BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

August Lafontaine

1758 - 1831

 

Leben und Thaten des Freiherrn

Quinctius Heymeran von Flaming

 

Dritter Theil

 

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Quinctius Heymeran von Flaming.

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Dritter Theil.

 

Im Wagen überlief der Baron nun noch einmal seinen Reiseplan, den Auguste mit ihren blonden Ahnen, und Lissows Unglück einigermaßen in Vergessenheit gebracht hatten. Schon war er Monathe lang abwesend, und hatte Karolinen noch nicht eine einzige Anekdote à la l'homme voyageur schreiben können. Er blieb in Treuenbriezen, in Wittenberg, in Düben jedesmal einen Tag, und brachte ihn damit hin, daß er im Orte umherschlenderte, vor allen kleinen, verfallenen Häuschen stehen blieb, und wartete, ob nicht ein junges Mädchen laut schreiend heraus stürzen und ihn um seine Hülfe anflehen würde. Aber die Thüren blieben verschlossen, oder die Menschen, die heraustraten, sahen zum Theil so vergnügt, zum Theil so gleichgültig aus, daß keine Hoffnung war, einen Brief über sie zu schreiben.

Bei jedem Menschen, in dessen Gesichte der Baron nur die kleinste Spur von Kummer sah, blieb er stehen, redete ihn an, und fragte; doch immer bekam er eine beißende Antwort, oder die Versicherung: ich bin vergnügt. „Das ist doch sonderbar!“ rief er ärgerlich; „giebt es denn nicht mehr so viel Unglück in der Welt, daß man einen Brief darüber schreiben kann? ... Großer Gott!“ setzte er hinzu: „hier bin ich, entschlossen zu helfen; und nun – was das für Menschen sind! – ist kein Unglücklicher zu sehen!“ Doch schon in demselben Augenblicke fühlte er mit Beschämung die Unbarmherzigkeit seines Wunsches.

Er machte die Reise nach Leipzig, ohne weiter etwas Merkwürdiges zu thun, als daß er sich zwischen Wittenberg und Düben auf den Stein setzte, auf dem der Reformator Luther so oft gesessen haben soll, da nachsann, die Stirn rieb, und endlich sagte: „hier saß ehemals Luther; jetzt ich! Und wer weiß, ob nicht einmal nach Jahrhunderten ein Reisender sagt: hier saß der große Flaming, der Erfinder des Systems, die Menschenstämme zu veredeln!“ – He! Ihr Gnaden, sagte der Postillion, als Flaming wieder im Wagen saß, und zeigte mit der Peitsche nach dem Steine – so ein Mann kommt auch nicht wieder! Ich sage immer: der selige Doktor Luther, und der Mann, der die Kartoffeln erfand, haben nicht ihres Gleichen; der eine hat die Seele, der andere den Magen satt gemacht: und darüber geht doch in der Welt nichts. Ja, wenn ich so mit der Postkalesche an dem Steine wegfahre, und daran denke, daß der kleine Bursche, der so ein Mann wurde, da gesessen hat; dann wünsch' ich immer: wärst du doch damals schon Postillion gewesen! Ich hätte ihn jedesmal frei mit nach Wittenberg genommen, ohne mich an das Verbot des Postmeisters zu kehren. Nun könnte ich doch sagen: den großen Mann hab' ich gefahren! –

„Schwager“, erwiederte der Baron; „vielleicht hat Er schon einen größern Mann gefahren, als Luther gewesen ist.“

Der Postillion schüttelte den Kopf. Ne, ne; das hätte ich ja merken müssen. Kaufleute und Juden, die schwere Menge; auch Edelleute, Officier, Frauenzimmer von allerlei Ständen: aber noch keinen großen Mann.

„Noch keinen, meint Er? Er kann ja nicht wissen, wen er heute fährt!“

Der Postillion wendete sich geschwind um, sah den Baron starr an, dann wieder vorwärts, und schüttelte den Kopf. Nun? fragte er auf einmal; wer sind Sie denn, Ihr Gnaden? Was haben Sie denn gethan? Großes, mein' ich.

„Ei, lieber Schwager, hatte denn Luther in seinen jungen Jahren schon etwas Großes gethan? Und das Große lag doch schon in ihm.“

Ist wohl wahr; aber ich will darauf wetten, Luther hat damals auch noch nicht gesagt oder gedacht: ich bin ein großer Mann. – Flaming erröthete. – Das will ich thun! fuhr der Postillion fort; lieber Gott, wenn's darauf ankäme, so wären alle Menschen Luthers. Nein, Hunde, die bellen, beißen nicht. Ich will wohl behaupten, Ihr Gnaden, daß Luther erst daran gedacht hat, ein großer Mann zu werden, als er es schon war. Ja, es kann wohl seyn, daß Sie noch einmal große Dinge thun in der Welt; aber dann ist es doch gewiß das nicht, was Sie jetzt denken. Denn das Große, was in einem Menschen steckt, das muß, denk' ich, so auf einmal heraus, wie die Funken aus dem Feuerstahle. Man muß nicht eher davon reden, als bis es da ist; das Andere ist bloße Eitelkeit. Als zum Exempel mein Junge zu Hause: der will immer General werden. Ich lache dazu.

Der Baron schwieg den übrigen Weg beschämt, und gab dann dem Postillion ein doppeltes Trinkgeld, um sich selbst zu beweisen, daß er keinen Groll auf ihn habe.

In Leipzig war es Flamings erstes Geschäft, in den engen Nebengassen auf und ab zu gehen, um Stoff für Briefe an Karolinen zu sammeln. Wirklich fand er hier, was er suchte: einen Unglücklichen; aber sein eigenes Herz litt dabei nicht wenig. Aus einem kleinen Hause kam ein armer Mann, mit tiefem Kummer in seiner Miene. Flaming, der jeden starr ansah, betrachtete auch ihn genau, und erinnerte sich dunkel, ihn schon gesehen zu haben. Auch der Mann betrachtete den Baron starr, als ob er sich auf das Gesicht besinnen wollte. Auf einmal schien er den Baron zu erkennen, und zugleich wurde seine Miene Widerwille, Zorn und Abscheu. „Er scheint mich zu kennen, mein Freund!“ hob Flaming an, und nicht sehr freundlich, weil der Mann ein sehr negerartiges Gesicht hatte. – Ja, leider, kenne ich Sie, erwiederte der Andre; und Flaming erkannte ihn nun sogleich an der Stimme.

Es war Konrad, des Schulzen Sohn, der mit Rosinen, Herrmanns Tochter, Zaringen heimlich verlassen hatte. „Ach, Konrad!“ rief der Baron mit gutherziger Freude, und bot ihm die Hand. „Gott Lob! ich sehe dich gesund wieder! Deine Rosine ist doch auch gesund? Geschwind, Konrad, antworte! Seyd ihr glücklich? Nun, lieber Konrad, es ist wahr, ich habe dich beleidigt; aber ich will alles wieder gut machen.“

Gut machen? sagte Konrad, und trocknete sich mit einem kleinen Schnupftuche, das er hervorzog und lange betrachtete, die Augen. Gut machen? wiederholte er noch einmal, und schüttelte sanft den Kopf. Ach, das hab' ich ja nicht gekonnt; wie wollten Sie es denn, Ihr Gnaden! Zwar sind Sie wohl am meisten Schuld daran; aber ich doch fast so viel als Sie. Gott mag es mir vergeben! Das Unglück ist geschehen! – So schloß er mit einem tiefen Seufzer.

„Ist Rosine todt?“ fragte Flaming furchtsam. – Ach, wollte Gott! sagte Konrad, und sein stilles Weinen wurde ein heftiges Schluchzen. – „Aber so rede doch! wo ist sie?“ – Konrad zeigte mit der Hand nach dem Hause, aus dem er gekommen war, und sagte: da, unter dem Dache!

Flaming ließ ihn stehen, und ging in das Haus, lief die Treppen hinan, so hoch er kommen konnte, und öffnete die Thür einer Dachkammer. Da saß Rosine an einem Spinnrade, ein wenig bleich, mit schlaffen Gesichtszügen und matten, halb erloschenen Augen. Flaming sah sie an, um die Ursache heraus zu bringen, warum Konrad wünschte, daß sie todt seyn möchte. Eben kam Konrad die Treppe herauf. „Nun?“ fragte Flaming ihn, mit einem Blick auf Rosinen: „was ist ihr denn?“ – Rosine sah Beide wechselsweise an. Konrad war verlegen, und zupfte den Baron am Kleide, daß er die Kammer verlassen möchte; allein der Baron trat auf Rosinen zu.

Jetzt sah er freilich, daß eine große Veränderung mit ihr vorgegangen war. „Du bist krank gewesen, armes Mädchen?“ fragte er gutherzig. – Ja, antwortete Rosine mit einem empfindlichen Tone; aber was geht das Sie an? – „Mich, liebes Kind? Viel, sehr viel! ... Und ich bin hier, es wieder gut zu machen; denn ich bin ja Schuld an deinem Elende, an deiner Krankheit.“ Sie? fragte Rosine, und betrachtete den Baron, den sie noch immer nicht erkannte, genauer. Wenn Sie es wissen – es hat dem armen Menschen (auf Konraden zeigend) an fünfzig Thaler gekostet, und seitdem bin ich nicht wieder gesund geworden. ... Ich wollte, fuhr sie weinend fort, daß ich mein Tage keinen von Ihnen gesehen hätte. Ihr, ihr habt mich auf der Seele. Ach, Konrad, wäre ich dir gefolgt, und nicht den abscheulichen Bösewichtern! – Sie verbarg ihr Gesicht in ein kleines Tuch, und schluchzte.

Flaming stand, wie von einem Blitze getroffen, und sah Konraden an. – Rosine! sagte Konrad, besinne dich doch! Das ist ja keiner von den abscheulichen Menschen, die dich unglücklich gemacht haben; es ist ja der gnädige Herr von Zaringen. Jetzt erkannte ihn Rosine, und eine glühende Schamröthe überzog ihr Gesicht. Sie wimmerte mit den Tönen eines vor Scham und Reue gebrochenen Herzens, legte die Stirn auf einen kleinen Tisch, und winkte mit der Hand, daß sie gehen sollten. Konrad faßte den Baron an, und flisterte leise mit flehenden Blicken: kommen Sie, um Gottes willen, Ihr Gnaden! Ihr Anblick muß dem armen Mädchen das Herz vollends brechen. So zog er den Baron sanft zur Thür hinaus, und dieser folgte ihm, ohne es zu wissen. Er ging neben Konraden her, die Gasse hinauf, nach seinem Wirthshause zu, schüttelte einmal über das andere den Kopf, und sagte schmerzlich: „ach Gott!“

Konrad wollte ihn vor der Thür verlassen; allein Flaming hielt ihn fest. „Nein“, sagte er mit tiefer Rührung; „nein, Konrad, du bleibst bei mir! O, ihr Unglücklichen, wie soll ich das wieder gut machen, was ich euch zu leide gethan habe! ... Ich will Alles wissen, Alles! ... So unglücklich, und – durch mich!“

Er faßte Konrads Hand, und zog ihn so mit sich in sein Zimmer. Hier warf er mitleidige Blicke auf Konraden. „Armer, armer Mensch!“ sagte er, und seine Augen benetzten sich mit edlen, schönen Thränen; „ich weiß, ich ahne, was ich hören werde. Ach, guter Gott! das reitzende Mädchen krank, in Lumpen, vielleicht ohne Nahrung, ohne ... Konrad, ich habe kein Bett bei ihr gesehen!“ Konrad zuckte die Schultern. „Barmherziger Gott!“ rief Flaming, und eilte die Treppe hinunter zu dem Wirthe. Mit Thränen in den Augen rief er, und drückte dem Manne die Hand: „ein Zimmer, Herr Wirth! ein Bett, so weich Sie es nur haben, für eine Unglückliche, die durch mich unglücklich ist! Ich bitte, eilen Sie; und ich will doppelt zahlen.“ Voll von dem Gedanken an die Unglückliche und an sein Unrecht, lief er nun zu Rosinen. „O, du armes, bedaurungswürdiges Mädchen!“ sagte er, als er in ihre Kammer trat, und faßte ihre Hand; – „komm in meinen Schutz, in den Schutz des Mannes, durch den du unglücklich geworden bist! Ich habe ein Herz, ich habe Thränen und Reue für dich.“ Er blickte in der Kammer umher, sah ein Strohlager mit Lumpen bedeckt, und schlug langsam die Hände zusammen. „O Gott!“ flisterte er leise; „wie soll ich das wieder gut machen!“ Nun faßte er Rosinen an, führte sie behutsam die Treppe hinunter, und ging mit ihr über die Straße, ohne nur einmal zu bemerken, daß die Vorübergehenden stehen blieben, und sich über die Bettlerin an dem Arme eines sehr reich gekleideten Mannes wunderten.

Rosine wußte nicht, wie ihr geschah; sie wollte ihm nicht folgen, und war schon mit ihm an der Thüre des Wirthshauses. Der Baron führte sie auf ihr Zimmer. „Hier, meine gute Rosine, hier ruhe dich aus, und erhole dich von deinem Elende! Sag, was du gebrauchst: Alles sollst du haben. Ich bitte dich, liebes Mädchen, lege dich nieder.“ Er bestellte Essen, Kleider, einen Arzt, und alles, was zu Rosinens Bequemlichkeit dienen konnte. Dann ging er wieder auf sein Zimmer zu Konraden, und bestand darauf, daß dieser mit ihm essen sollte. Als sie nach Tische allein waren, bat er Konraden, ihm seine und Rosinens Schicksale zu erzählen. „Glaube mir, Konrad“, sagte er, und legte ihm die Hand auf die Schulter; „von nun an sollt ihr nichts erfahren, als Glück und Ueberfluß. Erzähle; verschweige mir nichts: und – wenn auch mein Herz darüber zerreißen müßte.“

Konrad sah erst eine Zeitlang zu Boden, als ob er sich sammeln wollte; dann trocknete er sich die Augen, und fing mit Ehrfurcht und wohlwollender Empfindung an.

Ich und Rosine gingen aus Zaringen weg. Wir konnten Ihnen nicht gehorchen, Ihr Gnaden. Ach, Sie glauben gar nicht, wie lieb ich damals Rosinen hatte, und Rosine mich! Sie hätte, trotz meinem Mohrengesichte, das ich ja haben soll, nicht von mir gelassen, und wenn ich auch noch obendrein schwarz wie ein Mohr gewesen wäre.

(Bis dahin hatte der Baron mit keinem Gedanken an sein System gedacht, und in Konraden nur den Menschen gesehen; jetzt aber fiel ihm dessen Gesicht wieder sehr auf, und er wurde desto begieriger auf die Geschichte.)

Wir gingen in das Sächsische nach Düben, wo ein Bekannter von mir wohnte. Da wollten wir uns nun sogleich trauen lassen; das ging aber nicht, weil es im Sächsischen viele Umstände macht. Sie verlangten Scheine aus Zaringen; und die konnten wir nicht schaffen. Das war das erste Unglück. Ich wurde Knecht in Düben; Rosine wohnte ein Paar Häuser weit von mir, und spann. Wir konnten leben, da wir fleißig waren. Um einen Thaler Geld beizulegen, behalf ich mich elend, und that es mit Freuden.

Der Baron nickte. „Ja, ja! das Behelfen wird euch nicht schwer!“

Es wurde mir sehr leicht, fuhr Konrad fort; denn ich that es aus Liebe zu Rosen. Eine Zeitlang ging Alles gut; nun aber sah ich, daß Rose ein Band hatte, dann ein Tuch, dann wieder sonst etwas, ohne es von mir bekommen zu haben. Sie ging jetzt zu Tanze mit den Soldaten, die in Düben standen. Ich hatte nichts Arges daraus, und war desto sparsamer. Sie ist jung, dachte ich; laß sie vergnügt seyn. Dabei blieb es aber nicht. Ein junger Officier war hinter ihr her. Ich schüttelte wohl den Kopf, wenn ich sie des Abends mit ihm vor der Thüre antraf; aber sie lachte mich aus, und es war wieder gut. Endlich wurde es immer ärger und ärger. Ich warnte Rosinen; und als das nicht half, sagte ich ihr: wir wollten von Düben wegziehen in das Preußische, wo es mit dem Trauen doch nicht so gar schwer hält. Da drohete der Officier mit Schlägen. Rosine wollte nicht von Düben weg. Ich sah wohl, daß sie es nicht mehr so recht mit mir meinte; – (der Baron nickte) – aber verlassen konnte ich sie doch nicht, sie mochte auch thun, was sie wollte. Das hatte ich mir selbst geschworen; denn sie war ja mir zu Liebe aus Zaringen weggelaufen. Ich bat sie mit Thränen, wieder zu werden wie sonst. Aber nun wurde sie empfindlich, gab mir spitze Worte, und that hinterher doch, was nicht recht war. Ach! ich wurde wohl manchmal bitter und böse auf sie; doch dann fiel mir immer ein, daß ich sie zum Weglaufen beredet hatte, und ich blieb geduldig. Endlich mußte die Garnison von Düben weg. Ich dankte Gott dafür recht herzlich. Nun, dachte ich, soll alles wieder ins Geleise kommen. Denn lieb, das wußte ich, hatte sie mich noch immer; aber Fleisch und Blut mochten ihr wohl zu mächtig werden.

„Du meinst, guter Konrad, sie wäre wollüstig gewesen? Nein, das war sie nicht; dafür stehe ich dir.“

Ach, Ihr Gnaden, leider war sie es; sie hat es mir nachher selbst gestanden. Freilich war sie verführt, das weiß ich wohl; aber in ihrem Blute muß es doch gelegen haben. Warum blieb ich ihr denn treu? ... Es wurden mir viele Vorschläge gemacht, weil ich fleißig und ordentlich war. Nun fand ich Rosinen immer still und unruhig, wenn ich zu ihr kam, und ganz besonders. Sie nahm mich in ihre Arme, und drückte mich an ihre Brust; aber dabei standen ihr Thränen in den Augen. Das machte ihr Gewissen, und dann noch immer die alte Liebe zu mir; denn sehen Sie, da hatte sie schon den Anschlag gemacht, mit dem Officier nach Leipzig zu gehn.

Die Soldaten zogen ab, und den andern Tag war auch Rose fort. In der ersten Hitze schwor ich, mich nie wieder um sie zu bekümmern; aber schon nach vier Wochen war ich anders gesonnen. Ich überdachte ihr Schicksal, und – glauben Sie mir, gnädiger Herr, ich habe darüber die Thränen geweint, die sie hätte weinen sollen. Mit meiner Liebe war es freilich vorbei; aber desto herzlicher wurde nun mein Mitleiden. Ich stellte mir schon vorher vor, wie es mit Rosen kommen würde: liederlich, verschwenderisch, krank, und zuletzt arm. Nun darbte ich mir jeden Heller ab, um Geld zu haben, wenn das unglückliche Mädchen von allen Menschen verlassen seyn würde. Der Bauer, bei dem ich diente, bot mir seine Tochter an, weil ich so treu und fleißig war. Ich hätte das Mädchen wohl genommen; aber ich konnte nicht: denn ich mußte ja nur für Rosinen leben und arbeiten.

Ich zog nach Leipzig, wo Rosine war, und vermiethete mich in einem Gasthofe als Hausknecht, um bei der Hand zu seyn. Der Officier bezahlte da eine Stube für sie. Ich hätte sie fast nicht gekannt, als ich ihr zum ersten Male begegnete: so geputzt ging sie. Sie wurde roth, als sie mich sah. Ach, sie schämte sich doch noch! ... Ich redete sie an, und sagte ihr mit Thränen vorher, wie es ihr gehen würde. Sie weinte wohl; aber meine Vorstellungen halfen nicht, da sie nun schon an das Wesen gewöhnt war. Das Herz wollte mir brechen, wenn ich an sie dachte. Auf einmal verschwand sie aus dem Hause, und ich konnte lange nicht erfahren, wo sie wäre. Der Officier war ihrer überdrüßig geworden. Lieber, barmherziger Gott! meine Rosine steckte in einem liederlichen Hause. Glauben Sie, ich habe vor ihr auf den Knieen gelegen, und sie gebeten, das Haus zu verlassen. Dann weinte sie; aber es war, als ob sie an Gott und Menschen verzweifelt wäre. Lange nachher hat sie mir gestanden, sie hätte mir nicht getrauet, sich zu sehr vor mir geschämt und mir keinen Dank schuldig seyn wollen. Endlich schickte sie zu mir, und ließ mich rufen. Ach, den Tag werde ich mitten im Himmel nicht vergessen! Sie war in Lumpen gekleidet, mager, blaß und matt. Mit keinem Auge konnte sie mich ansehen. Ich bin krank, sagte sie, und lachte so halb und halb dabei. Mir gingen die Augen über bei dem Lachen. Mich hungert so sehr, sagte sie nun, und fing an, fürchterlich zu weinen, und die Zähne zusammen zu stoßen, als ob sie das Fieber hätte. Ach, ich mußte laut schreien, so weh that mir das Herz. Sie stieß gegen den Officier, von dem sie verführt war, einen Fluch aus, daß mir die Glieder vor Angst zitterten. Ich nahm sie mit mir in das Haus, und dankte Gott auf den Knieen, daß ich mir etwas gespart hatte; denn nun konnte ich ihr doch Gutes thun. Aber der Arzt, die Arzenei, und einige Kleidungsstücke, die ich ihr kaufte – das alles nahm mein Bißchen Geld bald weg. Ach, Ihr Gnaden, heute hatte ich nichts mehr für sie. Noch nicht einen Bissen habe ich heute genossen, außer hier bei Ihnen; mein Essen hat sie bekommen. Ich selbst bin elend bei dem Leben geworden. Sehen Sie, am Tage hatte ich die schwere Arbeit im Hause; dann, wenn alles zu Bette war, saß ich in meiner Kammer, und spann Wolle bis Mitternacht, ja manchmal bis des Morgens, um sie nur ernähren zu können. O, wie manchen Tag habe ich von Wasser gelebt, und ihr am Abend mit Freuden mein Essen hingetragen!

Konrad fing nun an laut zu weinen. Flaming wendete sich ab, um die Thränen zu verbergen, die auch über seine Wangen strömten. Auf einmal wendete er sich zu Konrad, schloß ihn zärtlich in seine Arme, und sagte: „o, du edler, du guter, großmüthiger Mensch! wie beneid' ich dir das reine, edle, große Herz, das in deiner Brust schlägt!“

Konrad versprach, als er wegging, den andern Morgen wieder zu kommen. Flaming legte sich nieder; aber er konnte kein Auge zuthun, weil Rosinens Schicksal ihm zu schwer auf der Seele lag. Er fühlte sein Unrecht, und sann auf Plane, es wieder gut zu machen. Dabei dachte er auch mit Bewunderung an Konrads reinen Edelmuth: „Welch ein großer Mensch!“ sagte er die Nacht hindurch wohl hundertmal zu sich selbst. Doch, als er eine Stunde geschlafen hatte, war seine Bewunderung schon weniger lebendig. „Dieser schwarze Negerkopf?“ dachte er: „wie ist das möglich! Und diese schlanke, blauäugige Blondine? Noch unmöglicher!“ Er grübelte stundenlang, wie das mit seinem Systeme zu vereinigen wäre. „Es ist nicht so“, rief er endlich, „wie Konrad es mir erzählt hat. Ich thue am besten, wenn ich zu Rosinen hinüber gehe; da werde ich ja hören!“

Er ging zu Rosinen, und ihre Augen füllten sich mit dankbaren, zärtlichen Thränen, sobald er nur von Konrad anfing. Sie hob die gefalteten Hände zum Himmel auf, betete rührend für den edlen Menschen, und klagte sich der grausamsten, abscheulichsten Undankbarkeit gegen ihn an. O, rief sie zuletzt mit einer furchtbaren Ueberspannung, mit flammenden Augen, hochschlagender Brust, und erschütternder Stimme: o nein, keine Mutter, kein Vater, kein Engel hätte so an mir gehandelt, wie Konrad! Und ich weiß, Gott hat mir meine Sünden um seinetwillen vergeben! Ach, – sagte sie nun wieder, mit einem Strome heißer Thränen, und mit erstickter Stimme, in das Betttuch verhüllt, die Hände schmerzlich ringend: – ach, wie habe ich ihn beleidigt! wie gequält! wie betrogen! Nein, nein! Gott kann mir nicht vergeben!

Ihr Enthusiasmus riß den Baron aufs neue mit hin, so daß er in Lob, in Bewunderung des edlen Menschen ausbrach. Jetzt öffnete Konrad die Thür, und ein seelenvolles Lächeln, demüthige, anbetende Blicke des Mädchens empfingen ihn. Konrad drückte dem wohlthätigen Baron die Hände, als er Rosinens jetzigen Zustand sah. Flaming ließ Beide allein. Das Negergesicht verschwand in seiner Phantasie, und anstatt dessen sah er einen Apollokopf mit goldenen Locken auf Konrads Schultern. „Eine Ausnahme von der Regel!“ sagte er endlich, mit sich zufrieden.

Rosine erholte sich unter der Pflege eines vernünftigen Arztes, und bei besseren Nahrungsmitteln. Die Farbe kehrte wieder auf ihre Wangen, das Feuer in ihr Auge zurück. Flaming ließ ihr gute Kleider machen, und bemerkte jetzt erst, daß sie noch immer ein sehr reitzendes Geschöpf war. Ihr ehemaliger jungfräulicher Blick, und die frische, glänzende Farbe der Unschuld, wurde durch einen Zug von sanfter Traurigkeit, von stillem, geduldigem Gram freilich nicht ersetzt, doch wenigstens darüber vergessen. Je gesunder Rosine wurde, und je mehr die Züge der Schönheit in ihr Gesicht zurückkehrten, desto trauriger wurde sie, und auch Konrad. Der gute Mensch behandelte Rosinen mit einer zärtlichen Freundlichkeit, aber zugleich auch vorsichtig zurückgezogen; sie hingegen ihn mit einer brennenden Leidenschaft, die indeß zu feierlich war, um etwas mehr zu seyn, als die höchste Dankbarkeit. Flaming hielt dies Betragen für zurückkehrende Liebe, weil er nicht merkte, daß ihrer Empfindung von beiden Seiten die schönste Blüthe, das Vertrauen, fehlte. Er glaubte, Beide hätten nur nicht den Muth, sich gegen einander zu erklären, und ergriff daher die erste Gelegenheit, dies zu bewirken. Konrad fragte einmal Rosinen, wie sie sich befände; und sie antwortete lächelnd: besser als ich es verdiene. Nun brach der Baron los. „Ich weiß, was euch Beiden fehlt, Kinderchen“, sagte er, und nahm erst Konrads, dann Rosinens Hand. „Diese beiden Hände muß ein Prediger zusammenlegen. Nicht wahr, Rosine? nicht wahr, Konrad?“ – Konrad sah vor sich nieder, und schwieg; doch zog er die Hand nicht zurück. Rosinens Hand fing an heftig zu zittern. „Nun, Konrad?“ sagte der Baron; „rede!“

Konrad antwortete langsam: wenn es Rosinen glücklich machen kann, so sey es!

Rosine zog ihre Hand heftig zurück, und wurde bleich. Sie wollte reden, konnte nicht, sank, die Hände ringend, auf einen Stuhl, und sah den Baron mit wilden, bittenden Augen an. „Rosine“, sagte der Baron; „sey keine Thörin! stoß dein Glück nicht von dir!“ – Nein! nimmermehr! rief sie endlich schluchzend. Der Baron drang in sie; Konrad aber sagte mit großer Rührung: Ihr Gnaden, verschonen Sie Rosinen. Sie wird, sie kann nie einwilligen!

Aber, rief sie heftig, deine Magd seyn, Konrad, so lange dies Auge Thränen weinen kann.

Nicht Magd, Rosine, sagte Konrad, und reichte ihr die Hand; mein Liebstes auf der Welt, mein Alles. Nein, das Andere würde dein Herz brechen. Rosine, das verlang' ich nicht. Nein, Rosine, traue mir! Nimmermehr!

Nimmermehr? O, Konrad, gewiß? niemals? und wenn ich vor deinen Augen darüber sterben sollte?

Niemals! sagte Konrad feierlich. – Da flog Rosine in des Jünglings Arme, und hing mit fröhlichen Blicken an seinem Halse, zum ersten Male, seitdem sie ihm ungetreu gewesen war. Nicht deine Frau, Konrad! rief sie mit großem Entzücken. O Gott, nun bin ich glücklich! Und du auch, Konrad?

Ich bin glücklich. Und nun sey nicht mehr traurig, Rosine.

Sie wurde in der That von dieser Stunde an heiter, und Konrad sagte hinterher zu dem Baron: es war unmöglich, Ihr Gnaden. Ich habe Rosinen sehr lieb. Aber meine Frau? ... Der Nahme hätte sie ja auf der Stelle tödten müssen. Nun sind wir glücklich.

Der Baron hätte dem Schwarzkopfe die Zartheit der Empfindung nicht zugetrauet. „Wie dieser Mensch“, dachte er, „zu dem kohlenschwarzen Kopfe, den kleinen Augen, und den dicken Mohrenlippen kommt, ist mir doch ein unauflösliches Räthsel. Aber es wird sich wohl geben. Die Negernatur bricht am Ende gewiß noch durch.“ – Er irrte sich. Konrad und Rosine zogen, nachdem sie ihr Vermögen in Zaringen zu baarem Gelde gemacht hatten, auf ein Sächsisches Dorf, kauften sich dort an, und lebten als Bruder und Schwester, in der zärtlichsten Liebe, in der rührendsten Einigkeit. Der Gram nagte an Rosinens zerstörter Gesundheit, und sie starb nach einigen Jahren. Als der Arzt ihr den Tod angekündigt hatte, warf sie einen lächelnden Blick auf Konrad. Noch einige Tage, lieber Konrad! sagte sie mit zärtlicher Stimme. Wirst du im Himmel ganz mein seyn? – (Er schwamm in Thränen.) – Konrad, nun hab' ich noch Einen Wunsch. Ach, ich wollte, du erriethest ihn! Sagen will ich ihn nicht. – Sie streckte ihm die Hand aus dem Bette lächelnd zu. Er ging lächelnd hinaus, und kam nach einer Weile mit dem Pfarrer wieder. Nicht wahr, liebste Rosine? sagte er voll Schmerz; das ist dein Wunsch? du willst als meine Frau sterben?

Sie richtete sich noch einmal mühsam im Bette auf, und streckte Konraden die Arme entgegen. Konrad, Gott wird es dir vergelten, daß du mich noch im Tode glücklich machen willst! Noch einmal kehrte die Farbe des Wohlseyns auf ihre Wangen zurück. O, sagte sie, und hob die flammenden Augen gen Himmel: hab' ich das Glück verdient? – Der Prediger fing an die Trauformel zu lesen. Konrad hielt Rosinens Hand, und alle Kräfte ihrer Seele erhoben sich noch einmal. Ihr Blick war Freude, ihre Brust schlug hoch und entzückt, ihre Lippen beteten mit unaussprechlichem Gefühle laut nach, was der Prediger las. Sie steckte mit zitternder Hand den Trauring an ihren Finger, und gab Konraden die Hand. Er sagte schmerzlich: ja. Als der Prediger die Frage an sie richtete, wurde die Spannung in ihrem Gesicht immer stärker, und alle ihre Bewegungen heftig. Sie rief laut, als ob Himmel und Erde es hören sollten: ja! Konrads Frau! Dann lächelte sie ihrem Manne zu, und sagte abgebrochen: nun! nun! Konrad! Mann, Frau! Habe Dank. Jetzt streckte sie ihre Arme Konraden entgegen, und rief: geschwind! Er sank hinein, und sie starb, als er ihren Mund berührte; die Freude hatte sie getödtet.

Selbst der Prediger zerfloß in Thränen – nicht des Mitleidens, sondern der erhabensten Rührung. Er bat Konraden, ihm seine Geschichte mitzutheilen; denn bis dahin hatte man im Dorfe Beide für Eheleute gehalten. Als Konrad erzählt hatte, fragte der Prediger: Aber, lieber Konrad, wie konntet Ihr Euch des Mädchens so zärtlich annehmen, da Ihr so bitter betrogen wart! – Ich preise Gott, antwortete Konrad, daß ich es konnte, daß ich sie dazu lieb genug hatte. Wenn ich mich ihrer nicht angenommen hätte – was würde aus ihr geworden seyn? Sie wäre, verlassen von allen Menschen, im Elende umgekommen, oder, wenn sie sich erholt hätte, ein Teufel geworden. Glauben Sie mir, Herr Prediger, meine Treue hat ihr nicht allein Leben und Gesundheit gerettet, sondern auch die Seele. Ein so schändliches Gewerbe, wie sie trieb, kann wohl schamlos machen und frech; aber boshaft, teufelisch, werden solche Geschöpfe erst dann, wenn alle Welt sie ganz verläßt. Rosine wurde nie ganz böse; denn sie hatte noch immer einen Menschen, der es gut mit ihr meinte. Dankbarkeit gegen einen guten Menschen – und gewiß, Herr Pfarrer, ich war gut – läßt eine Seele nie ganz sinken. Ach, sie wußte, was ich für sie that; darum hatte sie mich auch so unbeschreiblich lieb. – Edler Mensch! sagte der Prediger gerührt; Gott mache Euch glücklich! Konrad wurde es. Er heirathete nach einigen Jahren ein gutes Mädchen aus dem Dorfe, mit dem er lange zufrieden lebte, wurde Vater von sieben Kindern, erzog sie gut, und nannte seine älteste Tochter Rosine.

Der Baron gab Rosinen und Konraden eine große Summe Geldes, mehr als ihr Vermögen in Zaringen betrug, und hielt sich, als Beide Leipzig verlassen hatten, noch einige Zeit dort auf. Der Vorfall mit Konraden erschütterte sein System ein wenig; er hatte den Gedanken, die geistlichen Fürstenthümer zu besuchen, um dort die reinen Celten in den Domherren kennen zu lernen, halb und halb schon aufgegeben, weil er beinahe fürchtete, diese möchten das System noch stärker angreifen, als der Ritter Rheinfelden mit blondem Haar und zwei und dreißig Ahnen, und als Konrad mit seinem Mohrengesichte. Doch eine Bekanntschaft mit einem Buchhändler brachte das System wieder zum Stehen. Der Baron erkundigte sich auf eine geheimnißvolle Weise, wie viel der Druck eines Werkes koste. Der Buchhändler fragte, und der Baron gestand, daß er sich wohl entschließen könnte, selbst etwas drucken zu lassen, das aber, wie er leise hinzusetzte, vielen Lärmen und Widerspruch erregen würde. „Sehen Sie“, sagte er, „es greift alle jetzige Art zu philosophiren an, und enthält, wenn Sie wollen, die ärgsten Ketzereien; kurz, es stellt die Welt auf den Kopf.“

Der Buchhändler fragte eifrig, und der Baron fing an ihm sein System aus einander zu setzen. „So etwas“, schloß er zuletzt, „ist noch nicht geschrieben; die ganze Welt wird sich dawider regen, besonders alle Schwarzköpfe.“

Und alle Schwarzröcke, fiel der Buchhändler ein. Unvergleichlich, Herr Baron! Führen Sie die Idee ja aus!

Hier fand der Baron doch endlich einen Menschen, der sein System billigte, und – was noch mehr zu bewundern war – der es mit großer Unpartheilichkeit sehr richtig fand, obgleich er selbst schwarzes Haar hatte.

Nun war des Barons System wieder so fest als je, und sein Entschluß, an den Rhein zu reisen, unumstößlich. Er packte zusammen, vergaß sogar seinen l'homme voyageur, und es ging im Fluge auf Eisenach los. Dort besah er weder die Wartburg noch den Mädelstein. In ganz Eisenach fand er nichts Merkwürdiges, als daß die Weiber ihre Lasten auf dem Kopfe trugen, und nicht auf dem Rücken. Er blieb in Zweifel, ob dies eine Celtische oder Slavische Sitte sey, und machte in seinem Tagebuche ein großes Notabene.

Vor Berka brach der eine Baum an seinem Wagen. Er stieg aus, und ging in die Stadt hinein, auf die Post zu, die zugleich ein Gasthof ist. Auf dem Hausflur des Posthauses stand ein Kreis von Leuten, die sehr laut zusammen sprachen. – „Es ist doch ein Mensch!“ rief ein Mann in Zorn; „und das heißt ja, einen ärger behandeln, als einen Hund! Heidin her und Heidin hin! das arme Geschöpf ist ein Mensch, sag' ich. Aber so machen es die reichen Leute! Ein Schoßhund hat es bei ihnen besser, tausendmal besser, als ein armer fremder Mensch.“

Nun ja! erwiederte ein langer dürrer Mann, der Postmeister. Aber ich soll sie doch wohl nicht behalten? Wie käme ich denn dazu? Sie muß hinterher, sag' ich, und wenn es ihr auch beide Füße kostete. Hat sie nicht Branntwein bekommen zum Waschen? Nun hab' ich gethan wie der barmherzige Samariter, Wein und Oel in die Wunden gegossen; und damit holla!

„Nein, Postmeister!“ rief die erste Stimme; „der Samariter tat mehr: er gab dem Wirthe zwei Groschen, und ...“

Da sind zwei Groschen; und nun marsch! Mag sie doch sehen, wie sie die Leute einholt. Sie bleiben die Nacht auf der nächsten Station. Christlich bin ich auch; das muß mir jedermann nachsagen. Frisch! die Füße gewaschen, und dann fort!

Jetzt trat der Baron in den Kreis. Auf einem Poststücke saß, oder lag vielmehr, eine junge Mohrin, von oben bis unten mit Koth bespritzt, ohne Schuhe und Strümpfe. Sie hatte die Augen niedergeschlagen, und erhob sie nur, um den anzusehen, der eben sprach. „Was giebt es denn hier?“ fragte Flaming; und die Mohrin erhob still ihr Auge, um ihn anzusehen. Zehn Stimmen fingen nun an, eine die andre verbessernd, dem Baron zu erzählen. So viel er begriff, war die Mohrin mit einer fremden Herrschaft gereist. In Eisenach sollte diese ihretwegen ein Pferd mehr nehmen; nun mußte die Mohrin neben dem Wagen her laufen. Bis hieher war sie in dem schlechten Wege gekommen, obgleich ganz abgemattet. Als der Wagen weiter fuhr, lief sie wieder neben her. Aber schon an der Fulda blieb sie vor Entkräftung liegen. Dort fand sie ein Mann, eben der, welcher sich ihrer annahm, und brachte sie in das Posthaus zurück. – Na, lieber Herr, sagte der Postmeister; kann ich sie denn nun behalten?

Der Streit erhob sich jetzt aufs neue. Der Postmeister vertheidigte, um seine eigene Härte zu entschuldigen, die Grausamkeit der Herrschaft, welche die Mohrin bei sich gehabt hatte. Der Andere aber rief: ei, sie ist so gut ein Mensch, wie wir! gerade so gut, wie ich und wie der Herr! Nicht wahr, mein Herr? Mit dieser Frage wendete er sich triumphirend an den Baron, in dessen Augen sich schon das gutherzigste Mitleiden zeigte.

„Halt, halt, guter Freund!“ rief Flaming: „sie ist eine Negerin; und so hat sie durchaus nicht eben die Ansprüche auf Mitleiden und Schonung, wie wir. Sie gehört zu einer ganz andern Menschen-Race, gegen die man nothwendig hart seyn muß.“

Die Mohrin sah den Baron mit einem flehenden Blicke an. – Na, seht Ihr? sagte der Postmeister. Er nahm eine Peitsche von einem Nagel, trat auf die Schwarze zu, hob den Arm auf, und rief: Marsch, sage ich! Die Mohrin warf sich dem Manne, der sie vertheidigt hatte, zu Füßen, und umfaßte seine Kniee. Der Baron aber hatte, vor Zorn brennend, dem Postmeister schon die Peitsche aus der Hand gerissen, und ihn an der Brust gepackt. „Unmensch!“ rief er laut und erbittert; „wag es nicht, Hand an die Unglückliche zu legen! Sie soll bleiben!“

Aber, der Teufel, Herr! eben sagten Sie ja ...? – Doch was geht es mich an! Wollen Sie für das Mädchen bezahlen?

„Das will ich, du Unmensch! das will ich! Die Mohrin ist mein, in meinem Schutze. Komm, du Kleine!“

Die Mohrin bewegte sich auf den Knieen bis zu Flaming hin; dann kreuzte sie beide Arme über die Brust, beugte sich nieder, um seine Füße zu küssen, und rief mit einer ehrfurchtsvollen Stimme sehr feierlich den gewöhnlichen türkischen Gruß: Selam eon aleikon! (Friede sei mit dir!) – „Sprichst du Deutsch?“ fragte der Baron. Sie bejahete es, ohne ihre Stellung zu verändern. – „Wie heißest du?“ – Iglou. – „Aus welchem Lande bist du?“ – Aus Habesch (Abyssinien.) „Wie bist du nach Deutschland gekommen?“ – Mein Vater todt, meine Brüder todt. Sie schleppten mich nach Skanderi (Alexandrien.) Da kaufte mich ein Christ. Ich kam nach Wien. Mein Herr war gut. Ich trug Seide und Gold. Er verschenkte mich an den Unbarmherzigen. Iglou konnte nicht mehr laufen; ihre Füße bluteten. Sie schlugen Iglou erst; dann fuhren sie weg. ... Du bist mein Herr!

Das alles sagte die Mohrin in richtigem Deutsch, nur fremd accentuirt, und mit großer Leidenschaft, tief aus der Seele hervor. „Steh auf!“ sagte der Baron freundlich. Sie erhob sich; aber sie schwankte, und zuckte mit dem Munde vor Schmerz an den Füßen. Der Baron ließ sie in ein Schlafzimmer bringen, und ihr die Füße mit Wein waschen; dann mußte sie sich zu Bett legen. Sie blieb noch lange wach, und sang mit wenigen Tönen, in großer heftiger Bewegung, ein kurzes Lied, das sie mehrere Male wiederholte.

Indessen kam des Barons Wagen an, und nun fand sich, daß vor dem folgenden Mittage nicht an die Abreise zu denken war. Der Baron hatte nur die Absicht gehabt, die Mohrin ihrer alten Herrschaft zu überliefern; jetzt, da er bleiben mußte, gerieth er in große Verlegenheit, was er mit ihr anfangen sollte. Das Abendessen wurde gebracht. Iglou trat in das Zimmer, stellte sich mit gekreuzten Armen an den Tisch, und wartete auf, wobei sie die Augen immer auf den Baron heftete. Der Baron machte indessen den Plan, sie bei dem Postmeister so lange zu lassen, bis er zurückkäme, oder bis er erführe, wer ihre Herrschaft wäre. Er legte sich endlich nieder. Iglou ließ es sich von dem Bedienten durchaus nicht nehmen, ihm zu Bette zu leuchten; sie ging erst, als Flaming es ihr ausdrücklich befahl.

Am andern Morgen erwachte Flaming sehr früh, und öffnete die Thür, um seinen Bedienten zu rufen. Das erste, was er sah, war Iglou, die, in einen Mantel gehüllt, quer vor seiner Thür am Boden auf einer Decke lag und schlief. Diese ergebene Dankbarkeit des unglücklichen Mädchens rührte ihn. Er betrachtete sie lange, mit Thränen in den Augen. „Guter Gott!“ sagte er; „ein Mensch, und von seinen Brüdern verkauft! ... O, es ist abscheulich!“ rief er dann laut, und Iglou öffnete die Augen. Sie sah die Thränen ihres Herrn, das Mitleiden, womit er sie betrachtete; und sie sprang auf, umfaßte seine Kniee, und fing an heftig zu weinen.

Es lag in ihrer Bewegung, in ihren Tönen, etwas äußerst Rührendes, das den Baron augenblicklich überwältigte. Er richtete Iglou auf, nahm sie in seine Arme, drückte sie an seine Brust, und sagte liebkosend: „nein, ich will dich nicht verlassen, armes Geschöpf!“ Iglou beugte sich vor ihm, ohne ein Wort zu sagen; aber ihre nassen Augen, ihr fliegender Busen, und ihre auf der Brust bebenden Hände zeigten die heftige Bewegung von Dankbarkeit und Liebe, in die seine wenigen Worte sie versetzt hatten. Der Baron mußte sich mit Gewalt losreißen; so sehr zog dies dankbare, heftige Geschöpf ihn an. Er ging ein wenig ins Feld; und Iglou folgte ihm von weitem, ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Bei dem Frühstücke verrichtete sie alle nöthigen Dienste sehr aufmerksam und mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit. Nun wollte auch der Bediente sie etwas für sich thun lassen; aber sie sagte ihm ernst und mit einer Art von Würde: ich bin meines Herrn Iglou! Sie bemerkte jeden Dienst, den er dem Baron leistete; und das zweite Mal that sie ihn selbst, noch ehe dieser befohlen hatte. Flaming sagte ihr endlich: er würde sie hier lassen, bis er zurückkäme. Aber sogleich rollten Thränen aus ihren zu Boden geschlagenen Augen, und sie sagte schmerzlich: meine Füße sind gesund; ich kann wieder nebenher laufen. O, verlaß mich nicht!

Diese Worte rührten den Baron, und er versprach ihr, sie mitzunehmen. Freudig sprang das Mädchen nun auf, eilte zu dem Wagen, half mit packen, und rief dabei oft: mein Herr verläßt Iglou nicht!

Als Flaming an den Wagen trat, erhob sich eine neue Verlegenheit. Er wußte nicht, wo Iglou sitzen sollte. Der Bock war von dem Postillion und dem Bedienten besetzt, und hinten stand der Koffer. – Du kannst nirgends sitzen, rief der Bediente unwillig; nirgends, du schwarzer Teufel! Iglou warf einen furchtsamen Blick auf den Baron, und sagte: ich darf beiher laufen. „Nein“, erwiederte Flaming, und stieg in den Wagen – „komm zu mir herein, Iglou. Auf der nächsten Station können wir ein Pferd mehr nehmen. Komm!“ Iglou zögerte; doch auf seinen Befehl stieg sie ein, und setzte sich zitternd neben ihn. Als der Wagen fortrollte, überlegte der Baron, lächelnd und den Kopf schüttelnd, warum er nicht lieber seinen blonden, edlen, Celtischen Bedienten in den Wagen genommen hätte, als diese schwarze, unedle Mohrin. „Sie ist ein schwaches Mädchen“, dachte er endlich; „sogar noch krank von der gestrigen Reise. Morgen wird es anders seyn; Beide sollen an ihren rechten Platz: Heinrich hieher, und die Mohrin auf den Bock.“

Unter diesen Gedanken war er eingeschlummert; doch von einem Stoße des Wagens erwachte er wieder. Da saß Iglou vor ihm auf dem Boden, in der unbequemsten Stellung, und hatte seine Füße auf ihrem Schooße, so daß er besser liegen konnte. Mit einer Empfindung von Scham zog er sogleich die Füße zurück, und machte wieder auf dem Sitze Platz. Er fühlte etwas Widriges bei Iglou's sklavischen Dienstleistungen, ja, gegen seinen Willen eine Art von Achtung für sie, die sich einige Male sogar ganz bestimmt äußerte. Jetzt wollte er ihre Geschichte ausführlicher hören; und sie erzählte mit großem Feuer von ihrer Kindheit, und von der Liebe, die ihre Eltern zu ihr gehabt hätten, wobei ihre Augen in heißen Thränen funkelten. Mit tiefer Wehmuth erzählte sie dann, wie sie von ihrer geliebten Schwester getrennt worden sey. Ach, sagte sie leise, ich hielt sie fest umschlossen, und mein Mund preßte den ihrigen. Da rissen die harten Kaufleute unsere Arme, unsere Lippen, unsere Seelen aus einander. Iglou! schrie sie noch einmal, und man trug mich ohnmächtig aus dem Han (Markt) auf das Schiff. Ach, ich liebte meine Schwester, wie ich jetzt dich liebe! Denke, wenn man mich von deinen Füßen risse! Iglou würde vergehen! – Nun erzählte sie ihm von der Härte ihrer letzten Herrschaft, wie man sie mit Schlägen gemißhandelt, und wie oft sie habe hungern müssen. Iglou, sagte sie dann, wußte vorher nicht, was Hunger ist; wir hatten Datteln genug und Reiß. Iglou hatte nie Hunger gefühlt!

„Du sollst ihn nie wieder fühlen, mein Kind“, sagte der Baron, und streichelte ihr mitleidig die Wangen. Sie ergriff seine Hand, küßte sie, warf sich dann, als ob sie ein Verbrechen begangen hätte, vor ihm nieder, und umfaßte seine Kniee. Er richtete sie lächelnd auf, und bat sie, ihm noch mehr von ihrem Vaterlande zu erzählen.

Sie beschrieb die Sitten ihres Volkes. Richtig waren es eben die, welche der Baron schon kannte: die Sitten der elendesten Race. Iglou erzählte aber mit einer Erhabenheit der Ideen, daß seine Achtung für sie um so mehr zunehmen mußte, als er sich überzeugte, daß sie zu dem elendesten, verderbtesten Menschenstamme gehöre. Kurz, der Celte blieb auf dem Bocke, und die Negerin im Wagen. Zu seiner Entschuldigung dachte Flaming: ich lerne ja von ihr die vernachlässigten Kinder der Natur und ihre Sitten näher kennen.

So kamen sie in Frankfurt an. Iglou hatte, Theils mit Gewalt, Theils durch Bitten und Liebkosungen, den Bedienten fast von seinem Herrn verdrängt. Sie reinigte des Barons Kleider, machte sein Frühstück, wartete am Tische auf, leuchtete ihm zu Bette, und schlief, so viel er auch befehlen mochte, jede Nacht auf seiner Thürschwelle. Auch folgte sie ihm überall, wohin er ging.

Da die Begleitung einer jungen, edelgestaltigen Mohrin jedermann auffiel, so ließ der Baron ihr Mannskleider machen. Iglou zog sie nur mit Thränen und auf wiederholten Befehl an. Ach, sagte sie schluchzend; soll ich denn deine Iglou nicht mehr seyn? Aber der Baron hatte sie ja so kleiden lassen, um sie immer bei sich haben zu können. Sie begleitete ihn nun wie sein Schatten, und war ihm unbeschreiblich treu. Iglou's Seele hängte sich mit allen ihren Gefühlen an den einzigen Menschen, der ihr zum ersten Male seit ihrer Kindheit wohlthat. Ihre Liebe zu dem Baron war Ueberspannung, Fanatismus der Dankbarkeit; und eben diese heftige Liebe, diese große Ehrfurcht, erregte in des Barons Herzen ganz natürlich Wohlwollen und Gegenliebe. Auch er hatte jetzt zum ersten Male das völlig unzweideutige Gefühl, geliebt zu seyn; kein Wunder also, daß er Neigung zu dem Geschöpfe bekam, dessen ganze Seele schon ein freundlicher Blick von ihm belebte.

Durch einen Vorfall, der sich jetzt ereignete, wurde Flamings Wohlwollen für das Mädchen noch größer. Er fuhr in einem Nachen den Main hinunter nach Mainz, und stand auf, die schöne Gegend umher zu betrachten. Iglou saß zu seinen Füßen, und ihre Blicke hingen an seinen Augen. Der Schiffer war nicht ganz mit dem Flusse bekannt, und fuhr gegen einen Baum unter dem Wasser, wodurch der Nachen einen heftigen Stoß bekam. Der Baron stürzte in den Fluß, und der hohe Strom riß ihn mit sich fort. Alles schrie, und blieb vor Schrecken unthätig; Iglou aber sprang ihrem Herrn nach, ergriff ihn, hielt ihn über dem Wasser empor, erreichte so das Ufer, und brachte ihn hinauf, obgleich, weil er alle Besinnung verloren hatte, nur mit großer Mühe. Endlich öffnete er die Augen wieder, und sein erster Blick traf auf Iglou, deren Gesicht, mit großen Thränen auf den Wangen, über ihn her hing. Als sie das erste Zeichen des Lebens bei ihm sah, schrie sie vor Freude, sprang auf, tanzte umher, fiel auf die Kniee, lachte, weinte, und rief dazwischen mit dem Tone des brünstigsten Gebetes: Allah ekber! (Gott ist groß!) Dann lief sie wieder zu dem Baron, knieete neben ihm nieder, benetzte ihn mit ihren Thränen, und küßte seine Hände, seine Kniee.

Er seufzte, und sah sich um, ob er nicht liegen könnte. Augenblicklich warf Iglou sich neben ihm zu Boden, nahm seinen Kopf auf ihren Schooß, und wand das Wasser aus seinen Haaren. Während dieser zärtlichen Scene war der Nachen an das Ufer gekommen; der Bediente, der Schiffer stiegen aus, und der Baron verlangte trockne Kleider. Aber auf einmal wurde der Nachen, den niemand hielt, von dem Strome ergriffen und fortgetrieben. Iglou stürzte sich sogleich wieder hinein, schwamm dem Kahne nach, erreichte ihn, ruderte ihn an das Ufer, und eröffnete, als er nun angebunden war, des Barons Koffer. Man zog dem Baron andre Kleidung an, und brachte ihn hierauf nach Höchst, einer kleinen Stadt am Main, von der man kaum noch hundert Schritte entfernt war. Iglou half auch dabei noch, so viel sie konnte. Kaum lag aber der Baron im Bette, so taumelte sie, wurde gelb, zitterte, und sank erschöpft zu Boden. Man brachte sie mit Gewalt in ein Bett; denn sie wollte schlechterdings nicht aus des Barons Zimmer. Einige Stunden, so lange ihre erschöpften Kräfte ihr jeden Widerstand versagten, hielt sie sich ruhig; dann aber verlangte sie mit Heftigkeit wieder nach ihrem Herrn.

Der Baron hatte sich unterdessen völlig erholt. Man erzählte ihm nun, wem er seine Rettung verdanke, und sagte ihm, daß Iglou durchaus nicht im Bette bleiben wolle. Er ging sogleich zu Iglou, bat sie, ruhig zu seyn, setzte sich vor ihr Bett, faßte ihren Puls, und drückte ihr dabei zärtlich die Hände. Sobald er mit ihr allein war, küßte er, mit den Worten: „meine edle Retterin!“ ihre vollen Lippen. Iglou warf in heißer Leidenschaft ihre Arme um seinen Nacken, drückte ihn an ihre Brust, ließ dann die Arme sinken, verhüllte ihr Gesicht, und fing an laut zu weinen. Nach einer halben Stunde kam endlich ein Arzt. Er erklärte, daß die Kranke in einem heftigen Fieber läge, und ging mit dem Baron auf sein Zimmer, um ihr etwas zu verschreiben.

Der Baron sagte lächelnd: „lieber Herr Doktor, Ihre Mittel möchten wohl bei dieser Menschen-Race wenig anschlagen. Bedenken Sie doch die große thierische Lebenskraft solcher Schwarzen! Ihre Arzenei ist für die zarten Gefäße und Säfte der Celtischen Nationen berechnet; und diese Abyssinierin ...“ – Nun wohl, sagte der Arzt, und nahm die Feder; wir wollen die Dosis verdoppeln.

Der Baron wurde blaß vor Schrecken. „Nein, Herr Doktor! halten Sie ein!“ rief er zitternd. „Sie könnten das Mädchen tödten. Ich bitte sie inständigst, ja nicht mehr, als Sie dem zartesten Frauenzimmer verordnen würden!“

Flaming selbst gab Iglou die Arzenei, und nur die Hälfte von dem, was verordnet war; aber doch zitterte er, daß es zu viel seyn könnte. Iglou sagte, als sie die Arzenei nahm, mit einem leidenschaftlichen Blicke: ich bin längst gesund; dein Mund hat mich gesund gemacht. Der Baron sah sich um, ob ihn niemand bemerkte, beugte sich dann leise über sie hin, küßte noch einmal die häßlichen Negerlippen, und ging dann, vor sich selbst erröthend. Einige Minuten nach ihm kam Iglou völlig gekleidet in sein Zimmer, und warf sich dankbar vor ihm nieder.

Der Baron fühlte am Abend einen leichten Anfall von einem Fieber, und beschloß, wieder nach Frankfurt zu gehen. Er schickte seinen Bedienten zu Wasser dahin, und er selbst fuhr mit Iglou in einem Miethswagen. Anfangs saß er ganz still; denn er war sich so wohlwollender Empfindungen für die Mohrin bewußt, daß er es nicht wagte, sie anzureden. Fast immer sah er aus dem Schlage des Wagens, und nur verstohlen zuweilen auf Iglou; dann aber traf er jedesmal auf einen Blick der Liebe und des dankbarsten Wohlwollens. Ohne zu wissen, wie es zuging, umfaßte er die Mohrin, drückte sie an sich, küßte sie, und sagte leise: „meine gute Iglou!“ Doch eben so ohne alle Veranlassung ließ er sie wieder fahren, und sah aus dem Schlage in das Feld.

In Frankfurt schenkte er Iglou'n, um sie zu belohnen, eine Börse mit Gold. Sie legte die Börse furchtsam auf den Tisch, und sagte mit einem Seufzer: ach, ich war so glücklich! Soll ich es nicht mehr seyn?

„Um dein Glück zu vermehren, gute Iglou, gebe ich dir ja das Gold. Bezahlen kann ich dir mein Leben nicht.“

Sie schob die Börse wieder zurück. Nimm dein Gold wieder, sagte sie; denn ich habe dich lieb. Sie drückte die Hand auf ihre Brust, und fuhr in großer Bewegung fort: dies Herz, diese Seele, dieses Leben ist dein. O, nimm dein Gold zurück; und nimm mein Herz, meine Seele, mein Leben! Nun ergriff sie seine Hand, und legte sie unter ihren vollen, pochenden Busen, als sollte Flaming ihr Herz schlagen hören. Es war zerbrochen, sagte sie dann wehmüthig und zitternd; du hast es geheilt. Ach, zerbrich es nicht aufs neue! O, nimm dein Gold, und erlaube, daß ich zuweilen deine Hand küssen darf. – Mit diesen Worten drückte sie einen brennenden Kuß auf seine Hand.

Der Baron gerieht in Verwirrung. „Ich dachte“, sagte er, „Iglou wollte gern wieder zuweilen Frauenzimmerkleider tragen; und dazu war das Geld bestimmt.“ Mit fröhlicher Eil griff sie jetzt nach der Börse, und fragte: darf ich wieder deine Iglou seyn? – „Ja, Iglou“, antwortete Flaming verlegen; „aber nur, wenn wir allein sind.“

Nach einigen Tagen war Iglou geheimnißvoll und fröhlich. Sie fehlte einige Male, wenn der Baron klingelte. – Eines Abends, als er schon abgegessen hatte, ging die Thür seines Zimmers leise auf, und Iglou trat in sehr vorteilhafter weiblicher Kleidung, halb Türkisch, halb Französisch, in sein Zimmer. Sie trug ein blaßrothes seidenes Leibchen, das unter der Brust mit einer weißen Binde gegürtet war und von da zu einem faltenreichen Rocke hinabhing; darüber einen weißen Doliman, der hinten weg fiel, und von ihrer schönen Gestalt nichts verbarg. In das Haar hatte sie Perlen geflochten, und ein Tuch, wodurch es fest gehalten wurde, fiel hinten lang hinunter. So schwebte das schlanke Mädchen von edler Gestalt mit Entzücken auf den Baron zu, knieete vor ihm nieder, faßte seine Hand, und drückte sie feurig an ihren Mund. „Mädchen“, sagte der Baron, indem er sie mit Wohlgefallen betrachtete, und ihre beiden Hände faßte; „wenn dich jemand gesehen hätte!“

Niemand! Niemand hat Iglou gesehen, als du. – Sie holte einen Mantel herein, den sie vor der Thür abgeworfen hatte, und mit dem sie sich des Nachts bedeckte. So ging ich hierher, sagte sie. Ach, nur deine Iglou bin ich! – Nun warf sie den Mantel wieder ab, und stand mit leuchtenden Blicken vor ihm. Der Baron betrachtete die schlanke, volle Gestalt des Mädchens, da so ganz Liebe für ihn war, aufs neue mit großem Wohlgefallen. Seine Arme hoben sich ein paarmal, sie zu umfassen; doch er hielt sie, um es nicht zu thun, auf den Rücken. „Nun geh, Iglou, geh!“ sagte er. – Sie blickte ihn traurig an. Ach, du siehst mich doch lieber, wenn ich nicht Iglou bin! – „Ich sehe dich immer gern“, erwiederte er, umfaßte sie, und drückte sie mit Innigkeit an seine Brust. Sie umschlang ihn noch inniger, und er schob sie sanft von sich. „Nun geh, Iglou! geh! gute Nacht!“ – Gute Nacht! seufzte sie, hüllte sich in ihren Mantel, und ging langsam und traurig aus dem Zimmer.

„Die häßlichen Negerzüge“, sagte der Baron, „hat sie doch wahrhaftig nicht. Ihre Augen sind offen und groß; ihre Gestalt ist edel und fein. Wenn ich nur wüßte, welches Volk Abyssinien bevölkert hat; ich wollte wohl sagen, warum ihre Züge nicht so häßlich sind, und warum ihr Herz dieser zarten Empfindungen fähig ist.“

Er fing an seine Kollektaneen zu Hülfe zu nehmen; aber Iglou's Vaterland lag und blieb unter dem Fluche der Natur. Jetzt fragte er sie nach ihrer Familie. „Höre, liebe Iglou, besinne dich! Nicht wahr, dein Vater hatte andere Sitten, er lebte anders, als seine Landsleute? Besinne dich recht!“ – Sie besann sich, und schüttelte den Kopf. Wir wohnten wie die übrigen, sangen, spielten, schliefen, wie es bei uns Sitte war; wir aßen rohes Fleisch wie die übrigen; wir ...

„Rohes Fleisch?“ rief der Baron ungeduldig, und sprang auf. „Auch du, Iglou? auch du? auch dein Vater?“

Ich habe nie gewußt, daß man Fleisch anders essen kann, als bis ich nach Skanderi kam.

„Aber Iglou, sey nicht seltsam! Wie könntest du, wenn du rohes Fleisch gegessen hättest, so dankbar, so sanft, so gut seyn? wie mich so herzlich, so treu lieben?“

Weil du gut bist; weil du dich der verlassenen Iglou so gütig angenommen hast.

Flaming schüttelte empfindlich den Kopf, und hieß sie gehen. „Liebe wäre das? Dankbarkeit? Und sie hat rohes Fleisch gegessen? Nein, unmöglich! Liebe kann es nicht seyn; höchstens thierische Wollust. Wollust! O wahrhaftig, das ist es auch! Wo hab' ich die Augen gehabt!“ Jetzt fiel ihm ein, mit welcher unbeschreiblichen Leidenschaft das Mädchen ihn umarmt hatte, als sie den Abend so reitzend, so lockend gekleidet, und so heimlich, so verstohlen, so kurz vor dem Niederlegen, zu ihm gekommen war. Auch dachte er mit Schamröthe daran, daß sie sich ihm so gern in weiblicher Kleidung zeigte, ihm immer auf sein Zimmer leuchtete, so gern allein bei ihm seyn mochte. „Da hab' ich die Negerin, die wollüstige Negerin, die sich dem Manne zu Füßen wirft, und in der niedrigsten Stellung um die Freuden der Wollust bettelt! O, wie blind bin ich gewesen! Diesen abscheulichen, thierischen Trieb hielt ich für Dankbarkeit; das heiße Rollen des Blutes für die zarte Empfindung eines liebenden Herzens. Abscheulich! abscheulich!“

Am andern Morgen behandelte er die zärtliche Mohrin kalt, herrisch, sogar hart. Iglou bebte, warf einen furchtsamen Blick auf ihn, und ließ trauernd den Kopf auf ihre Brust sinken. Schweigend und ehrerbietig verrichtete sie ihre Geschäfte. Dann suchte sie die Einsamkeit, und weinte schmerzliche Thränen, die niemand sah, und die sie jedem, am sorgfältigsten ihrem Herrn, zu verbergen suchte. Sie zwang sich heiter zu scheinen, wenn sie dem Baron aufwartete; aber er hörte Nachts, wenn sie auf seiner Thürschwelle lag, ihre Seufzer.

Einmal stand er aus dem Bette auf, schlich an die Thür, und horchte. Er hörte sie leise weinen, sogar leise sprechen; und an dem Tone ihrer Stimme, wie an dem Worte Allah, das oft vorkam, merkte er, daß sie betete. O, sagte sie endlich Deutsch, wenn ich stürbe, er liebte vielleicht die arme Iglou wieder, wenigstens aus Mitleiden! Ueber die rührenden, das Herz durchdringenden Accente, mit denen sie diese Worte sagte, vergaß der Baron sein System und die Negerin wieder, und sah in Iglou nur das trostlose, liebende Mädchen. Er öffnete die Thür, und sagte: „trockne deine Thränen, Iglou; ich liebe dich.“ Schon bei dem ersten Worte sprang sie auf, und dann drang sie durch die Thür zu ihm.

O, du liebst mich wieder? ich bin keine Verlassene mehr? sagte sie mit froher, zitternder Stimme, ergriff seine Hand, und drückte sie an ihr weinendes Auge, und dann an ihre heißen Lippen. Dem Baron schlug das Herz vor seltsamen Empfindungen. Er nahm sie in seine Arme, und rief einmal über das andere unter den zärtlichsten Liebkosungen: „Iglou! meine liebe, theure Iglou!“

In der Dunkelheit sah er weder das schwarze Gesicht, noch die negerartigen Lippen. Er fühlte nur den runden, weichen Arm, der seinen Hals umschlang, den vollen, jugendlichen Busen, der an seinem Herzen schlug; und alle Triebe der Sinnlichkeit wurden in ihm rege. Iglou lag in dem leichtesten Gewande, ganz Liebe, ganz Hingebung, an seiner Brust. Er nahm sie auf seinen Schooß, drückte brennende Küsse auf ihre Lippen, auf ihre Schultern, hob sie auf, und führte sie unter den zärtlichsten Benennungen näher zu seinem Lager. Aber auf einmal war ihm das Mädchen, wie ein Aal, aus den Händen entschlüpft. „Iglou!“ rief er, als sie die Thür öffnete, und das Zimmer verließ. Er horchte, und hörte das Rauschen ihres Gewandes. Nach einigen Minuten war Iglou wieder da: eben so seelenvoll, eben so zärtlich wie vorhin, aber züchtig gekleidet, und den Busen in ein dichtes Tuch gehüllt. – Du kannst nicht schlafen, sagte sie mit höchst zärtlichem Tone: soll deine Iglou dir von ihrem Vaterlande erzählen? Lege dich nieder. – Er that es beschämt, und sie setzte sich an sein Bett. Anfangs war ihre Stimme freilich nicht ganz passend; aber sie kam hinein, und nun erzählte sie von den Festen und den unschuldigen Freuden ihrer Landsleute mit so vieler Theilnahme und einer so sichern Ruhe, daß endlich auch in seiner Brust der Sturm der Sinnlichkeit sich legte, der freilich immer aufs neue erwacht war, so oft er ihre Hand oder ihren Arm berührt hatte. Er schlummerte zuletzt unter ihren Erzählungen sanft ein; und am Morgen fand er sie vor seinem Bette, in ihren Mantel gehüllt, ruhig schlafen.

