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B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   3 7 3 - 4 0 3


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     [373] Im übrigen brachten wir unsere Zeit dermassen vergnügt zu, daß es keinem eintzigen gereuete, von dem Schicksal auf diese Insul verbannet zu seyn. Meine liebe Concordia aber und ich waren dennoch wohl die allervergnügtesten, da wir uns nunmehro über die Einsamkeit zu beschweren keine fernere Ursache hatten, sondern unserer Kinder Familien im besten Wachsthum sahen, und zu Ende des 1670ten Jahres allbereit 9. Kindes=Kinder, nehmlich 6. Söhne und 3. Töchter küssen konten, ohngeacht wir dazumahl kaum die Helffte der schrifftmäßigen menschlichen Jahre überschritten hatten, also gar frühzeitig Groß=Eltern genennet wurden.

     Unser dritter Sohn, Johannes, trat damahls in sein zwantzigstes Jahr, und ließ in allen seinen Wesen den natürlichen Trieb spüren, daß er sich nach der Lebens=Art seiner ältern Brüder, das ist, nach einem Ehe=Gemahl, sehnete. Seine Mutter und ich liessen uns dessen Sehnsucht ungemein zu Hertzen gehen, wusten ihm aber weder zu rathen noch zu helffen, biß sich endlich der alte Amias des schwermüthigen Jünglings erbarmete, und die Schiff=Fahrt nach der Helenen=Insul von neuem aufs Tapet brachte, sintemahl ein tüchtiges Schiff in Bereitschafft lag, welches weiter nichts als behörige Ausrüstung bedurffte. Meine Concordia wolte hierein anfänglich durchaus nicht willigen, doch endlich ließ sie sich durch die trifftigsten Vorstellungen der meisten Stimmen so wohl als ich überwinden, und willigte, wiewohl mit thränenden Augen, darein, daß Amias, Robert, Jacob, [374] Simon, nebst allen unsern 5. Söhnen zu Schiffe gehen solten, um vor die 3. Jüngsten Weiber zu suchen, wo sie selbige finden könten. David Rawkin, weil er keine besondere Lust zum Reisen bezeugte, wurde von den andern selbst ersucht, seiner jungen Braut wegen zurück zu bleiben, hergegen gaben sich Stephani, Jacobs und Simons Gemahlinnen von freyem Willen an, diese Reise mit zu thun, und bey ihren Männern gutes und böses zu erfahren. Roberts und Alberts Weiber aber, die ebenfalls nicht geringe Lust bezeigten, dergleichen Fahrt mit zu wagen, wurden genöthiget, bey uns zu bleiben, weil sie sich beyde hoch=schwangern Leibes befanden.

     Dennoch gingen binnen wenig Tagen alle Anstalten fast noch hurtiger von statten, als unsere vorherige Entschliessung, und die erwehnten 12. Personen waren den 14. Januar. 1671. überhaupt mit allen fertig in See zu gehen, weil das Schiff mit gnugsamen Lebens=Mitteln, Gelde, nothdürfftigen Gütern, Gewehr und dergleichen vollkommen gut ausgerüstet, auch weiter nichts auf demselben mangelte, als etwa noch 2. mahl so viel Personen.

     Jedoch der tapffere Amias, als Capitain dieses wenigen Schiffs=Volcks, war dermassen muthig, daß die übrigen alle mit Freuden auf die Stunde ihrer Abfahrt warteten.

     Nachdem also Amias, Robert, Jacob und Simon mir einen theuren Eyd geschworen, keine weitern Abentheuern zu suchen, als diejenigen, so unter uns abgeredet waren, im Gegentheil meine Kinder, so bald nur vor dieselben 3. anständige [375] Weibs=Personen ausgefunden, eiligst wieder zurück zu führen, gingen sie den 16ten Jan. um Mittags=Zeit freudig unter Seegel, stiessen unter unzehligen Glückwünschungen von dieser Insul ab, und wurden von uns Zurückbleibenden mit thränenden Augen und ängstlichen Gebärden so weit begleitet, biß sie sich nach etlichen Stunden sammt ihren Schiffe gäntzlich aus unsern Gesichte verlohren.

     Solcher Gestalt kehreten Ich, David, und die beyden Concordien zurück in unsere Behausung, allwo Judith und meine jüngste Tochter Christina, auf die kleinen 9. Kinder Achtung zu haben, geblieben waren. Unser erstes war, so gleich sämmtlich auf die Knie nieder zu fallen, und GOTT um gnädige Erhaltung der Reisenden wehmüthigst anzuflehen, welches nachhero Zeit ihrer Abwesenheit alltäglich 3.mahl geschahe. David und ich liessen es uns mittlerweile nicht wenig sauer werden, um unsere übrigen Früchte und den Wein völlig einzuerndten, auch nachhero so viel Feld wiederum zu bestellen, als in unsern und der wohlgezogenen Affen Vermögen stund. Die 3. Weiber aber durfften vor nichts sorgen, als die Küche zu bestellen, und die unmündigen Kinder mit Christinens Beyhülffe wohl zu verpflegen.

     Jedoch weil sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß wir die Hände allerseits nicht werden in Schooß gelegt haben, und ich ohnedem schon viel von unserer gewöhnlichen Arbeit und Haußhaltungs=Art gemeldet, so will voritzo nur erzehlen, wie es meinen See=fahrenden Kindern ergangen. Selbige [376] hatten biß in die 8te Woche vortrefflichen Wind und Wetter gehabt, dennoch müssen die meisten unter ihnen der See den gewöhnlichen Zoll liefern, allein, sie erholen sich deßfalls gar zeitig wieder, biß auf die eintzige Elisabeth, deren Kranckheit dermassen zunimmt, daß auch von allen an ihren Leben gezweiffelt wird. Simon Schimmer hatte seine getreue eheliche Liebe bey dieser kümmerlichen Gelegenheit dermassen spüren lassen, daß ein jeder von seiner Aufrichtigkeit und Redlichkeit Zeugniß geben können, indem er nicht von ihrer Seite weicht, und den Himmel beständig mit thränenden Augen anflehet, das Schiff an ein Land zu treiben, weil er vermeinet, daß seine Elisabeth ihres Lebens auf dem Lande weit besser als auf der See versichert seyn könne. Endlich erhöret GOtt dieses eyffrige Gebet, und führet sie im mittel der 6ten Woche an eine kleine flache Insel, bey welcher sie anländen, jedoch weder Menschen noch Thiere, ausgenommen Schild=Kröten und etliche Arten von Vögeln und Fischen darauf antreffen. Amias führet das Schiff um so viel desto lieber in einen daselbst befindlichen guten Hafen, weil er und Jacob, als wohlerfahrne See=Fahrer, aus verschiedenen natürlichen Merckzeichen, einen bevorstehenden starcken Sturm muthmassen. Befinden sich auch hierinnen nicht im geringsten betrogen, da etwa 24. Stunden nach ihrem Aussteigen, als sie sich bereits etliche gute Hütten erbauet haben, ein solches Ungewitter auf der See entstehet, welches leichtlich vermögend gewesen, diesen wenigen und theils schwachen Leuten den Untergang zu befördern.

