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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   4 2 4 - 4 7 4


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     [424] Im 1698ten Jahre stieß uns abermahls eine der merckwürdigsten Begebenheiten vor. Denn da David Rawkins drey ältesten Söhne eines Tages den Nord=Steg hinnab an die See gestiegen waren, um das Fett von einem ertödteten See=Löwen auszuschneiden, erblicken sie von ohngefähr ein Schiff, welches auf den Sand=Bäncken vor unseren Felsen gestrandet hatte. Sie lauffen geschwind zurück und melden es ihrem Vater, welcher erstlich zu mir kam, um sich Raths zu erholen, ob man, daferne es etwa Nothleydende wären, ihnen zu Hülffe kommen möchte? Ich ließ alle wehrhaffte Personen auf der Insul zusammen ruffen, ihr Gewehr und Waffen ergreiffen, und alle Zugänge wohl besetzen, und begab mich mit etlichen in eigener Person auf die Höhe. Von dar ersahen wir nun zwar das gestrandete Schiff sehr eigentlich, wurden aber keines Menschen darauff gewahr, ohngeacht einer um den andern mit des seel. Amias hinterlassenen Perspectiv fleißig Acht hatte, biß der Abend herein zu brechen begunte, da wir meisten, uns wiederum zurück begaben, doch aber die gantze Nacht hindurch die Wachten wohl bestellet hielten, indem zu besorgen war, es möchten etwa See=Räuber oder andere Feinde seyn, die vorigen Tages unsere jungen Leute von ferne erblickt, derowegen ein Boot mit Mannschafft ausgesetzt hätten, um den Felsen auszukundschaffen, mitlerweile sich die übrigen im Schiffe verbergen müsten.

     Allein wir wurden weder am andern, dritten, vierdten, fünfften noch sechsten Tage nichts mehr gewahr, als das auf einer Stelle bleibende Schiff, [425] welches weder Masten noch Seegel auf sich zeigte. Derowegen fasseten endlich am siebenden Tage David, nebst noch 11. andern wohl bewaffneten starcken Leuten, das Hertze, in unser grosses Boot, welches wir nur vor wenig Jahren zur Ausübung unserer Strand=Gerechtigkeit verfertiget, einzusteigen, und sich dem Schiffe zu nähern.

     Nachdem sie selbiges erreicht und betreten, kommen dem David sogleich in einem Winckel zwey Personen vor Augen, welche bey einem todten menschlichen Cörper sitzen, mit grossen Messern ein Stück nach dem andern von selbigen abschneiden, und solche Stücken als rechte heißhungerige Wölffe eiligst verschlingen. Uber diesen gräßlichen Anblick werden alle die Meinigen in nicht geringes Erstaunen gesetzt, jedoch selbiges wird um so viel mehr vergrössert, da einer von diesen Menschen=Fressern jählings aufspringet, und einen von Davids Söhnen, mit seinem grossen Messer zu erstechen sucht, doch da dieser Jüngling seinen Feind mit der Flinte, als einen leichten Stroh=Wisch zu Boden rennet, werden endlich alle beyde mit leichter Müh überwältiget und gebunden hingelegt.

     Hierauff durchsuchen sie weiter alle Kammern, Ecken und Winckel des Schiffs, finden aber weder Menschen, Vieh, noch sonsten etwas, wovor sie sich ferner zu fürchten Ursach hätten. Hergegen an dessen statt einen unschätzbaren Vorrath an kostbaren Zeug= und Gewürtz=Waaren, schönen Thier=Häuten, zugerichteten Ledern und andern vortrefflichen Sachen. Uber dieses alles trifft David auf die fünfftehalb Centner ungemüntzet Gold, 14. Centner [426] Silber, 2. Schlag=Fässer voll Perlen, und drey Kisten voll gemüntztes Gold und Silber an, von dessen Glantze, indem er an seiner Jugend=Jahre gedenckt, seine Augen gantz verblendet werden.

     Jedoch meine guten Kinder halten sich hierbey nicht lange auf, sondern greiffen zu allererst nach den kostbarn Zeug= und Gewürtz=Waaren, tragen so viel davon in das Boot als ihnen möglich ist, nehmen die zwey Gebundenen mit sich, und kamen also, nachdem sie nicht länger als etwa 4. Stunden aussen gewesen, wieder zurück, und zwar durch den Wasser=Weg, auf die Insul. Wir vermerckten gar bald an den zweyen Gebundenen, daß es rasende Menschen wären, indem sie uns die gräßlichsten Gebärden zeigten, so oft sie jemand ansahe, mit den Zähnen knirscheten, diejenigen Speisen aber, welche ihnen vorgehalten wurden, hurtiger als die Kraniche verschlungen, weßwegen zu Alberts=Raum, ein jeder in eine besondere Kammer gesperret, und mit gebundenen Händen und Füssen aufs Lager gelegt, dabey aber allmählig mit immer mehr und mehr Speise und Tranck gestärckt wurde. Allein der schlimmste unter den Beyden, reisset folgende Nacht seine Bande an Händen und Füssen entzwey, frisset erstlich allen herum liegenden Speise=Vorrath auf, erbarmt sich hiernächst über ein Fäßlein, welches mit einer besondern Art von eingemachten Wurtzeln angefüllet ist, und frist selbiges ebenfalls biß auf die Helffte aus, bricht hernach die Thür entzwey, und läufft dem Nord=Walde zu, allwo er folgendes Tages gegen Abend, jämmerlich zerborsten, gefunden, und auf selbiger Stelle begraben wurde. [427] Der andere arme Mensch schien zwar etwas ruhiger zu werden, allein man merckte doch, daß er seines Verstandes nicht mächtig werden konte, ohngeacht wir ihn drey Tage nach einander aufs Beste verpflegten. Endlich am 4ten Tage, da ich Nachmittags bey ihm in der Kammer gantz stille saß, kam ihm das Reden auf einmal an, indem er mit schwacher Stimme rieff: JESUS, Maria, Joseph! Ich fragte ihn erstlich auf Deutsch, hernach in Holländischer und letzlich in Englischer wie auch in Lateinischer Sprache: Wie ihm zu Muthe wäre, jedoch er redete etliche Spanische Worte, welche ich nicht verstund, derowegen meinen Schwieger=Sohn Robert herein ruffte, der ihn meine Frage in Spanischer Sprache erklärete, und zur Antwort erhielt: Es stünde sehr schlecht um ihn und sein Leben. Robert versetzte, weil er JESUM zum Helffer angerufft, werde es nicht schlecht um ihn stehen, er möge sterben oder leben. Ich hoffe es mein Freund, war seine Antwort, dahero ihn Robert noch ferner tröstete, und bat: wo es seine Kräffte zuliessen, uns mit wenig Worten zu berichten: Was es mit ihm und dem Schiffe vor eine Beschaffenheit habe? Hierauff sagte der arme Mensch: Mein Freund! das Schiff, ich und alles was darauff ist, gehöret dem Könige von Spanien. Ein hefftiger Sturm hat uns von dessen West=Indischen Flotte getrennet, und zweyen Raub=Schiffen entgegen geführet, denen wir aber durch Tapfferkeit und endliche Flucht entgangen sind. Jedoch die fernern Stürme haben uns nicht vergönnet einen sichern Hafen zu finden, vielweniger den Abgang unserer Lebens=[428]Mittel zu ersetzen. Unsere Cameraden selbst haben Verrätherisch gehandelt, denn da sie von ferne Land sehen, und selbiges mit dem übel zugerichteten Schiffe nicht zu erreichen getrauen, werffen sich die Gesunden ins Boot und lassen etliche Krancke, ohne alle Lebens=Mittel zurücke. Wir wünschten den Tod, da aber selbiger, zu Endigung unserer Marter, sich nicht bey allen auf einmal einstellen wolte, musten wir uns aus Hunger an die Cörper derjenigen machen, welche am ersten sturben, hierüber hat unsere Kranckheit dermassen zugenommen, daß ich vor meine Person selbst nicht gewust habe, ob ich noch lebte oder allbereits todt wäre.

     Robert versuchte zwar noch ein und anderes von ihm zu erforschen, da aber des elenden Spaniers Schwachheit allzugroß war, musten wir uns mit dem Bescheide: Er wolle Morgen, wenn er noch lebte, ein mehreres reden, begnügen lassen. Allein nachdem er die gantze Nacht hindurch ziemlich ruhig gelegen, starb er uns, mit anbrechendem Tage, sehr sanfft unter den Händen, und wurde seiner mit wenig Worten und Gebärden bezeigten christlichen Andacht wegen, an die Seite unsers Gottes=Ackers begraben. Solchergestalt war niemand näher die auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwahrung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil wir dem Könige von Spanien auf keinerley Weise verbunden waren, so hielt ich nicht vor klug gehandelt, meinen Kindern das Strand=Recht zu verwehren, welche demnach in wenig Tagen das gantze Schiff, nebst allen darauff befindlichen Sachen, nach und nach Stückweise auf die Insul brachten. [429] Ich theilete alle nützliche Waaren unter dieselben zu gleichen Theilen aus, biß auf das Gold, Silber, Perlen, Edelgesteine und Geld, welches von mir, um ihnen alle Gelegenheit zum Hoffart, Geitz, Wucher und andern daraus folgenden Lastern zu be nehmen, in meinen Keller zu des Don Cyrillo und andern vorhero erbeuteten Schätzen legte, auch dieserwegen von ihnen nicht die geringste scheele mine empfieng.

     Der erste Jan. im Jahr Christi 1700. wurde nicht allein als der Neue Jahrs=Tag und Fest der Beschneidung Christi, sondern über dieses als ein solcher Tag, an welchen wir ein neues Jahrhundert, und zwar das 18de nach Christi Gebuhrt antraten, recht besonders frölich von uns gefeyert, indem wir nicht allein alle unsere Canonen löseten, deren wir auf dem letztern Spanischen Schiffe noch 12. Stück nebst einem starcken Vorrath an Schieß=Pulver überkommen hatten, sondern auch nach zweymahligen verrichteten Gottesdienste, unsere Jugend mit Blumen=Kräntzen ausziereten, und selbige im Reyhen herum singen und tantzen liessen. Folgendes Tages ließ ich, vor die junge Mannschafft, von 16. Jahren und drüber, die annoch gegenwärtige Vogel=Stange aufrichten, einen höltzernen Vogel daran häncken, wornach sie schiessen musten, da denn diejenigen, welche sich wohl hielten, nebst einem Blumen=Crantze verschiedene neue Kleidungs=Stücke, Aexte, Sägen und dergleichen, derjenige aber so das letzte Stück herab schoß, von meiner Concordia ein gantz neues Kleid, und von mir eine kostbare Flinte zum Lohne bekam. Diese Lust ist nachhero all=[430]jährlich einmahl um diese Zeit vorgenommen worden.

