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- W u n d e r l i c h e
F a t a e i n i g e r
S e e f a h r e r
1 . T e i l ( 1 7 3 1 )
S e i t e 1 1 2 - 1 4 0
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- [112] Wir musten also bey nahe anderthalb Jahr, das Brod vor den Thüren suchen, von einem Dorffe und Stadt zur andern wandern, und letztlich fast gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit Naumburg auf ein Dorff kamen, allwo sich die Priester=Frau über uns erbarmete, ihren Kindern die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit bekleidete, ehe sie noch gefragt, woher, und weß Standes wir wären. Der Priester kam darzu, lobte seiner Frauen Mitleyden und redliche Wohlthaten, erhielt aber, auf sein Befragen von mir, zulänglichen Bericht wegen unsers Herkommens, weil ich dazumal schon 10. Jahr alt war, und die betrübte Historie von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuste.
Der redliche Geistliche, welcher vielleicht nunmehro schon seit vielen Jahren unter den Seeligen, als des Himmels=Glantz leuchtet, mochte vielleicht von den damaligen Läufften, und sonderlich von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nachricht haben als wir selbst, schlug derowegen seine Hände und Augen gen Himmel, führete uns arme Wäysen in sein Hauß, und hielt uns nebst seinen 3. Kindern so wol, als ob wir ihnen gleich wären. Wir waren 2. Jahr bey ihm gewesen, und hatten binnen der Zeit im Christenthum, Lesen, Schreiben und andern studien, unserm Alter nach, ein ziemliches profitiret, worüber er nebst seiner Liebsten eine sonderliche Freude bezeigte, und ausdrücklich sagte: daß er sich unsere Aufnahme niemals gereuen lassen wolte, weiln er augenscheinlich gespüret, daß ihn GOTT seit der Zeit, an zeitlichen Gü=[113]tern weit mehr als sonsten gesegnet hätte; doch da wenig Wochen hernach sein Befreundter, ein Amtmann aus dem Braunschweigischen, diesen meinen bißherigen Pflege=Vater besuchte, an meinem stillen Wesen einen Gefallen hatte, meine 12.jährige Person von seinem Vetter ausbat, und versicherte, mich, nebst seinen Söhnen, studiren zu lassen, mithin den Mitleidigen Priesters=Leuten die halbe Last vom Halse nehmen wolte; liessen sich diese bereden, und ich muste unter Vergiessung häuffiger Thränen von ihnen und meinem lieben Bruder Abschied nehmen, mit dem Amtmanne aber ins Braunschweigische reisen. Daselbst nun hatte ich die ersten 2. Jahre gute Zeit, und war des Amtmanns Söhnen, die doch alle beyde älter als ich, auch im Studiren weit voraus waren, wo nicht vor= doch gantz gleich gekommen. Dem ohngeacht vertrugen sich dieselben sehr wohl mit mir, da aber ihre Mutter starb, und statt derselben eine junge Stieff=Mutter ins Hauß kam, zog zugleich der Uneinigkeits=Teuffel mit ein. Denn diese Bestie mochte nicht einmahl ihre Stieff=Kinder, vielweniger mich, den sie nur den Bastard und Fündling nennete, gern um sich sehen, stifftete derowegen immerfort Zanck und Streit unter uns, worbey ich jederzeit das meiste leiden muste, ohngeacht ich mich so wohl gegen sie als andere auf alle ersinnliche Art demüthigte. Der Informator, welcher es so hertzlich wohl mit mir meinete, muste fort, an dessen Stelle aber schaffte die regierende Domina einen ihr besser anständigen Studenten herbey. Dieser gute Mensch war kaum zwey [114] Wochen da, als wir Schüler merckten, daß er im Lateinischen, Griechischen, Historischen, Geographischen und andern Wissenschafften nicht um ein Haar besser beschlagen war, als die, so von ihm lernen solten, derowegen klappte der Respect, welchen er doch im höchsten Grad verlangte, gar schlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Præceptor uns keinen Autorem vor=exponiren konte; so mochte er doch der Frau Amtmännin des Ovidii Libr. de arte amandi desto besser zu erklären wissen, indem beyde die Privat=Stunden dermassen öffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Aufführung dem Amtmanne endlich selbst Verdacht erwecken muste.
Der gute Mann erwehlete demnach mich zu seinem Vertrauten, nahm eine verstellete Reise vor, kam aber in der Nacht wieder zurück unter das Kammer=Fenster, wo der Informator nebst seinen Schülern zu schlaffen pflegte. Dieser verliebte Venus=Professor stund nach Mitternacht auf, der Frau Amtmännin eine Visite zu geben. Ich, der, ihn zu belauschen, noch kein Auge zugethan hatte, war der verbothenen Zusammenkunfft kaum versichert, als ich dem, unter dem Fenster stehenden, Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Husten und Hinunterwerffung meiner Schlaff=Mütze gab, welcher hierauf nicht gefackelt, sondern sich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeschlagen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor positur, ertappet hatte. Es war ein erbärmlich Geschrey in der Frauen Cammer, so, daß fast alles Hauß=Gesinde herzu [115] gelauffen kam, doch da meine Mit=Schüler, wie die Ratzen, schlieffen, wolte ich mich auch nicht melden, konte aber doch nicht unterlassen, durch das Schlüssel=Loch zu gucken, da ich denn gar bald mit Erstaunen sahe, wie die Bedienten den Herrn Præceptor halb todt aus der nächtlichen Privat=Schule heraus schleppten. Hierauf wurde alles stille, der Amtmann ging in seine Schreibe=Stube, hergegen zeigte sich die Frau Amtmännin mit blutigen Gesichte, verwirrten Haaren, hinckenden Füssen, ein groß Messer in der Hand haltend auf dem Saale, und schrye: Wo ist der Schlüssel? Albert muß sterben, dem verfluchten Albert will ich dieses Messer in die Kaldaunen stossen.
Mir wurde grün und gelb vor den Augen, da ich diese höllische Furie also reden hörete, jedoch der Amtmann kam, einen tüchtigen Prügel in der rechten, einen blossen Degen aber in der lincken Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib zurück in ihre Cammer. Dem ohngeacht schrye sie doch ohn Unterlaß: Albert muß sterben, ja der Bastard Albert muß sterben, ich will ihn entweder selbst ermorden, oder demjenigen hundert Thaler geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.