Jetzt, da er sie sah, reitzte sie seine Sinnlichkeit nicht mehr, und er erröthete vor sich selbst, daß dieser Trieb ihn so weit hatte fortreißen können. Er richtete sich im Bette auf, stützte den Kopf mit der Hand, betrachtete die Negerin, die da so ruhig schlummerte, und fühlte in seinem Herzen innige Achtung für sie. Der Wechsel von Empfindungen in seiner Brust war seltsam. Diese Nacht hatte er – dessen erinnerte er sich sehr bestimmt – für Iglou Liebe, zärtliche Liebe, gefühlt, wie noch niemals für irgend ein weibliches Geschöpf, selbst für Emilien nicht. Er konnte ganz bestimmt die Wollust von diesem Gefühle unterscheiden; es waren die zärtlichsten Wünsche, ewig ungetrennt, in der innigsten Verbindung mit Iglou zu leben. Kurz, er hatte Liebe für sie empfunden, ehe der Sturm der Sinnlichkeit anhob, und auch noch, als unter ihrem Erzählen schon längst das Zittern der Wollust aufgehört hatte. Er war sogar im Begriff gewesen, ihr seine Liebe zu gestehen, und nur Erinnerung an Emilien hatte ihn davon abgehalten. Jetzt aber, da sie neben ihm schlummerte und er sie betrachtete, jetzt fühlte er, zu seinem Befremden, Wohlwollen, Achtung für das Mädchen, aber nicht mehr Liebe, nicht mehr den alles ausschließenden Wunsch, sie zu besitzen. Er sah nicht, was zu sehen so natürlich war: daß die Dunkelheit der Nacht seiner Phantasie, anstatt der edlen, aber schwarzen Iglou, eine edle, aber blendend weiße untergeschoben, und daß allein das Gefühl, nicht das Auge, seine Empfindungen rege gemacht hatte; daß sein Wohlwollen, seine Achtung, seine Dankbarkeit gegen Iglou, seine Eitelkeit sich geliebt zu sehen, Liebe werden mußte, so bald Iglou seine Sinnlichkeit erregte; daß aber seine Sinnlichkeit ganz natürlich aufhörte, sobald er die Mohrin mit den häßlichen Negerzügen sah, und daß ohne Sinnlichkeit die Liebe nicht dauern konnte. Der Baron war aber gewohnt, in alles sein System zu mischen; so erklärte er sich denn auch dieses Wunder aus seinem Systeme. Er dachte, der Anblick dieser dicken Lippen, dieser schwarzen Farbe, dieser wollichten Haare, dieser großen Backenknochen, muß doch körperlich den Ekel vor einem solchen Geschöpfe erregen. Diese Form ist an sich häßlich, nicht durch Vergleichung; und so hat schon die Natur ihr geliebteres Kind, den edlen Celten, gegen jede Erniedrigung verwahrt. Diese Form erregt Widerwillen, und tödtet die Liebe, welche die Nacht hervorbringen konnte. O Himmel, wie die Natur doch den Celten selbst durch unbegreifliche Wunder gesichert hat! Und mein System soll nicht wahr seyn? Da liegt der Beweis! – Er legte den Finger auf Iglou's Stirn, und sie erwachte.

Ihr Auge und ihr lächelnder Mund boten ihm einen guten Morgen. Als sie dann aufstand, mit liebenden Blicken sich zu ihm hin beugte, und ihn mit zärtlicher Stimme fragte: bin ich noch deine liebe Iglou? da vermehrte sich sein Wohlwollen für sie aufs neue. Er reichte ihr die Hand, und sagte: „o, Mädchen, wenn du weiß wärest! wenn blonde Locken um deine Stirn schwebten! wenn ...“ – O, sagte sie mit schmerzlichem Tone: ist denn das Herz deiner Iglou nichts? ... Duftet nicht auch die Nachtviole? – Sie verbarg ihre weinenden Augen mit der Hand, und ging traurig hinaus.

Er fing an über seine Ideen zu philosophiren und sie auf ein Blatt Papier zu werfen. Durch die lange Spekulation erhitzte er sich; seine spitzfündigen, wortreichen Schlüsse wurden ihm volle Wahrheit, so nebelartig, so dunkel sie auch noch vor seiner Seele schwebten. Um ihnen eine deutlichere Form zu geben, und um ihnen zugleich einen Bewunderer zu verschaffen, nahm er die Feder, und schrieb an Lissow, dem er schon vorher von Zeit zu Zeit geschrieben hatte. 1)

„Liebe, diese vielgestaltete Leidenschaft, dieser tausendfarbige Chamäleon, dieser unhaltbare Proteus – was ist sie? Schon Jahrtausende philosophiren die Weisen über diese Leidenschaft unserer Seele, beschreiben ihre Aeußerungen, ihre Wirkungen, schließen von da auf ihre Ursache, und wundern sich, daß die Liebe sich hier und dort nicht nach ihren Systemen bequemen will. Aber noch kein Philosoph gerieth auf die so nothwendige Frage: wie ist Lieben möglich? welches sind die Gränzen dieser übermächtigen Kraft? welches sind die nothwendigen Bedingungen des Liebens? – So tappte man auf einem unbekannten Lande mitten im Dunkeln umher. Wirklich waren Philosophen auf dem Wege, die Principien der Liebe zu entdecken, welche dem gesunden Menschenverstande so nahe lagen. ‹Der Mensch liebt das Schöne›, sagt man; und hatte Recht: ‹die schöne Form›; und hatte wieder Recht. Aber was ist das Schöne? was ist die schöne Form, die man liebt? Diese Frage blieb unbeantwortet. Man erfand die Linie der Schönheit; man berechnete die schöne Form nach zwei gleichseitigen Dreiecken, die auf einer geraden Linie unter einander und einander gegenüber stehen, und um die man mit der längsten Ausdehnung des Dreiecks Zirkelbogen schlug. Man glaubte, so das Verhältniß der Schönheitslinie, folglich auch die schöne Form, gefunden zu haben; und diese Erfahrungssätze trug man aus der Sinnenwelt – mit Recht oder mit Unrecht, das wird sich finden – auf die Ideenwelt über. Man fand das Schöne, das sich so bestimmt durch die Form bezeichnet, auch an der Seele, die keiner Form fähig ist; man verwechselte Vollkommenheit mit Schönheit, die Wirkungen mit den Ursachen. Man suchte nach einer Form, die für alle Menschen schön seyn sollte, glaubte sie gefunden zu haben, und dachte nicht daran, daß der Chinese seine runden eckigen Linien die Form der Schönheit nennt, daß jedes Volk, ja fast jeder Mensch, einen andern Begriff von der Schönheit hat. Die häßlichen Götzenbilder der Mexikaner, der Hindus und der Aegypter, gegen einen Antinous! Eine Moschee mit ihrem unförmlich langen Thurme, gegen einen Tempel der Minerva, gegen das Pantheon! Man hätte begreifen müssen, daß es keine allgemeine Form der Schönheit giebt. – Dann rechnete man Farbe, Härte, Weiche, Kraft, Gesundheit mit zu dem Wesen der Schönheit; und so mußte die Liebe immer ein Gespenst bleiben, das bald aus einem Nebel hervorschwebt, bald wieder von ihm verschlungen wird.

O, lieber Lissow, mir war es aufbehalten, die Principien der Liebe zu entdecken, alle dies Räthsel aufzulösen, und die ersten Grundzüge einer Wissenschaft zu entwerfen, die allen andern Wissenschaften eine neue Form geben muß. Ich kann dir für jetzt nur einen unvollendeten Grundriß zeichnen; aber ich bin dabei, alles in Ordnung zu bringen. Hier nur diese Resultate! Ich sehe körperliche Gegenstände, und lege ihnen Eigenschaften bei, ohne zu untersuchen, ob diese Eigenschaften sich an den Gegenständen, die ich sehe, befinden, oder ob sie Eigenheiten des betrachtenden Sinnes sind. Eine solche Eigenschaft ist die Form der außer mir befindlichen Gegenstände. Was meiner Empfindung von einem äußeren Gegenstande an eben demselben korrespondirt, ist das Eigenthum des Gegenstandes. Nenne das, wenn du willst, das Wesen, oder die Materie des Gegenstandes. Das aber, welches macht, daß das Mannigfaltige des Gegenstandes in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, nenne seine Form. Da das, worin die Empfindungen sich ordnen, und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wieder Empfindung seyn kann, so ist uns, wie du nun einsiehst, die Materie des Gegenstandes aus der Erfahrung gegeben; die Form der Gegenstände aber liegt schon vor aller Erfahrung in der Seele des Betrachtenden, und kann daher ganz abgesondert von den Gegenständen gedacht werden. Sondre von der Vorstellung eines Körpers alles das ab, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Theilbarkeit, etc.; ingleichen, was die Sinne daran bemerken, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe, etc: so bleibt dir doch noch etwas übrig, nehmlich Ausdehnung und Gestalt. Fasse das genau, lieber Lissow, und das Andere wird dir leicht werden. Du siehst also, die Form, die Gestalt eines Gegenstandes, liegt nicht im Gegenstande selbst, sondern in der Seele des Betrachtenden.

Ich gebe dir nur Resultate; denn ich müßte ein Buch schreiben, wenn ich dir alles erweisen wollte. Du kannst das aber selbst thun, wenn du nachzudenken Lust hast. Weiter. Du siehst also, was wir Form nennen – Schönheit, Linien, schöne Linien, Verhältnisse der Ausdehnung –, liegt nicht in den Gegenständen, sondern im Gemüthe des Betrachtenden; das Mannigfaltige im betrachteten Gegenstande macht nur, daß wir es so oder so, in diesem oder jenem Verhältnisse zu der Gestalt, zu der Form, zu der Schönheit, ordnen.

Du wirst fragen: was gewinnen wir dadurch? – Viel, sehr viel, mein Lieber. Erstlich die Gewißheit, daß schöne Form der Beweis von innerer Vollkommenheit ist; und bei dem Menschen? – daß in einem schönen Körper auch eine schöne Seele wohnt. Zweitens. Da das Ideal der schönen Form in unserm Gemüthe liegt, bei dem einen Volke aber diese Linie das Ideal der schönsten Form ist, bei einem andern Volke jene: so bestimmt das Ideal der schönen Form, welches jedes Volk im Gemüthe hat, den Stammunterschied der Menschen.

Gott schuf verschiedene Menschenarten. Jede Art bekam ihr Ideal des Schönen tief in die Seele gedrückt. Der vollkommenste Menschenstamm erhielt das Gefühl für die schönste Form; der unvollkommnere das Gefühl für die minder schöne, und so weiter, bis zu dem häßlichen Feuerländer hinunter, dem vielleicht der Zirkelkreis die schönste Linie ist. Durch dieses Gefühl für ihr eigenthümliches Schöne sonderte die Natur die Menschenstämme von einander ab, zwang den vollkommnen Celten nur zur Liebe für die schöne Form der Celtin, den Vollkommensten allein zur Liebe für die Vollkommenste. Die Stämme vermischten sich, wie natürlich. So entstanden in den Seelen der Menschen Schönheitslinien, die ihre Ideale waren, nach denen sie suchten, die sie liebten, denen auch ihre innere Vollkommenheit korrespondirte, und die allein sie lieben konnten.

Und wie weise, Lissow! So sucht der vollkommne Mann nur das vollkommne Weib auf der ganzen Erde, und ruhet nicht eher, als bis er es gefunden hat. Ihr Bild liegt schon, noch ehe er sie sah, in seiner Seele. Sobald das Mädchen mit den inneren Vollkommenheiten, die zu den seinigen passen, ihm zu Gesichte kommt, ordnet sein Gemüth die Vollkommenheiten zu der Form, die ihm das höchste Ideal der Schönheit scheint. Er betet an, wo Andere kalt bleiben, hat nun seine Hälfte gefunden, und ist glücklich. So findet der Neger seine dicke, rundköpfige Negerin schön, weil diese Form ihm das höchste Ideal ist. So muß die wahre Liebe immer nur auf einmal, und immer nur durch die körperliche Schönheit, entstehen. Sieh, wie viele Wahrheit nun auf einmal die schönen, unerklärbaren Mythen der Griechen enthalten! Venus Urania, die reinste Liebe, die Seelenliebe, ist nichts als die schönste Form, ohne alle Hülle, ohne Eltern aus dem Meere geboren. Sie ist die Göttin der Schönheit; die holden Grazien sind ihre Dienerinnen. Die personificirte Wollust hingegen, Amor, trägt die brennende Fackel, die tödtlichen Pfeile der Leidenschaft, des ungeleiteten Geschlechtstriebes. Aber seine Augen sind verbunden: er sieht die schöne Form nicht, welche die Liebe beseelen soll; er ist blind, und seine Liebe nichts als thierische Wollust. Sieh die reitzende Fabel: Amor und Psyche, die Wollust und der Mensch. Wie lehrreich! Sobald Psyche den Geliebten sieht, hört die Wollust auf; Amor entflieht, und in Psychens Seele bleibt nichts zurück als das Verlangen, die Sehnsucht nach dem Geliebten. Sie irrt über die ganze Erde, um ihr Ideal zu suchen, und ist unglücklich, weil sie der Wollust fröhnte. Noch täglich bestätigt die Erfahrung diese lehrreiche Fabel. Die Nacht, die Finsterniß, ist die Zeit und der Schauplatz der Wollust, der Ausschweifungen, und für die Unschuld am gefährlichsten. Natürlich! Man sieht die schöne Form nicht, die allein man lieben kann; die Phantasie hängt das innere Ideal über den Gegenstand der Wollust, wie einen glänzenden Schleier, und betriegt die Seele mit erborgter Schönheit.

Ich glaube, man wäre im Stande in der Dunkelheit der Nacht selbst eine Negerin reitzend zu finden; aber der erste Strahl des Tages zerstört diese unnatürliche Liebe wieder, und man schämt sich seines augenblicklichen Irrtums.“

Emilie schien unserm Baron nun das Ideal zu seyn, das er suchte; „denn“, sagte er, „als ich den ersten Blick auf sie warf, liebte ich sie. Ihre Gestalt schlummerte in meiner Seele; so, und nicht anders, hatte ich mir immer die vollkommne Celtin gedacht.“ Das träumte er so lange und so stark, bis er endlich wieder die heißeste Sehnsucht nach Emilien fühlte. Er war traurig, hielt sich für unglücklich, und wurde es in der That. Indeß blieb Iglou, die jede Nacht vor seinem Zimmer lag, noch immer eine gefährliche Nebenbuhlerin für Emilien. So oft er ihre Athemzüge säuseln hörte, mahlte seine geschäftige Phantasie ihm jedesmal die nächtliche Scene vor; und trotz seinem Ideale mußte er manche Nacht kämpfen, daß er nicht die schlanke Iglou durch irgend ein Geräusch in sein Zimmer lockte. Um dieser Versuchung seiner Sinnlichkeit zu entgehen, ließ er des Nachts Licht brennen. „So“, dachte er, „seh' ich sogleich, wie weit Iglou von meinem Ideale absteht, wenn auch der Zufall sie einmal zu mir führen sollte.“ Aber Iglou selbst ersparte ihm die Versuchung; sie war seit jener Scene scheuer, und kam nicht mehr so oft, so spät zu ihm, besonders wenn er sich allein befand.

Dadurch gewann aber das arme Mädchen nichts; denn sie war ja eine Mohrin, und mußte also nothwendig wollüstig seyn. Diese Vorstellung, verbunden mit großem Wohlwollen für die arme Iglou, veranlaßte den Baron zu dem Wunsche, sie von dem Uebermaße der Sinnlichkeit zu heilen. Aber wie war das anzufangen? Er las mancherlei über Seelenliebe, schöne Form, Wollust, und dergleichen; und nun fand er – der Himmel mag wissen in welchem Buche – die Behauptung: Lateinlernen und der Generalbaß wären das wirksamste Mittel gegen die Wollust 1). Der Baron stutzte; denn dieser paradoxe Satz stand da ohne allen Beweis. Er sann auf den Grund für diese seltsame Behauptung; und – was findet man nicht, wenn man Lust hat zu finden! „Apollo stillte mit den Tönen seiner Lyra die wilden Leidenschaften der rohen Griechen, bildete sie durch Musik zu Menschen. Orpheus zähmte Löwen mit seiner Musik.“ Der Baron sprang triumphirend auf, als er das gedacht hatte. Er philosophirte: „Schönheit ist Mannigfaltigkeit, harmonisch zu Einem geordnet. Der Generalbaß ist die Lehre der Harmonien. Töne erregen Bilder; harmonische Töne harmonische Bilder, oder schöne Formen. Alle rohen Völker haben nur ein Paar Töne; und ihre Musik ist einstimmig. Die Kalmykken halten unsere Musik für abscheulich; aber auch unsere schöne Form. O Himmel! wie doch alles zusammen stimmt, wenn man Geist hat zu denken! Schönheit, Musik, Mahlerei, Baukunst, alles, alles!“

Mit dem Lateinlernen wollte das Erklären weniger gehen; er fand schlechterdings keinen Grund, warum die Lateinische Sprache die Wollust ausrotten sollte. Nicht lange, so fiel er auf den natürlichen Gedanken, daß die Römer also das keuscheste Volk auf der Erde gewesen seyn müßten. Und die Zeiten des Perseus? Das war zu arg! „Aber“, rief er endlich aus, „waren denn die Römer nicht das keuscheste Volk der Erde? wenigstens in den früheren Jahrhunderten? Wurde nicht die erste Ehescheidung als eine wichtige Begebenheit betrachtet? Haben nicht die Geschichtsschreiber den ersten Ehebruch als etwas Merkwürdiges aufgezeichnet? Wann riß die Wollust unter den Römern ein? Als sie mit den Griechen bekannt wurden, als sie die Griechische Sprache annahmen. Genug, die Römische Sprache mußte also etwas an sich haben, das die Wollust hinderte; das ist ja augenscheinlich.“

Nun sprach er einige Tage hindurch von nichts anderem als von dem Generalbasse und der Lateinischen Sprache. Er bat Iglou, in beiden Unterricht zu nehmen, und sie that es mit der Heftigkeit, welche heiße Liebe immer giebt.

Der Baron fürchtete, daß sie bei ihrer Negernatur nicht viel lernen würde; aber sie machte reißende Fortschritte. Für die Laute bekam sie sogar einen brennenden Enthusiasmus; auch fing sie an zu singen, was sie bei ihrer reinen, zärtlichen Stimme und ihrem Herzen voll Flammen bald sehr vorzüglich konnte. Ihr Lehrmeister erstaunte über die Leichtigkeit, womit Iglou begriff. „Ach, das Mechanische“, sagte Flaming seufzend, „begreift sie wohl: die Melodie; aber die Musik selbst, die Harmonie – da wird es nicht gehen!“ Es ging auch mit der Harmonie, und eben so mit der Lateinischen Sprache. Der Zufall hatte dem Mädchen einen guten Kopf zum Lehrer gegeben; und sie lernte von ihm nicht bloß Lateinisch, sondern auch denken, fühlen, wie eine Römerin. Sie las jeden Augenblick, den sie der Laute und ihrem geliebten Herrn abstehlen konnte; und ihre melancholisch schwärmerische Seele erhielt jetzt durch die Römischen Geschichtsschreiber einen Zug von Größe.

Iglou fing auch an zu zeichnen, und zwar unter des Barons Anleitung. Dieser schüttelte den Kopf, als sie an der Schlangenlinie, trotz seinem Demonstriren, nichts Schönes finden wollte. Wie kann eine Linie schön seyn? fragte sie, und blieb bei ihrem Unglauben. „Du armes Geschöpf!“ sagte der Baron mitleidig. „Ach, Iglou, deine Mühe wird vergeblich seyn; du wirst nicht zeichnen lernen.“ Aber trotz der Schlangenlinie lernte Iglou zeichnen. Nun sagte Flaming, sie fühle nichts bei den schönsten Zeichnungen. – Und was soll man dabei fühlen? fragte Iglou; es sind ja nur Bilder: und mein Herz gehört den guten Menschen!

Unter diesen Beschäftigungen waren mehrere Monathe verflossen. Der Baron überzeugte sich von Tage zu Tage immer stärker, daß Iglou zu den niedrigsten Menschen gehöre, und aus Wollust, aus allen Lastern zusammengesetzt sey; aber dennoch gewöhnte er sich so sehr an ihre Gesellschaft, daß er nicht ohne sie leben konnte. Er stand hinter ihrem Stuhle, wenn sie zeichnete, saß horchend da, wenn sie sang, und ließ sich auch von ihr vorlesen, wobei sie denn immer tausend Fragen zu thun hatte, die er mit der größten Geduld beantwortete.

So las Iglou ihm eines Abends eine von Seneca's Controversen vor. Ein Tyrann hetzte die Sklaven auf, die Töchter ihrer Herren zu schänden. Die Bürger fliehen. Ein Sklav schützt die Tochter seines Herrn gegen die Schande. Der Tyrann wird getödtet, die Bürger kehren zurück, die treulosen Sklaven werden hingerichtet; nur der treue Sklav, der die Jungfrau beschützt hat, erhält ihre Hand von ihrem Vater. Der Sohn klagt den Vater an, und das Mädchen wird dem Sklaven durch einen Urtheilsspruch der Stadt wieder genommen.

O, das ist grausam! rief Iglou. Konnte der Vater den Edelmuth des Jünglings anders belohnen, als mit der Hand des Mädchens? – „Nein, Iglou!“ sagte der Baron heftig; „ein weiser, ein gerechter Urtheilsspruch! O Himmel!“ fuhr er fort, und stand auf; „da liegt ja mein ganzes System in dieser Verhandlung. Nein, nein, auch nicht Aufopferung des Lebens giebt dem unedlen Menschen Recht auf den Besitz eines edleren Mädchens. Weise geurtheilt! O, ihr wußtet, was ein Sklav ist!“

Und bin auch ich eine Sklavin? fragte Iglou mit langsamer Stimme, und sah den Baron starr an; und deine Sklavin? Also ...? – Sie wurde bleich, und legte die eine Hand auf die Stirn, die andere auf ihr Herz. – Also weil der Jüngling nicht frei geboren war? fragte sie nach einer Pause, in der sie nachzudenken schien ... Und er mochte der edelste, großmüthigste Mensch seyn? –

„Der edelste, großmüthigste Mensch? – Dann wäre er nicht Sklav gewesen!“

Nicht? rief Iglou mit brechender Stimme. O, ich Unglückliche! So hab' ich wenigstens eine Hand, – fuhr sie mit funkelnden Augen und heftiger Geberde fort – die stark genug ist, dies Herz, das du verachtest, zu durchstoßen. Mit diesen Worten ergriff sie ein scharfes Messer.

Der Baron erstarrte; er wußte noch nicht einmal, daß Iglou beleidigt seyn konnte: denn er hatte an nichts als an sein System gedacht. Schnell fiel er ihr in den Arm, entriß ihr das Messer, umfaßte sie, und drückte sie an sein Herz. Iglou zerfloß an seiner Brust in heißen Thränen. Hundertmal rief sie jammernd: o, ich Unglückliche! Der Baron liebkoste ihr, trocknete die Thränen von ihren Wangen, nannte sie seine theure, seine liebe Iglou, sogar seine Freundin; und es gelang ihm, sie vollkommen zu beruhigen. Aber dennoch hatte dieser Umstand eine so große Wirkung auf Iglou gethan, daß sie bei der kleinsten Gelegenheit aufs neue trauerte. Flaming sann darauf, sie ganz zu beruhigen, und schenkte ihr in Gegenwart seines Bedienten und des Hauswirthes ihre Freiheit. Iglou's Augen funkelten vor Freude. Nun, rief sie laut; nun bin ich, was du bist: ein Mensch! Habe Dank! Sie nahm seine Hand, und drückte sie an ihre Brust; aber sie warf sich nicht vor ihm nieder, wie sie es sonst zuweilen gethan hatte. Doch als Wirth und Bedienter hinaus gegangen waren, sank sie vor ihm auf die Kniee, und sagte: du hast mich frei gegeben, und jetzt macht mich die Dankbarkeit, dieses Herz, ewig wieder zu deiner Sklavin.

Flaming fühlte sich durch dies alles auf eine sonderbare Weise gerührt; aber sobald er allein war, hielt er sich wieder an sein System. Er lächelte. „Setze“, sagte er, „einen Sklaven auf einen Thron, und er wird sich freiwillig seiner Freiheit begeben; er kann nichts anderes als Sklav seyn: denn die Natur hat ihn dazu bestimmt.“ Iglou's Liebe hielt er für ihre sklavische Natur.

Einige Monathe nach dieser Scene trat er in einen Putzladen, um für Iglou etwas zu kaufen. Er blieb starr vor Verwunderung stehen; denn da war die Frau von Koch, und handelte. Schon zog er sich leise wieder zurück, um nicht von ihr bemerkt zu werden und ihr dann heimlich bis in ihre Wohnung zu folgen. Aber in eben dem Augenblicke sah die Frau von Koch sich um, und erkannte ihn sogleich. Ah, Herr Baron! rief sie freudig, und trat auf ihn zu. Gott Lob, daß ich Sie finde! Wie glücklich wird Emilie seyn! Kommen Sie, kommen Sie! Sie müssen noch heute zu ihr! – Diese Sprache war dem Baron so unerwartet, daß er nicht wußte, was er sagen sollte. Frau von Koch nahm seinen Arm, und ließ sich von ihm gerade in sein eigenes Wirthshaus führen. Sie konnte die Zeit nicht erwarten, und es mußte sogleich angespannt werden. Iglou sprang, ohne daß es ihr befohlen war, auf den Bock, und die Reise ging nach dem Gute der Frau von Koch, die zu Büdesheim, etwa vier Stunden von Frankfurt, in einer sehr reitzenden Gegend wohnte und sie zu einem kleinen Paradiese verschönert hatte.

Frau von Koch sagte dem Baron unterweges viel Angenehmes von Emilien, und er gerieth in Zweifel, ob er ihr nicht Unrecht gethan haben könnte. Diese wollüstige Frau, die Beischläferin eines Fürsten, hatte seine Beleidigungen vergessen? Das schien ihm ein Traum. „Nicht wahr?“ sagte er, und faßte ihre Hand; „die Musik ist wohl eine Lieblingsunterhaltung für Sie in Ihrer Einsamkeit? Ich seh' es Ihnen an, meine theure Frau von Koch, Sie verstehen den Generalbaß aus dem Grunde.“

Sonderbarer Mensch! sagte die schöne Frau; müssen Sie denn immer den Leuten etwas ansehen und sich immer irren? Musik ist meine Sache gar nicht. Ich habe sie hundertmal angefangen; aber ich muß gar keinen Sinn dafür haben. – Der Baron ließ den Kopf hangen, als er diese Erklärung hörte. Indeß, was war zu thun? Er kam durch die wollüstige Frau doch zu Emilien, dem Ideale der Schönheit, das er suchte.

Als sie am Dorfe waren, ließ Frau von Koch halten, und ging an der Nieder mit ihm hinauf, bis zu dem Garten. Hier traten sie in ein kühles, duftendes Gebüsch, durch das ein Labyrinth von gewundenen Gängen führte. Frau von Koch bat den Baron, in einer dunkeln Laube zu bleiben, und sich nicht zu verrathen. „Iglou“, sagte der Baron; „freue dich! denn ich bin so glücklich. Heute soll ich meine theuerste Freundin wiedersehen, von der ein hartes Geschick mich trennte. O Iglou, dir würde so seyn, wenn du auf einmal deine Schwester hier anträfest!“ – Iglou zitterte vor wehmüthiger Freude, und drückte theilnehmend des Barons Hände. Aber, fragte sie herzlich, wirst du nun auch deine Iglou nicht vergessen? – „Ich werde dich nie vergessen, liebe Iglou!“ erwiederte er; und sie überhäufte ihn mit den zärtlichsten Liebkosungen. Doch jetzt mußte er schweigen, da er Emiliens Stimme hörte.

Frau von Koch unterredete sich mit Emilien von dem Baron. Sein Herz hob sich vor Entzücken; denn seine Geliebte sprach von ihm mit der zärtlichsten Rührung. O, mein halbes Leben gäbe ich darum, wenn er hier wäre! sagte sie, als sie an der Laube wegging, die den Baron verbarg. Frau von Koch hielt Emilien hier auf, und jetzt hatte der Baron Zeit, seine Geliebte zu betrachten. Nicht leicht konnte ein Mädchen reitzender seyn, als Emilie. Sie war sehr ungewöhnlich, aber äußerst lieblich, gekleidet. Um ihr blondes Haar zog sich ein Kranz von Purpurrosen und Kornblumen; ein weißes, mit Blumen gesticktes Kleid umfaßte nur so eben den schönen schlanken Leib; und das lange blonde Haar ringelte sich über beide Schultern den Nacken hinab. Jetzt erst fiel dem Baron ein, daß das Fremde, was er an der Frau von Koch bemerkt hatte, ebenfalls von ihrer ungewöhnlichen Kleidung herrührte, die aber auch ihr sehr gut stand. Er betrachtete mit frohen Blicken das schöne Mädchen, das so zärtlich von ihm sprach; aber dennoch scheuete er sich hervorzutreten, bis die Frau von Koch hinter Emiliens Rücken ihm winkte. Nun ging er endlich auf Beide zu. „Emilie!“ sagte er in einem wirklich schönen Tone; „bin ich dieses Andenkens von Ihnen werth?“ Er beugte sich auf ihre Hand. Emilie erröthete. Frau von Koch sagte ihr einige Worte ins Ohr; nun lächelte Emilie ihr zu, erröthete aufs neue, breitete die Arme aus, drückte den Baron an ihre Brust, und sagte: so, hab' ich meiner Freundin versprochen, meinen Retter zu empfangen. Der Baron verging fast vor Entzücken, als Emiliens Lippen die seinigen berührten. Er ergriff ihre schöne, weiße Hand, legte seinen Mund darauf, und zitterte. Ihm fiel ein, wie kalt er gegen Emilien in der Entfernung gewesen war, und er sagte aufrichtig: „nein, theuerste Emilie; diesen Empfang von Ihnen habe ich nicht verdient. Doch von nun an sollen Sie mein einziger Gedanke seyn, mein einziger Wunsch, meine Welt, mein Alles!“

 

 

Und Iglou? und Iglou? – Mit diesen Worten stürzte Iglou aus der Laube, und fiel ihm zu Füßen, wobei Thränen aus ihren blitzenden Augen strömten. Sie ergriff des Barons Hand, und drückte sie schmerzlich an ihre Brust. – Und Iglou ist vergessen! sagte sie in einem klagenden, vorwerfenden Tone. Emilie sprang einen Schritt zurück bei dem Anblicke dieser Gestalt, und fragte zitternd: wer ist das?

„Dieser Knabe“, antwortete der Baron verlegen, „hat mir das Leben gerettet. – Meinst du, Iglou, daß ich dich je vergessen könnte?“ Er erzählte Emilien von Iglou; doch verschwieg er ihr Geschlecht, ob er gleich selbst nicht wußte, warum er das that. Iglou warf einen Blick auf ihn, und dann ging sie langsam wieder in das Gebüsch. Der Baron mußte nun Emilien die Begebenheit ausführlich erzählen. Als er damit fertig war, kam Iglou, in sich gekehrt, so eben den Gang zu ihnen her. Emilie ging auf sie zu, und sagte: Fürchte nichts! Dein Herr wird dich nie vergessen; und auch ich, mein edler Iglou, bin dir Dank schuldig für meines Freundes Leben. Sie zog einige Goldstücke hervor, und legte sie in Iglou's Hand. Iglou gab sie ihr mit Kopfschütteln zurück. Als dann Emilie in sie drang, daß sie nehmen sollte, stürzten auf einmal wieder Thränen aus ihren Augen, und sie sagte mit einer Art von Bitterkeit: Staub für Liebe! für dies Herz Metall! ... Ich liebe ihn, setzte sie, auf Flaming zeigend, hinzu. Behalte dein Gold, Weiße. In meinem Lande hatte ich Gold die Menge; aber ich gab Liebe für Liebe! Ihr Alle wißt nicht, wie es hier schlägt! Sie legte die Hand auf das Herz, und ging tiefsinnig in das Gebüsch zurück.

Emilie war von dem stolzen Gefühle des Knaben gerührt, und sah ihm mit zärtlicher Empfindung nach. Frau von Koch führte nun den Baron im Garten umher, und Emilie erzählte ihm mit Entzücken, wie zufrieden und glücklich sie hier lebte. Die Nieder, ein kleiner Fluß, machte die Gränze des Gartens. Ein dichtes Gebüsch von allerlei blühendem Gesträuch faßte das Ufer ein. Gewundene Gänge stahlen sich hier in das dichte Gebüsch; dann liefen sie am Wasser weg, dann endigten sie sich unter einer Gruppe von Bäumen, in einer kühlen Laube, oder auf einer Höhe, welche die ganze Gegend beherrschte. Der Garten war Emiliens Werk; sie und der alte Gärtner hatten ihn angelegt. Man konnte nicht zwanzig Schritte darin gehen, ohne zu bemerken, daß ein fühlendes, sanftes Herz ihn für die frommen Spiele einer wehmüthigen Phantasie geschaffen hatte. Alles war still, ohne Pracht, heimlich und einfach. Das Haus, zu dem ein dunkler Gang von hohen Ulmen führte, paßte zu dem Garten. Es war ehemals ein Kloster gewesen, und Frau von Koch hatte, so wie Emilie, alles gethan, das stille, klösterliche Ansehen nicht verloren gehen zu lassen.

Sobald Frau von Koch von der Untreue des Fürsten überzeugt war, betrachtete sie sich als eine Wittwe; und vielleicht haben wenige Wittwen den Tod ihres Mannes so aufrichtig betrauert, wie Frau von Koch die Untreue ihres Geliebten. Sie ging nach Büdesheim, und fand den Garten passend für ihre Stimmung. Vom ersten Augenblick an hängte sie sich nun mit aller Empfindung ihres vollen Herzens an Emilien, deren Liebe sie schon lange hatte. Beide lebten hier in verschlossener Einsamkeit; Frau von Koch betrauerte, und Emilie erwartete ihren Geliebten. Man kann leicht denken, daß jene Anfangs gar nicht des Barons Parthei nahm; Emilie aber, die ihm so viel zu verdanken hatte, vertheidigte ihn immer so lebhaft, daß endlich auch ihre Freundin für ihn gewonnen wurde. Frau von Koch bewirkte bei Emilien weiter nichts, als den Entschluß, des Barons Liebe auf die Probe zu setzen. Sieh, mein Kind, sagte Frau von Koch; wenn er dich liebt, so wird er dich so lange suchen, bis er dich findet. – Emilien, deren Herz nur Dankbarkeit und Achtung für den Baron empfand, gefiel diese Probe als etwas Romantisches; die Vorstellung, sich von einem treuen Geliebten suchen zu lassen, war ihr wenigstens eben so angenehm, als die, ihn in ihren Armen zu halten. Sie dachte sich den Baron immer in ihrer Nähe, und vergaß, daß es ihm sehr schwer seyn mußte, sie aufzufinden.

Ueberhaupt hatte Emiliens Phantasie schon vom Anfang an in dieser lieblichen Einsamkeit etwas Romantisches bekommen. Die Idee, hier für ihre Freundin und für den Geliebten zu leben; der ehemalige Druck, unter dem sie gewesen war, und ihre jetzige Freiheit dagegen; der stille einsame Genuß der schönen Natur; die Treue, zu der sie ihrem Geliebten verpflichtet zu seyn, und die sie schon durch den bloßen Umgang mit einem andern Manne zu brechen glaubte: alles das füllte ihre Seele mit schönen, an Genuß reichen Gefühlen, welche aber durch die Einsamkeit zu Schwärmerei wurden. Nie kam sie aus Büdesheim weg. Ihr Leben verfloß unter Gärtnerei, Lektüre, und der Beschäftigung, einige hübsche Mädchen im Dorfe, die sie an sich gezogen hatte, zu unterrichten. Sie ging nur vom Zimmer in den Garten, aus dem Garten in das Zimmer, und vermied auch deshalb allen Umgang, weil Frau von Koch ihr, je mehr sie des Fürsten Kälte merkte, in jedem Briefe schrieb: „o Emilie, fliehe die Menschen, diese treulosen, verrätherischen Geschöpfe! Ja, bald wollen wir uns allein, uns selbst, der Freundschaft leben! Kein Mensch soll seinen Fuß in das Paradies setzen, das du verschönerst.“

Das schrieb Frau von Koch endlich immer bestimmter, und Emilien wurde es leicht, die Wünsche ihrer Freundin zu erfüllen. Sie war ja so glücklich, und sehnte sich nach keiner Gesellschaft. Weil sie nun einmal ganz sich lebte, so fing sie endlich auch an, sich nach ihrer Phantasie zu kleiden. Zuerst ging sie Morgens früh unfrisirt in den Garten. Dann nahm sie eine kleine Aenderung mit dem steifen, unbequemen Anzuge vor; und so bekam ihre Kleidung nach und nach einen ganz ungewöhnlichen Schnitt. Diese Kleidung war leicht und bequem, wie eine Griechin unter dem rauheren Himmel Deutschlands sie würde getragen haben. Als Frau von Koch endlich in Büdesheim ankam, fand auch sie Geschmack an dieser seltsamen Art zu leben, weil sie den Verlust des Fürsten, den sie aufrichtig geliebt hatte, ungestört betrauern wollte.

In der ganzen Gegend umher wurde nun von den beiden schönen Frauenzimmern gesprochen, die so verschlossen wie ein Paar Nonnen lebten. Viele Leute suchten ihre Bekanntschaft; aber sie mußten die Hoffnung dazu endlich ganz aufgeben, da die Frauenzimmer schlechterdings keinen Besuch annahmen, und fast nie aus Büdesheim heraus gingen. Nur ein einziger junger Mann war so glücklich, Umgang mit ihnen zu erhalten. Hilbert, der Sohn eines reichen Kaufmanns in Frankfurt, hatte eine sehr ausgezeichnete Erziehung gehabt. Er war durch ganz Europa gereist, und gesund, froh, mit vielen praktischen Kenntnissen bereichert, zurückgekommen. Nun wollte er den Handel, der ihn in Verbindung mit der ganzen Erde brachte, und den er deshalb wirklich liebte, auf einem edlen Fuße führen; allein sein Vater, ein Mann nach der alten Sitte, stimmte nicht dazu, woran er vielleicht wohl that. Er ließ den Sohn an sein Sterbebett kommen, und sich von ihm versprechen, daß er immer mit dem Manne seiner Schwester in Verbindung bleiben, und eben diesem auch die Besorgung des Handels überlassen wollte. Der junge Hilbert versprach das, und hielt Wort, ohne je seinen geheimen Verdruß zu äußern. Er arbeitete, wie der erste Faktor der Handlung; doch wurde ihm zuletzt das Geschäft so widrig, daß er seine frohe Laune darüber verlor. Seine Schwester bat ihn selbst, sich die Arbeit leichter zu machen. Er that es, überließ die Handlung ganz seinem Schwager, und zog nach Burggräfenrode, wo die Familie ein artiges Landhaus besaß, um da den Sommer über zu leben.

Seine Familie bat ihn oft, zu heirathen. Er schlug es nicht ab; allein er kannte kein Mädchen, dem er sein Glück hätte anvertrauen mögen. Bei der Ernte streifte er einmal im Felde umher, und betrachtete die Schnitter mit einer Art von Rührung. So führte ihn der Zufall bis an die Nieder, wo sie den Garten der Frau von Koch einschließt. Er setzte sich unter die Weiden am Ufer; und auf einmal erblickte er Emilien, die, ohne ihn zu bemerken, aus dem Gebüsch im Garten an das jenseitige Ufer des Flusses trat.

Die Schönheit des Mädchens, ihre natürliche Kleidung, die Gutherzigkeit und Sanftmuth in ihrem holden Gesichte – alles machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Er erkundigte sich in Büdesheim nach ihr, und wurde noch neugieriger auf ihre Bekanntschaft, als er hörte, daß sie mit ihrer Mutter in der tiefsten Verborgenheit lebte. Ohne große Schwierigkeit erhielt er ihre Bekanntschaft, da er ein ähnliches Leben auf seinem Gütchen zu führen schien; und je näher er Emilien kennen lernte, desto inniger liebte er sie, ob er gleich seine Liebe ihr und der Mutter gänzlich verhehlte. Natürlicher Weise ging er nun nicht eher nach Frankfurt, als bis der Schnee ihn verjagte. Im Frühlinge kam er mit den Lerchen auf sein Landhaus zurück, und sein erster Gang war zu der Frau von Koch. Er erhielt bald die Achtung und das Vertrauen seiner neuen Bekanntinnen, obgleich Frau von Koch wohl einsah, daß er nicht ganz so dachte, wie sie, und das Romantische in ihrer Lebensart nicht billigte. In Kurzem stritten sie oft darüber. „Nein“, sagte Hilbert; „hätten Sie auch das Recht, Madame, sich von den Menschen abzusondern, was doch ein guter Mensch nie hat: so haben Sie doch kein Recht, dies Mädchen der Welt zu entziehen, und dessen Kopf, dessen Herz mit Träumen anzufüllen, die nur, wenn auch alle Zufälle sich nach Ihrem Plane ordnen, sie höchstens nicht unglücklich machen. Die Mamsell in ihrer Einsamkeit verfehlt ihre Bestimmung gänzlich.“

Man bestand darauf, daß Abgeschiedenheit von den Menschen erlaubt sey. Hilbert behauptete das Gegentheil; doch nebenher wußte er die Eitelkeit der Frau von Koch so fein zu beschäftigen, daß sie, trotz seiner Halsstarrigkeit, nicht böse auf ihn seyn konnte. Er kam wieder, und Frau von Koch sagte: er liebt dich, Emilie. – Oder Sie, Mütterchen! erwiederte diese. Hilbert lief mit Beiden im Garten umher, plauderte mit Beiden, und gestand Beiden, daß, wenn er sich in die Einsamkeit vergraben müßte, er es doch nur mit ihnen Beiden könnte. Er war das Band, das die beiden Einsiedlerinnen an die Welt knüpfte; denn er erzählte ihnen die Begebenheiten der ganzen Gegend umher.

Hilbert fand ihre Kleidung sehr schön! „denn“, sagte er, „sie ist bequem, anständig und natürlich.“ – Sehen Sie nur, erwiederte die Koch, wie Sie Sich selbst widersprechen! Warum finden Sie denn das Andre an uns, was nicht gewöhnlich ist, so lächerlich? – „Warum, Madame? warum? Ich finde Ihre Kleidung hier schön; aber ich würde sie nicht so finden, wenn Sie in der Welt lebten. Ich finde es himmlisch, wenn Sie und Emilie zwischen den jungen Bauermädchen sitzen und unterrichten, obgleich auch das ungewöhnlich ist. Ich finde es spaßhaft, wenn Emilie den Vögelchen, die Junge haben, Futter zuträgt, da es ihnen im ganzen Garten nicht daran fehlt. Ich finde es lächerlich, daß Emilie die Obstbäume lieber von den Raupen abfressen läßt, als daß sie eine tödtet. Aber“ – setzte er mit blitzenden Augen hinzu – „ich finde es abscheulich, ja mehr als abscheulich, wenn Emilie in einer entlegenen Laube sitzt, über eine abgefallene Blüthe Thränen vergießt, oder ihr Herz mit einer Wehmuth ohne Gegenstand abmattet, und ganze Tage mit den Bildern ihrer hochgespannten Phantasie zwischen den Engeln verträumt. Die Thränen gehören den Unglücklichen; und so lange noch eine gute That unter Menschen zu thun bleibt, ist es Sünde von Thaten unter den Engeln zu träumen.“

Sie sind ein Mensch ohne Gefühl! sagten beide Frauenzimmer zugleich; und er antwortete: „wenigstens fühle ich sehr tief, daß es andere, bessere Träume giebt, als diese überirdischen, durch die Sie noch unglücklich werden können, meine gute Emilie. Ich fühle, daß eine Frau wie Sie, Madame, mit Ihrem Herzen, Ihrem Verstande, Ihren Reitzen, mehr thun könnte, als Blumen an Stäbe binden und junge Bäume stützen. Sie könnten das Glück einer Familie machen; Menschen lieben, anstatt ihrer Blumen; häusliches Glück haben, anstatt ...“

Häusliches Glück? Sie sind seltsam! Wer hat das mehr als wir? Wer liebt es mehr als wir?

„Einsamkeit ist nicht Eingezogenheit, und häusliches Glück verträgt sich am wenigsten mit Menschenfeindschaft. Wer wird dem Einsiedler, der seine Klause nicht verläßt, und keinen Menschen durch Freundschaft, Liebe und Beispiel glücklich macht – wer wird den häuslich nennen?“

So sprach Hilbert oft; doch es war vergeblich: die beiden Frauenzimmer blieben bei ihrer Art zu leben. Emilie sann wohl zuweilen nach, was sie anders thun könnte, als in der dunkeln Einsamkeit trauern, oder an ihren geliebten Flaming und selbst an Hilbert denken; doch hatte sie das Herz nicht, den jungen Mann darum zu fragen. Man gestand sich in Kurzem heimlich, und zuletzt ganz offen, daß man ihn gern sähe. Emilie saß, wenn sie ihn erwarten zu können glaubte, wohl eine Stunde auf dem Hügel im Garten, und betrachtete den Weg, der aus dem Hochholze hervorbrach, und den er von Burggräfenrode kommen mußte.

Hilbert suchte sich Emiliens Freundschaft immer mehr zu erwerben, und erhielt sie. Mit Vergnügen bemerkte er zuweilen sogar eine Spur von Liebe in ihrem Auge; doch oft glaubte er wieder, sich geirrt zu haben. Von einer bestimmteren Erklärung hielt ihn der Umstand ab, daß er nicht wußte, wer Emilie und ihre Mutter waren. Niemand konnte ihm Auskunft geben, und er sah, daß Beide es vorsetzlich vermieden, darüber zu sprechen. So überließ er denn seine Liebe und Emiliens Herz der Zeit.

Als endlich der Baron kam, erhielt Hilbert Aufschluß. Den Tag nach dessen Ankunft besuchte er die Frau von Koch, und sah Emilien mit dem Baron sehr vertraut im Garten auf und nieder gehen. Frau von Koch führte ihn zu dem Paare, und unterweges sagte sie ihm: das ist der Baron von Flaming, den uns der Zufall zugeführt hat, unser Freund und wahrscheinlich Emiliens ... Sie brach ab. – „Künftiger Gemahl?“ fragte Hilbert sehr dringend. – Wenn Sie schweigen wollen, ja, Emiliens künftiger Gemahl! antwortete sie ihm, und stellte ihn dann dem Baron vor.

Hilbert hatte alle seine Stärke nöthig, um bei dieser ihm so schrecklichen Erklärung nicht ganz die Fassung zu verlieren. Kaum konnte er einige Worte sagen, welche die Höflichkeit forderte; dann ging er unter einem Vorwande sogleich weg, und die Allee auf und nieder, um sich zu erholen. Er fühlte eine Art von Haß gegen den Baron in seiner Seele aufwallen; und das brachte ihn wieder zu sich selbst. Nun blieb er an einer Laube stehen, legte die Hand vor die Stirn, und sagte halb laut vor sich, mit trauriger, doch fester Stimme: „soll ich darum hassen, weil ich nicht geliebt werde? ... Nein!“ setzte er mit Thränen in den Augen hinzu. – Nein! nein! wiederholte eine traurige Stimme dicht bei ihm. Er sah auf, und Iglou stand in der Laube. Sie legte die Hand auf die Brust, als wollte sie ihr Herz zerdrücken. „Wer bist du?“ fragte Hilbert, und betrachtete den Mohren. –

Ich bin ... unglücklich; mein Herz wird brechen. Auch du weinst!

Hilbert zitterte vor dem Tone, mit dem der Mohr das sagte. „Aber was fehlt dir, armer Knabe?“ fragte er, und faßte Iglou's Hand. Sie blickte die Allee hinunter auf den Baron, der Emilien umfaßte, schüttelte sanft den Kopf, lächelte, und sagte: ach, da sieh! – Mit diesen Worten riß sie sich von ihm los, und eilte in das Gebüsch.

Die arme Iglou liebte den Baron mit der heißen Gluth des Himmels, unter dem sie geboren war. Und das konnte fast nicht anders seyn. Man hatte sie aus ihrem Vaterlande, aus den Armen ihrer Schwester weggerissen, von allen Menschen, die sie liebte, getrennt, zu einer harten Knechtschaft verdammt; nun fühlte die Unglückliche sich ganz verlassen, und ihr Herz voll heißer Liebe zerbrochen. Alle Menschen, denen sie sich näherte, verachteten, verabscheuten und mißhandelten sie. Dadurch bekam ihr Herz, das zur heftigsten Liebe oder zum tödtlichsten Hasse geschaffen war, eine Bitterkeit, die an ihr selber nagte. Der Baron war der erste, der sie wieder mit Menschlichkeit behandelte, alle Wunden ihres Herzens heilte, und sie an seine Brust aufnahm. Sie fühlte dafür unbeschreibliche Dankbarkeit; und diese Dankbarkeit mußte in einem so heißen Herzen bald Liebe werden. In der ganzen Welt war Flaming der einzige Mensch, an dem ihre Hoffnung sich hielt, die Quelle, aus der ihre Gefühle Nahrung sogen. Er hatte sogar ihre Liebe mit erfreulichen, entzückenden Hoffnungen genährt, sie an seine Brust gedrückt, sie geküßt, sie unterrichten lassen, sie selbst unterrichtet, und ihr die Freiheit geschenkt. Durch das alles war ihre Leidenschaft noch glühender geworden; ach, und nun sah sie ihn Emilien umfassen, hörte seine liebkosenden Worte, sah seine zärtlichen Blicke! Ihr Herz zerriß vor Eifersucht und Verzweiflung.

Sie ging immer mit Thränen in den Augen umher, suchte die Einsamkeit, und kehrte dennoch wieder zu dem Baron und zu Emilien zurück. Iglou, die unsre bürgerlichen Verhältnisse nicht kannte, dachte nichts deutlich, am wenigsten daran, den Baron zu heirathen. Sie liebte ihn nur, und wollte nur geliebt seyn. Haß gegen Emilien fühlte sie bei ihrer Eifersucht nicht, sondern nur den Schmerz, daß Flaming etwas Anderes außer ihr lieben konnte. Diesen ganzen Tag hatte er noch nicht ein Wort mit ihr gesprochen und sich sogar von einem Bedienten im Hause aufwarten lassen. Er war den Morgen, den Mittag, den Nachmittag bei Emilien gewesen, ohne die arme Iglou anzusehen, ohne einen freundlichen Blick auf sie zu werfen. Wie sollte das ihr Herz ertragen? Sie saß, bald seufzend, bald erbittert, in der Laube, und ihre Leidenschaft führte sie auf seltsame Ideen. Wenn die Weiße nicht wäre, dachte sie, und sah mit starren Blicken auf Emilien: – er würde mich nicht verlassen! ... O, wenn ich hier einen Giftpfeil hätte! Sie sah Emilien fallen, sterben, und – schlug die Hände vor das Gesicht. Tödten! dachte sie nun; tödten, die er liebt? weil er sie liebt? O abscheulich! In diesem Augenblicke sagte Hilbert vor sich: „soll ich darum hassen weil ich nicht geliebt werde? – Nein!“ Iglou sprang betäubt auf, rief mit Thränen in den Augen: nein, nein! und eilte, als sie einige Worte mit Hilbert gesprochen, in das Gebüsch, sich da ihrem Schmerz und ihrer Reue zu überlassen. Sie war nun schon über ein Jahr unterrichtet, und ihr Lehrer hatte zugleich ihr für die Tugend geschaffnes Herz gebildet.

Hilbert sah Iglou'n nach, und begriff nicht, was ihr Ausruf bedeuten könnte. Er hielt sie für einen Knaben von dreizehn oder vierzehn Jahren; und doch machte ihn der leidenschaftliche Ton ihrer Stimme irre. Mit dem Entschlusse, seine Liebe aufzugeben, ging er wieder zu Emilien, und stellte sich heiter, so viele Mühe es ihm auch kostete. Nicht lange, so war er es wirklich, und er wurde es noch mehr, als er eine geraume Zeit mit dem Baron allein sprach, und in jedem Worte seine Gutherzigkeit bemerkte, ohne zugleich etwas von seinen Thorheiten, zu denen das Gespräch keine Gelegenheit gab, zu erfahren. Sie wird glücklich, dachte er, und drückte dem Baron die Hand. Er dankte dem Himmel, daß Emilie seine Liebe noch nicht wußte.

Der Baron mußte den jungen Hilbert, trotz seinem dunkelbraunen Haare, sehr liebenswürdig finden; denn Emilie erzählte ihm eine ganze Stunde lang von dessen edlem Charakter, den sie nicht kannte, und von dessen feinem Gefühle, an das sie nicht glaubte. Ihre Innigkeit hatte sich dem Baron mitgetheilt; er umarmte daher Hilberten mit voller Seele, und bat aufrichtig um seine Freundschaft.

Hilbert, der gern mit sich selbst Versuche machte, blieb den Abend da. Er hörte den Baron mit Emilien von seiner Liebe unverhohlen sprechen, und Emilien, als auf etwas Bekanntes, mit Zärtlichkeit antworten. Das Zuhören wurde ihm zuletzt ein wenig schwer. Er ging hinaus in den Garten, um seine Kräfte aufs neue zu sammeln, setzte sich in eine Laube, stützte den Kopf auf, und träumte von dem Glücke, das er an Emiliens Herzen gefunden haben würde. In diese Träume verloren, blieb er bis gegen Mitternacht sitzen. Man glaubte, er wäre schon weggegangen, und alle Lichter im Hause wurden ausgelöscht. Auf einmal hörte er neben der Laube ein Seufzen, das bald ein trauerndes, heftiges Schluchzen wurde, und dann auch einige unvernehmliche Worte, aber mit dem rührenden Tone des tiefsten Jammers gesprochen. Nun wurde es still. Dann erklangen einige Lautentöne, als ob eine Hand, ihrer selbst unbewußt, einige Accorde griffe. Bald hob eine wilde und doch sanfte Melodie an, die in das Herz drang, weil sie aus dem Herzen kam. Diese Melodie wurde einige Male wiederholt, und nur von Seufzern begleitet. Dann aber sang auf einmal eine sanfte, reine Stimme, von Thränen unterbrochen, nachstehende Worte:

 

O weh! o weh! mich fesseln harte Bande!

So lebe wohl, mein stilles Palmenthal!

Die Sohle brennt in glühend heißem Sande,

und mich verzehrt der Sonne Feuerstrahl.

Da schlug der Schmerz

So wund mein Herz;

Da legte er

Mein Herz, so schwer,

So wund, so treu,

An seine Brust;

Und unbewußt

Drückt Er das treue Herz entzwei!

O weh! o weh! Sie reißen meine Hände

Aus deinen los! Sie schleppen dich zurück!

Ach zögert noch! Geliebte Schwester, wende

Noch einmal nur auf mich den letzten Blick!

Wie schlug der Schmerz

So wund mein Herz!

Da legte Er

Mein Herz, so schwer,

So wund, so treu

An seine Brust;

Und unbewußt

Drückt er das treue Herz entzwei!

O weh! o weh! Sieh, meine Füße bluten!

Mein Busen fliegt, vergeblich ist mein Schrei'n.

Dem Wagen nach muß ich durch Regenfluthen,

Durch Dornen gehn, und über Fels und Stein.

Wie schlug der Schmerz

So wund mein Herz!

Da legte Er

Mein Herz, so schwer,

So wund, so treu,

An seine Brust;

Und unbewußt

Drückt Er das treue Herz entzwei!

O weh! o weh! Und da nahm er das arme,

Verlaßne Kind – ihn jammerte mein Schmerz –

So liebevoll in seine Vaterarme,

Und legte sanft mich an sein warmes Herz.

Da schlug der Schmerz

Nicht mehr mein Herz.

Da heilte Er

Mein Herz, so schwer.

Es schlug beglückt

An seiner Brust,

Und unbewußt

Hat er das treue Herz zerdrückt.

 

Nun folgte ein Nachspiel, das immer trauernder, immer langsamer wurde, und sich zuletzt in einzelne leise Töne verlor. Hilberten war es, als ob noch immer rings um ihn her von der ganzen Natur, leise aber schrecklich, „o weh! o weh!“ gerufen würde. Die Worte des Liedes konnte er nicht verstehen; doch der höchste Schmerz hatte es gesungen, und seine Brust wallte von Mitleiden über. Er stand auf, ging um die Laube hin, und war entschlossen, der Unglücklichen seine Theilnahme zu bezeugen. Als er ein Geräusch hörte, sagte er mit sanfter Stimme: „o bleiben Sie! bleiben Sie, holdes zärtliches Mädchen! Sie haben auch mein Herz mit Ihrem entzückend traurigen Gesange zerdrückt. Wenn Mitleiden Sie trösten kann, so bleiben Sie, theures Mädchen!“ – Er fand Iglou's zitternde Hand, und drückte sie an seine Brust.

Die arme zärtliche Iglou lehnte ihren Kopf an das Herz, das ihr Mitleiden bot. Hilbert fühlte, daß ihre Thränen flössen, und drückte sie innig an sich. So saßen sie einige Minuten schweigend. Auf Hilberts Lippen schwebte die Frage: wer sind Sie? aber dennoch wagte er die Frage nicht. O mein Herz! sagte Iglou schluchzend, nahm ihre Hand aus der seinigen, und hielt sie auf ihre Brust. – „Dein Herz, armes Mädchen?“ wiederholte Hilbert. „Komm, lege dieses heiße Herz an die Brust der Freundschaft, wenn die Liebe es verstößt!“ Er umfaßte sie, und seine Hand lag auf einem vollen jugendlichen Busen. – Nein! nein! rief Iglou, und machte eine Bewegung, als wenn sie aufstehen wollte. „Holdes Mädchen“, sagte Hilbert zärtlich; „der Zufall hat mich zu Ihrem Vertrauten gemacht. Seyn Sie meine Freundin. An dieser Brust, liebes Mädchen, sollen Sie Mitleiden, Trost und Liebe finden.“ Er zog Iglou in seine Arme; doch sie rief mit dem Tone der Verzweiflung: nein, nein! und riß sich von ihm los. „O“, sagte Hilbert, und stand auf: „stoßen Sie die Freundschaft nicht von Sich. Welche andre Hülfe hat der Unglückliche, als das Mitleiden eines Freundes? Sie lieben ohne Hoffnung. Sagen Sie, theures Mädchen, was bleibt Ihnen anders als ...?“ In diesem Augenblicke merkte er, daß sie beide Arme zum Himmel empor hob. Sie wendete sich von ihm ab, und sagte leise, wie vor sich, mit einem so festen Tone, daß Hilbert zitterte: Cato, qua exeat, habet! 2) und mit diesem Ausruf entfloh sie. Hilbert verstand die Anspielung auf Cato's freiwilligen Tod. „O, unglückliches Mädchen!“ sagte er, unaussprechlich gerührt: „wenn dir kein anderer Ausweg übrig bleibt, als das Grab!“ Er wartete noch eine kleine Weile, und ging dann.

Auf dem Rückwege nach Burggräfenrode überdachte er sein Abentheuer mit der unglücklichen Sängerin. Er musterte alle weiblichen Geschöpfe im Hause der Frau von Koch, und es war nicht Eins darunter, dem er diese zarte Empfindung hätte zutrauen können. Die so stolz angebrachten Lateinischen Worte machten ihn noch neugieriger, die Unglückliche kennen zu lernen. Er interessirte sich unglaublich für seine Unbekannte, und konnte doch nicht einmal vermuthen, wer sie seyn möchte. Endlich dachte er, Frau von Koch, oder Emilie, müßte durchaus darum wissen. In dieser Meinung lenkte er, als er am folgenden Tage eine Viertelstunde mit Beiden allein war, das Gespräch auf die Musik, und von da auf die Laute. „Die Laute scheint das Instrument der Unglücklichen zu seyn“, sagte er, und heftete seinen Blick auf beide Damen; aber weder Emilie, noch die Frau von Koch, hatte jemals eine Laute gesehen. Er fing auf eine andre Weise an zu forschen, überzeugte sich aber bald, daß Beide nichts von der Laute wußten. Die Sache wurde für ihn immer räthselhafter. Er betrachtete die Kammerjungfer und jedes Hausmädchen; doch an keiner war auch nur eine Spur von Unglück und Empfindung zu bemerken.

Hilbert blieb heute wieder bis Mitternacht im Garten, und hörte abermals eine trauernde Melodie, und dann ein Lied, welches eben erst aus dem Stegreife gemacht zu werden schien. Es war ohne Reime, mehr Recitativ als Gesang, und enthielt die Empfindungen einer auf ewig scheidenden Geliebte, die nun das Leben wie eine schwere Bürde von sich wirft, und über die Treulosigkeit des Geliebten jammert. Hilbert wollte sich der Sängerin nähern; aber das erste Geräusch brachte sie zum Fliehen. Er folgte ihr, und sie lief in das Haus, die Treppe hinauf, wo sie dann leise eine Thür verschloß. Nachdenkend und voll seltsamer Vorstellungen ging er endlich nach Hause.

Er lauerte wieder einige Nächte; aber vergebens: es ließ sich keine Sängerin, kein Lautenton hören, und er mochte sich erkundigen, so viel er wollte, man wußte nichts von einem Mädchen, das Musik verstände. Die arme Iglou verbarg ihre Laute, so schwer es ihr auch wurde, sich von ihr zu trennen. Der Baron wollte schon den ersten Abend nach seiner Ankunft in Büdesheim Iglou aus seinem Schlafzimmer entfernen. Er hatte ihr ein eignes Zimmerchen anweisen lassen, weil er sehr wohl einsah, daß ihre nächtlichen Besuche, wenn ihr Geschlecht bekannt würde, einen sehr widrigen Verdacht bei Emilien erregen könnten. „Ich schlafe allein!“ sagte er mit halber Stimme und abgewendetem Gesichte; denn er hatte nicht den Muth, dem zärtlichen Mädchen geradezu das zu verbieten, was ihr so theuer war. Iglou schwieg, der Baron ebenfalls. Als er sich nach einer langen Pause umsah, lag sie hinter ihm auf den Knieen, und hatte die weinenden Augen mit beiden Händen bedeckt. – „Liebe Iglou“, sagte er nun verlegen; „es geht doch in der That nicht! Wenn man nun erführe, daß du ein Mädchen bist!“

Ach, erwiederte sie geduldig, ist es dir eine Schande, daß ein Mädchen dich liebt? O, lieber Herr, laß mich vor Gram sterben; aber verschmähe meine Liebe nicht, verstoß mich nicht! Ich will auf deiner Schwelle liegen, schlafen, sterben!

Sie bat so demüthig, so geduldig, daß die Verlegenheit des Barons zunahm. „Iglou“, sagte er, und ergriff ihre Hand; „weißt du denn von unsren Europäischen Sitten noch so wenig, daß du ...? Liebes Mädchen, sieh, diese Emilie ...“ – Iglou fing an zu zittern, und sagte dann mit zurückgehaltnem Schmerze: diese Weiße wird mich tödten! Und, glaube mir, sie hat mein Herz nicht! ... Ach, setzte sie hinzu, wenn ich weiß wäre! wenn blonde Locken um meine Stirn schwebten! wenn mein Herz unter einer weißen Brust schlüge! dann, dann! ... Nein, ich bleibe hier; und morgen will ich der Weißen diese Brust zeigen, die sie zerfleischt, und ihr sagen: laß uns mit Treue um seine Liebe kämpfen, mit Gehorsam, mit Liebe! Und trägt ihre weiße Haut, ihr blaues Auge, ihr blondes Haar den Sieg davon, so will ich diese Brust mit meinem Blute färben, ihr den Stahl geben, und sagen: da, stirb für ihn, wenn du ihn liebst wie ich! – Iglou war außer sich; sie stand da, als ob sie den Dolch schon höbe.

„Iglou“, sagte Flaming, und umfaßte sie sanft; „ist es möglich? du könntest deinen Freund so schmerzlich betrüben?“

Der Ton seiner Stimme besänftigte ihre Heftigkeit. Sie legte ihr Gesicht an seine Brust, und weinte stille Thränen. Du hast mich geliebt, sagte sie mit sanfter Klage. Ach, in jener Nacht fühlte ich das! Und nun, nun opferst du mich dieser Weißen, die dich nicht liebt!

So bestimmt hatte Iglou nie mit ihm gesprochen; aber nie hatte sie auch so bestimmt gefühlt, was sie wünschte, als da der Baron sich auf Emiliens Hand niederbeugte, und sie mit Ehrfurcht küßte. In diesem Augenblicke flog ganz deutlich der Gedanke durch ihre Seele: es sey ihr Unglück, wenn der Baron einer Andern gehöre als ihr. Flaming sah bei den letzten Worten das Mädchen starr an. Es war ihm widrig, daß Iglou nur glauben konnte, er habe sie einmal geliebt; und dennoch hatte er nicht die Stärke, ihr zu widersprechen. Er bat sie, jetzt zu gehen und auf ihrem Zimmer zu bleiben; dahin war sie aber selbst durch Befehle und Bitten nicht zu bringen. Alles, was der Baron von ihr erhielt, war das Versprechen, ihr Geschlecht so behutsam als möglich zu verbergen, jeden Abend auf ihr Zimmer zu gehen, und nicht eher als um Mitternacht, wenn alles schliefe, wiederzukommen. Der Baron mußte dies zugeben, so sehr er auch davor zitterte, daß man es entdecken möchte. „Indeß“, dachte er, „ich kann ja des Nachts immer Licht brennen; und so ist aller Verdacht leicht wieder gehoben.“

Das arme Mädchen sah am folgenden Tage wohl, daß Emilie sie besiegt hatte, und starrte mit wilden Blicken auf sie und auf den Baron. Trostlos ging sie auf ihr kleines Zimmer, das im Gebäude ganz abgesondert lag, weil niemand von dem Hausgesinde in der Nähe eines Schwarzen schlafen mochte. Sie schloß sich ein, nahm die Laute, weinte, sang, dichtete, und ging dann wieder in den Garten. Für nichts hatte sie Augen, außer für Emilien und den Baron. Hilberten sah sie nicht einmal; auch wußte sie kaum, daß sie schon einige Worte mit ihm gesprochen hatte. Um Mitternacht schlich sie mit der Laute in den Garten, und sang ihren Gram, ihre Verzweiflung. Sie entfloh, so wohl ihr auch Hilberts Mitleiden that, um sich ihm nicht zu entdecken, weil sie dem Baron versprochen hatte, ihr Geschlecht zu verbergen. Welchen andern Ausweg haben Sie? fragte Hilbert; und sie antwortete kühn, was sie dachte: den Tod! Daß sie so seltsam Lateinisch antwortete, war ganz natürlich. Sie hatte am Morgen ihrem Herrn aus dem Seneca die Untersuchung über die Vorsehung vorlesen müssen. Die schöne Stelle: „o ein Schauspiel, würdig, von der Gottheit selbst beobachtet zu werden: ein edler Mann, der mit seinem unglücklichen Schicksale ringt!“ machte einen tiefen Eindruck auf sie. Sie erhob sich, und ihre Stimme wurde laut, als sie von Cato las, daß er mit stolzer Stirn aufrecht unter dem zusammenstürzenden Vaterlande dasteht. Ihre Augen flammten; und dennoch zitterte sie, als die Worte kamen: Cato hat einen Ausweg – den Tod! Sie machte eine lange Pause, sah vor sich nieder, hob dann das Auge auf den Baron, und sagte bedeutend: der Unglückliche hat einen Ausweg!