     Am 8. Jan. selbigen Jahres, als an meinen Geburts= und Vereheligungs=Tage, beschenckte mich der ehrliche Simon Schimmer mit einem neugemachten artigen Wagen, der von zweyen zahmgemachten Hirschen gezogen wurde, also sehr bequem war, mich und meine Concordia von einem Orte zum andern spatzieren zu führen. Schimmer hatte diese beyden Hirsche noch gantz jung aus dem Thier=Garten genommen, und selbige durch täglichen unverdrossenen Fleiß, dermassen kirre gewöhnet, daß sie sich regieren liessen wie man wolte. Ihm haben es nachhero meine übrigen Kinder nach gethan, und in wenig Jahren viel dergleichen zahme Thiere auferzogen.

     Nun könte ich zwar noch vieles anführen, als nemlich: von Entdeckung der Insul Klein=Felsenburg. Von Erzeugung des Flachses, und wie unsere Weiber denselben zubereiten, spinnen und wircken lernen. Von allerhand andern Handwercken, die wir mit der Zeit durch öffteres Versuchen ohne Lehrmeisters einander selbst gelehret und zu Stande bringen helffen. Von allerhand Waaren und Geräthschafften, die uns von Zeit zu Zeit durch die Winde und Wellen zugeführet worden. Von meiner 9. Stämme Vermehrung und immer besserer Wirthschaffts=Einrichtung im Acker= Garten= und Wein=Bau. Von meiner eigenen Wirthschafft, Schatz= Rüst= und Vorraths=Kammer und dergleichen; Allein meine Lieben, weil wir doch länger beysammen bleiben, und GOTT mir hof=[431]fentlich noch das Leben eine kleine Zeit gönnen wird, so will selbiges biß auf andere Zeiten versparen, damit wir in künfftigen Tagen bey dieser und jener Gelegenheit darüber mit einander zu sprechen Ursach finden, vor jetzo aber will damit schliessen, wenn ich noch gemeldet habe, was der Tod in dem eingetretenen 18den Seculo vor Haupt=Personen, aus diesem unsern irrdischen, in das Himmlische Paradieß versetzt hat, solches aber sind folgende:

         1. Johannes mein dritter leiblicher Sohn starb 1706. seines Alters 55. Jahr.
         2. Maria meine älteste Tochter, starb 1708. ihres Alters 58. Jahr.
         3. Elisabeth meine zweyte Tochter starb 1711. ihres Alters 58. Jahr.
         4. Virgilia van Cattmers Johannis Gemahl. starb 1713. ihres Alters 66. Jahr.
         5. Meine seel. Ehe=Gemahlin Concordia, starb 1715. ihres Alters im 89ten Jahre.
         6. Simon Heinrich Julius, sonst Schimmer, starb 1716. seines Alters 84. Jahr.
         7. Die jüngere Concordia und 8. Robert Julius, sonst Hülter, sturben binnen 6. Tagen, als treue Ehe=Leute. 1718. ihres Alters, sie im 72. und Er im 84. Jahre.
         9. Jacob Julius, sonst Larson,starb 1719. seines Alters 89. Jahr.
         10. Blandina, Christophs Gemahl. starb 1719. ihres Alters 65. Jahr.
         11. Gertraud, Christians Gemahl, starb 1723. ihres Alters 66. Jahre.

     Nunmehro, mein Herr Wolffgang! sagte hier=[432]auff der Altvater Albertus, indem er sich, wegen Erinnerung seiner verstorbenen Geliebten, mit weinenden Augen zum Capitain Wolffgang wandte, werdet ihr von der Güte seyn, und dasjenige anführen, was ihr binnen der Zeit eurer ersten Anwesenheit auf dieser Insul angetroffen und verbessert habt.

     Demnach setzte selbiger redliche Mann des Altvaters und seine eigene Geschicht folgender massen fort: Ich habe euch, meine werthesten Freunde, (sagte er zu Herr Mag. Schmeltzern und mir,) meine Lebens=Geschicht, zeitwährender unserer Schiffarth biß dahin wissend gemacht: Da ich von meinen schelmischen Gefährten an diesen vermeintlichen wüsten Felsen ausgesetzt, nachhero aber von hiesigen frommen Einwohnern erquickt und aufgenommen worden. Diese meine merckwürdige Lebens Erhaltung nun, kan ich im geringsten nicht einer ohngefähren Glücks=Fügung, sondern eintzig und allein der sonderbaren Barmhertzigen Vorsorge GOTTES zuschreiben, denn die Einwohner dieser Insul waren damals meines vorbey fahrenden Schiffs so wenig als meiner Aussetzung gewahr worden, wusten also nichts darvon, daß ich elender Mensch vor ihrem Wasser=Thore lag, und verschmachten wolte. Doch eben an demselben Tage, welchen ich damahligen Umständen nach, vor den letzten meines Lebens hielt, regieret GOTT die Hertzen 6. ehrlicher Männer aus Simons= und Christians Geschlechte, mit ihrem Gewehr nach dem in der Bucht liegenden Boote zu gehen, auf selbigen eine Fahrt nach der West=Seite zu thun, und [433] allda auf einige See=Löwen und See=Kälber zu lauren. Diese waren also, kurtz gesagt, die damahligen Werckzeuge GOTTES zu meiner Errettung, indem sie mich erstlich durch den Wasser=Weg zurück in ihre Behausung führeten, völlig erquickten, und nachhero dem Altvater von meiner Anwesenheit Nachricht gaben. Dieser unvergleichliche Mann, den GOTT noch viele Jahre zu meinem und der Seinigen Trost erhalten wolle, hatte kaum das vornehmste von meinen Glücks= und Unglücks=Fällen angehöret, als er mich sogleich hertzlich umarmete, und versprach: Mir meinen erlittenen Schaden dreyfach zu ersetzen, weil er solches zu thun wohl im Stande sey, und da ich keine Lust auf dieser Insul zu bleiben hätte, würde sich mit der Zeit schon Gelegenheit finden, wieder in mein Vaterland zurück zu kommen. Immittelst nahm er mich sogleich mit auf seinen Hügel, gab mir eine eigene wohl zubereitete Kammer ein, zog mich mit an seine Tafel, und versorgte mich also mit den köstlichsten Speisen, Geträncken, Kleidern, ja mit allem, was mein Hertz verlangen konte, recht im überflusse. Ich bin jederzeit ein Feind des Müßiggangs gewesen, derowegen machte mir alltäglich, bald hier bald dar, genung zu schaffen, indem ich nicht allein etliche 12. biß 16. jährige Knaben auslase, und dieselben in allerhand nützlichen Wissenschafften, welche zwar allhier nicht gäntzlich unbekannt, doch ziemlich dunckel und Beschwerlich fielen, auf eine weit leichtere Weise unterrichtete, sondern auch den Acker= Wein= und Garten=Bau fleißig besorgen halff. Mein Wohlthäter bezeugte [434] nicht allein hierüber seinen besondern Wohlgefallen, sondern ich wurde bey weiterer Bekandtschafft von allen Einwohnern, Jung und Alt, fast auf den Händen getragen, weßwegen ein Streit in meinen Hertzen entstund: Ob ich bey ereigneter Gelegenheit diese Insul verlassen, oder meine übrige Lebens=Zeit auf derselben zubringen wolte, als welches Letztere alle Einwohner sehnlich wünscheten, allein meine wunderlich herum schweiffenden Sinnen konten zu keinem beständigen Schlusse kommen, sondern ich wanckte zwey gantzer Jahre lang von einer Seite zur andern, biß endlich im dritten Jahre folgende Liebes=Begebenheit mich zu dem festen Vorsatze brachte: alles Guth, Ehre und Vergnügen, was ich etwa noch in Europa zu hoffen haben könte, gäntzlich aus dem Sinne zu schlagen, und mich allhier auf Lebens=Zeit feste zu setzen: Der gantze Handel aber fügte sich also: Der Stamm=Vater Christian hatte eine vortreffliche schöne und tugendhaffte Tochter, Sophia genannt, um welche ein junger Geselle, aus dem Jacobischen Geschlecht, sich eifrig bemühete, dieselbe zur Ehe zu haben, allein da diese Jungfrau denselben, so wohl als 4. andere, die schon vorhero um sie angehalten hatten, höflich zurück wiese, und durchaus in keine Heyrath mit ihm willigen wolte, bat mich der Vater Christian eines Tages zu Gaste, und trug mir an: Ob ich, als ein kluger Frembdling, nicht etwa von seiner Tochter ausforschen könne und wolle, weßwegen sie diesen Junggesellen, der ihrer so eiffrig begehrte, ihre eheliche Hand nicht reichen möchte; Ich nahm diese Commission willig auf, begab mich mit guter ma=[435]nier zu der schönen Sophie, welche im Garten unter einem grünen schattigen Baume mit der Spindel die zärtesten Flachs=Faden spann, weßwegen ich Gelegenheit ergriff mich bey ihr nieder zu setzen, und ihrer zarten Arbeit zuzusehen, welche ihre geschickten und saubern Hände gewiß recht anmuthig verrichteten.

     Nach ein und andern schertzhafften jedoch tugendhafften Gesprächen, kam ich endlich auf mein propos, und fragte etwas ernsthaffter: Warum sie denn so eigensinnig im Lieben sey, und denjenigen Jungen Gesellen, welcher sie so hefftig liebte, nicht zum Manne haben wolle. Das artige Kind erröthete hierüber, wolte aber nicht ein Wort antworrten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftigkeit, als einer Blödigkeit des Verstandes zurechnen muste, indem ich allbereit zur Gnüge verspüret, daß sie einen vortrefflichen Geist und aufgeräumten Sinn hatte. Derowegen setzte noch öffter an, und brachte es endlich durch vieles Bitten dahin, daß sie mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eröffnete: Mein Herr! sagte sie, ich zweiffele nicht im geringsten, daß ihr von den Meinigen abgeschickt seyd, meines Hertzens Gedancken auszuforschen, doch weil ich euch vor einen der redlichsten und tugendhafftesten Leute halte, so will ich mich nicht schämen euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater und Geschwister, geschweige denn andern Befreundten, zu eröffnen Scheu getragen habe. Wisset demnach, daß mir unmöglich ist einen Mann zu nehmen, der um so viele Jahre jünger ist als ich, bedencket doch, ich habe allbereit mein 32stes Jahr zurück ge=[436]legt, und soll einen jungen Menschen heyrathen, der sein zwantzigstes noch nicht ein mal erreicht hat. Es ist ja Gottlob kein Mangel an Weibs=Personen auf dieser Insul, hergegen hat er so wohl als andere noch das Auslesen unter vielen, wird also nicht unverheyrathet sterben dürffen, wenn er gleich mich nicht zur Ehe bekömmt, solte aber ich gleich ohn verheyrathet sterben müssen, so wird mir dieses weder im Leben noch im Tode den allergeringsten Verdruß erwecken. Ich verwunderte mich ziemlicher massen über dieses 32. jährigen artigen Frauenzimmers resolution, und hätte, ihrem Ansehen und gantzen Wesen nach, dieselbe kaum mit guten Gewissen auf 20. Jahr geschätzet, doch da ich in ihren Reden einen lautern Ernst verspürete, gab ich ihr vollkommen Recht und fragte nur: Warum sie aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor diesem letztern abgewiesen hätte? Worauff sie antwortete: Sie sind alle wenigstens 10. biß 12. Jahr jünger gewesen als ich, derowegen habe unmöglich eine Heyrath mit ihnen treffen können, sondern viel lieber ledig bleiben wollen.