Ich meines Orts gedachte: Sapienti sat! kleidete mich so hurtig an, als Zeit meines Lebens noch nicht geschehen war, und schlich in aller Stille zum Hause hinaus.
Das Glücke führete mich blindlings auf eine grosse Heer=Strasse, meine Füsse aber hielten sich so hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die Stadt Braunschweig vor mir liegen sahe. Hun=[116]ger und Durst plagten mich, wegen der gethanen starcken Reise, gantz ungemein, doch da ich nunmehro auf keinem Dorffe, sondern in Braunschweig einzukehren gesonnen war, tröstete ich meinen Magen immer mit demjenigen 24. Marien=Groschen=Stücke, welches mir der Amtmann vor 2. Tagen geschenckt, als ich mit ihm aus Braunschweig gefahren, und dieses vor mich so fatale Spiel verabredet hatte.
Allein, wie erschrack ich nicht, da mir das helle Tages=Licht zeigte, daß ich in der Angst unrechte Hosen und an statt der Meinigen des Herrn Præceptoris seine ergriffen. Wiewohl, es war mir eben nicht um die Hosen, sondern nur um mein schön Stücke Geld zu thun, doch ich fand keine Ursache, den unvorsichtigen Tausch zu bereuen, weil ich in des Præceptors Hosen bey nahe 6. Thlr. Silber=Geld, und über dieses einen Beutel mit 30. spec. Ducaten fand. Demnach klagte ich bey meiner plötzlichen Flucht weiter nichts, als daß mir nicht erlaubt gewesen, von dem ehrlichen Amtmanne, der an mir als ein treuer Vater gehandelt, mündlich danckbarn Abschied zu nehmen. Doch ich that es schrifftlich desto nachdrücklicher, entschuldigte mein Versehen wegen der vertauschten Hosen aufs beste, kauffte mir in Braunschweig die nöthigsten Sachen ein, dung mich auf die geschwinde Post, und fuhr nach Bremen, allwo ich von der beschwerlichen und ungewöhnlich weiten Reise sattsam auszuruhen willens hatte.
Warum ich nach Bremen gereiset war? wuste ich mir selbst nicht zu sagen. Ausser dem, daß es die [117] erste fortgehende Post war, die mir in Braunschweig aufstieß, und die ich nur deßwegen nahm, um weit genung hinweg zu kommen, es mochte auch seyn wo es hin wolte. Ich schätzte mich in meinen Gedancken weit reicher als den grossen Mogol, ließ derowegen meinem Leibe an guten Speisen und Geträncke nichts mangeln, schaffte mir ein ziemlich wohl conditionirtes Kleid, nebst guter Wäsche und andern Zubehör an, behielt aber doch noch etliche 40. Thlr. Zehrungs=Geld im Sacke, wovon ich mir so lange zu zehren getrauete, biß mir das Glück wieder eine Gelegenheit zur Ruhe zeigte, denn ich wuste mich selbst nicht zu resolviren, was ich in Zukunfft vor eine Profession oder Lebens=Art erwehlen wolte, da wegen der annoch lichterloh brennenden Krieges=Flamme eine verdrüßliche Zeit in der Welt war, zumahlen vor einen, von allen Menschen verlassenen, jungen Purschen, der erstlich in sein 17des Jahr ging, und am Soldaten=Leben den greulichsten Eckel hatte.
Eines Tages ging ich zum Zeitvertreibe vor die Stadt spatzieren, und gerieth unter 4. ansehnliche junge Leute, welche, vermuthlich in Betracht meiner guten Kleidung, zierlicher Krausen und Hosen=Bänder, auch wohl des an der Seite tragenden Degens, sehr viel Achtbarkeit vor meine Person zeigten, und nach langen Herumgehen, mich zu sich in ein Wein=Hauß nöthigten. Ich schätzte mir vor eine besondere Ehre, mit rechtschaffenen Kerlen ein Glaß Wein zu trincken, ging derowegen mit, und that ihnen redlich Bescheid. So bald aber der Wein die Geister in meinem Gehirne etwas rege [118] gemacht hatte, mochte ich nicht allein mehr von meinem Thun und Wesen reden, als nützlich war, sondern beging auch die grausame Thorheit, alles mein Geld, so ich im Leben hatte, heraus zu weisen. Einer von den 4. redlichen Leuten gab sich hierauf vor den Sohn eines reichen Kauffmanns aus, und versprach mir, unter dem Vorwande einer besondern auf mich geworffenen Liebe, die beste Condition von der Welt bey einem seiner Anverwandten zu verschaffen, weiln derselbe einen Sohn hätte, dem ich meine Wissenschafften vollends beybringen, und hernach mit ihm auf die Universität nach Leyden reisen solte, allwo wir beyde zugleich, ohne daß es mich einen Heller kosten würde, die gelehrtesten Leute werden könten. Er tranck mir hierauf Brüderschafft zu, und mahlete meinen vom Wein=Geist benebelten Augen vortreffliche Lufft=Schlösser vor, biß ich mich dermassen aus dem Zirckel gesoffen hatte, daß mein elender Cörper der Länge lang zu Boden fiel.
Der hierauf folgende Morgen brachte sodann meine Vernunfft in etwas wieder zurücke, indem ich mich gantz allein, auf einer Streu liegend, vermerckte. Nachdem ich aufgestanden, und mich einiger massen wieder in Ordnung gebracht hatte, meine Taschen aber alle ausgeleeret befand, wurde mir verzweiffelt bange. Ich ruffte den Wirth, fragte nach meinem Gelde und andern bey mir gehabten Sachen, allein er wolte von nichts wissen, und kurtz zu sagen: Es lieff nach genauer Untersuchung dahinaus, daß ich unter 4. Spitzbuben gerathen, welche zwar gestern Abend die Zeche be=[119]zahlt, und wiederzukommen versprochen, doch biß itzo ihr Wort nicht gehalten, und allem Ansehen nach mich beschneutzet hätten.