Der Baron bemerkte so wenig ihren Blick, als er ihre Worte hörte. In seiner Seele tönten noch immer die Worte: es ist das erhabenste, göttlichste Schauspiel, wenn ein Edler männlich mit dem Unglück ringt! Er stand mechanisch mit Iglou zugleich auf. Sie dachte an den letzten Ausgang aus ihrem Unglücke; und er: wie er unglücklich werden, und dann in sich der Welt, der Gottheit das erhabenste, göttlichste Schauspiel geben könnte. Er verfinsterte die Stirn, und schüttelte den Kopf. Wie konnte er unglücklich werden, da er reich, gesund, geliebt, unverfolgt und frei war! „Iglou“, sagte er zuletzt; „ich wollte, daß ich der unglücklichste aller Menschen wäre!“

Ach, nein! nein!

„Verlassen von der ganzen Welt!“

Iglou faßte seine Hand. – Ich verließe dich nicht.

„Und um mich her stürzte alles in Trümmer!“ –

O, mein Herz bliebe dir! sagte Iglou mit einem Seufzer.

„Es möchte zusammenstürzen; ruhig, mit erhabner Stirn, würd' ich versinken!“

Ich stürzte mich dir nach!

„Nein, auch du, Iglou, solltest mich verlassen, und dennoch ...“

O, du Undankbarer! rief Iglou laut weinend.

„Iglou, und du würdest mich nicht bewundern, wenn ich männlich kämpfte?“ –

Bewundern, wenn du wünschest, daß ich dich verlassen soll?

Beide verstanden einander nicht. Er stellte sich, als hätte er Geschäfte, damit Iglou weggehen sollte. Dann verfolgte er den Gedanken, durch Ruhe bei dem größten Unglück die Bewunderung der Welt zu werden. Schnell durchlief seine Phantasie alle seine Verhältnisse, um zu sehen, ob nicht irgendwo ein schweres Unglück ihm drohe. Doch er sah überall nichts als Glück und Hoffnungen. „Ist es nicht ein Unglück, daß ich so glücklich bin!“ flisterte er. Dieser sonderbare Gedanke fiel ihm selbst auf. Doch bald rief er lauter: „ja, es ist so! Es liegt Wahrheit in dem Gedanken; denn“ – er schlug den Seneca wieder auf – „hier steht es: Marcet sine adversario virtus! 3) Wenn ich mein Vermögen verlöre – in Berlin, öffentlich auf den Straßen, wollt' ich Holz spalten; ... nur müßte Lissow nicht unglücklich werden. – Wenn ich das Opfer eines Fürsten würde; lachend wollte ich allen Menschen meine Fesseln zeigen, und der Kerker sollte für mich ein Paradies seyn. Wenn ich unter dem Schwerte des Henkers sterben müßte; ruhig wollte ich hinknieen, und dem Nachrichter sagen, wie Morus – nein, wie Sokrates – oder Schach wollte ich die Stunde vor meinem Tode spielen, oder – ja, so etwas wollt' ich. Wenn Emilie einen Andern liebte ! ... Nun, auch das! Ich wollte ruhig, lächelnd sogar, von hier abreisen. – Aber dann wüßte sie ja nicht, wie unglücklich ich wäre. Nein, holde Emilie, du wirst keinen Andern lieben! nein!“

Kurz, die neue Idee, durch Seelenstärke im höchsten Unglücke selbst die Catonen zu übertreffen, riß seine Blicke völlig von den gespannten Empfindungen seiner treuen Iglou weg, und er zerdrückte in der That das Herz dieser Armen, weil er so wenig Theil an ihr zu nehmen schien. Selbst Emilien vergaß er über den Seneca. Er las einige Tage nachher, daß der Weise weder durch Schmerz, noch durch Glück in seiner Ruhe gestört werde. „Ein gleicher, ruhiger Ernst“, sagte Seneca, „ist der Charakter des Weisen.“ Und natürlich war der Baron dieser Weise. Er schien bei Emiliens zärtlichsten Liebkosungen kalt und ungerührt da zu stehen, obgleich sein Herz in Entzücken schwamm. Emilie, die ohnedies nicht durch Liebe, sondern nur durch Dankbarkeit, mehr durch den Verstand, als durch ihr Herz, sich zu ihm hin gezogen fühlte – Emilie sagte zu der Frau von Koch: glauben Sie mir, er liebt mich nicht; und so sehr ich ihn auch liebe, so sehr ich ihm verbunden bin: so fühle ich mich doch stark genug, ihn seines Wortes zu entlassen, so bald es ihm auch nur die kleinste Aufopferung kostet.

Der Baron liebte Emilien wirklich, nehmlich, so viel ein Mann wie er lieben konnte. Emilie war indeß schon zu lange an die Vorstellung seiner Liebe gewöhnt, und hatte schon zu lange sich selbst überredet, sie liebe ihn leidenschaftlich, als daß es ihr ganz gleichgültig hätte seyn können, ob er zärtlich gegen sie war, oder nicht. Sie vergoß Thränen über seine Kälte. Doch glaubte sie, diese Kälte nicht bestrafen zu dürfen. Vielmehr verdoppelte sie ihre Liebkosungen; und, siehe da! der Baron, der sich auf diese Wirkung seiner Weisheit etwas zu gute that, wurde noch ruhiger und kälter. Emilie machte ihm endlich sogar kleine Vorwürfe. Das war es, was seine Eitelkeit erwartete; denn nun konnte er doch sagen: ich bin ein Weiser!

„Ich erkenne Ihren Werth, Emilie“, sagte er lächelnd, und küßte ihre Hand; „aber soll ich wie ein Knabe vor Entzücken vergehen? Wer ehrt Sie mehr, Emilie: der Mann, der Ihnen zu Füßen fällt, der das Glück, Sie die Seinige zu nennen, nicht ruhig ertragen kann, und Ihnen eben dadurch den Beweis giebt, daß er kein Mann ist; oder der Mann, der ihren Werth schätzt, der Sie liebt, dessen Brust aber gegen das Uebermaß des Entzückens, wie gegen das Unglück, gleich stark bleibt?“ – Wer mich, erwiederte Emilie, mehr ehrt, das weiß ich nicht; aber jener würde mich mehr lieben. – Nun setzte der Baron ihr die Pflichten eines Weisen aus einander. Emilie dachte, als er geendigt hatte, mit einem Seufzer: ach, mehr Liebe und weniger Weisheit würden mich doch glücklicher machen! Die Liebe kann nicht so reden, so ruhig denken. Sie schüttelte den Kopf; indeß beschloß sie, freilich mit einigem Widerwillen, den Baron auch so, wie er nun einmal war, zu lieben.

Iglou, die den Baron fast ununterbrochen beobachtete, zog aus seiner Kälte wieder einen Strahl von Hoffnung für sich. Sie eilte an dem Abend, da sie diese Bemerkung zuerst gemacht hatte, in das Zimmer ihres Herrn, und sank ihm voll Freude zu Füßen. Im Uebermaß ihres Entzückens verrieth sie ihre Gedanken; aber zu ihrem Schrecken erklärte ihr der Baron nun mit der größten Apathie: er liebe Emilien unbeschreiblich, und sie solle seine Gattin werden. – Und das, erwiederte Iglou mit Erbitterung, sagst du mir so kalt? das Gift tröpfelst du mir so ruhig in die Seele? – „Gift?“ hob der Baron an, und überströmte nun die glühende Iglou mit Seneca's kalten Sentenzen: Fa nos ducunt, liebe Iglou, sagt Seneca; ideo fortite romne ferendum est. Olim constitutum est, quid gaudeas, quid fleas. 4)

So fuhr er eine Zeitlang fort, Sentenz an Sentenz zu reihen, und Iglou sah ihm dabei starr in das Gesicht. Endlich schwieg er. – „Nun?“ fragte er lächelnd; „nun Iglou? was sagst du dazu?“ Ihr Busen hob sich ungestüm, und ihre Blicke wurden Flammen. Mit kalter Stimme sagte sie endlich: ein Gott mag so sprechen; aber ein Mensch, der einem Verzweifelnden nichts weiter, als das zu sagen hat, ist ein Bösewicht. Du hast mein Urtheil gesprochen. Ich habe dich mit brennender Seele geliebt; und noch jetzt, Undankbarer – sie warf sich ihm zu Füßen – flammt diese Brust für dich, diese Brust, die du so kalt mir befiehlst zu durchbohren.

„Befiehlst? Iglou! ich?“ rief Flaming. Der kalte, bittre Ton des Mädchens, die Entschlossenheit in ihrer Stellung und Stimme, brachte ihn zum zittern. „Iglou, ich bitte dich! Befiehlst, Iglou?“ – Ja, meinen Tod hast du befohlen, Unmensch! sagte Iglou noch kälter. Ich hoffte, du solltest meine blutige Brust mit Thränen waschen. Geh! ich will trostlos sterben. – Sie riß sich aus seinen Armen.

„Sterben, Iglou?“ – Er lief ängstlich an die Thür, als wollte er Hülfe holen; dann lief er zu Iglou zurück, umarmte sie, und beschwor sie mit Thränen, leben zu bleiben. Er stellte ihr sogar das Verbrechen des Selbstmordes vor. Sie hörte nicht ein Wort von allem, was er sagte, und stand beinahe fühllos, mit gesenktem Kopfe und in finsterer Stille, da. Ihr ganzes Innere war durch seine erkünstelte Kälte tief erschüttert, gekränkt, zerrissen. Endlich ergoß sich ihr Schmerz in Thränen, und zugleich sagte sie langsam, wie mechanisch, ebenfalls eine Stelle aus dem Seneca, von der Flaming nichts verstand, als die schrecklichen Worte: patet exitus! Quod tam cito fit, timetis diu? 5) Aengstlich sah Iglou umher, fing an zu zittern, und wendet sich, mit Hülfe suchenden, in die Höhe gehobenen Händen, nach allen Seiten. Erst jetzt schien sie den Baron zu sehen. Du? rief sie, wie verwundert, und streckte ihm beide Arme entgegen. Ah, nein! sagte sie dann auf einmal, als ob sie sich besönne, und wollte fort. Aber Flaming sank in die Arme, die sie ihm entgegen gebreitet hatte, drückte sie fest, innig an seine Brust, und benetzte sie mit seinen Thränen. In einem Augenblicke hatte er den Seneca, den Weisen, vergessen, und war wieder der gutherzige Flaming, der keinen Unglücklichen sehen konnte, ohne ihm sein Mitleiden zu zeigen. Er nannte sie: „liebe Iglou! theure Freundin!“ zog sie auf seinen Schooß, und versicherte ihr, daß sein Leben an das ihrige geknüpft sey. Anfangs saß Iglou da, ohne Theil zunehmen; dann sah sie ihn an, wenn er sie seine geliebte Iglou nannte, als suchte sie die Bestätigung dieses Beiwortes in seinen Augen; dann vergoß sie einen Strom von Thränen an seiner Brust; dann umfaßte sie ihn, und gab ihm seine Liebkosungen zurück. O, sagte sie zweifelnd: warst du vorhin ein Betrieger, oder bist du es jetzt?

„Glaubst du meinen Thränen nicht, liebe Iglou?“ fragte er. O, du grausamer Mensch! erwiederte sie; warum wolltest du denn deine Iglou ermorden?

Das Herz glaubt so gern, was es wünscht. Auch bei Iglou wirkten des Barons Thränen, und die Versicherungen, daß er sie liebe. Die Scene endigte sich mit einer zärtlichen Versöhnung. „Nein“, sagte Flaming am folgenden Morgen, als Iglou weggegangen war; „da kann doch kein Mensch kaltes Blut behalten! Seneca sollte einmal ein Mädchen vor sich gehabt haben, das alles so ernsthaft genommen hätte, wie Iglou; sein patet exitus würde ihm wohl nicht so leicht aus der Feder geflossen seyn. Wahrhaftig, mit Iglou darf ich den Philosophen nicht spielen!“

Aber mit Emilien spielte er ihn desto mehr. Immer unterhielt er sie von nichts als von der Seelenruhe eines Weisen, von dem ewigen göttlichen Gleichgewichte, das weder Glück noch Unglück, selbst die entzückendsten Umarmungen einer Geliebten nicht stören könnten. Er wollte sich Emiliens Achtung erwerben, und sah nicht, wie sie mitten in seinen besten Deklamationen die Hand vor den heimlich gähnenden Mund hielt; wie kalt sie selbst bei seiner Kälte wurde.

Frau von Koch fing nach gerade an, sich über ihn zu ärgern, besonders da er in der Hitze eines Gespräches mit Hilbert einmal wieder behauptete, daß Gleichgültigkeit gegen den Generalbaß unfehlbar eine bestimmte Neigung zur Wollust verrathe. Sie sagte zu Emilien: dein Philosoph, Emilie, ist ein Narr; und er würde ein höchst unerträglicher seyn, wenn er nicht so gutherzig wäre.

Auch Hilbert fing an den Kopf über den Baron zu schütteln, je mehr er dessen Art zu denken kennen lernte. An diesen Thoren, sagte er mit Unwillen, soll das liebenswürdige Mädchen, diese reine, einfache Seele, verkauft werden? Aber sie liebt ihn. Ich Unglücklicher! Doch, ist es möglich? liebt sie ihn wirklich? kann sie ihn lieben? Er beobachtete Emilien genauer, und in seiner Brust erhob sich ein kleiner Zweifel gegen die Wahrheit ihrer Liebe. Bald bemerkte er auch des Barons Kälte, und nun wurde sein Herz mit neuen Hoffnungen belebt.

Emilie sprach einmal mit ihm über ihre Liebe zu dem Baron. „Ich zweifle, Fräulein“, sagte Hilbert zitternd, „ob Sie den Baron wirklich so heiß lieben, wie Sie sagen und vielleicht auch glauben.“ Emilie erröthete, und schien das sehr übel zu nehmen. „Und ob der Baron selbst“, fuhr Hilbert entschlossen fort, „auch Sie so liebt, wie Sie vorgeben.“ Das nahm Emilie noch mehr übel, und sie gerieth darüber in ein lebhaftes Gespräch, worin sie des Barons Kälte mit dessen eigenen Gründen vertheidigte. Hilbert schwieg. Als Emilie in ihn drang, zu antworten, sagte er: „Lassen Sie mich; meine Antwort könnte uns leicht zu weit führen.“ Emilie ließ noch immer nicht nach. „Wenn Sie zufrieden sind“, sagte Hilbert zuletzt empfindlich; „was sollte ich es nicht seyn? Aber ich fühle, daß ich Sie anders lieben würde, wenn ich Sie liebte. Ich fände den Himmel, die höchste Seligkeit in Ihrem Besitze.“ Diese Vorstellung riß ihn fort. „Emilie“, sagte er mit bebender Stimme, und nahm ihre Hand: – „wenn dieses Herz mein wäre; o Gott! wenn Sie mit einer der Liebkosungen, die Sie dort verschwenden, mich beglückten: mein Herz würde die Seligkeit nicht tragen.“ Bei diesen Worten flammten seine Augen, und füllten sich mit ein Paar Thränen. Auf einmal ließ er ihre Hand fahren. „Verzeihen Sie mir meine Unbesonnenheit, schöne Emilie. Ich vergaß, daß mein Unglück nur durch Schweigen für Sie einen Werth hat.“

Emilie stand mit niedergeschlagenen Augen, mit einer schönen Blässe im Gesichte da, und zitterte ein wenig, doch nur ganz unmerklich. Sie wäre gern weit weg gewesen, und wußte doch nicht, wie sie es anfangen sollte zu gehen; auch fühlte sie, daß sie böse werden müßte, und konnte es doch nicht. Ihre Brust wurde ihr zu enge. Sie war sehr verlegen, öffnete die Lippen, verschloß sie wieder, und ärgerte sich über sich selbst, daß sie schlechterdings nicht wußte, was sie thun sollte. Das gab ihrer Miene etwas Finsteres.

„Sie sind beleidigt“, sagte Hilbert ruhiger; „und Sie haben Ursache es zu seyn. Was geht es Sie an, ob mein Herz unter seiner Last zerdrückt wurde oder nicht! ... Emilie, ich will gehen, auf immer gehen; aber ich möchte nicht gern mit dem Hasse eines Mädchens beladen seyn, dem ich nichts Böses that, das ich nur mit der Schwäche meines armen Herzens beleidigte. Ach, hätte ich Sie einige Jahre früher gesehen! ... Emilie, sagen Sie mir: adieu! Dies Wort soll mich in meine stete Einsamkeit begleiten. Ich bitte Sie darum.“

Adieu! hauchte Emiliens Lippen leise; und schnell flog über das blasse Gesicht eine hohe Röthe, die sich aber sogleich wieder in Blässe verlor. „Leben Sie wohl, Emilie“, sagte Hilbert zögernd. „Ach, wenn Sie wüßten, wie viel mir dieser Augenblick kostet!“ Er zog sein Tuch hervor, und bedeckte die Augen. „Doch, ich soll gehen! ... Nun denn!“ rief er schnell; „leben Sie ewig wohl!“ Eben so schnell hob sie ihre Augen auf ihn, in denen Thränen standen. Hilb... Sie endigte den Nahmen nicht; und Hilbert beugte sich auf ihre Hand. Der Baron ist ein sehr edler Mann, sagte Emilie sanft; ich bin ihm Alles, mein Glück, mein Leben, meine Zufriedenheit und meine Liebe schuldig.

„Schuldig?“ fragte Hilbert. – Schuldig, erwiederte Emilie; und ich liebe ihn von ganzer Seele. Lassen Sie uns nicht wieder davon sprechen. Kommen Sie! – So eben kam Frau von Koch die Allee herunter, auf sie zu.

Hilbert wußte in der That nicht, was er thun sollte. Emilie war gegen ihn freundlich, wie vorher; nur schlug sie ihr Auge nicht auf ihn, und wenn sie es einmal that, so erröthete sie leicht. Als er gehen wollte, lud Frau von Koch ihn auf morgen ein. Er blickte Emilien an, als fragte er sie, ob er die Einladung annehmen solle. Sie lächelte ein wenig, verbeugte sich, und erröthete über sich selbst, daß sie es gethan hatte.

Hilbert ging mit dem festen Entschlusse, nicht wieder zu kommen; allein am folgenden Morgen fand er tausend Gründe, seinen Vorsatz zu brechen. Er ging; doch wachte er so unablässig über sich, daß ihn auch nicht ein Blick verrieth. Um sich bei Emilien nicht zu vergessen, hängte er sich an den Baron. Er fand immer mehr, daß dieser voll der seltsamsten Grillen war, und begriff durchaus nicht, wie Emilie ihn lieben konnte; aber doch mußte er sich auch gestehen, daß der Baron, trotz seinen Grillen, der gutherzigste, edelste, wohlthätigste Mann wäre. Hilbert stellte ihn auf hundert Proben, und hörte nun zuweilen die härtesten Urtheile, über die er erstarrte; doch, führte er den Baron zu einem Unglücklichen, so leuchtete die Flamme der Liebe, der reinsten Menschlichkeit, in dessen Augen, und alle seine Grillen waren vergessen.

„Aber“ – so zankte Hilbert oft mit sich selbst – „laß ihn doch die Menschen eintheilen, wie er will, in Teufel und Engel; wenn er sie nur als Menschen, als seine Brüder, behandelt. Laß ihn doch den Generalbaß und die Lateinische Sprache für Mittel gegen die Wollust halten. Der sonderbare Mensch versteht selbst keine Musik; doch seine Gesundheit, seine Farbe, sein Abscheu vor der Wollust zeugen von der Reinheit seines Herzens. Laß ihm doch sein seltsames System von der Liebe, von der Schönheit, die närrische Grille, daß wir in lauter Schlangenlinien fühlen, seine allgemeine Völkersprache, seinen Stoicismus aus dem Seneca; vergießt er doch Thränen bei dem Anblicke des menschlichen Elendes, behandelt er doch seinen Mohrensklaven wie sein Kind! Er ist ein edler Mensch. Und kann denn nicht die Grille, Schmetterlinge, Kupferstiche oder Münzen zu sammeln, eben so vielen Schaden anrichten, wie die seinige? Beim Lichte besehen, sind die Grillen, auf die manche Gelehrten einen so hohen Werth legen, im Grunde wohl eben so unbedeutend. Da untersucht einer sein ganzes Leben hindurch, ob Homer existirt habe oder nicht, ob er in dieser Stadt oder in jener geboren sey; und hält den für einen Unwissenden, für einen Barbaren, der sich an Homers Gedichten genügen läßt, und über diese wichtigen Untersuchungen, so wie über den Lärmen, den sie erregen, lächelt. Nein, in der That, viele Leute könnten eben so gut Quinctius Heymeran von Flaming heißen, als mein Baron. Der ganze Unterschied liegt darin, daß er seine Narrheiten, seine Grillen für sich allein hat. Aber ist eine Narrheit darum keine Narrheit, weil in ihrem Gefolge Hunderte eben dieselbe Schellenkappe tragen? Er nennt die Schlangenlinie eine wesentliche Form des Empfindens, die unserem Gemüth angeboren ist. Wahrhaftig, unsere Philosophen reden eben so unverständlich, und läugnen uns den gesunden Menschenverstand ab, wenn wir nicht gerade so reden wollen wie sie. Er betrachtet die Nase eines edlen Mannes, mißt die Höhe seiner Backenknochen, und vergißt darüber seinen Charakter; und jener weiß am Sophokles nichts Merkwürdiges zu finden als einige Varianten, und schreiet noch ärger als der Baron: seht hier, Leute! ich bin der Entdecker! Nein, so ein wenig von Quinctius haben wir Alle mehr oder minder. Der kleinste Thor ist der, der am wenigsten Werth auf seine Thorheiten legt. Jeder schreiet seine Arbeiten für Riesenwerke aus, hängt das Wohl der Welt daran und ruft über die Beschäftigungen der Andern: Zeitverlust, Possen! Der Dichter zählt Sylben, hungert, und ist glücklich; der Finanzier lacht darüber, weil er nicht begreift, wie man etwas anderes zählen kann als Geld. Der Philologe beschreibt genau, Stück für Stück, wie Achilles gekleidet war; und er selbst zieht einen braunen und einen schwarzen Strumpf an. Der Arzt spricht vom Nervensafte, den er nicht gesehen hat. Der Theologe begreift alle Wunder; nur nicht, wie die vielköpfigen, durch Anlage und Kultur so unterschiedenen Menschen verschieden denken können. Der Philosoph läugnet alle Wunder, und erklärt die Einfachheit der Seele mit einer Behendigkeit, als ob er ein Taschenspieler wäre. Der Historiker würde den Dichter verbrennen, wenn er dürfte, weil der zuweilen Dinge sieht, die nicht auf Pergament beurkundet sind. Der Jurist vertheidigt seinen barbarischen Styl, den er der Deutlichkeit wegen für nöthig hält; und noch nie hat ein Klient von den Akten, die sein Leben, seine Ehre oder sein Vermögen betreffen, mehr verstanden, als von dem Recepte seines Hausarztes. O, wollte Gott nur, daß alle diese Menschen so edel wären wie der Baron! Mit ihren Narrheiten wollten wir noch wohl zurecht kommen.“

So dachte Hilbert von dem Baron; und eines Abends, als er von Emilien Abschied nahm, sagte er, ob es ihm gleich nicht wenig sauer wurde: „Sie haben Recht, Emilie; der Baron ist ein sehr edler Mensch.“ Emilie drückte ihm die Hand für dieses Lob. Hilbert mußte sich auch gestehen, daß Emilie mit dem Baron glücklich seyn würde, als er nur einmal mit demselben von seiner Liebe zu ihr gesprochen hatte. Der Baron, der in vielen Stunden, gegen Emilien selbst, so kalt schien, sprach von ihr mit der innigsten Zärtlichkeit, und mit schönen Thränen in den Augen. Hilbert konnte nicht länger an dessen Liebe zu ihr zweifeln, und seine Hoffnungen auf Emiliens Herz sanken gänzlich. Die kleinen Aeußerungen ihrer Zuneigung, die sonst seine Hoffnung belebt hatten, hielt er jetzt – für Freundschaft, und manche kalte Aeußerung gegen den Baron für Wirkung von dessen eigener Kälte. Er war, so unglücklich er sich auch fühlte, dennoch edel genug, im Herzen Emilien und dem Baron aufrichtig Glück zu wünschen, ja selbst Emiliens kleine Bedenklichkeiten, die Flamings Philosophie erregt hatte, zu zerstreuen. Alles fing nun an freier und glücklicher zu athmen. Selbst der Baron verlor, je mehr er Emilien und ihre liebenswürdige Seele kennen lernte, seine stoische Gleichgültigkeit. Er fing an Emilien wirklich zu lieben, und die Liebe schien alle seine Grillen nach und nach zu überwinden. Die einzige Unglückliche war Iglou. Sie zog sich immer mehr von dem Baron zurück, und weinte in der tiefen Einsamkeit. Er aber achtete ihrer Gefühle nicht, weil er der schwarzen Brust keine Empfindung zutrauete. So lieb er die Mohrin auch hatte, – und durch ihre Anhänglichkeit, ihre feste, niemals wankende Treue, ihre hoffnungslose Liebe war sie ihm werther geworden, als er selbst wußte: – so überredete er sich doch, ihre Liebe sey nichts als Wollust, ihre Anhänglichkeit nichts als Aeußerung ihrer Sklavenseele. Iglou's öftere Anspielungen auf ihren Tod bestärkten ihn, so sehr er auch davor zitterte, noch mehr in seiner Meinung; denn er fand in seinen Heften auch den Charakterzug der Mongolischen Völkerstämme, daß sie sich um Kleinigkeiten willen, aus Feigheit, aus Furcht, das Leben nähmen.

Er kannte Iglou's unglaubliche Treue gegen ihr gegebenes Wort, und entlockte ihr daher, als sie einmal voll unaussprechlicher Zärtlichkeit zu seinen Füßen saß und ihm von ihrem Vaterlande erzählte, das Versprechen: nie freiwillig ihr Leben abzukürzen. Sie legte bei dem Versprechen ihre Hand auf sein Herz, und sagte mit seelenvoller Rührung: ja, ich will bei dir aushalten, ja! Und wenn diese Brust von tausend giftigen Schlangen der Verzweiflung zerrissen wird, so will ich lächeln, bis ich hinsinke und sterbe. Nur verstoß mich nicht!

Die arme Iglou wurde bald auf die Probe gesetzt. Des Barons Kälte gegen Emilien, aus der sie vorher noch einige Hoffnung geschöpft hatte, verschwand, und Liebe leuchtete in seinen Augen. Iglou lächelte, um Wort zu halten, wenn der Schmerz an ihrem Leben nagte. Sie zog sich von dem Baron zurück, ging träumend und still umher, und hatte die Augen immer voll Thränen. Nur wenn sie ihn sah, zwang sie ihre Lippen zum Lächeln. Das Einzige, wozu kein Befehl des Barons, kein Liebkosen sie brachte, war, Emilien einen kleinen Dienst zu leisten. Sie wurde überhaupt nicht recht als ein Bedienter angesehen. Auch bekümmerte man sich wenig um sie; und Flaming sah das gern, weil er noch immer vor der Entdeckung ihres Geschlechtes zitterte.

Man saß einmal Mittags bei Tische. Der Baron kam auf Musik, sprach mit Entzücken von ihren Wirkungen, und bat Emilien, Unterricht darin zu nehmen. Welches Instrument wünschen Sie, daß ich lernen soll? fragte die gehorsame Emilie. „Die Laute“, meinte der Baron; „denn in keinem Instrumente liegt eine vollkommnere Harmonie als in diesem.“ Sogleich stand die unglückliche Lautenschlägerin wieder vor Hilberts Seele. Ich möchte wohl noch einmal eine Laute hören, sagte er. „Das können Sie leicht“, erwiederte der Baron; „hier im Hause ist jemand, der sie gewiß nicht mittelmäßig spielt.“ Hilbert sah ihn starr an. „Iglou!“ rief der Baron. – „Hole deine Laute, Iglou!“ – Ihr Auge bat ihn; er wiederholte aber den Befehl. Ich spiele nur dir, sagte sie sanft; ich hole die Laute nicht. „Iglou!“ rief der Baron, zum ersten Male ernst. Sie zitterte, ging, und brachte die Laute, aber in großer Bewegung und mit Thränen in den Augen. Der Baron legte ihr die Hand auf die Schulter, und flisterte: „Iglou, spiele gut, und sing! ich werde dich nie verstoßen.“ Sie hob das nasse Auge zu ihm auf. „Etwas Heiteres!“ sagte der Baron laut. Soll ich gut spielen, erwiederte Iglou leise, so laß es mein Herz thun.

Sie fing sanft an zu präludiren; doch bald wurde ihr Spiel lebhafter, erhabener. Immer tiefer ließ sie ihr Haupt auf die Brust sinken, immer trauernder wurden ihre Töne. Hilbert erstaunte; eben so hatte seine Unglückliche gespielt. Endlich sang Iglou mit der rührendsten Stimme, die in jedes Auge Thränen lockte:

 

Der Morgen glüht,

Die Rose blüht

So roth im Morgenthaue.

Du schaust erfreut:

Sie sinkt, und streut

Die Blätter auf die Aue.

Die Sonne geht;

Der Wind verweht

Das Röschen. Weh! o wehe!

Dahin! dahin!

Die Ros' ich bin!

Ich blühe und vergehe.

 

Hilbert zweifelte nicht einen Augenblick länger, daß Iglou ein Mädchen wäre. Er betrachtet mit innigem Mitleiden die Unglückliche, die da saß, und noch immer ihr Instrument mit heißen Thränen benetzte. Hoffnungslose Liebe, die Treulosigkeit eines Geliebten, war ihr Unglück, das sah er deutlich; aber wer war der Geliebte? Iglou ging weg, und im Vorübergehen sagte sie zu dem Baron unbemerkt: ich lächle auch jetzt noch! Hilbert, der auf sie achtete, hörte die Worte. Nun erinnerte er sich seiner ersten Scene mit ihr, und ihrer Empfindlichkeit gegen Emilien; so kam er sehr leicht auf den Gedanken, daß wohl gar der Baron der Gegenstand ihrer Liebe seyn möchte.

Er fragte den Baron um Iglou's Schicksale. Dieser erzählte ihm, was er wußte; doch verschwieg er ihr Geschlecht. Jetzt verstand Hilbert Iglou's ganzen Gesang, und war überzeugt, daß sie den Baron liebte. Er suchte sie im Garten auf, redete sie an, ohne sich merken zu lassen, daß er ihr Geschlecht kenne, und sprach mit ihr über die Musik, über den Ausdruck der Leidenschaften. Nach einer Stunde war seine Brust voll Achtung für den hohen Geist, und voll Mitleidens mit dem Unglücke des Mädchens. Zwar begriff er eigentlich noch nichts von der Art ihrer Verbindung mit dem Baron; aber er war ja in einer ähnlichen Lage mit ihr, und das machte sein Mitleiden noch zarter.

Emilie empfand einen kleinen Widerwillen gegen die Unglückliche, weil sie den feindlichen Geist derselben gegen sie nur zu oft bemerkt hatte. Zwar war sie heute bei der Allgewalt des Gesanges nicht fühllos geblieben; aber sie hielt die Trauer in dem Liede für eine Art von Wahnsinn, und sagte das Hilberten. Hilbert sprach mit ihr so geheimnißvoll von dem Mohren, daß es ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie wurde ein wenig empfindlich, als er sogar Flamings Betragen gegen Iglou hart nannte. Die Männer werden doch durch ein einziges Talent sogleich sehr eingenommen! sagte sie. Der Schwarze spielt die Laute nicht schlecht; und Hilbert spricht von ihm mit einer Achtung, die ...

„Nicht wegen seines Lautenspiels, sondern wegen seines Unglücks. Emilie, wenn Sie wüßten, wie unglücklich dieser Knabe ist!“

Nun, wie unglücklich denn? Sein Herr liebt ihn wie sein Kind; er kann thun, was er will, gehorcht nur, wenn er Lust hat; er ...

„Emilie, dieser Mohrenknabe ist ein sehr unglückliches Mädchen mit einer hohen Seele, mit einem zerrissenen Herzen. Ihr Geschlecht soll ein Geheimniß seyn, so viel sehe ich wohl; oder vielleicht weiß der Baron selbst nicht, daß sie ein Mädchen ist.“

Wie? ein Mädchen? fragte Emilie. – Eben kam der Baron. „Sobald wir allein sind“, flisterte Hilbert ihr noch zu, „will ich Ihnen sagen, wie ich zu dieser Entdeckung gekommen bin.“

Ein Mädchen? dachte Emilie, und sah den Baron darauf an, ohne es glauben zu können. Sie suchte Hilberten zu sprechen, und erfuhr nun sein nächtliches Abentheuer mit Iglou. Beide kamen, nachdem sie alles überlegt hatten, dahin überein, daß der Baron selbst Iglou wohl nicht kennen möchte. „Ein Mädchen?“ dachte Emilie, als sie am Abend allein war; „und Flaming sollte das nicht wissen, da doch die Schwarze schon zwei Jahre bei ihm ist? Wenn sich Hilbert nur nicht geirrt hat!“ Eben hörte sie Iglou von dem Baron herauskommen, und öffnete leise die Thür, um sie beim Vorübergehen darauf anzusehen, Iglou schlüpfte über den Gang weg zu ihrem Kämmerchen. Emilie horchte, zögerte, ging den Gang halb hinunter, kehrte wieder um, ging noch einmal, weiter, als vorher, und hörte nun in der Ferne die sanften Töne der Laute. Sie schlich leise vor Iglou's Zimmer, und horchte auf das Spiel. Iglou sang mit schwacher Stimme und traurig. Emilie, die sich von den lieblichen Tönen nicht losreißen konnte, trat in ein Fenster, das den Gang sparsam erhellte; und bei tausend unruhigen Gedanken über Iglou verging ihr die Zeit sehr schnell. Auf einmal schwieg die Laute, und die Thür öffnete sich leise. Emilie drückte sich an die Wand, und sah die Mohrin im Dunkeln dem Gange zuschleichen, auf welchem der Baron wohnte. Sie hörte eine Thür öffnen, schlich sehr beunruhigt auf ihr Zimmer, und ließ die Thür angelehnt, weil sie mit jedem Augenblicke hoffte, daß die Mohrin zurückkommen würde. Aber der Morgen fing an zu dämmern, und Iglou kam noch immer nicht. Endlich, als die Lerchen sangen, öffnete sich des Barons Thür. Emilie lauschte, und sah Iglou den Gang nach ihrem Zimmer zurückgehen. Sie warf sich bestürzt in einen Stuhl, und zerfloß in Thränen des Verdrusses und des Kummers.

„Das also“, dachte sie, „ist die Ursache seiner Kälte gegen mich! das ist seine Philosophie! seine Gleichmüthigkeit bei meiner Liebe! Gott, eine häßliche Mohrin! und zehn Schritte weit von mir, unter meinen Augen!“ – Alles wurde ihr nun hell: des Barons Kälte, Iglou's unfreundliche Blicke, ihre Trauer, ihr Trotz gegen den Baron. „Abscheulich!“ sagte sie; „der Mensch ist nicht werth, daß ich an ihn denke!“ In ihrem Herzen regte sich eine sehr bittre Empfindung gegen den Baron. „Eine häßliche Mohrin!“ rief sie noch einige Male, ehe sie einschlummerte.

Am Morgen überlegte sie, wie sie sich gegen den Baron betragen, und ob sie Frau von Koch oder Hilbert zu Rathe ziehen sollte. Ein Kenner des menschlichen Herzens würde schon daraus, daß sie der Ueberlegung fähig war, haben schließen können, sie liebe den Baron nicht so heiß, wie sie selbst es noch glaubte. Als sie mit dem Baron allein war, konnte sie es doch nicht unterlassen, auf die Heuchelei und Treulosigkeit der Männer zu sticheln. Er fiel sogleich ein, sprach gegen die Treulosigkeit mit so unverstelltem Eifer, und ließ dabei sein Auge so gutherzig, so flammend, so redlich auf ihren beobachtenden Blicken hangen, daß sie wieder auf den Gedanken kam, der Baron müsse Iglou's Geschlecht nicht kennen. „Nein, Emilie“, sagte er mit funkelnden Augen: „ich könnte vielleicht jedes Verbrechen begehen; nur Sie betriegen, eine so einfache, zutrauliche, schöne Seele – das allein könnte ich nicht. Bei Gott! das wäre mir von dem Unmöglichen das Unmöglichste!“

Emilie wußte nicht mehr, was sie denken sollte. Bald nach diesem Auftritte begegnete sie Iglou im Garten, und redete sie mit aufrichtiger Freundlichkeit an. Es gelang ihr, den Widerwillen der Mohrin nach wenigen Minuten zu besiegen; denn welches Herz konnte der sanften Emilie widerstehen? „Iglou“, sagte sie vertraulich, und faßte ihre Hand – „nicht wahr, du bist sehr glücklich?“ Iglou schüttelte den Kopf. Mich wundert, armer Knabe, daß du so traurig seyn kannst, da doch kein Mensch so viele Ursache zur Freude hat wie du. Der Baron liebt dich unaussprechlich.“ Bei diesen Worten stieg ein Strahl von Freude in Iglou's finsteres Auge, und sie drückte Emilien die Hand. Emilie fuhr fort: „gewiß, er liebt dich; er spricht ja von dir mit einem solchen Feuer, daß kein Liebender von seiner Braut begeisterter sprechen könnte. Noch eben jetzt hörte ich ihn sagen: er würde alles, alles auf der Welt, mit Ruhe verlieren und entbehren können; nur seinen Iglou nicht. Ja, Iglou, es freuet mich, daß er dich so liebt. Und du liebst ihn doch wieder? nicht wahr?“ Iglou legte die Hand sprechend auf das Herz, und ihr Auge wurde naß. „Nun, Iglou“, fuhr Emilie fort, als ob sie scherzte: „wir wollen wetteifern, ich und du, wer ihn am meisten lieben kann. Zwar fast sollte ich eifersüchtig auf dich werden; denn manchmal scheint er dich mehr zu lieben als mich. Traure nicht mehr, guter Iglou. Gewiß, ich wünsche dein Glück von Herzen.“

Iglou warf sich mit Leidenschaft vor Emilien nieder, drückte das Gesicht an ihre Kniee, und rief, ganz außer sich: o du! o ich! – Die glühende Leidenschaft überwältigte sie. Es fehlte der vollen, stürmenden Brust an Athem. Eine Bewegung, um sich das Athmen zu erleichtern, öffnete die Weste, und Emilie erblickte einen weiblichen Busen. Sie nahm mitleidig ihre Nebenbuhlerin in die Arme, und sagte, als ob sie nichts bemerkt hätte: armer Iglou! Aber doch fühlte sie bei diesem Mitleiden den Stachel der Eifersucht, und machte sich, sobald sie konnte, von Iglou's Gesellschaft los. Sie hatte also eine Nebenbuhlerin; ob eine geliebte, eine glückliche: das war nicht eher zu entscheiden, als bis sie wußte, ob der Baron Iglou's Geschlecht kenne, oder nicht. Iglou's Verzweiflung schien für ihn zu sprechen; aber ihre nächtlichen Besuche! – Emilie legte tiefsinnig die Stirn in die Hand, und blieb lange so sitzen. Um Mitternacht hörte sie Iglou wieder in des Barons Zimmer schleichen, und folgte ihr leise und zitternd. „Ach“, seufzte sie; „hier ist es nicht unrecht zu horchen.“

Sie legte das Ohr an die Thür, und hörte den Baron fragen: „wie geht es zu, daß du heute so glücklich bist?“ – Glücklich! ja glücklich! antwortete Iglou; denn ich weiß, daß du mich wieder liebst. Die Weiße hat es mir selbst gesagt. – „Und konntest du je daran zweifeln, meine treue, gute Iglou?“ fragte der Baron. Nun ging Emilie mit der gewissen Ueberzeugung, daß der Baron sie betriege, auf ihr Zimmer. Wie unglücklich bin ich! sagte sie traurig; und in dem Augenblicke stieg Hilberts Bild in ihrer Phantasie auf. Sie gab sich Mühe, über die Untreue des Barons recht sehr betrübt zu seyn, und stellte sich recht lebhaft vor, wie er in den Armen seiner Schwarzen ihrer spotte. Bei diesem Gedanken fühlte sie ihre Eitelkeit beleidigt, aber weiter auch nichts. Sie untersuchte den Zustand ihres Herzens genau, und fand mit Erschrecken, daß es ihr nicht viel kosten würde, die Hand des Barons aufzuopfern. Freilich schrieb sie diese Empfindung von Kälte seiner Untreue zu; aber sie erröthete doch ein wenig, daß Hilbert ihr immer einfiel, wie er mit flammenden Augen vor ihr stand, und mit schöner Verwirrung, mit dem innigsten Tone sagte: „o, wenn Sie mich mit der Huld beglückten, die Sie dort verschwenden; meine Seele würde die Seligkeit nicht tragen!“Kurz, Emilie zürnte die ganze Nacht hindurch auf den Baron und auf sich selbst.

Am folgenden Morgen war sie noch gar nicht entschlossen, was sie thun sollte. Der Frau von Koch die Ausschweifungen des Barons anzuvertrauen, das erlaubte ihre Dankbarkeit gegen ihn nicht; und mit dem Baron selbst darüber zu sprechen, dazu war sie zu stolz. Wohl hundertmal fiel Hilbert ihr ein. Sie wollte ihn gerade nicht zu ihrem Vertrauten machen, ob sie gleich von ihm den besten Rath erwarten konnte: aber genug, sie dachte an ihn. Frau von Koch trat herein; und schnell trocknete Emilie ihre Thränen ab, die sie bloß darüber weinte, daß sie sich zu nichts entschließen konnte. Aber Frau von Koch bemerkte sogleich ihre trüben Augen, forschte nach der Ursach ihres Verdrusses, und lockte endlich das Geständniß ihrer Eifersucht von ihr hervor. Emilie sagte nach und nach alles, bis auf ihr Horchen. Die Koch erstarrte bei der Entdeckung, und Emilie konnte sie durch alles Bitten und Vertheidigen kaum abhalten, sogleich zu dem Baron hinüber zu laufen und ihn aus ihrem Hause zu weisen.

Emilie erzählte nun, um die Hitze der Frau von Koch zu mäßigen, eine Menge Umstände, die zu des Barons Vertheidigung dienen sollten, die aber so seltsam zusammen gesetzt waren, daß der ganze Handel noch unbegreiflicher wurde. Man beschloß, erst zu überlegen. Frau von Koch wollte sich selbst von Iglou's nächtlichen Besuchen überzeugen, und bis dahin zurückhalten. Emilie wurde bleich, und die Koch dunkelroth, als der Baron kam, und „guten Morgen, liebe Emilie!“ sagte. Jene sprach gar nicht; diese aber sagte sehr viel, besonders derbe Anmerkungen über die Treulosigkeit der Männer. Emilie zitterte; denn jeden Augenblick schien es, als ob ihre Freundin losbrechen würde. Nach Tische kam Hilbert. Emilie erröthete, und konnte ihn nicht ansehen; aber dennoch dankte sie dem Himmel, daß er da war, weil Frau von Koch nun schweigen mußte. Diese war gleich nach Tische auf Iglou's Zimmer gewesen, hatte dort die weiblichen Kleider gefunden, war nun völlig überzeugt, und wollte eben losbrechen, als Hilbert zu ihrem großen Mißvergnügen in das Zimmer trat.

Der Baron, der noch immer von nichts wußte, war ganz unbefangen. Emilie antwortete ihm seufzend; und die Koch konnte nur mit Mühe ihren Zorn verbergen. Hilbert stellte sich an ein Fenster, und betrachtete Emilien, die jedes Mal erröthete, so oft sie ihn ansah. Iglou brachte ihrem Herrn ein Glas Wasser; die Frau von Koch machte eine boshafte Bemerkung über den Charakter des Mohren, und der Baron übernahm dessen Vertheidigung. Sie müssen doch auf eine ganz eigene Art Theil an diesem widerlichen Geschöpfe nehmen, sagte die Koch höhnisch. Wahrscheinlich haben Sie zwei verschiedene Systeme: eins, nach welchem Sie die Mohren hassen; und ein andres, nach welchem Sie diese Menschen lieben. „Hassen?“ erwiederte der Baron. „Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, daß ich kein fühlendes Wesen hasse. Und nun gar dieses treue, geduldige, gehorsame Geschöpf! Wenn ihm auch die Reitze fehlen, die wir so besitzen, so ...“

So hat es doch andere, fiel die Koch boshaft ein, die im Dunkeln ihren Werth haben.

„Ganz recht, ganz recht! Sehen Sie, Herr Hilbert, wie der gesunde Menschenverstand immer meine Sätze bestätigt! Sobald die Dunkelheit nicht erlaubt, mein Ideal von Schönheit, meine subjektive Schlangenlinie im Gemüthe, mit der Form des Gegenstandes zu vergleichen, so ...“

Ich glaube, Sie wollen spotten! rief Frau von Koch erhitzt. Die Rede ist hier nicht von Schlangenlinien, sondern von einer Schlange, die wir in unserem Busen erwärmt haben: von diesem schwarzen Mädchen! Gestehen Sie nur, dies widerliche Geschöpf, das Sie so lebhaft vertheidigen, das Sie so lange für einen Knaben gelten ließen, ist ein Mädchen! Oder ist sie es nicht? – Das kam dem Baron ganz unvermuthet. Er warf einen Blick auf Emilien, die ihre Augen bedeckte. „Emilie!“ sagte er; „seyn Sie ruhig! ... Ja, meine gnädige Frau, Iglou ist ein Mädchen.“ Hilbert verbeugte sich, und wollte gehen. Emilie, die durch den rauhen Ton der Frau von Koch betrübt war, nahm die Hand von den Augen, und blickte um sich, als ob sie Hülfe suchte. O Hilbert, sagte sie bittend, bleiben Sie. Hilbert blieb verlegen.

Also ein Mädchen? fuhr die Koch fort. Und das sagen Sie so kalt? Fühlen Sie denn nicht, Herr Baron ...?

„Dies Mädchen hat mir das Leben gerettet. Sie hängt an mir mit unbeschreiblicher Innigkeit, und keine Gewalt, keine Vorstellung konnte sie von mir trennen. Ich gab ihr männliche Kleider, um ... um ... mit einem Worte, um einem widrigen Verdachte zu entgehen.“

Und um diesem Verdachte zu entgehen, lassen Sie das Mädchen auch wohl jede Nacht heimlich in Ihr Schlafzimmer kommen!

„Auch das wissen Sie?“ sagte er, ein wenig verwirrt. „Aber, was Sie auch denken mögen – ja, das ist der Grund, warum sie sich zu mir schleicht.“

Nicht wahr, die Elende hängt an Ihnen so innig, daß sie auch des Nachts nicht von Ihnen zu trennen ist?

„Gerade so ist es, gnädige Frau; das versichre ich Ihnen. Ich hoffe nicht, daß Sie einen schimpflichen Verdacht auf mich werfen können.“

Nicht? ha! ha! ha! Ein Mädchen schläft jede Nacht bei ihm, und ... Herr Baron, Sie sind unverschämt!

„Wenn ich Ihnen nun sage, gnädige Frau, daß ich jede Nacht Licht brenne; so hoff ich, Sie werden ...“

Licht? jede Nacht? Nun, Herr Baron, soll das Licht etwa ihre Unschuld bezeugen?

„Ja, meine gnädige Frau, das soll und wird es, wenn Sie ruhig genug sind, mich anzuhören. Wäre Emilie die Nächte bei mir gewesen, so hätten Sie in der That Ursache, einen Verdacht zu fassen; denn da würde selbst das Licht der Sonne nicht mein Schutz gewesen seyn.“

Sie sind eben so unverschämt als ausschweifend, sagte hier Emilie sehr bitter, und wollte aus dem Zimmer.

Der Baron vertrat ihr den Weg. „Nein, Emilie, nein! Geliebte, theure Emilie, nein, Sie müssen bleiben. O, auch Sie halten mich in diesem abscheulichen Verdachte? Sie, Emilie, sollten doch aus sich selbst wissen, ob ich einer Untreue fähig bin, oder nicht.“ – Emilie erröthete. – „Bleiben Sie, Emilie! Sie, Hilbert, sind mein Zeuge, daß ich schon längst das glaube, was ich jetzt sagen werde.“

Frau von Koch gerieth ein wenig in Verlegenheit darüber, daß der Baron so freimüthig war, und sich so dreist auf Hilbert berief. Sie setzte sich in eine horchende Stellung, und er fing an: „Jeder Mensch, meine gnädige Frau, hat im Gemüth ein Ideal der Schönheit, eine Form, eine Linie, außer der er keine lieben kann.“ Nun setzte er der Frau von Koch sein System von der Liebe sehr weitläuftig auseinander. „Sie sehen also, meine theure Frau von Koch“, so endigte er, „daß ich Iglou ruhig in mein Zimmer, selbst an meiner Seite, konnte schlafen lassen. Sobald das Licht nur hell genug brannte, ihre Form zu unterscheiden, war Emilie vor aller Untreue von mir sicher. Und wenn dieser Satz auch nicht bloß mit Gründen unbezweifelt erwiesen werden könnte, so erweist ihn doch meine und aller Menschen Erfahrung hinlänglich. Die Finsterniß ist die Freundin der Wollust; und eine besorgte Mutter hat, wenn sie ihre Töchter vor jedem unbesonnenen Schritte sichern will, in der That nichts weiter zu thun, als ihnen ein Nachtlicht zu geben: nur nicht, wenn die echte Liebe schon da ist. Wahrhaftig, meine theure Emilie, ich bin unschuldig; und ich hoffe, Sie selbst werden jetzt davon überzeugt seyn. Uebrigens, Emilie, glaube ich nicht, daß Sie wirklich eifersüchtig sind. Seyn Sie eben so offen wie ich, und Sie werden das gestehen.“ Emilie erröthete. Frau von Koch war durch des Barons Gründe, von denen sie nichts verstanden hatte, gar nicht beruhigt; aber sein ehrlicher, fester, zutraulicher Ton, sein Gesicht dabei, und der Abscheu, mit dem er von der Wollust sprach, verdrängten endlich fast jeden Zweifel aus ihrer Seele. Sie sah Emilien an, um in ihren Augen zu lesen, ob des Barons Entschuldigungen sie befriedigt hätten. Emilie warf einen Blick auf Hilbert; und Hilbert, so sehr er auch bei dieser Untersuchung interessirt war, biß sich, um nicht zu lachen, auf die Lippen.

Lieber Baron, sagte Hilbert, Sie sind unschuldig, dafür will ich mein Leben zum Pfande setzen; aber Sie trauen, glaube ich, einem brennenden Lichte allzu viele Kraft zu. Ich lasse es gelten, wenn Sie in einem solchen Falle noch einen dritten Mann haben, der das Licht schneuzt, damit die Form, die Sie in Versuchung führt, immer recht deutlich bleibe.

Aber, Herr Baron, sagte Frau von Koch, müssen Sie denn alles in der Welt so höchst seltsam anfangen? Emilie wäre in der That eine Thörin, wenn sie Ihnen ein Wort glaubte. Zwei Jahre mit einem Mädchen in einem Zimmer allein! und wenn das Mädchen auch zehnmal schwarz ist, oder die Form nicht hat, wie Sie da sagen.

„Die Farbe, gnädige Frau, hat nichts damit zu thun; die ist bloß ein Racen-Kennzeichen. Ich könnte eben so ruhig bei einem weißen, schönen Mädchen schlafen, wenn sie die Form nicht bei mir hervorbrächte, die nun einmal mein Ideal ist.“

Meinetwegen, wenn Emilie will! Wir wollen nicht näher untersuchen, Herr Baron, sondern Ihnen glauben. Aber einen Beweis fordre ich in Emiliens Nahmen: die Schwarze muß fort! – Das schlug der Baron bestimmt ab, so viel Frau von Koch auch sagen mochte. Emilie hatte noch immer geschwiegen; jetzt aber näherte sie sich dem Baron. Ich will Ihrer Großmuth keine Schranken setzen, sagte sie; aber der Mann, dem ich meine Hand geben soll, muß selbst nicht den Verdacht einer Untreue auf sich haben. Machen Sie die Mohrin so reich, als Sie wollen, theilen Sie Ihr Vermögen mit ihr; aber Ihr Vertrauen muß sie nicht mit mir theilen. Entlassen Sie Iglou; das soll mir ein Beweis Ihrer Treue und Ihrer Liebe seyn.

Der Baron stand verwirrt da. Endlich faßte er Emiliens Hand, und sagte in einem herzlichen Tone: „O, Emilie, fordern Sie von mir, was Sie wollen; ich kann für Sie Alles, nur nicht eine Unglückliche betrüben, nur nicht ihr Herz zerbrechen. Gewiß, Emilie, ich liebe Sie mit unaussprechlicher Zärtlichkeit.“

Geben Sie mir diesen Beweis Ihrer Liebe! Entweder ich oder Iglou! Eine von uns Beiden müssen Sie verlieren.

„Emilie, Sie selbst waren einmal ohne einen Freund! ... Wenn Sie wüßten, wie dieses Herz Sie ehrt, und wie unglücklich das Mädchen ist, das ich verstoßen soll! ... Nein, ich darf nicht so unmenschlich seyn.“

Emilie verlor den Muth, auf ihrer Forderung zu bestehen. Der Baron schilderte sehr rührend, in welche Verzweiflung Iglou gerathen würde, und vergoß Thränen, als er ihre Geschichte noch einmal erzählte. Er wendete sich bald an die Koch, bald an Emilien, bald an Hilbert, und that alles nur Mögliche, sie zu rühren. Hilbert stand schweigend da, und runzelte die Stirn; die Koch blieb dabei, daß Iglou weg müsse. Emilien stiegen Thränen in die Augen; Frau von Koch machte indeß ihre Empfindlichkeit immer wieder aufs neue rege, und aus Furcht vor dieser forderte Emilie, doch sehr sanft, Iglou's Entfernung.

Endlich hob der Baron in tiefer Bewegung seine nassen Augen gen Himmel, und hielt sie eine ganze Zeit so. „Wohl, Emilie!“ sagte er: „Sie sollen den Beweis meiner Liebe haben. Ich gebe Ihnen viel, Emilie, sehr viel; ach! und wenn ich das heiße Herz recht kenne, das ich zerschmettern soll, vielleicht die ganze Ruhe meiner Seele.“

Emilie wankte aufs neue; aber die herrschenden Blicke der Frau von Koch gaben ihr Festigkeit, und sie blieb bei ihrer Forderung. Sie glaubte überdies nicht einmal recht an das heiße, empfindliche Herz der Mohrin.

Frau von Koch öffnete das Fenster, und winkte Iglou, die unten war. Der Baron wurde bleich, als Iglou in das Zimmer trat. Er zitterte, und versank in ein tiefes, schmerzliches Nachdenken. Höre, Schwarze, fing Frau von Koch mit kaltem Tone an; du bist ein Mädchen. Dein Herr heirathet das Fräulein dort; und da die Frau vom Hause die weiblichen Domestiken zu wählen hat, so ...

„Halten Sie ein, Frau von Koch!“ sagte der Baron. „Sie soll aufgeopfert werden; aber bei Gott! kein Hohnlachen soll ihre Seufzer begleiten.“ Er faßte Iglou, die erwartend dastand, in seine Arme. „Hast du mich lieb, meine gute, edle Iglou?“ fragte er mit halb erstickter, zärtlicher Stimme. Lieb? erwiederte Iglou; lieb? Sie stürzte vor ihm hin, umfaßte seine Kniee, und benetzte seine Hände mit ihren Thränen. Der Baron wendete sein Gesicht ab, und drückte nur ihre Hände. Diese Scene gegenseitiger Zärtlichkeit fing an Emilien zu beleidigen, so gerührt sie sich auch fühlte. In einem Aufwallen der Empfindlichkeit – und wie natürlich war das in diesem Falle auch dem sanftesten Herzen! – trat sie auf Iglou zu, und sagte in gerührtem Tone: „du sollst von mir hören, Iglou, was man von dir fordert. Noch heute mußt du fort von hier, von dem Baron!“ – Iglou sprang auf, betrachtete Emilien mit einem verachtenden Blicke, und sagte bitter: du hast mir nichts zu befehlen, Weiße! ... Schlange, giftige Schlange! setzte sie wild hinzu; war das deine Freundlichkeit?

Herr Baron, sagte Emilie, wollen Sie mich nicht wenigstens vor Beschimpfungen sichern?

Der Baron schwieg eine Zeitlang, und sah erst Emilien, dann Iglou an, die ihr Gesicht in ihre Hände verbarg. „Iglou“, sagte er endlich sanft und zärtlich: „wir müssen uns trennen.“ – Das Mädchen schauderte heftig zusammen. – „Es thut dir weh; aber mir nicht weniger. Doch wir müssen, wenn ich glücklich seyn soll. Iglou, sag, willst du meinem Glücke dieses Opfer bringen?“

Deinem Glücke? fragte sie traurig und leise. Kannst du nicht anders glücklich seyn?

„Ich liebe Emilien, Iglou, und werde ohne ihren Besitz nie glücklich. Sie verlangt, daß wir uns trennen sollen; und ich würde vor Gram sterben, wenn ich sie verlöre.“

Iglou hob die Augen und die Hände gen Himmel. O, die Unmenschen! rief sie endlich. Das verlangst du, Weiße? und das nennst du, ihn lieben? Lerne von mir, was Liebe heißt. Sie warf Emilien einen kleinen scharfen Dolch vor die Füße. Das war für dein Herz bestimmt, und dann für das meinige. Aber er würde vor Gram sterben, wenn du stürbest. Das rettet dich! ... Ich kann – sagte sie in Absätzen zu dem Baron – ich kann für dich sterben; laß die Weiße denn für dich leben und dich glücklich machen: so will ich ihr verzeihen, daß sie mein Herz zerbrochen hat. Leb wohl! Sie griff heftig zitternd nach seiner Hand, rief noch einmal: leb wohl! und schwankte gegen die Thür hin. „Nein Iglou, bleib!“ rief der Baron laut; „bleib! Bei Gott! bei dem Glücke der Menschheit! du sollst mich nicht verlassen, so lange ich lebe. Nein, Emilie! ich wäre Ihrer Hand nicht werth, die Furien würden mich sogar in Ihren Armen finden, wenn ich dieses Herz zerschmettern könnte. Ich liebe Sie unaussprechlich, Emilie; doch die Retterin meines Lebens lasse ich nicht. Wollen Sie mir darum Ihre Liebe nehmen? Wohl! ich werde ewig um Ihren Verlust trauern; aber es wird mein Trost seyn, daß ich Ihnen entsagte, um Ihnen und mir eine Unmenschlichkeit, den Tod dieses unschuldigen Mädchens, zu ersparen.“

Edler Mensch! rief Hilbert, und warf sich in des Barons Arme. Ich liebe Emilien, vielleicht noch inniger, als Sie; aber – kommen Sie, Emilie! geben Sie dem edelsten Menschen Ihre Hand. Emilie sank, betäubt von mancherlei Empfindungen; an des Barons Brust. Dann legte sie ihr Gesicht auf Iglou's Schulter, und weinte laut. Frau von Koch schüttelte zwar den Kopf; doch sagte sie, mit Thränen in den Augen: Ihr seyd wunderliche Menschen! ... Und Sie lieben Emilien, Hilbert? – Jetzt nicht mehr, antwortete Hilbert; sie ist die Braut meines Freundes. Ich sage das zwar mit zerrissenem Herzen; aber ...! – Er umarmte den Baron noch einmal, und eilte dann, verstohlen weinend, aus dem Zimmer.

Der Baron hielt Emilien umfaßt; und die Koch umschlang sie Beide. Iglou schlüpfte zur Thür hinaus; nach einer halben Stunde kam sie in Mädchenkleidern wieder, und ging auf Emilien zu. Mache ihn glücklich, sagte sie in einem edlen Tone; und ich will deine Sklavin seyn. – Edle Seele! sagte Emilie weinend, und umfaßte sie: nicht meine Sklavin; meine Freundin! Und nichts soll dich von ihm trennen! ... Aber jetzt muß ich mich erholen.

Sie ging auf ihr Zimmer, und fing nun an, die Empfindungen in ihrer Brust von einander abzusondern. Zwar mußte sie zugestehen, daß der Baron wirklich ein edler Mann sey; indeß fand sie es doch ein wenig allzu stark, daß er sie für Iglou hatte fahren lassen. Sie war von dem Baron aufgeopfert, und von Hilbert auch; aber sie fühlte doch einen Unterschied zwischen Beiden. Daß Hilbert sie aufgegeben hatte, erregte in ihrem Herzen eine süße Empfindung; doch an des Barons Entsagen konnte sie nicht ohne alle Bitterkeit denken. Sie wollte es sich nicht deutlich machen, daß Hilbert sie um eines Mannes, der Baron aber um eines Mädchens willen aufgab. Je länger sie darüber nachsann, desto edler und größer fand sie Hilbert, der immer vor ihrer Seele schwebte, wie er mit Thränen in den Augen das Zimmer verließ. Bei dem Urtheile über Flamings Benehmen trat ihr unaufhörlich Iglou in den Weg. Sie wußte sich nicht heraus zu finden, nahm sich vor, nicht mehr daran zu denken, den Baron recht herzlich zu lieben, und des armen Hilberts – Freundin zu seyn. Ach, sagte sie noch zuletzt, als sie diese Gedanken nicht mehr denken wollte; wenn der Baron mich so liebte, wie Hilbert: wie glücklich wäre ich dann! ... Wenn Hilbert mich nur vergäße! dachte sie jetzt; und doch wünschte sie auch das Gegentheil. Sie fütterte, um sich zu zerstreuen, die Kanarienvögel, die Nachtigall, nahm ein Buch, ihr Strickzeug; aber sie zerstreuete sich nicht: Hilbert und der Baron füllten wechselsweise ihr unruhiges Herz.

Iglou kämpfte während der Zeit im Garten mit sich selbst. Sie ging zuerst langsam, dann schnell, setzte sich, sprang wieder auf, trocknete die Augen. Auf einmal stand sie still, und schüttelte sich, als wollte sie Fesseln oder eine schwere Last abwerfen. Dann ging sie langsam zu Emilien, und fragte ruhig: darf ich auf deinem Zimmer schlafen? Emilie reichte ihr die Hand, und antwortete: wo du willst. – Iglou brachte ihr Bett, ihre Laute, ihre Bücher, auf Emiliens Zimmer. Von jetzt an, sagte sie mit festem, entschlossenem Tone, bin ich dein, und will dich lieben. Er opferte seine Liebe für mich; ich opfere die meinige für ihn. Gewiß, Emilie, ich werde dich lieben, und dir gehorsam seyn! Diese Großmuth wirkte gewaltig auf Emiliens Herz, und sie beschloß, auch von ihrer Seite der Tugend ein Opfer zu bringen. Ich will, dachte sie, (freilich seufzend) den Baron mit der fleckenlosesten Treue lieben! Sie sprach heute von nichts als von dem Baron, und der Nahme Hilbert kam den ganzen Abend nicht über ihre Lippen.

Am folgenden Morgen behauptete Emilie, daß Hilbert nie wieder nach Büdesheim kommen würde! Der Baron meinte das Gegentheil, und, um es ihr zu beweisen, ging er nach Burggrafenrode. Hilbert empfing ihn sehr zärtlich; und das Gespräch kam natürlicher Weise sogleich auf die gestrige Begebenheit. Aber läugnen können Sie nicht, lieber Baron, sagte Hilbert ernst, daß Sie die gestrige Scene, die so viel Elend verursachen konnte, muthwillig herbei geführt haben. Nach Allem, was ich von Ihnen weiß, scheinen Sie Ihre Freude daran zu finden, durchaus anders zu denken und zu handeln, als der große Haufe.

„Gar nicht anders, lieber Hilbert, wenn der große Haufe die Wahrheit denkt. Aber kann ich dafür, daß er das selten thut?“

Das meine ich nicht. Sie lieben Emilien, und, wie ich jetzt sehe, herzlich. Sie fühlen bei Ihrer Liebe gerade eben so, wie wir übrigen Menschenkinder; aber Sie pressen ihre Empfindungen in Ihr Herz zusammen, und stellen sich kalt. Warum thun Sie das? Lassen Sie mich aufrichtig reden! Weil Seneca sagt: caret perturbatione vir erectus 6), oder so etwas. Das lesen Sie, und wollen seyn, was nie ein Mensch war, auch Seneca nicht. Sie erregen bei Emilien Zweifel an Ihrer Liebe, nähren eine fremde Liebe mit Hoffnungen, die sich auf Ihre Kälte gründen, und bringen, zwar unwissend, aber doch muthwillig, drei Menschen der Verzweiflung nahe. Noch mehr. Sie lassen ein Mädchen auf Ihrem Zimmer schlafen, verkleiden es in einen Knaben, und ...