     [377] In solcher Sicherheit aber, sehen sie den entsetzlichen Sturm mit ruhiger Gemächligkeit an, und sind nur bemühet, sich vor dem öffters anfallenden Winde und Regen wohl zu verwahren, welcher letztere ihnen doch vielmehr zu einiger Erquickung dienen muß, da selbiges Wasser weit besser und annehmlicher befunden wird, als ihr süsses Wasser auf dem Schiffe. Amias, Robert und Jacob schaffen hingegen in diesem Stücke noch bessern Rath, indem sie an vielen Orten eingraben, und endlich die angenehmsten süssen Wasser=Brunnen erfinden. An andern erforderlichen Lebens=Mitteln aber haben sie nicht den geringsten Mangel, weil sie mit demjenigen, was meine Insul Felsenburg zur Nahrung hervor bringet, auf länger als 2. Jahr wohl versorgt waren.

     Nachdem der Sturm dieses mahl vorbey, auch die krancke Elisabeth sich in ziemlich verbesserten Zustande befindet, halten Amias und die übrigen vors rathsamste, wiederum zu Schiffe zu gehen, und ein solches Erdreich zu suchen, auf welchem sich Menschen befänden, doch Schimmer, der sich starck darwider setzt, und seine Elisabeth vorhero vollkommen gesund sehen will, erhält endlich durch hefftiges Bitten so viel, daß sie sämmtlich beschliessen, wenigstens noch 8. Tage auf selbiger wüsten Insul zu verbleiben, ohngeacht dieselbe ein schlechtes Erdreich hätte, welches denen Menschen weiter nichts zum Nutzen darreichte, als einige schlechte Kräuter, aber desto mehr theils hohe, theils dicke Bäume, die zum Schiff=Bau wohl zu gebrauchen gewesen.

     Meine guten Kinder hatten nicht Ursach gehabt, [378] diese ihre Versäumniß zu bereuen, denn ehe noch diese 8. Tage vergehen, fällt abermahls ein solches Sturm=Wetter ein, welches das vorige an Grausamkeit noch weit übertrifft, da aber auch dessen 4.tägige Wuth mit einer angenehmen und stillen Witterung verwechselt wird, hören sie eines Morgens früh noch in der Demmerung ein plötzliches Donnern des groben und kleinen Geschützes auf der See, und zwar, aller Muthmassungen nach, gantz nahe an ihrer wüsten Insul. Es ist leicht zu glauben, daß ihnen sehr bange um die Hertzen müsse gewesen seyn, zumahlen da sie bey völlig herein brechenden Sonnen=Lichte gewahr werden, daß ein mit Holländischen Flaggen bestecktes Schiff von zweyen Barbarischen Schiffen angefochten und bestritten wird, der Holländer wehret sich dermassen, daß der eine Barbar gegen Mittag zu Grunde sincken muß, nichts desto weniger setzet ihm der Letztere so grausam zu, daß bald hernach der Holländer in letzten Zügen zu liegen scheinet.

     Bey solchen Gefährlichen Umständen vermercken Amias, Robert, Jacob und Simon, daß sie nebst den Ihrigen ebenfalls entdeckt und verlohren gehen würden, daferne der Holländer das Unglück haben solte, unten zu liegen, fassen derowegen einen jählingen und verzweiffelten Entschluß, begeben sich mit Sack und Pack in ihr mit 8. Canonen besetztes Schiff, schlupffen aus dem kleinen Hafen heraus, gehen dem Barbar in Rücken, und geben zweymahl tüchtig Feuer auf denselben, weßwegen dieser in entsetzliches Schrecken geräth, der Holländer aber neuen Muth bekömmt, und seinen Feind mit [379] frischer recht verzweiffelter Wuth zu Leibe gehet. Die Meinigen lösen ihre Canonen in gemessener Weite noch zweymahl kurtz auf einander gegen den Barbar, und helffen es endlich dahin bringen, daß derselbe von dem Holländer nach einem rasenden Gefechte vollends gäntzlich überwunden, dessen Schiff aber mit allen darauf befindlichen Gefangenen an die wüste und unbenahmte Insel geführet wird.

     Der Hauptmann nebst den übrigen Herren des Holländischen Schiffs können kaum die Zeit erwarten, biß sie Gelegenheit haben, meinen Kindern, als ihren tapffern Lebens=Errettern, ihre danckbare Erkänntlichkeit so wohl mit Worten als in der That zu bezeugen, erstaunen aber nicht wenig, als sie dieselben in so geringer Anzahl und von so wenigen Kräfften antreffen, erkennen derohalben gleich, daß der kühne Vorsatz nebst einer geschickten und glücklich ausgeschlagenen List das beste bey der Sache gethan hätten.

     Nichts desto weniger biethen die guten Leute den Meinigen die Helffte von allen eroberten Gut und Geldern an, weil aber dieselben ausser einigen geringen Sachen sonsten kein ander Andencken wegen des Streits und der Holländer Höflichkeit annehmen wollen; werden die letztern in noch weit grössere Verwunderung gesetzt, indem sich die ihnen zugetheilte Beute höher als 12000. Thlr. belauffen hatte.

     Immittelst, da die Holländer sich genöthiget sehen, zu völliger Ausbesserung ihres Schiffs wenigstens 14. Tage auf selbiger Insul stille zu liegen, [380] beschliessen die Meinigen anfänglich auch, biß zu deren Abfahrt allda zu verharren. Zumahlen, da Amias gewahr wird, daß sich verschiedene, theils noch gar junge, theils schon etwas ältere Frauens=Personen unter ihnen befinden. Er sucht so wohl als Robert, Jacob und Simon, mit selbigen ins Gespräch zu kommen; doch der Letztere ist am glücklichsten, indem er gleich andern Tags darauf, eine, von ermeldten Weibs=Bildern, hinter einem dicken Gesträuche in der Einsamkeit höchst betrübt und weinend antrifft. Schimmer erkundigt sich auf besonders höfliche Weise nach der Ursach ihres Betrübnisses, und erfährt so gleich, daß sie eine Wittbe sey, deren Mann vor etwa 3. Monaten auf diesem Schiffe auch in einem Streite mit den See=Räubern todt geschossen worden, und die nebst ihrer 14.jährigen Stieff=Tochter zwar gern auf dem Cap der guten Hoffnung ihres seel. Mannes hinterlassene Güter zu Gelde machen wolte, allein, sie würde von einem, auf diesem Holländischen Schiffe befindlichen Kauffmanne, dermassen mit Liebe geplagt, daß sie billig zu befürchten hätte, er möchte es mit seinem starcken Anhange und Geschencken also listig zu Karten trachten, daß sie sich endlich gezwungener Weise an ihm ergeben müsse. Schimmer stellet ihr vor, daß sie als eine annoch sehr junge Frau noch gar füglich zur andern Ehe schreiten, und einen Mann, der sie zumahlen hefftig liebte, glücklich machen könne; ob auch derselbe ihr eben an Gütern und Vermögen nicht gleich sey; Allein die betrübte Frau spricht: Ihr habt recht, mein Herr! ich bin noch nicht veraltert, weil sich mein [381] gantzes Lebens=Alter wenig Wochen über 24. Jahr erstreckt, und ich Zeit meines Ehe=Standes nur zwey Kinder zur Welt gebracht habe. Derowegen würde mich auch nicht wegern, in die andere Ehe zu treten, allein, mein ungestümer Liebhaber ist die allerlasterhaffteste Manns=Person von der Welt, der sich nicht scheuen solte, Mutter, Tochter und Magd auf einmahl zu lieben, demnach hat mein Hertz einen recht natürlichen Abscheu vor seiner Person, ja ich wolte nicht allein meines seel. Mannes=Verlassenschafft, die sich höher als 10 000. Thlr. belauffen soll, sondern noch ein mehreres darum willig hergeben, wenn ich entweder in Holland, oder an einem andern ehrlichen Orte, in ungezwungener Einsamkeit hinzubringen Gelegenheit finden könte.