     Hierauff lenckte ich unser Gespräch, um ihren edlen Verstand ferner zu untersuchen auf andere Sachen, und fand denselben so wohl in geistlichen als weltlichen Sachen dermassen geschärfft, daß ich so zu sagen fast darüber erstaunete, und mit innigsten Vergnügen so lange bey ihr sitzen blieb, biß sich unvermerckt die Sonne hinter die hohen Felsen=Spitzen verlohr, weßwegen wir beyderseits den Garten verliessen, und weil ich im Hause vernahm, daß sich der Vater Christian auf der Schleusen=Brücke [437] befände, wünschete ich der schönen Sophie nebst den übrigen eine gute Nacht, und begab mich zu ihm. Indem er mir nun das Geleite biß auf die Alberts=Burg zu unserm Altvater gab, erzehlete ich ihm unterwegens seiner tugendhafften Tochter vernünfftiges Bedencken über die angetragene Heyrath, so wohl als ihren ernstlich gefasseten Schluß, worüber er sich ebenfalls nicht wenig verwunderte, und deßfalls erstlich den Altvater um Rath fragen wolte. Derselbe nun that nach einigen überlegen diesen Ausspruch: Zwinge dein Kind nicht, mein Sohn Christian, denn Sophia ist eine keusche und Gottesfürchtige Tochter, deren Eigensinn in diesem Stück unsträflich ist, ich werde ihren Liebhaber Andream anderweit berathen, und versuchen ob ich Nicolaum, deines seel. Bruders Johannis dritten Sohn, der einige Jahre älter ist, mit der frommen Sophie vereheligen kan.

     Wir geriethen demnach auf andere Gespräche, allein ich weiß nicht wie es so geschwinde bey mir zugieng, daß ich auf einmahl gantz tieffsinnig wurde, welches der liebe Altvater sogleich merckte, und sich um meine jählinge Veränderung nicht wenig bekümmerte, doch da ich sonst nichts als einen kleinen Kopff=Schmertzen vorzuwenden wuste, ließ er mich in Hofnung baldiger Besserung zu Bette gehen. Allein ich lage lange biß nach Mitternacht, ehe die geringste Lust zum Schlafe in meine Augen kommen wolte, und, nur kurtz von der Sache zu reden, ich spürete nichts richtigers in meinem Hertzen, als daß es sich vollkommen in die schöne und tugendhaffte Sophie verliebt hätte. Hergegen machten mir des [438] lieben Altvaters gesprochene Worte: Ich werde versuchen, ob ich Nicolaum mit der frommen Sophie verehelige kan, den allergrösten Kummer, denn erstlich hatte ich als ein elender Einkömmling noch die gröste Ursach zu zweiffeln, ob ich der schönen Sophie Gegen=Gunst erlangen, und vors andere schwerlich zu hoffen, daß mich der Altvater seinem Enckel Nicolao vorziehen würde. Nachdem ich mich aber dieserwegen noch eine gute Weile auf meinem Lager herum geworffen, und meiner neuen Liebe nachgedacht hatte, fassete ich endlich den festen Vorsatz keine Zeit zu versäumen, sondern meinem aufrichtigen Wohlthäter mein gantzes Hertze, gleich Morgen früh zu offenbaren, nachhero, auf dessen redliches Gutachten, selbiges der schönen Sophie ohne alle Weitläufftigkeiten ehrlich anzutragen.

     Hierauff liessen sich endlich meine Furcht und Hoffnungs=volle Sinnen durch den Schlaff überwältigen, doch die Einbildungs=Kräffte machten ihnen das Vergnügen, die schöne Sophie auch im Traume darzustellen, so, daß sich mein Geist den gantzen übrigen Theil der Nacht hindurch mit derselben unterredete, und so wohl an ihrer äuserlichen schönen Gestalt, als innerlichen vortrefflichen Gemüths=Gaben ergötzte. Ich wachte gegen Morgen auf, schlieff aber unter dem Wunsche, dergleichen Traum öffter zu haben, bald wieder ein, da mir denn vorkam, als ob meine auf der Insul Bonair seelig verstorbene Salome, die tugendhaffte Sophie in meine Kammer geführet brächte, und derselben ihren Trau=Ring, den ich ihr mit in den [439] Sarg gegeben hatte, mit frölichen Gebärden überlieferte, hernach zurücke gieng und Sophien an meiner Seite stehen ließ. Hierüber erwachte ich zum andern mahle, und weil die Morgen=Röthe bereits durch mein von durchsichtigen Fisch=Häuten gemachtes Fenster schimmerte, stund ich, ohne den Altvater zu erwecken, sachte auf, spatzierete in dessen grossen Lust=Garten, und setzte mich auf eine, zwischen den Bäumen gemachte Rasen=Banck, verrichtete mein Morgen=Gebeth, sung etliche geistliche Lieder, zohe nach diesen meine Schreib=Tafel, die mir nebst andern Kleinigkeiten von meinen Verräthern annoch in Kleidern gelassen worden, hervor, und schrieb folgendes Lied hinnein.

         1.
UNverhoffte Liebes=Netze
         Haben meinen Geist bestrickt.
Das, woran ich mich ergötze,
         Hat mein Auge kaum erblickt;
Kaum, ja kaum ein wenig Stunden,
         Da der güldnen Freyheit Pracht
Ferner keinen Platz gefunden,
         Darum nimmt sie gute Nacht.

         2.
Holder Himmel! darff ich fragen:
         Wilst du mich im Ernst erfreun?
Soll, nach vielen schweren Plagen,
         Hier mein ruhigs Eden seyn?
O! so macht dein Wunder=Fügen,
         Und die süsse Sclaverey,
Mich von allen Mißvergnügen,
         Sorgen, Noth und Kummer frey.

         [440]
         3.
Nun, so fülle, die ich liebe,
         Bald mit Glut und Flammen an,
Bringe sie durch reine Triebe
         Auf die keusche Liebes=Bahn,
Und ersetze meinem Hertzen,
         Was es eh'mals eingebüßt;
Denn so werden dessen Schmertzen
         Durch erneute Lust versüßt.

     Kaum hatte ich diesen meinen poëtischen Einfall zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten weltlichen Melodey abzusingen etliche mahl probirte, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Altvater einen aufmercksamen Zuhörer bekommen, biß er mich sanfft auf die Schulter klopffte und sagte: Ists möglich mein Freund, daß ihr in meine Auffrichtigkeit einigen Zweiffel setzen und mir euer Liebes=Geheimniß verschweigen könnet, welches doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde ruhet? Ich fand mich solchergestalt nicht wenig betroffen, entschuldigte meine bißherige Verschwiegenheit mit solchen Worten, die der Wahrheit gemäß waren, und offenbarete ihm hierauff mein gantzes Hertze. Es ist gut, mein Freund, versetzte der werthe Altvater dargegen, Sophia soll euch nicht vorenthalten werden, allein übereilet euch nicht, sondern machet vorhero weitere Bekanntschafft mit derselben, untersuchet so wohl ihre als eure selbst eigene Gemüths=Neigungen, wann ihr so dann vor thunlich befindet, eure Lebens=Zeit auf dieser Insul mit einander zuzubringen, soll euch er=[441]laubt seyn, mit selbiger in den Stand der Ehe zu treten, doch das sage ich zum voraus: Daß ihr so wohl, als meine vorigen Schwiger=Söhne, einen cörperlichen Eyd schweren müsset, so lange als meine Augen offen stehen, nichts von dieser Insel, viel weniger eines meiner Kinder eigenmächtiger oder heimlicher Weise hinweg zu führen. Nächst diesem, war seine fernere Rede, hat mir ohnunfehlbar der Geist GOTTES ein besonderes Vorhaben eingegeben, zu dessen Ausführung mir keine tüchtigere Person von der Welt vorkommen können, als die eurige. Ich danckte dem lieben Alt=Vater nicht allein von dessen gütiges Erbiethen, sondern versprach auch, was so wohl den Eyd, als alles andere beträffe, so er von mir verlangen würde, nach meinem äusersten Vermögen ein völliges Genügen zu leisten. Derselbe aber verlangte vorhero nochmahls eine umständliche Erzehlung meiner Lebens=Geschichte, worinnen ich ihm noch selbigen Tag gehorsamete, und ohngefähr mit erwehnete: Wie ich in einer gewissen berühmten Handels=Stadt, unter andern auch mit einem Kauffmanne in Bekanndtschafft gerathen, der ebenfalls den Zunahmen Julius geführet hätte, doch, da ich von dessen Geschlecht und Herkommen keine fernere Nachricht zu geben wuste, erseuffzete der liebe Alt=Vater dieserwegen, und wünschte, daß selbiger Kauffmann ein Befreundter von ihm, oder gar ein Abstammling von seinen ohnfehlbar nunmehro seel. Bruder seyn möchte; Allein, ich konte, wie bereits gemeldet, hiervon so wenig, als von des Kauffmanns übriger Familie und dessen Zu=[442]stande Nachricht geben. Derowegen brach endlich der werthe Alt=Vater loß, und hielt mir in einer weitläufftigen Rede den glückseeligen Zustand vor, in welchen er sich nebst den Seinigen auf dieser Insul von GOtt gesetzt sähe. Nur dieses eintzige beunruhige sein Gewissen, daß nemlich er und die Seinigen ohne Priester seyn, mithin des heiligen Abendmahls nebst anderer geistlicher Gaben beraubt leben müsten: Uber dieses, da die Anzahl der Weibs=Personen auf der Insul stärcker sey, als der Männer, so wäre zu wünschen, daß noch einige zum Ehe=Stande tüchtige Handwercker und Künstler anhero gebracht werden könten, welches dem gemeinen Wesen zum sonderbaren Nutzen, und manchen armen Europäer, der sein Brod nicht wohl finden könte, zum ruhigen Vergnügen gereichen würde. Und letzlich wünschte der liebe Alt=Vater, vor seinem Ende noch einen seiner Bluts=Freunde aus Europa bey sich zu sehen, um demselben einen Theil seines fast unschätzbaren Schatzes zuzuwenden, denn, sagte er: Was sind diese Glücks=Güter mir und den Meinigen auf dieser Insul nütze, da wir mit niemanden in der Welt Handel und Wandel zu treiben gesonnen? Und gesetzt auch, daß dieses in Zukunfft geschehen solte, so trägt diese Insul so viele Reichthümer und Kostbarkeiten in ihrem Schoosse, wovor alles dasjenige, was etwa bedürfftig seyn möchte, vielfältig eingehandelt werden kan. Demnach möchte es wohl seyn, daß sich meines Bruders Geschlecht in Europa in solchem Zustande befände, dergleichen Schätze besser als wir zu gebrauchen und an=[443]zulegen; Warum solte ich also ihnen nicht gönnen, was uns überflüßig ist und Schaden bringen kan? Oder solche Dinge, die GOtt dem Menschen zum löblichen Gebrauch erschaffen, heimtückischer und geitziger Weise unter der Erden versteckt behalten?