Also war derjenige Schatz, den ich unverhofft gefunden, auch unverhofft wieder verschwunden, indem ich ausser den angeschafften Sachen, die in meinem Quartiere lagen, nicht einen blutigen Heller mehr im Beutel hatte. Ich blieb zwar noch einige Stunden bey dem Weinschencken sitzen, und hoffte auf der Herrn Sauff=Brüder fröliche Wiederkunfft, allein, mein Warten war vergebens, und da der Wirth gehöret, daß ich kein Geld mehr zu versauffen hatte, gab er mir noch darzu scheele Gesichter, weßwegen ich mich eben zum Hinweggehen bereiten wolte, als ein ansehnlicher Cavalier in die Stube trat, und ein Glaß Wein forderte. Er sagte mit einer freundlichen Mine, doch schlecht deutschen Worten zu mir: Mein Freund, gehet meinetwegen nicht hinweg, denn ich sitze nicht gern allein, sondern spreche lieber mit Leuten. Mein Herr! gab ich zur Antwort, ich werde an diesem mir unglückseligen Orte nicht länger bleiben können, denn man hat mich gestern Abend allhier verführet, einen Rausch zu trincken, nachdem ich nun darüber eingeschlaffen, ist mir alles mein Geld, so ich bey mir gehabt, gestohlen worden. Bleibet hier, wiederredete er, ich will vor euch bezahlen, doch erweiset mir den Gefallen, und erzehlet umständlicher, was euch begegnet ist. Weiln ich nun einen starcken Durst verspürete, ließ ich mich nicht zweymahl nöthigen, sondern blieb da, und erzehlete dem Cavalier meine gantze Lebens=Geschicht von [120] Jugend an, biß auf selbige Stunde. Er bezeigte sich ungemein vergnügt dabey, und belachte nichts mehr als des Præceptors Liebes=Avantüre, nebst dem wohlgetroffenen Hosen=Tausche. Wein und Confect ließ er genung bringen, da er aber merckte, daß ich nicht viel trincken wolte, weiln in dem gestrigen Rausche eine Haare gefunden, welche mir alle die andern auf dem Kopffe verwirret, ja mein gantzes Gemüthe in tieffe Trauer gesetzt hatte, sprach er: Mein Freund! habt ihr Lust in meine Dienste zu treten, so will ich euch jährlich 30. Ducaten Geld, gute Kleidung, auch Essen und Trincken zur Gnüge geben, nebst der Versicherung, daß, wo ihr Holländisch und Englisch reden und schreiben lernet, eure Dienste in weiter nichts als Schreiben bestehen sollen.
Ich hatte allbereit so viel Höflichkeit und Verstand gefasset, daß ich ihm augenblicklich die Hand küssete, und mich mit Vergnügen zu seinem Knechte anboth, wenn er nur die Gnade haben, und mich ehrlich besorgen wolte, damit ich nicht dürffte betteln gehen. Hierauf nahm er mich sogleich mit in sein Quartier, ließ meine Sachen aus dem Gast=Hofe holen, und behielt mich in seinen Diensten, ohne daß ich das geringste thun durffte, als mit ihm herum zu spatziren, weiln er ausser mir noch 4. Bedienten hatte.
Ich konte nicht erfahren, wer mein Herr seyn möchte, biß wir von Bremen ab und in Antwerpen angelanget waren, da ich denn spürete, daß er eines reichen Edelmanns jüngster Sohn sey, der sich bereits etliche Jahr in Engelland aufgehalten [121] hätte. Meine Verrichtungen bey ihm, bestunden anfänglich fast in nichts, als im guten Essen und Trincken, da ich aber binnen 6. Monathen recht gut Engell= und Holländisch reden und schreiben gelernet, muste ich diejenigen Briefe abfassen und schreiben, welche mein Herr in seines Herrn Vaters Affairen öffters selbst schreiben solte. Er warff wegen meiner Fähigkeit und besondern Dienst=Geflissenheit eine ungemeine Liebe auf mich, erwehlete auch, da er gleich im Anfange des Jahrs 1646. abermahls nach Engelland reisen muste, sonsten niemanden als mich zu seinem Reise=Gefährten. Was aber das nachdencklichste war, so muste ich, ehe wir auf dem Engelländischen Erdreich anlangeten, in Weibes=Kleider kriechen, und mich stellen, als ob ich meines Herrn Ehe=Frau wäre. Wir gingen nach Londen, und logirten daselbst in einem Gast=Hofe, der das Castell von Antwerpen genannt war, ich durffte wenig aus dem Hause kommen, hergegen brachte mein Herr fast täglich fremde Mannes=Personen mit sich in sein Logis, worbey ich meine Person dermassen wohl zu spielen wuste, daß jedermann nicht anders vermeynte, als, ich sey meines Herrn junges Ehe=Weib. Zu seiner und meiner Aufwartung aber, hatte er zwey Englische Mägdgen und 4. Laqueyen angenommen, welche uns beyde nach Hertzens Lust bedieneten.
Nachdem ich nun binnen etlichen Wochen aus dem Grunde gelernet hatte, die Person eines Frauenzimmers zu spielen, sagte mein Herr eines Tages zu mir: Liebster Julius, ich werde euch morgen=[122]den Nachmittag, unter dem Titul meines Eheweibes, in eine gewisse Gesellschafft führen, ich bitte euch sehr, studiret mit allem Fleiß darauf, wie ihr mir alle behörige Liebkosungen machen wollet, denn mein gantzes Glück beruhet auf der Comdie, die ich itzo zu spielen genöthiget bin, nehmet einmahl die Gestalt eurer Amtmanns=Frau an, und caressiret mich also, wie jene ihren Mann vor den Leuten, den Præceptor aber mit verstohlenen Blicken caressiret hat. Seyd nochmahls versichert, daß an dieser lächerlich=scheinenden Sache mein gantzes Glücke und Vergnügen hafftet, welches alles ich euch redlich mit geniessen lassen will, so bald nur unsere Sachen zu Stande gebracht sind. Ich wolte euch zwar von Hertzen gern das gantze Geheimniß offenbaren, allein verzeihet mir, daß es biß auf eine andere Zeit verspare, weil mein Kopff itzo gar zu unruhig ist. Machet aber eure Dinge zu unserer beyder Vergnügen morgendes Tages nur gut.
Ich brachte die gantze hierauf folgende Nacht mit lauter Gedancken zu, um zu errathen, was doch immermehr mein Herr mit dergleichen Possen ausrichten wolte; doch weil ich den Endzweck zu ersinnen, unvermögend war, ihm aber versprochen hatte, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, nach seinem Gefallen zu leben, machte sich mein Gemüthe endlich den geringsten Kummer aus der Sache, und ich schlieff gantz geruhig ein.