     Schimmer thut hierauf noch verschiedene Fragen an dieselbe, und da er diese Frau vollkommen also gesinnet befindet, wie er wünscht, ermahnet er sie, ihr Hertz in Gedult zu fassen, weil ihrem Begehren gar leicht ein Genügen geleistet werden könne, daferne sie sich seiner Tugend und guten Raths völlig anvertrauen wolle. Nur müste er vorhero erstlich mit einigen seiner Gesellschaffter von dieser Sachen reden, damit er etwa Morgen um diese Zeit und auf selbiger Stelle fernere Abrede mit ihr nehmen könne.

     Die tugendhaffte Wittbe fängt hierauf gleich an, diesen Mann vor einen ihr von GOTT zugeschickten menschlichen Engel zu halten, und wischet mit hertzlichen Vertrauen die Thränen aus ihren bekümmerten Augen. Schimmer verläst also die=[382]selbe, und begiebt sich zu seiner übrigen Gesellschafft, welcher er diese Begebenheit gründlich zu Gemüthe führet, und erwehnte Wittbe als ein vollkommenes Bild der Tugend heraus streicht. Amias bricht solcher Gestalt auf einmahl in diese Worte aus: Erkennet doch, meine Kinder, die besondere Fügung des Himmels, denn ich zweiffele nicht, die schöne Wittbe ist vor unsern Johannem, und ihre Stieff=Tochter vor Christoph bestimmet, hilfft uns nun der Himmel allhier noch zu der dritten Weibs=Person vor unsern Christian, so haben wir das Ziel unserer Reise erreicht, und können mit Vergnügen auf eine fügliche Zurückkehr dencken.

     Demnach sind sie allerseits nur darauf bedacht, der jungen Wittbe eine gute Vorstellung von ihrem gantzen Wesen zu machen, und da dieselbe noch an eben demselben Abend von Marien und Sabinen in ihre Hütte geführet wird, um die annoch etwas kränckliche Elisabeth zu besuchen, kan sich dieselbe nicht gnungsam verwundern, daselbst eine solche Gesellschafft anzutreffen, welche ich, als ihr Stamm=Vater, wegen der Wohlgezogenheit, Gottesfurcht und Tugend nicht selbst weitläufftig rühmen mag. Ach meine Lieben! rufft die fromme Wittbe aus, sagt mir doch, wo ist das Land, aus welchen man auf einmahl so viel Tugendhaffte Leute hinweg reisen lässet? Haben euch denn etwa die gottlosen Einwohner desselben zum Weichen gezwungen? Denn es ist ja bekannt, daß die böse Welt fast gar keine Frommen mehr, sie mögen auch jung oder alt seyn, unter sich leiden will. Nein, meine schöne Frau, fällt ihr der alte Amias hierbey [383] in die Rede, ich versichere, daß wir, die hier vor euren Augen sitzen, der Tugend wegen noch die geringsten heissen, denn diejenigen, so wir zurück gelassen, sind noch viel vollkommener, und wir leben nur bemühet, ihnen gleich zu werden. Dieses war nun (sagte hierbey unser Alt=Vater Albertus) eine starcke Schmeicheley, allein, es hatte dem ehrlichen Amias damahls also zu reden beliebt, die Dame aber siehet denselben starr an, und spricht: Mein Herr! euer Ehrwürdiges graues Haupt bringet vielen Respect zu wege, sonsten wolte sagen, daß ich nicht wüste, wie ich mit euch dran wäre, ob ihr nemlich etwa mit mir schertzen, oder sonsten etwas einfältiges aus meinen Gedancken locken woltet?

     Diese Reden macht sich Amias zu Nutze, und versetzt dieses darauf: Madam! dencket von mir was ihr wollet, nur richtet meine Reden nicht ehe nach der Schärffe, biß ich euch eine Geschicht erzehlet, die gewiß nicht verdrüßlich anzuhören, und dabey die klare Wahrheit ist. Hierauf fängt er an, als einer, der meine und der Meinigen gantze Lebens=Geschicht vollkommen inne hatte, alles dasjenige auf dem Nagel her zu sagen, was uns passiret ist, und worüber sich die Dame am Ende vor Verwunderung fast nicht zu begreiffen weiß. Hiermit aber ist es noch nicht genung, sondern Amias bittet dieselbe, von allen dem, was sie anitzo gehöret, bey ihrer Gesellschafft nichts kundbar zu machen, indem sie gewisser Ursachen wegen, sonst Niemanden als ihr alleine, dergleichen Geheimnisse wissen lassen, vielmehr einem jeden be=[384]reden wolten, sie hätten auf der Insul St. Helenæ ein besonderes Gewerbe auszurichten. Virgilia van Catmers, so nennet sich diese Dame, verspricht nicht allein vollkommene Verschwiegenheit, sondern bittet auch um GOttes willen, sie nebst ihrer Stieff=Tochter, welches ein Kind guter Art sey, mit in dergleichen irrdisches Himmelreich (also hatte sie meine Felsen=Insul genennet) zu nehmen, und derselben einen tugendhafften Mann heyrathen zu helffen. Ich vor meine Person, setzt sie hinzu, kan mit Wahrheit sagen, daß ich mein übriges Leben eben so gern im tugendhafften ledigen Stande, als in der besten Ehe zubringen wolte, weil ich von Jugend an biß auf diese Stunde Trübsal und Angst genug ausgestanden habe, mich also nach einem ruhigern Leben sehne. Meine Stieff=Tochter aber, deren Stieff=Mutter ich nur seit 5. Jahren bin, und die ich ihres sonderbaren Gehorsams wegen als mein eigen Kind liebe, möchte ich gern wohl versorgt wissen, weil dieselbe, im Fall wir das Cap der guten Hoffnung nicht erreichen solten, von ihrem väterlichen Erbtheile nichts zu hoffen hat, als diejenigen Kostbarkeiten, welche ich bey mir führe, und sich allein an Golde, Silber, Kleinodien und Gelde ohngefähr auf 16 000. Ducaten belauffen, die uns aber noch gar leicht durch Sturm oder See=Räuber geraubt werden können.