     Nachdem er nun noch sehr vieles von diesen Sachen mit mir gesprochen, schloß er endlich mit diesen treuhertzigen Worten: Ihr wisset nunmehro, mein redlicher Freund Wolffgang, was mir auf dem Hertzen liegt, und euer eigener guter Verstand wird noch mehr anmercken, was etwa zu Verbesserung unseres Zustandes von nöthen sey, darum saget mir in der Furcht GOttes eure aufrichtige Meinung: Ob ihr euch entschliessen wollet, noch eine Reise in Europam zu unternehmen, mein Hertz und Gewissen, gemeldten Stücken nach, zu beruhigen, und nach glücklicher Zurückkunfft Sophien zu ehligen. An Gelde, Gold, Silber und Kleinodien will ich zwey biß drey mahl hundert tausend Thaler werth zu Reise=Kosten geben, was sonsten noch darzu erfordert wird, ist nothdürfftig vorhanden, wegen der Reise=Gesellschafft und anderer Umstände aber müsten wir erstlich genauere Abrede nehmen, denn mit meinem Willen soll keines von meinen Kindern seinen Fuß auf die Europäische Erde setzen.

     Ich nahm nicht den geringsten Aufschub, dem lieben Alt=Vater, unter den theuresten Versicherungen meiner Redlichkeit und Treue, alles einzuwilligen, was er von mir verlangte, weil ich mir so gleich die feste Hoffnung machte, GOtt würde mich auf dieser Reise, die hauptsächlich seines [444] Diensts und Ehre wegen vorgenommen sey, nicht unglücklich werden lassen. Derowegen wurden David und die andern Stamm=Väter zu Rathe gezogen, und endlich beschlossen wir ingesammt, unser leichtes Schiff in guten Stand zu setzen, auf welchen mich David nebst 30. Mann biß auf die Insul St. Helenæ bringen, daselbst aussetzen, und nachhero mit seiner Mannschafft so gleich wieder zurück auf Felsenburg seegeln solte.

     Mittlerweile, da fast alle starcke Leute keine Zeit noch Mühe spareten, das Schiff nach meinem Angeben auszubessern, und Seegel=fertig zu machen, nahm ich alle Abend Gelegenheit, mich mit der schönen Sophie in Gesprächen zu vergnügen, auch endlich die Kühnheit, derselben mein Hertz anzubieten, weil nun der liebe Alt=Vater allbereit die Bahne vor mich gebrochen hatte, konte mein verliebtes Ansinnen um desto weniger unglücklich seyn, sondern, kurtz zu sagen, wir vertauschten bey einem öffentlichen Verlöbnisse unsere Hertzen mit solcher Zärtlichkeit, die mir auszusprechen unmöglich ist, und verschoben die Vollziehung dieses ehelichen Bündnisses biß auf meine, in der Hoffnung, glückliche Zurückkunfft.

     Gegen Michaelis=Tag des verwichenen 1724ten Jahres wurden wir also mit Ausrüstung unseres Schiffs, welches ich die Taube benennete, und demselben Holländische Flaggen aufsteckte, vollkommen fertig, es war bereits mit Proviant und allem andern wohl versehen, der gute alte David Julius, der jedoch an Leibes= und Gemüths=Kräfften es noch manchem jungen Manne zuvor that, hielt sich [445] mit seiner auserlesenen und wohl bewaffneten jungen Mannschafft alltäglich parat, einzusteigen, exercirte aber dieselben binnen der Zeit auf recht lustige und geschickte Art. Da es demnach nur an meiner Abfertigung lage, ließ mich der Alt=Vater, weil er eben damahls einiges Reissen in Knien hatte, also nicht ausgehen konte, vor sein Bette kommen, und führete mir nochmahls alles dasjenige, was ich ihm zu leisten versprochen, liebreich zu Gemüthe, ermahnete mich anbey GOtt, ihm und den Seinigen, diesen wichtigen und eines ewigen Ruhms würdigen Dienst, redlich und getreu zu erweisen, welchen GOTT ohnfehlbar zeitlich und ewig vergelten würde. Ich legte hierauf meine lincke Hand auf seine Brust, die rechte aber richtete ich zu GOTT im Himmel in die Höhe, und schwur einen theuren Eyd, nicht allein die mir aufgetragenen 3. Haupt=Puncte nach meinem besten Vermögen zu besorgen, sondern auch alles andere, was dem gemeinen Wesen zur Verbesserung gereichlich, wohl zu beobachten. Hierauf lieferte er mir denjenigen Brief ein, welchen ich euch, mein Eberhard Julius, in Amsterdam annoch wohl versiegelt übergeben habe, und wiese mich zugleich in eine Kammer, allwo ich aus einem grossen Pack=Fasse an Geld, Gold und Edlen=Steinen so viel nehmen möchte, als mir beliebte. Es befanden sich in selbigen am Werth mehr denn 5. biß 6. Tonnen Schatzes, doch ich nahm nicht mehr davon als 30. runde Stücken gediehenes Goldes, deren ich jedes ohngefähr 10. Pfund schwer befand, nächst diesen an Spanischer Gold= und Silber=Müntze [446] 50000. Thlr. werth, ingleichen an Perlen und Kleinodien ebenfalls einer halben Tonne Goldes werth. Ich brauchte die Vorsicht, die kostbarsten Kleinodien und grossen güldnen Müntzen so wohl in einen bequemen Gürtel, den ich auf den blossen Leibe trug, als auch in meine Unter=Kleider zu verwahren, die grossen Gold=Klumpen aber wurden zerhackt, und in die mit den allerbesten Rosinen angefülleten Körbe vertheilet und verborgen. Mit den Perlen thaten wir ein gleiches, das gemüntzte Geld aber vertheilete ich in verschiedene lederne Beutel, und verwahrete es also, daß es zur Zeit der Noth gleich bey der Hand seyn möchte. Dem Alt=Vater gefielen zwar meine Anstalten, jedennoch aber war er der Meynung, ich würde mit so wenigen Gütern nicht alles ausrichten können. Doch, da ihm vorstellete, wie es sich nicht schicken würde, mit mehr als einem Schiffe wieder zurück zu kehren, also ein überflüßiges Geld und Gut mir nur zur Last und schlimmen Verdacht gereichen könne; überließ er alles meiner Conduite, und also gingen wir nach genommenen zärtlichen Abschiede unter tausend Glückwünschen der zurück bleibenden Insulaner am 2ten Octobr. 1724. vergnügt unter Seegel, wurden auch durch einen favorablen Wind dermassen hurtig fortgeführet, daß wir noch vor Untergang der Sonnen Felsenburg aus den Augen verlohren.

     Unterwegs, nachdem diejenigen, so des Reisens ungewohnt, der See den bekannten verdrüßlichen Tribut abgestattet, und sich völlig erholet hatten, war unser täglicher Zeitvertreib, daß [447] ich meine Gefährten im richtigen Gebrauch des Compasses, der See Charten und andern Vortheilen bey der Schiffs=Arbeit, immer besser belehrete, damit sie ihren Rückweg nach Felsenburg desto leichter zu finden, und sich bey ereignenden Sturme oder andern Zufällen eher zu helffen wüsten, ohngeacht sich deßfalls bey einigen, und sonderlich bey dem guten alten David, der das Steuer=Ruder beständig besorgte, bereits eine ziemliche Wissenschafft befand.

     Solchergestalt erreichten wir, ohne die geringste Gefahr ausgestanden zu haben, die Insul St. Helenæ noch eher, als ich fast vermuthet hatte, und traffen daselbst etliche 20. Engell= und Holländische Schiffe an, welche theils nach Ost=Indien reisen, theils aber, als von dar zurück kommende, den Cours nach ihren Vater=Lande nehmen wolten. Hier wolte es nun Kunst heissen, Rede und Antwort zu gestehen, und doch dabey das Geheimniß, woran uns allen so viel gelegen, zu verschweigen, derowegen studirte ich auf allerhand scheinbare Erfindungen, welche mit meinen Gefährten abredete, und hiermit auch so glücklich war, alle diejenigen, so sich um mein Wesen bekümmerten, behörig abzuführen. Von den Holländern traff ich keinen eintzigen bekandten Menschen an, hergegen kam mir ein Englischer Capitain unvermuthet zu Gesichte, dem ich vor Jahren auf der Fahrt nach West=Indien einen kleinen Dienst geleistet hatte, diesem gab ich mich zu erkennen, und wurde von ihm aufs freundlichste empfangen und tractiret. Er judicirte anfangs aus meinem äuserlichen We=[448]sen, daß ich ohnfehlbar unglücklich worden, und in Nöthen stäcke? Weßwegen ich ihm gestund, daß zwar einige unglückliche Begebenheiten mich um mein Schiff, keines weges aber um das gantze Vermögen gebracht, sondern ich hätte noch so viel gerettet, daß mich im Stande befände, eine neue Ausrüstung vorzunehmen, so bald ich nur Amsterdam erreichte. Er wandte demnach einige Mühe an, mich zu bereden, in seiner Gesellschafft mit nach Java zu gehen, und versprach bey dieser Reise grossen Profit, auch bald ein Schiffs=Commando vor mich zu schaffen, allein, ich danckte ihm hiervor, und bat dargegen, mich an einen seiner Lands=Leute, die in ihr Vater=Land reiseten, zu recommendiren, um meine Person und Sachen vor gute Bezahlung biß dahin zu nehmen, weil ich allbereit so viel wüste, daß mir meine Lands=Leute, nehmlich die Holländer, diesen Dienst nicht leisten könten, indem sie sich selbsten schon zu starck überladen hätten. Hierzu war der ehrliche Mann nun gleich bereit, führete mich zu einem nicht weniger redlichen Patrone, mit welchen ich des Handels bald einig wurde, meine Sachen, die in Ballen, Fässer und Körbe eingepackt waren, zu ihm einschiffte, und den Vater David mit den Seinigen, nachdem sie sonst nichts als frisches Wasser eingenommen hatten, wieder zurück schickte, unter dem Vorwande, als hätten dieselben noch viele auf der Insul Martin Vas vergrabene und ausgesetzte Waaren abzuholen, mit welchen sie nachhero ebenfalls nach Holland seegeln und mich daselbst antreffen würden. Allein, wie ich nunmehro ver=[449]nommen, so haben sie den Rückweg nach Felsenburg so glücklich, als den nach St. Helena, wieder gefunden, auch unterwegs nicht den geringsten Anstoß erlitten. Mir vor meine Person gieng es nicht weniger nach Wunsche, denn, nachdem ich nur 11. Tage in allen, vor St. Helena stille gelegen, lichtete der Patron seine Ancker, und seegelte in Gesellschafft von 13. Engell= und Holländischen Schiffen seine Strasse. Der Himmel schien uns recht ausserordentlich gewogen zu seyn, denn es regte sich nicht die geringste wiederwärtige Lufft, auch durfften wir uns vor feindlichen Anfällen gantz nicht fürchten, indem unser Schiff von den andern bedeckt wurde. Doch, da ich in Canarien einen bekandten Holländer antraff, der mich um ein billiges mit nach Amsterdam nehmen wolte, über dieses mein Engelländer sich genöthiget sahe, um sein Schiff auszubessern, allda in etwas zu verbleiben, so bezahlte ich dem letztern noch ein mehreres, als das Gedinge biß nach Engelland austruge, schiffte mich vieler Ursachen wegen höchst vergnügt bey dem Holländer ein, und kam am 10. Febr. glücklich in Amsterdam an.