Folgendes Tages, nachdem ich fast den gantzen Vormittag unter den Händen zweyer alter Weiber, die mich recht auf Engelländische Art anklei=[123]deten, zugebracht hatte, wurden mein Herr und ich auf einen neumodischen Wagen abgeholet, und 3. Meilen von der Stadt in ein propres Garten=Hauß gefahren. Daselbst war eine vortreffliche Gesellschafft vorhanden, welche nichts beklagte, als daß des Wohlthäters Tochter, Jungfer Concordia Plürs, von dem schmertzlichen Kopff=Weh bey uns zu seyn verhindert würde. Hergegen war ihr Vater, als unser Wirth, nebst seiner Frauen, 3. übrigen Töchtern und 2. Söhnen zugegen, und machten sich das gröste Vergnügen, die ankommenden Gäste zu bewirthen. Ich will diejenigen Lustbarkeiten, welche uns diesen und den folgenden Tag gemacht wurden, nicht weitläufftig erwehnen, sondern nur so viel sagen, daß wir mit allerley Speisen und Geträncke, Tantzen, Springen, Spatziren=gehen und Fahren, auch noch andern Zeitvertreibungen, allerley Abwechselung machten. Ich merckte, daß die 3. anwesenden schönen Töchter unseres Wohlthäters von vielen Liebhabern umgeben waren, mein Herr aber bekümmerte sich um keine, sondern hatte mich als seine Schein=Frau mehrentheils an der Seite, liebkoseten einander auch dermassen, daß ein jeder glauben muste, wir hielten einander als rechte Ehe=Leute von Hertzen werth. Einsmahls aber, da mich mein Herr im Tantze vor allen Zuschauern recht hertzlich geküsset, und nach vollführten Tantze an ein Fenster geführet hatte, kam ein junger artiger Kauffmann herzu, und sagte zu meinem Liebsten: Mein Herr van Leuven, ich verspüre nunmehro, daß ihr mir die Concordia Plürs mit [124] gutem Recht gönnen könnet, weil ihr an dieser eurer Gemahlin einen solchen Schatz gefunden, den euch vielleicht viele andere Manns=Personen mißgönnen werden. Mein liebster Freund, antwortete mein Herr, ich kan nicht läugnen, daß ich eure Liebste, die Concordiam, von Grund der Seelen geliebet habe, und sie nur noch vor weniger Zeit ungemein gern zur Gemahlin gehabt hätte, weiln aber unsere beyden Väter, und vielleicht der Himmel selbst nicht in unsere Vermählung einwilligen wolten; so habe nur vor etliche Monathen meinen Sinn geändert, und mich mit dieser Dame verheyrathet, bey welcher ich alle diejenigen Tugenden gefunden habe, welche ihr als Bräutigam vielleicht in wenig Tagen bey der Concordia finden werdet. Ich vor meine Person wünsche zu eurer Vermählung tausendfaches Vergnügen, und zwar so, wie ich dasselbe mit dieser meiner Liebsten beständig geniesse, beklage aber nichts mehr, als daß mich meine Angelegenheiten so eilig wiederum nach Hause treiben, mithin verhindern, eurer Hochzeit, als ein frölicher Gast, beyzuwohnen.
Der junge Kauffmann stutzte, und wolte nicht glauben, daß der Herr von Leuven so bald nach Antwerpen zurück kehren müsse, da er aber den Ernst vermerckte, und seinen vermeinten Schwieger=Vater Plürs, unsern Wohlthäter, herzu ruffte, ging es an ein gewaltiges Nöthigen, jedoch der Herr von Leuven blieb nach vielen dargethanen Entschuldigungen bey seinem Vorsatze, morgenden Mittag abzureisen, und nahm schon im Voraus von der gantzen Gesellschafft Abschied.
[125] Es war die gantze Land=Lust auf 8. Tage lang angestellet, da aber wir nur den 3ten Tag abgewartet hatten, und fort wolten, erbothen sich die meisten uns das Geleite zu geben, allein der Herr von Leuven nebst denen Hoffnungs=vollen Schwieger=Söhnen des Herrn Plürs brachten es durch vieles Bitten dahin, daß wir des folgenden Tages bey Zeiten abreisen durfften, ohne von jemand begleitet zu werden, dahero die gantze Gesellschafft ohngestöhrt beysammen blieb.
So bald wir wiederum in Londen in unsern Quartier angelanget waren, ließ mein Herr einen schnellen Post=Wagen holen, unsere Sachen in aller Eil aufpacken, und Tag und Nacht auf Douvres zu jagen, allwo wir des andern Abends eintraffen, unsere Sachen auf ein parat liegendes Schiff schafften, und mit guten Winde nach Calais abfuhren.
Vor selbigen Hafen wartete allbereit ein ander Schiff, weßwegen wir uns nebst allen unsern Sachen dahinein begaben, das vorige Schiff zurück gehen liessen, und den Weg nach Ost=Indien erwehleten. Es war allbereit Nacht, da ich in das neue Schiff einstieg, allwo mich der Herr von Leuven bey der Hand fassete, und in eine Cammer führete, worinnen eine ungemein schöne Weibs=Person bey einer jungen 24. jährigen Manns Person saß. Mein liebster Albert Julius! sagte der Herr von Leuven zu mir, nunmehro ist der Haupt=Actus von unserer gespielten Comdie zum Ende, sehet, dieses ist Concordia Plürs, das schönste Frauenzimmer, welches ihr gestern [126] vielmahls habt erwehnen hören. Kurtz, es ist mein liebster Schatz, dieser bey ihr sitzende Herr ist ihr Bruder, wir reisen nach Ceylon, und hoffen daselbst unser vollkommenes Vergnügen zu finden, ihr aber, mein lieber Julius, werdet euch gefallen lassen, an allen unsern Glücks= und Unglücks=Fällen gleichen Theil zu nehmen, denn wir wollen euch nicht verlassen, sondern, so GOtt will, in Ost=Indien reich und glücklich machen.
Ich küssete dem Herrn von Leuven die Hand, grüssete die nunmehro bekandten Frembden, wünschte Glück zu ihren Vorhaben, und versprach als ein treuer Diener von ihnen zu leben und zu sterben.