     Amias antwortet hierauf, daß dergleichen zeitliche Güter bey uns in grosser Menge anzutreffen wären, doch aber nichts geachtet würden, weil sie auf unserer Insul wenigen oder gar keinen Nutzen [385] schaffen könten, im übrigen verspricht er binnen 2. Tagen völlige Resolution von sich zu geben, ob er sie nebst ihrer Tochter unter gewissen Bedingungen, ohne Gefahr, und mit guten Gewissen, mit sich führen könne oder nicht, lässet also die ehrliche Virgiliam vor dieses mahl zwischen Furcht und Hoffnung wiederum von der Gesellschafft Abschied nehmen.

     Folgende zwey Tage legt er unter der Hand, und zwar auf gantz klügliche Art, genaue Kundschafft auf ihr von Jugend an geführtes Leben und Wandel, und erfähret mit Vergnügen, daß sie ihn in keinem Stücke mit Unwahrheit berichtet habe. Demnach fragt er erstlich den Johannem, ob er die Virgiliam zu seiner Ehe=Frau beliebte, und so bald dieser sein treuhertziges Ja=Wort mit besondern frölichen Gemüths=Bewegungen von sich gegeben, sucht er abermahlige Gelegenheit, Virgiliam nebst ihrer Tochter Gertraud in seine Hütten zu locken, welche letztere er als ein recht ungemein wohlgezogenes Kind befindet.

     Demnach eröffnet er der tugendhafften Wittbe sein gantzes Hertze, wie er nemlich gesonnen sey, sie nebst ihrer Stieff=Tochter mit grösten Freuden auf sein Schiff zu nehmen, doch mit diesen beyden Bedingungen, daß sie sich gelieben lassen wolle, den Johannem, welchen er ihr vor die Augen stellet, zum Ehe=Manne zu nehmen, und dann sich zu bemühen, noch die 3te keusche Weibs=Person, die ohnfehlbar in ihrer Aufwärterin Blandina anzutreffen seyn würde, mit zu führen. Im übrigen dürffte keines von ihnen vor das Heyraths=Gut [386] sorgen, weil alles, was ihr Hertz begehren könne, bey den Seinigen in überfluß anzutreffen wäre.

     Meine Herren! versetzt hierauf Virgilia, ich mercke und verstehe aus allen Umständen nunmehro zur Gnüge, daß es euch annoch nur an 3. Weibs=Personen mangelt, eure übrigen und ledigen Manns=Personen zu beweiben, derowegen sind euch, so wohl meine Stieff=Tochter, als meine 17.jährige Aufwärterin hiermit zugesagt, weil ich gewiß glaube, daß ihr sonderlich die erstere mit dem Ehestande nicht übereilen werdet. Was meine eigene Person anbetrifft, sagt sie ferner, so habe ich zwar an gegenwärtigen frommen Menschen, der, wie ihr sagt, Johannes Julius heisset, und ehrlicher Leute Kind ist, nicht das allergeringste auszusetzen; allein, ich werde keinem Menschen, er sey auch wer er sey, weder mein Wort noch die Hand zur Ehe geben, biß mein Trauer=Jahr, um meinen seeligen Mann, und einen 2.jährigen Sohn, der nur wenig Tage vor seinem Vater verstorben, zu Ende gelauffen ist. Nach diesem aber will ich erwarten, wie es der Himmel mit meiner Person fügen wird. Ist es nun bey dergleichen Schlusse euch anständig, mich, nebst meiner Tochter und Magd, vor deren Ehre ich Bürge bin, heimlich mit hinweg zu führen, so soll euch vor uns dreyen ein Braut=Schatz, von 16000. Ducaten werth, binnen wenig Stunden eingeliefert werden.

     Amias will so wohl, als alle die andern, nicht das geringste von Schätzen wissen, ist aber desto erfreuter, daß er ihrer Personen wegen völlige Versicherung erhalten, nimmt derowegen diesen und [387] den folgenden Tag die sicherste Abrede mit Virgilien, so, daß weder der in sie verliebte Kauffmann, noch jemand anders auf deren vorgesetzte Flucht Verdacht legen kan.

     Etliche Tage hernach, da die guten Holländer ihr Schiff, um selbiges desto bequemer auszubessern, auf die Seite gelegt, die kleinern Boote nebst allen andern Sachen aufs Land gezogen, und ihr Pulver zu trocknen, solches an die Sonne gelegt haben; kömmt Amias zu ihnen, und meldet, wie es ihm zu beschwerlich falle, bey diesem guten Wetter und Winde allhier stille zu liegen. Er wolle demnach, in Betrachtung, daß sie wenigstens noch 3. biß 4. Wochen allhier verharren müsten, seine Reise nach der Insel S. Helenæ fortsetzen, seine Sachen daselbst behörig einrichten, nachhero auf dem Rückwege wiederum allhier ansprechen und nebst den Seinigen in ihrer Gesellschafft mit nach einer Ost=Indischen guten Insul schiffen. Inzwischen wolle er sie, gegen baare Bezahlung, um etwas Pulver und Bley angesprochen haben, als woran es ihm ziemlich mangele.

     Die treuhertzigen Holländer setzen in seine Reden nicht das geringste Mißtrauen, versprechen einen gantzen Monat auf ihn zu warten, weil erwehnte Insel ohnmöglich über 1000. Meilen von dar liegen könne, verehren dem guten Manne 4. grosse Faß Pulver, nebst etlichen Centnern Bley, wie auch allerhand treffliche Europäische Victualien, welche er mit andern, die auf unserer Insul gewachsen waren, ersetzet, und dabey Gelegenheit nimmt, von diesem und jenen allerhand Sämereyen, Frucht=[388]Kernen und Blumen=Gewächse auszubitten, gibt anbey zu verstehen, daß er ohnfehlbar des 3ten Tages aufbrechen, und unter Seegel gehen wolte; Allein der schlaue Fuchs schiffet sich hurtiger ein, als die Holländer vermeynen, und wartet auf sonst nichts, als die 3. bestellten Weibes=Personen. Da sich nun diese in der andern Nacht mit Sack und Pack einfinden, lichtet er seine Ancker, und läufft unter guten Winde in die offenbare See, ohne daß es ein eintziger von den Holländern gewahr wird. Mit anbrechenden Tage sehen sie die wüste Insul nur noch in etwas von ferne, weßwegen Amias 2. Canonen löset, um von den Holländern ehrlichen Abschied zu nehmen, die ihm vom Lande mit 4. Schüssen antworten, woraus er schliesset, daß sie ihren kostbaren Verlust noch nicht empfänden, derowegen desto freudiger die Seegel aufspannet, und seinen Weg auf Felsenburg richtet.