     Etwas recht nachdenckliches ists, daß ich gleich in dem ersten Gast=Hause, worinnen ich abtreten, und meine Sachen hinschaffen wolte, einen von denjenigen Mord=Buben antraff, die mich, dem Jean le Grand zu gefallen, gebunden, und an die Insul Felsenburg ausgesetzt hatten. Der Schelm wolte, so bald er mich erkandte, gleich entwischen, weil ihm sein Gewissen überzeugte, daß er den Strick um den Halß verdienet hätte. Derowegen [450] trat ich vor, schlug die Thür zu, und sagte: Halt, Camerad! wir haben einander vor drey Jahren oder etwas drüber gekandt, also müssen wir mit einander sprechen. Wie hälts? Was macht Jean le Grand? hat er viel auf seinen gestohlnen Schiffe erworben? Ach mein Herr! gab dieser Strauch=Dieb zur Antwort, das Schiff und alle, die darauf gewesen, sind vor ihre Untreu sattsam gestrafft, denn das erstere ist ohnweit Madagascar geborsten und versuncken, Jean le Grand aber hat nebst allen Leuten elendiglich ersauffen müssen, ja es hat sich niemand retten können, als ich und noch 3. andere, die es mit euch gut gemeynet haben. So hast du es, versetzte ich, auch gut mit mir gemeynet? Ach, mein Herr! schrye er, indem er sich zu meinen Füssen warff, ist gleich in einem Stücke von mir Boßheit verübt worden, so habe doch ich hauptsächlich hintertreiben helffen, daß man euch nicht ermordet hat, welches, wie ihr leichtlich glauben werdet, von dem gantzen Complot beschlossen war. Ich wuste, daß dieser Kerl zwar ein ziemlicher Bösewicht, jedoch keiner von den allerschlimmsten gewesen war, derowegen, als mir zugleich die Geschicht Josephs und seiner Brüder einfiel, jammerte mich seiner, so, daß ich ihn aufhub und sagte: Siehe, du weist ohnfehlbar, welches dein Lohn seyn würde, wenn ich die an mir begangene Boßheit gehöriges Orts anhängig machen wolte; Allein, ich vergebe dir alles mit Mund und Hertzen, wünsche auch, daß dir GOtt alle deine Sünde vergeben möge, so du jemahls begangen. Mercke das Exempel der Rache GOttes an deinen unglückli=[451]chen Mitgesellen, wo du mich anders nicht beleugst, und bessere dich. Mit mir habt ihrs böse zu machen gedacht, aber GOtt hats gut gemacht, denn ich habe voritzo mehr Geld und Güter, als ich jemahls gehabt habe. Hiermit zohe ich ein Gold=Stück, am Werth von 20. deutschen Thalern, aus meinem Beutel, verehrte ihm dasselbe, und versprach, noch ein mehreres zu thun, wenn er mir diejenigen herbringen könne, welche sich nebst ihm von dem verunglückten Schiffe gerettet hätten. Der neubelebte arme Sünder machte mir also aufs neue die demüthigsten und danckbarlichsten Bezeugungen, und versprach, noch vor Abends zwey von den erwehnten Personen, nehmlich Philipp Wilhelm Horn, und Adam Gorques, zu mir zu bringen, den dritten aber, welches Conrad Bellier gewesen, wisse er nicht mehr anzutreffen, sondern glaubte, daß derselbe mit nach Gröenland auf den Wall=Fisch=Fang gegangen sey. Ich hätte nicht vermeynet, daß der Vogel sein Wort halten würde, allein, Nachmittags brachte er beyde erst erwehnten in mein Logis, welche denn, so bald sie mich erblickten, mir mit Thränen um den Halß fielen, und ihre besondere Freude über meine Lebens=Erhaltung nicht genug an den Tag zu legen wusten. Ich hatte ebenfalls nicht geringe Freude, diese ehrlichen Leute zu sehen, weiln gewiß wuste, daß sie nicht in den Rath der Gottlosen eingestimmet hatten, sonderlich machte mir Horns Person ein grosses Vergnügen, dessen Klugheit, Erfahrenheit und Courage mir von einigen Jahren her mehr als zu bekandt war. Er hatte sich ohnlängst wiederum [452] in Qualität eines Quartiermeisters engagiret, und zu einer frischen Reise nach Batavia parat gemacht, jedoch, so bald er vernahm, daß ich ebenfalls wiederum ein Schiff ausrüsten, und eine neue Tour nehmen wolte, versprach er, sich gleich morgenden Tag wiederum loß zu machen, und bey mir zu bleiben. Ich schenckte diesen letztern zweyen, so bald sich der erste liederliche Vogel hinweg gemacht, jeden 20. Ducaten, Horn aber, der zwey Tage hernach wieder zu mir kam, und berichtete, daß er nunmehro frey und gäntzlich zu meinen Dienste stünde, empfing aus meinen Händen noch 50. Ducaten zum Angelde, und nahm alle diejenigen Verrichtungen, so ich ihm auftrug, mit Freuden über sich.

     Ich heuerte mir ein bequemer und sicherer Quartier, nahm die vor etlichen Jahren in Banco gelegten Gelder zwar nicht zurück, assignirte aber dieselben an mein Geschwister, und that denselben meine Anwesenheit in Amsterdam zu wissen, meldete doch anbey, daß ich mich nicht lange daselbst aufhalten, sondern ehestens nach Ost=Indien zurück reisen, und alldorten Zeit Lebens bleiben würde, weßwegen sich niemand zu mir bemühen, sondern ein oder der andere nur schreiben dürffte, wie sich die Meinigen befänden. Mittlerweile muste mir Horn die Perlen und einige Gold=Klumpen zu gangbaren Gelde machen, wovor ich ihm die vortrefflichen Felsenburgischen Rosinen zur Ergötzlichkeit überließ, aus welchen er sich denn ein ziemlich Stück Geld lösete.

     Hierauf sahe ich mich nach einem Nagel=neuen [453] Schiffe um, und da ich dergleichen angetroffen und baar bezahlet hatte, gab ich ihm den Nahmen der getreue Paris, Horn aber empfing von mir eine punctation, wie es völlig ausgerüstet, und mit was vor Leuten es besetzt werden solte. Ob ich nun schon keinen bösen Verdacht auf diesen ehrlichen Menschen hatte, so muste er doch alle hierzu benöthigten Gelder von einem Banquier, der mein vertrauter Hertzens=Freund von alten Zeiten her war, abfordern, und eben diesen hatte ich auch zum Ober=Aufseher meiner Angelegenheiten bestellet, bevor ich die Reise, mein Eberhard, nach eurer Geburths=Stadt antrat. Dieselbe nun erreichte ich am verwichenen 6ten Maji. Aber, o Himmel! wie erschrack mein gantzes hertze nicht, da ich auf die erste Frage, nach dem reichen Kauffmanne Julius, von meinem Wirthe die betrübte Zeitung erfuhr, daß derselbe nur vor wenig Wochen unvermuthet banquerot worden, und dem sichersten Vernehmen nach, eine Reise nach Ost= oder West=Indien angetreten hätte. Ich kan nicht anders sagen, als daß ein jeder Mensch, der auf mein weiteres Fragen des Gast=Wirths Relation bekräfftigte, auch dieses redlichen Kauffmanns Unglück beklagte, ja die vornehmsten wolten behaupten: Es sey ein grosser Fehler und Ubereilung von ihm, daß er sich aus dem Staube gemacht, immassen allen seinen Creditoren bekandt, daß er kein liederlicher und muthwilliger Banquerotteur sey, dahero würde ein jeder gantz gern mit ihm in die Gelegenheit gesehen, und vielleicht zu seinem Wiederaufkommen etwas beygetragen haben. Allein, was konten mir nunmehro [454] alle diese sonst gar wohl klingenden Reden helffen, der Kauffmann Julius war fort, und ich konte weiter nichts von seinem gantzen Wesen zu meinem Vortheil erfahren, als daß er einen eintzigen Sohn habe, der auf der Universität in Leipzig studire. Demnach ergriff ich Feder und Dinte, setzte einen Brief an diesen mir so fromm beschriebenen Studiosum auf, um zu versuchen, ob ich der selbst eigenen Reise nach Leipzig überhoben seyn, und euch, mein Eberhard, durch Schrifften zu mir locken könte. Der Himmel ist selbsten mit im Spiele gewesen, darum hat mirs gelungen, ich setzte euch und allen andern, die ich zu Reise=Gefährten mitnehmen wolte, einen sehr kurtzen Termin, glaubte auch nichts weniger, als so zeitlich von Amsterdam abzusegeln, und dennoch muste sich alles nach Hertzens Wunsche schicken. Meiner allergrösten Sorge aber nicht zu vergessen, muß ich melden, daß mich eines Mittags nach der Mahlzeit auf den Weg machte, um dem Seniori des dasigen Geistl. Ministerii eine Visite zu geben, und denselben zu bitten, mir einen feinen Exemplarischen Menschen zum Schiffs=Prediger zuzuweisen; weil ich aber den Herrn Senior nicht zu Hause fand, und erstlich folgenden Morgen wieder zu ihm bestellet wurde, nahm ich einen Spatzier=Gang ausserhalb der Stadt in einem lustigen Gange vor, allwo ich ohngefähr einen schwartz=gekleideten Menschen in tieffen Gedancken vor mir hergehend ersahe. Derowegen verdoppelten sich meine Schritte, so, daß er von mir bald eingeholet wurde. Es ist gegenwärtiger Herr Mag. Schmeltzer, und ohngeacht ich [455] ihn zuvor niemahls gesehen, sagte mir doch mein Hertze sogleich, daß er ein Theologus seyn müste. Wir grüsseten einander freundlich, und ich nahm mir die Freyheit, ihn zu fragen: Ob er ein Theologus sey. Er bejahete solches, und setzte hinzu, daß er in dieser Stadt zu einer Condition verschrieben worden, durch einen gehabten Unglücks=Fall aber zu späte gekommen sey. Hierauf fragte ich weiter: Ob er nicht einen feinen Menschen zuweisen könne, der da Lust habe, als Prediger mit mir zu Schiffe zu gehen. Er verfärbte sich deßwegen ungemein, und konte mir nicht sogleich antworten, endlich aber sagte er gantz bestürtzt: Mein Herr! Ich kan ihnen bey GOtt versichern, daß ich voritzo allhier keinen eintzigen Candidatum Ministerii Theologici kenne, denn ich habe zwar vor einigen Jahren bey einem hiesigen Kauffmanne, Julius genannt, die Information seines Sohnes gehabt, da aber nach der Zeit mich wiederum an andern Orten aufgehalten, und nunmehro erstlich vor 2. Tagen, wiewohl vergebens, allhier angekommen bin, ist mir unbewust, was sich anitzo von dergleichen Personen allhier befindet.

