinzialismen an Mann zu bringen sucht.

 

 

 

Freiheitslied eines Kolonisten

(1775)

 

Hinaus! Hinaus ins Ehrenfeld

Mit blinkendem Gewehr!

Kolumbus, deine ganze Welt

Tritt mutig daher!

 

5

Die Göttin Freiheit mit der Fahn –

(Der Sklave sah sie nie)

Geht – Brüder, seht's! sie geht voran!

O blutet vor sie!

 

Ha, Vater Putnam lenkt den Sturm

10

Und teilt mit uns Gefahr.

Uns leuchtet, wie ein Pharusturm,

Sein silbernes Haar!

 

Du gier'ger Brite, sprichst uns Hohn? –

Da nimm nur unser Gold!

15

Es kämpft kein Bürger von Boston

Um sklavischen Sold!

 

Da seht Europens Sklaven an,

In Ketten rasseln sie! –

Sie braucht ein Treiber, ein Tyrann

20

Für würgbares Vieh.

 

Ihr reicht den feigen Nacken, ihr,

Dem Tritt der Herrschsucht dar? –

Schwimmt her! – hier wohnt die Freiheit, hier!

Hier flammt ihr Altar!

 

25

Doch winkt uns Vater Putnam nicht?

Auf, Brüder, ins Gewehr! –

Wer nicht für unsre Freiheit ficht;

Den stürzet ins Meer!

 

Herbei, Kolumbier, herbei!

30

Im Antlitz sonnenrot!

Hör, Brite, unser Feldgeschrei

Ist's  S i e g  oder  T o d.

 

 

 

Der gnädige Löwe

(1775)

 

Der Tiere schrecklichsten Despoten

Kam unter Knochenhügeln hingewürgter Toten

Ein Trieb zur Großmut plötzlich an.

Komm, sprach der gnädige Tyrann

5

Zu allen Tieren, die in Scharen

Vor seiner Majestät voll Angst versammlet waren;

Komm her, beglückter Untertan,

Nimm dieses Beispiel hier von meiner Gnade an!

Sehe, diese Knochen schenk ich euch! –

10

Dir, rief der Tiere sklavisch Reich,

Ist kein Monarch an Gnade gleich! –

Und nur ein Fuchs, der nie den Ränken

Der Schüler Machiavells geglaubt,

Brummt in den Bart: Hm, was man uns geraubt

15

Und bis aufs Bein verzehrt, ist leichtlich zu verschenken.

 

 

 

Der Arme

(1775)

 

Gott, wie lange muß ich darben! –

Ewig glücklich sind nun die,

Die vor mir im Frieden starben,

Denn kein Elend drücket sie.

 

5

Hülfe, willst du lange säumen? –

Halb verschmachtet steh ich hier.

Goldne Früchte an den Bäumen,

Reicher Herbst, was helft ihr mir? –

 

Bauren sammeln in der Scheune

10

Korn und Weizen auf wie Sand;

Aber wenn ich Armer weine,

So verschließen sie die Hand.

 

Reiche rasseln mit dem Wagen;

Fett vom Haber ist ihr Pferd; –

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Rasselt nur, daß ihr die Klagen –

Eines armen Manns nicht hört.

 

Knabe, den mir Gott gegeben,

Der sein Elend noch nicht fühlt,

Seh ich dich im Herbstwind beben,

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Der mit deinen Lumpen spielt;

 

Oh, dann krümm ich mich am Stabe,

Höre dein Geschrei nach Brot,

Seufz im stillen: armer Knabe,

Wärst du tot! ach, wärst du tot! –

 

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Menschen, ist dann kein Erbarmen,

Kein Erbarmen unter euch?

Sind die Dürftigen, die Armen,

Euch an Fleisch und Blut nicht gleich?

 

O so werft, wie euren Hunden,

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Mir nur einen Bissen zu; –

Doch wer Armut nie empfunden,

Weiß es nicht, wie weh sie tu.

 

Gott, so muß ich ewig darben? –

O wie glücklich sind nun die,

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Die vor mir im Frieden starben:

Denn kein Elend drücket sie.

 

 

 

Schlittenlied

(1776)

 

Schon wiehert der Schimmel

Sein mutig Geschrei;

Er stampft; denn es glitten

Geflügelte Schlitten

5

Am Stalle vorbei.

 

Was wichsest du Kutscher

Den Schnurrbart? – Spann an!

Und schirre den Schimmel;

Denn schön ist der Himmel

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Und prächtig die Bahn.

 

Hopp! heisa! Wie fliegt schon

Der Schlitten dahin!

In sausender Eile,

Wie zischende Pfeile,

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So fliegt er dahin.

 

Schon hängt an der Mähne

Ein silberner Duft;

Der Himmel ist heiter,

Die Seele wird weiter

20

Und schwimmt in der Luft.

 

Harmonische Glocken

Ertönen wie schön!

Welch himmlische Klänge,

Wie Vogelgesänge,

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Wie Flötengetön!

 

Es schüttelt der Schimmel

Der Schellen Musik;

Kling ling ling, wir lassen

Geglättete Straßen

30

Im Fluge zurück.

 

Dort zittert im Froste

Ein weibischer Tor,

Ein menschliches Häschen,

Der 's weidliche Näschen

35

Beinahe verlor.

 

Doch laßt es dort zittern,

Das Männchen von Brei!

Es klatsche die Peitsche,

Wir rollen als Deutsche

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Im Fluge vorbei.

 

Schon sprudelt die Flasche

Vom rheinischen Most;

Trinkt, fröhliche Brüder,

Wein, Mädchen und Lieder

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Verjagen den Frost.

 

 

 

Virtuosenglück

(1776)

 

Schlecht ist der Virtuosen Glück

In unsrer Tage Lauf,

's tät not, sie nähmen einen Strick

Und hängen all sich auf.

 

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Pfeift einer auch wie le Brun pfeift,

Geigt einer Lolli nach,

Greift's Klavichord, wie Eckardt greift,

Und komponiert wie Bach;

 

So hört man lieber Schellenklang,

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Gebell und Katzenschrei

Und Gänsgigag und Eselsang

Als Sphärenmelodei.

 

Das Ohr der meisten Menschen ist

Wie Eselsohr – gar groß!

Darum bedenk's, mein frommer Christ,

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Und werd kein Virtuos.

 

 

 

An den Hutmacher Städele in Memmingen

(1776)

 

Hanns Marx von hochgebornem Blut

Bestellt bei dir 'n neuen Hut,

Recht fein gestutzt, klein, flüchtig, süß,

Nach Geckenmode in Paris;

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O Städele, sei doch so gut,

Mach ihm den Kopf gleich mit dem Hut.