     Die Rück=Reise war dermassen bequem und geruhig gewesen, daß sie weiter keine Ursach zu klagen gehabt, als über die um solche Zeit gantz ungewöhnliche Wind=Stille, welche ihnen, da sie nicht vermögend gewesen, der starcken Ruder=Arbeit beständig obzuliegen, eine ziemlich langsame Fahrt verursachet hatte.

     Es begegnet ihnen weder Schiff noch etwas anderes merckwürdiges, auch will sich ihren Augen weder dieses oder jenes Land offenbaren, und da nachhero vollends ein täglicher hefftiger Regen und Nebel einfällt, wird ihr Kummer noch grösser, ja die meisten fangen an zu zweiffeln, die Ihrigen auf der Felsen=Insul jemahls wieder zu sehen zu kriegen. [389] Doch Amias und Jacob lassen wegen ihrer besondern Wissenschafft und Erfahrenheit im Compass, See=Charten und andern zur Schiff=Fahrt gehörigen Instrumenten den Muth nicht sincken, sondern reden den übrigen so lange tröstlich zu, biß sie am 9ten Maji, in den Mittags=Stunden, dieses gelobte Land an seinen von der Natur erbaueten Thürmern und Mauern von weiten erkennen. Jacob, der so glücklich ist, solches am ersten wahrzunehmen, brennet, abgeredter massen, gleich eine Canone ab, worauf die im Schiff befindlichen 15. Personen sich so gleich versammlen, und zu allererst in einer andächtigen Bet=Stunde dem Höchsten ihr schuldiges Danck=Opffer bringen.

     Es ist ihnen selbiges Tages unmöglich, die Felsen=Insul zu erreichen, weßwegen sie mit herein brechender Nacht Ancker werffen, um bey der Finsterniß nicht etwa auf die herum liegenden verborgenen Klippen und Sand=Bäncke aufzulauffen. Indem aber hiermit erstlich eine, kurtz darauf 2. und abermahls 3. Canonen von ihnen gelöset wurden, muste solches, und zwar eben, als wir Insulaner uns zur Ruhe legen wolten, in unsere Ohren schallen. David kam mir demnach in seinem Nacht=Habit entgegen gelauffen, und sagte: Mein Herr! wo ich nicht träume, so liegen die Unserigen vor der Insel, denn ich habe das abgeredte Zeichen mit Canonen vernommen. Recht, mein Sohn! gab ich zur Antwort, ich und die übrigen haben es auch gehöret. Alsofort machten wir uns beyderseits auf, nahmen etliche Raqueten nebst Pulver und Feuer zu uns, lieffen auf die Höhe des Nord=[390]Felsens, gaben erstlich aus zweyen Canonen Feuer, zündeten hernach 2. Raquetten an, und höreten hierauff nicht allein des Schiffs 8. Canonen lösen, sondern sahen auch auf demselben allerhand artige Lust=Feuer, welches uns die gewisse Versicherung gab, daß es kein anders als meiner Kinder Schiff sey. Diesem nach verschossen wir, ihnen und uns zur Lust, alles gegenwärtige Pulver, und giengen um Mitternachts Zeit wieder zurück, stunden aber noch vor Tage wieder auf, verschützten die Schleuse des Nord=Flusses, machten also unsere Thor=Fahrt trocken, und giengen hinab an das Meer=Ufer, allwo in kurtzen unsere Verreiseten glücklich an Land stiegen, und von mir und David die ersten Bewillkommungs=Küsse empfiengen. So bald wir nebst ihnen den fürchterlichen hohlen Felsen=Weg hinauff gestiegen waren, und unsere Insul betraten, kam uns meine Concordia mit der gantzen Familie entgegen, indem sie die 9. Enckel auf einen grossen Rollwagen gesetzt, und durch die Affen hierher fahren lassen. Nunmehro gieng es wieder an ein neues Bewillkommen, jedoch es wurden auf mein Zureden nicht viel Weitläufftigkeiten gemacht, biß wir ingesamt auf diesem Hügel in unsern Wohnungen anlangeten.

     Ich will, meine Lieben! sagte hier unser Altvater, die Freuden=Bezeugungen von beyden Theilen, nebst allen andern, was biß zu eingenommener Mittags=Mahlzeit vorgegangen, mit Stillschweigen übergehen, und nur dieses berichten: Daß mir nachhero die Meinigen einen umständlichen Bericht von ihrer Reise abstatteten, worauff die mit [391] angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren Lebens=Lauff weitläufftig zu erzehlen anfieng. Da aber ich, meine Lieben! entschuldigte sich der Altvater, mich nicht im Stande befinde, selbigen so deutlich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand beschrieben ist, so will ich denselben hiermit meinem lieben Vetter Eberhard einhändigen, damit er euch solche Geschicht vorlesen könne.

     Ich, Eberhard Julius empfieng also, aus des Altvaters Händen, dieses in Holländischer Sprache geschriebene Frauenzimmer=Manuscript, welches ich sofort denen andern in Teutscher Sprache also lautend herlaß:

     Im Jahr Christi 1647. bin ich, von Jugend auf sehr Unglückseelige, nunmehro aber da ich dieses auf der Insul Felsenburg schreibe, sehr, ja vollkommen vergnügte Virgilia van Cattmers zur Welt gebohren worden. Mein Vater war ein Rechts=Gelehrter und Procurator zu Rotterdam, der wegen seiner besondern Gelehrsamkeit, die Kundschafft der vornehmsten Leute, um ihnen in ihren Streit=Sachen beyzustehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit ehesten eine vornehmere Bedienung zu bekommen. Allein, er wurde eines Abends auf freyer Strasse Meuchelmördischer Weise, mit 9. Dolch=Stichen ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jungen Tochter genesen war. Ich bin damals 4. Jahr und 6. Monat alt gewesen, weiß mich aber noch wohl zu erinnern, wie jämmerlich es aussahe: Da der annoch starck blutende Cörper meines Vaters, von darzu bestellten Personen besichtiget, [392] und dabey öffentlich gesagt wurde, daß diesen Mord kein anderer Mensch angestellet hätte, als ein Gewissenloser reicher Mann, gegen welchen er Tags vorhero einen rechtlichen Process zum Ende gebracht, der mehr als hundert tausend Thaler anbetroffen, und worbey mein Vater vor seine Mühe sogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen hatte.