„Aber, ich ließ ja des Nachts immer Licht brennen! Wie oft soll ich das noch sagen!“

Sie sind ein seltsamer Mann, lieber Herr Baron. Bauen Sie doch Systeme, so viel sie wollen; aber muthen Sie den Menschen nur nicht zu, darnach zu handeln und zu urtheilen. Merken Sie doch auf sich selbst! Sie behaupten von allen Negern, daß sie eine elende Menschen-Race sind; und eine Mohrin ist Ihre Freundin, die Sie zärtlich lieben, die Sie ...

„Hilbert, ich liebe Iglou, wie ich meinen treuen Pudel liebe. Darf ich darum nicht sagen ...“

Pfui, Herr Baron! pfui! Der Mann, der so edel handelt, giebt sich selbst ein so schlechtes Zeugniß, um nur nicht gestehen zu dürfen, daß er geirrt habe! Die Wahrheit liegt nicht so weit, als Sie glauben. Der gesunde Menschenverstand findet sie am sichersten, und sie ist nicht ein Geschenk, das die Vorsehung nur einzelnen Menschen gab. Welcher Philosoph hat nicht sein System erwiesen, oder doch zu erweisen geglaubt? Unsere Vernunft kann vieles, sehr vieles, sogar als strenge Wahrheit erweisen, ohne, daß es darum menschliche Wahrheit wird. Das Herz ist der Probierstein der menschlichen Wahrheit. Unsere für die Ewigkeit, für jeden Zustand geschaffne Vernunft, muß, wenn sie sich anstrengt, Regeln, Principien für den Willen erblicken, die ihn vielleicht einst, nach Millionen Jahren, wirklich bewegen werden, ohne daß sie deshalb schon jetzt, da unser Herz so und nicht anders in unsrer Brust schlägt, die Gründe unseres Handelns seyn können. Sie sehen zum Beispiel ein, sobald sie an Gott glauben, daß alles, was geschieht, gut ist. Wollen Sie darum zu den Menschen sagen: höret auf mitleidig zu seyn; denn der unglückliche Zustand des Menschen, der eure Thränen hervorlockt, ist kein Uebel, sondern ein Glück! Ihr dürft nicht mitleidig seyn, wenn ihr an die ewige Güte glaubt! – Sehen Sie, so urtheilt unsre Vernunft, wenn sie sich an die Stelle der höchsten Vernunft setzt; und das kann sie, das mußte sie können, weil wir steigen, immer steigen sollen. Gott sieht kein Unglück; Alles ist ihm die höchste Ordnung, die höchste Vollkommenheit. Man kann nicht sagen, Gott sey des Mitleidens fähig. Wer aber würde es am Menschen göttlich nennen, wenn er das Elend der Einzelnen mit ungestörter Ruhe sehen könnte? ... Noch einmal, lieber Baron, das menschliche Herz ist der Probierstein der menschlichen Wahrheit, die Vernunft mag sagen, was sie will. Die Tugend eines höhern, eines vollkommneren Geistes könnte in unsern Herzen hier auf der Erde ein Verbrechen seyn. Das Gesetz der Vernunft, an sich betrachtet, wirft die Schande eines Fehlers auf die heiligen Bande des Blutes, auf die Liebe zu Eltern, Geschwistern, Weib und Kind; denn die Vernunft befiehlt ewig nur das Vollkommne zu lieben, und nennt die stärkere Liebe zu dem Unvollkommenen einen Fehler. Auch für das menschliche Geschlecht werden die Zeiten kommen, da der edelste Geist unser Bruder, unser Verwandter seyn wird; aber hier auf der Erde wäre es ein Verbrechen, seinen Bruder verschmachten zu lassen, um einen edleren Mann zu unterstützen. Die Vernunft des Menschen steht an der Seite des Ewigen, und ruft ihre Befehle, ihre Gesetze aus, die durch alle Ewigkeiten gelten sollen; das Herz steht hier unten an der Seite des schwachen Menschen, und wiederholt die Gesetze der Vernunft, aber nur die, welche für den engen Raum zwischen der Wiege und dem Sarge passen. Die Vernunft zeichnet den Weg der Tugend mit einer ewigen Linie, wie einen Grundriß; das Herz bepflanzt den Weg mit Rosen, und mahlt den Grundriß zu einer Ansicht, die das Auge reitzt. Die Vernunft nennt die Tugend den Lohn der Tugend; das Herz stellt am Ende des menschlichen Lebens, durch das es uns leiten soll, das Glück als den Lohn der Tugend auf. Die Vernunft befiehlt; das Herz lockt mit Liebkosungen. Die Vernunft ist ewig; das Herz für dieses Leben, für die Kinderjahre des menschlichen Geschlechtes, bestimmt.

Hilbert hätte noch eine Stunde so fortreden können, und wäre einem Philosophen, zumal einem von dem Schlage des Barons, doch nicht beigekommen. „Eben das“, sagte der Baron lächelnd, „ist das Kennzeichen des Philosophen, daß er nur das Gesetz der Vernunft hört, und nicht das schwache menschliche Herz. Non respicit quid homines turpe judicent, aut miserum: non ut qua populus: sed ut sidera contrarium mundo iter intendunt, ita hic adversus opionionem omnium vadit. 7) Sehen Sie, das ist ein Philosoph! Und sagen Sie selbst, ob nicht alle Philosophen von jeher so waren.“ Leider! erwiederte Hilbert seufzend. Man sollte glauben, diese Stelle wäre eine Satire auf unsere Zeiten. Doch lassen sie uns abbrechen. Ich sehe wohl, wir werden einander nicht bekehren.

Der Baron lächelte triumphirend; er glaubte, den Sieg davon getragen zu haben, und ging, zufrieden mit sich selbst, nachdem er Hilberten noch sehr angelegentlich um die Fortsetzung seiner Freundschaft gebeten hatte.

In Büdesheim nahm nun die Frau von Koch sogleich Emiliens Verbindung vor, und sprach mit ihr von ihrem Hochzeittage. Emilie setzte, ohne selbst zu wissen warum, den Tag noch weit hinaus. Sind Sie meiner müde, Mütterchen? fragte sie zuletzt; und das wirkte. Frau von Koch entwarf nun den Plan, daß Emilie noch ein Jahr in Büdesheim bleiben, der Baron während der Zeit die Reisen, von denen er so viel sprach, machen, und daß dann Emilie mit ihm auf seine Güter gehen sollte. Nachher wollten Frau von Koch und Emilie sich ein Jahr um das andere besuchen.

Der Baron war nun über zwei Jahre auf Reisen, und hatte von dem Allen, was er thun wollte, gar nichts gethan. Er kannte noch nicht die Verfassung eines Dorfes, und Montesquieu's Buch las er gerade am wenigsten. Am Rhein, wo die echten Celten wohnen, war er noch nicht gewesen, und der l'homme voyageur hatte in einer Woche mehr Unglücklichen geholfen, als Er in vollen zwei Jahren. Unser Baron schämte sich ein wenig, als er das dachte, und es war ihm lieb, daß ihm noch ein Jahr zu seiner wichtigen Reise vergönnt wurde.

In der größten Geschwindigkeit machte er nun auch Anstalten dazu. „Nein, Emilie“, sagte er; „halten Sie mich nicht länger. Ich bin zu mehr geboren, als nur in Ihren Armen mich glücklich zu fühlen. Die Menschheit ruft mich. E republica humani generis sum! das heißt: ich bin ein Weltbürger!“ Beide redeten noch einen pünktlichen Briefwechsel ab. – Nun in der That, sagte die Frau von Koch, ich freue mich auf Ihre Briefe. Sie sind ein so seltsamer Mensch, daß Ihnen bei jedem Schritte eine sonderbare Begebenheit vorkommen muß.

Iglou war die Tage vor des Barons Abreise unruhig umher gegangen. Eines Abends stürzte sie zu Emilien in das Zimmer, und rief: ich will bei dir bleiben, und dein seyn. Meine Augen voll Thränen sollen ihn nicht länger martern. Ich will dir von ihm erzählen, bis mein Herz bricht! – Sie blieb bei ihrem Entschlusse, und riß sich mit Gewalt aus des Barons Armen. Emilie und die Koch begleiteten ihn an den Wagen. Als er schon eingestiegen war, rief die Koch ihm zu: l'homme voyageur, Baron! Was gehen uns die Gesetze an, und die Celten! Schreiben Sie fleißig und ausführlich. – Sonst glaub' ich, setzte Emilie hinzu, Sie haben wieder irgendwo eine Iglou gefunden. Leben Sie wohl. – Der Wagen rollte schnell dahin.

Sobald der Baron aus Büdesheim hinaus war, zog er seinen Montesquieu hervor, ließ langsam fahren, und fing an zu lesen. Schon die beiden ersten Kapitel von den Gesetzen aller Wesen und der Natur füllten seine Phantasie. Hier konnte er ja sein ganzes System von den Menschen-Racen, und von der subjektiven Schönheit anbringen. „Armer Hobbes!“ sagte er; „und armer Montesquieu! Nicht Krieg, nicht Friede, ist Naturgesetz! Ihr mußtet weiter ausholen.“ Er sann der Idee nach, und wollte nun hundert Dinge auf einmal. „Ich will die Verfassung meines Vaterlandes untersuchen, seine Gesetze, seine Verhältnisse. Nichts soll mir entgehen. Ich will keine Mühe scheuen, und meinem Vaterlande ein Werk geben, das ihm alle Völker der Erde beneiden sollen!“ Er sprang im Wagen hoch auf bei dem Gedanken an seinen Ruhm.

Auf einmal störte ihn das Geschrei von einigen hundert Menschen, die auf einer Wiese bei dem Dorfe Vilbel versammelt waren. Er ließ halten, ging zu dem Haufen, und fragte, was es da gäbe. Man antwortete ihm nicht, sondern schrie und zankte nur. Er drängte sich durch den Kreis in den Mittelpunkt. Da lag ein todter Esel halb auf dem Ufer der Nidda, halb in dem Flusse selbst, und Soldaten, die als Wache umher standen, ließen Niemanden sich nähern. „Was stehen die Soldaten da?“ fragte er einen rechtlich gekleideten Mann. Dieser lächelte, und runzelte dann die Stirn. Sie bewachen den Esel, der da liegt. – „Wie? den Esel? Nicht möglich!“ – Leider! Und sehen Sie nur meine schöne Wiese! Die ist darüber ganz niedergetreten. – Der Baron wollte das näher erklärt haben, und ging mit dem Manne die Wiese auf und ab. Sehen Sie, da kommt vor acht Tagen ein alter Mann mit diesem Esel hieher, der Töpfe zu Markt bringen soll. Er legt sich Nachts auf der Wiese nieder, und läßt den Esel weiden. Der Esel geht zu nahe an den Fluß, und ersäuft, weil das Ufer gewichen ist. Nun entsteht unter den beiden Abdeckern des Ortes, dem Hessischen und dem Mainzischen, ein Streit, wem die Haut des Esels gehöre. Grund und Boden ist gemeinschaftlich Hessisch und Mainzisch; der Fluß aber ausschließend Mainzisch. Der Hessische Abdecker sagt: der Esel liegt auf dem Lande; wir theilen die Haut. Nein, sagt der Mainzische: er liegt im Flusse; die Haut gehört mir. Nun mischt sich die Obrigkeit hinein.

„Wie? in diesen lächerlichen Handel? Guter Freund, Er will mir etwas aufbinden.“

E s kommt hier nicht auf den Esel an, sondern auf die Verfassung, auf die Rechte der Grundherren. Die Frage kann nicht so schnell gelös't werden; deshalb wird der Esel bewacht. Meine Wiese ist zertreten; und wenn es noch lange dauert, so wird der Geruch des Esels mich am Ende von hier wegjagen.

„Aber die Haut, lieber Mann, wird während der Zeit verderben.“

Ich wollte, sie wäre schon verdorben. Meine arme Wiese!

„Das wird Kosten machen.“

Freilich macht es die. Aber man muß doch einmal wissen, wem der Fluß zugehört.

„Nun, wem gehört er denn?“

Der Eine sagt so, der Andere so. Man hat sich hier in dem Gasthofe schon die Köpfe blutig geschlagen über den Esel. Mich dauert bei dem Handel nichts als meine Wiese, meine Nase, und der arme alte Mann, der mit dem Thiere seinen Lebensunterhalt verloren hat, und jetzt vor Schrecken krank liegt, weil ihm einige Spötter gesagt haben, er werde die Kosten des Prozesses bezahlen müssen. Ach, lieber Herr, wenn doch endlich einmal ein Mensch die Rechte, die Verfassung von ganz Deutschland in Ordnung bringen wollte! Wie manche Wiese mag es kosten, daß man nicht weiß, wem dies und das eigentlich zusteht!

Der Baron lächelte. „Gerade mit dem Manne, der das thun wird, redet Er, guter Freund!“

Schnell nahm der Mann seinen Hut ab. Gott sey Dank! Nun? und wem kommt denn die Haut des Esels zu?

„Noch weiß ich das nicht, mein Freund; aber ich hoffe es zu erfahren.“

Und was wird bis dahin mit meiner Wiese, meiner Nase und der Eselshaut?

Der Baron erröthete. Nun hatte er doch aber Gelegenheit, sogleich bei einem Streitpunkte seine Kenntniß von der Verfassung Deutschlands anzufangen. Er ging in Vilbel hinein, traf in dem Gasthofe, wo er füttern ließ, die obrigkeitliche Person des Ortes, und erkundigte sich nach der Verfassung des Dorfes. Die Justizperson lächelte zufrieden, forderte noch einen Schoppen Wein, rückte den Stuhl zurecht, und sagte: ich will sie Ihnen aus einander setzen. Er fing von den Hauptsachen an, kam nachher zu dem Einzelnen, und versicherte jedes Mal, so oft er einen neuen Punkt anhob: glauben Sie mir, ich könnte Ihnen Monate erzählen, und würde doch nicht fertig. Der Baron fand tausend Mißbräuche und Ungerechtigkeiten. Die Justizperson zuckte die Achseln: ja, aber sie sind verfassungsmäßig, und lassen sich nicht heben, ohne Ungerechtigkeiten zu begehen. Dann fiel der Wirth ein, und erinnerte noch an dies und jenes. Kurz, man wurde nicht fertig. Der Baron, der sich nicht undeutlich hatte merken lassen, daß er reise, um die Staatsverfassung Deutschlands zu studieren und Mittel gegen die Mängel derselben anzugeben, schlug allerlei Reformen für Vilbel vor; aber nicht einer von seinen Vorschlägen erhielt den Beifall seiner Zuhörer, ob er sich gleich auf Platons Republik berief, und sogar zum großen Erstaunen der Justizperson einige Male Stellen daraus Griechisch anführte. Besonders machte der Gastwirth, ein Mann von vieler gesunder Vernunft, bei allen seinen Vorschlägen Einwürfe, die der Baron in der That nicht zu heben wußte. Er dankte dem Himmel, als sein Bedienter ihm endlich sagte, es sey angespannt.

Ein gelehrter Herr! sagte der Amtsschreiber zu dem Wirthe, als der Baron im Wagen saß. Ei nun ja, erwiederte der Andre; wie sie alle sind! Ich will wohl ein Stückfaß Hochheimer gegen ein Maß Werthheimer wetten, daß er mit allem seinem Hebräischen, oder was es sonst seyn mochte, den Esel nicht aus der Nidda bringen würde. Sie sollen sehen, die Fische bringen ihn hinein, ehe noch die Sentenz kommt, wer die Haut haben soll!

Der Baron überlegte auf dem Wege nach Frankfurt ernsthaft seine Absicht, die Verfassung von Deutschland zu studiren. Ein einziges Dorf, ein Punkt gegen Deutschland, hatte ihm schon so viel zu schaffen gemacht. „Ja“, sagte er brummend, und zog den Montesquieu hervor – „über die Regierungsformen ganzer Länder, ganzer Welttheile, hatte er gut schreiben! Aber wäre er nur, wie ich, in Vilbel gewesen: ich zweifle, ob er sich so gut aus dem Handel gewickelt hätte.“ Er sah nun ein, wie schwer es ist, einem Dorfe eine leidliche Verfassung zu geben. „Ja“, murmelte er; „hier steht einem auch alles in der Welt im Wege. Da hebt ein Kloster den Zehnten, dort eins. Die Garben müssen auf dem Felde stehen bleiben, bis alles geerntet ist. Nein, eine Verfassung für ein Dorf zu machen, ist mir zu schwer. Ich will eine für die Welt schreiben; da geht es ins Große, ins Erhabene, und ich bin durch nichts gehindert. Kein Esel kann da eine Prozeß verursachen; denn die Flüsse, die Seen, sollen dem gehören, dem Grund und Boden gehört. O Montesquieu, du schreibst die Gesetze, wie sie sind; ich will der Welt Gesetze vorlegen, wie sie seyn sollen!“

In dem Gedanken, nichts mit der Verbesserung der bestehenden Verfassungen zu thun zu haben, sondern eine ganz neue zu schaffen, wurde er noch mehr bestärkt, als er sich ein wenig um die Verfassung von Frankfurt bekümmerte. Er hätte sein Leben damit zubringen können, das Innere dieser Stadt, deren Gebiet nur einige Stunden im Umfange beträgt, zu studieren, und würde – das fühlte er – dennoch manches dem Zufalle haben überlassen müssen. „Nein“, sagte er; „was geht mich Frankfurt mit seinen Schöffen an! Ich bin ein Weltbürger, und will die Welt reformiren, nicht einzelne Dörfer und Städte.“ Er setzte sich, und schrieb Fragmente eines Buches nieder, das den Titel bekommen sollte: civitas perfecta. 8) Jetzt las er alles, was er über diesen Gegenstand finden konnte: freilich nicht viel, da die Zahl der Weltreformatoren damals noch nicht so gar groß war. Besonders studierte er Platons Republik. Des göttlichen Philosophen philosophische Regenten gefielen ihm außerordentlich, und er sagte sich ganz leise, daß, wenn die Reihe zu herrschen einmal an die Philosophen käme, auch er selbst herrschen würde. Er bewies allen Königen, daß sie, wenn die Welt glücklich werden sollte, ihre Throne verlassen müßten, um ihm und den andern Philosophen Platz zu machen. Auch mit Platons Gemeinschaft der Güter war er zufrieden; nur die Gemeinschaft der Weiber und der Kinder hatte für ihn etwas Anstößiges. „Den Henker auch!“ rief er; „was hat der große Mann da gemacht! Die Weiber zu verloosen, das ist zu arg! Ich könnte ja so unglücklich seyn, gerade eine schwarzhaarige, runde, vollbrüstige Wendin zu bekommen; und Emilie, meine schöne Emilie, würde vielleicht die Beute eines kleinäugigen, fettwanstigen Mongolen-Sprößlings. Gehorsamer Diener! Hätte Plato mein System gekannt, er würde das nicht geschrieben, oder, anstatt der Dichter, alle Schwarzköpfe aus seinem Staate verbannt haben!“ Er ließ sich durch die Deklamationen des Philosophen nicht hinreißen. „O ja“, sagte er, „es ist recht gut, daß alle Kinder mich Vater nennen, daß alle Bürger des Staates Brüder und Schwestern seyn sollen. Aber da hat denn doch Aristoteles, so wenig ich den kalten Schwätzer auch leiden kann, wohl recht, wenn er behauptet, daß diese Einrichtung die Liebe der Alten zu den Kindern zerstören würde. Nein, nein, alles gemein, nur nicht die Weiber!“

Der Baron blieb diesmal nicht lange in Frankfurt. Er suchte nun in Speier, Worms, Mainz, Trier, Köln, Koblenz und allen Städten am Rhein, worin es hohe Domstifte gab, reine Celten auf; aber endlich gestand er sich, das adelige Blut am Rhein müsse sehr mit Slavischem vermischt seyn. Dieser Domherr hatte schwarzes Haar; jener hielt sich mehrere runde Beischläferinnen; viele andre waren, weil sie nichts zu thun hatten und nichts zu wissen brauchten, um reich und geehrt zu seyn, auf mancherlei Dinge gefallen, die, nach des Barons Meinung, für den Celten Unmöglichkeiten sind. In großem Aerger schalt er auf die Domstifte, und rief voll Schmerz: „nein; die echten Celten sind hier nicht mehr: denn alle diese Menschen am Rhein, in denen ich blauäugige, goldhaarige Deutsche zu finden hoffte, haben ja Köpfe so schwarz wie Steinkohlen. Ach, sie sind gefallen, die edlen Celten, in den Schlachten bei Gellheim, Tübingen, Sempach, Eßlingen und besonders bei Reutlingen! Da sank der Deutsche Adel. Wie könnten sonst Schwarzköpfe in den Stiften sitzen? wie könnten Menschen mit zwei und dreißig Ahnen sich Beischläferinnen halten? nichts thun als jagen, trinken, essen und schlafen?“

In Oppenheim brachte er, zum Erstaunen des Küsters, drei Tage lang mit dem größten Vergnügen in dem Beinhause zu, worin einige Tausend Köpfe stehen, und zwar, wie man sagt, von Spaniern, welche Gustav, der Retter Deutschlands, da erschlagen haben soll. Er kaufte sich von dem Küster zehn der edelsten Köpfe, das Stück zu einem Louisd'or, und ließ sie vorsichtig in eine Kiste packen.

In Koblenz bekam er Händel mit dem Pöbel. Bei einer Procession auf die Karthause wollte er in allen den Gemählden, die dort längst dem Gange an der Seite aufgestellt sind und die Passion abbilden, keine Figur edel finden, als gerade den Judas und die beiden Schacher, weil nur diese Drei gelbes Haar und gelbe Bärte hatten. Er sagte laut: „die Bilder hat ein Dummkopf gemacht; denn unter allen diesen Figuren ist kein ehrliches Gesicht, ausgenommen Judas und die beiden Schacher.“ Ohne Zweifel wäre er hier der Märtyrer seines Systems geworden, wenn nicht ein Geistlicher, der ihn kannte, ihn gegen den Pöbel in Schutz genommen hätte. Der Geistliche verwies ihm nachher seine Unwissenheit. Das sollte, sagte er unwillig, ein Protestant doch wenigstens wissen, daß Judas einen Fuchskopf hatte! – „Hätte er einen Fuchskopf gehabt, Herr Pater“, erwiederte der Baron, „so würde er seinen Meister nicht verrathen haben. Ich sage Ihnen, schwarzes glänzendes Haar hatte er, kleine Augen, und krumme Beine.“ Der Pater kreuzte sich, und verließ ihn.

Während Flaming das alles that, den Plato las, Staatsverfassungen stürzte und baute: während dessen gingen in Büdesheim Dinge vor, die ihn mehr interessirten, als Judas und sein Bart, als die Celten, die Domstifte, und die unglücklichen Schlachten, die er so laut bejammerte. Kaum hatte er Büdesheim verlassen, so kehrte Frau von Koch wieder zu ihrer vorigen Lebensweise zurück. Hilbert blieb aus; allein da sie nun einmal ganz an seine Gesellschaft gewöhnt war, so bat sie ihn dringend, den Umgang fortzusetzen. Als das nichts half, mußte Emilie, ob sie gleich sehr viel dagegen einzuwenden hatte, ihn einladen. „Sie stehen für die Folgen, Mütterchen!“ sagte Emilie seufzend. – Bitte ihn nur recht sehr, Emilie; ich stehe für Alles. Emilie schrieb ihm ein Billet, und suchte es recht kalt einzurichten; aber nun wurde es so unverständlich, so geheimnißvoll, daß ein Geck es leicht hätte falsch erklären können. Hilbert dachte nach kurzem Ueberlegen: ich will hin! Und wenn sie mich sogar wieder liebte – ich kenne mein Herz; es ist wenigstens keiner Niederträchtigkeit fähig.

Man ging in Büdesheim spazieren, plauderte, ließ sich von Iglou vorspielen, und las. Hilbert vermied es, mit Emilien allein zu seyn; ja, er hütete sich, was gewiß nicht leicht war, selbst bei den natürlichsten Veranlassungen auf seine Leidenschaft anzuspielen. Das Vertrauen, die Unbefangenheit wurde, wie das guten Menschen so natürlich ist, sehr bald wieder hergestellt. Frau von Koch glaubte, weil sie beide Leutchen so vernünftig und ruhig sah, alle Gefahr wäre vorüber. Sie neckte Emilien mit ihrer Aengstlichkeit, und erzählte Hilberten lachend, daß sie hätte für ihn Bürge werden müssen. Hilbert sah Emilien lächelnd an; und sie erröthete.

Auf dem Rückwege nach Hause überlegte Hilbert nun noch einmal, und brachte andere Resultate heraus. „Sie stehen für die Folgen! hat Emilie gesagt? Was kann sie damit gemeint haben? Wenn sie ihres Herzens gewiß wäre, wie könnte sie dann vor den Folgen besorgt seyn! Sollte etwa auch Emilie ...? Ich bin ein Thor! Aber doch – sie erröthete und erblaßte, als ich damals ... Sie zürnte nicht, spottete nicht; sie vermied mich bloß. O Himmel! wenn ... wenn ... Und wie seltsam betrug sie sich bei der Entdeckung, daß Iglou ein Mädchen war! so kalt! so ruhig! O, wenn es wäre! ... Sie verlangte ein Jahr Aufschub, wendete gegen des Barons Reise nichts ein, und nahm so kalt von ihm Abschied!“

Emilie hatte in der That Ursache, sich zu fürchten. Ein Mann, der schweigend liebt, in der Stille anbetet, ist für das Herz eines Mädchens vielleicht noch gefährlicher, als ein Andrer, der seine Liebe erklärt und um Gegenliebe flehet. Jener ehrt zugleich durch seine stille, schweigende Liebe den Gegenstand, den er anbetet. Es liegt so etwas Schmeichelndes, so etwas Rührendes in diesem stillen, geduldigen Leiden; und die Geliebte möchte den Liebenden so gern dafür belohnen, sollte es auch nur seyn, weil er den Muth nicht hat, Belohnung zu verlangen.

Diesen Zustand sah Emilie täglich an Hilbert. War er still, so machte ihn sein Leiden so; war er in seiner natürlichen Stimmung, so zwang er sich, heiter zu scheinen, um ihr seine Liebe zu verhehlen. Er mochte thun, was er wollte – Emiliens Herz, Emiliens Weiblichkeit, legte alles zu seinem Vortheile aus. Und welches Herz hätte das nicht gethan? und welches Mädchen wäre hier ungerührt geblieben?

Freilich, als Hilbert nur Einmal wieder in Büdesheim gewesen war, fühlte Emilie ihre Unsicherheit wohl. Sie merkte in ihrem Herzen eine geheime Theilnahme an ihm, die Neigung, einen Blick in sein Inneres zu thun; und schon diese Theilnahme hielt sie für ein Verbrechen an dem Baron. Daher blieb sie immer von Hilbert entfernt und niemals einen Augenblick mit ihm allein. War Frau von Koch nicht da, so hatte Emilie, wenn Hilbert kam, gewiß Iglou bei sich. Sie dachte sich ihn gefährlicher, als er war; und in dem Maße, wie sie das dachte, wurde er ihr wirklich gefährlich. „Es ist in der That ein schöner Mann; seine Stellung so edel, sein Blick so ruhig, so groß!“ Bei diesen Gedanken drückte sich Hilberts wirklich schöne Figur tief und mit glühenden Farben in ihre Phantasie. „Welch ein edler Mann! wie gerecht, wie billig! wie sehr Herr über sich selbst! Er liebt mich so heiß, und war der Einzige, der dem Baron Gerechtigkeit widerfahren ließ! Und dieser Mann ist mein täglicher Gesellschafter; täglich bin ich Zeuge seines Edelmuthes, seiner Güte, seines Duldens und Schweigens! Natürlicher Weise mußte Hilbert Emilien, je länger sie das dachte, desto gefährlicher werden. Doch that sie alles, was sie nur zu thun wußte, ihn wieder aus ihrem Herzen zu verdrängen. Sie las jeden Tag die Briefe, die sie von dem Baron bekam. Aber welche Briefe! sie enthielten fast weiter nichts als Betrachtungen über die Gesetzgebung, über das wesentliche Schöne, über den Plato. Freilich waren sie, nach den Wünschen der Frau von Koch, bogenlang; auch sprach der Baron darin mit der größten Zärtlichkeit von seiner Liebe: doch immer nur nebenher. Von der Urschönheit, nach der er strebte, kam er auf Emiliens Schönheit; aber alles war so unter einander geworfen, daß Emilie nicht wußte, ob er sie oder die Urschönheit mehr liebe, ob sie ihm theurer sey, oder der Staat, den er stiften wollte.

Mit allen diesen langen Briefen verglich sie ein kleines Billet von Hilbert (das einzige, das sie von ihm hatte), worin er ihr Nachricht gab, daß er heute nicht kommen könne, weil Theilnahme an einer unglücklichen Familie ihn hindere. „Ach, Emilie!“ schrieb er; „da stehe ich zwischen den Unglücklichen. Sie danken mir für meine Freundlichkeit, die mir so leicht ist, für eine Summe Geldes, die ich nicht auf höhere Zinsen anlegen konnte, als wenn ich ihrer Noth damit abhalf. Und für das schwere Opfer, das ich den Unglücklichen bringe, Sie, Emilie, heute nicht zu sehen: dafür dankt mir kein Mensch. Ich trockne die Thränen des Kummers, und möchte selbst Thränen vergießen; ich mache eine Familie glücklich, und bin selbst – zufrieden, weil Ihr Herz mir danken wird, Ihr fühlendes Herz, das keine größere Freude kennt, als Menschen glücklich zu machen!“

Dies Billet schien Emilien nichts als sie allein zu enthalten. Mitten unter den Unglücklichen stand sie neben Hilberten. Sie hatte Theil an seiner Wohlthätigkeit, war die Quelle seines Gefühls, seiner Gedanken, seiner Handlungen. Und nun des Barons Briefe! Sie schüttelte den Kopf. „Komm Iglou“, sagte sie endlich; „laß uns von deinem guten Herrn plaudern! Komm, erzähle mir von seiner Güte, von seiner Menschlichkeit, von seinem Edelmuthe.“ Iglou erzählte mit funkelnden Blicken und heftigen Bewegungen, wie der Baron sie gefunden, sich großmüthig ihrer angenommen, und ihr gebrochenes Herz geheilt habe. Sag', wie kann ich anders als ihn lieben? – Emilie stand auf, trat an das Fenster, und dachte seufzend: heilte er nicht auch mein gebrochenes Herz? – „Ja“, rief sie, und umfaßte Iglou mit weinenden Augen; „ja, er ist ein edler Mann! Wir wollen ihn lieben; denn er that uns Beiden wohl. Komm, liebe Iglou; wir wollen von nichts sprechen, als von ihm, an niemanden denken, als an ihn. O, ich möchte mit dir in der tiefsten Einsamkeit, in deinen brennenden Sandwüsten seyn, um immer nur von ihm zu sprechen, an ihn zu denken! Ach Iglou, wie undankbar bin ich gegen ihn!“ – Du undankbar? fragte Iglou. – „Ja“, erwiederte Emilie verwirrt „du rettetest ihm das Leben; und was that ich für ihn?“

Du machst ihn glücklich, sagte Iglou, und schlug die Augen nieder. Er liebt dich; und ich! ich! Doch ich bin zufrieden, wenn er mich nur nicht verstößt. – „Liebt er mich wirklich, Iglou?“ fragte Emilie. „Ich bitte dich, sprich von seiner Liebe zu mir; erzähle mir alles, was du weißt.“ Emilie wollte ihr Herz mit dem Gedanken füllen, wie sehr sie geliebt sey; aber Iglou wußte ihr nichts zu erzählen. Nein, sagte diese; er hat dich nie genannt, nie deiner erwähnt. Ach, er wollte mich nicht kränken!

„Nie mich genannt? nie meiner erwähnt? nie gesagt, daß er mich suche? daß er ohne mich nicht leben könne?“

Niemals, sagte Iglou nach einigem Besinnen. Ob er die Hoffnung aufgegeben hatte, dich zu finden? Ich war immer bei ihm, und folgte ihm, wohin er ging; aber nie suchte er dich, nie nannte er deinen Nahmen. O, er war sehr verschwiegen mit seiner Liebe! Ich habe oft mit ihm über diese Leidenschaft gesprochen, und dennoch erwähnte er deiner nie. – „Nie erwähnte er meiner?“ Emilie erkundigte sich jetzt nach allen kleinen Umständen, die des Barons Umgang mit Iglou betrafen, und diese mußte ihr jede kleine Scene, die sie mit dem Baron gehabt hatte, erzählen. „Aber Iglou“, sagte Emilie dringend, doch ohne alle Heftigkeit – „wie du erzählst, so scheint der Baron dich ja schon zärtlich geliebt zu haben!“ – Ach, erwiederte Iglou seufzend; oft glaubte ich das selbst, besonders in einer Nacht. Nie werde ich diese heiligen Stunden vergessen. O Emilie, da war ich so glücklich! so glücklich, wie du jetzt! – „Erzähle mir! erzähle!“ sagte Emilie, und schlang ihre Arme um Iglou's Nacken. Iglou erzählte mit stiller froher Erinnerung. Ach, setzte sie traurig hinzu; sollte ich da nicht glauben, daß er mich liebte? Sag' selbst! Er drückte mich so innig an seine Brust, die so stark schlug, und küßte meinen Mund, meine Schultern, mein Herz. Ach, warum that er das! warum zeigte er mir das hohe Glück, wenn er es wieder zerstören wollte! Doch ich habe ihm vergeben. Er sah diese schwarze Farbe nicht, die er so sehr haßt. Vielleicht glaubte er, dich in seinen Armen zu halten. Ach, noch am andern Morgen sagte er: wenn du weiß wärest, Iglou! wenn blonde Locken um deine Stirn schwebten! Und dabei betrachtete er mich mit Blicken, in denen noch ein Schimmer seiner sterbenden Liebe glänzte. Ja, rief Iglou, und legte weinend das Gesicht an Emiliens Brust: wenn ich weiß wäre, er hätte mich geliebt! Ich wäre das glücklichste Geschöpf auf der Erde!

Emilie nahm die Unglückliche in ihre Arme, an ihren Busen; und die Thränen der beiden gefühlvollen Seelen mischten sich. „Ach“, sagte sie schluchzend: „du kannst noch glücklich werden, Iglou; aber ich! ich!“ Sie ging weinend in ihr Kabinet, und verlor sich in stille Träume voll Wehmuth und leiser Hoffnungen. „Er hat nie meinen Nahmen genannt? Ist das Liebe? Und wenn Iglou eine Weiße ... Ach, wollte Gott, sie wäre es gewesen; so ...Wenn er mich nicht liebte; wenn er sich nur durch sein Wort an mich gebunden glaubte: wie unglücklich würde ich, wie unglücklich er selbst seyn! Und hat er denn Iglou nicht geliebt? O gewiß, gewiß! Die Nacht, die Worte: wenn du eine Weiße wärest! – Und dann ... O, ich Unglückliche! ... Ja, jetzt erinnere ich mich. Als er hierher kam, und ich ihn mit so treuer Liebe in meine Arme schloß: gestand er da nicht selbst, daß er mich vergessen hätte? sagte er nicht selbst: ich bin so vieler Liebe nicht werth? ... O Himmel! welch ein schreckliches Licht! Wie kalt war er nachher gegen mich! Hilbert sagt zwar, er habe da den Philosophen spielen wollen; aber konnte er das, wenn er mich liebte? Und dann – hat er mich nicht aufgeopfert um dieses Mädchens willen? ... Nein, er liebt mich nicht; sein Herz hängt an der zärtlichen, treuen Iglou. Und natürlich! sie hat ihm das Leben gerettet! Konnte er ihre unendliche Liebe anders als mit Liebe belohnen? Wer kann sich ihr nahen, ohne sie zu lieben? Sie ist meine Nebenbuhlerin; und dennoch liebe ich sie. Ja, er liebt die zärtliche Iglou. Ach, wenn sie weiß wäre! ... Und nun seine Briefe! so kalt, so gelehrt! Wenn ich Hilberts Billet ...“ – Sie holte es, las es durch, und benetzte es mit Thränen. „Der Unglückliche! ... Ach, Hilbert, du bist nicht allein unglücklich!“ Sie erschrak vor sich selbst, als sie das gesagt hatte, und legte schnell das Billet wieder weg. „O, der Himmel mag es mir vergeben! Aber wenn er mich nicht liebte, so wollte ich, um ihn von lästigen Banden zu befreien, meine Liebe aufopfern, um ihn trauern, und mich glücklich dünken, wenn er es nur wäre! ... Wie kalt war sein Abschied! wie trieb er, daß er fort kam! Ach, Hilbert geht auf eine Nacht trauriger von mir weg als der Baron auf ein Jahr!“

Dies dachte Emilie tausendmal, in verschiedenen Gestalten; und immer war das Resultat: der Baron liebt mich nicht! An dieses Resultat hängte sich denn ein Gedanke, freilich ohne Worte gedacht, freilich in dem Innersten des Herzens nur ganz heimlich ausgebrütet: der Gedanke an Hilbert und seine Liebe. Zwar bebte, als er nun zum ersten Male wieder kam, Emilie vor ihm zurück wie vor einem Gespenste. Aber was war denn nun Unrechtes an ihrer Freundschaft für ihn, wenn der Baron sie nicht liebte? Und daß er sie nicht liebte, fing jetzt an ihr sehr gewiß zu werden. Sie zitterte schon weniger, wenn sie an Hilberts Liebe dachte, und gewöhnte sich zuletzt an diesen Gedanken, doch noch immer mit dem festen Entschlusse, ihr Schicksal dem Willen des Barons zu überlassen, und alle Vertraulichkeit mit Hilberten gänzlich zu vermeiden.

Sie scheuete sich, so oft ein Brief von dem Baron ankam, ihn zu öffnen, weil sie befürchtete, er möchte diesesmal zärtlicher geschrieben haben als sonst; und es machte ihr augenscheinliches Vergnügen, wenn sie dann wieder eine Abhandlung über den Plato fand. Frau von Koch sagte: aber, Emilie, du bist doch die Geduld selbst, daß du mit solchen Briefen zufrieden seyn kannst! Dein Baron ist in der That ein seltsamer Thor, daß er einer Braut solches Zeug über die Regierungsformen schreibt. Wahrhaftig, man sollte darauf schwören, er wäre so kalt gegen dich, wie Eis.

Emilie ließ sich durch diese Bemerkungen in ihrem Vergnügen nicht irre machen; sie war ja doch um so weniger schuldig! Wie bebte sie aber, als eine Kiste von Flaming mit einem Briefe an sie ankam. Noch ehe sie den Brief erbrach, hatte Frau von Koch die Kiste schon öffnen lassen, die äußerst vorsichtig gepackt war. Er ist doch galanter, als ich dachte, sagte diese; und Emilie hielt den Brief noch immer ungelesen. Auf einmal schrie die Koch vor Schreck laut auf; denn sie hatte den Schedel eines Spanischen Soldaten in ihren Händen. Sie war außer sich vor Zorn und Schrecken. Nein, rief sie; der ist ja ärger als Nero! Er läßt nicht einmal die Todten in Ruhe. Rasend muß er seyn, daß er uns zehn Todtenköpfe über den Hals schickt! Aber Emilie, wo ist denn der Brief? Lies doch, was wir damit sollen. Emilie erbrach, und las:

„Vergeblich, liebe Emilie, ist meine Reise in diesem Paradiese Deutschlands. Ein blaues Auge ist eine Seltenheit, blonder Haarwuchs gar nicht zu sehen. Was soll man von Menschen sagen, die den Kopf zu weiter nichts zu haben scheinen, als Lasten darauf vom Felde nach Hause zu schleppen? In unserm nördlichen Deutschlande trägt das Weib die Lasten im Arm oder auf dem Rücken; hier arbeitet man, wie der Stier am Pfluge, mit der Stirn. Schwarze Farben, schlechte Nahrungsmittel, Bedrückungen aller Art sind hier zu Hause, und bezeichnen deutlich die Slaven. Ich habe die Domherren gesehen. Ach, wohin ist der Deutsche Adel! Wehe dem Menschengeschlechte! Geben Sie Acht, Emilie, die Domstifte, sonst die Treibhäuser der edelsten Menschen, werden untergehen. Ach, wäret ihr nicht gefallen, ihr Gundelfingen, ihr Hohensteine, ihr Lustenaue, ihr Lichtenecke, ihr Sternenfelse; es würden nicht so viele Sünden in den heiligen geistlichen Stiftsstädten begangen werden!“

„O, Emilie, lassen Sie uns fliehen, das Land fliehen, wo die Slaven und ihre Verbrechen herrschen! Die Laster verbreiten sich, und schaden durch ihre Nähe auch dem Besseren.“

„Hier, Emilie, sende ich Ihnen zehn edle Schedel von Spaniern. Da sehen Sie die echte Deutsche Struktur des Kopfes an dem edelsten Menschenstamme: die lange hoch gehobene Stirn, das schmale, längliche, schöne ovale Gesicht! Mit Wollust stand ich da vor den fünf tausend Köpfen in Oppenheim, und konnte nicht satt werden, ihre Schönheit zu bewundern; besonders den einen, meine reitzende Emilie, den ich mit einem Kreuze gezeichnet habe. Ich setze mein Leben zum Pfande, es ist der Kopf eines Asturiers. O Emilie, als ich diesen edlen Schedel in die Hände nahm, und diese stolze, erhaben gewölbte Stirn betrachtete, das gebieterische Nasenbein, wie es sich an diese feinen Wangen angießt; da rief ich laut: so reitzend ist Emilie! das ist ihre Stirn, das ihre edle Nase, das ihre feine, sanft gehobene Wange! O Emilie, wie lebendig erinnerte mich dieser Schedel an meine reitzende Celtin! Ich konnte mich nicht von ihm losreißen. Nein, rief ich; mögen Andre nach Rom gehen, und vor der Bildsäule Apolls in Entzückungen gerathen: ich habe hier eben so viel Ursache entzückt zu seyn! Gewiß, Emilie, ich konnte Ihnen nichts Schöneres schicken, als diese herrlichen, erhabnen Palläste der edelsten Seelen. Der kleinste darunter scheint mir ein Schwedischer Schedel zu seyn.“

„Setzen Sie diese Köpfe auf ihren Putztisch, und studieren Sie die schöne Form daran. Nachher vergleichen Sie einmal zur Probe mit einem dieser Schedel den – Doch nein! Grüßen Sie meine gute Iglou, und sagen Sie ihr, daß sie den Generalbaß und die Lateinische Sprache fortsetzen soll. Vielleicht vergäße sie weniger, wenn Frau von Koch sich entschließen könnte, sich in Beidem von ihr unterrichten zu lassen. Bereden Sie die Frau von Koch dazu; denn ich liebe meine Freunde, und vorzüglich die Beschützerin meiner Emilie. Leben Sie wohl, Emilie. Sorgen Sie ja für die Köpfe und für Ihre Gesundheit.“

Nun, in der That, Emilie, sagte Frau von Koch sehr ernsthaft; ich weiß nicht mehr, was ich davon denken soll. Das geht doch allzu weit. – In diesem Augenblick öffnete Hilbert die Thür. – Emilie, fuhr die Koch mitleidig fort, ob es nicht dein Unglück ist, daß du den Baron kennen gelernt hast? – Emilie schwieg mit einem tiefen Seufzer. – Urtheilen Sie einmal, Hilbert. Der Baron schickt Emilien ein Geschenk, und das besteht – in zehn Todtenköpfen. Aber, was noch ärger ist, einer, den er gezeichnet hat – der hier! Holen Sie ihn doch hervor, Hilbert. Sehen Sie, dieser Kopf, schreibt er mit dürren Worten, habe die auffallendste Aehnlichkeit mit Emilien, und sey eben so reitzend. In der That, Hilbert, ich glaube, es wird eine Gewissenssache, Emilien von dem Baron los zu machen, besonders da sie selbst ...

„Mütterchen, ich bitte Sie! Nein, ich liebe ihn in der That. Ach, was wäre ich ohne ihn! Lassen Sie ihn doch! Was schaden mir denn seine Grillen?“

Hilbert erröthete, und las, um es zu verbergen, den Brief. Nun, Hilbert? sagen Sie selbst! Ist es nicht zu arg?

„Nichts weiter“, sagte er lächelnd, „als gewöhnlicher Künstler-Enthusiasmus. Diese Thorheit ist so selten nicht, als Sie zu glauben scheinen. Hören Sie einmal jemanden, der in Rom gewesen ist! Er erzählt Ihnen mit einem Entzücken, das an Raserei gränzt, von einem Kopfe – aus Stein oder Knochen geformt, das ist wohl so ziemlich einerlei – und findet in Apolls Gesichte Stoff zu tagelangem Nachdenken, zu den erhabensten Empfindungen. Sollten Sie den Apoll selbst sehen, so würden Sie glauben, der Mensch sey nicht bei Sinnen gewesen. Aber er lächelt und bemitleidet Sie, wenn Sie nicht niederfallen und anbeten. Glauben Sie mir, neun und neunzig von Hunderten, die sich in Rom aufgehalten haben, sind des Barons leibliche Brüder. Der ganze Unterschied besteht darin, daß dort Hunderte an einerlei Narrheit leiden, und daß hier der Baron seine eigne für sich hat. Künstler-Enthusiasmus; weiter nichts!“

Sie sind ja selbst in Italien gewesen, Hilbert, sagte Emilie mit einer Verbeugung, und freute sich, ihm das Kompliment machen zu können.

„Ja, mein Fräulein; aber es hat mir auch Mühe genug gekostet, wenn jemand den blauen Himmel hier lobte, nicht sogleich einzufallen: der Himmel in Italien ist blauer, der Boden grüner, der Mensch edler! Und die Antiken! o Gott! die Antiken! ... Auch ich hätte die Leute gern von Florenz nach Rom, und von da nach Neapel durch alle Kabinette führen mögen. Wir Männer sind so eitel auf unsere Reisen, wie die Weiber auf ihre Liebhaber. – Der Baron ist ein Enthusiast für Hirnschedel, und das mag eine Thorheit seyn; aber er ist auch ein Enthusiast, wenn er Augen in Thränen sieht. Er vergißt über die Todtenschedel die Lebendigen nicht, und eilt mit funkelnden Augen den Leidenden zu Hülfe; während tausend andere eben so arge Thoren beim Bewundern der marmornen Bildsäulen ihr Herz zu Marmor machen, nur Freude, Entzücken für eine Statue, für ein Gemählde, für eine Münze, für eine Aufschrift, für eine Variante, für einen wohlklingenden Vers, für eine spitzfündige Schlußfolge haben, nur dem Laokoon eine Thräne weinen, und den Unglücklichen mit kaltem Achselzucken verlassen. Der Baron hat ein Herz, das viel, viel werth ist, und tausend Thorheiten gut macht. Zwar – wer könnte sagen, daß er Emilien verdiene!“ – Emilie erröthete wieder, und verbeugte sich. Sie wollte etwas sagen, und schwieg doch.

Meinetwegen macht, was ihr wollt! sagte Frau von Koch. Ich weiß, was ich thäte, wenn ich Emilie wäre. Sein Handel mit der Mohrin, und hätte er auch sein Zimmer illuminirt gehabt; seine Kälte hier, und in allen Briefen! Ich glaube, er könnte Emilien für einen Todtenkopf vertauschen, wenn er am Kaukasus – so heißt ja wohl der Berg, wo die edelsten Menschen und, ich glaube auch der Vogel Greif wohnt? – gefunden wäre. Hilbert, ich wollte, Sie hätten einen solchen Kopf! Dann sollten sie sehen! Und Sie würden doch mit dem Tausche zufrieden seyn? – Hilbert gerieth in Verwirrung. Emilie erröthete einmal über das andere, und sagte endlich: o, Mütterchen!

„Gnädige Frau, schonen Sie wenigstens Emiliens. Frei heraus! eine solche Meinung könnte dem Baron in Emiliens Herzen schaden. Sie beurtheilen ihn sehr falsch. Er würde Emilien nicht für eine Welt hingeben. O wer, wer würde das! Ja, Emilie es ist unbescheiden, wenn ich Ihnen die Liebe des Barons zusichere; aber er liebt Sie in der That. Er gab sein Herz für Sie auf.“

Sein Herz für mich? fragte Emilie; wie verstehen Sie das? Ich weiß zwar, daß er mich liebt; aber ...

„Sein Herz, Emilie! Er gab Ihnen unendlich viel: das Leben seiner Iglou, des Mädchens, das sein Leben gerettet hatte.“

Mich dünkt, es war umgekehrt, erwiederte Emilie. – So scheint es mir auch, sagte Frau von Koch.

„Das wurde es, als Iglou mit einer Größe, die ich ewig bewundern werde, sich für ihn hingab. Er wäre ein Unmensch gewesen, wenn er dagegen ausgehalten hätte. Emilie, er sagte Ihnen damals: ich gebe Ihnen viel! Er hat Ihnen viel gegeben. Seine Briefe sind kalt; aber sein Herz ist es nicht. Doch, verzeihen Sie, mein Fräulein, daß ich mich an Sie wendete. Der Streit gilt ja nur die Frau von Koch.“

Wenigstens wünsche ich, sagte Frau von Koch mit Kopfschütteln, daß es anders wäre. – Emilie und Hilbert seufzten zu gleicher Zeit, und errötheten, als ihre Blicke einander begegneten.

Emilie ging auf ihr Zimmer, und träumte. So hatte nun selbst Hilbert ihre leisen Hoffnungen zerstört, die Hoffnungen, die sich auf des Barons Kälte gründeten! Sie nannte zwar ihre Empfindungen nicht Hoffnung; aber es that ihr doch weh, sie zerstört zu sehen. So edel es auch von Hilbert war, des Barons Rechte zu vertheidigen: so fand doch Emilie seinen Edelmuth diesmal sehr strafbar. Wohl denn! sagte sie; so will ich den Baron lieben! will, was Hilbert wünscht, kalt gegen ihn seyn! – Sie hielt Wort, und that noch mehr, als das; sie wurde nicht nur kalt gegen Hilbert, sondern auch empfindlich, oft sogar ein wenig bitter.

Und nun war es auf einmal, als ob sich alles gegen ihre Meinung verschworen hätte. Es kam ein Brief von dem Baron, den folgenden Posttag wieder einer, und so immer fort. Emilie wurde mit Briefen überschüttet, und alle athmeten die höchste Leidenschaft, die heißeste jugendlichste Liebe. Der Baron klagte mit dem tiefsten Schmerze über seine Entfernung von Emilien, und aus manchen Stellen blickte sogar Verzweiflung hervor. Der Celten erwähnte er kaum mehr; auch suchte er nicht länger die Domherren auf. Er lebte in der wildesten Gegend auf dem Hundsrück; da benetzte er die Felsen mit seinen Thränen, und wünschte sich hinab in die Mosel, um seinen Schmerz über die Trennung von Emilien in den Wellen endigen zu können. Ja, sagte die Frau von Koch, Hilbert hat doch Recht! Das sind noch Briefe an dich, wie sie seyn müssen, Emilie! Konnte der wunderliche Mensch nicht immer so schreiben? Die lese ich mit Vergnügen!

Emilie schien von dem Geiste des Widerspruches beseelt zu seyn. In des Barons ersten kalten Briefen fand sie, trotz dem, was die Koch auch sagte, noch immer Wärme genug; in diesen feurigen aber wollte sie die heiße Leidenschaft schlechterdings nicht finden. Sie studierte die Briefe recht absichtlich, um eine kalte Wendung darin zu entdecken; und zu gleicher Zeit war sie doch so boshaft, Hilberten zu sagen: Sie haben Recht gehabt; der Baron liebt mich. Lesen Sie diese Briefe von ihm! – Hilbert las sie, und schwieg. – Ihr Schweigen, Hilbert, – das habe ich Ihnen schon abgemerkt – sagt immer nicht viel Gutes. Ich bitte um Ihre Meinung, lieber Hilbert.

„Der Baron verzweifelt darüber, daß er von Ihnen entfernt ist; und er darf nur Postpferde nehmen, um seine Verzweiflung zu endigen!“

Sie halten also diese Briefe für erkünstelt, für affektirt? Frau von Koch ist nicht Ihrer Meinung; sie wartet mit Ungeduld auf jeden Posttag.

Hilbert hatte wirklich Recht. Die Briefe waren weiter nichts, als Folgen von einem neuen Einfalle des Barons. Er hatte einen neuen Französischen Roman, die Geschichte zweier Liebenden in Briefen, bekommen. Seine Phantasie wurde, als er das Buch las, ergriffen. Ein solches Buch schreiben, oder einen solchen Roman spielen: – welches von beiden war die interessanteste Idee? Spielen und schreiben zugleich. Emilie – so träumte er – habe ihn ein Jahr lang von sich verbannt; er verzweifle, suche die wildeste Gegend im Gebirge auf, und schreibe da zwischen den Felsen. Hätte Emilie den Roman gekannt, sie würde ganze Stellen daraus in Flamings Briefen wiedergefunden haben.

Emilie fühlte sich durch diese leidenschaftliche Sprache doch ein wenig gerührt, und auch ihre Briefe wurden wärmer. Der Baron freute sich wie ein Kind, seinen Roman so hübsch in Gang gebracht zu haben, und es ahnete ihm nicht, daß seine ersten so kalten Briefe noch einen zweiten Roman eingeleitet hatten, der zwar sehr geheim, selbst ohne Wissen der Helden, aber doch sehr lebhaft gespielt wurde.

Hilbert schwieg, wachte sogar über seine Blicke, war nie mit Emilien allein, und vertheidigte den Baron, und dessen Rechte auf ihr Herz; aber – er seufzte, so oft er das that. Ganz kalt, unbefangen und arglos sprach er einige Zeit mit Emilien vom Wetter, von dem Garten, von ihren Kanarienvögeln; und plötzlich, wenn er sie einmal lange ansah, fing er an unruhig zu werden, verlor den Zusammenhang, und sprach mit bebender Stimme. Er ging unter dem ersten besten Vorwande hinaus in den Garten. Emilie stand dann heimlich am Fenster, sah ihn zwischen dem nackten Gebüsch auf und nieder gehen, die Hand an die Stirn legen, oder sein Auge trocknen; und – was das Seltsamste war – sie sah das mit einer Art von geheimen Vergnügen: auch sie fühlte ihr Herz ungestüm schlagen, auch sie legte ihre Hand an die Stirn, und hatte Thränen in den Augen.

Hilbert kam endlich heiter wieder; und nun nahm Emilie seine Rolle: sie erröthete, seufzte, war unstät, ungleich, ging auf ihr Zimmer, und endigte da jedes Mal mit einem Strome von Thränen. – Bisher hatte Emilie nur gewußt, daß Hilbert sie liebe; aber jetzt kam sie in gewissen Augenblicken auf den Gedanken, daß auch sie Hilberten liebe. Sie bebte, rang die Hände, weinte; und dieser Kummer gab ihr neuen Muth. Nach einem solchen Augenblicke schwor sie dem Baron jedes Mal unverbrüchliche Treue, und fühlte sich wirklich stark genug, den Schwur zu halten. Dann beruhigte sie sich wieder, und sagte zu sich selbst: „bin ich nicht eine Thörin, daß ich vor einem Schatten zittre! ich fürchte, daß die Liebe des armen Hilbert mein Mitleiden zu sehr erregen möchte; und nenne dieses Mitleiden Liebe.“ So war sie wechselsweise ruhig und unruhig, zufrieden mit sich und unzufrieden; und so gewöhnte sie sich immer mehr an ihr Verhältniß zu Hilbert, und an den Umgang mit ihm.

Ihre Betrachtungen über des Barons Benehmen gegen sie, gegen Iglou, und über seine kalten Briefe, füllten ihre Brust mit leisen Hoffnungen. Sie hing diesen zwar nicht weiter nach; aber ihr Betragen gegen Hilbert bekam doch dadurch etwas Vertrauliches, und sie schien jetzt ruhiger, als sie war. Hilbert selbst hatte vorher bei ihrer Unruhe manchmal den Gedanken gefaßt, daß sie ihn heimlich liebte; doch diese Ruhe, dieses unbefangene Vertrauen gegen ihn, benahm ihm den Gedanken wieder. In seinen Schmerz darüber mischte sich – zu seiner Ehre – dennoch Freude und Zufriedenheit. „Sie fühlt doch die Qualen nicht, die ich fühle!“ sagte er.

Nun kamen zärtliche Briefe von dem Baron, und Emiliens Unruhe zeigte sich aufs neue. Sie hielt diese Briefe, was auch Hilbert über sie urtheilen mochte, für Beweise von des Barons Liebe; natürliche Eitelkeit, und die Furcht, daß es so seyn möchte, überredeten sie davon. Jetzt brach aber ihre Liebe, die bis dahin auf Hoffnungen in ihrem Herzen verborgen geruhet hatte, gewaltsam hervor, da des Barons Brief ihr alle diese Hoffnungen raubten. Sie fühlte sich zum ersten Male unglücklich; fühlte deutlich und bestimmt, daß sie Hilberten liebte, und überließ sich nun zum ersten Male ohne Widerstand diesem Gefühle. Jeder neue Brief schlug ihre Hoffnungen noch mehr nieder, und vergrößerte zugleich ihre Liebe, ihren Kummer. Alles Vertrauen, alle Unbefangenheit gegen Hilbert verschwand; sie wurde einsylbig, wortarm, unruhig, heftig, empfindlich, bitter sogar, wenn sie mit ihm sprach. Oft standen ihre Augen ohne alle Ursache voll Thränen; sie hörte nicht, was er sagte, und unterbrach ihn, wenn er etwas Munteres erzählte, auf einmal mit einem Seufzer. Sie mochte gern allein seyn, und ließ sich, wenn Hilbert da war, nicht sehen; doch, blieb er einen Tag weg, so war sie an das Fenster gebannt, und starrte auf den Weg hin, den er kommen mußte. Kurz, sie beging alle Thorheiten der Liebe.

Aber auch Hilbert wurde von ihr mit in den Sturm der Leidenschaft hinein gezogen. Alle Tage nahm er sich vor, ruhig zu bleiben, und blieb es Anfangs auch so ziemlich. Er that, als sähe er die Thränen in Emiliens Augen nicht, erzählte fort, wenn sie auch nicht zuhörte, und nahm, wenn sie sich gar nicht sehen ließ, alle seine Stärke zusammen, aufmerksam mit der Frau von Koch Piket zu spielen. Frau von Koch merkte seine Unruhe wirklich nicht, und sagte am Abend zu Emilien: Hilbert kann doch alles, und alles vortrefflich! Er hat heute wieder gewonnen! Emilie war darüber verdrießlich, und maulte ein wenig. Sie hielt Hilberts Ruhe für ein Verbrechen, und ahndete es mit Kälte, die dann gewöhnlich zu einer empfindlichen Bitterkeit wurde. Hilbert bemerkte die Veränderung, die mit Emilien vorgegangen war, und legte sie, wie gewiß jeder Mann in seinem Falle, zu seinem Vortheile aus. Mit Entzücken sah er sich geliebt, und hätte sich gern Emilien zu Füßen geworfen; aber – er dachte an den Baron, und erstarrte. Zwar führte ihm seine Leidenschaft sehr bald Gründe vor, mit denen er seine Liebe vertheidigen konnte; doch er war gewohnt, sich an die alten Vorstellungen von Gerechtigkeit und Pflicht zu binden. Nach einem sehr langen Kampfe mit sich selbst, rief er laut, und heftiger, als er jemals gewesen war: „ja, ich liebe sie! Auch das ist vielleicht schon unrecht; aber, was es mir auch kosten mag – und ich fühle, es wird mir vielleicht alles kosten –: ich werde nie ungerecht seyn! Die Leidenschaft soll meine Vernunft nicht überwältigen! ... Emilie ist Flamings Eigenthum. Wie erworben, wie verdient: das kümmert mich nicht. Sie ist sein Eigenthum, und soll es bleiben!“

Mit diesem Vorsatze brachte er seine Leidenschaft freilich nicht zur Ruhe; aber er fühlte doch auf einmal die Stärke, ihr nicht nachzugeben. Er ging nach Büdesheim, setzte sich zu Emilien, und erzählte ihr Geschichtchen aus der Nachbarschaft, so daß er selbst über seine Stärke erstaunte. – Wie eitel ist der Mensch! Gewöhnlich treibt er auch den kleinsten zweideutigen Triumph zu weit. Hilbert faßte Emiliens Hand, was er lange nicht gethan hatte, und fühlte, daß sie ein wenig zitterte. Noch verlor er den Muth nicht; er schlang seinen Arm um ihren Leib, und erzählte dabei gleichgültig eine Anekdote. Emilie sah ihn an, als ob sie zuhörte. Auf einmal brachen Thränen aus ihren Augen, und ihr Busen flog. Sie sprang auf, und sagte schmerzlich: Sie spotten meiner! Diese Worte brachten Hilberten völlig um seine Ruhe, um seine Stärke. „Spotten, Emilie?“ sagte er mit einem Gesichte, auf dem der Schmerz nicht zu verkennen war. „Ach, wenn Sie wüßten, wie viel dieser Spott mir kostet; Sie würden ...“

Er hielt inne, und schlug die Augen nieder. Auch Emilie heftete schweigend ihren Blick auf den Boden. Beide seufzten, und wendeten sich trostlos von einander ab. Wohl hundertmal hatten sie Beide den Vorsatz, sich zu vermeiden, oder doch wenigstens kalt gegen einander zu seyn; und eben so oft brachen sie ihn wieder. In einer Stunde wechselten sie zwanzigmal die Rollen. Jetzt war Hilbert kalt, ruhig, besonnen; und Emilie unstät, empfindlich, bitter. Dann wurde Hilbert weich, traurig, zärtlich, und Emilie in eben dem Grade kalt, streng, ruhig, bis er endlich die Geduld verlor, und nun ebenfalls empfindlich, bitter wurde. So liefen sie unaufhörlich in dem Kreise von guten Vorsätzen, die der eine brach, wenn der andere sie hielt, vor und hinter einander her. Beide marterten sich ab mit Entschluß und Reue; und am Abend gestanden sie heimlich sich selbst ihre Schwäche.

Die Liebe führte sie nach und nach immer näher zusammen. Jeden Tag wurde ihr Herz weichlicher, ihre Standhaftigkeit geringer, ihr Muth schwächer, ihre Unruhe größer, und die Vorwürfe ihres Herzens leiser. Sie sahen schon das Ende voraus, und zitterten davor. An jedem Morgen sagte Hilbert: „heute ist vielleicht das Bubenstück schon vollbracht, und der Baron von mir betrogen!“ und Emilie: heute entdeckt er mir vielleicht sein Herz; und, ach! ich fühle, daß ich treulos seyn werde! Ich Unglückliche!

Noch einmal trat die Tugend, in Iglou's Gestalt, wie ein drohender Engel, vor sie hin. Hilbert fand eines Tages Emilien nicht zu Hause, weil sie mit der Frau von Koch ausgefahren war. Iglou sagte zu ihm: Emilie läßt dich bitten, sie zu erwarten. Sie sah ihn bei diesen Worten starr an; und der edle Hilbert konnte ihren Blick nicht ertragen. Er reichte ihr erröthend von der Seite die Hand, und sagte mit Kopf schütteln: „wenn ich die Stärke hätte“ – Iglou sah ihm, als er abbrach, noch einmal starr ins Gesicht, und sagte langsam, feierlich: du bist ein Mann! – Er seufzte, und eilte, wie in Verzweiflung, auf Emiliens Zimmer. Dort stützte er in großem Schmerze die Stirn in die Hand. Um sich von seinen quälenden Gedanken loszumachen, griff er nach Beschäftigung. Er blätterte in Iglou's Papieren, die gerade neben ihm lagen. Eine stark unterstrichne Stelle fiel ihm auf. Er las sie, und seine Seele wurde von Entsetzen ergriffen. Iglou hatte die Stelle in der Zeit ihrer Verzweiflung abgeschrieben, weil sie zu ihrem Herzen, zu ihren damaligen blutigen Vorsätzen paßte. Sie hieß: patet exitus; si pugnare non vultis, licet fugere. 9) Er ließ zitternd die Papiere fallen, und ihm war, als ob sein Schutzgeist diese Worte donnernd in seine Seele gerufen hätte. Bleich, starr, vergehend, stand er da. „Fliehen!“ brachte er endlich mit bebender Stimme hervor, und eilte aus dem Zimmer.

Er begegnete Iglou, und umfaßte sie mit solcher Heftigkeit, daß sie erschrak. „Patet!“ rief er; „du hast recht, Iglou!“ Mit diesen Worten eilte er die Treppe hinunter, durch den Garten, und nach Hause.

Als Emilie zurückkam, fragte sie nach Hilbert, und erfuhr, daß er schon weggegangen wäre. Er war heute so seltsam, sagte Iglou noch; so sehr seltsam! Eine Stunde lang wartete er auf dich; dann kam er mit rollenden Augen, bleich, umarmte mich heftig, und eilte nach Hause. Emilie antwortete nur: „so?“ ging auf ihr Zimmer, und sah nach ihm aus dem Fenster. Anstatt seiner, kam bald sein Bursche mit einem Papier in der Hand. Das fiel ihr aufs Herz, und sie eilte in den Garten, dem Burschen entgegen. Ohne zu fragen, riß sie ihm das Billet weg, erbrach es und las die Worte, die eine zitternde Hand geschrieben hatte: „Emilie, ich muß fort! ich muß! Ihre und meine Tugend zu retten. Leben Sie wohl. Ach, ich breite meine Arme nach Ihnen aus; und dann möchte ich sie gegen mein eignes Herz, gegen mein Leben wenden! Eine wüthende Leidenschaft hält und treibt mich. Ach! wohin! Wollte doch der Himmel, in die Arme des Todes! Leben Sie wohl! Hilbert.“

Emilie hatte, als sie das las, dem Burschen den Rücken zugekehrt. Jetzt, da sie den Geliebten verlieren sollte, erwachte bei ihr die Leidenschaft auf einmal in voller Stärke. „In die Arme des Todes!“ seufzte sie nach, und ihre Augen wurden dunkel. Sie hielt sich an einem Zweige. Durch den Sturm, der in ihrer Seele tobte, hörte sie, wie aus der Ferne, die Frage: bekomme ich Antwort? Sie wendete sich um, sagte Ja, lief in ein Gartenhaus, nahm eine Bleifeder, und schrieb, ohne zu denken: „Gehen Sie nur! Sie werden mich tödten, Undankbarer! Gehen Sie! Ich will unglücklich seyn!“ Sie schlug das Billet zusammen, drückte es mit der Oblate wieder zu, und gab es dem Burschen. „Lauf! gieb das deinem Herrn! Sag ihm ... Lauf! gieb ihm das! Ich bitte dich, lauf!“ – Mein Herr, erwiederte der Bursche, mit einem starren Blicke auf sie, will noch heute abreisen. – „Nein, das wird er nicht!“ sagte Emilie; „das soll er nicht! Darum lauf; eile!“ – Der Knabe lief in vollen Sprüngen.