Wenige Tage hierauf ließ sich der Herr van Leuven mit mir in grössere Vertraulichkeit ein, da ich denn aus seinen Erzehlungen umständlich erfuhr, daß seine Sachen folgende Beschaffenheit hatten: Der alte Herr van Leuven war unter den Kriegs=Völckern der vereinigten Niederländer, seit vielen Jahren, als ein hoher Officier in Diensten gewesen, und hatte in einer blutigen Action den rechten Arm eingebüsset, weßwegen er das Soldaten=Handwerck niedergelegt, und in Antwerpen ein geruhiges Leben zu führen getrachtet; weil er ein Mann, der grosse Mittel besaß. Seine 3. ältesten Söhne suchten dem ohngeacht ihr Glück unter den Kriegs=Fahnen und auf den Kriegs=Schiffen der vereinigten Niederländer, der jüngste aber, als mein gütiger Herr, Carl Franz van Leuven, blieb bey dem Vater, solte ein Staats=Mann werden, und wurde deßwegen in seinen besten Jahren hinü= [127]ber nach Engelland geschickt, allwo er nicht allein in allen Adelichen Wissenschafften vortrefflich zunahm, sondern auch seines Vaters Engelländisches Negotium mit ungemeiner Klugheit führete. Hierbey aber verliebt er sich gantz ausserordentlich in die Tochter eines Englischen Kauffmanns, Plürs genannt, erweckt durch sein angenehmes Wesen bey derselben eine gleichmäßige Liebe. Kurtz zu sagen, sie werden vollkommen unter sich eins, schweren einander ewige Treue zu, und Mons. van Leuven zweiffelt gar nicht im geringsten, so wohl seinen als der Concordiæ Vater dahin zu bereden, daß beyde ihren Willen zur baldigen Ehe=Verbindung geben möchten. Allein, so leicht sie sich anfangs die Sachen auf beyden Seiten einbilden, so schwer und sauer wird ihnen nachhero der Fortgang gemacht, denn der alte Herr van Leuven hatte schon ein reiches Adeliches Fräulein vor seinen jüngsten Sohn ausersehen, wolte denselben auch durchaus nicht aus dem Ritter=Stande heyrathen lassen, und der Kauffmann Plürs entschuldigte seine abschlägige Antwort damit, weil er seine jüngste Tochter, Concordiam, allbereit in der Wiege an eines reichen Wechslers Sohn versprochen hätte. Da aber dennoch Mons. van Leuven von der hertzlich geliebten Concordia nicht ablassen will, wird er von seinem Herrn Vater zurück nach Antwerpen beruffen. Er gehorsamet zwar, nimmt aber vorhero richtigen Verlaß mit der Concordia, wie sie ihre Sachen in Zukunfft anstellen, und einander öfftere schrifftliche Nachricht von beyderseits Zustande geben wollen.
[128] So bald er seinem Herrn Vater die Hand geküsset, wird ihm von selbigem ein starcker Verweiß, wegen seiner niederträchtigen Liebe, gegeben, mit der Versicherung, daß er ihn nimmermehr vor seinen Sohn erkennen wolle, wenn sich sein Hertze nicht der gemeinen Kauffmanns=Tochter entschlüge, im Gegentheil das vorgeschlagene Adeliche Fräulein erwehlete. Mons. van Leuven will seinen Vater mit allzu starcker Hartnäckigkeit nicht betrüben, bequemet sich also zum Scheine, in allen Stücken nach dessen Willen, im Hertzen aber thut er einen Schwur, von der Concordia nimmermehr abzulassen.
Inzwischen wird der alte Vater treuhertzig gemacht, setzet in des Sohnes verstellten Gehorsam ein völliges Vertrauen, committirt ihn in wichtigen Verrichtungen einige Reisen an verschiedene Oerter in Teutschland, wobey es denn eben zutraff, daß er mich in Bremen zu sich, von dar aber mit zurück nach Antwerpen nahm. Einige Zeit nach seiner Zurückkunfft muste sich der gute Monsieur van Leuven mit dem wiederwärtigen Fräulein, welche zwar sehr reich, aber von Gesichte und Leibes=Gestalt sehr heßlich war, versprechen, die Vollziehung aber dieses ehelichen Verbindnisses konte nicht sogleich geschehen, weil sich der Vater gemüssiget sahe, den jungen Herrn von Leuven vorhero nochmahls in wichtigen Verrichtungen nach Engelland zu schicken. Er hatte ihm die ernstlichsten Vermahnungen gegeben, sich von der Concordia nicht etwa wieder aufs neue fangen zu lassen, auch den Umgang mit ihren Anverwandten möglichstens [129] zu vermeiden, allein Mons. van Leuven konte der hefftigen Liebe ohnmöglich widerstehen, sondern war Vorhabens, seine Concordiam heimlich zu entführen. Jedoch in Engelland deßfals niemanden Verdacht zu erwecken, muste ich mich als ein Frauenzimmer ankleiden, und unschuldiger Weise seine Gemahlin heissen.
So bald wir in Londen angelanget waren, begab er sich zu seinen getreuen Freunden, in deren Behausung er die Concordiam öffters, doch sehr heimlich, sprechen konte. Mit ihrem mittelsten Bruder hatte Mons. Leuven eine dermassen feste Freundschafft gemacht, daß es schiene, als wären sie beyde ein Hertz und eine Seele, und eben dieser Bruder hatte geschworen, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, daß kein anderer Mann, als Carl Franz van Leuven, seine Schwester Concordiam ins Ehe=Bette haben solte. Wie er denn aus eigenem Triebe sich bemühet, einen Priester zu gewinnen, welcher ohne den geringsten Scrupel die beyden Verliebten, eines gewissen Abends, nehmlich am 9. Mart. ao. 1646. ordentlich und ehelich zusammen giebt, und zwar in ihrer Baasen Hause, in Beyseyn etlicher Zeugen, wie dieses Priesters eigenhändiges Attestat und beyder Verliebten Ehe=Contract, den ich, von 6. Zeugen unterschrieben, annoch in meiner Verwahrung habe, klar beweiset. Sie halten hierauf in eben dieser ihrer Baasen Hause ordentlich Beylager, machen sich in allen Stücken zu einer baldigen Flucht bereit, und warten auf nichts, als eine hierzu bequeme Gelegenheit. Der alte Plürs wuste von dieser geheimen Ver=[130]mählung so wenig als meines Herrn eigener Vater und ich, da ich mich doch, sein vertrautester Bedienter zu seyn, rühmen konte.
Immittelst hatte sich zwar Monsieur van Leuven gantz nicht heimlich in London aufgehalten, sondern so wohl auf der Bourse als andern öffentlichen Orten fast täglich sehen lassen, jedoch alle Gelegenheit vermieden, mit dem Kauffmanne Plürs ins Gespräche zu kommen.