     Ich gewann den werthen Herrn Mag. Schmeltzer unter währenden diesen Reden, und zwar wegen der wunderbaren Schickung GOttes, dermaßen lieb, daß ich mich nicht entbrechen konte, ferner zu fragen: Ob er nicht selbsten Belieben bey sich verspürete, die Station eines Schiffs=Predigers anzunehmen, zumahlen da ich ihm dasjenige, was sonst andere zu gemessen hätten, gedoppelt zahlen wolte? Hierauf gab er zur Antwort: GOtt, der [456] mein Hertze kennet, wird mir Zeugniß geben, daß ich nicht um zeitlichen Gewinstes willen in seinem Weinberge zu dienen suche, weil ich demnach dergleichen Beruff, als itzo an mich gelanget, vor etwas sonderbares, ja Göttliches erkenne, so will nicht weigern, demselben gehorsame Folge zu leisten, jedoch nicht eher, als biß ich durch ein behöriges Examen darzu tüchtig befunden, und dem heiligen Gebrauche nach zum Priester geweyhet worden.

     Es traten unter diesen Reden mir und ihm die Thränen in die Augen, derowegen reichte ich ihm die Hand, und sagte weiter nichts als dieses: Es ist genung, mein HErr! GOtt hat Sie und mich berathen, derowegen bitte, nur mit mir in mein Logis zu folgen, allwo wir von dieser Sache umständlicher mit einander sprechen wollen. Sobald wir demnach in selbigem angelanget, nahm ich mir kein Bedencken, ihm einen wahrhafften und hinlänglichen Bericht von dem Zustande der Felsenburgischen Einwohner abzustatten, welchen er mit gröster Verwunderung anhörete, und betheurete, daß er bey so gestallten Sachen die Reise in besagtes Land desto vergnügter unternehmen, auch sich gar nicht beschweren wolte, wenn er gleich Zeit Lebens daselbst verbleiben müste, daferne er nur das Glück hätte, dem dort versammleten Christen=Häuflein das Heil ihrer Seelen zu befördern. Hierauf, da er mir eine kurtze Erzehlung seiner Lebens=Geschicht gethan, nahm ich Gelegenheit, ihn wegen des Kauffmanns, Franz Martin Julii, und dessen Familie ein und anderes zu befragen, und er=[457]fuhr, daß Herr Mag. Schmeltzer von Anno 1716. biß 1720. bey demselben als Informator seines Sohns Eberhards und seiner Tochter Julianæ Louise in Condition gewesen wäre, ja er wuste, zu meinem desto grössern Vergnügen, mir die gantze Geschicht des im 30.jährigen Kriege enthaupteten Stephan Julii so zu erzehlen, wie ich dieselbe von dem lieben Altvater Alberto in Felsenburg bereits vernommen hatte, und zu erweisen, daß Franz Martin Julius des Stephani ächter Enckel im dritten Gliede sey, inmassen er die gantze Sache von seinem damahligen Patron Franz Martin Julio sehr öffters erzehlen hören, und im guten Gedächtnisse erhalten.

     Ich entdeckte ihm hierauff treuhertzig: wie ich den jungen Eberhard, der sich sichern Vernehmen nach, itzo in Leipzig aufhielte, nur vor wenig Tagen durch Briefe und beygelegten Wechsel zu Reise=Geldern, nach Amsterdam in mein Logis citiret hätte, und zweiffelte nicht, daß er sich gegen Johannis Tag daselbst einfinden würde, wo nicht? so sähe mich genöthiget selbst nach Leipzig zu reisen und denselben aufzusuchen. Nachdem wir aber gantz biß in die späte Nacht von meinen wichtigen Affairen discuriret, und Herr Mag. Schmeltzer immer mehr und mehr Ursachen gefunden hatte, die sonderbaren Fügungen des Himmels zu bewundern, auch mir eydlich zusagte: seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern GOTTES Ehre und den seligen Nutzen so vieler Seelen zu befördern, mir redlich dahin zu folgen, wohin ich ihn haben wolte; legten wir uns zur Ruhe, und giengen folgenden Tag in [458] aller Frühe miteinander zum Seniori des geistlichen Ministerii. Dieser sehr fromme Mann hatte unsern Vortrag kaum vernommen, als er noch 3. von seinen Ammts=Brüdern zu sich beruffen ließ, und nebst denselben Herrn Mag. Schmeltzern, in meiner Gegenwart 4. Stunden lang aufs allerschärffste examinirte, und nach befundener vortrefflicher Gelehrsamkeit, zwey Tage darauff in öffentlicher Kirche ordentlich zum Priester weyhete. Ich fand mich bey diesem heiligen Actu von Freude und Vergnügen über meinen erlangten kostbaren Schatz dermassen gerühret, daß die hellen Thränen die gantze Zeit über aus meinen Augen lieffen, nachdem aber alles vollbracht, zahlete ich an das geistliche Ministerium 200. spec. Ducaten, in die Kirche und Armen=Casse aber eine gleichmäßige Summe, nahm also von denen Herrn Geistlichen, die uns tausendfachen Seegen zu unsern Vorhaben und Reise wünschten zärtlichen Abschied.

     Herrn Mag. Schmeltzern hätte ich zwar von Hertzen gern sogleich mit mir nach Amsterdam genommen, da aber derselbe inständig bat ihm zu vergönnen, vorhero die letzte Reise in sein Vaterland zu thun, um von seinen Anverwandten und guten Freunden völligen Abschied auch seine vortreffliche Bibliothec mitzunehmen, zahlete ich ihm 1000. Thlr. an Golde, und verabredete die Zeit, wenn und wo er mich in Amsterdam antreffen solte, so, daß ich noch biß dato Ursach habe vor dessen accuratesse danckbar zu seyn.

     Ich vor meine Person setzte immittelst meine Rückreise nach Amsterdam gantz bequemlich fort, [459] und nahm unterwegs erstlich den Chirurgum Kramern, hernach Litzbergen, Plagern, Harkert und die übrigen Handwerks=Leute in meine Dienste, gab einem jeden 5. Frantzösische Louis d'or auf die Hand, und sagte ihnen ohne Scheu, daß ich sie auf eine angenehme fruchtbare Insul führen wolte, allwo sie sich mit ihrer Hand=Arbeit redlich nehren, auch da es ihnen beliebig, mit daselbst befindlichen schönen Jungfrauen verheyraten könten, doch nahm ich von jedweden einen Eyd, diese Sache weder in Amsterdam, noch bey dem andern Schiffs=Volcke ruchtbar zu machen, indem ich nur gewisse auserlesene Leute mit dahin zu nehmen vorhabens sei. Zwar sind mir ihrer 3. nachhero zu Schelmen worden, nemlich ein Zwillich=Macher, Schuster und Seiffensieder, allein sie mögen diesen Betrug bey GOTT und ihren eigenen Gewissen verantworten, ich aber habe nachhero erwogen, daß ich an dergleichen Betrügern wenig eingebüsset, immassen unsere Insulaner diese Künste nach Nothdurfft selbst, obschon nicht so zierlich und leicht verrichten können.

     Am 11. Jun. gelangete ich also mit meinen angenommenen Leuten glücklich in Amsterdam an, und hatte eine besondere Freude, da mein lieber getreuer Horn und Adam Gorques, unter Aufsicht meines werthen Freundes des Banquiers G. v. B. das Schiff nebst allem Zubehör in völlige, ja bessere Ordnung als ich vermuthet, gebracht hatten. Demnach kaufften wir noch das Vieh und andere Sachen ein, die ich mit anhero zu nehmen vor höchst nöthig hielt. Ein jeder von meinen Neu angeworbe=[460]nen Künstlern und Handwerckern bekam soviel Geld, als er zu Anschaffung seines Werckzeugs und andern Bedürffnissen begehrte, und da, zu meinem gantz besondern Vergnügen, der liebe Eberhard Julius sich wenig Tage nach meiner Ankunfft bey mir einfand, bekam er etliche Tage nach einander ebenfalls genung zu thun, die ihm vorgeschriebenen Waaren an Büchern und andern nöthigen Stücken einzuhandeln. Endlich am 24. Jun. gelangte die letzte Person, auf die ich allbereit mit Schmertzen zu hoffen anfieng, nemlich Herr Mag. Schmeltzer bey mir an, und weil Horn indessen die Zahl der Matrosen und Freywillig=Mitreisenden voll geschafft hatte, hielt ich des folgenden Tags General=Musterung im Schiffe, und fand weiter nicht das geringste zu verbessern, demnach musten alle Personen im Schiffe verbleiben, und auf meine Ankunfft warten, ich aber machte meine Sachen bey der Ost=Indischen Compagnie vollends richtig, empfieng meine sichern Pæsse, Handels= und Frey=Briefe, und konte solchergestalt, über alles Verhoffen, um eben dieselbe Zeit von Amsterdam ablauffen, als ich vor etlichen Monaten gewünschet hatte.