Nach und nach, als der erste Taumel vorüber war, besann Emilie sich; und nun schlug ihr das Herz vor bittrer Reue. Zwar wußte sie nicht, was sie in dem Billet geschrieben hatte; aber sie hätte alles darum gegeben, wenn es wieder in ihrer Gewalt gewesen wäre. Sie rang die Hände, weil Reue, Scham, Verdruß und Angst sie quälten. Mit heißeren Thränen, mit heftigerem Schmerze ist nie ein Vergehen gebüßt worden als jetzt Emiliens Untreue. Ihre Gewissensangst wurde so groß, und ihr Puls flog so fieberhaft, daß sie sich zu Bett legen mußte, wo sie sich tausendmal den Tod aufrichtig wünschte.

Das ganze Haus kam in Aufruhr; Iglou knieete weinend an Emiliens Bette, und Frau von Koch wollte einen Arzt holen lassen. Emilie betheuerte aber mit ungewöhnlicher Heftigkeit: sie würde sterben, wenn ein Arzt käme. In der Angst wußte Frau von Koch nicht, was sie thun sollte. Sie schickte heimlich zu Hilbert, und ließ ihn bitten, sogleich herüber zu kommen, weil Emilie sehr krank geworden wäre.

Das allein fehlte noch, um die Leidenschaft der Liebenden auf den höchsten Grad zu treiben. Hilbert hatte Emiliens Zettel schon bekommen, und die wenigen Worte mischten in seine Verzweiflung die höchste Freude. Es war ein unbeschreiblicher Tumult in seinem Herzen; denn nun wußte er gewiß, daß sie ihn liebte. Er ließ die Pferde wieder abbestellen. Sein Bursche sagte: das meinte das gnädige Fräulein auch. „Was?“ rief Hilbert heftig; „was meinte das Fräulein?“ Der Bursche antwortete erschrocken: ei nun, als sie Ihr Billet gelesen hatte, und so blaß war, daß es einen Stein hätte jammern mögen – sehen Sie, die Augen standen ihr so starr, als ob sie todt wäre, und doch flog die Brust, als ob sie ihr das Herz zerschlagen wollte –: da sagte ich in der Angst, Sie wollten abreisen; und da rief sie: nein! das soll er nicht! – O, bleiben Sie doch hier!

Hilbert wendete sich ab. Er las das Billet wieder, fiel auf die Kniee, und schwor, nun nichts als seine Liebe hören zu wollen. Dann schlug er sich vor die Stirn, nannte sich einen Bösewicht, schwor, Emilien nicht wieder zu sehen, und bedeckte dabei die Buchstaben, die ihre Hand geschrieben hatte, mit Küssen und Thränen. Dazwischen rief er: „patet exitus! das hat mein Schutzgeist gerufen! Ich muß fort!“ So tobte er von Entschluß zu Entschluß, und blieb.

Nun kam der Bote der Frau von Koch. Kaum hatte Hilbert die Worte gehört: Emilie ist sehr krank geworden; so eilte er schon zum Zimmer hinaus, warf sich auf des Boten Pferd, und sprengte vom Hofe hinunter. Es war schon sehr spät, als er nach Büdesheim kam. Ach, lieber Hilbert, hob Frau von Koch an, als sie ihn empfing. Er ließ sie nicht ausreden. „Krank? sehr krank?“ fragte er mit schrecklichen Blicken. „Wohl schon todt!“ setzte er mit ängstlicher, bebender Stimme hinzu. Frau von Koch antwortete lächelnd: ich bedaure, daß ich Ihnen den Schrecken verursacht habe. Emilie hat sich erholt, und schläft jetzt. Gewiß, lieber Hilbert! Sie sollen es sehen. Kommen Sie! – Als sie Emiliens Thür aufmachten, winkte Iglou ihnen zu, da sie still seyn möchten. Hilbert trat an das Bett, horchte auf ihren Athemzug, seufzte tief, und sagte ängstlich: „sie ist so roth!“ Frau von Koch wollte ihn wieder mitnehmen; aber er war nicht wegzubringen. Sie sagte endlich scherzend: nun, lieber Hilbert, wenn Sie wachen wollen, meinetwegen! Iglou ist ja hier, und es brennen zwei Lichter! Machen Sie den Baron ja nicht zum Lügner!

Die Erinnerung an den Baron kam sehr zu unrechter Zeit. Hilbert faßte die Hand der Frau von Koch, und sagte schmerzhaft: „o, schonen Sie meiner!“

Aber, erwiderte Frau von Koch; was thu' ich denn? Nun, meinetwegen; ich will den Baron nicht mehr nennen. Da liegen Bücher. Aber kein Wort mit Iglou, das sag' ich Ihnen! Emilie könnte sonst aufwachen.

Hilbert sah kein Buch an, und bemerkte Iglou kaum; seine Blicke waren starr auf Emiliens verschlossene Augen und auf ihre sich sanft hebende Brust gerichtet. Er wollte vor Wehmuth vergehen. Nach Mitternacht war auch Iglou auf dem Sofa sanft eingeschlummert, und Hilbert saß noch immer in seiner ersten Stellung. Jetzt machte Emilie eine Bewegung, und legte sich auf die Seite, mit dem Gesichte zu ihm gekehrt. Er erschrak, stand auf, und beugte sich über sie hin. Endlich knieete er an dem Bette nieder, um sich das Behorchen ihres Athems bequemer zu machen. Emiliens zarte, weiße Hand lag vor ihm auf dem Bette. Er berührte, als er eine Weile so geknieet hatte, leise mit einem Finger ihren Puls, und zählte Schlag an Schlag mit großer Freude. In dem Gefühle seiner Wonne vergaß er sich, und legte sanft seine Lippen auf ihre Hand. Jetzt öffnete Emilie mit einem tiefen Seufzer die Augen. Sie erschrak und wollte schon aufschreien; doch schwieg sie, hoch erröthend, als er mit dem Tone der höchsten Ehrerbietung und der innigsten Zärtlichkeit, „Emilie!“ sagte. „Emilie!“ wiederholte er noch einmal, und legte seine nassen Wangen auf ihre Hand. Ach, Hilbert! seufzte sie leise, und verbarg ihr glühendes Gesicht in das Küssen. „Nein, Sie können mir nicht vergeben! sagte er wehmüthig. Emilie drückte ihm leise die Hand, hob langsam ihr Gesicht auf, und warf durch ihre Thränen einen furchtsamen Blick auf ihn. Er sah sie wehmüthig lächelnd an. „Sie sind krank, Emilie; und durch meine Schuld!“ Er beugte sich wieder auf ihre Hand, und so fest, daß sie ihm mit dieser Hand kein Merkmahl der Verzeihung geben konnte. Sie erhob die andere, und legte sie um seinen Nacken. Er richtete sich auf, und sah mit Entzücken sich auf einmal von ihrem Arm umfangen. „ Emilie!“ sagte er schnell, streckte seine Arme nach ihr aus, und umfaßte sie. – Hilbert! Hilbert! sagte sie seufzend. Sein Nahme sollte ein Vorwurf seyn; aber er wurde ein Seufzer der Liebe. Sie hing entzückt in seinen Armen; ihre Lippen an den seinigen. „Und nun! nun!“ hob er leise, aber mit festem Tone an – „nun, o Himmel, laß mich sterben! Ich habe an Emiliens Herzen geruhet!“ – Nicht sterben! seufzte sie leise, legte die zarte Hand an seine Wange, und betrachtete ihn mit verschämten, und doch lächelnden, traulichen Blicken. In Beider Augen schwamm die Wonne der befriedigten, glücklichen Liebe: in den seinigen mit Dankbarkeit, in den ihrigen mit zarter Scham gemischt. Je länger sie einander betrachteten, desto dunkler wurden nach und nach ihre Blicke. Bald schlug Emilie die Augen nieder, schüttelte schwermüthig den Kopf, winkte verneinend mit der Hand, und seufzte: ach, ich Undankbare! Sie drängte langsam Hilberts Hand von sich weg, und drückte sie dabei zärtlich. Lassen Sie mich, Hilbert! sagte sie nun; und die Scene endigte sich, weil Iglou anfing laut zu gähnen.

Hilbert setzte sich, und Emilie verschloß die Augen. Iglou kam vorsichtig näher, und fragte: schläft sie noch immer? Hilbert zeigte auf Emilien. Iglou befühlte sanft ihre Hand, und sagte besorgt: sie hat große Hitze. Höre, wie schnell die Brust klopft! Hätte Iglou nicht Hilberten angesehen, so würde sie bemerkt haben, wie Emilie erröthete. Sie führte nun Hilberten fast mit Gewalt auf den Sofa, daß er schlafen sollte, und setzte sich an Emiliens Bett. Endlich war der Morgen da, und nun kam Frau von Koch. Emilie versicherte, sie wäre gesund; Iglou hingegen sagte mit großer Lebhaftigkeit: sie ist noch krank; denn sie hat die ganze Nacht geseufzt, und sich im Bette hin und her geworfen. Doch Emilie bewies bald, daß sie gesund war; sie stand auf. Als sie dann zu der Frau von Koch kam, die Hilberten mit auf ihr Zimmer genommen hatte, glänzte eine schöne Röthe auf ihren Wangen, und ihr Auge brannte in ungewöhnlichem Feuer.

Frau von Koch sagte: du bist sehr krank, Emilie, oder sehr gesund. Bist du krank, so bitte den Himmel, daß er dich immer so bleiben läßt; denn du bist schön wie ein Frühlingsmorgen, schön wie die Liebe. Die arme Emilie wußte nicht, wohin sie die Augen wenden sollte. Das Gefühl der befriedigten Liebe füllte ihre ganze unschuldige Seele aus. Sie war so glücklich, daß die Unruhe über den Baron die Wonne, unter der sie sonst erlegen wäre, gleichsam nur bis zum Genusse mäßigte; und dann hatte sie sich ja in der Morgenstille vorgenommen, mit dem frohen entzückenden Genusse dieser Nacht zufrieden zu seyn, und nichts mehr zu wünschen. Ich bin nun einmal glücklich gewesen, sagte die gute Emilie, ehe sie aufstand, leise vor sich und mit gefalteten Händen: nun weiß ich ja, wie sehr ich geliebt bin, und auch er weiß, wie unaussprechlich ich ihn liebe. Von nun an will ich dem Baron treu seyn. Sie fühlte sich so glücklich, daß sie in ihrer unschuldigen Einfalt glaubte, sie bedürfe zu ihrem Glücke nichts weiter als das Andenken an diese Stunde. Nun wollte sie dem Baron ja wieder treu seyn, nie wieder ihre Arme um den geliebten Hilbert schlagen. Alle ihre Begierden waren jetzt befriedigt. Eine einzige Stunde hatte sie für ihr Herz gehabt; ihr ganzes übriges Leben sollte nun dem Baron und der Treue gewidmet seyn. Dieser Entschluß, den sie gleichsam betend faßte, und der ihr so leicht auszuführen schien, söhnte sie mit sich selbst aus, und machte das Glück in ihrer Brust fester; daher kam sie mit dem heitersten, vergnügtesten Gesichte zu Hilbert und der Frau von Koch in das Zimmer.

Hilbert, der ganz etwas Anderes von dem reitzbaren Gewissen des frommen Mädchens erwartet hatte, der schon glaubte, ihre Augen würden in Thränen seyn, ihre Brust unaufhörlich seufzen, und der vor ihrem ersten Anblick zitterte, – Hilbert erstaunte, als er ihr frohes Auge bemerkte. Er ging ihr entgegen, und küßte ihr die Hand. Sie lächelte ihm zu, wie ein segnender Engel, und sagte ihm: „lieber Hilbert!“ mit einer Stimme, worin die Liebe so hörbar war, daß er einen furchtsamen Blick auf die Frau von Koch warf. Noch mehr erstaunte er aber, als Emilie ganz offen sagte: ich bin sehr glücklich! gewiß, sehr glücklich! Er küßte ihr noch einmal die Hand, im Grunde nur, um seine Verlegenheit zu verbergen.

Aber was war dir denn, liebe Emilie? fragte die Koch, die sich herzlich freuete, daß sie ihre Freundin wieder so gesund und heiter sah. – Ich weiß es selbst nicht, erwiederte Emilie lächelnd. Sie setzte sich mit froher Miene an ihre Arbeit, und warf von Zeit zu Zeit einen dankbaren Blick auf Hilbert. Frau von Koch ging einmal hinaus; und nun näherte sich Hilbert Emilien, nahm ihre Hand, und sagte: „wie glücklich bin ich!“ – Auch Sie, Hilbert? Ich bin es sehr. Sie stand mit lächelndem, frohem Blicke auf. Hilbert breitete, überwältigt von so vieler Liebe, seine Arme aus, sie zu umfassen; aber sie trat einen Schritt zurück. Nein, Hilbert! von nun an gehöre ich dem Baron. Ich bin glücklich gewesen, und werde es ewig bleiben. Seyn Sie nur mein Freund! – Hilbert ließ die Arme sinken, und konnte dem Grunde von Emiliens Fröhlichkeit nicht auf die Spur kommen. Endlich sagte er: „Emilie, Ihr Wille muß mir ewig ein Gesetz seyn. Verlangen Sie, daß meine Hand nie wieder die Ihrige berühren soll, so gehorche ich, und wenn es mir auch mein Leben kosten sollte.“ – Die Hand? erwiederte Emilie freundlich; die Hand kann ich Ihnen ja geben, Hilbert. (Sie faßte seine Hand, und drückte sie.) Seyn Sie mein Freund, mein Bruder; aber mein Herz gehört von nun an dem Baron. Ich werde meinen Entschluß ausführen können; denn Sie sehen ja, daß ich so ruhig bin. – Hilbert sah sie lange an. „Emilie, ist es so, dann sind Sie allmächtig. O, welch ein Geschöpf, welch ein Herz hab' ich dann verloren!“ – Verloren, Hilbert? Nicht doch! Ich bin Ihre Freundin. Lassen Sie uns glücklich seyn!

Hilbert stand wie bezaubert vor diesem Mädchen, das mit einer glühenden, alles wegreißenden Leidenschaft, wie mit einem Vogel am Bande, spielte, und so ruhig lächelte, indeß Er in dem Sturme der Leidenschaft erliegen zu müssen glaubte. „Welch ein Herz!“ dachte er; „welch eine Kraft! welch ein Charakter! Ach, dies Mädchen liebt mich; und ich muß es verlieren!“ – Aber Emilie spielte nur einen Augenblick mit dieser verzehrenden Leidenschaft, und war gerade so glücklich wie ein Kind, das jauchzend in die Hände klatscht, wenn es die Flammen sieht, durch die seine Ernährer zu Bettlern werden. Sie fand zu ihrem Erschrecken bald, daß ihr Herz, ihre Liebe, Hilberten zugehörte, und dem Baron weiter nichts als ihre Dankbarkeit, ihr Wohlwollen. Nun verdrängten wieder Reue und Gram das Glück aus ihrer Brust, das ihre nichts Böses ahnende Unschuld auf kurze Zeit hervorgezaubert hatte. Sie sah sich als den hülflosen Raub der Leidenschaft, die sie verabscheuete; und, was ihren Schmerz noch schärfte, was ihrer Reue den spitzesten Dolch gab, war der Gedanke, daß Hilbert, wenn sie ihn nicht zurückgehalten hätte, abgereist wäre. Hilberten sah sie also mit hoher einfacher Großmuth im Lichte der Unschuld, und nur sich als Verbrecherin. Ein Ungefähr leitete sie auf den Gedanken. Sie fragte Hilberten einmal in einer ruhigen Stunde, gleichsam als scherzend: ob er denn wohl wirklich abgereist seyn würde, wenn sie ihm nicht einige Zeilen mit Bleistift geschrieben hätte. Er antwortete bestimmt Ja, weil er aus der Frage nichts Arges hatte; und nun versank Emilie in einen tiefen Gram, dessen Ursache sie Anfangs selbst Hilberten verschwieg. Als er sie endlich erfuhr, entstand ein rührender Kampf der Großmuth zwischen den beiden Liebenden, da jeder die Schuld des Andern tragen wollte. Sie untersuchten, wie vielen Theil jeder von ihnen an ihrem Vergehen hätte; und dabei lernten sie denn, wenn auch sonst nichts, doch wenigstens, welche unmerkliche Kleinigkeiten die Leidenschaften erregen und das Glück oder Elend eines ganzes Lebens bestimmen.

Noch immer kämpften sie Beide gegen ihre Leidenschaft; doch, eben wenn sie glaubten, ihrem Zwecke näher zu kommen, wurden sie aufs neue weggerissen: wie zwei Menschen, die mit den stürmenden Wellen des Meeres ringen, jetzt das Land erreichen, schon jauchzen wollen, und von einer neuen Welle noch weiter in das Meer zurückgeworfen werden. Hilbert berührte zuweilen den Gedanken an Trennung. Emilie sagte nichts dazu; aber ihre Augen standen dann in Thränen, und ihr Kummer wurde unbeschreiblich. Ach, ihre Leidenschaft schien ihr ewig; und so war es ein Trost für sie, mit ihm elend zu seyn. Des Barons Nahme wurde nicht mehr genannt, weil er Beiden die Losung zum größten Schmerze war; doch desto öfter rief ihn ihr Herz in den stillen einsamen Stunden, und dann durchfuhr allemal ein Schwert ihre Seele.

Durch den ewigen Kampf mit der unbesiegbaren Leidenschaft ermattet, verlor Hilbert zuerst den Muth, gegen sie zu kämpfen. Er ließ sich vom Sturme treiben, und bekam nun mehr Ruhe, doch ach! nur die Ruhe der finstersten Verzweiflung. Emilie behielt noch den Muth, sich selbst aufopfern zu wollen. Sehen Sie, Hilbert, sagte sie einmal mit feierlichem Tone, mit schlagender Brust, und zum Himmel gehobenen Armen: kommt der Baron zurück, so geb' ich ihm meine Hand, und – das schwör' ich Ihnen bei Gott! – nicht ein Seufzer soll ihm verrathen, was es mir kostet. Ich bin sein, werde seine Gattin, und mache ihn glücklich. Er muß es nicht ahnen, wie unglücklich ich bin. Mein Elend soll tief hier im Herzen wohnen, keine Klage über meine Lippen kommen, und noch mein letzter Blick ein Lächeln für ihn seyn! Hilbert, das habe ich fest beschlossen.

Hilbert schwieg. Sein Kopf war voll von Planen, Emilien die Seinige nennen zu können, und wohl hundert schienen ihm einen glücklichen Erfolg zu versprechen; doch nie hatte er den Muth, gegen Emilien nur von fern den Wunsch zu äußern, daß sie dem Baron ihre Hand entziehen möchte.

Auf einmal zeigte sich wieder ein neuer Schimmer von Hoffnung. Die Briefe des Barons, die bisher so häufig gekommen und so lang gewesen waren, wurden jetzt selten und kurz. Diese Veränderung erfolgte nicht stufenweise, sondern plötzlich, auf einmal; und die Ursache davon war unbegreiflich. Emilie fürchtete, daß Iglou dem Baron ihre Liebe verrathen haben möchte; doch auch das war unwahrscheinlich. Iglou sah wohl zuweilen Emilien bedenklich an, wenn sie Hilberten in einer leidenschaftlichen Stunde bei ihr antraf; aber sie hatte gar keinen Begriff davon, wie man etwas anderes als den Baron lieben könnte, und glaubte, die ganze Natur müsse ihre Empfindung mit ihr theilen. Auch gab sie zu wenig auf Emilien Acht. Sie saß ganze Tage bei ihrer Laute, und bei Lateinischen Schriftstellern; denn Flaming verlangte es ja. Ueberdies war sie selbst in allen Stücken so leidenschaftlich, daß ihr Emiliens Betragen, so lange sie nichts Bestimmtes wußte, gar nicht auffallen konnte. Sie liebte Hilberten nächst dem Baron am meisten. Wenn sie bei ihm saß, ihm ihre Schicksal erzählte, und er dann sagte: „ich sehe wohl, armes Kind, warum du deinen Herrn so liebst!“ so warf sie sich heftig in seine Arme, und vergoß Thränen an seinem Herzen. Fand sie nun auch Emilien und Hilberten einmal in Thränen, Beide in Gram versenkt, oder hingerissen von der Heftigkeit ihrer Liebe, so schien ihr das weiter nichts Besonderes.

Wirklich hatte sie keine Schuld an des Barons kurzen Briefen, die auch überdies gar kein Mißtrauen verriethen. Man sann lange nach, und fiel nicht darauf, daß diese Briefe einer von den gewöhnlichen Streichen des Barons seyn könnten. Er schrieb lange zärtliche Briefe, als er den neuen Roman las. Nun fand er auf einmal eine Stelle, worin der Verfasser es geradezu für das Zeichen von Dummheit erklärte, wenn jemand gern und lange Briefe schreibt. Diese Behauptung war paradox; der Baron griff sie daher sogleich auf, und schrieb nun Emilien nur selten, und kurze Zettel. Natürlicher Weise wurden diese Zettel auch kalt, und Emiliens Hoffnungen stiegen. Aber endlich enthielt eins von diesen Blättchen die schreckliche Nachricht, daß er an seine Rückreise denke. Emilie wurde bleich, als sie das las.

Auch Frau von Koch las den Zettel, und betrachtete nun Emilien lächelnd. „So blaß? und dein geliebter Baron kommt zurück? ... Nun Emilie, ich habe deinem Spiele lange zugesehen. Hast du mir nichts zu entdecken?“

Nichts, Mütterchen.

„Auch nicht, daß du vor der Ankunft des Barons zitterst? nicht, daß du Hilberten liebst?“

Nein, auch das nicht! sagte Emilie entschlossen.

„Auch nicht, wenn ich dir verspreche, daß du Hilberts Frau werden sollst?“

Auch dann nicht, Mütterchen; denn ich werde Flamings Frau. Gewiß, ich gebe ihm meine Hand, und nichts in der Welt könnte mich bewegen, sie Hilberten zu geben.

„Du hast dich gewiß mit Hilberten gezankt!“

Gezankt mit ihm? ... Doch da ist er ja selbst. Hilbert, der Baron kommt zurück. (Hilbert wurde bleich, wie vorher Emilie, und Frau von Koch lächelte.) Wer erhält meine Hand, Hilbert? – Ohne Stocken, aber mit einem tiefen Seufzer, antwortete Hilbert: der Baron!

Frau von Koch machte große Augen. „Hört, Kinderchen, ich glaube, ihr wollt euch wohl gar bitten lassen, einander zu heirathen! Denkt ihr denn, ich habe nichts gesehen? Und wenn ich auch nichts gesehen hätte – du wirst bleich, Hilbert wird bleich bei der Nachricht; und ...“

Mütterchen, sagte Emilie feierlich; was Sie auch gesehen haben – und wenn die Erde unter mir in Trümmer fiele, ich gäbe dennoch dem Baron meine Hand.

„Aber, Emilie, höre doch nur!“

Nein, Mütterchen, ich habe darüber nichts zu hören. Gott ist mein Zeuge, ich gebe dem Baron meine Hand.“

Darf ich Sie bitten, Emilie, sagte Hilbert sanft, die Frau von Koch wenigstens auszuhören?

„Emilie, ich weiß, daß du Hilberten liebst, und daß du mit dem Baron unglücklich seyn wirst. Ich verspreche dir, die Sache so einzurichten, daß es scheinen soll, als rührte sie von dem Baron selbst her. Laß mich nur machen! Ich kenne ja seinen Edelmuth!“

Und seinen Edelmuth, seine Güte sollte ich mißbrauchen, ihn zu betriegen? Nein, Mutter! Wenn jemand ihm nur ein Wort sagte, was es auch wäre – glauben Sie mir, die Verzweiflung könnte mich tödten. Thun Sie es ja nicht! Hilbert, ich entsage Ihnen feierlich; denn ich gehöre dem Baron ... Wie, Hilbert? Sie schweigen?

Hilbert sagte leise: „Sie fordern es, Emilie. Wohl, ich entsage Ihrer Hand. Werden Sie denn, was Sie seyn wollen, des Barons Gattin!“

Er wendete sich ab; und alle Drei vergossen Thränen. Frau von Koch wollte noch Einwürfe machen; aber Emilie drohete so feierlich mit dem Allerschrecklichsten, daß jene ihr heilig versprach, dem Baron nicht ein Wort zu sagen. Trostlos gingen sie aus einander.

Emilie folgte Hilberten in den Garten, und lange saßen Beide schweigend unter einem blühenden Apfelbaume. – Wie die Blüthen fallen! fing Emilie endlich wehmüthig an, und reichte Hilberten ein Blüthenblatt hin. „Ach, so schnell!“ sagte Hilbert ... „Wahrhaftig, man sollte sie nicht abreißen und zertreten!“ setzte er bitter hinzu.

Geht das nicht auf mich, Hilbert? Ich liebe den Baron nicht; ich liebe Sie. Gewiß sterbe ich vor Gram, wenn ich des Barons Gattin werde; aber dennoch werde ich es. Hilbert, lassen Sie uns die letzten Augenblicke nicht mit Bitterkeit verderben! Ich bin, was Sie auch sagen mögen, fest entschlossen. Und, Hilbert, – wäre ich Ihrer werth, wenn ich anders dächte? Noch einmal ...

„Wohl! ich werde dem Baron sagen: Emilie liebt mich, ich liebe Emilien; und dann, wenn er will, mögen die Blüthen fallen!“

Sie fallen, Hilbert, sie fallen gewiß! sagte Emilie mit nassen Augen, doch fest. Ich werde dem Baron sagen: Hilbert irrt sich; ich fühle nichts als Freundschaft für ihn, und liebe ihn nicht! ... Die Blüthen fallen gewiß!

„Emilie, das wollten Sie dem Baron sagen? das könnten Sie?“

Es würde mein Herz zerreißen; aber dennoch sagte ich es ihm. Zwingen Sie mich nicht dazu!

Hilbert stand trostlos auf. „Emilie, ich beschwöre Sie, zerbrechen Sie nicht muthwillig auch Ihr Herz! Das meinige mögen Sie zerbrechen!“ Er ging in großer Bewegung einige Schritte abwärts an das Ufer der Nieder, die von dem Regen im Gebirge hoch angeschwollen war. Ganz nahe am Ufer blieb er stehen. Emilie erschrak vor dem Lächeln, mit dem er das reißende Wasser betrachtete. Sie verstand den Blick und seine innere Bewegung. Hilbert! sagte sie: nicht so! treten Sie von dem Ufer weg. – Hilbert gehorchte ohne Affektation. Ich weiß, sagte Emilie, Sie würden das nie. – „Nie!“ versicherte Hilbert fest. – Aber mich ängstet es schon, daß Sie etwas Aehnliches nur denken könnten. – Hilbert lächelte. „Es kann einen Schmerz geben“, sagte er, „der den Menschen da hinabstürzt. Aber das ist nicht mein Schmerz, Emilie. Dann muß der Mensch sich selbst erst verlassen haben. Obwohl ...“ – setzte er, die Hand an die Stirn legend, hinzu: – „denn, was ist der Mensch!“ fuhr er, wie vor sich selbst, fort. „O Emilie, ich habe einen Unglücklichen gesehen. ... Gott behüte Sie und mich vor diesem Drucke unseres Schicksals! ... Emilie, ich muß Sie noch Einmal fragen: thun Sie recht? thue ich recht, daß ich schweige? ... Ich habe einen Unglücklichen gesehen, Emilie, den wahrscheinlich eine hoffnungslose Liebe ...“ – Er faßte mit Wildheit ihre Hand.

Emilie fragte. Hilbert stand an, ob er ihr weiter etwas sagen sollte. Sie drang in ihn. Seine Erzählung erregte ihre ganze Aufmerksamkeit; sie bestand darauf, den Unglücklichen selbst zu sehen, und Hilbert führte sie nun zum Garten hinaus.

Kaum waren sie fort, so trat Iglou, die das ganze Gespräch der beiden Liebenden mit Erstaunen gehört hatte, aus dem Gebüsche hervor. „Ist es möglich?“ sagte sie finster vor sich. „Sie betriegen den edelsten aller Menschen? ... Und dies Herz, dies treue Herz, das nichts kennt als ihn, hat er verworfen!“ – Sie stand ernst an dem Flusse da. „O, abscheulich! Hier!“ (sie betrachtete sehnsuchtsvoll den Fluß.) „Ich möchte, wovor Emilie zitterte! ... Nein, ich versprach ihm, zu leben. Er wollte mich nicht verstoßen; und er verstieß mich doch! Hat Er auch sein Wort gebrochen – ich will es halten!“ Sie ging langsam durch den Garten in das Haus zurück, und sah von oben aus dem Fenster den Liebenden nach. Ihr fiel wieder ein, daß Hilbert gesagt hatte: dort lebt ein Unglücklicher! Sie gab genau Acht, welchen Weg Beide gingen, und sah endlich, daß sie auf einem Holzwege im Hochholze verschwanden.

Trauernd ging Hilbert neben Emilien her, ohne ein Wort zu sprechen. Eine unglückliche Liebe? fragte Emilie ihn von Zeit zu Zeit. Er führte sie durch Gebüsch fort, bis in den dicksten, finstersten Theil des Waldes, der zu seinem Gute gehörte. Hier, in einem schauerlichen Kreise von Bäumen, pfiff er laut; und es kam ein Jäger. „Was macht dein Wilder?“ fragte Hilbert.

Der Jäger zuckte die Achseln, und erwiederte: er bleibt noch immer so, wie er war.

„Können wir ihn unbemerkt sehen?“

O ja, wenn Sie mir nur folgen wollen.

„Weißt du noch nicht, wer er ist?“

Das ist unmöglich von ihm zu erfahren.

„Du behandelst ihn doch so, wie ich dir gesagt habe: gütig, sehr gütig? Sieh ihn ja an wie mich selbst, Wilhelm!“

Er hat ganz seinen Willen; aber er mag keine von den Bequemlichkeiten, die ich ihm tausendmal angeboten habe.

„Ich sage dir Wilhelm, behandle ihn ja gütig!“

O, lieber Herr Hilbert, das thäte ich auch ohne Ihren Befehl. Unglücklicher kann ja kein Mensch auf Erden seyn als dieser. Es thut ihm niemand etwas zu leide.

Der Jäger führte sie durch Umwege seinem Hause zu, um einiges Gebüsch weg. Sehen Sie! sagte er nun auf einmal; und zehn Schritte von ihnen saß der Unglückliche, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Das Gesicht des langen, hagern Mannes konnte ehedem sogar schön gewesen seyn; jetzt aber war es verfallen, die Haut gelb und gespannt. Die Haare hingen ihm verwirrt um die Stirn; sein Rock war ohne Farbe und zerrissen, der ganze Anzug unordentlich. Den Elbogen hatte er auf das Knie gestützt, und die Wange in die Hand gelegt, als ob er tief nachsönne. Er machte weiter keine Bewegung, als daß er das Gesicht aus einer Hand in die andere legte, um sich die Stellung so zu erleichtern.

So sitzt er ganze Tage, flisterte der Jäger. – Aber wer ist er? fragte Emilie. – Das weiß niemand. Er spricht immer nur ein Paar Worte, und, wenn er es vermeiden kann, gar nicht. Was er genießt, reicht kaum zu, das Leben hinzuhalten. Er schläft auf Stroh, und im vorigen Sommer, als er hier ankam, schlief er meistens sogar unter freiem Himmel. Im Winter wäre er erfroren, wenn ich ihm nicht auch Nachts das Stübchen hätte heitzen lassen. Ich habe ihm oft das Bett angeboten, das Sie ihm geben wollen; allein er schüttelt den Kopf, und wirft sich wieder auf sein Stroh.

Wie kam er hierher? fragte Emilie.

Eines Abends, entgegnete der Jäger. Es war ein fürchterliches Wetter; der Regen goß in Strömen, und es donnerte Schlag auf Schlag. Die Hunde fingen auf einmal an zu bellen. Da kam der Mensch an die Thür. Ich erschrak, als ich sein Gesicht sah; aber doch nahm ich ihn auf. Er forderte Brot. Ich gab ihm, was übrig geblieben war; doch er aß nur Brot, und trank Wasser dazu. Das Wetter hörte nicht auf; ich mußte ihn bei mir behalten. Und nun blieb er von der Stunde an, ohne mich eigentlich zu fragen. Er legt mir von Zeit zu Zeit ein Goldstück ins Fenster, vermuthlich als Bezahlung für seinen Unterhalt. Ich habe nicht die mindeste Last von ihm; er kostet in Essen und Trinken nicht so viel wie ein Jagdhund.

Der Wilde – so nannte ihn der Jäger – veränderte seine Stellung nicht, als sie näher traten. Der Jäger redete ihn an: Guten Morgen! Der Wilde nickte mit dem Kopfe, ohne aufzusehen. – Nimm dich in Acht! es ist noch zu feucht am Boden. Setze dich doch dort auf die Bank; die habe ich ja für dich machen lassen. – Es ist gut! antwortete der Unglückliche mit ernstem, halb ersticktem Tone. – Sieh dich doch um, Wilder! Hier ist mein Herr; er meint es gut mit dir. – Der Mann wendete sich langsam um, sah Emilie mit einem scheuen, furchtsamen, starren Blicke an, und richtete sich dann langsam auf. Emilie trat mit einer Art von Aengstlichkeit hinter Hilberten. Er sah ihr starr nach, sagte traurig: o, fürchten Sie Sich nicht! und schien nun sein Nachdenken anzuspannen. Nein, sagte er dann leise vor sich hin: sie ist es nicht! ... Nein! nein! rief er mit Heftigkeit, schlug die Arme über einander, ging langsam der Bank zu, und setzte sich in seine alte Stellung.

Hilbert trat mit Emilien hinter ihn, und bat sie leise, ihn anzureden. Emilie sagte: wir sind hier, dem Unglücklichen Trost zu geben.

Er blickte um sich, verfinsterte die Stirn, und sagte murmelnd: Gott! nur Einsamkeit! ... O, ich bitte Sie! hob er nun mit einer heftigen Bewegung an, und zeigte auf Emilien. Dann seufzte er tief: ach! seyn Sie menschlich! lassen Sie mich allein! und ging langsam in das Gebüsch.

Emilie und Hilbert kehrten zurück. Eine unglückliche Liebe ist das nicht, sagte Emilie unterweges sehr bedeutend. – Hilbert schwieg. – Ich bitte, Hilbert, fing sie aufs neue an: reden Sie. Nein, dahin kann eine Liebe, wie die Ihrige, nicht führen. Wir können trauern, aber nicht verzweifeln. So kann die Tugend nicht sinken. – Hilbert umfaßte sie, und sagte versichernd: Sie haben Recht. Wir werden trauern, aber nicht unglücklich seyn. – Ach, sagte Emilie: wenn ich den Baron betröge, dann Hilbert, dann wäre ich unglücklich.

Sie gingen nun beide schweigend neben einander her, Beide entschlossen, der Tugend das Opfer zu bringen. Als Emilie auf ihr Zimmer kam, fiel sie Iglou um den Hals, und sagte: Ach, ich habe einen Unglücklichen gesehen! Eine hoffnungslose Liebe macht ihn elend! Ich bitte dich, Iglou, nimm deine Laute. Spiele mir das sanfteste Lied, das du weißt. Ich bin sehr traurig. – Iglou nahm die Laute, und spielte eine sanfte, klagende, aber beruhigende Melodie; dann sang sie mit ihrer schönen, rührenden Stimme ein Lied, das sie selbst auf ihren Schmerz gemacht hatte.

 

Der Sonne helles Strahlenlicht,

Des Mondes lächelndes Gesicht

sieht meine Thränen fließen.

Die hoffnungslose Liebe wacht,

Umhüllet mich die Mitternacht

Mit ihren Finsternissen:

Doch fällt die Reue nicht mit Dolchen an mein Herz;

Mein Herz war treu! leicht ist der Liebe Schmerz!

 

Höre auf! rief Emilie, und nahm traurig dem Mädchen die Laute aus der Hand. Deine Töne zerschlagen mein Herz. Ich bitte dich, schweig! – Iglou umfaßte sie mit Zärtlichkeit, und sagte in großer Bewegung: Emilie, verletze die Treue nicht; dann ist dein Leben nicht hoffnungslos! Emilie legte ihre Wange an Iglou's Brust, als wollte sie von dem treuen Herzen des Mädchens Treue lernen. Dann richtete sie sich auf, trat in die Mitte des Zimmers, blickte mit den großen, blauen, in Thränen schwimmenden Augen gen Himmel, und rief: mein Herz ist treu! leicht ist der Liebe Schmerz.

Sie ging nun im Zimmer auf und nieder, und kämpfte mit sich selbst. Ihr Auge wurde heiter. Sie ging an den Schreibtisch, und schrieb an Hilbert: „Von diesem Augenblick an, Hilbert, bin ich das heilige Eigenthum des Barons. Wenn Sie die Ruhe des Gewissens, – ach! wird die Reue sie mir wieder geben! – wenn Sie den Schmerz einer Unglücklichen achten, so sagen Sie mir niemals wieder das Wort Liebe. Emilie.“

Sie schlug das Papier zusammen, und bat Iglou, es Hilberten zu geben, der im Garten war. Er las es, hielt es lange vor seine nassen Augen, nahm dann ein Bleistift, und schrieb darunter: „Wohl denn, Emilie! Seyn Sie ruhig. Ich will von Ihnen ruhig seyn lernen. Leben Sie wohl.“ Hilbert reichte Iglou die Hand, sagte ziemlich gelassen: „Grüß Emilien von mir“; verließ nun eilig den Garten, und kam gar nicht wieder.

Frau von Koch schmälte über Emiliens Eigensinn, als sie bemerkte, daß Hilbert ausblieb. Emilie antwortete darauf nur: „es mußte so seyn, liebe Mutter!“ – Das Opfer war gebracht, und Emilie fühlte sich in den ersten Tagen wirklich ruhiger. Sie blieb viel allein, und dankte dem Himmel, daß selbst Iglou ihres Schmerzes schonte, und häufig abwesend war. Als Frau von Koch ihr erzählte, daß Hilbert nach Frankfurt abgereist sey, sagte sie lächelnd: „Gott Lob, daß er nicht in dem Hochholze lebt! Er ist ein edler Mann! ...“ Mütterchen, überlassen Sie mich nur wenigstens fürs erste der Einsamkeit. Gott! nur Einsamkeit! sagte der Wilde. Jetzt sehe ich, was er damit meinte. – Frau von Koch verstand sie nicht.

Iglou fragte Emilien nach dem Unglücklichen, den sie gesehen hatte. Emilie erzählte ihr mit einigen Worten, was sie wußte, und Iglou's Herz wallte von Mitleiden über. Sie erkundigte sich näher nach ihm bei Hilberts Jäger, und ihr Mitleiden wurde immer größer. Als sie nun nachforschte, was man gethan hätte, den Unglücklichen zu trösten, hörte sie, daß man nichts aus ihm bringen könnte. Sie fragte, wie man mit ihm gesprochen habe, und sah nun bald, daß mehr Neugierde als Mitleiden die Menschen geleitet hatte. Hilbert war viel zu sehr mit seinem eigenen Unglücke beschäftigt gewesen, als daß ihn ein fremdes so sehr hätte interessiren können.

Iglou kannte das Unglück aus eigner Erfahrung. Hülfe, sagte sie mitleidig, würde mein gebrochenes Herz nicht geheilt haben. Nein! ich bedurfte eines Herzens, um das meinige daran ruhen zu lassen; ich bedurfte zärtlicher Liebe. Die heilte mich; die erhielt mich aufrecht bei dem drückenden Gefühle, von allen Menschen um mich her gehaßt zu seyn. – Sie beschloß, dem Unglücklichen im Walde ihr Herz, ihre Liebe zu bringen. Er spricht mit Niemanden, sagte der Jäger; er antwortet nicht; kurz, er fliehet alle Menschen wie die Sünde.

Iglou sann auf ein Mittel, das gefühllose Herz des Unglücklichen erst wieder des Trostes bedürftig und empfänglich zu machen; und dieses Mittel fand sie endlich in ihrer Laute. Ach, sagte sie, die Musik lös't das vertrocknete Gefühl in Thränen auf, mildert den Kummer, macht den Menschen des Menschen und seiner Liebe bedürftig und fähig. Ich will es versuchen, das kranke Herz des Unglücklichen zu heilen; ich will wiedergeben, was ich empfangen habe.

Sie ging gegen Abend, mit ihrer Laute unter dem Arme, dem Hochholze zu. Der Jäger zeigte ihr von weitem den Unglücklichen, der unter seinem Baume in der gewöhnlichen Stellung saß. Iglou setzte sich in einiger Entfernung von ihm nieder, hob einen sanften Trauergesang an, und hatte dabei immer den Unglücklichen im Auge. Als sie anfing zu spielen, schien er nichts zu hören; aber bald erhob er langsam den Kopf, doch ohne das Gesicht nach ihr hin zu wenden. Nun fing Iglou auch an, den Klagegesang eines Unglücklichen zu singen, worin sie aber die Anspielungen auf einzelne Umstände mit allgemeinern Empfindungen vertauschte. Kaum hatte sie eine Zeile gesungen, so ließ der Wilde den Kopf auf die Brust sinken, legte die Hand an die Stirn, und saß so ohne Bewegung da. Iglou hörte auf, und legte die Laute in ihren Schooß.

Der Wilde wendete sein Gesicht nun nach der Gegend hin, wo Iglou saß. Sie fing wieder an zu singen und zu spielen; aber sehr leise. Iglou schwieg, und ging auf einer anderen Seite näher zu ihm. So wie sie aufs neue anfing zu singen, wendete er sein Gesicht zu ihr, und horchte. Nach einer Stunde verließ Iglou den Wald, ohne ihn angeredet zu haben. Am Abend fragte er den Jäger: was war das heute? – Was denn? – Die Musik. – Der Jäger sagte, er hätte nichts gehört. Am andern Morgen kam Iglou wieder, und spielte. Nach einiger Zeit stand der Wilde auf, und sah sie an. Sie that erst, als merkte sie ihn nicht, und sang zu ihrer Laute fort; dann aber stand auch sie auf, ging neben ihm weg, und sagte sanft zu ihm: die Musik thut dem wunden Herzen wohl; ich stille meinen Kummer damit. – Er schüttelte den Kopf, und ging.

Iglou setzte sich unter den Baum, wo er zu sitzen pflegte, und spielte aufs neue. Er näherte sich allmählich, und endlich stand er nahe bei Iglou. Sie fragte: thun die Töne auch deinem Herzen wohl? Ich bin unglücklich, wie du! – „Hast du einen Menschen ermordet?“ fragte er in einem gräßlichen Tone. Iglou sprang voll Schrecken auf, als sie das hörte; und er entfernte sich langsam.

Ermordet? sagte Iglou ängstlich, und mit Thränen in den Augen. Sie ging zitternd zu dem Försterhause, und ließ sich von dem Jäger nach Hause begleiten. O, ich dachte, er wäre unglücklich, sagte sie; und er ist ein Mörder! Nein, ich gehe nicht wieder hin. Nach einigen Tagen kam der Förster zu Iglou, und erzählte ihr: der Wilde habe ihn gefragt, wo sie geblieben sey. Sie ist fort! hatte der Jäger gesagt; und der Wilde erwiederte: alles, alles fort! Mich verläßt alles! Das rührte Iglou unaussprechlich. Nein, sagte sie; ich will dich nicht verlassen, Unglücklicher! Wie dein Schutzgeist will ich um dich schweben, und den bösen Dämon von dir abhalten. – Sie ging sogleich mit dem Jäger nach dem Walde.

Ermordet! dachte sie unterweges. Aber wer weiß, wie? unter welchen Umständen? Ach, und braucht nicht selbst des Verbrechers Herz den Trost der Tugend, um die Tugend zu lieben? Nein, ich will ihn nicht verlassen! Das Verbrechen hat sein Herz zerbrochen; die Tugend soll es heilen. – Er saß auf der alten Stelle. So wie er den ersten Ton der Laute hörte, wurde er aufmerksam, kam näher, und setzte sich einige Schritte weit von Iglou in das Gebüsch, als ob sie ihn nicht sehen sollte. Iglou spielte und sang:

 

Reue löscht Verbrechen aus,

Und versöhnt den Himmel!

Reue, Reue wäscht den Mord

Von den blut'gen Händen.

Sieh, die Rache hebt den Dolch

Hoch für das Verbrechen;

Doch die Reue führt die Hand,

Und die Rache segnet.

Flieh Verbrecher! zitternd flieh!

Mörder! flieh, verzweifle!

Donnernd weckt vergoßnes Blut

Die entschlafne Rache! –

Sieh, sie folgt dir, hebt den Dolch!

Weine und bereue!

Reue löscht Verbrechen aus,

Und versöhnt den Himmel!

 

Sie hatte kaum geendigt, da hörte sie den Wilden schon sanft weinen. Er stand auf, näherte sich Iglou, warf sich ihr zu Füßen, und rief mit ängstlichem Tone, wie der Todesverbrecher Gnade ruft: „Reue löscht Verbrechen aus, und versöhnt den Himmel!“ Iglou schien ihm ein Engel des Himmels zu seyn, der ihm Vergebung ankündigte. Er küßte ihr die Hand, die sie ihm hinreichte. Komm, sagte Iglou sanft; setze dich zu mir. Ich will dich trösten, armer Unglücklicher! – „Reue löscht Verbrechen aus?“ fragte er wild und heftig; „auch mein Verbrechen? auch meins?“

Auch deins! erwiederte Iglou beruhigend. – „Nein, nein!“ sagte er zweifelnd. Iglou lockte sanfte Töne aus ihrer Laute; und seine wilden Blicke wurden ruhiger, sein Auge vergoß Thränen. Endlich stand sie auf. „Kommst du wieder?“ fragte er betrübt. Ich verlasse dich nicht, antwortete sie, und reichte ihm die Hand. Er faßte sie zitternd, und sagte eifrig: „vergiß die Laute nicht!“ Iglou erwiederte: ich vergesse sie nicht. – Begleite mich aus dem Walde.

Iglou glaubte ihn unterweges in ein Gespräch verwickeln zu können; aber dazu war es noch zu früh. Er ging stumm neben ihr her, hielt ihre Hand, und sah sie mit ehrerbietigen Blicken von der Seite an. Sie sagte ihm: morgen komme ich wieder; aber du mußt mich hier erwarten. Er versprach es. Als Iglou ging, sah er ihr nach, und kehrte dann langsam und traurig in den Wald zurück. Er erkundigte sich bei dem Förster nach Iglou; doch dieser versicherte ihm, daß er sie nicht kenne. Nun versuchte er einige Male ihren Gesang nachzusingen; und als er nicht konnte, sagte er ungeduldig: „ach, wenn ich eine Flöte hätte!“

In Burggräfenrode lag eine Flöte, die Hilberten gehörte. Der Förster holte sie; doch gab er sie dem Wilden nicht, weil Iglou ihn gebeten hatte, nichts ohne ihr Wissen zu thun. Am folgenden Morgen ging der Wilde Iglou entgegen. Sie kam, mit der Laute im Arme. Der Förster näherte sich in dem Augenblicke, da der Wilde Iglou wieder verließ, sagte ihr dessen Verlangen nach einer Flöte, und steckte ihr die aus Burggräfenrode zu. Iglou spielte den gestrigen Gesang; und der Wilde horchte mit heitern Blicken. Nun zog sie die Flöte hervor, und sagte: Spiele; ich will singen. Der Wilde sah Iglou mit Erstaunen an, nahm die Flöte zitternd, wollte hinein hauchen, und vermochte es nicht. Iglou that, als ob sie es nicht bemerkte. Sie spielte ihm die Melodie noch einige Male vor; und endlich blies er die beiden letzten Reihen mit:

 

„Reue löscht Verbrechen aus,

Und versöhnt den Himmel!“

 

Es war, als ob ein neues Leben ihn beseelte, so wie er die Töne hervorbrachte.

So ging Iglou täglich auf eine Stunde zu ihrem Wilden, und es gelang ihr, durch Mitleiden und Liebe seine Verzweiflung abzustumpfen; doch über seinen Kummer konnte sie niemals Herr werden. Er blieb immer gleich traurig, und schwieg hartnäckig über die Ursache seines Grames. Indeß gelang es dem zärtlichen Mädchen, ihn mit der Flöte zu beschäftigen; sie lehrte ihn Lieder, die zu seiner Empfindung paßten. Er spielte sie ganze Tage lang, wurde gesprächiger, redete wieder mit dem Förster, nahm allerlei kleine Arbeiten im Hause vor, und fing sogar an, sich reinlicher zu kleiden. Sein Verstand hatte nicht gelitten; aber durch Schweigen, Einsamkeit, und ewiges Brüten über das Eine Bild, das ihm ohne Zweifel immer vor Augen schwebte, war er geschwächt. Er glich jetzt einem Kinde, nur nicht an Unschuld und Heiterkeit. Iglou stellte neben das schwarze, schreckliche Bild seines unbekannten Verbrechens die frohe, lichte Gestalt der Hoffnung, und zwar mit solchen Farben gemahlt, wie sie auf sein schwaches Auge wirken konnten. Die höchste Weisheit hätte nichts Besseres thun können, als was hier das Mitleiden eines gutherzigen Mädchens that; doch, ist nicht Menschlichkeit immer Weisheit? Ein kummervolles Herz weiß den Unglücklichen am sanftesten zu behandeln. Der kalte Weise würde den Wilden aufgesucht, und, wenn er auch herausgebracht hätte, was den Armen drückte, ihm gesagt haben: beruhige dich, Unglücklicher; verzweifle nicht! Der Mensch kann fallen; aber Reue versöhnt alle Verbrechen. Das wäre kaum in des Wilden Ohr, und gewiß nicht in seinen Geist gekommen. Doch Iglou, die weiche, selbst verlassen gewesene Iglou, trat, wie ein Geist aus höheren Weiten, neben ihn hin. Ihre sanften Lautentöne öffneten erst das starre Herz des Verzweifelnden, und lockten erleichternde Thränen aus seinen Augen. Sie suchte sein Herz nicht, und fand es eben darum. Als er erweicht, und jedes Eindruckes fähig war, blieb ihr die Ursache seiner Leiden nicht verborgen. Sie sagte ihm nicht, was ihn trösten könnte, sondern sang es ihm in einer herzlichen Melodie mit den einfachen Worten zu: „Reue löscht Verbrechen aus!“ Diese Worte drangen, auf den Schwingen der Musik, als hätte sie ein Engel vom Himmel herab gesungen, in sein Herz; er glaubte dem anscheinenden Zufalle, was er der Weisheit nicht geglaubt haben würde. – Der Unglückliche will ja nicht bloß einsehen; er will fühlen, was ihn trösten soll. O, laßt uns, wenn wir der Vernunft den Thron der Erde geben, nicht vergessen, daß wir Menschen sind, und dem Herzen eben so viele Tugenden, eben so viel Glück verdanken als der Vernunft!

Iglou hatte sein Herz geöffnet, und mit ihrer milden, tröstenden Stimme wieder Gefühl in seine kalte Brust gehaucht. Nun gab sie ihm eine Beschäftigung, die ihm Bedürfniß war, und durch die sein Herz geheilt werden konnte: die sanfte Flöte. Die Verzweiflung hatte ihn zu einem Kinde gemacht; Iglou verlangte nicht mehr von ihm, als er seyn konnte, und behandelte ihn als ein Kind. Sie lehrte ihn Lieder, band ihn durch Güte, Liebe und Theilnahme an sich, und sprach wenig mit ihm über seinen Zustand; aber immer hatte sie eine Thräne für seinen Gram, ein Lied für seine Zweifel, eine Melodie, die seine Gewissensangst verjagte. Ihm fehlte nun nicht länger ein menschliches Geschöpf, das er lieben konnte; und ein Mensch, der noch ein fremdes Herz lieben kann, verzweifelt nicht.

Iglou war so ganz mit dem Wilden beschäftigt, daß sie kaum mehr an Emilien und Hilbert dachte; daher bemerkte sie nicht, wie still Emilie jetzt für sich hin lebte. Hilbert war fort, und nun nagte der Gram verborgen, aber gewaltig, an Emiliens Herzen. Frau von Koch schwieg jetzt ebenfalls gänzlich; denn Emilie hatte für sie immer nur die Antwort: ich werde Flamings Gattin. Die Koch berief sich auf des Barons kurze und kalte Briefe; allein Emilie war durch Hilberten überzeugt worden, daß man sich bei dem Baron auf nichts der Art verlassen könne. Kurz, Emilie blieb ihrem Gram überlassen.

Aber Frau von Koch war, ob sie gleich schwieg, gar nicht Willens, ruhig bei dem Handel zu bleiben. Sie fing damit an, daß sie alle Zettel des Barons auffing, an denen Emilie in der That nichts verlor. Das völlige Ausbleiben aller Briefe von dem Baron sollte Emilien wieder eine kleine Hoffnung geben; und ihr Gram wurde in der That dadurch vermindert. Frau von Koch hatte indeß noch andere Absichten bei dem Auffangen der Briefe. Sie wollte den Baron sprechen, ehe Emilie ihn sähe; und dann sollte auch Emiliens Stillschweigen – denn natürlicher Weise schrieb auch sie ihm nicht, da sie keine Briefe von ihm erhielt – bei dem Baron die Idee rege machen, daß sie doch wohl untreu werden könnte. Darauf hatte sie ihren Plan gebauet. Die gute Frau von Koch!

Endlich bestimmte Flaming den Tag seiner Ankunft in Büdesheim. Frau von Koch bat Hilberten schriftlich, er möchte doch dann und dann nach seinem Landgute gehen und einige Tage da bleiben. Die Antwort verbat sie sich; aber sie verlangte Gehorsam und Verschwiegenheit. An dem Tage, da der Baron ankommen wollte, wußte Frau von Koch Emilien zu einer Reise nach Friedberg zu bereden. Emilie fuhr ab, und nahm Iglou mit. Nun will ich doch sehen, sagte Frau von Koch triumphirend, ob es mir mißlingen soll! Ich müßte den Baron nicht kennen! Und wahrhaftig, es möchte meinethalben auch ein Andrer seyn; ich wollte hier mit jedem Manne fertig werden.

Der Baron kam an, und Frau von Koch empfing ihn. „Wo ist Emilie? wo Iglou?“

Nicht hier, und aus Absichten nicht hier. Hören Sie, lieber Baron, Niemand in der Welt kennt das menschliche Herz so wie Sie. Es haben sich hier, indeß Sie weg gewesen sind, Dinge zugetragen ...

Der Baron wurde blaß. „O Gott, Emilie ist todt! Jetzt seh' ich es. Sie hat nicht geantwortet!“

Sie lebt, und ist gesund; aber sehr unglücklich. Wenn ich Sie nicht als den alleredelsten Mann kennte – in der That, so würde ich das arme Mädchen von Herzen beklagen.

„O, ich bitte Sie, schnell! Was ist ihr? Sagen Sie.“

Lieber Baron, Sie sind ein Mann, den ich schon lange wegen seiner Stärke, wegen seiner Standhaftigkeit bewundert habe. Mit Ihnen kann man aufrichtig verfahren, wo man mit jedem Andern erst Umschweife machen müßte.

„O, so seyn Sie doch aufrichtig! Mein Gott, man kann ja wahrhaftig nicht mehr Umschweife machen als Sie! Ich bitte Sie: wo ist Emilie?“

Frau von Koch irrte sich schon zu Anfange ganz und gar in dem Baron, da sie seine Eitelkeit rege machen wollte. Er hatte Eitelkeit; aber nur, wenn sein Herz nicht in Bewegung war. Sie lobte seine Menschenkenntniß, seinen Edelmuth, seine Standhaftigkeit; und er hörte nicht darauf: denn Emilie war unglücklich. Nun fuhr sie schon mit mehr Verlegenheit fort: Emilie liebt einen Andern ... mit Einem Worte, Hilberten. – Der Baron erschrak, und wurde bleich wie die Wand. „Liebt einen Andern?“ wiederholte er langsam, und blickte zu Boden. Doch auf einmal sah er die Frau von Koch lächelnd und heiter an. „In der That“, sagte er; „Sie haben mich doch auf einen Augenblick aus dem Gleichgewichte gebracht. Aber, merken Sie Sich das, nur auf einen Augenblick. Wo ist Emilie? Wie konnte ich das nur eine Sekunde lang glauben?“

Wie, lieber Baron? Sie wollen es nicht glauben?

„Nein, so wenig als wenn Sie mir sagten, ich liebte Emilien nicht mehr.“

Ich schwöre Ihnen aber ...

„Und ich glaube Ihnen nicht.“

Lieber Baron ...

„Es ist gar nicht möglich, gnädige Frau!“

Aber ...

„Ich sage Ihnen, es ist nicht möglich!“

Sie liebt ...

„Mich, mich! keinen Andern auf der Erde!“

Herr Baron, wollen Sie mich anhören?

„Anhören wohl, aber nicht glauben.“

Nun so lassen Sie mich ausreden! Zuerst kamen – Sie sind selbst Schuld an Emiliens Schwäche – zuerst kamen Ihre Briefe, die Abhandlungen über Gott weiß was, enthielten; dann ...

„Emilie hat doch das alles aufgehoben? Es wäre ein unersetzlicher Verlust, wenn sie es verloren hätte!“

Sehen Sie, Emilie schloß aus diesen Briefen, aus Ihrer Begebenheit mit Iglou, aus Ihrer Kälte, als Sie noch hier waren – aus dem allen schloß sie, und zwar mit Recht, daß sie Ihre Liebe nicht mehr hätte.

„Das haben Sie Sich nur eingebildet, meine liebe Freundin. Emilie weiß von dem Allen nicht ein Wort.“

Aber, Herr Baron, wie können Sie denn das so sicher behaupten?

„Ereifern Sie Sich nicht, gnädige Frau. Ich sage Ihnen, Sie haben Sich das nur eingebildet. Emilie weiß, daß ich sie liebe; sie muß das wissen, so zuverlässig wissen, als ich weiß, daß Sie Sich das alles nur eingebildet haben. Ich bitte Sie, liebe Frau von Koch, hören Sie doch nur ein einziges Mal meine Auseinandersetzung der Liebe: wie sie entsteht; was eigentlich schöne Form, was die Form ist, die ich allein lieben kann. Ich will mich kurz fassen.“

Verschonen Sie mich, Herr Baron! Man hört sich in der That die ewige reine Form, die subjektive Schönheit, und wie alle die Herrlichkeiten weiter heißen, zum Ekel. Lassen Sie das.

„Recht gern; aber dann sind Sie auch nicht im Stande zu wissen, ob Emilie mich liebt, oder nicht.“

Wahrhaftig, Herr Baron, Sie werden mich noch aufbringen!

„In Gottes Nahmen denn! Reden Sie, so viel Sie wollen; nur verlangen Sie nicht, daß ich ein Wort glauben soll.“ Er setzte sich.

Aber, warum wollen Sie denn nicht glauben, daß Emilie einen Andern liebt?

„Mit Ihnen ist wirklich recht schwer zu disputiren. Eben wollte ich Ihnen ja die Gründe sagen, warum Emilie keinen Andern lieben kann, als mich. Da mochten Sie nicht hören; und jetzt ...“

Nun? so sagen Sie her!

„Sehen Sie, die Form, die Gestalt, die Ausdehnung, die wir an den Gegenständen und auch am Menschen sehen, gehört nicht dem zu, an dem wir sie sehen, sondern sie liegt im Gemüthe des Betrachtenden; denn ...“

Um Gottes willen, Herr Baron, sagen Sie mir das anders! Denn, wenn es auch wahr wäre, so ist es doch eine Raserei so zu reden. Sagen Sie mir das doch mit verständlichen Worten!

„Also, Frau von Koch, wenn Sie mir erzählten, Emilie wäre vor Ihren Augen am Platfond, mit den Füßen oben und dem Kopfe unten, umhergegangen, so würde ich sagen: das ist unmöglich; denn nach den ewigen Gesetzen der Schwere geht es nicht. Eben so unmöglich ist es, daß Emilie einen Andern liebt. Ich errege bei ihr meine Gestalt; sie bei mir die ihrige. Nun ist es unmöglich ...“

Wahrhaftig, das ist doch nicht auszuhalten! Ich betheure Ihnen, so hoch ich kann: sie liebt Hilberten.

„Ein Schwur macht keine Unmöglichkeit möglich.“

Wollen Sie denn Hilberten glauben?

„Wenn Hilbert mir sagte, Emilie sey am Platfond ...“

Aber so nehmen Sie doch, mir zu gefallen, einmal an, Emilie liebte einen Andern ...

„Den Fall kann ich nicht annehmen, so gern ich auch wollte. Ich kann ja nichts absolut Unmögliches als möglich voraussetzen.“

Aber, lieber Baron, es wäre ja doch wohl möglich, daß Emilie Sie nicht liebte; und wenn sie nun Sie nicht liebte ...

„Sehen Sie, da machen Sie das Bedingte zur Bedingung!“

Lieber Gott, thun Sie mir es nur einmal zu gefallen, und nehmen Sie den Fall an. Ich bitte Sie.

„Gut, gnädige Frau; ich will es thun, um aus der Sache zu kommen. So muß ich also den Fall setzen, ich wäre rasend; denn anders läßt es sich nicht machen.“

Nun denn, wenn Emilie Sie also nicht liebte – was wäre die Folge davon?

„Die Folge? Das ist eine seltsame Frage! Folge? Das Ding hat keine Folge. Sie liebte mich nicht; das allein ließe sich sagen.“

Mich dünkt, es würde doch daraus etwas folgen; zum Beispiel: würden Sie dann Emilien heirathen wollen? – Sie glaubte ihn nun gefaßt zu haben, und sah ihn scharf an.

„Heirathen? Aber, in aller Welt, was für höchst seltsame Fragen können Sie thun! Man möchte die Geduld tausendmal verlieren. Heirathen, wenn ich sie nicht liebte? Ich begreife doch gar nicht, durch welchen wunderlichen Zusammenhang man nur einmal auf die Idee kommen könnte, die Frage an sich zu thun, ob man wohl ein Mädchen heirathen wolle, das man nicht heirathen wolle.“

Ich sage ja nicht, ein Mädchen, das Sie nicht lieben, sondern ein Mädchen, von dem Sie nicht geliebt werden.

„Aber sehen Sie denn nicht, daß das vollkommen dasselbe ist? Ich liebe Emilien, oder Emilie liebt mich. Das ist ja so eins, wie a ist gleich a.“

Guter Gott, gieb mir Geduld! – So nehmen Sie mir zu gefallen noch einmal an, Sie liebten Emilien, Emilie aber Sie nicht; was würden Sie ...?

„Gnädige Frau, in der That, ich stehe hier wie versteinert. Das heißt: ich soll einmal annehmen, daß ich Emilien liebe, und auch wieder nicht liebe. Lassen Sie uns doch aufhören! Genug, Emilie liebt mich; denn ich liebe sie.“

Also glauben Sie schlechterdings nicht, daß ein Mädchen einmal in ihrer Treue gegen den Geliebten wanken kann?

„Treue? das ist etwas anderes! Allerdings kann die Sinnlichkeit die geliebte Form leicht verdunkeln, und ein Mädchen treulos seyn.“

Gott sey Dank! endlich! Nun so setzen Sie den Fall, daß Emilie die Form verdunkelt hat. War es nicht so?

„Ich verstehe Sie; und das ist hinlänglich. Ich soll also den Fall setzen, Emilie sey während meiner Abwesenheit liederlich geworden.“

Wer sagt das? Behüte Gott! Liederlich nicht!

„Was denn?“

Nun, es giebt ja ein Drittes. Ich meine, Emilie hätte nur Neigung zu Hilberten. Verstehen Sie mich?

„O ja; ich soll den Fall setzen, Emilie wäre in meiner Abwesenheit nicht liederlich, aber doch wollüstig geworden, und hätte Neigung liederlich zu werden.“

Aber, sie soll ihn ja nur lieben.

„Lieben? – Wie oft soll ich das sagen! lieben kann sie nur mich! nur mich! Die Neigung – wenn Sie denn die thierische Empfindung so nennen wollen – die Neigung zu jedem andern Manne wäre nichts als Wollust, Hang zur Liederlichkeit.

Frau von Koch seufzte; aber es war nicht anders: sie mußte ihm folgen, wenn sie ihren Zweck erreichen wollte. Gut also! Setzen Sie den Fall, Emilie wäre wollüstig geworden, ihre Sinnlichkeit hätte sie zu Hilberten gewendet, und sie bildete, von dieser Sinnlichkeit verführt, sich nur ein, daß sie Hilberten mit aller Leidenschaft liebe. Und da Sie es auf keine andere Weise hören wollen, so muß ich es Ihnen auf diese sagen: es ist so; ist in der That so!

Der Baron sah die Frau von Koch starr an. Endlich rief er: „Guter Gott! diese reine, fleckenlose Seele wollüstig! – O, sagen Sie mir, hat sie Hilberten oft gesehen?“

Sehr oft; alle Tage.

„Auch des Nachts im Finstern?“

Sind Sie unsinnig, Baron? Meinen Sie, daß Emilie, daß ich ...? Wahrhaftig Sie sind von Sinnen.

„Nun“, sagte der Baron gelassen; „wenn die Form sichtbar ist, so ...“

Frau von Koch sah ein, daß er ihr aufs neue entschlüpfen würde; sie gab daher geschwind nach, so weh es ihr auch that, von Emilien so sprechen zu müssen. Ja, wenn sie es so meinen, mit der Form. Das Gebüsch im Garten kann freilich alle Formen verwirren, so groß ist die Dämmerung darin. Sehen Sie, die arme Emilie wußte das Geheimniß mit der Form nicht. Sie sind Schuld an ihrer Untreue. Warum sagten Sie ihr nicht vorher, daß sie mit Hilberten in der Sonne bleiben sollte!

„Nicht das!“ erwiederte der Baron mit Kopfschütteln. „Ach, ich glaubte, ihre Seele wäre zu rein dazu; sonst hätte sie sogleich Latein und den Generalbaß anfangen sollen. Und das soll sie noch! morgen schon! O, ich Unglücklicher!“

Ich bedaure Sie in der That, lieber Baron. Aber was fragen Sie nach allem Unglück! Ein Weiser – wie heißt doch die Stelle, die Sie uns öfters angeführt haben? – Ich kann mir gar keine Vorstellung davon machen, wie ein Mann das standhaft ertragen kann!

„Sie haben auch Recht. Der Weise erträgt Unglück, Schande, Schmerz, Armuth, Verfolgung, und lächelt; doch er trauert, wenn eine so reine Seele zu Lastern hinabsinkt!“

Aber, lieber Baron, was wollen Sie nun dabei thun? Ich ahne Ihren Entschluß schon. Sie werden großmüthig Emilien, was es Ihnen auch kosten mag, Hilberten abtreten.