     Vor meine Person war es Unglücklich genung zu schätzen, einen treuen Vater solchergestalt zu verlieren, allein das unerforschliche Schicksal hatte noch ein mehreres über mich beschlossen, denn zwölff Tage hernach starb auch meine liebe Mutter, und nahm ihr jüngst gebohrnes Töchterlein, welches nur 4. Stunden vorher verschieden, zugleich mit in das Grab. Indem ich nun die eintzige Erbin von meiner Eltern Verlassenschafft war, so fand sich gar bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner Mutter wegen, mein naher Vetter war, und also nebst meinem zu Gelde geschlagenen Erbtheile, die Vormundschafft übernahm. Mein Vermögen belief sich etwa auf 18000. Thlr. ohne den Schmuck, Kleider=Werck und schönen Hauß=Rath, den mir meine Mutter in ihrer wohlbestellten Haußhaltung zurück gelassen hatte. Allein die Frau meines Pflege=Vaters war, nebst andern Lastern, dem schändlichen Geitze dermassen ergeben, daß sie meine schönsten Sachen unter ihre drey Töchter vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als eine Magd auffwarten, und nur zufrieden seyn muste, wenn mich Mutter und Töchter nicht täglich aufs erbärmlichste mit Schlägen tractirten. Wem [393] wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen Stadt sonst keinen Anverwandten hatte, frembden Leuten aber durffte mein Hertz nicht eröffnen, weil meine Auffrichtigkeit schon öffters übel angekommen war, und von denen 4. Furien desto übler belohnet wurde.

     Solchergestalt ertrug ich mein Elend biß ins 14. Jahr mit gröster Gedult, und wuchs zu aller Leute Verwunderung, und bey schlechter Verpflegung dennoch starck in die Höhe. Meiner Pflege=Mutter allergröster Verdruß aber bestund darinne, daß die meisten Leute von meiner Gesichts=Bildung, Leibes=Gestalt und gantzen Wesen mehr Wesens und rühmens machten als von ihren eigenen Töchtern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich gebildet, sondern auch einer geilen und leichtfertigen Lebens=Art gewohnt waren. Ich muste dieserwegen viele Schmach=Reden und Verdrießlichkeiten erdulden, war aber bereits dermassen im Elende abgehärtet, daß mich fast nicht mehr darum bekümmerte.

     Mitlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Liebhaber an dem vornehmsten Handels=Diener meines Pflege=Vaters, dieses war ein Mensch von etliche 20. Jahren, und konte täglich mit Augen ansehen, wie unbillig und schändlich ich arme Wayse, vor mein Geld, welches mein Pflege=Vater in seinen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde, weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeschnitten war, mit mir ein vertrautes Gespräch zu halten, steckte er mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand, worinnen nicht allein sein hefftiges Mitleyden we=[394]gen meines Zustandes, sondern auch die Ursachen desselben, nebst dem Antrage seiner treuen Liebe befindlich, mit dem Versprechen: Daß, wo ich mich entschliessen wolte eine Heyrath mit ihm zu treffen; er meine Person ehester Tages aus diesem Jammer=Stande erlösen, und mir zu meinem Väter= und Mütterlichen Erbtheile verhelffen wolle, um welches es ohnedem itzo sehr gefährlich stünde, da mein Pfleg=Vater, allem Ansehen nach, in kurtzer Zeit banquerot werden müste.

     Ich armes unschuldiges Kind wuste mir einen schlechten Begriff von allen diesen Vorstellungen zu machen, und war noch darzu so unglücklich, diesen aufrichtigen Brief zu verlieren, ehe ich denselben weder schrifftlich noch mündlich beantworten konte. Meine Pflege=Mutter hatte denselben gefunden, ließ sich aber nicht das geringste gegen mich mercken, ausserdem daß ich nicht aus meiner Kammer gehen durffte, und solcher gestalt als eine Gefangene leben muste, wenig Tage hernach aber erfuhr ich, daß man diesen Handels=Diener früh in seinem Bette tod gefunden hätte, und wäre er allen Umständen nach an einem Steck=Flusse gestorben.