Demnach beginnet es diesem eigensinnigem Kopffe nahe zu gehen, daß ihm ein so guter Bekandter, von dessen Vater er so manchen Vortheil gezogen, gäntzlich aus dem Garne gehen solte. Gehet ihm derowegen einsmahls gantz hurtig zu Leibe, und redet ihn also an: Mein Herr von Leuven! Ich bin unglücklich, daß auf so unvermuthete Art an euch einen meiner besten Herrn und Freunde verlieren müssen, aber bedencket doch selbst: meine Tochter hatte ich allbereit versprochen, da ihr um sie anhieltet, da ich nun allezeit lieber sterben, als mein Wort brechen will, so saget mir doch nur, wie ich euch, meiner Tochter und mir hätte helffen sollen? Zumahlen, da euer Herr Vater selbsten nicht in solche Heyrath willigen wollen. Lasset doch das vergangene vergessen seyn, und verbleibet mein wahrer Freund, der Himmel wird euch schon mit einer weit schönern und reichern Gemahlin zu versorgen wissen. Mons. Leuven hatte hierauf zur Antwort gegeben: Mein werthester Herr Plürs, gedencket an nichts von allen vergangenen, ich bin ein getreuer Freund und Diener von euch, vor eure Tochter, die schöne Concordia, habe ich zwar an=[131]noch die gröste Achtbarkeit, allein nichts von der auf eine Ehe abzielenden hefftigen Liebe mehr, weil ich von dem Glücke allbereits mit einer andern, nicht weniger annehmlichen Gemahlin versorgt bin, die ich auch itzo bey mir in London habe.
Plürs hatte vor Verwirrung fast nicht reden können, da er aber von Mons. Leuven einer guten Freundschafft, und daß er im puren Ernste redete, nochmahlige Versicherung empfieng, umarmete er denselben vor grossen Freuden, und bath, seinem Hause die Ehre zu gönnen, nebst seiner Gemahlin bey ihm zu logiren, allein van Leuven danckte vor das gütige Erbieten, mit dem Bedeuten: daß er sich nicht lange in London aufhalten, mithin sein Logis nicht erstlich verändern könne, doch wolte er dem Herrn Plürs ehester Tages, so bald seine Sachen erstlich ein wenig expediret, in Gesellschaft seiner Gemahlin, die itzo etwas unpaß wäre, eine Visite geben.
Hierbey bleibt es, Plürs aber, der sich bey des von Leuven guten Freunden weiter erkundiget, vernimmt die Bekräfftigung dessen, was er von ihm selbst vernommen, mit grösten Vergnügen, machet Anstalt uns aufs beste zu bewirthen, da mitlerweile Mons. von Leuven, seine Liebste, und ihr Bruder Anton Plürs, auch die beste Anstalt zur schleunigen Flucht, und mit einem Ost=Indien=Fahrer das Gedinge machten, der sie auf die Insul Ceylon verschaffen solte. Indem Mons. von Leuvens Vaters Bruder, ein Gouverneur oder Con=[132]sul auf selbiger Insul war, und er sich bey demselben alles kräfftigen Schutzes getröstete.
Der 25. May war endlich derjenige gewünschte Tag, an welchem Mons. de Leuven nebst mir, seiner Schein=Gemahlin, auf des Herrn Plürs Vorwerg 3. Meilen von London gelegen, abfuhren, und allda 8. Tage zu Gaste bleiben solten. Und eben selbigen Abend wolten auch Anton Plürs, und Concordia, über Douvres nach Calais passiren. Denn Concordia hatte, diese Land=Lust zu vermeiden, nicht allein hefftige Kopff=Schmertzen vorgeschützt, sondern auch ihren Eltern ins Gesicht gesagt: Sie könne den van Leuven unmöglich vor Augen sehen, sondern bäte, man möchte sich nur, binnen der Zeit, um sie unbekümmert lassen, weil sie, so lange die Lust währete, bey ihrer Baase in der Stille verbleiben wolte, welches ihr denn endlich zugestanden wurde.
Wie wir hingegen auf dem Vorwerge unsere Zeit hingebracht, ingleichen wie wir allen Leuten unsere Verbündniß glaubend gemacht, auch daß ich mit meinem Herrn, welcher alle seine Dinge schon vorhero in Ordnung gebracht, ohne allen Verdacht abreisete, und beyde glücklich bey dem vor Calais wartenden Ost=Indien=Fahrer anlangeten, dieses habe allbereit erwehnet; derowegen will nur noch mit wenigen melden, daß Mons. Anton Plürs, gleich Abends am 25. May, seine Schwester Concordiam, mit guten Vorbewust ihrer Baase und anderer 4. Befreundten, entführet, und in Manns=Kleidern glücklich aus dem Lande gebracht hatte. Die guten Freunde stunden zwar in den Gedancken, als [133] solte Concordia nach Antwerpen geführet werden, allein es befand sich gantz anders, denn van Leuven, Anton und Concordia, hatten eine weit genauere Abrede mit einander genommen. Was man nach der Zeit in London und Antwerpen von uns gedacht und geredet hat, kan ich zwar wol Muthmassen, aber nicht eigentlich erzehlen. Jedoch da wir bey den Canarischen Insuln, und den Insuln des grünen Vor=Gebürges glücklich vorbey passiret waren, also keine so hefftige Furcht mehr vor den Spanischen Krieges=Schiffen hegen durfften, bekümmerten sich unsere erfreuten Hertzen weiter um nichts, waren lustig und guter Dinge, und hofften in Ceylon den Haafen unseres völligen Vergnügens zu finden.
