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- D a s L i e d v o n d e r G l o c k e
1 7 9 9
Text nach der
Ausgabe letzter Hand, in:
Schillers Werke, Nationalausgabe
2. Band. Teil I, S. 227-239, 1983:
Gedichte in der Reihenfolge
ihres Erscheinens 1799 - 1805
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- D a s L i e d
v o n d e r G l o c k e .
Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.
Fest gemauert in der Erden,
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch, Gesellen! seyd zur Hand.
- 5
- Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
- 10
- Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jezt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
- 15
- Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
- 20
- Was er erschafft mit seiner Hand.
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es seyn,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
- 25
- Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.
Was in des Dammes tiefer Grube
- 30
- Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
Hoch auf des Thurmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr,
- 35
- Und wird mit dem Betrübten klagen,
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängniß bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
- 40
- Die es erbaulich weiterklingt.
Weisse Blasen seh' ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
- 45
- Auch von Schaume rein
Muß die Mischung seyn,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.
Denn mit der Freude Feierklange
- 50
- Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschooße
Die schwarzen und die heitern Loose,
- 55
- Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen. –
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt in's Leben wild hinaus
- 60
- Durchmißt die Welt am Wanderstabe,
Fremd kehrt er heim in's Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmels Höh'n,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
- 65
- Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Thränen,
Er flieht der Brüder wilden Reih'n.
- 70
- Erröthend folgt er ihren Spuren,
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
- 75
- Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit,
O! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!
- 80
- Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch' ich ein,
Sehn wir's überglas't erscheinen,
Wird's zum Gusse zeitig seyn.
Jezt, Gesellen, frisch!
- 85
- Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
- 90
- Da giebt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
- 95
- Spielt der jungfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebens-Mai,
- 100
- Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
- 105
- Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
In's feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
- 110
- Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Haabe,
- 115
- Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
- 120
- Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen, und wehret den Knaben,
Und reget ohn' Ende
Die fleissigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
- 125
- Mit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
- 130
- Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Ueberzählet sein blühend Glück,
- 135
- Siehet der Pfosten ragende Bäume,
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
- 140
- Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten,
- 145
- Und das Unglück schreitet schnell.
Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
- 150
- Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr' das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.
Wohlthätig ist des Feuers Macht,
- 155
- Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
- 160
- Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
- 165
- Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild' der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
- 170
- Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr's wimmern hoch vom Thurm?
Das ist Sturm!
- 175
- Roth wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut
Welch Getümmel
Straßen auf!
- 180
- Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
- 185
- Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Thiere wimmern
Unter Trümmern,
- 190
- Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
- 195
- Sprützen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
- 200
- In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reissen, in gewalt'ger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
- 205
- Rießengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.
- 210
- Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
- 215
- Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Haabe
- 220
- Sendet noch der Mensch zurück –
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe,
Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben
- 225
- Und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.
In die Erd' ists aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
- 230
- Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.
Dem dunkeln Schooß der heil'gen Erde
- 235
- Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rath.
Noch köstlicheren Saamen bergen
- 240
- Wir traurend in der Erde Schooß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Loos.
Von dem Dome,
Schwer und bang,
- 245
- Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattinn ists, die theure,
- 250
- Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schaar,
Die sie blühend ihm gebahr,
- 255
- Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust –
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
- 260
- Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.
- 265
- Bis die Glocke sich verkühlet
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder gütlich thun.
Winkt der Sterne Licht,
- 270
- Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.
Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
- 275
- Nach der lieben Heimathütte.
Blöckend ziehen heim die Schaafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Schaaren
Kommen brüllend,
- 280
- Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
- 285
- Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straßen werden stiller
- 290
- Um des Licht's gesell'ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadtthor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
- 295
- Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Heilge Ordnung, segenreiche
- 300
- Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell'gen Wilden,
- 305
- Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten,
Und das theuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!
Tausend fleiß'ge Hände regen,
- 310
- Helfen sich in munterm Bund
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz.
- 315
- Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
- 320
- Ehret uns der Hände Fleiß.
Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
- 325
- Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Thal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röthe
- 330
- Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
- 335
- Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock' soll auferstehen,
- 340
- Muß die Form in Stücken gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
- 345
- Blindwüthend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
- 350
- Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfarth nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schooß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
- 355
- Das Volk, zerreissend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt,
Und, nur geweiht zu Friedensklängen
- 360
- Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
- 365
- Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
- 370
- Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
- 375
- Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh' denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
- 380
- Und äschert Städt' und Länder ein.
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
- 385
- Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Herein! herein!
- 390
- Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name seyn,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.
- 395
- Und dies sey fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch über'm niedern Erdenleben
Soll sie in blauem Himmelszelt
Die Nachbarinn des Donners schweben
- 400
- Und gränzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme seyn von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
- 405
- Nur ewigen und ernsten Dingen
Sey ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr' im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
- 410
- Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
- 415
- So lehre sie, daß nichts bestehet,
Das alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock' mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
- 420
- Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sey ihr erst Geläute.
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