BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Schiller

1759 - 1805

 

Der versöhnte Menschenfeind

 

1790

 

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Zweyte Scene.

 

Angelika, Wilhelmine.

 

Wilhelmine. (steht auf und folgt ihm mit den Augen) Ein sonderbarer Mann! Immer fällts ihm aufs Herz, wenn diese Saite berührt wird. Es ist etwas unbegreifliches in seinem Schicksal.

Angelika. (sich unruhig umsehend) Es wird sehr spät. Er hat sonst nie so lang auf sich warten lassen – Rosenberg.

Wilhelmine. Er wird nicht ausbleiben. Wie ängstlich wieder und ungeduldig!

Angelika. Und dießmal nicht ohne Grund, liebe Tante – Wenn es fehlschlagen sollte! Ich habe diesen Tag mit Herzensangst herannahen sehen.

Wilhelmine. Erwarte nicht zu viel von diesem einzigen Tage!

Angelika. Wenn er ihm mißfiele? – Wenn sich ihre Karaktere zurückstießen? – Wie kann ich hoffen, daß er mit ihm die erste Ausnahme machen werde? – wenn sich ihre Karaktere zurückstießen? – Meines [105] Vaters kränkende Bitterkeit und Rosenbergs leicht zu reizender Stolz! Jenes Trübsinn und Rosenbergs heitre muthwillige Freude! – Unglücklicher konnte die Natur nicht spielen – und wer ist mir Bürge, daß er ihm einen zweyten Besuch nicht eben darum verweigert, weil er schon bei dem Ersten Gefahr lief, ihn hochzuschätzen?

Wilhelmine. Leicht möglich meine Liebe – Doch von allem dem sagte dir noch gestern dein Herz nichts.

Angelika. Gestern! So lang ich nur ihn sah, nur ihn fühlte, nichts wußte als ihn! Da sprach noch das leichtsinnige liebende Mädchen. Jezt ergreift mich das Bild meines Vaters und alle meine Hoffnungen verschwinden. O warum, konnte denn dieser liebliche Traum nicht fortdauren? Warum mußte die ganze Freude meines Lebens einem einzigen schrecklichen Wurf überlassen werden?

Wilhelmine. Deine Furcht macht dich alles vergessen, Angelika. Von dem Tage an, da dir Rosenberg seine Liebe bekannte, da er deinetwegen alle Bande zerriß, die ihn an seinen Hof, an die Vergnügungen der Hauptstadt gefesselt hielten, da er sich freywillig in die traurige Einöde seiner Güter verbannte, um dir näher zu seyn – seit jenem Tage hat der Gedanke an deinen Vater deine Ruhe vergiftet. Warst du es nicht selbst, die an der Heimlichkeit dieses Verständnisses Anstoß nahm? Die [106] mit unablässigen Bitten und Mahnungen so lange in ihn stürmte, bis er ungern genug, sein Versprechen gab, sich um die Gunst deines Vaters zu bewerben. Mein Vater sagtest du, hängt nur noch durch ein einziges Band an den Menschen, die Welt hat ihn auf ewig verloren, wenn er die Entdeckung macht, daß auch seine Tochter ihn hintergangen hat.

Angelika. (mit reger Empfindung) Nie, nie soll er das! – Erinnern sie mich noch oft liebe Tante. Ich fühle mich stärker, entschloßner. Alle Welt hat ihn hintergangen – aber wahr  soll seine Tochter seyn. Ich will keinen Hofnungen Raum geben, die sich vor meinem Vater verbergen müßten. Bin ich es seiner Güte nicht schuldig? Er gab mir ja alles. Selbst für die Freuden des Lebens erstorben, was hat er nicht gethan, um mir sie zu schenken? Mir zur Lust schuf er diese Gegend zum Paradies, und ließ alle Künste wetteifern, das Herz seiner Angelika zu entzücken und ihren Geist zuveredeln. Ich bin eine Königinn in diesem Gebiet. An mich trat er das göttliche Amt der Wohlthätigkeit ab, das er mit blutendem Herzen  selbst  niederlegte. Mir gab er die süße Vollmacht, das verschämte Elend zu suchen, verhehlte Thränen zu troknen, und der flüchtigen Armuth eine Zuflucht in diesen stillen Bergen zu öffnen. – Und für alles dieses, Wilhelmine, legt er mir nur die leichte Bedingung auf, eine Welt zu entbehren, die ihn von sich stieß. [107]

Wilhelmine. Und hast du sie nie übertreten, diese leichte Bedingung?

Angelika. – Ich bin ihm ungehorsam geworden. Meine Wünsche sind über diese Mauern geflogen – Ich bereue es, aber ich kann nicht wieder umkehren.

Wilhelmine. Ehe Rosenberg in diesen Wäldern jagte, warst du noch sehr glücklich.

Angelika. Glücklich, wie eine Himmlische – aber ich kann nicht wieder umkehren.

Wilhelmine. So auf einmal hat sich alles verändert? Auch deine sonst so traute Gespielin, diese schöne Natur, ist dieselbe nicht mehr?

Angelika. Die Natur ist die nehmliche, aber mein Herz ist es nicht mehr. Ich habe Leben gekostet, kann mich mit der todten Bildsäule nicht mehr zufrieden geben. O wie jezt alles verwandelt ist um mich herum. Er hat alle Erscheinungen um mich her bestochen. Die aufsteigende Sonne ist mir jezt nur ein Stundenweiser seiner Ankunft, die fallende Fontaine murmelt mir seinen Namen, meine Blumen hauchen nur seinen Athem aus ihren Kelchen. – Sehen Sie mich nicht so finster an, liebe Tante – Ist es denn meine Schuld, daß [108] der erste Mann, der mir ausserhalb unsrer Grenzsteine begegnete, gerade Rosenberg war?

Wilhelmine. (gerührt sie ansehend) Liebes unglückliches Madchen – also auch du – ich bin unschuldig, ich hab es nicht hintertreiben können – Klage mich nicht an, Angelika, wenn du einst deinem Schicksale nicht entfliehen wirst.

Angelika. Immer sagen Sie mir das vor, liebe Tante. Ich verstehe sie nicht.

Wilhelmine. – Der Park wird geöffnet.

Angelika. Das Schnauben seiner Diana! – Er kommt. Es ist Rosenberg. (ihm entgegen.)