Allein, meine Lieben! sagte hier Albertus Julius, es ist nunmehro Zeit auf dieses mal abzubrechen, derowegen wollen wir beten, zu Bette gehen, und so GOTT will, Morgen die Einwohner in Davids=Raum besuchen. Nach diesem werde in der Erzehlung meiner Lebens=Geschicht, und der damit verknüpfften Umbstände fortfahren. Wir danckten unserm lieben Alt=Vater vor seine Bemühung, folgten dessen Befehle, und waren, nach wohlgehaltener Ruhe, des folgenden Morgens mit Aufgang der Sonnen wiederum beysammen. Nachdem die Morgen=Gebeths=Stunde und ein gutes Früh=Stück eingenommen war, reiseten wir auf gestrige Art den allerlustigsten Weg in einer Alleé biß nach Davids=Raum, dieses war eine von den mittelmäßigen Pflantz=Städten, indem wir 12. Wohnhäuser darinnen antraffen, welche alle ziem=[134]lich geraumlich gebauet, auch mit schönen Gärten, Scheuern und Ställen versehen waren. Alle Winckel zeugten, daß die Einwohner keine Müßiggänger seyn müsten, wie wir denn selbige mehrentheils auf dem wohlbestellten Felde fanden. Doch muß ich allhier nicht vergessen, daß wir allda besondere Schuster in der Arbeit antraffen, welche vor die anderen Insulaner gemeine Schue von den Häuten der Meer=Thiere, und dann auch Staats=Schue von Hirsch= und Reh=Leder machten, und dieselben gegen andere Sachen, die ihnen zu weit entlegen schienen, vertauschten. In dasigem Felde befand sich ein vortreffliches Kalck=Thon= und Leimen=Gebürge, worüber unser mitgebrachter Töpffer, Nicolaus Schreiner, eine besondere Freude bezeigte, und so gleich um Erlaubniß bath: morgendes Tages den Anfang zu seiner Werckstadt zu machen. Die Gräntze selbiger Einwohner setzte der Fluß, der sich, gegen Westen zu, durch den Felsen hindurch ins Meer stürtzte. Sonsten hatten sie ihre Waldung mit ihren Nachbarn zu Alberts=Raum fast in gleichen Theile, anbey aber musten sie auch mit diesen ihren Gräntz=Nachbarn die Last tragen, die Küste und Bucht nach Norden hin, zu bewahren. Dieserwegen war unten am Felsen ein beqvemliches Wacht=Hauß erbauet, worinnen sie im Winter Feuer halten und schlafen konten. Mons. Wolffgang, ich und noch einige andere, waren so curieux, den schmalen Stieg zum Felsen hinauf zu klettern, und fanden auf der Höhe 4. metallene mittelmäßige Stücken gepflantzt, und dabey ein artiges Schilder=Häußgen auf ein paar [135] Personen in den Felsen gehauen, da man ebenfalls Feuer halten, und gantz wol auch im Winter darinnen bleiben konte. Nächst diesen eine ordentliche Zug=Brücke nach der verborgenen Treppe zu, von welcher man herab nach der Sand=Banck und See steigen konte, und selbiger zur Seiten zwey vortreffliche Kloben und Winden, vermittelst welcher man in einem Tage mehr als 1000. Centner Waaren auf= und nieder lassen konte. Der angenehme prospect auf die Sand=Banck, in die offenbare See, und dann lincker Hand in die schöne Bucht, welche aber einen sehr gefährlichen Eingang hatte, war gantz ungemein, ausser dem, daß man allhier auch die gantze Insul, als unser kleines Paradieß, völlig übersehen konte.
Nachdem wir über eine gute Stunde auf solcher Höhe verweilet, und glücklich wieder herunter kommen waren, ließ sich unser Altvater, nebst Herr M. Schmeltzern, bey einer kreissenden Frau antreffen, selbige kam bald darauff mit einer jungen Tochter nieder, und verrichtete Herr Mag. Schmeltzer allhier so gleich seinen ersten Tauff Actum, worbey Mons. Wolffgang, ich und die nechste Nachbarin Tauff=Pathen abgaben, (selbiges junge Töchterlein, welches das erste Kind war, so auf dieser Insul durch Priesters Hand getaufft worden, und die Nahmen Eberhardina Maria empfieng, ist auf der untersten Linie der IX. Genealogischen Tabelle mit NB.*** bezeichnet.) Wir wurden hierauff von dem Kindtauffen=Vater mit Wein, weissem Brodte, und wohlschmeckenden Früchten tract=[136]iret, reiseten also gegen die Zeit des Untergangs der Sonnen vergnügt zurück auf Alberts Burg.
Herr Mag. Schmeltzer war sehr erfreuet, daß er selbiges Tages ein Stück heilige Arbeit gefunden hatte, der Altvater vergnügte sich hertzlich über diese besondere Gnade GOTTES. Mons. Wolffgang aber schickte vor mich und sich, noch selbigen Abend unserer kleinen Pathe zum Geschencke 12. Ellen feine Leinewand, 4. Ellen Cattun, ein vollgestopfftes Küssen von Gänse=Federn, nebst verschiedenen kräfftigen Hertzstärckungen und andern dienlichen Sachen vor die Wöchnerin, wie denn auch vor die gantze Gemeine das deputirte Geschenck an 10. Bibeln und 20. Gesang= und Gebeth=Büchern ausgegeben wurde. Nachdem wir aber nunmehro unsere Tages=Arbeit verrichtet, und die Abend=Mahlzeit eingenommen hatten, setzte unser Alt=Vater die Erzehlung seiner Lebens=Geschicht also fort:
Wir hielten eine dermassen glückliche Farth, dergleichen sich wenig See=Fahrer zur selben Zeit, gethan zu haben, rühmten. Indem das Vor=Gebürge der guten Hofnung sich allbereit von ferne erblicken ließ, ehe wir noch das allergeringste von Regen, Sturm, und Ungewitter erfahren hatten. Der Capitain des Schiffs machte uns Hoffnung, daß wir aufs Längste in 3. oder 4. Tagen daselbst anländen, und etliche Tage auf dem Lande ausruhen würden; Allein die Rechnung war ohne den Wirth gemacht, und das Verhängniß hatte gantz ein anderes über uns beschlossen, denn folgenden Mittag umzohe sich der Himmel überall mit schwar=[137]tzen Wolcken, die Lufft wurde dick und finster, endlich schoß der Regen nicht etwa Tropffen, sondern Strohm=Weise auf uns herab, und hielt biß um Mitternacht ohne allen Unterlaß an. Da aber die sehr tieff herab hangenden Wolcken ihrer wichtigsten Last kaum in etwas entledigt und besänftigt zu seyn schienen, erhub sich dargegen ein dermassen gewaltiger Sturm=Wind, daß man auch vor dessen entsetzlichen Brausen, wie ich glaube, den Knall einer Canone nicht würde gehört haben. Diese unsichtbare Gewalt muste, meines Erachtens, unser Schiff zuweilen in einer Stunde sehr viel Meilen fortführen, zuweilen aber schiene selbes auf einer Stelle zu bleiben, und wurde als ein Kreusel in der See herum gedrehet, hernachmals von den Erstaunens=würdigen Wellen bald biß an die Wolcken hinan, augenblicklich aber auch herunter in den aufgerissenen Rachen der Tiefe geworffen. Ein frischer, und noch viel heftigerer Regen als der Vorige, vereinigte sich noch, zu unserem desto grössern Elende, mit dem Sturm=Winden, und kurtz zu sagen, es hatte das Ansehen, als ob alle Feinde und Verfolger der See=Fahrenden unsern Untergang auf die erschrecklichste Arth zu befördern beschlossen hätten.