     Der Himmel wird am besten wissen, ob dieser redliche Mensch nicht, seiner zu mir tragenden Liebe wegen, von meiner bösen Pflege=Mutter mit Gifft hingerichtet worden, denn wie jung ich auch damals war, so konte doch leichtlich einsehen, was vor eine ruchlose Lebens=Art, zumahlen in Abwesenheit meines Pflege=Vaters im Hause vorgieng. Immittelst traff dennoch ein, was der verstorbene Han=[395]dels=Diener vorher geweissaget hatte, denn wenig Monathe hernach machte sich mein Vetter oder Pflege=Vater aus dem Staube und überließ seinen Gläubigern ein ziemlich ausgeleertes Nest, dessen Frau aber behielt dennoch ihr Hauß nebst andern zu ihm gebrachten Sachen, so daß dieselbe mit ihren Kindern annoch ihr gutes Auskommen haben konte. Ich vor meine Person muste zwar bey ihr bleiben, durffte mich aber niemals unterstehen zu fragen, wie es um mein Vermögen stünde, biß endlich ihr ältester Sohn aus Ost=Indien zurück kam, und sich über das verkehrte Hauß=Wesen seiner Eltern nicht wenig verwunderte. Er mochte von vertrauten Freunden gar bald erfahren haben, daß nicht so wohl seines Vaters Nachläßigkeit als die üble Wirthschafft seiner Mutter und Schwestern an diesem Unglück Schuld habe, derowegen fieng er als ein tugendhafftiger und verständiger Mensch gar bald an, ihnen ihr übles Leben anfänglich ziemlich sanfftmüthig, hernach aber desto ernstlicher zu Gemüthe zu führen, allein die 4. Furien bissen sich weidlich mit ihm herum, musten aber doch zuletzt ziemlich nachgeben, weil sie nicht Unrecht vermuthen konten, daß er durch seinen erworbenen Credit und grosse Gut, ihr verfallenes Glück wiederum herzustellen vermögend sey. So bald ich dieses merckte, nahm ich auch keinen fernern Aufschub, diesem redlichen Manne meine Noth zu klagen, und da es sich eben schickte, daß ich ihm eines Tages auf Befehl seiner Mutter ein Körbgen mit sauberer Wäsche überbringen muste, gab solches die beste Gelegenheit ihm meines Hertzens=Gedancken zu [396] offenbaren. Er schien mir diesen Tag etwas aufgeräumter und freundlicher als wohl sonsten gewöhnlich, nachdem ich ihm also meinen Gruß abgestattet, und die Wäsche eingehändiget hatte, sprach er: Es ist keine gute Anzeigung vor mich, artige Virgilia, da ihr das erste mal auf meiner Stube mit einem Körbgen erscheinet, gewiß dieses solte mich fast abschrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichtigen und ehrlichen Liebe zu thun. Ich schlug auf diese Reden meine Augen zur Erden nieder, aus welchen alsofort die hellen Thränen fielen, und gab mit gebrochenen ängstlichen Worten so viel darauff: Ach mein Herr! Nehmet euch nicht vor, mit einer unglückseeligen Person zu schertzen, erbarmet euch vielmehr einer armen von aller Welt verlassenen Waise, die nach ihren ziemlichen Erbtheil, nicht einmal fragen darff, über dieses vor ihr eigen Geld als die geringste Magd dienen, und wie von Jugend auf, so noch biß diesen Tag, die erbärmlichsten Schläge von eurer Mutter und Schwestern erdulden muß. Wie? Was hör ich? gab er mir zur Antwort, ich vermeine euer Geld sey in Banco gethan, und die Meinigen berechnen euch die Zinsen davon? Ach mein Herr! versetzte ich, nichts weniger als dieses, euer Vater hat das Capital nebst Zinsen, und allen meinen andern Sachen an sich genommen, wo es aber hingekommen ist, darnach habe ich biß auf diese Stunde noch nicht fragen dürffen, wenn ich nicht die erbärmlichsten Martern erdulden wollen. Das sey dem Himmel geklagt! schrye hierauff Ambrosius van Keelen, denn also war sein Nahme, schlug anbey die Hände [397] über dem Kopffe zusammen, und saß eine lange Zeit auf dem Stuhle in tieffen Gedancken. Ich wuste solchergestalt nicht wie ich mit ihm daran war, fuhr derowegen im Weinen fort, fiel endlich nieder, umfassete seine Knie und sagte: Ich bitte euch um GOttes willen mein Herr, nehmet es nicht übel, daß ich euch mein Elend geklagt habe, verschaffet nur daß mir eure Mutter, auf meine gantze gerechte Forderung, etwa zwey oder drey hundert Thaler zahle, so soll das übrige gäntzlich vergessen seyn, ich aber will mich alsobald aus ihrem Hause hinweg begeben und andere Dienste suchen, vielleicht ist der Himmel so gnädig, mir etwa mit der Zeit einen ehrbaren Handwercks=Mann zuzuführen, der mich zur Ehe nimmt, und auf meine Lebens Zeit ernehret, denn ich kan die Tyranney eurer Mutter und Schwestern ohnmöglich länger ertragen. Der gute Mensch konte sich solchergestalt der Thränen selbst nicht enthalten, hub mich aber sehr liebreich von der Erden auf, drückte einen keuschen Kuß auf meine Stirn, und sagte: Gebet euch zufrieden meine Freundin, ich schwere zu GOTT! daß mein gantzes Vermögen, biß auf diese wenigen Kleider so ich auf meinem Leibe trage, zu eurer Beruhigung bereit seyn soll, denn ich müste befürchten, daß GOTT, bey so gestallten Sachen, die Mißhandlung meiner Eltern an mir heimsuchte, indessen gehet hin und lasset euch diesen Tag über, weder gegen meine Mutter noch Geschwister nicht das geringste mercken, ich aber will noch vor Abends eures Anliegens wegen mit ihnen sprechen, und gleich morgendes Tages Anstalt ma=[398]chen, daß ihr Standesmäßig gekleidet und gehalten werdet.

     Ich trocknete demnach meine Augen, gieng mit getrösteten Hertzen von ihm, er aber besuchte gute Freunde, und nahm noch selbigen Abend Gelegenheit mit seiner Mutter und Schwestern meinetwegen zu sprechen. Wiewol nun dieselben mich auf sein Begehren, um sein Gespräch nicht mit anzuhören, beyseits geschafft hatten, so habe doch nachhero vernommen, daß er ihnen das Gesetz ungemein scharff geprediget, und sonderlich dieses vorgeworffen hat: Wie es zu verantworten stünde, daß sie meine Gelder durchgebracht, Kleider und Geschmeide unter sich getheilet, und über dieses alles, so jämmerlich gepeiniget hätten? Allein auf solche Art wurde die gantze Hölle auf einmal angezündet, denn nachdem Ambrosius wieder auf seine Stube gegangen, ich aber meinen Henckern nur entgegen getreten war, redete mich die Alte mit funckelnden Augen also an: Was hastu verfluchter Findling vor ein geheimes Verständniß mit meinem Sohne? und weßwegen wilstu mir denselben auf den Halß hetzen? Ich hatte meinen Mund noch nicht einmal zur Rechtfertigung aufgethan, da alle 4. Furien über mich herfielen und recht Mörderisch mit mir umgiengen, denn ausserdem, daß mir die helffte meiner Haupt=Haare ausgeraufft, das Gesicht zerkratzt, auch Maul und Nase Blutrünstig geschlagen wurden, trat mich die Alte etliche mahl dergestalt hefftig auf den Unter=Leib und Magen, daß ich unter ihren Mörder=Klauen ohnmächtig, ja mehr als halb todt liegen blieb. Eine alte Dienst=Magd [399] die dergleichen Mord=Spiel weder verwehren, noch in die Länge ansehen kan, laufft alsobald und rufft den Ambrosius zu Hülffe. Dieser kömmt nebst seinem Diener eiligst herzu, und findet mich in dem allererbärmlichsten Zustande, läst derowegen seinem gerechten Eiffer den Zügel schiessen, und zerprügelt seine 3. leiblichen Schwestern dergestalt, daß sie in vielen Wochen nicht aus den Betten steigen können, mich halb todte Creatur aber, trägt er auf den Armen in sein eigenes Bette, lässet nebst einem verständigen Artzte, zwey Wart=Frauen holen, machte also zu meiner besten Verpflegung und Cur die herrlichsten Anstalten. Ich erkannte sein redliches Gemüthe mehr als zu wohl, indem er sich fast niemals zu meinem Bette nahete, oder sich meines Zustandes erkundigte, daß ihm nicht die hellen Thränen von den Wangen herab gelauffen wären, so bald er auch merckte daß es mir unmöglich wäre, in diesem vor mich unglückseeligen Hause einige Ruhe zu geniessen, vielweniger auf meine Genesung zu hoffen, ließ er mich in ein anderes, nächst dem seinen gelegenes Hauß bringen, allwo in dem einsamen Hinter=Gebäue eine schöne Gelegenheit zu meiner desto bessern Verpflegung bereitet war.

     Er ließ es also an nichts fehlen meine Genesung aufs eiligste zu beförderen, und besuchte mich täglich sehr öffters, allein meine Kranckheit schien von Tage zu Tage gefährlicher zu werden, weilen die Fuß=Tritte meiner alten Pflege=Mutter eine starcke Geschwulst in meinem Unterleibe veruhrsacht hatten, welche mit einem schlimmen Fieber vergesellschafftet war, so, daß der Medicus [400] nachdem er über drey Monat an mir curiret hatte, endlich zu vernehmen gab: es müsse sich irgendwo ein Geschwür im Leibe angesetzt haben, welches, nachdem es zum Aufbrechen gediehen, mir entweder einen plötzlichen Todt, oder baldige Genesung verursachen könte.