„Das wäre in der That sehr unweise gehandelt! Das hieße Emilien unglücklich machen! Ich will Ihnen sagen, was ich thun muß. Die Sinnlichkeit hat auf eine kurze Zeit Emilien den Anblick der reinen Schönheit entzogen. Mein Anblick wird in ihrer Seele die Sinnlichkeit ersticken, und ihre Liebe zu mir wieder erregen. Nach einiger Zeit wird sie selbst nicht begreifen, wie sie hat glauben können, Hilberten zu lieben.“

Ich sage Ihnen, lieber Baron, Sie irren Sich sehr. Emiliens Leidenschaft ist so stark, daß keine Macht ihr Herz von Hilbert losreißen wird. Und in diesem Falle?

„Ueber Ihre wunderlichen Voraussetzungen! Gut! in diesem Falle will ich alles thun, was Sie wollen. Sind Sie nun zufrieden?“

O, Sie sind der vortrefflichste, edelmüthigste Mann, den ich kenne!

„Aber glauben Sie mir, Sie haben sich geirrt. Ich will Ihnen sagen, wie alles kommen muß. Emilie wird heftig erschrecken, wenn sie mich sieht. Ich werde ihre Hand nehmen, mit ihr an ein Fenster treten, sie bitten, mich anzusehen, und sie dann fragen: Emilie wollen Sie meine Gattin werden? Emilie wird sich wie von einem bösartigen Zauber erlöst fühlen, und antworten: ich will Ihre Gattin werden. Was wollen Sie darauf wetten?“

Frau von Koch wurde blaß vor Schrecken und Aerger; denn Emilie hatte noch heute betheuert: sie werde allen Menschen zum Trotze behaupten, daß sie den Baron liebe. Der Eigensinn des Mädchens traf seltsam mit der Grille des Barons zusammen. Frau von Koch sah nun wohl, daß sie gefangen war, anstatt ihn zu fangen. Sie hob aufs neue an zu versichern, zu beschwören, daß Emilie Hilberten unaussprechlich zärtlich liebe; aber der Baron war seiner Sache so gewiß, daß er lächelte, und nur antwortete: „lassen Sie Emilien kommen, so werden Sie sehen, daß ich Recht habe.“ Frau von Koch wußte voraus, daß Emilie gerade so handeln würde, wie der Baron versicherte. Sie verlor die Geduld, schalt den Baron, und weinte sogar. Mitten in dieser Unterredung rollte der Wagen mit Emilien auf den Hof, und Frau von Koch wurde immer bleicher.

Emilie trat allein in das Zimmer, weil Iglou sogleich in den Wald zu dem Wilden gegangen war. Sie erblaßte, als sie den Baron erblickte. Er lächelte der Frau von Koch zu, faßte schweigend Emiliens zitternde Hand, führte sie mit einem triumphirenden Blicke an ein Fenster, stellte sich vor sie hin, sah ihr in das niedergeschlagene Gesicht, und sagte ruhig: „sehen Sie mich an, Emilie!“ Emilie that es. „Nun?“ – Frau von Koch unterbrach ihn. Ehe Sie sprechen, noch ein Wort mit Emilien. Emilie, ich habe dem Baron gesagt, daß du Hilberten mit der allerhöchsten Leidenschaft liebst. Mache nicht mit einer Grille drei Menschen unglücklich ! Spiele nicht mit deinem Schicksale! Die Vorsehung hat es jetzt in deine Hand gelegt. Emilie, spotte ihrer nicht mit deinem Eigensinne, der wahrhaftig ein Verbrechen ist!

Der Baron sagte: „Emilie, Ihre Phantasie hat sie verführt. Hier stehe ich jetzt vor Ihnen, und frage Sie: wem wollen Sie Ihre Hand geben? Hilberten oder mir?“ Emilie zitterte. Auf einmal sah sie ihn offen, mit flammenden Augen an, und antwortete: Ihnen, Flaming! Ich habe Hilberten geliebt; aber jetzt liebe ich Sie. – „Nun, gnädige Frau? wer hatte Recht? Sehen Sie nun wohl, was die reine Form vermag, an die Sie nicht glauben wollen?“ Die Koch betrachtete ihn mit finstern Blicken. Sie sind ein Thor, rief sie endlich mit Unwillen; und Emilie eine Thörin. Meinetwegen! Sie verließ, außer sich vor Verdruß und Aerger, das Zimmer; und noch im Gange rief sie: macht euch unglücklich! ich bin unschuldig.

Emilie stand vor dem Baron wie eine Verbrecherin. „Nicht wahr, Emilie“, fragte er sanft, und drückte sie an seine Brust: „jetzt schämen Sie Sich Ihrer Verirrung? Aber, seyn Sie ruhig, ich kenne ja Ihr Herz, und ich habe Ihnen vergeben.“ Diese Güte, anstatt deren Emilie Vorwürfe erwartet hatte, vollendete des Barons Triumph. Emilie warf sich vor ihm nieder, und rief schluchzend: nein, keine Reue kann groß genug seyn, mich Ihrer wieder werth zu machen. Ach, ich habe Sie beleidigt, tief beleidigt. O, helfen Sie mir, lieber, edler Mann, meine Treulosigkeit wieder gut machen.

„Das will ich, Emilie. Seyn Sie ruhig. Morgen sollen Sie Latein anfangen, und Iglou wird Sie im Generalbaß unterrichten.“

Ja, sagte Emilie. Beschäftigungen! Ich will alles, alles thun, was Sie wollen. Gewiß, ich werde Sie lieben! – Sie schlang ihre Arme um ihn, und verging fast an seiner Brust vor Reue, vor Dankbarkeit und Wehmuth. Frau von Koch kam wieder, und sah sie in dieser zärtlichen Stellung. Emilie, sagte sie unwillig: was bist du mehr? eine Heuchlerin oder eine Unsinnige? – O Mutter! Mutter! rief Emilie; ich liebe ihn wieder! – „Hören Sie?“ sagte Flaming; „gerade wie ich es Ihnen voraus sagte!“ – Frau von Koch lachte über das Mißverständnis, und weinte zugleich vor Verdruß.

Emiliens Betragen bestärkte den Baron noch immer mehr in dem Glauben an seine Grillen. Er schob das Fremde, das Gezwungene ihrer Liebkosungen auf ihre reuige Scham, triumphirte nun laut, und verfolgte die arme Frau von Koch mit einer Menge von Spöttereien über ihre Versicherungen. An seinem eigenen Gefühle, als Iglou zu Hause kam, hätte er merken sollen, daß Frau von Koch Recht hatte. Iglou hörte unten im Hause, daß der Baron da sey, und sogleich stürzte sie mit lauter Freude zu ihm in das Zimmer. Sie flog an seine Brust, knieete, sprang wieder auf, jauchzte, weinte, und warf sich in seine Arme, sobald er sie ihr nur entgegen hielt. Wohl tausend Fragen that sie an ihn, ohne eine Antwort zu bekommen.

Auch in des Barons Brust hob sich eine reine Freude, ein ungemischtes inniges Wohlwollen für das fröhliche, glückliche Geschöpf. Iglou war nicht von seiner Seite zu bringen; sie verdrängte Emilien, die sich auch geduldig verdrängen ließ. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie sprach nicht. Ihre Augen voll Gutherzigkeit, Glück und Liebe waren immer auf den Baron geheftet. Sie sah und hörte nichts als ihn. Am Tische stand sie hinter seinem Stuhle, seitwärts, daß sie ihn betrachten konnte, und legte ihre Hand sanft auf seine Schulter. Sie mußte ihn berühren. Von Zeit zu Zeit schlug auch er die von Dankbarkeit leuchtenden Augen auf sie, und ein seelenvolles, heitres Lächeln empfing seine Blicke.

Emilie saß mit niedergeschlagenen Augen stumm an seiner Seite. Sie verweigerte ihm ihre Hand nicht, aber bot sie ihm auch nie. Wenn er sie lächelnd ansah, lächelte sie wieder; allein man hätte ihr Lächeln für den Anfang des Weinens halten können. Der Baron erzählte, und Niemand hörte ein Wort. Frau von Koch aß, ohne aufzusehen, warf Messer und Gabel hin, und war müde bis zum Einschlafen. Sie konnte sich kaum überwinden, gute Nacht zu sagen. Iglou hüpfte mit dem Lichte vor Emilien und dem Baron her. Sie spielte die halbe Nacht fröhliche Melodien, und Emilie vergoß die halbe Nacht hindurch bittre Thränen.

Am folgenden Morgen stand Iglou mit der Dämmerung auf, und das erste Geräusch in des Barons Zimmer zog sie hinein: Sie war noch außer sich vor Freude. Dar Baron fragte nach Emilien. Iglou antwortete; und dann sagte sie auf einmal: siehst du, die Weiße hat doch mein Herz nicht!

„Ihr Herz verirrte sich. Jetzt liebt sie mich wieder.“

Mein Herz aber verirrte sich nie; ich habe dich immer geliebt. Emilie hat mein Herz nicht: sie liebt Hilberten.

„Jetzt nicht mehr Iglou.“

Nicht mehr? Nun, so ist ihr Herz unbeständig wie eine Welle in der See. Ich hörte, wie sie zu ihm sagte: ich liebe den Baron nicht; ich liebe dich unendlich. Ihre blauen Augen standen dabei voll Thränen, und ihre Brust war voll Verzweiflung. Sie sagte, ich muß vor Gram sterben, wenn ich des Barons Gattin werde; aber ich will es werden.

Der Baron setzte Iglou weitläuftig aus einander, warum Emilie nicht sterben würde. Iglou lächelte: wenn die Weiße deine Gattin wird, und der Gram sie dann verzehrt, die Verzweiflung ihre Kräfte austrocknet; wenn sie nun da liegt, ihre schönen blauen Augen gebrochen und erloschen sind, das schöne Gesicht bleich, starr und kalt – wird es dich trösten, wenn du sagst: sie liebt mich? Sieh hin, wie bleich sie ist, wie ihr Auge immer voll Thränen hängt, wie sie mit Heftigkeit die Arme um sich schlingt, als suchte sie in einem fremden Herzen die Ruhe, die das ihrige nicht hat! Ist das Liebe? Sie liebt Hilberten, theurer Herr.

„Du sollst sehen, Iglou, sie wird mir ihre Hand geben.“

Das wird sie, und dann sterben. Konnte ich doch dich verlassen; liebe ich dich darum nicht?

„Ein Anfall von Wollust hat Emilien ...“

Wollust? rief Iglou erstaunt; Wollust? O, theuerster Herr, ich bitte dich. Ach, Emiliens Herz ist so rein, wie das Feuer der Sonne, so rein wie das meinige, rein, wie der blaue Himmel. Ich kenne Emilien, Herr. Ihre Unschuld ist fleckenlos, himmlisch. Liebster Herr, tödte Emilien: aber lästre ihr reines Herz nicht. – Der Baron gerieth in Verwirrung.

Nun erzählte Iglou ihm die Scene zwischen Emilien und Hilberten, wobei sie Zeuge gewesen war, und sagte dann: sie liebt Hilberten; sie opfert dir ihre Liebe, und wird sterben. Iglou schlug ihn ganz aus seinen Vortheilen; denn sie setzte sein Herz in Bewegung. Er sah die sterbende Emilie, und sein Herz zerfloß in Mitleiden; er sah auch die untreue Emilie, und Schmerz und Eifersucht fielen mit scharfen Bissen sein Herz an. Aber dennoch hob sein System sich wieder aus dem Mitleiden und der Eifersucht siegend empor. „Es ist nicht möglich, Iglou!“ sagte er mit starren, kummervollen Blicken. – Ach, wie es möglich ist, daß sie aufhören konnte, dich zu lieben, das weiß ich nicht, das kann ich nicht wissen. Aber hat sie dich geliebt? jemals geliebt? Ich glaube es nicht. Dankbarkeit! Auch die nicht einmal; denn ich weiß, was Dankbarkeit ist. Sie ist sehr, sehr unglücklich.

Der Baron gerieth in tiefes Nachdenken. Was er der Frau von Koch nicht geglaubt haben würde, und wenn sie eines Engels Zunge gehabt hätte, das fing er an, bei Iglou's Thränen nicht mehr ganz unmöglich zu finden. Er machte zwar seiner Iglou die gewöhnlichen Einwürfe; sie ließ sich aber nicht darauf ein, sie zu bestreiten, sondern wendete sich allemal wieder an sein Herz. Ach, sagte sie treuherzig, du kannst in Allem, in der Hauptsache, Recht haben; aber wenn du dich in einem kleinen Nebenumstande geirrt hättest, und Emilie, die gute, die unschuldige, unglückliche Emilie, ins Grab sänke, weil du glaubtest nicht irren zu können! Ich sehe sie, wie sie dir die zitternde Hand giebt, schweigt, Kummer und Thränen verbirgt, verzweifelt und stirbt! O, denke dir, ich sollte eines andern Mannes Weib werden! Gewiß, ich verginge!

„Aber Iglou, sie würde mich lieben lernen.“

Habe ich dich vergessen lernen? Das Herz lernt nichts; es ist, was es ist. Ich liebte dich; und habe dich nicht lieben gelernt. – Der Baron schwieg. – Iglou hob wieder an: ich bitte dich, ehe du handelst, prüfe Emiliens Herz, prüfe ihre Liebe!

Sobald der Baron allein war, erwachten alle natürlichen Gefühle seines Herzens in ihrer ganzen Stärke: Eifersucht, Liebe, Mitleiden, Großmuth. „Emilien Hilberten geben?“ sagte er. „Nein! Der Verführer! Bei Gott! ihr Herz war mein. Der Heuchler hat es mir geraubt, wenn es nicht mehr mein ist! ... Aber Emilie sterbend! Schrecklich! ... Doch, kann Iglou nicht irren?“ – Er beschloß, Emilien zu prüfen, und ging sogleich zu ihr. „In Thränen, Emilie? und ich bin da? Sind Thränen der Empfang des Mannes, den Sie lieben?“

Emilie schlug die Augen nieder. Lassen Sie mich weinen, lieber Baron. Habe ich nicht zu bereuen, daß ich Sie nur einen Augenblick vergessen konnte?

„Und jetzt, Emilie?“

Ich werde Sie, ich werde mich nie wieder vergessen. Jetzt bin ich meines Herzens gewiß. – Sie ging, als er sie in den Garten führen wollte, geduldig wie ein Lamm mit ihm. Er fragte in hundert Wendungen, ob sie ihn liebe. Sie blieb ihrem Entschlusse getreu, und antwortete immer auf Eine Weise: Ja; und sie wolle seine Gattin werden. „Wohl, liebe Emilie!“ sagte er auf einmal; „so lassen Sie uns alle Zweifel heben: meine, Ihre, und unserer Freundin, der Koch. Geben Sie mir noch heute Ihre Hand.“ Emilie erschrak, und wurde blaß. Sie antwortete zitternd: ich bin bereit! Doch bald sagte sie entschlossen, mit funkelnden Augen und in einer edlen, herrschenden Stellung: ja, ich bin bereit; diesen Augenblick, wenn Sie wollen! Sie reichte ihm beide Hände, und sank an seine Brust. „Ich wollte“, dachte der Baron, „Iglou hätte das gehört und gesehen!“ Er schloß Emilien zärtlich in seine Arme, und sagte: „Genug, Emilie! Ich kenne Sie nun ganz. Heute nicht, auch morgen nicht! Sie sollen sich erst völlig erholen.“

„Nun, Iglou?“ sagte der Baron nachher, als er ihr seine Unterredung mit Emilien erzählte: „glaubst du jetzt, daß sie mich liebt?“

Iglou schüttelte den Kopf. Ich wollte, du könntest Emilien einmal mit dem Gegentheile prüfen.

„Du bist eine Thörin mit deinem Gegentheile! Jetzt redet und thut, was ihr wollt: ich weiß, daß Emilie mich liebt. Wie hab' ich auch nur zweifeln können, bei der Evidenz meines Systems!“ – Iglou redete wieder so nachdrücklich auf sein Herz ein, daß von neuem ein kleiner Zweifel bei ihm rege wurde. Er suchte Emilien auf. Das arme Mädchen hatte nun durch das Betragen des Barons alle, auch die geheimsten Hoffnungen verloren, und eben das gab ihr Muth, das Opfer ihrer Liebe, ihres Herzens, mit Anstand zu bringen. Ich bin unglücklich, sagte sie; aber ich will ihn nicht unglücklich machen. Nein, nein! (Sie trocknete mit Heftigkeit die Augen.) Keine Thränen! meine Augen sollen trocken seyn. (Sie legte heftig die geballte Hand auf die Brust, als ob sie das widerstrebende Herz niederdrücken wollte.)

Der Mensch treibt, wenn er im Gange ist, alles zu weit; selbst seine Tugenden. So auch Emilie. Sie suchte, obgleich ihre Brust zerrissen war, dennoch heiter zu scheinen, kleidete sich sehr reitzend an, wozu die Verzweiflung ihr Kräfte lieh, und wendete alle Kraft ihres Lebens auf eine Rolle die ihr Gewissen ihr zur Pflicht machte.

Jetzt kam der Baron mit seinen neuen Zweifeln. Emilie eilte ihm entgegen, an seine Brust. „So geschmückt?“ fragte er; und sie lächelte, obgleich ihr Herz in dem Lächeln beinahe brach. – Soll Ihre Braut sich nicht schmücken? erwiederte sie mit einer ziemlich natürlichen Heiterkeit. Sie ließ einige kleine Seufzer nur bis an ihre Lippen dringen, und spielte sonst ihre erhabne, schwere Rolle so gut, daß der Baron in Entzücken zerfloß. Jeder Mann würde getäuscht worden seyn; und nun gar Flaming mit seinem Systeme! – Emilie hing an seinem Arme, und drückte ihm die Hände. Sie rang wie eine Verzweifelte, und siegte über ihren Schmerz. – Es giebt Augenblicke, in denen der Mensch seine Allmacht fühlt. Emilie hatte einen solchen Augenblick; und das Bewußtseyn, wie stark, und welcher Aufopferung sie fähig wäre, mischte zu der Hoffnungslosigkeit in ihrem Herzen den hohen Triumph der Tugend. Einige Stunden lang hielt sie ihre Rolle so gut, daß sie sogar die Frau von Koch täuschte. Du Flatterhafte! sagte diese nach Tische; und Emilie hatte den Muth zu antworten: liebste Mutter, in der That, ich habe mich geirrt. Ich liebte den Baron mehr, als ich glaubte.

Flaming war außer sich vor Entzücken. Er fühlte sich in dem Besitze Emiliens aus tausend Ursachen glücklich; und jetzt war er ihrer Liebe so gewiß, auf diese unzweideutige Art so gewiß! „Nun, Frau von Koch?“ sagte er.

Sie haben Recht gehabt, erwiederte diese. Ob ich es gleich nicht begreife.

„Sie begreifen es noch nicht? Mich dünkt, es ließe sich nun mit Händen greifen. Ich führte Emilien ans Fenster. Die Form der Schönheit in ihrem Gemüthe mußte ...“

Sie haben Recht; nur bleiben Sie mit Ihren Formen weg!

Iglou allein ließ sich nicht täuschen. Sie hielt sich an Emiliens und Hilberts Gespräch, an Emiliens ihr nicht verhehlte Thränen und Seufzer, an ihre eigene Empfindung; und immer sagte sie zu dem Baron: sie liebt dich nicht; sie wird sterben!

Der Baron wurde endlich heftig. „Iglou, glaube mir, ich habe ihr Herz geprüft.“

Ihren Muth. Prüfe ihr Herz, und du wirst erfahren, daß sie Hilberten liebt.

„Sie liebt mich. Du sollst sehen, morgen wird sie mir ihre Hand geben.“

Das wird sie; aber prüfe sie, ob sie dir ihr Herz giebt.

„Iglou, du bist sehr zanksüchtig geworden! Was nennst du denn: ihr Herz prüfen?“

Ja, ich fühle es wohl; aber ich weiß es nicht zu sagen. Der Schmerz prüft es nicht; denn ich sehe, sie ist entschlossen, jeden Schmerz mit Lächeln zu dulden. Die Freude allein könnte es. Auf Freude, auf Glück ist sie nicht gefaßt. Du würdest sehen, daß ich Recht habe, wenn man ihr so auf einmal die Gewißheit geben könnte, daß sie Hilbertens Gattin werden sollte.

Der Baron lachte. „Gewiß, Iglou, sie sagte Nein!“

Gewiß nicht, wenn sie glaubte, es wäre dein Wunsch, du liebtest sie nicht mehr. Sie würde mit dem Entzücken des Himmels in Hilberts Arme sinken, das weiß ich. Wäre die Probe nur möglich!

„Möglich? warum nicht möglich? Aber sie ist unnütz. Ich wollte, Hilbert wäre zur Stelle.“

Hilbert ist in Burggräfenrode. Ich habe gestern seinen Jäger gesprochen.

„Wohl, Iglou, ich will dich überzeugen. Wie fange ich es wohl am besten an?“ –

Aber Emilie muß nicht merken, daß sie geprüft werden soll, nicht merken, daß du sie mit dem kleinsten Opfer glücklich machen willst. Sie muß glauben, daß du sie nicht mehr liebst.

Der Baron lachte wieder: „Ich will es ihr wenigstens sagen. – Was für seltsame Menschen ihr seyd! Du sollst sehen, daß ich meine Rolle vortrefflich spielen werde!“

Er übersann den Plan, bildete ihn aus, und theilte ihn Iglou mit, die ihn dann noch verbesserte. Nun wurden alle Anstalten getroffen, und der Baron harrte sehnlich seinem Triumphe entgegen. „Liebe Emilie“, sagte er, „wollen Sie mich nicht schon morgen zum glücklichsten Manne machen? oder, Liebe, wünschen Sie noch Aufschub?“ – Emilie erwiederte leise: ich wünsche nichts, als was Sie wünschen. Morgen, mein Geliebter, morgen oder heute. Und gewiß, setzte sie mit erstickter Stimme hinzu: nie soll am Altare ein Mädchen gestanden haben, das fester entschlossen gewesen ist, seine Pflicht zu erfüllen! Morgen bin ich Ihre Gattin. O, daß ich Sie doch recht glücklich machen könnte! – Sie legte sich an seine Brust.

„Daß doch Iglou niemals Zeuge von so etwas ist!“ dachte der Baron, als er Emilien an seinem Herzen hielt. „Das sollte sie hören: wie würde sie sich dann ihrer Zweifel schämen!“ – Der Prediger wurde auf den folgenden Tag zur Trauung bestellt. Frau von Koch widersetzte sich zwar; aber Emilie drang durch. „Emilie!“ sagte Frau von Koch, als sie ihre Freundin einen Augenblick allein hatte, mit warnender Stimme: „Emilie! hast du auch überlegt? hast du dein Herz geprüft?“

Ich werde es morgen prüfen! erwiederte Emilie lächelnd.

„Morgen erst? – Emilie! du wagst alles! Ich bitte dich.“

Ich wage nichts, liebe Mutter, wozu ich nicht Kraft in mir fühle. Glauben Sie mir, ich bin nicht so schwach, wie Sie denken, auch nicht so unglücklich.

„Und du zitterst, Emilie?“

Zitterten Sie nicht, als Sie dem Fürsten Ihre Hand zum ewigen Bunde reichten?

Iglou ging mit ihrer Laute zu dem Wilden, und ließ Hilberten durch den Förster sagen, daß sie ihn auf einen Augenblick zu sprechen wünschte. Hilbert kam, und sein Anblick erregte ihr Mitleiden. Sein Gesicht war bleich, seine Augen erloschen, sein Gang langsam. Iglou ging ihm entgegen, ergriff seine Hand, und fragte ihn: bist du überzeugt, Hilbert, daß Emilie dich liebt? – Er sah Iglou lange an. „Warum fragst du das, Iglou? ... Doch dein Herz kennt das Unglück. Ja, ich bin davon überzeugt.“

Hast du Muth, für Emiliens Besitz morgen ...

„Für Emiliens Besitz? Muth, Iglou, in den Tod zu gehen! Sag, was soll ich.“

Geduld! Hast du Muth für die Hoffnung auf Emiliens Besitz – so wollte ich sagen – vielleicht Zeuge zu seyn, daß sie des Barons Gattin wird?

„Für die Hoffnung? So ist noch Hoffnung da? O, für diese Hoffnung, Iglou, will ich ... Rede!“

Komm morgen um acht Uhr an die Linde im Garten. Du findest einen Kahn, und schiffest über. Im Garten bei der großen Linde erwarte ich dich. Nicht früher als um acht Uhr; auch nicht später! Du schweigst, Hilbert, und hoffest. Mit Niemanden mußt du sprechen, selbst nicht mit Emilien, wenn der Zufall sie etwa in den Garten führen sollte. Morgen ist Emiliens Hochzeit.

„Hochzeit, Iglou?“

Hochzeit mit dem Baron! Du schweigst und hoffest. Hast du mich verstanden?

„Hochzeit mit dem Baron? und ich soll hoffen? ... Iglou, spotte nicht eines Menschen, der verzweifelt!“

Schweig und hoffe! Es ist die letzte Hoffnung, Hilbert. Noch einmal: hast du Muth auf ein Vielleicht Emilien am Altare, ja auch wohl als des Barons Gattin, zu sehen? Und wenn sie das würde – hast du dann Stärke genug, ihr Herz nicht mit dem Anblicke deiner Verzweiflung zu zerreißen? Hast du Muth, für die Hoffnung, Emilien dein zu nennen, ruhig zu sehen, daß sie auf ewig für dich verloren ist? Antworte!

„Verloren, und hoffen? Unbegreifliches Geschöpf, rede deutlicher! Bedenke, daß diese Ungewißheit zerstörender ist, als meine Verzweiflung. Sie wird bis morgen mein ganzes Wesen vernichten.“

Ich habe den Plan, dich und Emilien glücklich zu machen; nur das kann ich dir sagen. Es ist möglich, daß er mißlingt; und dann bedarf Emilie des Trostes, dich gefaßt zu sehen. Hast du Muth, wie dein Schicksal auch fällt, muthig zu scheinen?

Hilbert faßte Iglou's Hände, benetzte sie mit Thränen, und drang mit Bitten und Beschwörungen in sie, um ihren Plan zu entdecken. Sie wendete sich hin und her, weil sie des Barons ebenso wie Hilberts zu schonen hatte. Genug, sagte sie endlich versichernd: du hast Ursache zu hoffen. Um acht Uhr morgen früh an der Linde! an der großen, die sich über die Nieder beugt! – Sie verließ ihn schnell, weil sie sich zu schwach fühlte, seinen Thränen, seinen Bitten länger zu widerstehen. Nun sagte sie dem Baron, daß sie auf eine gute Art Hilberten nach Büdesheim bringen würde. „Iglou“, erwiederte er, „du wirst sehen, es ist vergeblich. Sie liebt ihn nicht. Wärest du nur zugegen gewesen!“

Iglou sagte ruhig: Wohl! ich bin dann überzeugt, daß du Emilien nicht unglücklich machst, und auch du bist es. Diese Probe ist nöthig, so nöthig, wie wir sie verabredet haben. Die Koch, Hilbert, Emilie – Alle werden dann sehen, daß du dein Glück nicht auf das Elend Anderer bauen willst. Hilbert wird weinen; aber er wird dich segnen. Und deine Iglou? o, die ist glücklich, wenn du es bist. – „Ich werde es seyn!“ sagte der Baron.

Die arme Emilie war nun, als sie sich allein auf ihrem Zimmer befand, der Raub ihrer zerstörten Hoffnungen. Die Nähe ihres vollendeten Unglückes entriß ihrem Herzen Seufzer, die sie vergebens unterdrücken wollte. Ihre Kraft ermattete nun, und sie erlag, schwach wie ein Kind, unter ihrem Schmerze. Iglou kam endlich in das Zimmer. Sie ergriff ihre Laute, und versuchte den Gram der Unglücklichen zu mildern. Ihr Busen brannte von Liebe zu Emilien, von Mitleiden und Freude; und doch mußte sie ihre Freude verbergen, und durfte Emiliens verstorbene Hoffnungen nicht wieder beleben. Sie nahm die Laute, und sang mit ihrer reinen Stimme zu einer sanften, ruhigen Melodie:

 

Du weinst, du ringst verzweiflungsvoll die Hände,

Und hoffnungslos schlägt dir das bange Herz;

Wenn nun schon längst dein Schutzgeist bei dir stände,

Zu lindern und zu enden deinen Schmerz?

Verzweifle nicht, wenn auch das Herz dir bricht!

Dein Schutzgeist nah't: hoff und verzweifle nicht!

 

Emilie merkte Anfangs nicht auf diese Worte, obgleich Iglou sie mehrere Male sang. Endlich fragte sie: „hab' ich auch einen Schutzgeist?“ Iglou flog auf sie zu, und rief herzlich: wenn du auch keinen hättest, Emilie; ich will dein Schutzgeist seyn!

„Recht, Iglou! du hast die Farbe meines Geschickes. Du bist mein Schutzgeist.“

Ja, dunkel ist meine Farbe, aber hell meine Hoffnungen. Ich will dein Schutzgeist seyn, und so dir zurufen: Emilie, hoffe! hoffe!

Iglou rief die Worte in einem solchen, Vertrauen erregenden Tone, daß Emilie aufsah und einen scharfen Blick auf sie warf. „Hoffe?“ fragte sie; „kannst du machen, daß morgen nicht ist, nicht wird?“

Das wollte ich nicht, wenn ich es auch könnte, weil ich dein Schutzgeist bin. Aber dein Schutzgeist ruft noch einmal: Emilie, hoffe! Thränen, Emilie, sind die Aussaat, Freuden die Ernte. Soll ich dir das Lied singen?

„Nein, deine Laute stimmt nicht.“

Meine Laute stimmt, Emilie; aber dein Herz ...

„So stimme die Laute nach meinem Herzen! Ach, dann würde ihr erster Laut mich tödten. Ich bitte dich, Iglou, nenne das Wort Hoffnung nicht wieder, und laß uns schlafen. Du weißt nicht, wie sehr ich müde bin.“

So sey dein Schlummer süß! sagte Iglou, und zerfloß in Thränen; dein Schutzgeist wird für dich beten!

Emilie hatte noch kein Auge geschlossen, als der schreckliche Morgen erschien. Sie hörte den Gesang der erwachenden Vögel, den Schlag der Nachtigall, die vor ihrem Fenster brütete, mit fürchterlicher Angst. In Burggräfenrode fing es an zu läuten. „Läutest du zu meinem Tode, Hilbert?“ fragte sie und starrte über den Wald hin. Jetzt schien sie sich von allen Menschen verlassen, und fing an laut und schmerzlich zu weinen. Iglou sprang von ihrem Lager auf, und faßte Emilien in ihre Arme. Unglückliche, sagte sie schnell und heftig: weine nicht! Du brichst mir das Herz! Sieh da! da! (Sie zeigte auf die Linde an der Nieder.) Der Ewige gießt Licht auf die ganze Erde; meinst du, er habe dein Herz allein vergessen? Sieh, wie es durch die dunkeln Wolken bricht! Ist dein Kummer undurchdringlicher? Hoffe, Emilie! Du hast der Treue dein Herz zum Opfer gebracht; wird der Ewige, der auf den gute Willen segnend herabsieht, dies Opfer zerschmettern, weil du es bringst, du Stolze? Hoffe, Emilie, um nicht zu erröthen, daß du verzweifeln konntest! Noch einmal: hoffe!

Emilie warf einen nachdenkenden Blick auf Iglou, deren Augen flammten, und deren Stimme erhaben, rührend, voll Zuversicht war. Auf einen Augenblick traf ein Strahl von Hoffnung ihr Herz; aber der Gedanke, daß Iglou gar nicht einmal wisse, warum sie traure, verschlang ihn wieder. Sie sagte: kennst du meine Thränen, Iglou? Iglou erwiederte lächelnd: komm Emilie! ich will dich ankleiden helfen. Sey stark! Du wurdest zu Leiden, zu Hoffnungen, zu Freuden geboren; und zu allem gehört Kraft. Komm, sey stark! du bist es meinem gütigen Herrn schuldig.

Die letzten Worte erinnerten Emilien wieder an ihren Entschluß, das große Opfer mit Standhaftigkeit zu bringen. Sie trocknete ihre Augen, und sammelte allen ihren Muth. Iglou sah Emiliens bitterm Kampfe mitleidig zu, und hätte ihr gern ihre Hoffnungen mitgetheilt; aber sie scheute des Barons Veränderlichkeit, und selbst Emiliens Starrsinn. Emilie kleidete sich an, wobei Iglou ihr half. Als sie fertig war, brachte Iglou einen Brautkranz hervor. Emilie wurde bleich; doch faßte sie sich wieder. „Zeig einmal!“ sagte sie; „was hast du zu dem Kranze genommen?“ – Iglou erwiederte lächelnd: das menschliche Leben; einen Kreis von Hoffnungen und Thränen: Rosenknospen in einen Zypressenzweig geflochten. Es soll dich lehren, Emilie, bei den Thränen an die Hoffnungen, und bei den Freuden an die Thränen zu denken. – „Muß auch ich an Hoffnungen denken?“ fragte Emilie. Doch ja; an die Hoffnung, daß der Kranz welkt. „Setz ihn mir auf, Iglou.“

So spielte Iglou mit Emiliens Kummer, und hielt sie dadurch im Zimmer, weil sie fürchtete, daß der Baron sich verrathen möchte. Nun ging sie auf eine Viertelstunde zu dem Baron hinunter und fand ihn nachdenkend sitzen. So nahe seinem Glücke, so nahe der Stunde, da er die schönste Celtin in seine Arme schließen sollte; und nun! – Er fing an es zu bereuen, daß er versprochen hatte, Emiliens Liebe auf die Probe zu setzen. „Iglou“, sagte er; „sollte die heutige Probe Emilien nicht beleidigen?“ Iglou bemerkte seine Unruhe, seine Reue, und zitterte für ihn und für Emilien. Mit wankender Stimme, mit schlagendem Herzen, sagte sie die erste Unwahrheit in ihrem Leben. Das glaube ich kaum. Beleidigen? wenn du ihr lieber entsagen, als sie unglücklich sehen willst? Zwar fange ich an zu glauben, daß du Recht hast, daß Emilie dich liebt. – „Mich liebt?“ fiel der Baron ein; und sein Gesicht erheiterte sich. „Nein, Iglou, ich verlange Gewißheit. Wir wollen die Probe machen; du sollst dich überzeugen.“ Iglou erhielt diesen Gedanken bei ihm lebendig.

Als der Prediger kam, holte Iglou Emilien ab, faßte sie in ihre Arme, und sagte: der Prediger ist da! Nun, Emilie, sey stark, sey groß! Emilie fragte zitternd und ängstlich: und ich sollte hoffen? – Hoffnung ist der Lohn der Stärke! erwiederte Iglou.

Bei jedem Schritte, den Emilie dem Baron näher kam, war ihr, als ob die Erde unter ihr sänke. Frau von Koch, der sie sich in die Arme warf, flisterte ihr leise zu: noch ist es Zeit, dich zu retten! Diese Worte gaben Emilien ihre Fassung wieder. Sie wendete sich zu dem Baron, und sagte leise, mit einem Tone, den er für zärtlich hielt, der aber aus einem trostlosen, kranken Herzen kam: hier ist meine Hand! ... und hier mein Herz! setzte sie mit einer Umarmung schnell hinzu.

Man ging auf den Saal. Emilie war blaß, und zitterte, wie jede unschuldige Braut. Der Prediger trat mit der Agende an den Tisch; und nun fing der Baron, der seiner Sache jetzt völlig gewiß war, mit fester Stimme an: „Bis hieher, Emilie! Die Stärke, deren Sie über ihr Herz fähig waren, sey meine Rache und Ihr Triumph. Sie lieben mich nicht, Emilie; Sie lieben Hilberten. Ihre Pflicht hat Sie bis hieher geführt; nun führe die Liebe Sie vor den Altar. Sie sind frei, Emilie; der Prediger ist da, der Altar wartet Ihrer ...“

Und hier ist Hilbert! rief Iglou, die in diesem Augenblicke mit Hilberten in die Thür trat. Emilie stand wie eine Bildsäule, mit schlaff hangenden Armen, da. Ihre Farbe wurde immer weißer und weißer, als der Baron sprach. Er glaubte, sie sollte ihn unterbrechen; aber sie sagte kein Wort, und nur ihr Busen flog in großer Bewegung. Bei Iglou's Ausruf: hier ist Hilbert! schrak sie zusammen, und hob die Arme auf, als ob sie sich vor ihm scheute. Sie warf einen unbeschreiblichen Blick auf den Baron, neben dem Iglou stand, und streckte ihm die Arme entgegen.

„Siehst du, daß ich Recht habe?“ flisterte der Baron Iglou zu, ohne seinen Blick von Emilien abzuwenden. „Siehst du, wen sie liebt?“ – Auf einmal goß sich Leben in die Bildsäule. Emilie eilte freudig auf Flaming zu, und sank ihm zu Füßen. O, ist es wahr, edelster der Menschen? rief sie; und neben ihr lag Hilbert auf den Knieen vor dem Baron; ist es wahr? O, gütiger Gott! ist es kein Traum?

„Emilie“, sagte der Baron, sehr bestürzt über die Scene. „beruhigen Sie Sich! Sagen Sie doch deutlich, was Sie wünschen.“

Wünschen? O, großmüthigster der Menschen, hab' ich noch etwas zu wünschen. Sind nicht alle Wünsche dieses Herzens gesättigt? O Gott! Hilbert soll mein seyn! – Mit diesen Worten sank sie in Hilberts Arme. Sie rief: o, geliebter Hilbert! und er: o, theure Emilie!

Siehst du? sagte Iglou mit funkelnden Augen: siehst du, daß sie ihn liebt? – Sie eilte in die Umarmung der Liebenden. Frau von Koch ging schnell auf den Baron zu, umarmte ihn mit thränenden Augen, und sagte: Flaming, die Erde trägt einen so edlen Mann nicht mehr als Sie. O, wahrhaftig, auch ich möchte knieen und Ihnen die Hände küssen. – Sie fiel mit ihrer gewöhnlichen Heftigkeit wirklich auf die Kniee vor ihm. Der Baron stand wie versteinert da, und warf finstre Blicke umher. Der Prediger kam und gratulirte ihm zu seiner edlen That mit vielen Verbeugungen; dann wünschte er dem liebenden Paare Glück zu der so schnellen Verbindung. Er ging immer um die Knieenden her, und hörte nicht auf sich zu verbeugen. Endlich fragte er: ist es denn Euer Gnaden Wohlmeynen, daß Dieselben sogleich getrauet werden wollen? In dem Falle müßten Sie Sich doch wohl ein wenig von der Erde erheben. Er merkte am Ende wohl, daß er tauben Ohren redete, und sagte es nun auch der Frau von Koch. Ja wohl! rief diese: auf der Stelle! Sie zog Emilien und Hilberten in die Höhe. Emilien schloß den Baron freudetrunken in die Arme; und Hilbert drückte dessen Hand an seine Lippen. Der Baron ertrug alles geduldig, und sah starr vor sich hin, ohne eine Bewegung zu machen.

Frau von Koch zog nun das Paar zu dem Prediger. Alles war im höchsten Taumel der Freude, und niemand merkte, wie wenigen Antheil der Baron nahm. Nach der Trauungs-Ceremonie, die Flaming mit starren Augen angesehen hatte, hüpfte Emilie sogleich zu ihm, und rief frohlockend: nun! nun, edelster Mann! Jetzt erwachte er endlich halb aus seiner Betäubung. „Also, Sie lieben mich nicht?“ fragte er mit trauriger Stimme; und in dem Augenblicke rief Iglou Emilien zu: „hoff und verzweifle nicht!“ damit sie des Barons Frage nicht hörte. Emilie flog in Iglou's Arme. Ach, mein Schutzgeist! geliebte Iglou! Du wußtest es, du Grausame! und ließest mich verzweifeln! –

Mit einem lauten und langen Ach! erwachte der Baron endlich aus seiner Träumerei. Frau von Koch hängte sich den Augenblick an seinen Arm, und rief: in den Garten! Man folgte ihr; aber der arme Baron ging, als er an seiner Thür war, mechanisch in sein Zimmer, warf sich da auf einen Stuhl, und fing aufs neue an, vor Verdruß, Scham und Kummer in seltsame Grillen zu versinken. Er war wie vernichtet.

Iglou kam, und erzählte ihm, wie Emilie, wie Hilbert ihn anbeteten, wie innig sie seine Großmuth bewunderten; daß Emilie ihn den besten der Menschen, und Hilbert ihn einen Gott auf Erden nennte. Aber, so wohl ihm das auch that, so heilte es dennoch seine Wunde nicht. Er war von zu vielen Seiten, und so unvermuthet, getroffen. „Eine so reine Celtin!“ rief er; „o Himmel! in den Armen eines – höchstens nur Halb-Celten! Ach, ich könnte ihr Brautbett mit eben der Trauerempfindung betrachten wie das Schlachtfeld bei Tübingen! ...Wie wird nun die Frau von Koch über meine Form der Schönheit spotten! Und hat sie nicht Recht dazu? Da geht das ganze schöne System verloren! Hätte Emilie die Harmonie verstanden; gewiß wäre sie mir dann nicht untreu geworden.“ – Er hatte jetzt an seinen Systemen, in welche Emilie mit ihrer Treulosigkeit große Lücken gerissen hatte, so viel auszubessern, daß er seinen Schmerz nur halb fühlte. Die Sache war nun einmal geschehen; er spielte daher den Großmüthigen fort, und Iglou verrieth ihn nicht mit einem Blicke. Die beiden Liebenden verehrten ihn in der That mit der heißesten Dankbarkeit und Freundschaft. Frau von Koch erzählte ihnen in seiner Gegenwart ihre Unterredung mit ihm. Warum, fragte sie dann, behaupteten Sie denn aber so heftig das Gegentheil von dem, was Sie doch wußten?

„Ich wollte Emilien den Triumph der erfüllten Pflicht zu ihrem Brautschatze geben.“ – Nein, sagte die Koch aufrichtig und mit wahrem Erstaunen: in der That, einen Mann, der so sehr gegen alle Erwartung seinen Weg geht, kenne ich nicht. Sie sind mir unbegreiflich, Baron!

Noch unbegreiflicher wurde ihr und Allen des Barons Großmuth, als sie sahen, wie viel ihm Emiliens Verlust wirklich kostete. Er blieb meistens allein, und sehr oft überraschte man ihn in der kummervollsten Stellung. Wenn er die Liebkosungen des jungen Paares sah, mußte er seine Augen abwenden. Emilie fragte ihn einmal um die Ursache seiner Trauer; denn sie war fest überzeugt, daß er sie nicht mehr geliebt hätte. „Ach!“ sagte er; und sein Auge wurde naß: – „soll ich nicht über den Verlust meiner Emilie trauern?“

Emilie legte, ohne darauf zu antworten, einen Augenblick ihre Wange an seine Brust. Ihre Dankbarkeit wurde Leidenschaft, und sie versäumte sogar ihren Mann, um den edelmüthigen Flaming zu erheitern. Wirklich konnte er dem Gedanken, wie glücklich Emilie und Hilbert durch ihn geworden waren, der vereinigten, zärtlichen Liebe, der rührenden Dankbarkeit aller Menschen nicht lange widerstehen. Er wurde wieder heitrer. Seine Liebe zu Emilien verwandelte sich in die Zärtlichkeit eines Vaters, und sie begegnete ihm mit der liebevollen Ehrfurcht eines dankbaren Kindes. Frau von Koch behandelte ihn mit einer Achtung, die ihn um so mehr ehrte, da er der einzige Mann war, den sie so auszeichnete. Ja, sagte sie oft, ein Mann, der so, mit dieser Sicherheit, mit dieser Großmuth, mit dieser Aufopferung handeln kann, ist ein Weiser. Hilbert war zu dankbar gegen den Baron, als daß er ihm ferner hätte widersprechen sollen; und so genoß denn der Baron zum ersten Male des so reitzenden Vergnügens, in einem Kreise von Menschen zu seyn, die ihn sagen ließen, was er wollte, ohne dabei zu gähnen, oder ihn durch Widerspruch in Verlegenheit zu bringen.

Das einzige Unangenehme war ihm am Ende nur noch, wenn Emilie auf Hilberts Schooße saß, und ihr blondes Haar sich mit dessen braunen Locken mischte. Dann stand er wohl auf, und dachte mit Verdruß: „welche Celten sind da verloren gegangen!“ – Frau von Koch hatte große Ehrerbietung für des Barons Weisheit. Nur Ein Punkt verwickelte sie wieder mit ihm in neue Streitigkeiten. Man sprach einmal von Hilberts Kindern, die vielleicht kommen könnten, und Frau von Koch drang auf eine Amme. Diese Vorstellung war dem Baron abscheulich. „Ich beschwöre Sie, Emilie“, sagte er eifrig; „sollten Sie Mutter werden, so säugen Sie Ihr Kind selbst! Sonst, bei Gott! geht der Celte ganz und gar verloren!“

Frau von Koch kämpfte dagegen; doch Flaming zog auch Hilberten auf seine Seite. Er las ihm aus dem Aulus Gellius (Noctes Atticae XII, 1.) vor, und beweis ihm: die Alten wären schon längst seiner Meinung gewesen, daß die Ammen den Kindern ihren niedrigen Charakter mittheilten. Er übersetzte der Frau von Koch und Emilien diese Stelle. Von jetzt an trug er den Gellius immer bei sich, und sobald die Frau von Koch wieder von einer Amme sprach, zog er ihn hervor. Emilie endigte den Streit durch die Versicherung: sie wolle ihr Kind selbst säugen; und in dem Falle, daß es unmöglich wäre, sollte doch die blondeste Amme in ganz Deutschland verschrieben werden. Hilbert bekräftigte das Versprechen seiner Frau mit einem Handschlage, und Flaming war nun zufrieden, da man doch Emiliens Kinder wenigstens so Celtisch machen wollte, als es noch möglich war. „Ganze Celten“, dachte er, „werden sie freilich nicht; denn Hilberts Haar ist allzu braun, als daß ich ihm trauen sollte!“

Der Baron gewöhnte sich nach und nach so sehr an diese Familie, als ob er bestimmt wäre, ewig mit ihr zu leben. Seine Grillen verloren unter diesen Menschen allmählich ihr Auffallendes, ob er sie gleich nicht fahren ließ. Je näher Hilbert den Baron kennen lernte, desto mehr schätzte er ihn wegen seines guten Herzens, seiner uneigennützigen Wohlthätigkeit, und selbst wegen seiner mannichfaltigen Kenntnisse. Er suchte ganz von weitem seinen Grillen beizukommen; aber das war nicht möglich. Wenn des Barons Systeme durch Hilberts, immer als Lernbegierde eingekleidete, Einwürfe auf der einen Seite etwas verloren, so gewannen sie auf der andern wieder desto mehr. Selbst Emilie lernte durch den langen Umgang mit dem Baron, und aus den Gesprächen mit ihrem Manne, dessen Grillen kennen, und versuchte ihn zu heilen; doch es war vergeblich, da die Grillen allzu fest saßen. Iglou, die nun schon ganz mit zur Gesellschaft gehörte, Emiliens Freundin, und noch immer ihr zärtlicher Schutzgeist – Iglou war der Meinung, man sollte seine Grillen unangetastet lassen. Hört ihn, sagte sie, über die Schwarzen sprechen, so werdet ihr glauben, er könne keinen Mohren sehen, ohne ihn zu tödten. Und wie liebt er mich! wie zärtlich ist er für mich, für meine Zufriedenheit besorgt! Ach, bei Tausenden ist das Herz schlechter als der Kopf; und was wolltet ihr lieber? Er läßt alles fahren, nur seine Grillen nicht.

Aber wie ist es möglich, sagte Emilie, daß er gar nicht merkt, in welche Widersprüche er sich verwickelt!

„Dem Gelehrten, liebe Emilie,“ erwiederte Hilbert, „ist alles möglich. Glaube mir, der Baron hat auf Erden unendlich viele Brüder. Herbert von Cherbury, ein gelehrter, edler Mann, voll der eifrigsten Wahrheitsliebe, schrieb ein Buch, worin er die Wahrheit der Wunder in der Bibel bestreitet. Als er sein Buch vollendet hatte, stand er an, ob er es bekannt machen sollte oder nicht, weil es vielleicht Schwachen anstößig seyn könnte. Sieh, Emilie, welch eine Zartheit des edelsten Gefühls! Er konnte seine Zweifel nicht auflösen. Und was that er nun? Er warf sich auf die Kniee, und bat Gott, ihm durch ein Wunder ein Zeichen zu geben, ob sein Buch nützlich sey oder nicht. „Gott that das Wunder, das ich verlangte“: so schreibt der Mann in eben dem Buche, worin er die Wahrheit der Wunder bestreitet. Kannst du dir einen auffallendern Widerspruch denken? Ein Buch gegen Wunder zu schreiben, und zu glauben, daß des Buches wegen eins geschehen sey!“ – Kurz, man ließ den Baron in Ruhe, und bisweilen wußte man wochenlang kaum, daß er Grillen hatte.

Iglou war das Leben dieses kleinen Kreises von Menschen. Die Römischen Schriftsteller, die sie eifrig studierte, hatten ihr eine Bildung des Geistes gegeben, wie Frauenzimmer sie nur selten erhalten. Sie sprach gut; aber ihre Art sich auszudrücken, war etwas sonderbar: kräftig, voll Sentenzen. Die Laute spielte sie höchst vortrefflich, und trennte sich nur selten von ihr. Ihre Leidenschaftlichkeit in allen Empfindungen war dabei jetzt so gemäßigt, daß sie nur eine hohe Begeisterung für alles Schöne und Gute schien; und eine sanfte Melancholie, eine Folge des Schicksals, gab ihrem ganzen Wesen etwas Erhabenes, etwas Geheimes, Räthselhaftes. Sie schien, wenn sie ihre Einsamkeit verließ, die sie noch immer gern suchte, aus einer andern Welt zu kommen. Die Unterhaltung nahm, sobald sie hereintrat, etwas Feierliches an; und fühlte sie sich durch irgendeinen Gedanken gerührt, so griff sie in die Saiten ihrer Laute, und theilte ihre Empfindung den Andern mit.

Ich weiß nicht, sagte die Koch, wie es zugeht! Wenn Iglou kommt, so ist es, als ob man sich schämte, von etwas Anderem zu sprechen, als von Tugend, von Menschlichkeit. – Und so war es wirklich. Iglou begeisterte Alle; ihre Lautentöne, ihre Gesänge erhoben die Herzen ihrer Freunde, und füllten sie mit den Ahnungen, den Empfindungen einer besseren Welt. Das einzige Gefühl, das der erhabnen Iglou den Stempel des Menschlichen aufdrückte, war ihre Liebe zu dem Baron. In diesem Gefühle glich sie einem spielenden Kinde, einem jungen zärtlichen Mädchen. Eine Liebkosung des Barons, ein finstrer Blick von ihm setzten sie außer sich; doch in der Einsamkeit bekam sie ihren Charakter wieder.

So wie sie der Schutzgeist von Emiliens Liebe gewesen war, so blieb sie noch immer der Schutzgeist des Wilden im Walde. Ihre Laute, ihre Gespräche, ihre begeisterte Theilnahme hatten das Herz des Unglücklichen wieder erwärmt, und seine finstre Verzweiflung vertrieben. Sie besaß eine unbeschreibliche Gewalt über ihn; aber dennoch gelang es ihr nie, zu erfahren, wer er wäre, und welch ein Verbrechen auf seinem Herzen läge. Wenn sie das Gespräch von fern dahin leitete – denn geradezu fragte sie nie –, so senkte er das Haupt auf die Brust, blickte wild um sich, und war nur mit großer Mühe wieder zu beruhigen. Sie vermied daher zuletzt jeden Anlaß, ihn an sein Verbrechen zu erinnern. Die Flöte war seine Beschäftigung, und das einzige Buch, das er las und sich von Iglou forderte, Pope's Versuch über den Menschen. Iglou hätte ihm gern das Buch wieder genommen, weil es ihn aufs neue in den alten Trübsinn zu stürzen schien; aber er ließ es sich nicht nehmen. „Dies Buch“, sagte er einmal sehr bedeutend zu Iglou, „veranlaßte mein Verbrechen, und ist jetzt dessen Rache.“ Iglou verstand ihn nicht.

Sie suchte nach und nach seine Blicke wieder auf das thätige Leben zu lenken; aber er schüttelte den Kopf, und sagte: „Alles was ich thue, ist vergiftet. Hier muß ich sterben!“ Er wurde nie heiter; seine Empfindung war nichts als eine traurige Geduld des Leidens. „Hoffnung ist nicht mehr!“ sagte er; „du bist meine einzige Hoffnung.“ Und das war Iglou wirklich. Schon ihr Anblick riß den Wilden aus den Träumen auf, in die er versank, wenn sie nicht da war. Er floh alle Menschen, nur Iglou nicht. Hilbert mußte endlich die Sorge für ihn, die er gern mit ihr getheilt hätte, ihr allein überlassen; und sie ließ, selbst bei schlechtem Wetter, selten einen Tag vergehen, ohne ihren Unglücklichen zu besuchen.

Man lebte in dem Hause der Frau von Koch zufrieden und heiter; und die Heiterkeit wurde durch Emiliens Zustand bald noch vermehrt. Sie fühlte, daß sie Mutter werden würde; und natürlich verschlang diese Idee alle übrigen. Nie hat eine vielfachere und zärtlichere Liebe einem Kinde entgegen geharrt als diesem. Flaming, der immer sehr methodisch verfuhr, fing an alles über die Erziehung zu lesen, was er nur kannte, besonders Locke und Rousseau. Er theilte seinen Enthusiasmus den Uebrigen mit, so daß sie gemeinschaftlich die Erziehung studierten. Emilie ließ sich jede Methode gefallen, weil alle darin einig waren, daß Kinder mit Liebe erzogen werden müssen. Dagegen erhoben sich heftige Streitereien zwischen dem Baron, Hilberten und der Frau von Koch. Flaming verlangte, daß alles, was sich dem Kinde näherte, blond seyn sollte. Aber Iglou? fragten Hilbert, Emilie, die Koch, und Iglou selbst, zu gleicher Zeit. Nun freilich; die sollte eine Ausnahme machen. Das ließ man hingehen; doch außerdem that der Baron so seltsame Vorschläge, und drang auch zugleich so lebhaft auf Vorkehrungen dazu, daß Hilbert, so gern er auch gewollt hätte, nicht still schweigen konnte. Man fing an zu disputiren; man wurde zuletzt hitzig. Frau von Koch war auf Hilberts Seite, Iglou und Emilie standen zwischen Beiden. In der Hitze des Streitens ließ der Baron einmal ein Wort von dem schwarzen Haare und der vollen Brust der Frau von Koch fallen; und sie sagte ihm: wenn Sie selbst Kinder haben, so erziehen Sie sie meinetwegen wie Hunde oder wie junge Katzen!

Diese Worte machten den Baron still und in sich gekehrt. Er trat in ein Fenster. „Ist es denn nicht wahr?“ fragte er sich selbst. „Da predige ich Leuten ohne Sinn höhere Weisheit, und ich sehe voraus, daß die Frau von Koch mit ihrem schwarzen Haare doch Unkraut zwischen den Weizen säen wird. Warum gehe ich nicht lieber, zeuge selbst Kinder, und erziehe sie nach einem vollkommenen Plane?“ Ganz lebendig stand auf einmal Auguste von Breitenbach vor seiner Seele, und rings um sie her ihre blonden blauäugigen Ahnen. Es war ihm unbegreiflich, wie er nicht schon längst an sie hatte denken können. Er ging auf sein Zimmer, überlegte, sann; und bald war sein Plan gemacht, sein Entschluß gefaßt. Schon nach einer Stunde erklärte er seinen Freunden, daß er morgen nach Berlin abreisen würde, um der Welt zu zeigen, wie man Kinder erziehen müsse. Er packte seine Bücher, seine Todtenköpfe, und einige Knochen, die er bei Tübingen auf dem Schlachtfelde gefunden hatte, mit großer Sorgfalt ein. Auch Iglou machte Anstalten zur Reise. „Du willst mit mir, Iglou?“ fragte er: „mich dünkt, du lebst hier so glücklich. Ich habe dir deine Freiheit gegeben. Wenn du bleiben willst, Iglou ...“ Ich bin dein bis an den Tod! sagte das treue Mädchen; wo du nicht bist, kann ich nicht glücklich seyn. Sie ging noch einmal zu ihrem Wilden. Als sie ihm ihre Abreise ankündigte, hob er seine Blicke in die Wolken, und sagte langsam, traurig: „noch immer richtest du mich!“ dann blickte er auf Iglou. „Geh! mein Schicksal ruft dich!“ Er wendete sich um, und ging still und traurig in das Gebüsch. Iglou hob die Hände zum Himmel, als ob sie für ihn betete; dann ging sie eben so traurig.

Die Stunde des Abschiedes war sehr schmerzlich. Iglou hatte wieder Mannskleider angezogen. Emilie schenkte ihr einen Ring von großem Werthe; aber von größerem war das Gefühl, mit dem sie ihre Freundin umarmte, mit dem sie sagte: sey glücklich, edle, theure Iglou! mit dem sie sich gewaltsam von ihrer Brust riß. Iglou sagte: wir finden uns einmal wieder, Emilie! Die Hälfte meiner Seele bleibt bei dir. Sie riß sich los, und sprang in den Wagen, der schnell dahin rollte.

Ununterbrochen ging die Reise fort. Nichts hielt den Baron auf; Auguste und ihre Ahnen waren das Ziel seiner Gedanken. Endlich sah er Berlin vor sich, und legte sich nachdenkend in die Ecke des Wagens. Er hatte nun seine dreijährige Reise vollendet; und es war sehr natürlich, daß er sich fragte: was hast du gewollt? was hast du gethan? Emilien wollte er aufsuchen und mitbringen; und anstatt der reinen, blonden, edlen Celtin saß neben ihm eine unedle, schwarze, dicklippige Mohrin. Er wollte die Staatsverfassungen von Europa studieren, und wußte nicht einmal von Deutschland etwas mehr als die Verfassung des Dorfes Vilbel, bei dem er doch auch nicht mit Gewißheit sagen konnte, wem die Haut des Esels eigentlich gehörte. L'homme voyageur? Ach, bis auf Rosinen und Konrad (von denen er aber nicht gern sprach), und bis auf Iglou, war ihm nicht Ein recht Unglücklicher aufgestoßen. Er wollte reine Celten an Ort und Stelle kennen lernen; und anstatt ihrer hatte er Menschen gefunden, die lebten, um zu essen, zu trinken und ein Paar Mätressen zu halten. Einige edle, wohlthätige Domherren galten ihm für nichts. „Es ist wahr“, dachte er zu seiner Beruhigung, „ich habe nichts von den Absichten meiner Reise erreicht; aber unnütz ist sie darum doch nicht gewesen. Die Spanischen Schedel, welch ein Schatz! Und mein System über die Liebe! Freilich bedarf es wohl noch einer Verbesserung; oder ich müßte Emilien unter die Ausnahmen rechnen. Aber, wenn auch das alles nicht wäre, so bring' ich doch Mittel gegen die Wollust mit: die Römische Sprache, und den Generalbaß; und die hat doch die Erfahrung bewährt. Wie keusch ist nicht meine Iglou! wie rein sind alle ihre Gedanken, wie erhaben alle ihre Begierden! Wenn das die Wirkung bei einer Negerin war; was wird sie nicht bei einer Celtin seyn! Ja, ja, meine Reise ist belohnt genug.

Unter diesen Gedanken kam er zu Berlin an. Er fand Käthen und ihren Mann nicht, weil sie nach Schlesien zu seiner Mutter gereist waren; daher trat er in einem Wirthshause ab. Schon am folgenden Morgen ging er, so früh er es schicklicher Weise konnte, zu Augusten. Er pochte an ihre Thür, und eine angenehme Stimme rief: herein! – Als er öffnete, kam ihm ein junges schönes Mädchen, aber nicht Auguste, entgegen. Er fragte nach dem Fräulein von Breitenbach. Das Mädchen wußte von ihr nichts. – „Sie hat hier vor Ihnen gewohnt.“ – Vielleicht weiß mein Bruder davon, erwiederte das Mädchen, und öffnete eine Nebenthür. Der Bruder wußte eben so wenig. Während daß beide Männer miteinander sprachen, trat das Mädchen an das offne Klavier, und trillerte eine Italiänische Opernarie. Der Bruder erbot sich, die Wirthin zu rufen, und ging hinaus. „Welch ein seltsames Geschick!“ sagte der Baron halb vor sich, halb zu dem Mädchen, das jetzt wieder zu ihm trat. – Das Mädchen interessirt Sie sehr, wie ich sehe. – „Sehr! Ich bin in Berlin, ihr meine Hand anzubieten.“ Jetzt kam die Wirthin vom Hause, und der Baron hörte zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß Auguste einen Herrn von Pleß geheirathet habe. – „Geheirathet?“ fragte er mit einem tiefen Seufzer. Das Mädchen lachte ganz laut, und sagte: ich bedaure Sie. Er kommt hierher, – so wendete sie sich zu ihrem Bruder – um das Fräulein zu heirathen.

„Sie hatte“, fuhr der Baron fort, „hier im Zimmer eine Menge Portraits hangen. Wissen Sie nicht, was aus denen geworden ist? ... Ach, sagen Sie mir doch: hat der Herr von Pleß schwarzes Haar, oder blondes?“

So viel ich mich erinnere, schwarzes. Es ist kein junger Mann mehr: ein dicker Herr, klein dabei. Ja, was wollte sie machen? Sie hatte kein Vermögen.

„Großer Gott! Und die Portraits?“

Stehen auf dem Boden hier im Hause.

„Wie? Ich meine die Portraits, die hier im Zimmer hingen? Der Bodo von Breitenbach ...“

Eben die.

„Unmöglich! denn diese Portraits sind unschätzbar. Geschwind lassen Sie mich sie sehen. Sie gehören Ihnen?“

Ja. Die Frau von Pleß hat sie mit anderem unbrauchbaren Zeuge hier gelassen.

„Madame, ich kaufe sie, für welchen Preis Sie wollen.“

Nun, hoch will ich eben nicht mit ihnen hinaus; sie stehen mir ohnedies im Wege.

Dem Baron glänzten die Augen vor Freude. „Für welchen Preis?“

Ich will sie holen lassen. Für einen Louisd'or sind sie Ihre. Es mögen wohl zwanzig seyn!

„Also zwanzig Louisd'or“, erwiderte Flaming. – Die Wirthin sah ihn groß an; sie hatte Einen Louisd'or für alle gefordert.

Der Baron betrachtete die Portraits, die in den Vorsaal gesetzt wurden, mit neuem Entzücken. „Sehen Sie“, sagte er zu dem Mädchen und ihrem Bruder, die mit ihm aus dem Zimmer gegangen waren –: „Sehen Sie, das ist der Bodo! Welch ein Gesicht! welch eine Erhabenheit! Sehen Sie die blonden Locken, die blauen Augen! Der hatte den großen Gedanken, seine Nachkommen zu verpflichten, daß sie edle Menschen bleiben sollten. Dieser Kopf ist mehr werth, als zehn Raphaels.“ Das Mädchen lächelte. Welch ein Kopf! hob sie auf einmal, wie begeistert, an. Wahrhaftig, man sollte niederfallen und anbeten. Was je Großes und Erhabenes geschehen ist, hat dieser Mann gethan! Und mehr als das! Man kann nicht sagen, was er gewesen ist. Fürsten würden sagen: er war ein großer König! Gelehrte: ein großer Gelehrter! Mädchen: ein großmüthiger Liebhaber! Und ich? ich sage: er war ein großer Koncertmeister, ein großer Virtuose, ein Generalbassist, größer als Sebastian Bach. Ich habe nie etwas Schöneres, Erhabneres, Lieblicheres gesehen. Steht ihm nicht die goldene Halskette wie keinem Kaiser der Reichsapfel und das goldene Zepter?

Der Baron bezahlte Stück für Stück sehr froh mit einem Louisd'or. Die Wirthin sagte, als sie das Geld einstrich: nein, ein Koncertmeister war er nicht, Mamsell Hedler; es ist meines Mannes Großvater, ein Huf- und Waffenschmid, der reich bei seinem Handwerke wurde. Die Kette hatte ihm Fräulein von Breitenbach erst mahlen lassen. – Mamsell Hedler erwiederte lachend: was thut das, Madame? Er war ein großer Schmid, ein erhabner Schmid. Was für Hufeisen muß der gemacht haben!

Der Baron betrachtete die Frau mit starren Augen. „Wie? ein Hufschmied? dieser Bodo?“ – Ja, dieser mit der Kette. Wir hatten ihn oben vor ein Dachfenster gestellt. Da kaufte ihn das Fräulein von mir, als sie die anderen Bilder zusammen suchen ließ. Unser Nachbar gegenüber, der Mahler, mußte allen blonde Haare und blaue Augen machen. Hier, der da, meines Mannes Großvater, hatte sonst Haar, so schwarz wie seine Kohlen. – „Madame, Sie lügen!“ rief der Baron erhitzt. – Nun, sagte die Frau, die für ihr Geld besorgt wurde: meinetwegen mag er Kaiser gewesen seyn! Unser Kauf ist richtig. Mamsell Hedler ist Zeuge. – Aber, fing Mamsell Hedler wieder an, sagen Sie mir doch, warum ließ denn das Fräulein Ihren Großvater zum Blondin machen? – Das weiß ich nicht, Mamsell. Sie kaufte diese Portraits hier und da zusammen, und der Mahler drüben gab ihnen blaue Augen und Flachshaar. – Der Baron stand wie betäubt da.

Mamsell Hedler wendete sich an den Baron. Nun sagen Sie mir doch, mein Herr, warum in aller Welt ...? Ich bin so neugierig!

„Eine höllische Betriegerei“, rief Flaming wild, „wenn es so ist! ... Madame, können Sie mir den Mahler schaffen?“ – Der Mahler kam, und bestätigte, was die Wirthin erzählt hatte. So aufgebracht war der Baron nie gewesen. Er tobte, und stieß das Bildniß des vermeinten Bodo mit den Füßen entzwei. Mamsell Hedler half ihm treulich, und zertrat die meisten Portraits. Ganz außer Athem, zog sie ihn endlich in ihr Zimmer, und bat ihn, nun zur Dankbarkeit ihr auch den Zusammenhang der Begebenheit zu erzählen.