Man sagt sonst: Je länger das Unglück und widerwärtige Schicksal anhalte, je besser man sich darein schicken lerne, jedoch daß dieses damals bey uns eingetroffen, kan ich mich nicht im geringsten erinnern. Im Gegentheil muß bekennen, daß unsere Hertzhafftigkeit, nachdem wir 2. Nächte und dritthalben Tag in solcher Angst zugebracht, vol=[138]lends gäntzlich zerfloß, weil die mit Donner und Blitz abermals herein brechende Nacht, schlechten Trost und Hoffnung versprach. Concordia und ich waren vermuthlich die allerelendesten unter allen, indem wir währenden Sturms nicht allein keinen Augenblick geschlaffen hatten, sondern auch dermassen matt und taumelnd gemacht waren, daß wir den Kopf gantz und gar nicht mehr in die Höhe halten konten, und fast das Eingeweyde aus dem Leibe brechen musten. Mons. de Leuven und Anton Plürs konten von der höchst sauren, und letzlich doch vergeblichen Arbeit auf dem Schiffe, kaum so viel abbrechen, daß sie uns zuweilen auf eine Minute besuchten, wiewol auch ohnedem nichts vermögend war, uns einige Linderung zu verschaffen, als etliche Stunden Ruhe. Wir höreten auf dem Schiffe, so offt der Sturm nur ein wenig inne hielt, ein grausames Lermen, kehreten uns aber an nichts mehr, weil sich unsere Sinnen schon bereitet hatten, das jämmerliche Ende unseres Lebens mit Gedult abzuwarten. Da aber die erbärmlichen Worte ausgeruffen wurden: GOTT sey uns gnädig, nun sind wir alle des Todes, vergieng so wol mir als der Concordia der Verstand solchergestalt, daß wir als Ohnmächtige da lagen. Doch habe ich in meiner Schwachheit noch so viel verspüret, daß das Schiff vermuthlich an einen harten Felsen zerscheiterte, indem es ein grausames Krachen und Prasseln verursachte, das Hintertheil aber, worinnen wir lagen, mochte sehr tieff unter Wasser gekommen seyn, weil selbiges unsere Kammer über die Helffte anfüllete, jedoch alsobald wieder zurück lief, [139] worauff alles in gantz verkehrten Zustande blieb, indem der Fuß=Boden zu einer Seiten=Wand geworden, und wir beyden Krancken uns in den Winckel der Kammer geworffen, befanden. Weiter weiß ich nicht, wie mir geschehen ist, indem mich entweder eine Ohnmacht oder allzustarcker Schlaf überfiel, aus welchem ich mich nicht eher als des andern Tages ermuntern konte, da sich mein schwacher Cörper auf einer Sand=Banck an der Sonne liegend befand.
Es kam mir als etwas recht ungewöhnliches vor, da ich die Sonne am aufgeklärten Himmel erblickte, und von deren erwärmenden Strahlen die allerangenehmste Erquickung in meinen Gliedern empfieng. Ich richtete mich auf, sahe mich um, und entsetzte mich gewaltig, da ich sonst keinen Menschen, als die Concordia, Mons. van Leuven, und den Schiffs=Capitain Lemelie, ohnfern von mir schlaffend, hinterwärts einen grausamen Felsen, seitwärts das Hintertheil vom zerscheiterten Schiffe, sonsten aber nichts als Sand=Bäncke, Wasser und Himmel sahe. Da aber die Seite, auf welcher ich gelegen, nebst den Kleidern, annoch sehr kalt und naß war, drehete ich selbige gegen die Sonne um, und verfiel aufs neue in einen tieffen Schlaf, aus welchem mich, gegen Untergang der Sonnen, Mons. van Leuven erweckte. Er gab mir einen mäßigen Topf mit Weine, und eine gute Hand voll Confect, welches ich noch halb schläferig annahm, und mit grosser Begierde in den Magen schickte, massen nunmehro fast in 4. Tagen weder gegessen noch getruncken hatte. Hierauff empfieng ich noch [140] einen halben Topf Wein, nebst einem Stück Zwieback, mit der Erinnerung, daß ich mich damit biß Morgen behelffen müste, weiln ein mehreres meiner Gesundheit schädlich seyn möchte.
Nachdem ich auch dieses verzehret, und mich durchaus erwärmt, auch meine Kleider gantz trucken befand, kam ich auf einmal wieder zu Verstande, und bedünckte mich so starck als ein Löwe zu seyn. Meine erste Frage war nach unsern übrigen Reise=Gefährten, weil ich, außer uns vier vorerwehnten, noch niemand mehr sahe. Muste aber mit grösten Leydwesen anhören, daß sie vermuthlich ingesammt würden ertruncken seyn, wenn sie GOtt nicht auf so wunderbare Art als uns, errettet hätte. Denn vor Menschlichen Augen war es vergeblich, an eines eintzigen Rettung zu gedencken, weiln die Zerscheiterung des Schiffs noch vor Mitternacht geschehen, der Sturm sich erstlich 2. Stunden vor Aufgang der Sonnen gelegt hatte, das Hintertheil des Schiffs aber, worauff wir 4. Personen allein geblieben, mit aller Gewalt auf diese Sand=Banck getrieben war. Ich beklagte sonderlich den ehrlichen Mons. Anton Plürs, der sich bey uns nicht sicher zu seyn geschätzt, sondern nebst allzuvielen andern Menschen, einen leichten Nachen erwehlt, doch mit allen diesen sein Begräbniß in der Tiefe gefunden. Sonsten berichtete Mons. van Leuven, daß er so wol mich, als die Concordiam, mit gröster Müh auf die Sand=Banck getragen, weil ihm der eigensinnige und Verzweiffelungs=volle Capitain nicht die geringste Handreichung thun wollen.
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