     Auf der Insul Teneriffa, allwo wir nach ausgestandenen hefftigen Sturm unser Schiff auszubessern und uns mit frischen Lebens=Mitteln zu versehen, einige Tage stille lagen, zohe ich eines Abends meinen Lieutenant Horn auf die Seite, und sagte: Höret mein guter Freund, nunmehro ist es Zeit, daß ich mein gantzes Hertz offenbare, und euch zum wohlhabenden Manne mache, daferne ihr mir vor=[461]hero einen leiblichen Eyd zu schweren gesonnen, nicht allein dasjenige Geheimniß, welches ich sonsten niemanden als euch und dem redlichen Gorques anvertrauen will, soviel als nöthig, zu verschweigen, sondern auch die billige Forderung, so ich an euch beyde thun werde, zu erfüllen. Horn wurde ziemlich bestürtzt, doch auf nochmahliges Ermahnen, daß ich von ihm nichts sündliches, unbilliges oder unmögliches verlangte, schwur er mir einen leiblichen Eyd, worauff ich ferner also redete: Wisset mein Freund, daß ich nicht Willens bin mit nach Ost=Indien zu gehen, sondern ich werde mich ehester Tages an einem mir gelegenen Orte nebst denen darzu bestimmten Personen und Waaren aussetzen lassen, euch aber will ich nicht allein das Schiff, sondern auch alles darzugehörige erb= und eigenthümlich schencken, und eure Person statt meiner zum Capitain und Patron denen übrigen vorstellen, weil ich hierzu laut meiner Pæsse und Frey=Briefe von denen Häuptern der Ost=Indischen Compagnie sattsame Gewalt und Macht habe. Hergegen verlange ich davor nichts, als daß ihr dem Adam Gorques, welcher an eure statt Lieutenant werden soll, nicht allein seinen richtigen Sold zahlet, sondern ihm auch den 3ten Theil von demjenigen, was ihr auf dieser ersten Reise profitiret, abgebet, auf der Rückreise aber, die ihr doch ohnfehlbar binnen 2. oder drittehalb Jahren thun werdet, euch wiederum durch etliche Canonen=Schüsse an demjenigen Orte meldet, wo ich mich werde aussetzen lassen, im übrigen aber von meinem Aufenthalt weder in Europa noch sonst anderswo ruchtbar machet.

     [462] Der gute Horn wuste mir anfänglich, ohne Zweiffel wegen verschiedener deßfalls bey ihm entstandener Gemüths=Bewegungen, kein Wort zu antworten, jedoch nachdem ich mich noch deutlicher erkläret, und ihm eine Specification derer Dinge eingehändiget, welche er bey seiner Rück=Reise aus Ost=Indien an mich mitbringen solte; schwur er nochmals, nicht allein alles, was ich von ihm begehrte, redlich zu erfüllen, sondern danckte mir auch dermassen zärtlich und verbindlich, daß ich keine Ursache habe, an seiner Treue und Erkänntlichkeit zu zweiffeln. Ich habe auch die Hoffnung, daß ihn GOTT werde glücklicher seyn lassen, als den Bösewicht Jean le Grand, denn solchergestallt werden wir, durch seine Hülffe, alles was wir etwa noch in künfftigen Zeiten aus Europa vonnöthen haben möchten, gar bequem erlangen können, und uns darbey keiner Hinterlist und Boßheit sonderlich zu befürchten haben.

     Wie es mit unserer fernern Reise und glücklichen Ankunfft auf dieser angenehmen Insul beschaffen gewesen, ist allbereit bekannt, derowegen will nur von mir noch melden, daß ich nunmehro den Haafen meiner zeitlichen Ruhe und Glückseligkeit erreicht zu haben verhoffe, indem ich den lieben Altvater gesund, alle Einwohner in unveränderten Wohlstande, und meine liebe Sophia getreu und beständig wieder gefunden. Nunmehro aber, weil mir der liebe Altvater, und mein gutes Gewissen, alle glücklich ausgelauffene Anstalten auch selbsten Zeugniß geben, daß ich alles redlich und wohl ausgerichtet habe, werde ein Gelübde thun: ausser der äusersten [463] Noth und besonders wichtigen Umständen nicht wieder aus dieser Gegend in ein ander Land zu weichen, sondern die übrige Lebens=Zeit mit meiner lieben Sophie nach GOTTES Willen in vergnügter Ruhe hinbringen. Der liebe Altvater inzwischen wird mir hoffentlich gütig erlauben, daß ich künfftigen Sonntags nach vollbrachten Gottes Dienste mich mit meiner Liebsten durch den Herrn Mag. Schmeltzern ehelich zusammengeben lasse, anbey das Glück habe, der erste zu seyn, der auf dieser Insul, christlichem Gebrauche nach, seine Frau von den Händen eines ordinirten Priesters empfängt. Thut was euch gefällig ist, mein werther Hertzens Freund und Sohn, antwortete hierauff der Altvater Albertus, denn eure Redlichkeit verdienet, daß ihr allhier von niemanden Erlaubniß bitten oder Befehle einholen dürffet, weil wir allerseits vollkommen versichert sind, daß ihr GOTT fürchtet, und uns alle hertzlich liebet. Diesem fügte der Altvater annoch seinen kräfftigen Seegen und sonderbaren Wunsch zu künfftigen glücklichen Ehe=Stande bey, nach dessen vollendung Herr Mag. Schmeltzer und ich, ebenfalls unsere treugesinnten Glückwünsche bey dem Herrn Wolffgang abstatteten, nachhero aber ihm einen schertzhafften Verweiß gaben, daß er weder unterwegs, noch Zeit unseres hierseyns noch nicht das allergeringste von seinen Liebes=Angelegenheiten entdeckt, vielweniger uns seine Liebste in Person gezeiget hätte, welches doch billig als etwas merckwürdiges angeführet werden sollen, da wir am verwichener Mittwochen die Pflantz=Stadt Christians=[464]Raum und seines Schwieger=Vaters Wohnung in Augenschein genommen.

     Herr Wolffgang lächelte hierüber, und sagte: Es ist, meine werthesten Freunde, aus keiner andern Ursache geschehen, als hernach die Freude unter uns auf einmal desto grösser zu machen. Meine Liebste hielt sich an vergangener Mittewochen verborgen, und man hat euch dieserwegen auch nicht einmal entdeckt, daß die neu erbaute Wohnung, welche wir besahen, Zeit meines Abwesens vor mich errichtet worden. Doch diesen Mittag, weil es bereits also bestellet ist, werden wir das Vergnügen haben, meinen Schwieger=Vater Christian Julium, nebst meiner Liebsten Sophie bey der Mahlzeit zu sehen.

     Demnach aber der bißherige Capitain, Herr Leonhard Wolffgang, solchergestalt seine völlige Erzehlung geendiget, mithin die Mittags=Zeit herangekommen war, stelleten sich Christian Julius und dessen Tochter Sophie bey der Mahlzeit ein, da denn, sowohl Herr Mag. Schmeltzer, als ich, die gröste Ursach hatten, der letztern besondere Schönheit und ausnehmenden Verstand zu bewundern, anbey Herrn Wolffgangs getroffene Wahl höchst zu billigen.

     Gleich nach eingenommener Mittags=Mahlzeit, begleiteten wir ingesammt Herrn Mag. Schmeltzern in die Davids=Raumer Alleé, um abgeredtermassen das Glaubens=Bekänntniß aller dererjenigen öffentlich anzuhören, die des morgenden Tages ihre Beichte thun, und folgendes Tages das Heil. Abendmahl empfangen wolten, und vermerckten [465] mit grösten Vergnügen: daß so wol Alt als Jung in allen Haupt=Articuln und andern zur christlichen Lehre gehörigen Wissenschafften vortrefflich wohl gegründet waren. Als demnach alle und jede ins besondere von Herrn Magist. Schmeltzern aufs schärffste tentiret und examiniret worden, welches biß zu Untergang der Sonnen gewähret hatte, confirmirte er diese seine ersten Beicht=Kinder durch ein andächtiges Gebeth und Auflegung der Hand auf eines jeglichen Haupt, und nach diesen nahmen wir mit ihm den Rück=Weg nach der Albertus=Burg.

     In der Mittags=Stunde des folgenden Tages, als Sonnabends vor dem I. Advent=Sonntage, begab sich Herr Mag. Schmeltzer in die schöne Lauber=Hütte der Davids=Raumer Alleé, welche unten am Alberts=Hügel, vermittelst Zusammenschliessung der dahin gepflantzten Bäume, angelegt war, und erwartete daselbst seine bestellten Beicht=Kinder. Der Altvater Albertus war der erste, so sich in heiliger Furcht und mit heissen Thränen zu ihm nahete und seine Beichte ablegte, ihm folgten dessen Sohn Albertus II. David Julius, Herr Wolffgang nebst seiner Liebsten Sophie, ich Eberhard Julius und diejenigen so mit uns aus Europa angekommen waren, hernachmals aus den Alberts= und Davids=Raumer Gemeinden alle, so 14. Jahr alt und drüber waren.

     Es daurete dieser Heil. Actus biß in die Nacht, indem sich Herr Mag. Schmeltzer bey einem jeden mit dem absolviren sehr lange aufhielt, und sich dermassen abgemattet hatte, daß wir fast zweiffel=[466] ten, ob er Morgen im Stande seyn würde eine Predigt zu halten. Allein der Himmel stärckte ihn unserm Wunsche nach aufs allerkräfftigste, denn als der erste Advent Sonntag eingebrochen, und das neue Kirchen=Jahr mit 6. Canonen=Schüssen allen Insulanern angekündiget war, und sich dahero dieselben an gewöhnlicher Stelle versammlet hatten, trat Herr Mag. Schmeltzer auf, und hielt eine ungemein erbauliche Predigt über das gewöhnliche Sonntags Evangelium, so von dem Einzuge des Welt=Heylandes in die Stadt Jerusalem handelt. Das Exordium generale war genommen aus Ps. 118.v.24. Diß ist der Tag, den der HERR macht, laßt uns freuen etc. Er redete in der Application so wohl von den Ursachen, warum sich die Insulaner freuen solten, als auch von der geistl. Freude, welche sie über die reine Predigt des Worts GOttes, und andere Mittel des Heyls, so ihnen in Zukunfft reichlich würden verkündiget und mitgetheilet werden, haben solten. In dem Exordio speciali, erklärete er die Worte Esaiä c.62. v.11. Saget der Tochter Zion etc. Wieß in der Application, daß die Insulaner auch eine geistliche Tochter Zion wären, zu welchen itzo Christus mit seinem Worte und Heil. Sacramenten käme. Darauff stellete er aus dem Evangelio vor:

     Die erfreute Tochter Zion,
        und zwar:
     (1) Worüber sich dieselbe freuete? als:
        (a) über den Einzug des Ehren=Königs JEsu Christi
     [467]
        (b) über das Gute, so sie von ihm geniessen solte,
        aus den Worten: Siehe dein König etc.
     (2) Wie sich dieselbe freuete? als:
        (a) Wahrhafftig.
        (b) Hertzlich.

     Nachdem er alles vortrefflich wohl ausgelegt, verschiedene erbauliche Gedancken und Ermahnungen angebracht, und die Predigt also beschlossen hatte, wurde das Lied gesungen: GOTT sey danck durch alle Welt etc. Hierauff schritt Herr Magist. Schmeltzer zur Consecration der auf einer güldenen Schale liegenden Hostien, und des ebenfalls in einem güldenen grossen Trinck=Geschirr zu rechtgesetzten Weins, nahm eine Hostie in seine Hand und sprach: Mein gecreutzigter Heyland, ich empfange anitzo aus deinen, wiewohl unsichtbaren Händen, deinen wahrhafftigen Leib, und bin versichert, daß du mich, jetzigen Umständen nach, von den gewöhnlichen Ceremonien deiner reinen Evangelisch=Lutherischen Kirche entbinden, anbey mein Dir geweyhetes Hertze und Sinn betrachten wirst, es gereiche also dein heiliger Leib mir und niemanden zum Gewissens=Scrupel, sondern stärcke und erhalte mich im wahren und reinen Glauben zum ewigen Leben Amen!