Der Baron erwiederte: sie möchte ihn verschonen; die Geschichte wäre ihm unglaublich unangenehm. Die Wirthin fragte sehr demüthig an, ob sie das Geld behalten solle. „O ja, freilich! und die Portraits dazu!“ rief der Baron unwillig, weil man ihn noch einmal daran erinnerte. Das fand Mamsell Hedler sehr großmüthig. Hier also – sagte sie in einem lustigen Tone – hier wohnte die Ungetreue, welche die Betriegerei mit den Portraits ... Ach, die verwünschten Portraits werden mich noch um Schlaf und Essen bringen, so neugierig bin ich!

Jetzt fing der Baron an sich näher um die Leute zu bekümmern, bei denen er sich befand. Das Mädchen war eine reitzende Blondine, mit muthwilligen blauen Falkenaugen, und frischen, rothen Lippen, von schlankem Wuchse, schnell und leicht in ihren Bewegungen, mit runden vollen Armen, und in einer Kleidung, zwischen Nachtanzug und Negligé. Aber diese Kleidung; ihr Tuch, das nur über den Busen und die Schultern geworfen war, und das sie alle Augenblicke wieder aufs neue überschlagen mußte, weil ihre schnellen und häufigen Bewegungen es immer verschoben; der eine Rock, der ihr um die Füße schlug, und, wenn sie in dem Zimmer hin und her flog, wie im Winde flatterte; die Frisur nur halb gepudert, weil sie auf dem Sofa gelegen hatte: das alles ließ dem Mädchen außerordentlich gut und natürlich. Der Bruder, eine edle Figur, mit Feinheit und Anstand in allen Bewegungen, war ernst, seine Blicke scharf, der Ton seiner Stimme angenehm. Er erkundigte sich nach des Barons Nahmen und Umständen, aber ohne unbescheiden zu seyn, und, wie es schien, ohne gerade etwas wissen zu wollen. Schon nach einer halben Stunde hatte er einen Theil von den Grillen des Barons weg.

Die Schwester nahm wenig Theil an dem Gespräche. Sie jagte sich mit einem Schooßhunde umher, trällerte ein Liedchen, klimperte ein anderes auf dem Klaviere, und pfiff mit einem Kanarienvogel um die Wette. Dann warf sie sich einmal neben den Baron auf den Sofa, schlug die Arme über einander, als ob sie zuhören wollte, besah des Barons Points, und lief wieder davon.

Der Bruder sprach mit dem Baron sehr gut von den Wirkungen der Musik; er zweifelte, daß so große, wie der Baron behauptete, möglich wäre. Zwar, setzte er hinzu, habe ich in einzelnen Fällen von dieser schönen Kunst Wirkungen erlebt, die für Sie sprechen; aber es ist die Frage, ob sie von den Tönen, oder von der Stimmung des Menschen, der sie hörte, herrührten. Nun erfuhr der Baron, daß Herr Hedler ein Virtuose auf der Geige, und mit seinem Instrumente durch halb Europa gereist war. Man kam auf den Generalbaß. Hedler gab sogleich zu, daß die Harmonie das sicherste Mittel gegen Ausschweifungen sey. Ja, sagte er; das ist die göttliche Kraft der Musik! ein geheimer Zauber! Ich möchte nur wissen, Herr Baron, wie es zugeht, daß man nach einer guten Musik so zart, so seelenvoll fühlt, so über alle Sinnlichkeit erhaben ist!

Der Baron suchte ihm das zu erklären. Hedler gestand aufrichtig, daß er wenig von dem begreife, was der Baron sagte. Allein, setzte er hinzu, da Sie ein so warmer Freund meiner Kunst sind, so hoffe ich, Sie wieder zu sehen, Herr Baron; und, was ich heute nicht begriffen habe, begreife ich dann vielleicht morgen. Meine Schwester singt nicht übel, und hat vielleicht mehr Talent als ich. Er bat Julchen – so hieß die Schwester – eine Probe zu machen. Sie sprang an das Klavier, und spielte und sang in der That zum Entzücken des Barons, der hinter ihren Stuhl getreten war. Bald zog sie mit der linken, bald mit der rechten Hand, je nachdem die eine oder die andre pausirte, ihr Halstuch zusammen; aber alle Augenblicke sah der Baron bald die linke, bald die rechte Schulter, rund und weiß wie Alabaster. Er küßte Julchen die Hand für ihr bezauberndes Spiel, und bat sehr angelegentlich um die Erlaubniß, wiederzukommen. Die gab ihm Julchen, doch unter der Bedingung, daß sie die Geschichte mit den Portraits erfahren müßte. Er versprach das, und ging. „Das ist ein feiner Kopf, der Hedler!“ sagte er den Morgen wohl noch zehnmal.

Den folgenden Tag machte Hedler ihm einen Gegenbesuch. Man sprach über die Musik, und stritt zuletzt mit der Heftigkeit; aber dennoch hatte Hedler des Barons ganzen Beifall. Beide verabredeten, einander oft zu sehen, so lange der Baron in Berlin wäre. Flaming ging nun fleißig zu Hedler, und gefiel sich da immer mehr. Der denkende Ernst des Bruders zog ihn eben so stark an wie die natürliche Heiterkeit der Schwester, und es währte nicht lange, so machte er ihnen täglich Besuche.

Hedler war ein sehr geschickter Violinist, und dabei ein sehr feiner Kopf, der aber die große Untugend hatte, nirgends recht zufrieden zu seyn. Er war der Sohn eines Musikers in Wien, und kam schon als ein junger Mensch von achtzehn Jahren in die dortige Kapelle. Freilich hatte er unläugbare Geschicklichkeit in seiner Kunst; aber er war auch unbeschreiblich stolz und eitel, und dabei von Jugend auf an ein ganz regelloses Leben gewöhnt. Er verlor seine Stelle, weil er durchaus dem Kapellmeister nicht gehorchen wollte, und ging nun nach Italien. Dort war er bald reich: und dann spielte er den großen Herrn; bald wieder arm: und dann gab er Koncerte, oder suchte sein Glück in den Karten, oder hängte sich an irgend einen reichen Müßiggänger, dessen Launen er schmeichelte, um auf seine Kosten zu leben. Als sein Vater in ärmlichen Umständen starb, hatte er gerade einem reichen Engländer, an den er sich jetzt machte, das Leben gerettet. Der Engländer bezahlte ihm diesen Dienst mit verschwenderischer Großmuth. Nun ging Hedler nach Wien zurück, fand dort seine Schwester zu einer aufblühenden Schönheit heran gewachsen, spielte mit dem Gelde des Engländers den Lord, beleidigte seinen alten Feind, den Kapellmeister, und mußte endlich Wien aufs neue verlassen. Er nahm seine Schwester mit sich, durchzog Frankreich unter mannichfaltigen Begebenheiten, spielte bald den Baron, war bald wieder Künstler, und fuhr, so wie es sich nun gerade traf, jetzt in einer Equipage, oder ging dann mit der Geige unter dem Arme zum Unterrichte. Auf diese Art bekam er nach und nach tiefe Weltkenntniß und einen schnellen Takt, Menschen zu beurtheilen und zu behandeln, wovon er aber weiter keinen Nutzen hatte, als daß er von Zeit zu Zeit einmal wieder den reichen Mann spielen konnte. Dadurch gerieth er natürlicher Weise immer tiefer in den Taumel. Er wurde es gewohnt, sich ewig von dem Zufalle treiben zu lassen. Zwar betrog er nicht geradezu; aber er machte sich doch auch kein Gewissen daraus, einen reichen Thoren in den Abgrund der Verschwendung zu stürzen. Seine Schwester gewöhnte sich mit ihm an diese umherschwärmende Lebensart, an den Genuß der Vergnügungen, an Putz, an Verschwendung. Sie war nicht liederlich, aber in der That auch nicht unschuldig. Ein junger hübscher Franzose in Paris erhielt ihr Herz, und ihre Unschuld dazu. Sie liebte ihn nach ihrem Systeme, um zu genießen, und würde ihn geheirathet haben, wenn ihr Bruder es hätte zugeben wollen. Der junge Mensch hatte nichts als eine hübsche Figur, und Julchen war gewohnt zu verschwenden; so konnte denn aus einer Heirath mit ihm nichts werden. Sie sank nie zu den Buhlerinnen hinab, die sich jedem ergeben, wenn er bezahlt. Nein, sagte sie: auch mein Herz muß sein Theil haben. Aber freilich war ihr Herz nichts, als ihre Sinnlichkeit. Sie ergab sich einem reichen, jungen Engländer, und liebte ihn zärtlich; denn er machte um ihretwillen ungeheuern Aufwand. Alle Künste der Buhlerei verstand sie aus dem Grunde; aber wenn sich ihr Herz nicht von selbst für den Mann, den sie fangen sollte, interessirte, so war sie viel zu leichtsinnig, ihre Rolle durchzuführen, ob sich gleich ihr Bruder viele Mühe gab, sie dahin zu bringen, daß sie ihren Vortheil immer im Auge behielte. Sie plünderte ihre Liebhaber: nicht aus Habgierde; nein, aus Sucht zu glänzen, oder zu genießen. Nie hatte sie über ihr Leben nachgedacht. Sie war leichtsinnig, heiter, ausgelassen, gutherzig, großmüthig, verschwenderisch; kurz, sie suchte Genuß, und weiter nichts. So war sie endlich nach Berlin gekommen, freilich nur mit einigen kleinen Ueberresten ihres vorigen Glanzes.

Julchen gab einen Ring, eine Uhr nach der andern her, und bat den Bruder nur, ihr nichts vorzujammern. Sie fuhr spazieren, lief zu allen Lustbarkeiten, putzte sich, aß und trank gut; und so mußte sie einen Ring nach dem andern aufopfern. Endlich war sie doch ein wenig aufmerksam auf die Zukunft geworden, als der Zufall den Baron mit ihr bekannt machte. Der Bruder zog Erkundungen über des Barons Vermögen ein, und sie fielen so aus, wie er sie wünschte. Nun hielt er der Schwester eine Vorlesung über des Barons Charakter und über seine Grillen. Julchen gähnte. Lieber Himmel, sagte sie; was brauche ich das alles zu wissen? Alle Männer haben für uns nur Einen Charakter. Jeder hat ein Herz; und das ist sein Charakter. Der Baron sieht recht hübsch aus. Laß mich nur! Ja doch, ja! ich will so züchtig seyn wie ein Bild.

Aber Julchen machte bald die Erfahrung, daß es Männer giebt, die einen andern Charakter haben, als den sie für den allgemeinen hielt. Der Baron saß zu jeder Tageszeit stundenlang allein bei ihr, weil der Bruder bald Briefe zu schreiben hatte, bald einen Freund besuchen mußte. Dann spielte sie ihm vor, und sang mit der zärtlichsten Stimme, mit Blicken, die, wie sie glaubte, jedes Männerherz schmelzen mußten. Nachher setzte sie sich wieder neben ihn, plauderte, erzählte ihm tausend Schnurren, gab ihm Räthsel auf, und wollte sich todt lachen, wenn er sie nicht errathen konnte. Ein solches Geschöpf hatte der Baron noch nicht gesehen. Sie knieete vor ihm hin, legte die runden Arme auf seine Kniee, und fuhr so fort zu plaudern und zu erzählen. Kam er nach Tische, so gähnte sie eine Zeitlang; dann warf sie sich auf den Sofa, legte ohne Umstände das schöne Gesichtchen an seine Brust, sagte: gute Nacht, Baron! und schlief wirklich ruhig ein. „O, die holde, nichts besorgende Unschuld!“ sagte der Baron, wenn sie so schlief; er blieb ruhig eine halbe Stunde sitzen, und hörte nicht auf, die schöne Gestalt zu betrachten. Immer sah er sie mit wohlwollenden Blicken an, drückte ihr die Hände, und kam gewöhnlich nur in Stunden, wo sie, wie er wußte, allein war. Er brachte ihr Putz, Kleider, Ringe, Handschuhe; ja, er vergaß die Nadeln nicht, die sie brauchte.

Nun, siehst du, Bruder? sagte Julchen. Ein Mann wie alle! – Julchen war dankbar für des Barons Geschenke, drückte ihm die Hände, nannte ihn: ihren lieben Baron, und ließ sich sogar ein paarmal in sehr leichter Kleidung von ihm überraschen. Sie sang, sie lachte ihm zu, daß sie ihm wohl wollte. Auch er wollte ihr wohl: das sah sie augenscheinlich; aber – weiter ging er auch nicht. Er verlangte nichts von ihr, als diese süße Vertraulichkeit, und blieb dagegen taub bei allen Einfällen ihrer Verschwendungssucht. Ich glaube, sagte sie zuletzt, der Mensch ist ein Narr, oder er denkt mich zu heirathen. – Dies Wort griff der Bruder auf. „Wenn du wolltest, Julie“, sagte er; „wenn du deinen Leichtsinn mäßigen könntest!“

Ich glaube, du schwärmst, Bruder. Heirathen! Ich würde eine schöne Hausfrau seyn? – „Julchen, eine Hausfrau, wenigstens mit fünftausend Thalern Einkünfte, und in der Folge mit noch mehr, hätte es so übel just nicht.“ – Je nun ja; wenn ich sie in Paris verzehren könnte!

So weit Julchen den Gedanken, den Baron zu heirathen, Anfangs wegwarf, so sah sie ihn doch allmählig in einem anderen Lichte. Sie konnte ja eine gnädige Frau werden! und so viel traute sie sich wohl zu, daß sie den Baron dahin bringen würde, sich in Paris aufzuhalten. Jetzt griff sie den Handel mit Ueberlegung planmäßig an. Ihr Bruder mußte ihr des Barons Lieblingsneigungen sagen; denn sie selbst konnte mit einem Manne Jahrelang umgehen, ohne mehr von ihm zu wissen, als daß er in sie verliebt war. Nun sprach sie mit dem Baron aus einem andern Tone. Sie machte seine lehrbegierige Schülerin, setzte sich ihm gegenüber, oder neben ihn, streichelte mit ihrer zarten Hand seine Wangen, und bat ihn freundlich, ihr dies oder jenes zu erklären. Mit den hellen, blauen, lebendigen Augen hing sie an seinen Blicken und seinem Munde. Bei einer Idee, die sie schön finden wollte, oder von der sie wirklich überrascht wurde, sprang sie auf, warf sich, wie begeistert, an sein Herz, blieb so liegen, und bat ihn dann mit der größten Ruhe, weiter fortzufahren. Sie begriff freilich nicht viel von des Barons Systemen, warf im Gespräche fast alles unter einander, trieb nebenher tausend Possen, und neckte ihn, wenn ihr Geist sie ergriff, unbarmherzig mit seinen eigenen Ideen. Die Menscheneintheilung nach Haar, Augen und Farbe, verstand sie; und darin war sie so eifrig wie der Baron selbst. Aber mit den Formen, die im Gemüthe des Betrachtenden sind, wollte es gar nicht gehen. Sie hüpfte laut lachend im Zimmer umher, und rief dabei: also, ich hüpfe jetzt in Ihnen umher, und nicht im Zimmer? ich sitze also in Ihnen, und Sie in mir? Aber ich sehe Sie ja doch von außen, und Sie mich! Der Baron erklärte ihr Stunden, Tage lang an dieser Lehre; aber das alles half nichts: sie blieb dabei, daß sie nicht in ihm wäre. Er gab indeß nicht alle Hoffnung auf, sie endlich noch zu überzeugen.

Mit dem Generalbasse war es etwas Anderes; das konnte Julchen begreifen. Davon, sagte sie, bin ich ein lebendiges Beispiel, liebster Baron. Ich weiß nicht, was Liebe ist. – „Ei, Liebe, Mamsell Julie, meine ich nicht; eben der Generalbaß kann sogar zur Liebe reitzen. Ich rede von dem thierischen Genusse in der Liebe.“ – Ha! ha! von dem! Ja, das ist bei mir alles gleich, liebster Baron; denn wenn einer erst liebt, so ist er, denke ich, auch nicht weit von jenem.

Darüber entstand nun ein neuer Streit, von dem Julchen eben so wenig begriff wie von den inneren Formen. Der Baron bewies ihr sehr umständlich, daß Liebe etwas ganz Anderes sey als Wollust, und am Ende schien sie ihn doch einigermaßen zu fassen. Aber, rief sie, und schlang den runden Arm um des Barons Hals, und drückte ihn an ihren schönen Busen: – wenn das Leib ist, bester Flaming, so muß ich Ihnen gestehen, daß ich Sie von Herzen liebe; denn, sehen Sie, alles das, was Sie da sagten, von Seelenliebe, Urschönheit, Sphärenmusik, Geistesvereinigung und so weiter – sehen Sie, das alles habe ich hier in meiner Brust so lebendig, wie Sie es schildern, recht, als ob Sie hinein gesehen hätten.

So eine Bemerkung, die Julchen oft machte, brachte den Baron allemal richtig aus seinem Demonstriren. Er saß dann stumm neben ihr, spielte mit ihren runden Fingern, mit der alabasternen, seidnen Hand, mit den goldnen Locken; und Julchen, das unschuldige, arglose Mädchen, ließ ihn ruhig spielen. Sie legte ihr Gesicht auf seine Schulter, oder sang mit ihrer schönen Stimme eine rührende Arie; und dem armen Baron war es, als ob er den Sphärengesang hörte. Er umschlang das reitzende Mädchen, das ihn, ohne es zu wissen, so rein, so seelenvoll liebte.

Während daß die reitzende Julie den Baron, wie eine Spinne ihre Beute, auf allen Seiten mit tausend Fäden fest an sich hielt, saß die treue Iglou zu Hause einsam, und theilte ihre Zeit unter Studieren und Musik. Der Baron hatte sie gebeten, ihn nicht mehr zu begleiten; und Iglou selbst, die sich jetzt mehr ehrte, sah ein, daß der Wohlstand es nicht erlaubte. Zwar fiel es ihr auf, daß der Baron so wenig zu Hause blieb, und es ging ihr nahe, daß er so wenig Werth auf ihre Gesellschaft legte; aber sie war es ja nun schon lange gewohnt, übersehen zu werden. Sie hatte es sogar schweigend ertragen, als der Baron von seinem Plane, Augusten zu heirathen, mit ihr sprach. Ihre Liebe zu ihm nahm jetzt den bessern, edleren Charakter der Freundschaft, des reinen Wohlwollens, der Dankbarkeit an. Freilich kostete es ihr noch immer Thränen, wenn sie sich ihn verheirathet dachte; aber sie weinte nicht länger, wenn ihr die Phantasie ihn glücklich zeigte. Jetzt zwang sie sich, ihn weniger zu sehen, und suchte einen kälteren Ton gegen ihn anzunehmen, damit er sie nicht für unglücklich halten und dadurch leiden möchte. Sie wollte allein, und ganz in sich, unglücklich seyn.

Einmal war sie im Zimmer bei dem Baron – und, was er auch sagen mochte, sie hatte wieder Frauenzimmerkleider angezogen –, als Hedler zu ihm kam. Dieser hörte noch die letzten Töne der Laute, auf welcher Iglou spielte. Er sprach mit dem Baron über das Instrument, und bat Iglou, ihn etwas hören zu lassen. Sie spielte ein Adagio, und Hedler bewunderte ihren reinen, richtigen Vortrag. Als sie das Zimmer verlassen hatte, fragte er nach dem Verhältnisse des Barons zu ihr. Der Baron erzählte. Hedler theilte es seiner Schwester mit, und diese äußerte gegen den Baron das Verlangen, Iglou einmal spielen zu hören. Der Baron versprach, daß er sie mitbringen wollte.

Er bat Iglou, mit ihm zu Julchen zu gehen, und machte ihr eine Beschreibung von des Mädchens Charakter, wobei er freilich mit zu schönen Farben mahlte. Sie wird meine Freundin werden, erwiederte Iglou, wenn sie so ist, wie du sagst. Eines Abends nahm sie ihre Laute, und ging mit ihm. Als sie in Julchens Zimmer trat, warf sie lange einen durchdringenden Blick auf das reitzende Mädchen, ohne ein Wort zu sagen. Man bat sie, zu spielen; sie that es, und ihre Musik hatte einen ernsten erhabnen Gang wie ihre Seele. Nun legte sie die Laute nieder, und sagte zu Julchen: auch du spielst, und schön, habe ich von meinem Herrn gehört. Julchen lief an das Klavier, und spielte und sang das Glück der Liebe. Hedler holte seine Violine, um Iglou's Laute zu begleiten, und Julchen sang. Dann sangen sie Beide ein Duett. Hedler tadelte Iglou's Gesang als zu einfach. Sie sagte nach einem langen Gespräche mit Hedler, in einem ernsten Tone: die wahre Schönheit ist einfach. Man stritt darüber hin und her; doch Iglou sagte nur sehr wenig. Julchen, der das Gespräch zu langweilig war, trieb tausend Possen, und sang hüpfend und springend ein Paar Französische Vaudevilles, bis die beiden Herren aufhörten zu sprechen, weil sie einander vor Julchens Lärmen nicht mehr verstehen konnten.

Iglou hörte nicht auf, das Mädchen zu beobachten, und verwendete fast keinen Blick von ihr. Julchen wollte sogar auch Iglou mit in ihre Wildheit hineinziehen; aber diese blieb ernst, und sagte zuletzt: du bist sehr schön, Mädchen; aber sehr leichtsinnig! – „Und du sehr schwarz, mein Kind“, antwortete Julchen ohne alle Bitterkeit; „aber sehr weise! ... Doch trotz dem“, setzte sie hinzu; „spielst du die Laute wie ein Engel, und dieser Mund – sie küßte Iglou's Lippen – singt besser als er spricht.“

Der Abend verging wie eine Stunde unter Musik, Gespräch und Lachen. Julchen bekam Lust, die Laute zu lernen. Sie knieete zu Iglou hin, und sagte: „du mußt mich unterrichten.“ Ihr ins Ohr setzte sie hinzu: „dir, als einem Mädchen, darf ich es wohl sagen: die Laute stellt einen hübschen Arm recht ins Licht.“ Aber noch mehr ein schönes Herz! erwiederte Iglou. Julchen nahm die Laute, setzte sich dem Baron gegenüber, und figurirte mit ihren schönen Händen. Der Baron sah dem Spiele lächelnd zu. „O“, rief Julchen, und sprang auf: „was wird es erst seyn, wenn diese Finger nicht mehr stumm sind!“ – Sie ließ sich sogleich die Handgriffe auf der Laute zeigen, und der Baron versprach ihr eine, wenn sie fleißig seyn wollte. Man ging spät aus einander.

Der Baron fragte nun Iglou, was sie von Julchen dächte. Sie ist nicht böse, sagte Iglou.

„Und du solltest ihren Geist kennen, ihre reine Unschuld, ihr edles Herz, Iglou!“

Ich werde sie kennen lernen; aber Emiliens prunkloses, einfaches Herz hat sie nicht. Sie sieht aus, als ob sie nicht lieben könnte.

„Nicht lieben, Iglou? Da irrst du dich in der That. Ihr Herz ist für die Liebe geschaffen: nicht für jene heiße, verlangende; sondern für die reine Liebe des guten Geistes. Und dabei so unschuldig, Iglou! Sie liebkos't mir so unbefangen, so arglos, so zutraulich, als ob ich ihr Bruder wäre. Aber dafür ist sie auch Meisterin, ich glaube sogar deine Meisterin, im Generalbasse. Meinst du nicht?“

Sie spielt schön, sie singt unvergleichlich; aber ihre Musik – wie soll ich es sagen? – liebkos't, schmeichelt dem Herzen. Ihr Gesang ...

„Nun, soll denn die Musik das nicht Iglou?“

Die Musik soll das Herz rühren, erschüttern, für alles Edle und Gute; sie soll wie der Klang aus der Geisterwelt seyn, wie das Rauschen der Ewigkeit, welches das Herz erweckt. Der Gesang des schönen Mädchens schien das Herz einschläfern zu sollen. Fühlst du das nicht auch, so habe ich vielleicht geirrt. Aber mein Herz fing an zu pochen bei ihrem Gesange, ohne sich gehoben zu fühlen.

„Das ist natürlich, Iglou; sie sang den Genuß der Liebe.“

Aber jener Liebe, die sich über das Grab erhebt, hier duldet und schweigt, und in der Ewigkeit die erste Umarmung des Geliebten hofft – sang sie den Genuß der Liebe? Ich glaube, nein.

„Du nimmst auch alles sehr genau, Iglou! Julchen hatte nicht ganz unrecht, als sie dich zu ernst nannte. Wer wird bei einem Kunstwerke so streng seyn?“

Streng, bei einem Kunstwerke, das die ganze Seele für sich einnimmt, und, wenn es nicht den heiligsten Charakter der Tugend trägt, sogleich Verbrechen ist! – Würdest du deinem Sohne, oder deiner Tochter, Properzens Elegieen in die Hand geben? Du nahmst sie sogar mir, und warfst sie ins Feuer. Ich will Allen, selbst dem Philosophen, verzeihen, wenn er das Laster anpreist; aber nicht dem Künstler, nicht dem Dichter, wenn er das Laster nur reitzend mahlt. Jener mag das Laster preisen; das Herz widerlegt ihn. Der Künstler aber besticht das Herz; und so vergiftet er die Kraft der Vernunft, und tödtet die Stimme des Gewissens. Doch ich werde dir mehr sagen.

Hedler richtete nun bald eine musikalische Gesellschaft ein, um den Baron ganz in der Ordnung an sich zu ziehen, und übertrug ihm die Einrichtung und Form derselben. Auf einmal schlug Julchen dem Baron vor, in ihre Nähe zu ziehen. Wir sind nun täglich zusammen, sagte sie. Sie haben mich die Musik von einer ganz anderen Seite kennen gelehrt. Vorher tändelte ich nur mit den Tönen; und Ihre Schwarze hat Recht, daß die Musik, wenn ihr der edle Charakter fehlt, ganz hin ist. Seitdem ich das fühle, sitze ich hier oft, und phantasiere; dann wird meine Seele groß, und mein Herz erweitert sich. Meine nassen Augen sagen mir, daß ich etwas Gutes spiele. Wohnten Sie nun in der Nähe, oder gar hier im Hause, lieber Baron, so riefe ich Sie, und theilte die Gefühle meiner Brust mit Ihnen, dem ich diese hohen, reinen Empfindungen verdanke. Es hatte Julchen unendliche Mühe gekostet, das, was sie da sprach, auswendig zu lernen. Ihr Bruder mußte es ihr wohl zehnmal vorsagen; und sie wollte sich zwischen her darüber todt lachen, daß nur jemand glauben könne, die Musik solle etwas anderes, als bloß unterhalten.

Hedler hatte ganz richtig gerechnet. „Das ist auch wahr, liebes gutes Julchen“, sagte der Baron schnell; „und wenn Zimmer hier im Hause offen wären, ich zöge noch heute herein.“ Es waren Zimmer unbesetzt, und der Baron zog wirklich noch denselben Tag zu Julchen.

Jetzt, liebe Schwester, sagte Hedler, ist der Baron unser, wenn du dich in Acht nimmst. Er liebt dich noch nicht, wie du glaubst; aber er ist auf dem Wege dich zu lieben, und gewiß recht zärtlich, von ganzem Herzen. Beobachte nur von Zeit zu Zeit Iglou, und lerne ihre Sprache, diese hohe Dichtersprache, von ihr. Ich bitte dich, Julchen, lies wenigstens jetzt zuweilen den Corneille, so viele lange Weile er dir auch macht. Das ist die Sprache, mit der du den Baron bezaubern kannst. Aber besonders, liebes Julchen, nimm dich vor der Schwarzen in Acht! Sie nennt den Baron ihren Herrn; und sie ist des Barons Herr. Glaube mir, das Mädchen zerreißt sonst das ganze Gewebe, das du um den Baron her spinnst.

Julchen lachte über ihren Bruder mit seinem Corneille; aber sie sah wohl ein, daß er Recht hatte, und versprach ihm, die Rolle einer tragischen Heldin zu übernehmen. Der Bruder setzte noch die Warnung hinzu, sie möchte diese Rolle wenigstens bei Iglou nicht übertreiben, in der er die Feindin aller seiner Plane ahnete.

Julchen fing ihre Rolle an, und es machte ihr innerliches Vergnügen, als sie bemerkte, daß der Baron ganz davon hingerissen wurde. Sie saß am Klaviere, (der Baron neben ihr), und spielte eine Zeitlang. Auf einmal fing ihr Busen an sich gewaltsam zu heben; sie stand auf, sah dem Baron mit einem rührenden Blicke ins Gesicht, und schlug dann das Auge zu Boden. Bat der Baron sie, fortzufahren, so sagte sie seufzend: nein, ich darf nicht; das Gefühl würde mein Herz zersprengen. In diesem mächtigen Gefühle setzte sie sich zu ihm, schlang in hoher Vergessenheit ihren Arm um seinen Nacken, blickte an die Decke, und zog den gutherzigen Baron, dem die Augen naß wurden, an ihre klopfende Brust. Nun rief er, ganz außer sich: „welch ein Reichthum von Gefühlen liegt in Ihrer heißen Brust, Julchen! Wie ist es möglich! bei solcher Fröhlichkeit diese hohen Gefühle! bei solcher Ruhe diese erhabne Bewegung!“

Alles ging mit dem Baron vortrefflich; er gerieth immer tiefer in die Netze des schönen Mädchens. Schon Morgens früh hörte er unten Julchens schmeichelnde Stimme, und ging zu ihr hinunter. Er fand sie jetzt nie mehr in einem üppigen Anzuge; aber desto reitzender war sie für ihn. Ihr blondes Haar hing noch unfrisirt in natürlichen Locken um das schöne, heiter lachende Gesicht; ein enges Nachtmieder bedeckte, und zeigte zugleich die schlanke, leichte Gestalt. Sie schien ihm nie schöner als in dieser Kleidung, und war auch niemals schöner. Abends spät ging Iglou zuerst weg, weil sie immer eine Stunde vor dem Schlafengehen noch zu lesen pflegte. Dann schlich Hedler sich davon, und Julchen blieb mit dem Baron allein.

In der Dämmerung eines Lichtes, in der geräuschlosen Stille, in dem engen Umfange des Zimmers, war es nun, als ob auf einmal ein andrer Geist, der Geist der zärtlichsten Liebe, das Mädchen beseelte. Ihre Stimme war jetzt so schmeichelnd, so zärtlich, so langsam, ihre Bewegungen so gemäßigt, ihr Gang so leise, so still, ihre Ruhe so wehmüthig, ihr Gespräch so voll Gefühl, daß der Baron jeden Tag auf diese Stunde wartete wie auf das Heil des Himmels. Und bei dieser äußeren Stille, in welche sie ihn einwiegte, erregten zugleich ihr zärtlicher Händedruck, ihre gepreßten Seufzer, und die einzelnen Gänge, die sie auf dem Klaviere anschlug, bei ihm die stärksten Gefühle. Nach einem leisen Gesange, den sie nur mit sterbendem Athem zu hauchen schien, setzte sie sich zu ihm auf den Sofa, lehnte sich an seine Brust, seufzte, schwieg, umarmte ihn schnell und heftig, und ließ in wieder fahren. Kurz, es gelang ihr vollkommen, die Rolle zu spielen, die der Bruder ihr vorgeschrieben hatte: sie erregte bei dem Baron alle Begierden der Sinnlichkeit, ohne sie befriedigen zu wollen. Wurde er zu heftig, so zog sie sich zitternd, furchtsam aus seinen Armen zurück. Nein, sagte sie dann; ich darf nicht mehr mit Ihnen allein seyn. – Sie nahm ihr Strickzeug, setzte sich weit von ihm still nieder, und arbeitete emsig mit den schönen weißen Händen.

Der Baron verließ sie jeden Abend verliebter, und der Zustand seines Herzens fing an ihm deutlich zu werden. Sie war so blond, ihr Auge so blau, ihre Gestalt so schlank! Zwar hatte sie sehr weiße Zähne; aber – der Himmel mochte wissen, wie das zuging – auch bei Emilien mußte er ja diesen Fehler übersehen. Ihr Fuß war für eine Celtin zu klein; doch bei dem allen so schön, so reitzend. Genug, Julchen gehörte zu den reinsten Celtinnen; und nun dazu ihre Kenntniß in der Musik, ihre erhabene Seele, ihre äußerst große Heiterkeit, die Wirkung ihres reinen Herzens! „Es ist wahr“, sagte der Baron; „Iglou fühlt jetzt eben so erhaben wie sie; ihre Seele ist durch Musik und die Römische Sprache erhöhet: aber, ihr fehlt doch noch immer Julchens Heiterkeit, die stille, fröhliche Ruhe, welche ihrer gewiß ist. Es scheint, als ob Iglou's Seele über die Bande ihres vernachlässigten Körpers trauerte; Julchens Seele hingegen triumphirt über die edlere Natur, die ihr zu Theile wurde. Und, o! sie liebt mich, die schöne Seele!“

Er hätte Julchen längst die Empfindungen seines Herzens entdeckt und ihr seine Hand angeboten, wenn Iglou nicht gewesen wäre. Julchen selbst erwartete mit jeder Stunde seine Liebeserklärung und das Anerbieten seiner Hand, weil er schon Anspielungen darauf gemacht hatte; aber Iglou hielt ihn noch immer davon ab, und, ohne zu wissen wie es zuging, folgte er dem treuen Mädchen. Was der Baron nicht sah, das war dem hellen Auge der eifersüchtigen Iglou nicht entgangen. So sehr auch Julchen, wenn Iglou sie beobachten konnte, sich in Acht nahm, so brach doch zuweilen ihre natürliche Lebhaftigkeit durch; und Iglou benutzte diese Augenblicke, um tiefe Blicke in ihr Herz zu thun. Sie würde sogleich Julchen für eine Buhlerin erklärt haben, wenn der Bruder nicht die Thorheiten seiner Schwester wieder gut gemacht hätte. Er zitterte vor der stillen Aufmerksamkeit, vor dem ruhigen Umherschauen der Schwarzen, zumal, als er erst bemerkte, wie viele Gewalt sie über den Baron hatte. Nun schloß er sich sogleich, doch mit aller Besonnenheit, an Iglou an, wozu die Laute ihm eine sehr natürliche Veranlassung gab. Er bewunderte ihr Spiel, doch ohne zu schmeicheln, kam dann von der Musik auf andre Gegenstände, und fühlte nach jedem Gespräche mehr Achtung für Iglou. Er lobte sie nicht, und widersprach ihr sogar oft; aber er schien gern in ihrer Gesellschaft zu seyn. In der That erwarb er sich Iglou's Wohlwollen in einem hohen Grade. Er führte die Rolle, welche er bei ihr übernommen hatte, mit großer Feinheit durch. Zwar machte er nicht den großen, tugendhaften Helden; aber doch den redlichen, aufrichtigen, arglosen Mann, der gern gesteht, daß er ein Mensch ist, weil er nichts Böses thut. Er erzählte Iglou nach und nach seinen Lebenslauf, und nahm durch seine traurige Schicksale, die er freilich nicht auf seine eigne Rechnung setzte, das weiche Herz des Mädchens für sich ein. Endlich bat er Iglou sogar, seine Schwester von ihrem Leichtsinne zu heilen. Das Mädchen, sagte er, hat ein sehr reines Herz; nur giebt ihr Mund zuweilen ihrem eigenen Herzen das schlimmste Zeugniß. So sprach er oft mit Iglou ganz unbefangen.

Iglou gerieth in Zweifel, was sie thun sollte. Hatte sie den Bruder gesprochen, so schien ihr alles, was er sagte, so wahr. Sah sie dann aber die Schwester wieder allein, und verwickelte sie in ein nur etwas lebhaftes Gespräch; dann vergaß Julchen ihre Rolle, und schien ihr offenbar eine Buhlerin, ein Geschöpf ohne alles Herz. Iglou beschwor den Baron, vorsichtig zu seyn. Ich bat dich ehemals, sagte sie, Emiliens Liebe zu prüfen; und ich hatte Recht. Jetzt bitte ich dich, prüfe erst Julchens Charakter, ehe du ihre Liebe prüfst!

„Ihren Charakter, Iglou? Kann ein Mensch blonder seyn als sie? versteht sie nicht den Generalbaß?“

Du irrtest dich in Emiliens Herzen, und warst deiner Sache doch so gewiß. Aber wenn du hier irrtest, im Charakter! Schrecklich! Und ich fürchte, du irrst dich! Glaube mir, sie hat kein menschliches Herz. Sie will nur sich, nur genießen!

„Iglou, das Laster kann nicht so heiter seyn.“

Ich sage nicht, daß sie lasterhaft ist; aber ich fürchte, sie ist nicht tugendhaft. Sie ist nichts: das Schlimmste von Allem. Ich bitte dich, sey vorsichtig.

„Iglou, sie spricht von der Tugend ...“

Wie von einem Mährchen, das mit ernsten Mienen erzählt werden soll. Ihr Herz hat nie für etwas Anderes geschlagen als für ihr Vergnügen. Ich bitte dich, sey vorsichtig. Zögre. Warte noch einige Wochen, ehe du dich erklärst. Sie kann die Rolle nicht lange mehr halten.

Julchen ihrer Seits hätte ebenfalls beinahe Lust bekommen, Iglou als eine Betriegerin zu betrachten. Ueberhaupt wußte sie nicht, wie sie mit dieser Art von Leuten daran war. Sie hatte nie Menschen gesehen, die für etwas Anderes als für ihr Vergnügen lebten. Tugend, Aufopferung seines Glückes, Reinheit der Seele waren für sie bloße Wörter, die nur in Romane, und nicht in die wirkliche Welt, gehörten. Ihre ganze Moral bestand in wenigen Gesetzen; keinen Menschen zu ermorden, nicht zu stehlen, nicht auf eine grobe Weise zu betriegen. Dabei war sie äußerst mitleidig und bis zum Uebermaße gutherzig. Mit einem Unglücklichen, der sich nur ein wenig darauf verstand, sie zu rühren, theilte sie ihr letztes Goldstück. Ihr Bruder hatte sie in solchen Fällen oft eine tugendhafte Närrin geheißen; und sie gestand sich selbst, daß er Recht hätte. So hielt sie sich denn für nicht wenig tugendhaft. Alles Andre gehörte zu ihrem Vergnügen; und es war ihr noch niemals eingefallen, darüber nachzudenken. Ihr Spiel mit dem Baron hielt sie ganz und gar nicht für etwas Unrechtes. „Ich brauche Geld, um zu leben, einen reichen Mann, um glücklich zu seyn; und er ein hübsches Weib, das ihn glücklich macht. Ich ziehe ihn an mich, bringe sein Herz in Bewegung, und überzeuge ihn, daß ich ihn glücklich machen kann. Er ist reich; ich bin schön. Er liebt mich; ich werde seine Frau. Er giebt mir zu leben, Kleider, Ringe, Equipage, Bedienten; und ich gebe ihm dafür mich selbst. Es fragt sich noch, an welcher Seite das Opfer größer ist.“ So würde sie raisonnirt haben, wenn es ihr jemals hätte einfallen können, nachzudenken. Kurz, Julchen dachte, fühlte und handelte gerade so, wie jetzt die meisten Europäer.

Nun stieß dieses Mädchen mit ihrem Moral-System auf ein Paar Menschen, die so ganz anders fühlten als sie. Mit dem Baron wurde sie bald fertig; sie erklärte ihn geradezu für einen Narren, und warf seine Tugend zu seinen andern Grillen, die sie belachte. Aber nun lernte sie Iglou kennen; und auch die zu verlachen, das war unmöglich. Als sie endlich Iglou's Geschichte mit dem Baron halb und halb erfuhr, rief sie: ha! ha! hab' ich dich? Sie ist eine Heuchlerin, die dem Baron die Tragödien-Rolle nachmacht, und seine Geldbörse plündert! – Sie erstaunte, als sie hörte, daß alle Einkünfte des Barons durch Iglou's Hände gingen; da auf einen bestimmten Befehl von ihm Iglou's Unterschrift hinlänglich war, die größten Summen von seinem Gute und von den Banquiers in Berlin zu beziehen; noch mehr aber, daß Iglou nie Rechnung abgelegt hatte, und es nie zu thun brauchte.

Sie äußerte dem Baron ihre Verwunderung über sein großes Zutrauen zu Iglou, und meinte, er habe doch immer Ursache zu zweifeln. Bei dieser Erinnerung zeige sich in seinen Augen ein Blick des Unwillens, und er antwortete mit edlem Eifer: „in den Händen der Vorsehung liegt mein Vermögen nicht sicherer als in Iglou's Händen! Sprechen sie davon nicht mehr!“

Aber die Schwarze könnte Ihnen doch einen großen Verlust zuziehen!

„Verlust? Wenn sie wollte, so wäre ich in einem Augenblick ein Bettler. Ein Federzug von ihrer Hand; und ich bin um mein ganzes Vermögen.“

Das heißt viel gewagt!

„Nichts gewagt, Julchen; ich habe mit Iglou zu thun. Was ich mein nenne, ist das ihrige!“

Aber, wenn sie nun die Verschwendung liebte?

„Liebe Julie, Iglou spart, geitzt sogar; und vielleicht von der Hälfte meiner Einkünfte, die sie überspart, erfahre ich nicht, wo sie bleibt.“

Die Hälfte Ihrer Einkünfte? Lieber Baron, welche Vergnügungen könnten Sie dafür genießen! Und Sie fragen nicht, wo das Geld bleibt?

Des Barons Auge glänzte. „Wo es bleibt? O Himmel! Iglou trägt es in die Hütten der Unglücklichen; ihre wohlthätigen Hände vertheilen es unter die Kinder des Unglücks, der Armuth, der Dürftigkeit. Während ich hier bei Ihnen so glücklich bin, durchläuft meine gute Iglou die Stadt und sucht Hülfsbedürftige, Elende auf. Während Ihre schöne Hand aus den Saiten des Klaviers süße Töne hervorlockt und mein Herz mit Entzücken füllt, macht auch Iglou Glückliche, trocknet Thränen, wird die Stütze wankender Familien, giebt Kindern ihre Eltern zurück, und segnet, wie ein guter Geist, tausend Herzen.“

Julie zweifelte; aber der Baron sprach mit so vielem festen Glauben von Iglou's unerschütterlicher Tugend, daß sie schweigen mußte. Sie erzählte das ganze Gespräch ihrem Bruder und lächelte über des Barons Treuherzigkeit. Hedler, der es sehr gern gesehen hätte, wenn der Baron von Iglou los gewesen wäre, wurde aufmerksam. Iglou ging oft aus, und zwar immer in der äußersten Stille. Er spürte ihren Gängen nach, und sah zu seiner großen Beschämung, daß es Gänge der edelsten Menschlichkeit waren. Bei seinen Erkundigungen und seinem Nachforschen fand er immer dasselbe: Menschen, die mit Thränen des Dankes, mit der höchsten Liebe, mit begeistertem Gebete von der Schwarzen sprachen.

Zu gleicher Zeit fand er auch, daß Iglou auf diese Weise große Summen ausgab. Er erzählte Julien seine Entdeckungen. Ich dachte, sagte er, die Schwarze, die uns im Wege steht, zu ertappen; aber in der That, der Baron versichert nicht zu viel von ihr. Es ist so; sie vertheilt sein Geld unter die Armen. Julie erstaunte, als ihr der Bruder einzelne Fälle erzählte, über Iglou's Art zu denken und zu handeln. Sie selbst gab gern, wenn sich Gelegenheit dazu zeigte; aber wie man sich überwinden könnte, den Unglücklichen auszuforschen, aufzusuchen, in die kleinen, dürftigen Wohnungen des Elendes zu gehen, den Armen mit Feinheit zu unterstützen, ein Vergnügen darüber aufzuopfern: das war ihr schlechterdings unbegreiflich. Daher glaubte sie, es müsse nothwendig noch ein anderer Grund da seyn, der Iglou antriebe, so zu handeln.

Sie sprach mit Iglou über die Wohlthätigkeit, und hörte nun zum ersten Male die Worte: Tugend, Pflicht, mit einer großen Bedeutung nennen. Die Pflicht zwingt dich dazu, liebe Schwarze? fragte Julchen, und sah Iglou starr an; die Pflicht? wie kann dich etwas, das in dir ist, zwingen?

„Zwing dich nicht deine Begierde, auf einen Ball zu gehen, von dem du dir Freude versprichst?“

Ei, das ist auch eine unendliche Freude!

„Unendliche? Sie dauert vier Stunden, und Kopfweh oder ein Keichhusten bezahlt sie.“

Aber du, Iglou, hast doch gar nichts zum Ersatze für das Kopfweh, das du dir aus den übel riechenden Krankenstuben der Unglücklichen holst.

„Doch! Etwas, für das du freilich wohl nicht den Besatz deines Kleides gäbest: das Gefühl, meine Pflicht gethan zu haben.“

Schon wieder Pflicht! Nimm es mir nicht übel, liebes Kind: das bildest du dir ein; sonst müßte auch ich es fühlen.

„Wir sangen neulich das schöne Duett, und dein Bruder vergoß beinahe Thränen, der Baron küßte dir entzückt die Hände. Auch der Bote von Zaringen stand da. Du fragtest ihn, wie ihm das gefiele? Er schüttelte lachend den Kopf, und meinte, sein Schleifer bei dem Pfingstbiere ginge doch besser. Glaubst du, daß die Empfindung, die bei dem Duett unsre Busen zusammenpreßte, darum Einbildung ist, weil der Bauer nichts dabei fühlte?“

Ja, es ist ein eigener Sinn für die Musik nöthig, Iglou.

„Wie für die Tugend, schöne Julie! Die Tugend ist die Musik der Seele; sie kommt herüber aus den Gefilden der Ewigkeit. Ein Mensch, der, wie jener Bauer, an die wilden Tänze der Freude gewöhnt ist, schüttelt den Kopf dabei. Nur ein Herz, dem das Leben wenig, das Grab viel, die Ewigkeit alles gilt, versteht die holden Töne der Tugend. O Julie, wie wenig verstehst du dich auf das Glück des Lebens, daß dir das Wort Pflicht nichts als ein Ton ist! So schön diese Stirn, so voll, so schön dieser Busen; und das Herz darunter so leer! Armes, unglückliches Mädchen!“ – Iglou umfaßte bei diesen Worten mit Thränen auf den Wangen das staunende Julchen.

Julchen konnte keine Thränen sehen, ohne sogleich mit zu weinen. Iglou küßte ihr nasses Auge. „Sieh“, sagte sie gerührt; „diese Thränen machen dich schöner als alle Reitze deines Körpers.“ Sie glaubte Juliens leichtsinniges gefühlloses Herz getroffen zu haben; und Julie dachte nichts, gar nichts, bei ihren Thränen. Sie umarmte Iglou, drehte sich um, hüpfte auf ihr Zimmer, sang:

Ils sont partis les Jeux, les Ris, les Graces, etc. und damit hatte sie Iglou, die Tugend, und Alles vergessen. Armes, unglückliches Mädchen! wiederholte sie spottend, und fing an, laut zu lachen.

Iglou glaubte auf Juliens Herz wirken zu können, und gebrauchte ihre Laute wieder; doch es war alles vergeblich. Julie hörte, lächelte und schwieg. Ihr Herz war in der That nicht böse; aber Genuß, Zerstreuungen der großen Welt hatten es mehr gegen die Stimme der Tugend verhärtet, als selbst Verbrechen das gekonnt hätten. Sie begriff wirklich nicht, ob das, was Iglou sagte, ihr Scherz oder ihr Ernst sey. Ihr Bruder bat sie, sich ein wenig an diese Sprache zu gewöhnen; aber selbst das war ihr bei ihrem Leichtsinne unmöglich. Sie fragte den Bruder einmal: aber sage mir doch, ist das Heuchelei von Iglou, oder fühlt sie es wirklich?

Sie fühlt es, antwortete Hedler: wie ein Mensch, der seine Träume für Wahrheit hält. – Nun, rief Julie, und tanzte umher: so gebe der Himmel, daß ich so träume, wenn ich dreißig Jahre alt bin! So lange wird doch mein Gesichtchen wohl dauern. Wie einer zufrieden seyn kann, ohne Vergnügen zu haben, das begreife, wer will; ich nicht! Das Mädchen und der Baron sind ein Paar seltsame Menschen.

Das waren sie; denn Julie konnte auch mit dem Baron nicht ganz fertig werden. Er war freigebig, großmüthig gegen sie, und erhielt Hedlers ganze Wirthschaft; sie durfte nur einen Wunsch äußern, der Baron erfüllte ihn, wenn er nicht gar zu ausschweifend war. Das alles that der Baron, und verlangte von ihr dafür weiter nichts, als Freundschaft und Vertrauen. Eine solche uneigennützige Liebe hatte sie noch nicht gesehen; und sie konnte davon um so weniger begreifen, da, wenn er sich allein bei ihr befand, ganz augenscheinlich seine Begierden aufgeregt waren. Sie hatte, um ihn noch mehr zu reitzen, ihm hundertmal gesagt, daß sie ihn liebe; und dennoch kämpfte er seine Begierden zu Boden. Er riß sich mit Gewalt aus ihren Armen, und floh das Glück, das er, wie seine brennenden Augen zeigten, sehnlich wünschte.

Julie ließ beinahe schon die Hoffnung fahren, mit dem Baron weiter zu kommen; aber, was ihr den Muth nahm, gab dem Bruder die besten Hoffnungen. „Er liebt dich, Julie“, sagte er; „und, noch mehr: er achtet dich. Du bist gewiß auf dem Wege, seine Hand zu erhalten.“ Julie schüttelte den Kopf, und erwiederte: wenn er mich zu seiner Frau machen will, warum erklärt er sich denn nicht? Ich sage ihm ja täglich, daß ich ihn liebe. Hedler hielt Iglou für das Hinderniß; und sie war es. Sie fühlte, daß sie sich der Liebe des Barons nicht entgegen setzen dürfte, da sein Herz nun einmal nicht ihr war; aber sie wollte wenigstens, daß seine künftige Gattin ihn wirklich lieben sollte: und das traute sie Julien nicht zu. Betrübt, und doch lächelnd, sagte sie: gebe der Himmel, daß sie deines Herzens werth ist! Aber ich fürchte, sie ist es nicht.

Der Baron behauptete das Gegentheil, und berief sich immer auf Juliens blondes Haar und ihre Stärke im Generalbasse; Iglou dagegen auf Gespräche mit Julien, auf Urtheile, die ihr entschlüpft waren, auf kleine Begebenheiten, bei denen Julie sich wenigstens nicht edel benommen hatte. Der Baron konnte das nicht leugnen, nannte es aber Leichtsinn. Iglou erwiederte: Leichtsinn entspringt bisweilen aus Mangel an Ueberlegung, aber noch öfter aus einem kalten, gefühllosen Herzen. Laß dir doch Zeit, zu finden, welcher Leichtsinn Julien beherrscht. Der Baron war überzeugt: der gute. Er wurde zuletzt ungeduldig, und wollte durchaus nicht länger mit seiner Erklärung gegen Julien warten. Iglou warf sich ihm zu Füßen, umschlang mit bebenden Händen seine Kniee, und beschwor ihn mit heißen Thränen, nur noch eine kurze Zeit zu zögern. Ach, sagte sie: ich habe dich unendlich geliebt; ich liebe dich noch, und meine Liebe wird erst mit meinem Leben enden. Diese Liebe habe ich dir aufgeopfert. Ich weiß, daß du mich nie lieben wirst; aber so laß mir wenigstens den Trost, daß ein Herz wie das meinige deine Liebe erhält, und nicht die Buhlerei einer herzlosen Puppe.

Iglou's Thränen drangen dem Baron endlich das Versprechen ab, sich noch nicht zu erklären, und erst Ueberzeugung abzuwarten, ob Julie seiner werth sey, oder nicht. Julie, die vorher des Barons Liebeserklärung schon auf seinen Lippen zu sehen geglaubt hatte, merkte jetzt, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen war; und seine häufigen Gespräche über Leichtsinn zeigten ihr auch die Quelle derselben. Sie begriff ganz und gar nicht, wie Iglou solche Gewalt über den Baron haben konnte. Der Bruder lockte endlich von ihm sein eigentliches Verhältnis zu Iglou heraus; und nun war ihm alles deutlich. „Die Schwarze“, sagte er zu Julien, „ist deine Nebenbuhlerin.“ Julie lachte laut auf. „Deine Nebenbuhlerin“, wiederholte er kalt; „und zwar eine sehr gefährliche.“ Er erzählte Julien Iglou's Begebenheiten mit dem Baron. „Sieh, der Baron liebte Emilien innig; und diese tugendhafte Mohrin hatte Geschmeidigkeit und List genug, beide noch an eben dem Tage, da sie sich verheirathen wollten, zu trennen.“ – Du scherzest Bruder! Die Schwarze hätte das gekonnt? – „Sie hat es gekonnt, und wird es auch bei dir können, wenn du nicht vorsichtig bist.“ – Julie wurde ernsthaft. Nach und nach war es ihr ein sehr interessanter Gedanke geworden, Frau von Flaming zu werden, Güter zu besitzen; und nun, da sie des Barons Hand wünschte, sollte sie ihn verlieren, noch dazu durch ein so häßliches Geschöpf?

Alles stand jetzt auf dem Spiele; und – wie Julie nun einmal war – sie setzte Alles an Alles. Laß mich! sagte sie, und sang ein lustiges Liebesliedchen; laß mich! es soll Alles gut gehen. Sie erinnerte sich eines Gespräches zwischen dem Baron und ihrem Bruder über die Verführungen der Sinne. Der Baron behauptete: es sey unmöglich, seine Sinnlichkeit in dem Grade zu reitzen, daß er falle. Hedler behauptete das Gegentheil. „Es würde mich unglücklich machen“, fuhr der Baron fort, „wenn ich so schwach wäre. Liebte ich das Mädchen, so müßte ich jammern, es so schwach gefunden und mich so sinnlich gezeigt zu habe; liebte ich es nicht, so wäre ich noch unglücklicher: was dürfte ich dem Mädchen zum Ersatze meiner Schwäche anbieten als meine Hand?“ – Wie? fragte Hedler erstaunt; Ihre Hand? – Der Baron erzählte ihm seine Begebenheit mit Iglou, und sagte dann sehr ernst: „ich würde ihr meine Hand gegeben haben, wenn ich schwach genug gewesen wäre, der Sinnlichkeit zu erliegen.“

Auf diese Aeußerung bauete Julie ihren Plan. Der Baron fand in der ganzen Völkergeschichte nichts so interessant als die alten Deutschen; Hermann war sein Held, und Thusnelde seine Heldin. Er hatte Hermanns Begebenheit sogar in Verse gebracht, und Iglou mußte ihm ein Paar Gesänge in Noten setzen: unter andern den, mit welchem er Thusnelden nach der Schlacht mit Varus den Sieger Hermann empfangen ließ. Es war ein edles Lied, worin die Liebe zu dem Jünglinge mit dem Stolz über den Gatten wetteiferte. Eine schönere Musik kannte der Baron nicht; und Iglou durfte nur die ersten Töne davon anschlagen, so sagte er zu allem Ja.

Eines Abends, gerade an ihrem Namenstage, war Julie, als der Bruder sich wegbegeben hatte, vorzüglich zärtlich gegen den Baron. Er hatte ein Paar Gläser Champagner getrunken; sein Blut floß daher leicht, und seine Sinne waren geöffnet. Das Gespräch wendete sich ganz natürlich auf Hermann, und der Baron bat Julien, Thusneldens Lied zu singen. Sie hatte den Einfall, ob man nicht einmal ganze Stücke davon aufführen könnte. Dem Baron gefiel diese Idee. Mitten in der Unterredung sprang Julie, wie begeistert, auf, und rief: ich will Ihnen die Thusnelde zeigen. Sie flog in ihr Kabinet, und der Baron wartete mit großer Ungeduld.

Auf einmal öffnete sich die Thür, und Julie trat, wie Thusnelde gekleidet, mit einem Kranze von Blättern in der Hand, herein. In der That ein reitzendes Geschöpf! Sie trug ein leichtes, dünnes Kleid von feiner Leinwand, unter dem Busen mit blaßrothem seidnem Bande gegürtet. Die Arme waren fast bis an die Schultern bloß. Das blonde Haar floß in seiner natürlichen Farbe und in leichten Locken über den schönen Busen, und hing auf die weißen runden Arme. Die Füße waren nackt, und mit Bändern geschnürt; das Gewand ging nur bis auf die Knöchel hinunter. Kurz, die reitzende Gestalt mußte alle Sinne aufregen. Flaming flog auf sie zu. Sie wich zurück. Nein, sagte sie: anrühren dürfen Sie mich nicht; sonst gehe ich den Augenblick weg. Er setzte sich wieder, und weidete seine Augen an der reitzenden Gestalt.

Auf einmal erhob sie die liebliche Stimme, und sang, wie begeistert, mit den leichtesten, schönsten Bewegungen des Körpers, Thusneldens Lied. Sie wendete sich an den Baron, als ob er Hermann wäre. Bei den Worten: „Hier bring' ich dir den Kranz des Ruhms!“ flog sie zu dem Baron hin, und setzte ihm den Kranz auf. Dann sang sie weiter: „und meine Liebe ...“ Sie hielt inne, als ob sie vor Empfindung nicht weiter singen könnte. „Und meine Liebe ...“ fing sie noch einmal an. Sie schloß mit einem Seufzer. Ach, Hermann! flisterte sie leise; und so, von Liebe überwältigt, sank sie an des Barons laut schlagende Brust. Er hielt das reitzende, so lockend gekleidete Geschöpf in seinen Armen. Noch wollte er widerstehen; aber sein Kampf machte den Sieg der Zauberin desto gewisser. Er trank an Juliens Lippen ein wollüstiges Vergessen der Tugend, und der Schutzgeist seiner reinen Unschuld entfloh. –

Am Morgen erwachte der Baron in den Armen der reitzenden Geliebten. Ein schmerzlich süßes Gemisch von Vorwürfen und Entzücken füllte sein Herz. Er wollte sich aus Juliens Armen reißen, und drückte sie nur noch fester an sich. Sie spielte ihre Rolle unvergleichlich. Zärtlichkeit und Reue, Thränen und Umarmungen wechselten bei ihr ab; sie nannte sich das glücklichste und das unglücklichste Geschöpf der Erde. Der Baron tröstete sie. „Du bist mein, holde Julie!“ sagte er mit den zärtlichsten Liebkosungen. „Du bist mein Weib! mein geliebtes, theures Weib! Die Liebe, holdes, gutes Geschöpf, hat uns betrogen, oder vielmehr, sie ist unserm Schicksale um einige Tage zuvorgekommen.“ Julie drang auf eine bestimmte Erklärung: der Baron gab sie sehr offen, und wiederholte ihr ein förmliches Eheversprechen in den bündigsten Ausdrücken. Julie warf sich an seinen Hals, und vergoß an seiner Brust Thränen des Entzückens. Der Baron seufzte aus vollem Herzen: „o Gott! wie glücklich bin ich!“

Er fühlte sich wirklich in diesem Augenblicke sehr glücklich, ohne alle Beimischung von Reue glücklich; denn so eben waren ihm die Probenächte und Probejahre in dem Schwarzwalde, in der Schweiz und in Schottland eingefallen. Nun schloß er Julien zärtlich in seine Arme, und flisterte ihr zu: „sey heiter, sey ruhig, liebstes Julchen! Laß dir von deinem zarten Gewissen keine Vorwürfe machen. Was wir thaten, thun alle Hochschotten, die meisten Schweizer, und die Bauern im Schwarzwalde. Es ist echt Celtisch, holdes Mädchen.“ Julie lächelte. Die Schweizer nur? dachte sie. Was der die Menschen kennt!

Der Bruder, der am Morgen das Vorgefallene aus der Vertraulichkeit des Barons errieth, fragte ihn: wie es zugehe, daß er sich so schnell entschlossen habe, Julien seine Hand anzubieten. Er gab Julien einen feinen Wink, zu gestehen. Sie bedeckte das Gesicht mit ihrem Taschentuche, als ob sie ihre Schamröthe verbergen wollte, und schluchzte. Der Bruder drang in den Baron, in seine Schwester; und Julie verrieth sich durch ein Paar Worte, die ihr entfuhren.

Das eben wollte Hedler. Wie? rief er; Baron, ist es möglich, was ich fürchte, wovor ich zittre, was mich ewig unruhig machen wird? O Baron, wie schlecht haben Sie dann das Zutrauen vergolten, mit dem eine Familie, die nichts hatte als ihre Ehre, Sie in Ihren Schooß aufnahm! Wie unglücklich bin ich! Ach, ich hätte Ihrer Tugend nicht so viel trauen sollen! O, du armes Mädchen! hab' ich dir nicht dein Unglück, deine Schande vorausgesagt? Konnte es anders enden bei der heißen Leidenschaft, die du fühltest? Gott! ich bin so schuldig wie ihr! – Er umarmte in wildem Schmerze seine Schwester, die nicht begriff, wozu dieser Akt der Komödie noch nöthig war. Der Baron sagte ganz ruhig: „ja, es ist so, wie Sie vermuthen. Julie, die gute, schöne Julie, ist mein Weib. Aber seyn Sie doch ruhig; ich ...“

Nein, nein! ich werde nicht eher ruhig, als bis Sie förmlich mit ihr verbunden sind. Gut, ich liebe euch, meine Theuern, und will darüber wegsehen. Es ist nun einmal nicht zu ändern. Aber eilen Sie Baron; geben Sie meiner unglücklichen Schwester ihre Ruhe, ihre Unschuld wieder: das Gefühl, daß sie nichts verbrochen hat! Noch heute, Baron!

„Noch heute? Lieber Hedler, wie ist das möglich? Ich muß doch erst meiner Mutter ...“

Heute, Baron. Machen Sie Ihre Unbesonnenheit durch die gesetzliche Trauung wieder gut. Ich thue auf alles Verzicht: Aufgebot, Brautkranz, Ankündigung ...

„Recht, lieber Hedler! ohne Brautkranz! Und wenn ich auch die Schwäche nicht gehabt hätte, wenn Julie nicht mit mir gefallen wäre: so dürfte sie dennoch keinen Brautkranz tragen; denn sie ist ...“ – Hedler wurde todtenbleich; Julie schrie auf, und schloß den Baron heftig in ihre Arme: Beide durchfuhr in diesem Augenblick der Gedanke, der Baron wisse ihre Begebenheiten – „eine Celtin“, wollte der Baron sagen; aber Juliens Schrei verschlang das Wort.

Der Baron nahm Julien in seine Arme, und nannte sie hundertmal: seine unschuldige, seine geliebte Julie. Hedler, der noch immer nicht wußte, was der Baron damit gemeint hatte, daß Julie ohnedies keinen Brautkranz tragen dürfe, drang nicht mehr so dreist auf die augenblickliche Trauung, und der Baron konnte nun dem Gedanken an einen Probemonath ohne Störung nachhangen. Er versprach noch einmal feierlich, Julien zu heirathen; und Hedler schien sich zu beruhigen, da er dem Baron auch das Versprechen abgelockt hatte, selbst Iglou'n nichts von seinem Vorsatze zu sagen. Hedler bat indeß Julien, weil er noch immer etwas besorgt war, die Trauung, so viel es nur möglich sey, zu betreiben, und dem Baron von jetzt an jede Gunst zu versagen, um ihn nicht mit Genuß zu überfüllen. Julie versprach das, und fing sogleich an, ihre Rolle zu spielen.

Sie saß trauernd da; und fragte der Baron sie um die Ursache ihre Kummers, so seufzte sie, schloß ihn in ihre Arme, sagte ein Paar Worte, ohne zu endigen, und trocknete die Augen, in die freilich keine Thräne gekommen war. Der Baron drang ihr endlich das Geständniß ab: sie könne nicht eher ruhig werden, als bis sie mit ihm getrauet sey. Ihre Klagen waren so rührend, so zärtlich, daß sie dennoch, Trotz der großen Lust des Barons die Celtischen Probezeiten wieder herzustellen, ihren Zweck würde erreicht haben, wenn er nicht zufällig ihre Eitelkeit mit ins Spiel gebracht hätte. „Heimlich trauen?“ sagte er; denn sie hatte das Wort: heimlich, gebraucht, weil ihr Gewissen es ihr in den Mund legte. „Heimlich? Nein, Julie! Warum heimlich? Mit aller Pracht, mit allem Glanze, der meinem Stande und deinen Tugenden angemessen ist, sollst du mir deine Hand geben. Ich will dich nicht in meine Familie hinein stehlen. Oeffentlich will ich dich unter meine Verwandten führen, und rufen: seht, welch ein Weib! Adel? Liebste, beste Julie, dein blondes Haar, dein blaues Auge ist ein alter Stammbaum; dein Blut so edel wie das meinige. Nein, auf meinen Gütern, mitten unter meinen und deinen Unterthanen, soll der Altar unsere Hände vereinigen. Heimlich? Nimmermehr! So öffentlich wie möglich sollst du den Nahmen Frau von Flaming annehmen.“

Dieser Versuchung konnte Julie nicht widerstehen. Sie sah im Geiste sich schon wie eine Fürstin geschmückt, mit Edelgesteinen bedeckt; und die Vorstellung: Unterthanen! schmeichelte ihrem Stolze. Ja, rief sie; du hast Recht, Geliebter! Kein Wort weiter davon! Nur so bald als möglich. – Und das über den Baron zu vermögen, traute Julie sich wohl noch zu.

Der Abend kam heran; und der Baron, der den ganzen Tag lang den Gedanken an das Probejahr der Celten nicht hatte los werden können, erröthete, als endlich der Bruder von Julien wegging. Er stand schon auf, um ebenfalls zu gehen: so widrig schien ihm jetzt die Vorstellung; indeß eine heimliche Begierde hielt ihn. Julie spielte, sang, umarmte ihn, und entschlüpfte ihm dann wieder; aber dennoch war sie äußerst zärtlich. Er bat, sie möchte sich ihm noch einmal als Thusnelde zeigen. Sie sah ihn zögernd an, als ob sie mit sich selbst kämpfte. Ach, sagte sie endlich, diese Thusnelde hat mir viel gekostet! Doch – was könnte ich dir abschlagen!

Sie kam in dem reitzenden Gewande einer alten Deutschen Kriegerin, aber mit traurigen Blicken, wieder, nahm die Laute, die sie schon recht gut spielte, und setzte sich dem Baron gegenüber. Seine Augen flammten, als er nun mit Muße die schöne, liebliche Figur betrachtete, die er gestern nur verworren sehen konnte. Sie hatte das holde Gesicht auf den jugendlichen Busen niedergebeugt, die runden, weißen Arme um die Laute geschlungen, die kleinen Füße lässig über einander gelegt, und sang nun mit langsamer, sanfter, leiser und trauriger Stimme Thusneldens Lied während der Schlacht:

 

Wenn nun ein Römerschwert ihn trifft!