     Ambrosius stellete sich hierbey gantz Trostloß an, zumahlen da ihm sein Compagnon aus Amsterdam berichtete: wie die Spanier ein Holländisches Schiff angehalten hätten, worauff sich von ihren gemeinschafftlichen Waaren allein, noch mehr als 20000. Thlr. Werth befänden, demnach müsse sich Ambrosius in aller Eil dahin begeben, um selbiges Schiff zu lösen, weiln er, nemlich der Compagnon, wegen eines Bein=Bruchs ohnmöglich solche Reise antreten könte.

     Er hatte mir dieses kaum eröffnet, da ich ihn umständig bat, um meiner Person wegen dergleichen wichtiges Geschäffte nicht zu verabsäumen, indem ich die stärckste Hoffnung zu GOTT hätte, daß mich derselbe binnen der Zeit seines Abwesens, vielleicht gesund herstellen würde, solte ich aber ja sterben, so bäte mir nichts anders aus, als vorhero die Verfügung zu machen, daß ich ehrlich begraben, und hinkünfftig dann und wann seines guten Andenckens gewürdiget würde. Ach! sprach er hierauff mit weinenden Augen, sterbt ihr meine allerliebste Virgilia, so stirbt mit euch alles mein künfftiges Vergnügen, denn wisset: Daß ich eure Person eintzig und allein zu meinem Ehe=Gemahl erwehlet habe, soferne ich aber euch verlieren solte, ist mein Vorsatz, nimmermehr zu heyrathen, saget derowegen, [401] ob ihr nach wieder erlangter Gesundheit meine getreue Liebe mit völliger Gegen=Liebe belohnen wollet? Ich stelle, gab ich hierauff zur Antwort, meine Ehre, zeitliches Glück und alles was an mir ist, in eure Hände, glaubet demnach, daß ich als eine arme Waise euch gäntzlich eigen bin, und machet mit mir, was ihr bey GOTT, eurem guten Gewissen und der ehrbaren Welt verantworten könnet. Uber diese Erklärung zeigte sich Ambrosius dermassen vergnügt, daß er fast kein Wort vorzubringen wuste, jedoch erkühnete er sich einen feurigen Kuß auf meine Lippen zu drücken, und weiln dieses der erste war, den ich meines wissens von einer Manns=Person auf meinen Mund empfangen, gieng es ohne sonderbare Beschämung nicht ab, jedoch nachdem er mir seine beständige Treue aufs heiligste zugeschworen hatte, konte ich ihm nicht verwehren, dergleichen auf meinen blassen Wangen, Lippen und Händen noch öffter zu wiederholen. Wir brachten also fast einen halben Tag mit den treuhertzigsten Gesprächen hin, und endlich gelückte es mir ihn zu bereden, daß er gleich Morgendes Tages die Reise nach Spanien vornahm, nachdem er von mir den allerzärtlichsten Abschied genommen, 1000. Stück Ducaten zu meiner Verpflegung zurück gelassen, und sonsten meinetwegen die eiffrigste Sorgfalt vorgekehret hatte.

     Etwa einen Monat nach meines werthen Ambrosii Abreise, brach das Geschwür in meinem Leibe, welches sich des Artzts, und meiner eigenen Meynung nach, am Magen und Zwerchfell angesetzt hatte, in der Nacht plötzlich auf, weßwegen etliche Tage [402] nach einander eine erstaunliche Menge Eiter durch den Stuhlgang zum Vorschein kam, hierauff begunte mein dicker Leib allmählig zu fallen, das Fieber nachzulassen, mithin die Hoffnung, meiner volligen Genesung wegen, immer mehr und mehr zuzunehmen. Allein das Unglück, welches mich von Jugend an so grausam verfolget, hatte sich schon wieder aufs neue gerüstet, mir den allerempfindlichsten Streich zu spielen, denn da ich einst um Mitternacht im süssen Schlummer lag, wurde meine Thür von den Gerichts=Dienern plötzlich eröffnet, ich, nebst meiner Wart=Frau in das gemeine Stadt=Gefängniß gebracht, und meiner grossen Schwachheit ohngeacht, mit schweren Ketten belegt, ohne zu wissen aus was Ursachen man also grausam mit mir umgienge. Gleich folgendes Tages aber erfuhr ich mehr als zu klar, in was vor bösen Verdacht ich arme unschuldige Creatur gehalten wurde, denn es kamen etliche ansehnliche Männer im Gefängnisse bey mir an, welche, nach weitläufftiger Erkundigung wegen meines Lebens und Wandels, endlich eine roth angestrichene Schachtel herbey bringen liessen, und mich befragten: Ob diese Schachtel mir zugehörete, oder sonsten etwa känntlich sey? Ich konnte mit guten Gewissen und freyen Muthe Nein darzu sagen, so bald aber dieselbe eröfnet und mir ein halb verfaultes Kind darinnen gezeiget wurde, entsetzte ich mich dergestalt über diesen eckelhafften Anblick, daß mir Augenblicklich eine Ohnmacht zustieß. Nachdem man meine entwichenen Geister aber wiederum in einige Ordnung gebracht, wurde ich aufs neue befragt: Ob dieses [403] Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero ermordet und hinweg geworffen worden? Ich erfüllete das gantze Gemach mit meinem Geschrey, und bezeugte meine Unschuld nicht allein mit hefftigen Thränen, sondern auch mit den nachdrücklichsten Reden, allein alles dieses fand keine statt, denn es wurden zwey, mit meiner seel. Mutter Nahmen bezeichnete Teller=Tüchlein, zwar als stumme, doch der Richter Meynung nach, allergewisseste Zeugen dargelegt, in welche das Kind gewickelt gewesen, ich aber konte nicht läugnen, daß unter meinem wenigen weissen Zeuge, eben dergleichen Teller=Tücher befindlich wären. Es wurde mir über dieses auferlegt mich von zwey Weh=Müttern besichtigen zu lassen, da nun nicht anders gedachte, es würde, durch dieses höchst empfindliche Mittel, meine Unschuld völlig an Tag kommen, so muste doch zu meinem allergrösten Schmertzen erfahren, wie diese ohne allen Scheu bekräfftigten, daß ich, allen Umständen nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt geboren haben müsse. Ich beruffte mich hierbey auf meinen bißherigen Artzt so wol, als auf meine zwey Wart=Frauen, allein der Artzt hatte die Schultern gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich sagen könne, wie es mit mir beschaffen gewesen, ob er mich gleich auf ein innerliches Magen=Geschwür curiret hätte, die eine Wart=Frau aber zog ihren Kopf aus der Schlinge und sagte: Sie wisse von meinem Zustande wenig zu sagen, weil sie zwar öffters bey Tage, selten aber des Nachts bey mir gewesen wäre, schob hiermit alles auf die andere Wart=Frau, die so wohl als ich in Ketten und Banden lag.

 
 
 
 
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