     Hierauff nahm er die gesegnete Hostie zu sich, und bald darauff sprach er: Auf eben diesen Glauben und Vertrauen, mein JESU! empfange ich aus deinen unsichtbaren Händen dein wahrhafftes Blut, welches du am Stamm des Creutzes vor [468] mich vergossen hast, das stärcke und erhalte mich in wahren Glauben zum ewigen Leben Amen! Nahm also den gesegneten Wein zu sich, kniete nieder und Betete vor sich, theilete hernachmals das Heil. ‹Abendmahl› allen denenjenigen aus, welche gestriges Tages gebeichtet hatten, und beschloß den Vormittäglichen Gottesdienst nach gewöhnlich Evangelisch=Lutherischer Art.

     Nachmittags, nachdem wir die Mahlzeit ingesammt auf Morgenländische Art im grünen Grase, bey ausgebreiteten Teppichen sitzend, eingenommen, und uns hierauff eine kleine Bewegung gemacht hatten, wurde zum andern mahle GOttes=Dienst gehalten, und nach Vollbringung dessen Hr. Wolffgang mit Sophien ehelich zusammengegeben, auch ein Paar Zwillinge, aus dem Jacobischen Stamme, getauft, welche Tab. VII bezeichnet sind.

     Solchergestallt wurde alles mit dem Lob=Gesange: HERR GOTT dich loben wir etc. beschlossen, Mons. Litzberg und ich gaben, mit Erlaubniß des Altvaters, noch 12. mal Feuer aus denen auf dem Albertus Hügel gepflantzten Canonen, und nachdem Herr Wolffgang verkündigen lassen, wie er G.G. den 2ten Januar, nächstfolgenden 1726ten Jahres, von wegen seiner Hochzeit, allen Insulanern ein Freuden=Fest anrichten wolte, kehrete ein jeder, geistlich und leiblich vergnügt, in seine Wohnung.

     Herr Mag. Schmeltzer hatte bereits verabredet: Daß die Stephans=, Jacobs= und Johannis=Raumer Gemeinden, den Andern Advent=Sonn=[469]tag, die Christophs= und Roberts=Raumer den 3ten, und letztlich die Christians= und Simons=Raumer, den 4ten Advent zum Heil. Abendmahle gehen solten, daferne sich jede Gemeinde die Woche vorhero behörig versammlen, und die Catechismus=Lehren also, wie ihre Vorgänger, die Alberts= und Davids=Raumer, annehmen wolte. Weil nun alle hierzu eine heisse Begierde gezeiget hatten, wartete der unermüdete Geistliche alltäglich seines Ammts getreulich, wir andern aber ließen unsere aller angenehmste Arbeit seyn, den Kirchen=Bau aufs eiferigste zu befördern, worbey der Altvater Albertus beständig zugegen war, und nach seinem Vermögen die materialien herbey bringen halff, auch sich, ohngeacht unserer trifftigen Vorstellungen wegen seines hohen Alters, gar nicht davon abwenden ließ.

     Eines Morgens, da Herr Mag. Schmeltzer unsere Arbeit besahe, fiel ihm ein: daß wir vergessen hätten einige schrifftliche Urkunden, der Nachkommenschafft zum Vergnügen, und der Gewohnheit nach, in den Grund=Stein einzulegen, da nun der Altvater sich erklärete, daß hieran noch nichts versäumt sey, sondern gar bald noch ein anderer ausgehölter Stein, auf den bereits eingesenckten gelegt werden könte, auch sogleich den Seinigen deßwegen Befehl ertheilete, verfertigte indessen Herr Magist. Schmeltzer eine Schrift, welche in Lateinischer, Deutscher und Englischer Sprache abgeschrieben, und nachhero mit Wachs in den ausgehölten Grund=Stein eingedruckt wurde. Es wird hoffentlich dem geneigten Leser nicht zu wider seyn, wenn ich dieselbe Lateinisch und Deutsch mit beyfüge:

[470]
Hic lapis
ab
ALBERTO JULIO,
Vero veri Dei cultore,
Anno MDCCXXV,
d. XVIII. Novembr.
fundamenti loco positus,
ædem Deo trinuno consecratam,
sanctum cœlestium ovium ovile,
inviolabile Sacramentorum, baptismi & sacræ
cœnæ domicilium,
immotamque verbi divini sedem,
suffulcit ac suffulciet:
Machina qvot mundi posthac durabit in annos,
Tot domus hæc duret, stet vigeatque Dei!
Semper sana sonent hic dulcis dogmata Christi,
Per qvem credenti vita salusque datur!

     Deutsch:

Dieser
von ALBERTO JULIO
Im Jahr 1725. den 18. November.
gelegte Grund=Stein,
unterstützet und wird unterstützen:
eine dem Dreyeinigen GOTT gewidmete Kirche,
einen heiligen Schaaf=Stall christlicher Schaafe,
eine unverletzliche Behausung der Sacramenten
der Taufe und des Heil. Abendmahls,
und einen unbeweglichen Sitz des Worts GOTTES.
[471] Solange diese Welt wird unbeweglich stehen
Solange soll diß Haus auch nicht zu Grunde gehen!
Was hier gepredigt wird, sey Christi reines Wort,
Wodurch ein Gläubiger, erlangt den Himmels=Port!

     * * *

     Herr Wolffgang bezohe immittelst, mit seiner Liebste, das in Christians=Raum vor dieselben neuerbauete Hauß, ließ aber nicht mehr als die nöthigsten von seinen mitgebrachten mobilien dahin schaffen, und das übrige auf der geraumlichen Albertus=Burg in des Altvaters Verwahrung. Unsere mitgebrachten Künstler und Handwercks=Leute bezeugten bey solcher Gelegenheit auch ein Verlangen den Ort zu wissen, wo ein jeder seine Werckstatt aufschlagen solte, derowegen wurden Berathschlagungen angestellet, ob es besser sey, vor dieselben eine gantz neue Pflantz=Stadt anzubauen? oder Sie in die bereits angebaueten Pflantz=Städte einzutheilen? Demnach fiel endlich der Schluß dahinaus, daß, da in Erwegung des vorhabenden Kirchen=Baues anitzo keine andere Bau=Arbeit vorzunehmen rathsam sey, die Neuangekommenen an solche Orte eingetheilet werden möchten, wie es die Umstände ihrer verschiedenen Profeßionen erforderten.

     Diese Resolution war ihnen sämtlich die allerangenehmste, und weil Herr Wolffgang von dem [472] Altvater freye Macht bekommen hatte, in diesem Stücke nach seinem Gutbefinden zu handeln, so wurden die sämtlichen neu=angekommenen Europäer folgender massen eingetheilet: Mons. Litzberg der Mathematicus bezohe sein Quartier in Christophs=Raum bey Herr Wolffgangen. Der wohlerfahrene Chirurgus Mons. Kramer, in Alberts=Raum. Mons. Plager, und Peter Morgenthal der Kleinschmidt, in Jacobs=Raum. Harckert der Posamentirer, in Roberts=Raum. Schreiner der sich bey dem Tohne als ein Töpffer selbst einlogirt hatte, in Davids=Raum. Wetterling der Tuchmacher, in Christophs=Raum. Kleemann der Pappier=Müller, in Johannis=Raum. Herrlich der Drechßler, und Johann Melchior Garbe der Böttcher, in Simons=Raum. Lademann der Tischler, und Philipp Krätzer der Müller, in Stephans=Raum.

     Solchergestalt blieben Herr Magist. Schmeltzer und ich Eberhard Julius nur allein bey dem Altvater Alberto auf dessen so genannter Alberts=Burg, welcher annoch beständig 5. Jünglinge und 4. Jungfrauen von seinen Kindes=Kindern zur Bedienung bey sich hatte. Herr Mag. Schmeltzer und Herr Wolffgang ermahneten die abgetheilten Europäer, eine Gottesfürchtige und tugendhaffte Lebens=Art unter ihren wohlerzogenen Nachbarn zu führen, stelleten ihnen dabey vor, daß: Daferne sie gesinnet wären, auf dieser Insul zu bleiben, sich ein jeder eine freywillige Ehe=Gattin erwehlen könte. Derjenige aber, welchem diese Le=[473]bens=Art nicht anständig sey, möchte sich nur aller geilen und boßhafften Außschweiffungen gäntzlich enthalten, und versichert seyn: daß er solchergestalt binnen zwey oder 3. Jahren nebst einem Geschenke von 2000. Thlrn. wieder zurück nach Amsterdam geschafft werden solte.

     Es gelobte einer wie der andere dem Altvater Alberto, Hrn. Mag. Schmeltzern als ihren Seel=Sorger, und Herrn Wolffgangen als ihren leiblichen Versorger, treulich an, sich gegen GOTT und den Nächsten redlich und ehrlich aufzuführen, seiner Hände Werck, zu GOTTES Ehren und dem gemeinschafftl. Wesen, ohne Verdruß zu treiben, übrigens den Altvater Albertum, Hrn. Wolffgangen, und Herrn Magist. Schmeltzern, vor ihre ordentliche Obrigkeit in geistlichen und weltlichen Sachen zu erkennen, und sich bey ein und andern Verbrechen deren Vermahnungen und gehörigen Strafen zu unterwerffen.

     Es soll von ihrer künfftigen Aufführung, und Vereheligung, im Andern Theile dieser Felsenburgischen Geschicht, des geneigten Lesers curiosität möglichste Satisfaction empfangen. Voritzo aber habe noch zu melden, daß die sämmtlichen Bewohner dieser Insul am 11. Dezembr. dieses ablauffenden 1725ten Jahres, den allbereit vor 78. Jahren, von dem Altvater Alberto angesetzten dritten grossen Bet= und Fast=Tag biß zu Untergang der Sonnen celebrirten, an welchen Herr Mag. Schmeltzer den 116ten Psalm in zweyen [474] Predigten ungemein tröstlich und beweglich auslegte. Die übrigen Stämme giengen an den bestimmten Sonntagen gemachter Ordnung nach, aufs andächtigste zum Heil. Abendmahle, nach diesen wurde das eingetretene Heil. Christ=Fest erfreulich gefeyret und solchergestalt erreichte damals das 1725te Jahr, zu aller Einwohner hertzlichen Vergnügen, vorjetzo aber bey uns der Erste Theil der Felsenburgl. Geschichts=Beschreibung sein abgemessenes


     E N D E .

 
 
 
 
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