O Götter! Götter! rettet ihn!

Thusnelde nun verlassen traurt!

Verlassen? Nein! ich folge ihm!

 

Diese Zeilen sang sie halb recitirend, mit niederhangendem Haupte. Bei dem Worte: „verlassen?“ richtete sie langsam den Kopf in die Höhe, und warf traurige Blicke auf den Baron. Sie schloß mit einem tiefen Seufzer; dann sank die Laute aus den weißen Armen auf den Boden. Verlassen? sagte sie; ach, könntest du mich verlassen, mein Geliebter? Der Baron sprang auf, warf sich vor ihr auf die Kniee, und rief mit nassen Augen: „nein, geliebte, theure Thusnelde, nimmermehr!“ Sie schlang die weißen Arme um seine Schultern, und hing an seinen Lippen.

Der Baron sprang auf, faßte sie in seine Arme, und zog sie auf seine Kniee. Alle seine Begierden stürmten, als er das reitzende Mädchen so an seiner Brust hielt. Ihre Liebkosungen entflammten seine Begierden noch mehr; aber auf einmal entzog sie sich seinen Armen. Er eilte ihr nach. Sie legte die flache Hand vor seine Brust, und hielt ihn von sich ab. Nein, rief sie, beinahe schluchzend; ich bitte dich, geh! geh! Soll wieder die Reue mein Herz zerreißen? Sie schlug die Hände zusammen, hob sie gefaltet auf, und beugte den Kopf zur Seite nieder, daß die blonden Locken über den schönen Nacken schwammen. Was den Baron abhalten sollte, reitzte ihn noch mehr. Er faßte sie wieder in seine Arme, und sie riß sich wieder von ihm los. „Höre mich, geliebte Thusnelde!“ fing er an; „setze dich zu mir!“ Nun erklärte er ihr mit stockender Stimme – er wußte die Worte dafür nicht zu finden –, daß sie ja sein Weib sey, und daß sie als eine Celtin schlechterdings nichts gegen eine solche vorläufige Ehe haben könne. Aber das alles war in den Wind gesprochen; Julie setzte seinen Gründen Thränen, seinen Vorstellungen Seufzer, seinen Bitten Händeringen entgegen. Er gab endlich nach, so wenig er auch zu begreifen wußte, wie seine so reine Celtin einen echt Celtischen Gebrauch so abscheulich finden konnte. Nach Mitternacht verließt er Juliens Zimmer, und wirklich mit großer Achtung für ihre reine, fleckenlose Seele. „Welch eine unbesiegbare Keuschheit!“ rief er aus. Er hätte sich nun gern auf der Stelle mit Julien trauen lassen, und beschloß wenigstens sogleich Anstalten zu treffen, daß sie ganz die Seinige würde.

Julie war nun vollkommen überzeugt, daß der Baron ihr nicht entgehen könnte, seine Schwüre in dieser Nacht, seine Versicherungen, sein Entzücken, alles machte sie ihrer Sache gewiß. Der Sieg war errungen; und sie berechnete schon, mit welcher Pracht, mit welchem Aufwande sie leben wollte. Ich werde, dachte sie, Paris endlich wiedersehen, und als Baronin von Flaming!

So oft Julchen die stille Iglou sah, fiel ihr auch ein, daß dies ihre Nebenbuhlerin war, und sie bekam jedesmal Lust, über ihren Sieg zu triumphiren. Nur das Verbot, die Bitten ihres Bruders hielten sie zurück; aber ganz konnte sie ihrer Eitelkeit den Triumph doch nicht versagen: sie machte Anspielungen, durch die Iglou aufmerksam wurde. Iglou hatte schon bemerkt, daß nicht alles so war, wie es seyn sollte. Sie sah, in welcher großen Vertraulichkeit der Baron mit Julien lebte, und wie sichtlich er sich bemühete, das Gespräch von dem Mädchen zu vermeiden. Juliens Anspielungen gaben ihr nun volles Licht.

Sie benutzte die erste Gelegenheit, da sie den Baron allein hatte, (was jetzt nicht oft mehr der Fall war), und fragte ihn: du liebst Julien? Der Baron bejahete es.

Du hast ihr gesagt, daß du sie liebst?

„Liebe Iglou, höre mich an!“

O, ich bitte dich, theuerster Herr, Vertrauen bist du deiner Iglou schuldig. Du hast es ihr gesagt? hast ihr deine Hand versprochen?

„Ja, Iglou; Julie ist mein, und ich bin der glücklichste Mann auf der Erde. Julie ist mein, und ... ja, Iglou, ich will offenherzig reden – sie ist mein Weib.“

Iglou schrie auf, und fuhr zurück. Unglücklicher! was hast du gethan!

Der Baron erzählte ihr seine Begebenheit. „Nun siehst du selbst, Iglou, daß sie mein Weib ist.“

Iglou blickte gen Himmel, und rief: abscheuliche Buhlerin!

„Buhlerin?“ fragte der Baron sanft. „Iglou, ich kann es nicht ertragen, wenn du ungerecht bist!“

Ungerecht? Theurer Herr, ich bin nicht ungerecht. Aber du erzählst ja selbst, daß sie als Thusnelde so reitzend gewesen ist. Sag mir doch: wie kam das keusche Mädchen sogleich zu dieser lockenden Kleidung? Sie wurde gemacht, dich zu locken. Der Plan, dich zu fangen, war mit buhlerischer Kälte ersonnen. Wir haben hundertmal Thusneldens Lieder gesungen; warum kam sie nie mit dem Anzuge zum Vorschein? warum in der Nacht? O, listige Buhlerin! Abscheuliches Gewebe von Bosheit!

„Du bist ungerecht, Iglou! Ist denn nicht schon lange die Rede davon gewesen, einmal Scenen aus meinem Hermann aufzuführen? Haben wir nicht schon längst von dem Costüme gesprochen? Natürlicher Weise läßt Julie sich eine solche Kleidung machen, und zieht sie an, als der Zufall unser Gespräch auf Thusnelden bringt. Wir waren den Abend so heiter gewesen.“

Glaubst du mich zu überreden, die Begebenheit dieser Nacht sey bloßer Zufall? Ich kenne ja diese Julie. Ich kenne sie!

„Iglou, muß ich dich denn an jene Nacht erinnern, da eine ähnliche Verirrung der Sinne dich beinahe zum Opfer deiner Schwäche ...“

Ja, das Herz kann weit treiben! Ich läugne es nicht, theurer Herr, meine Sinne waren dahin; und wenn du gewollt hättest, so wäre ich gefallen. Nur ein Glück, ich gestehe es, rettete deine und meine Unschuld. Aber Julie selbst, ihre List, nicht ihr Herz, riß dich dahin. Sie triumphirt über deine Schwäche; ich würde darüber trostlos gewesen seyn.

„Trostlos, wenn du mein Weib geworden wärest? Sieh, Iglou, wie der Eifer dich ungerecht macht!“

Du würdest mich geheirathet haben? fragte Iglou mit großen erwartenden Augen; das würdest du?

„Natürlich! ich hätte dich ja als mein Weib betrachten müssen, und folglich auch geheirathet. – Was sinnst du nach?“

Und hättest mich auch geliebt, wenn ich dein Weib gewesen wäre? fragte Iglou mit sehr bewegter, langsamer, feierlicher Stimme.

„Geliebt oder nicht geliebt, Iglou! Ich würde gethan haben, was meine Pflicht war. Du wärst mein Weib geworden.“

Iglou warf sich vor ihm nieder. O, theuerster Herr, wenn du das Glück kenntest, das für mich in dem Gedanken liegt, dein Weib zu seyn! O, Erde und Himmel! Meine Seele wäre vergangen unter der Wonne! Dein Weib! ... Und dennoch – setzte sie finster hinzu – würde ich deine Hand ausgeschlagen haben. Das weiß ich, das fühle ich, so gewiß ich fühle, daß ich bin. Sterben kann ich für dich, aber nimmermehr dich unglücklich machen. Nein, nein, (fuhr sie schwermüthig fort); deine Liebe ist der Preis, nach dem ich ringe, nicht deine Hand. Julie ringt nach deiner Hand, nicht nach deiner Liebe; und o! sie liebt dich nicht: sie will nichts als dein Vermögen.

„Iglou! Schwärmerin! Ich weiß, daß du meine Freundin bist, und daß dir an meiner Freundschaft genügt. Du verstehst deine eigenen Gefühle nicht; denn wie könntest du mich lieben, da du nicht einmal von meinem Stamme bist! Liebe Iglou, was du von mir wünschen kannst, das hast du: meinen Schutz.“

O, das weiß ich, erwiederte Iglou. Aber daß diese Julie, die deinem und meinem Herzen, die der Tugend und der Liebe fremd ist – daß diese mit den Künsten der Buhlerei dies Herz, dies Herz voll Liebe besiegen soll, das schmerzt! O, wenn nun einmal die schöne Larve von ihrem Gesichte fällt, wenn du nun mit gerungenen Händen dastehst vor dieser todten, leeren Gestalt, und die Liebe forderst, die ihr blitzendes Auge dir log; dann wirst du rufen: Iglou, wo find' ich dein Herz! und dies Herz wird in Asche zerfallen seyn. – Sie hielt die Hände vor ihr Gesicht, und verließ schluchzend das Zimmer. Der Baron sah ihr tiefsinnig nach, und sein Herz empfand die mitleidigste Rührung.

Iglou ging in die Einsamkeit. Sie war sich eines tiefen Hasses gegen Julien bewußt; und für Emilien hatte sie Liebe gefühlt. Unrecht thäte ich dem Mädchen? sagte sie zu sich selbst. Unrecht? – Sie war gewohnt, einen solchen Gedanken nicht fallen zu lassen, und übersann noch einmal Juliens ganzes Benehmen. In der That konnte sie doch nichts Böses von ihr sagen. Julie war ein leichtsinniges, eitles Geschöpf, das übrigens mit der ganzen Welt gern in Frieden lebte, Niemanden beleidigte, und, wenn sie sich nur geputzt hatte und ein Vergnügen vor sich sah, gutherzig genug war alles Andere wegzugeben. Es fehlte ihr auch nicht an Geist. Freilich hatte sie ihren Verstand nicht zum Nachdenken gewöhnt; aber sie schwatzte doch recht angenehm, und ihre Possen gefielen. Sie war nicht edel, das konnte Iglou selbst mit dem zartesten Gefühle der Billigkeit behaupten; aber auch nicht böse. Konnte sie dabei nicht immer den Baron lieben? und wenn sie ihn liebte, konnte sie ihn nicht glücklich machen, und selbst durch seine Liebe veredelt werden? Diese Frage wußte Iglou nicht zu beantworten.

Iglou kam von selbst auf den Gedanken, ob wohl bei ihr nicht Eifersucht mit im Spiele seyn könnte. Sie stützte den Kopf lange in die Hand, und mußte sich zuletzt freilich gestehen, daß diese Leidenschaft ihre Gefühle schärfte. Aber Emilien hatte sie nicht gehaßt, und jetzt doch Julien! Ein neues Räthsel. Sie fand endlich, daß Juliens triumphirende Anspielungen auf ihren Sieg hauptsächlich ihren Haß erregt hatten. Doch sie fühlte auch Verachtung gegen Julien; und diese entstand aus der Ueberzeugung, daß Julie den Baron nicht liebte, sondern nur, weil er reich war, ihm Liebe heuchelte. „Aber thut sie das?“ Schon zum zweiten Male stieß Iglou auf diese Frage, und wußte sie nicht zu beantworten. Sie zitterte, daß sie ihrer Feindin Unrecht thun möchte. Wie konnte sie darüber Gewißheit bekommen? Der Baron war, das fühlte sie, diesmal zu keiner Probe zu bewegen; denn er betrachtete ja Julien schon als sein Weib. Sie überlegte, und fand sich nicht heraus.

Nur noch Zeit! rief sie; Zeit, um ihn zu retten! Sie fiel endlich auf einen Plan. Er war schwierig, gefährlich; und dennoch beschloß sie, ihn auszuführen. Aber auf einmal stieß sie auf die Frage: leitet dich nicht Eigennutz, Iglou? liegt nicht die Hoffnung im Hintergrunde, den Baron von Julien loszureißen und ihn dann selbst zu behalten? – Sie ging schwermüthig auf und ab, und mußte sich mit schlagendem Herzen gestehen, daß diese reitzende Hoffnung tief in ihrer Seele läge. Jetzt gab sie den Gedanken, ihn zu retten, wieder auf. Aber wenn sie nun aufs neue dachte, daß er die Beute einer Buhlerin werden, daß ihn ein Herz ohne Liebe, ohne Tugend, betriegen sollte; dann ergriff sie den Plan, den sie entworfen hatte, mit neuem Eifer.

Nein, sagte sie zuletzt, erst will ich mein eigenes Gewissen sichern. Ich gebe ihn auf, um ihn retten zu dürfen. Wie die Begebenheiten auch fallen mögen; von nun an entsage ich seiner Hand und seiner Liebe. Er soll nie mein seyn! nie, nie! Die Tugend hat meine Versicherungen gehört. Ich will ihn retten – und sterben!

Iglou fühlte sich nun, da sie ihr eignes Glück aufgeopfert hatte, muthig und stark, alles zu wagen. Sie ging zu dem Baron, und sagte ihm mit Ruhe und Offenheit: ich weiß, daß du Julien heirathen willst. Wohl denn! ich bin ruhig, so ruhig als ich seyn kann, wenn dein Glück auf einem so gefährlichen Spiele steht. Bestimme mir den Tag deiner Hochzeit. Wir, Julie und ich, passen nicht für einander. Ich kann dir auch das letzte Opfer bringen: dich verlassen. – Davon wollte der Baron nichts hören; aber Iglou überzeugte ihn sehr bald, daß es seyn müßte. Ihr Ton war räthselhaft; und sie wählte diesen Ton mit Vorsatz. Zuletzt fragte sie ihn noch sehr feierlich: hast du deine Iglou lieb gehabt? (Er umfaßte sie recht herzlich.) Nun denn! Das Leben ohne dich hat noch einen Reitz für mich. Ich kann, wenn nicht glücklich, doch zufrieden werden; oder soll ich das nicht? – „Fordre Iglou! ich kann alles für deine Zufriedenheit; nur nicht gegen Julien ungerecht seyn!“

Du wärest also im Stande, auch deiner Iglou ein Opfer zu bringen? – „Iglou, ich bitte dich, rede.“ – Sie drückte ihm die Hand. Du sollst es erfahren. Iglou verläßt dich; aber dein Schicksal falle, wie es wolle, ich sehe dich wieder, wenn meine Gegenwart dir Freude bringen kann, Theil an deinem Glücke zu nehmen, oder mit dir zu weinen! ...Wann wirst du Julien deine Hand geben? – Der Baron wollte noch einen Monath warten, um Anstalten zu treffen, seiner Mutter zu schreiben, und alles einzurichten. – Einen Monath? Versprichst du mir das? fragte Iglou. – Der Baron gab ihr die Hand darauf. Ich wünsche dir Juliens Liebe, theurer Herr, und ich will sie anbeten. – Sie verließ ihn mit Thränen in den Augen.

Nun aber ging sie rasch an die Ausführung ihres Planes. Sie schrieb an Emilien, erzählte ihr die ganze Begebenheit mit Julien, setzte ihre Besorgnisse, daß der Baron betrogen würde, aus einander, beschwor Emilien, ihn retten zu helfen, und nahm diese zur Zeugin, da sie der Hand, der Liebe des Barons entsage und nicht aus Eigennutz handle. „Emilie“, schrieb sie; „er brachte deinem Glücke seine Liebe zum Opfer. Thue nicht weniger für ihn, und opfere ihm einige Bedenklichkeiten auf, die du freilich, das sehe ich vorher, wohl haben wirst.“ Sie unterrichtete Emilien von allen Theilen ihres Plans auf das genaueste, und sagte ihr dabei, daß der Plan wegen Kürze der Zeit nicht mehr umgeändert werden könnte. Als Iglou mit Thränen geschrieben und ihren Brief geendigt hatte, nahm sie ihn in ihre Hand, hob ihn gen Himmel, und rief: o Ewiger! gieb ihm die Kraft zu rühren! Dann schickte sie ihn mit einer Stafette an Emilien.

Emilie fühlte bei dem Briefe eine sanfte Rührung; und doch schien ihr Iglou's Vorschlag unmöglich auszuführen. Sie ging zu ihrem Manne. Lieber Hilbert, ich habe einen Brief von der guten Iglou. Sie fing an zu erzählen. „Hedler?“ sagte Hilbert, als ob er sich besönne; „Mamsell Hedler? Stehen keine näheren Umstände von ihr in dem Briefe? Hat sie nicht einen Bruder, einen vortrefflichen Violinspieler?“

Ganz recht, lieber Hilbert; und Iglou meint, der regiere alle Fäden der Betriegerei. Kennst du die Leute?

„Sehr genau, liebe Emilie; von Paris her. Sie ist eine ungemein schöne Blondine, eine wahre Celtin, wie unser guter Baron sagt.“

Emilie gab ihrem Manne den Brief. „Der Plan ist toll genug“, sagte er; „und – soll ausgeführt werden. Lustig, liebe Emilie! Wir wollen nach Berlin. Packe nur deinen Jungen ein. Der Baron soll sehen, was für einen Celten wir in die Welt gesetzt haben. O, Emilie, ich freue mich in der That, den edlen Thoren wiederzusehen, dem ich das Glück meines Lebens, dem ich dich verdanke. Noch mehr aber freue ich mich darauf, daß ich im Stande bin, ihn aus den Händen eines Mädchens zu retten, das erst sein Vermögen mit der sinnlosesten Verschwendung gänzlich zu Grunde richten und dann ihn ohne Bedenken verlassen würde.“

Mein Gott! in den Händen einer solchen schwarzen Seele ist er? O, laß uns eilen!

„Schwarzen Seele, Emilie? Das nun wohl nicht. Wahrhaftig, diese Julie würde das Vermögen der ganzen Erde verthun, ohne etwas Arges daraus zu haben, und hinterher mit jedem Unglücklichen weinen, den sie an den Bettelstab gebracht hätte. Das Mädchen hat gar keine Seele. Sie will genießen, mit allen Sinnen genießen; und darum ist der reichste Mann ihr der willkommenste. Laß uns eilen, Emilie! Vielleicht verschafft Iglou's Plan uns noch obendrein das Glück, einen Freund auf Erden zu wissen, der sich für uns aufopfert. Sieh, Emilie, ich bin vergnügt wie ein König. Komm Junge! komm! Du sollst dem Manne, ohne dessen Edelmuth du nicht hier wärest, zur Dankbarkeit für deine Existenz die Ohren voll schreien.“ Mit diesen Worten nahm Hilbert seinen Sohn auf, und eilte aus dem Zimmer.

Die Anstalten zur Reise wurden gemacht, und schon am folgenden Morgen saß die Familie im Wagen. Nun ging es von früh Morgens bis spät in die Nacht auf Berlin zu, das sie am sechsten Tage gesund erreichten. Iglou, die schon durch eine Stafette Nachricht hatte, empfing die Fremden im Wirthshause. Es war ein rührender Anblick, wie Iglou und Emilie, fest von einander umschlungen, laut schluchzend da standen, bis endlich Hilbert Iglou'n seinen Knaben zeigte. Mein Sohn! sagte Emilie; und Iglou streckte die Arme nach ihm aus. Der Knabe bog sich zurück, fing an zu schreien, und äußerte den stärksten Abscheu. Emilie wollte ihn mit Gewalt der Schwarzen geben; aber diese sagte mit einem sanften Lächeln: das ist mein Geschick nun einmal! – Aber wer dich kennt, Iglou, erwiederte Emilie weinend, wer dein Herz kennt, der liebt dich wie ich, der theilte sein Leben mit dir.

Iglou erkundigte sich nach ihrem Wilden. Hilbert zuckte die Achsel, und sagte: ihm fehlt dein Herz, Iglou, dein feines, geschmeidiges, zärtliches Herz. Emilie wollte deine Rolle übernehmen; aber, gute Iglou, wer kann das Werk endigen, das dein Herz begonnen hat! Er ist völlig wieder so wie im Anfange, ausgenommen, daß er jetzt häufig deinen Nahmen nennt, und mit dem allein beruhigt werden kann.

Man ging nun Iglou's Plan genauer durch, und schritt dann sogleich zur Ausführung. Daß Hilbert Julien schon kannte, verschwieg Emilie auf seine Bitte.

Als Iglou wieder nach Hause gegangen war, schrieb Emilie folgenden Brief an den Baron:

„Theuerster Freund, hier sitze ich verlassen, in den Thränen des allerschrecklichsten Elendes gebadet, und ach! von den Vorstellungen einer noch schrecklicheren Zukunft gefoltert. Die einzige Hoffnung, die mich in dem Sturze meines Glückes noch aufrecht hält, sind Sie, Sie, schon einmal der Retter meines Glückes, und meiner Ruhe. Mein unglücklicher Mann, Hilbert, Ihr Freund, lieber Flaming! schmachtet in einem Kerker. Der Fall eines Handelshauses und seine Großmuth stürzten auch ihn. Er wollte seinen Freund retten, und verbürgte sich für ihn mit Wechseln. Bei seiner freundschaftlichen Hitze vergaß er sich zu erkundigen, ob er Bezahlung hoffen könnte; und jetzt büßt er seine Großmuth mit dem Gefängniß. Ein ungeheurer Verlust meines Schwagers raubte ihm die Mittel, die Wechsel zu bezahlen. O Flaming, was habe ich gelitten, als man ihn aus meinen Armen, aus den Armen meines Sohnes riß! Er warf einen sterbenden Blick auf mich, und rief mir zu: Flaming! Dieser Name war sein Trost, und ist meine Hoffnung. O Flaming, wenn Sie das Elend kennen sollten, in das ich versunken bin! Hundertmal habe ich meinen Sohn gen Himmel aufgehoben, und um Erbarmen für das unschuldige Kind geflehet. Ach! es lächelt; und sein Lächeln stürzt mich in Verzweiflung. Man sagt mir, und ein Billet meines Mannes, das ich Ihnen beilege, bestätigt es, daß sechzig tausend Thaler ihn retten würden, und daß diese Summe, wenn man sie schnell anschaffte, sogar sein ganzes Glück wieder herstellen könnte. Ich weiß nicht, ob es so ist. Man bedauert mich, wenn ich klage, macht sogar meinem Manne über seine Großmuth Vorwürfe, und zuckt die Achseln, wenn ich um Hülfe bitte. O, liebster, edelster Mann, erbarmen Sie Sich einer Mutter, die längst im Elende vergangen wäre, wenn sie nicht Ihr Herz kennte. Ich zähle die Augenblicke an meinen Thränen, an dem ängstlichen Schlagen meines zerrissenen Herzens.

Ihre unglückliche Emilie.“

„O, ich bitte Sie, verschweigen Sie jedem Menschen unser Unglück!“

Ein Briefträger brachte den Brief, als der Baron bei Iglou war. Er las ihn, wurde blaß, und rief, mit hellen Thränen in den Augen: „Iglou! Emilie ist unglücklich! Gott Lob, Gott Lob! O, ich bin ein glücklicher Mensch! ich kann ihr helfen. Sag' Julien, daß ich heute Abend nicht zu Tische komme. Gott Lob, Emilie! ich kann dir helfen.“ Er steckte den Brief in die Tasche, und eilte zum Hause hinaus. Iglou zerfloß in Thränen, und rief: edler Mensch! und dich sollt' ich nicht lieben? Nein, so lange dieses Herz schlägt, liebe ich dich, und theile mit dir, was ich habe, Leben und Seele!

Am Abend spät kam er matt, und dennoch fröhlich, zurück. „Emilie ist gerettet“, sagte er. „Hier, Iglou, sieh! (Er zog Wechsel auf sechzig tausend Thaler hervor.) Verschließ diese Papiere, Iglou, und laß auf morgen eine Stafette bestellen! ... Ich will nur auf einige Augenblicke zu Julien.“ Sein Auge glühete, und seine Brust hob sich vor Freude. Er ging zu Julien hinunter, und blieb einige Minuten mit der innigsten Zärtlichkeit bei ihr. „O“, sagte er, als er wieder weggehen wollte; „Julie, wie fühle ich jetzt, daß nur der Tugendhafte der Liebe fähig ist! Wie unendlich, Julie, wie unbeschreiblich süß ist heute meine Liebe zu dir!“ Er eilte weg, schrieb einen rührenden Brief an Emilien, und lief dann auf Iglou's Zimmer. Sie war ausgegangen, und hatte den Schlüssel zu dem Schreibtische, worin die Wechsel lagen, mitgenommen. Er wartete Eine Stunde, zwei Stunden; Iglou kam nicht. Nun wurde er unruhig; doch gegen Morgen legte er sich nieder, und befahl, wenn Iglou käme, ihn sogleich zu wecken. Iglou war auch am Morgen nicht da. „O, mein Gott!“ rief er ungeduldig; „sucht sie!“

Er lärmte, er rief. Julie und ihr Bruder gingen zu ihm. Was haben Sie vor, lieber Flaming? – „Iglou hat den Schlüssel zu dem Schreibtische. Ich brauche ihn so nothwendig!“ – Nun, lassen Sie ihn doch aufbrechen. Als das geschehen war, fand der Baron nur für zwanzig tausend Thaler Wechsel, und einen Zettel von Iglou's Hand. Er wurde todtenblaß, und machte den Zettel mit Zittern auf.

Iglou schrieb ihm: „Theuerster Herr, ich habe dich verlassen müssen, weil ich nicht länger sehen konnte, daß du eine Andere liebst. Mein Herz zerriß unter den vielfachen Wunden, die deine Hand ihm gab. Ich habe vierzig tausend Thaler mitgenommen; nicht für mich: ich bedarf nichts; nein, um den einzigen Wunsch, den mein Herz mitten in seinem Elende noch fühlt, befriedigen zu können: der Trost, die Hülfe Unglücklicher zu werden, da ich selbst nicht glücklich seyn kann. Dies ist das letzte Opfer, von dem ich dir neulich sagte, daß du es mir bringen solltest. Ich bitte, forsche nicht nach mir. Gönne meinem zerbrochenen Herzen die letzte Freistätte. Morgen bin ich weit von Berlin. Lebe wohl! O, wenn ich nur erfahren hätte, wodurch Emilie unglücklich geworden ist! Auch den Kummer sollte ich noch mit mir nehmen! Du hattest nicht Zeit, es deiner Iglou zu sagen; du gingest zu Julien, und sahest Iglou's letzte Thränen nicht. Lebe wohl. Wir sehen uns wieder. Gewiß, wir sehen uns wieder, wenn du glücklich oder unglücklich bist! Iglou.“

Des Barons zitternde Hand konnte kaum das Papier halten; der Angstschweiß brach in Tropfen aus seiner Stirne hervor. Endlich rief er: „o Gott! Gott im Himmel! sie ist fort! Gott! großer Gott! die unglückliche Emilie! O, es ist schrecklich! sehr schrecklich!“ Er warf sich trostlos in einen Stuhl. Julie und ihr Bruder drangen in großer Bestürzung mit Fragen in ihn. „Iglou ist fort“, sagte er unruhig; „und die Unglückliche hat mir vierzig tausend Thaler mit genommen, die bestimmt waren ... Ich bin in der fürchterlichsten Unruhe.“ – Vierzig tausend Thaler? rief Hedler erstaunt; lieber Baron versäumen Sie keinen Augenblick! Lassen Sie der Betriegerin nachsetzen! – „Betriegerin?“ fuhr der Baron auf; „nein, das ist sie nicht! O wenn sie wüßte, wozu das Geld bestimmt war! ... Großer Gott! welche Thränen wird ihr das einmal kosten!“ – Versäumen Sie keinen Augenblick, lieber Baron! Vierzig tausend Thaler! Liebster Baron, wenn ihnen auch jetzt die Augen über den Charakter der Schwarzen nicht aufgehen! Kommen Sie mit zum Polizei-Präsidenten! – „Was soll ich da? Hat er Geld? Geld brauche ich, und noch heute! diese Stunde!“

Hedler erfuhr endlich nach vielem Fragen den Zusammenhang der Begebenheit. Er suchte nun mit allen möglichen Gründen den Baron zu bewegen, daß er Iglou als einer Betriegerin nachsetzen ließe. Nichts ist leichter als das, sagte er; eine Mohrin verräth sich überall durch ihre Farbe. Der Baron fuhr eifrig auf; und als Hedler gar das Wort Steckbrief gebrauchte, warf der Baron einen zornigen, verachtenden Blick auf ihn und Julien, die ihres Bruders Meinung war. „O, Iglou!“ sagte er laut: „ist es möglich? kann man es wagen, mir einen solchen Vorschlag zu thun?“ Julie beruhigte ihn wieder. Hedler sagte empfindlich: ich begreife nicht, Herr Baron, in welchem seltsamen Verhältnisse Sie mit dieser Mohrin stehen, daß es Sie so nachsichtig macht. Das Mädchen stiehlt Ihnen eine ungeheure Summe, setzt Sie dadurch, wie Sie selbst sagen, in unbeschreibliche Verlegenheit; und Sie? Sie wissen nicht, ob Sie den Diebstahl nicht lieber gar eine tugendhafte Handlung nennen sollen! In der That, die Tugend kann, wenn sie zu weit getrieben wird, Thorheit werden.

„Tugendhaft nenne ich die Handlung nicht; eine Unbesonnenheit ist es. Und mein Verhältniß mit diesem Mädchen, das Sie nicht begreifen können? Nun, es ist das Verhältniß der Natur. Das Mädchen liebt mich.“ – Eine schöne Liebe, die Sie bestiehlt! – „Bestiehlt?“ rief der Baron in der That sehr zornig. „Wollen Sie die Güte haben und in anständigem Ausdrücken von einem Mädchen reden, das ich meine Freundin nenne? ...Wie?“ – fuhr er sanfter fort; „Iglou hat mir das Leben gerettet: und ich sollte sie der harten Gerechtigkeit überliefern, die so wenig auf des Mädchens Gründe zu dieser Unbesonnenheit, als auf meine Empfindungen Rücksicht nehmen würde? Nennen Sie das meinetwegen Narrheit. Aber genug, ich will nicht Liebe mit Haß, Güte mit Grausamkeit, Tugend mit Gefängniß belohnen. Glauben Sie mir, diese Iglou, die Sie des Diebstahls beschuldigen, würde jetzt mit Freuden ihr Blut für meine Ruhe aufopfern. Meinen Sie denn, sie hätte mich auf immer verlassen?“

Hedler lachte laut. Julie fragte den Baron: was ist denn das für eine Emilie, die Sie vorhin nannten?

„Eben die Unglückliche, der die sechzig tausend Thaler bestimmt waren. Ihr Mann sitzt wegen einer Wechselschuld im Gefängniß. Diese Summe konnte ihn retten. Eben gestern hatte ich sie zusammen gebracht; und heute wollte ich sie abschicken.“

Sechzig tausend Thaler? fragte Hedler erstaunt. Und welche Sicherheit haben Sie dafür? – „Sicherheit? Emilie schreibt mir, daß dies Summe vielleicht das Glück ihres Mannes wieder herstellen könne.“ – Und auf dieses Vielleicht hin wagen Sie eine so große Summe? Wahrhaftig, Herr Baron, mich wundert nur, daß Sie bei dieser seltsamen Großmuth noch eine solche Summe wagen können. Jetzt fange ich an einzusehen, daß Sie der Mohrin Dank für ihren Diebstahl schuldig sind; sie hat sich doch mit vierzig tausend begnügt! – „Und setzt mich in die Verlegenheit, aufs neue vierzig tausend zu borgen“ – Aufs neue? und das wäre Ihr Ernst?

Der Baron setzte ihm nun aus einander, wie sehr er Emilien liebe; und dabei traten ihm wieder Thränen des Mitleidens in die Augen. Er schwor, er betheuerte Emilien, als ob sie gegenwärtig wäre, daß er ihr helfen wolle. Julie sagte mit ihrer gewöhnlichen Heiterkeit: ich sehe, lieber Flaming, man muß sich weit eher wünschen, ihre Freundin zu seyn, als ihre Frau!

„Julie“, sagte der Baron mit Zärtlichkeit; „dir würde ich mein Leben aufopfern!“ Hedler verlangte von ihm einen Ueberschlag seines Vermögens. Er rechnete, und fand sehr bald, daß dem Baron nach dem Verlust der beiden Summen nicht gar viel mehr übrig bleiben würde. „Aber“, sagte der Baron; „die Summen sind nicht verloren.“ – So gewiß verloren, daß ich Ihnen darauf nicht eine zerrissene Quinte von meiner Geige borgte. Ich bitte Sie, lieber Baron, machen Sie Sich nicht zum Bettler. Und wenn Sie auf Sich selbst nicht achten, so vergessen Sie doch Julien nicht! Julie liebt Sie; aber sie ist auch gewohnt in Bequemlichkeit zu leben. Seyn Sie nicht ungerecht gegen Ihre Geliebte, gegen Ihr Weib, um verschwenderisch gegen Ihre Freunde zu seyn. – Ich werde doch sehen, sagte Julie, wen er mehr liebt: diese Emilie oder mich!

Der Baron stand unentschlossen da. Er warf einen Blick auf Julien, dann einen auf Emiliens Brief. „Nein“, sagte er endlich; „und gesetzt auch, daß die beiden Summen verloren gingen, so bliebe mir noch immer so viel übrig, daß ich mit Julien auf dem Lande anständig leben könnte.“

Auf dem Lande? erwiederte Julie; lieber Flaming, das ist mir unmöglich! – „Nun, Julie, auch in der Stadt. Aber, wenn du das Land kenntest! Sieh, mit der Sonne ständen wir auf, baueten selbst unser Feld, gingen ...“ – Flaming, Sie sind doch wahrhaftig nicht gescheidt! Ich das Feld bauen? O, ich müßte mich ja vor dem lieben Gott schämen, der mir die feine Haut, den schönen Teint gegeben hat. Lieber Baron, lassen Sie doch die Possen! Meinen Sie denn, ich soll vom Winde leben, mich von dem Regenbogen kleiden, und mit den Mücken in der Luft auf Bälle gehen? Behalten Sie Ihr Geld! Sie sind ja ohnedies schon um vierzig tausend Thaler ärmer.

Hedler fing nun an aus einem andern Tone zu sprechen. Er stellte dem Baron vor, daß Julie, so sehr sie ihn auch liebe, dennoch nicht die Seinige werden könne. In der That, lieber Baron, sagte er, Julie bringt Ihnen ein Opfer, wenn Sie dann Ihre Hand ausschlägt; doch – sie ist nicht daran gewöhnt sich einzuschränken.

„Aber, wenn sie nun schon meine Frau wäre, und ich würde arm?“

Davor behüte Sie der Himmel! Dann aber wäre sie nun einmal Ihre Frau.

„Sie ist es ja jetzt schon.“

Nun, eben deswegen müssen Sie Ihre Frau nicht unglücklich machen. Wählen Sie, Baron! Hier stehen Sie zwischen Julien, Ihrer Geliebten, und Emilien, Ihrer Freundin. Bedenken Sie doch! Sie wollen Sich arm machen, damit Ihr Freund reich werde; Sie wollen mit Ihrer Frau in Mangel leben, damit Ihr Freund Ueberfluß habe. Die Thorheit springt ja in die Augen. Bieten Sie Ihren Freunden einen Zufluchtsort auf Ihren Gütern an, und ... O, zum Teufel! wenn wir nur die vierzig tausend Thaler wieder hätten! Ich beschwöre Sie, Baron, lassen Sie der schwarzen Heuchlerin nachsetzen!

Der Baron stand nachdenkend da. Er begriff, daß Hedler nicht Unrecht hatte; und dennoch fühlte er wieder sehr bestimmt, daß er Emilien nicht in Noth lassen dürfte. Sein Herz war mit seinem Verstande in Streit. „O Emilie!“ rief er; „wenn dieser Schlag des Schicksals mich allein, und nicht auch Julien träfe, mit Freuden wollte ich das Grabscheit in die Hand nehmen. Ich Unglücklicher! O Gott! wem soll ich folgen!“

Julie umarmte ihn, und heftete ihre Lippen auf seinen Mund. Hedler redete ihm zu. Auf einmal rief der Baron mit schmerzlicher Stimme: „ja, Julie; ich will hart seyn. Aber, Julie, Julie! wenn nun Emilie versinkt unter der Last ihrer Verzweiflung; wenn der Kummer, der Gram, die Angst ihr Herz bricht; wenn sie stirbt, und ihr Schatten uns Beiden erscheint; wenn sie seufzend mir vorwirft, daß ich kein Freund war, daß ich mein Glück dem ihrigen vorzog; wenn ich dann verzweifle: – wer wird mich retten!“

Julie erschrak vor den Bewegungen des Barons, der mit rollenden Augen die Hände von sich streckte, als ob Emiliens blutiger Schatten vor ihm stände. Meinetwegen, rief sie; so thun Sie, was Sie wollen! Aber ... – Ein finstrer Blick von ihrem Bruder unterbrach sie. Er sagte versichernd: Sie sehen Gespenster Ihrer Phantasie, Baron. Es sind schon unzählige Familien arm geworden, und darum nicht gestorben. Man arrangiert sich, so gut man kann, und vergißt über neue Entwürfe zum Glücke, daß man schon einmal glücklich war.

„Nun ja! aber ich würde nicht unglücklich seyn; ich würde in Juliens Armen nicht nöthig haben, Entwürfe zu machen, wie ich glücklich werden wollte. O, Julie, ich beschwöre dich, laß mich durch dieses Opfer, das ich der Freundschaft bringe, dir den Beweis geben, daß ich nur durch dich glücklich bin. Gieb du mir selbst den Beweis, daß du mich liebst, und in meinen Armen dein Glück findest.“ – In Ihren Armen, Baron, ist es recht gut, und ich bin da gewiß sehr glücklich. Aber meinen Sie denn, daß mich in Ihren Armen nicht hungern wird? Wie gesagt, geben Sie Alles weg; aber ... – Ein Blick von dem Bruder gebot ihr wieder Stille. Kurz, Hedler bewog den Baron zu dem Entschlusse, daß er erst an Emilien schreiben und sich näher erkundigen wollte.

Der Baron blieb allein mit seiner Unruhe. Julie sagte zu ihrem Bruder: Iglou ist klüger, als wir Alle. Ich wollte, ich hätte die vierzig tausend Thaler, und Iglou seine Hand; denn der verschenkte mir ja am Ende die Ringe von den Fingern, die Kleider vom Leibe.

Iglou war indeß, mit einer Kappe vor dem Gesichte, daß man sie gar nicht bemerkte, noch Abends spät zu Hilberts gekommen, und von einem treuen Bedienten eingeführt worden. Sie erzählte mit Thränen die Großmuth des Barons, und zeigte die Wechsel vor. Emilie fiel Hilberten, vor Freude laut weinend, in die Arme. Hilbert sagte mit tiefer Rührung, und wie begeistert: „welch ein Herz! O, wer kann sich eines solchen Freundes rühmen!“ Daß der Baron, wie Iglou glaubte, noch einmal die Summe zusammen bringen würde, um Emilien zu retten, bezweifelte Hilbert. O, er wird es! rief Iglou; er muß es! oder mein Plan ist zerstört, und Julie wird sein Weib. Man schickte am folgenden Morgen den treuen Bedienten aus, um Acht zu geben, ob der Baron ausgehen würde. Der Bediente kam am Abend zurück und brachte die gewisse Nachricht, daß der Baron den ganzen Tag nicht aus dem Hause gekommen wäre. Siehst du, gute Iglou? sagte Hilbert; du forderst mehr von ihm, als der Mensch leisten kann.

Iglou legte die Hand auf ihre Brust, und erwiederte mit weinender Stimme: ich bin ein Mensch, und fühle, daß ich mehr als das für ihn thun würde. Und gewiß, auch er thäte es, wenn Emilie wollte. – Nun, was soll denn Emilie? – Ihn retten; zu ihm gehen. – Emilie, sagte Hilbert schmeichelnd, hast du Muth genug, die Rolle zu spielen? Ich möchte doch einmal erfahren, wozu Flamings Herz fähig ist. Emilie, ich bitte dich, plündere ihn bis auf den letzten Pfennig. Nimm deinen Sohn mit. Ich beneide dich im Voraus, daß du einen Menschen sehen wirst, welcher der Freundschaft Alles, seine Liebe, seine Hoffnungen, aufopfert. Hilbert unterrichtete Emilien ganz genau von ihrer Rolle; und sie ging noch den Abend, von dem Bedienten begleitet, und mit ihrem Sohne auf dem Arme, nach Flamings Wohnung.

Die Wirthin wies sie in Juliens Zimmer. Die Empfindung der Dankbarkeit, der Liebe zu dem Baron, ihre Furchtsamkeit, der Anblick Juliens, die neben dem Baron saß, und ihn in ihren Armen hielt, sein kummervolles Gesicht, und ihre eigene Erwartung, gaben der Rolle, die sie spielen sollte, viele Natur. Sie zitterte, als sie die Thür öffnete, wurde blaß, fing an heftig zu weinen, und blickte dem Baron schweigend ins Gesicht. Ihre Lippen bebten; sie konnte nicht sprechen. „Gott, Emilie!“ rief der Baron, sprang auf, und flog ihr entgegen. Er nahm sie zärtlich in seine Arme. „Gott, Emilie! wie unglücklich bin ich!“ Emilie beugte sich auf ihren Sohn, und sagte mit zitternder Stimme: ach, so lerne unglücklich seyn, mein Kind! Er kann nicht helfen, der Mann, an den der sterbende Blick, das letzte Wort deines Vaters uns verwies! Er kann uns nicht helfen!

Julie stand in der Ferne da, und sah Emilie mit gutherzigen Blicken an. Der Baron warf in der Betäubung matte Blicke auf Emilien. Auf einmal wendete er sich zu Julien, nahm ihre Hand, und führte sie zu seiner unglücklichen Freundin. „Sieh, Julie“, sagte er; „sieh diese unglückliche Mutter! O Julie, erbarme dich ihrer! Auch du wirst einmal Mutter seyn. O, erbarme dich ihrer!“

Emilie hielt diese Gelegenheit für sehr vortheilhaft, Julien in ein übles Licht bei dem Baron zu bringen, und ging auf sie zu. O, wenn Sie helfen können, wer Sie auch sind, erbarmen Sie Sich einer unglücklichen Mutter, einer verzweifelnden Gattin! Sehen Sie, dieses unschuldige Kind streckt seine Arme nach Ihnen aus. Haben Sie Mitleiden mit dem Kinde. – Emilie glaubte, Julie würde sie mit Härte von sich stoßen; aber da hatte sie sich geirrt. Die gutherzige Julie war durch Emiliens unvermuthetes Erscheinen überrascht, und die reitzende Frau in Thränen rührte sie außerordentlich. Thränen konnte sie niemals sehen, ohne selbst zu weinen. Sie nahm Emiliens Kind auf ihre Arme, bedeckte es mit Küssen, und hatte in einem Augenblicke alle Lehren ihres Bruders vergessen. O Flaming, rief sie, retten Sie! hier, ich will Ihnen geben, was ich habe. O, retten Sie! ich kann die Frau unmöglich länger weinen sehen. Emilie sah Julien mit Verwunderung an. Der Baron warf sich in ihre Arme, und rief: „o, meine göttliche Julie, ich kannte ja dein vortreffliches Herz! Sehen Sie, Emilie, das ist meine Julie, das edle, großmüthige Mädchen. Kommen Sie.“ – Er führte Emilien zu Julien. Diese faßte, noch immer mit Thränen in den Augen, sie in ihre Arme, und sagte sehr mitleidig: arme Frau! was mögen Sie gelitten haben! Gott sey Dank, daß Sie selbst gekommen sind! In der That, es geht mir nahe, daß ich etwas gegen Ihre Rettung gehabt habe. Nein, lieber Flaming, retten Sie die Unglückliche! Ich selbst bitte Sie darum.

Diese Sonderbarkeit, auf welche Emilie nicht gefaßt war, setzte sie in Verlegenheit. Sie fragte den Baron: aber, lieber Flaming, meine Rettung kostet Ihnen doch keine Aufopferung? – „Mir Emilie? Welche unfreundschaftliche Frage! Wenn Ihre Rettung ein Opfer ist, so bringt es Ihnen meine Geliebte: sie opfert Ihnen alles auf, und findet in mir alles, alles wieder. O Emilie, welcher glückliche Mann bin ich, daß dieses Herz, dieses einzige Herz, mein ist! ... O Gott! – rief er, und breitete die Arme begeistert gen Himmel: ist in deiner ganzen Welt noch ein so glückliches Geschöpf, wie ich! Emilie gerettet, und dieses Herz mein! O, ich Glücklicher! ich Seliger!“

Der Baron verließ auf einen Augenblick das Zimmer, und holte die Wechsel auf zwanzig tausend Thaler. „Hier, Emilie“, sagte er, „nehmen Sie. Morgen, hoffe ich, sollen Sie noch zweimal so viel bekommen.“ Emilie, welche dieser neue Beweis seiner edlen Menschlichkeit rührte, umarmte ihn mit Innigkeit, und zerfloß in Thränen. Sie hatte schon das Eingeständniß auf der Zunge, daß alles erdichtet sey; aber auf einmal rief Julie schnell: ich bitte Sie, Madame, gehen Sie eilig. Mein Bruder kommt die Straße herauf. Morgen mehr! Morgen, wenn Sie wollen, um diese Zeit. Sagen Sie meinem Bruder nichts, Flaming; sonst steht es dahin, ob sie gerettet ist. Sie dauert mich sehr; aber – ich glaube, wir machen alle Beide höchst alberne Streiche. Geschwind fort! – Sie trieb Emilien aus der Thüre.

Der Bruder kam. Er fand Julien in Thränen, und den Baron in großer Bewegung. Als er fragte, lachte Julie laut auf, und winkte dem Baron, er möchte schweigen. Die Unglückliche war weg; nun hatte Juliens Mitleiden aufgehört, und sie lachte über die Idee, was ihr Bruder sagen würde, wenn er erführe, was geschehen wäre. Sie bereuete ihre That gar nicht; aber sie war nun auch fest entschlossen, den Baron nicht zu heirathen. Das hätte sie ihm auch ohne alle Umstände gesagt, weil sie nichts natürlicher fand, als dies; aber sie scheuete sich zum ersten Male, etwas zu thun, das ein Mensch für schlecht halten könnte: sie fühlte den Triumph der Tugend. Es sind doch närrische Leute, diese Menschen, dachte sie; ich weiß nicht, man schämt sich bei ihnen ordentlich, daß man vernünftiger ist als sie. Die Schwarze bestiehlt ihn, und er nennt sie noch immer seine tugendhafte Iglou. Der Frau giebt er sein Vermögen, und ruft: wie glücklich bin ich! Es muß doch ein sonderbares Ding um die Tugend seyn! Man könnte wirklich beinahe auf den närrischen Gedanken kommen, diese Treue, diese Freundschaft wäre etwas Gutes. Sonderbar! diese Menschen denken immer an das Glück Anderer, und wir immer nur an uns. Nein, wahrhaftig, seine Frau kann ich nicht werden; aber seine Thusnelde bin ich wohl noch einmal, und es soll ihm nicht einen Ring kosten! Wahrhaftig, auch ich will großmüthig seyn. Er mag so lange, wie es gehen will, glauben, daß ich ihn liebe. Ich wollte wirklich, er käme; er sollte glücklich seyn, der arme Flaming. – So grübelte sie noch eine Stunde, bald bedenklich, bald laut lachend, fort.

Am andern Morgen früh erhielt der Baron ein Billet von Emilien, worin sie ihn bat, er möchte zu Hause bleiben, und jeden Augenblick bereit seyn, zu ihr zu kommen. Ich habe, setzte sie hinzu, Briefe von Frankfurt, über die ich Sie nothwendig sprechen muß. Eine halbe Stunde nachher kam ein sehr reich gekleideter Bedienter, und fragte nach Mamsell Hedler. Er verlangte, sie allein zu sprechen, und gab ihr ein Billet, nebst einem Kästchen mit einem kostbaren Ringe. In dem Billet stand:

Je vous ai enfin trouvée, belle Julie. Je vous ai quittée à Paris. Est-ce ma faute ou la vôtre? Je me croyais aimé de vous, et je me suis trompé. Mais quand on a le coeur fait comme le mien, on n'aime qu'une fois en sa vie, et celle qu'on aime, on l'aime trop pour ne pas l'aimer toujours. Malgré votre inconstance, je sens que je vous aime cent fois plusque moi même, et que la vie sera un supplice pour moi, si mon amour vous trouve encore insensible. Soyez-en persuadée; et si vous en voulez savoir d'avantage, vous trouverez à neuf heures du matin une carosse à votre porte. Je demande peut-être plus de vous que vous ne me devez, et plus que vous ne pouvez; mais notre différend demande un tête-à-tête, et peut-être que votre situation actuelle a également besoin de cette précaution. En tout cas, soyez persuadée, que je suis discret. Hilbert.

Als Julie das Billet gelesen hatte, war ihr ganzes Herz lauter Freude. Sie fragte: wo ist dein Herr? – Der Bediente erwiederte ehrerbietig: mein Herr befahl mir zu schweigen, und Ihre Befehle zu erwarten, ob, und wann der Wagen da seyn soll. – Wie dein Herr schreibt, um neun Uhr.

Julie las, als sie allein war, das Billet noch einmal wieder durch. Dem Himmel sey Dank! sagte sie. Endlich! Das ist doch gleich ein ganz anderer Styl! Und dieser Ring, wie glänzend! welches Wasser! Wie man sich irren kann! Habe ich dem Hilbert nicht Beweise meiner Liebe gegeben? Wie? sollte mein Bruder, oder gar der Lord, ihn über meine Empfindungen getäuscht haben? Ich werde es ja hören.

Hilbert hatte Julien, die auch gegen ihn die Unschuldige spielte, wirklich einige Tage geliebt. Er war damals ein schöner, reicher, heitrer, unterhaltender Jüngling; daher liebte ihn Julie, so wie sie lieben konnte. Hilbert lernte sie, vielleicht zu seinem Glücke, früh genug kennen, und brach, ohne sich darüber zu erklären, den Umgang mit ihr ab. Er wollte ihr Herz; und sie – was sie immer wollte – Genuß. Bald nachher reiste er aus Paris ab, und ging nach Deutschland zurück.

Um neun Uhr hielt vor Juliens Wohnung ein Wagen, mit eben dem Bedienten. Sie hatte sich unterdessen sehr reitzend gekleidet, und schlüpfte zur Thür hinaus in den Wagen, ohne ihrem Bruder nur ein Wort von diesem neuen Abentheuer mitzutheilen. Kaum war sie fort, so holte der Bediente den Baron zu Emilien, die in einem großen, sehr prächtigen Zimmer ihres Wirtshauses war, und den Baron so zärtlich, so innig und zugleich mit einer so reinen Heiterkeit empfing, daß er erstaunte.

Lieber, edler Flaming, hob sie an; Sie sollen mir noch eine Gefälligkeit erzeigen. Mit diesen Worten schlug sie eine seidne Gardine zurück, und führte ihn in den Alkoven des Zimmers, der durch ein Fenster vom Hofe her Licht hatte, bat ihn, sich neben sie auf den Sofa zu setzen, und ließ die Gardine wieder fallen. Hier sollen Sie mit mir sitzen, lieber Flaming, und schweigen, bis ich Ihnen die Erlaubniß gebe, zu sprechen. Wollen Sie das? ... Was auch dort im Zimmer vorgeht, was auch für Menschen kommen, was sie auch sprechen mögen; Sie sollen still bleiben, schweigen und zuhören. Versprechen Sie das? – Er versprach es. Emilie wiederholte alles noch einmal, und dann gab sie ein Zeichen mit der Klingel.

Nach einigen Minuten ging die Thür des Zimmers auf, und eine dem Baron sehr bekannte männliche Stimme sagte: „Kommen Sie hier herein, liebste Julie. Ich habe Ihnen viel zu sagen: Setzen Sie Sich.“ Und jetzt antwortete eine Stimme, bei welcher der Baron hoch aufhorchte, die Stimme seiner Julie: Nun, Hilbert – bei diesem Namen erkannte er auch die erstere Stimme, und warf einen fragenden, unruhigen Blick auf Emilien, die ihm die Hand auf den Mund legte – nun Hilbert? mich soll nur wundern, wie Sie Ihre Untreue entschuldigen wollen! – „Meine Untreue, schöne Julie? Ich glaubte, Sie liebten mich, ach! und war so glücklich! Aber da ging eine gewisse lange Figur bei Ihnen aus und ein, ein Lord ...“ – Ich schwöre Ihnen, der Lord mit allem seinem Golde war Ihnen und mir nicht gefährlich. – „Schwören Sie nicht, schönes, reitzendes Mädchen. Ich bin nicht hier, um Ihnen Vorwürfe zu machen; aber Sie lebten nachher mit dem Lord.“ – Nachher, Hilbert; warum soll ich das läugnen? A quoi sert la dissimulation avec vous? Nachher lebte ich mit ihm, ja! Sie verschwanden auf einmal; der Lord war nur nicht, wenn man Sie mit ihm vergleichen konnte, ein liebenswürdiger, großmüthiger, junger Mann. – „Passons! passons!“ antwortete Hilbert. „Der Lord war der erste nicht. Der junge Franzose mit dem interessanten Gesichte!“ – Mais, antwortete Julie, est ce que vous me voulez rendre responsable des sentiments qui sont une suite nécessaire d'un penchant invincible? Ja, lieber Hilbert, ich habe geliebt, und bin glücklich gewesen: hab' ich das je geläugnet? Und noch jetzt je ne me repentirai pas de mes faiblesses. Aber glauben Sie mir, Hilbert, Ihnen wäre ich treu geblieben. Ich liebte Sie in der That mehr als je einen Mann; und wenn Sie nicht glücklich gewesen sind, Monsieur, ce n'est pas ma faute. – „Wie kam es denn aber, daß Sie mit dem Lord brachen?“ – Wie das immer kommt. Er forderte Treue von mir, und war selbst nicht treu; er beschuldigte mich der Untreue mit einem Officier, und verließ mich einer Operistin wegen. – „Und Ihre jetzige Verbindung, Julie?“ – Ist in der That die lächerlichste und seltsamste von der Welt. Ich könnte, wenn ich wollte, noch heute die Freiherrin von Flaming, Erb- und Gerichtsfrau von Zaringen werden. Hilbert, Sie müssen Sich durchaus das Vergnügen machen, diesen Baron kennen zu lernen. – „Ich höre, er soll ein edler Mann seyn.“ – Großmüthig, davon haben Sie keinen Begriff. Sonne, Mond und Sterne würde er wegschenken, wenn sie sein wären. Er hält mich für die Unschuld selbst; und wahrhaftig, ich bin wenigstens daran unschuldig, daß er das glaubt. Gehen Sie zu ihm, und schwören Sie ihm, so hoch Sie wollen, daß ich schon geliebt habe; er glaubt Ihnen nicht, und zwar deshalb, weil ich eine Blondine bin und den Generalbaß verstehe. Könnte ich Latein, so würde er für meine Unschuld sterben, und wenn er mich in Ihren Armen fände. Mais, Monsieur, au moins je suis bien sotte de vous faire toutes ces confidences-la. Hier in dem steifen Berlin herrscht ein so kleinstädtischer Ton! Man würde mich in den Bann thun, wenn ich mir merken ließe, daß ich ein Herz habe und fühlen kann. Les femmes d'ici, même dans les bras de leurs amans, veulent passer pour Vestales. Ach, wie sehne ich mich nach dem schönen Paris, wo es kein Verbrechen ist zu lieben!

Der Baron wurde bleich und roth, eins ums andre, als er die geschwätzige Julie so sprechen hörte. Emilie drückte ihm die Hand mit aller Zärtlichkeit, um ihn nur ruhig zu erhalten.

Hilbert endigte das Gespräch mit zärtlichen Liebkosungen, schloß Julien in seine Arme, und redete ein neues Rendezvous mit ihr ab. Eben wollte er sie aus dem Zimmer führen, als der Baron, wütend wie ein grimmiger Löwe, zwischen den Gardinen hervorstürzte. „Elendes Weibsbild!“ rief er mit flammenden Augen und bebender Stimme. Julie blieb starr vor Schrecken stehen. – Mein Herr, fragte Hilbert, wer giebt Ihnen das Recht mich zu behorchen? Kommen Sie Julie! – Er führte das zitternde Mädchen schnell aus dem Zimmer und in den Wagen. Der Baron stand da, mit dem Gefühle der Hölle in seiner Brust. Emilie trat zu ihm, und er wagte es vor Scham nicht, sein Auge zu ihr aufzuschlagen. Hilbert kam zurück, schloß den Baron in seine Arme, und sagte: edelster, großmüthigster aller Menschen!

Der Baron stand wie eine Bildsäule in den Armen der beiden Eheleute; denn es war ihm noch alles ein Traum. Endlich fragte er: „und wer hat Sie aus dem Gefängnisse losgemacht?“ – Sehen Sie denn nicht, lieber Flaming, daß wir hier sind, Sie aus den Schlingen dieses elenden Mädchens zu retten? Sie wollte Ihr Vermögen; wir machten Sie arm. Hier sind alle ihre Wechsel zurück. Flaming, Sie haben mir einen Beweis gegeben, was Freundschaft vermag. Mein Blut gehört Ihnen, sobald es Sie retten kann.

„Hilbert, sagen sie nichts von dem elenden Metalle. Sie haben mein Herz, das ganze Glück meines Lebens, gerettet. Ich war im Begriff, dieser Elenden meine Hand zu geben. O Gott! was wäre dann aus mir geworden?“ Er warf sich an Hilberts Brust. – Ich will Ihren Retter holen, sagte Hilbert, und ging hinaus. Iglou stürzte in das Zimmer, und sank dem Baron zu Füßen. Der Baron fiel aus einem Erstaunen in das andere, und hörte nun von Hilbert den Zusammenhang der Begebenheit. Er fing Iglou, die vor Freude schwankte, auf, drückte sie an seine Brust, und rief: „Iglou! edles, treues Mädchen! o, du unbeschreiblich gute Seele, wie soll ich dir danken!“ – Werde glücklich! antwortete das treue Mädchen, und hatte dabei Thränen in den Augen!

Ein sehr rührender Anblick, diese vier Menschen beisammen zu sehen, die durch Dankbarkeit, durch Liebe, durch Tugend, durch gegenseitige Aufopferungen so genau, so innig verbunden waren! Es dauerte sehr lange, ehe der Baron sich an den Gedanken von der Wirklichkeit der jetzigen Umstände gewöhnen konnte. Alle Augenblicke that er eine Frage, aus der man sah, daß er noch immer die Täuschung mit der Wahrheit vermischte.

Es stiegen sogar wieder Gedanken bei ihm auf, welche Julien entschuldigten, und er konnte sich, als man von ihr sprach, nicht enthalten, sie zu äußern. „Ich begreife noch nicht eigentlich“, sagte er furchtsam und mit niedergesenktem Blicke, „wie diese Julie zu dem Allen gekommen ist. So niedrig, wie Iglou und Hilbert sie glauben, ist sie wirklich nicht. Ich berufe mich auf Sie, Emilie. Sie waren gestern Abend Zeuge von Juliens Großmuth. Sagen Sie selbst, ob das Verstellung seyn konnte!“ Emilie erzählte, und setzte hinzu: in der That begreife ich selbst nicht, wie so viel Edelmuth bei so vieler Niedrigkeit in Einer Brust bestehen kann. Ich weiß es nicht; aber ein Herz, das noch Thränen hat, scheint mir nicht ganz verächtlich zu seyn.

Beweisen Thränen Tugend, sagte Hilbert lachend, so tragen freilich die Weiber und die Kinder den Preis davon. Was wollt Ihr denn? Ist denn etwa ein elendes Gemählde darum nicht elend, weil es einen vergoldeten Rahmen hat? Diese Julie mit allen ihren Thränen ist eine ganz gemeine Buhlerin, ein elendes, verächtliches Geschöpf.

Lieber Mann, du urtheilst wohl zu hart!

„Gewiß, das thut er!“ sagte der Baron. „Dieses verächtliche Geschöpf bot mir gestern Abend ihre Habseligkeiten an, um Emilien zu retten, und verlangte, daß ich Emilien mein Vermögen geben sollte.“

Wer läugnet das? Aber macht es sie weniger verächtlich? Es giebt tausend noch verächtlichere Geschöpfe; allein ist sie darum nicht verächtlich, weil sie nicht das verächtlichste ist? Sagt doch, ist das Mädchen nicht verächtlich, das einem edlen Manne, wie der Baron, eine Unschuld heuchelt, die es nicht mehr hat? ist die Beischläferin von einem halben Dutzend reicher Wollüstlinge nicht verächtlich, wenn sie einen edlen Mann mit Liebe täuscht, deren ihr Herz nicht fähig ist, und wenn sie heimlich seiner spottet? Ist ein Geschöpf nicht verächtlich, das keine andre Freude kennt als die allersinnlichste Wollust, das einem Manne, ohne ihn zu achten, ihre Hand giebt, um sein Vermögen zu verschwenden!

„Aber ihre Thränen gestern! Ihr Anerbieten!“

Nun, soll denn dieses sinnliche Geschöpf ganz fühllos seyn? Sie hat ein so genanntes gutes Herz, und muß es haben, eben weil sie so sinnlich ist. Deine Thränen, Emilie, deine Klagen, und ihr Mitleiden bewogen sie zu einer Verschwendung, zu der ein Ball sie eben so leicht gebracht hätte. Wo ist der Vorsatz, der die Tugend ausmacht? wo das Opfer? wo die Absicht, einem Menschen wohlzuthun? Deine Thränen rühren sie, wie der Anblick eines schönen Mannes ihre Sinnlichkeit erregt. Sie giebt, um zu genießen. Ich will nicht behaupten, daß sie boshaft, hämisch, tückisch ist. Sie ist gar nichts, und eben darum alles; sie vermischt Tugend und Laster. Beides ist ihr gleichgültig. Sie kann sterben, ohne ein Verbrechen begangen zu haben; aber das ist nur Zufall: denn in ihrem Herzen liegt wenigstens die Grundlage zu den schauderhaftesten Handlungen. Der bloß sinnliche Mensch ist jedes Verbrechens fähig. Wollust, Hang zu Vergnügungen, ganz sinnlicher Egoismus, ist die abscheulichste Gestalt, die der Mensch annehmen kann.

„In meinem Munde, Hilbert, haben Sie das oft übertrieben genannt.“

Nicht den Satz, lieber Baron, sondern nur Ihre Anwendung des Satzes.

„Sie werden lächeln, lieber Hilbert; aber ich kann mir nicht helfen. Wie ist es möglich, daß diese Celtin mit dem blonden Haar, mit den reinen blauen Augen, mit dieser Fertigkeit in der Musik, mit diesem Sinne für Harmonie, mit diesem edlen schlanken Körper ...“

Begreifen Sie nun endlich, daß blaue oder schwarze Augen, daß langes oder wollichtes Haar die Tugend nicht ausmacht? Da sitzt Iglou, Ihre Retterin, das menschlichste, edelste Geschöpf, das ich kenne. Unglück hat ihre Seele gehoben, Dankbarkeit sie geläutert, Liebe ihr Herz veredelt. Die Art ihrer Bildung, die Römische Sprache, und die Kenntnisse, die sie dadurch erhielt, gaben ihr die Energie ihrer Tugenden, und die Musik schöne Menschlichkeit.

„Also doch Musik und Römische Sprache!“

Ganz recht; wie dem Reinen alles rein ist. Der Wollüstige würde in den Römischen Schriftstellern und in der Musik Nahrung für seine unreine Flamme finden. Bedenken Sie doch nur, fast alle öffentliche Sängerinnen sind liederlich.

„Aber nicht die Musik, sondern, wie Rousseau sagt, das öffentliche zur Schau Treten, zerstört ihre Schamhaftigkeit.“

Das mag etwas thun; allein die Verführung ist die Hauptsache: und dann wird die Musik das Gift, das ihre Seele offen für das Laster macht, wie alles in der Welt dem Lasterhaften zu Gift wird. Sie selbst, lieber Baron, erzählten mir ja einmal von dem Ritter, der die Frau ihres Freundes Lissow mit seiner Wollust hinrichtete, und die Aufmunterung dazu in Pope's sehr moralischem Versuche über den Menschen fand. Sehen Sie da, ebenfalls einen Mann mit blondem Haar, der Ihrem Systeme zum Trotze ein Verbrecher ist! Was fehlt Julien, um gerade eine solche Verbrecherin zu seyn, als eine heftige Leidenschaft, als vielleicht eine Tugend: mehr Energie ihres Herzens? O, lieber Baron, was haben Sie mit allen Ihren Systemen bis jetzt gewirkt? Sie waren dabei den Täuschungen Ihrer Phantasie, und den Betriegereien so mancher Leute Preis gegeben. Ganz natürlich! Sie beurtheilen den Menschen nach äußeren Kennzeichen; und wie leicht sind die nachgemacht! Das Fräulein von Breitenbach täuscht Sie mit einer Galerie auf dem Trödel zusammen gekaufter Portraits; (Hilbert wußte diesen Vorfall aus Iglou's Briefe); und können Sie es ihr verdenken, wenn sie sich den Werth zu verschaffen sucht, den Sie einzig und allein schätzen? Reis'ten Sie nicht hierher in der ernsten Absicht, Augusten Ihre Hand zu geben? Nun, wer den Werth des Herzens so wenig schätzt, daß er auf eine Reihe Bilder hin heirathen will, der verdient, daß man einen Grobschmid zu dem Stammvater der Bilderreihe umschafft. Sie finden Julien. Eine kleine Aufmerksamkeit hätte Sie sehr bald belehren müssen, wen Sie vor sich hatten. Aber nein, sie hat blondes Haar, sie spielt und singt: und nun sind Sie so entzückt von ihren vielen Tugenden, daß sie ein Engel hätte seyn müssen, wen sie nicht in Versuchung gerathen wäre, sich alle die Tugenden zuzuschreiben. Schwester und Bruder nahmen nun eine schöne Larve vor, und es war natürlich, daß Sie betrogen werden mußten.

Hilbert hätte noch eine Stunde lang fortreden können, der Baron würde ihm doch nicht geantwortet haben. Er hatte nur den Anfang gehört, und sann jetzt darauf, wie er alle diese Ausnahmen von der Regel erklären könnte. Tausend Gedanken flogen durch seinen Kopf, und hinterher auch tausend Entwürfe. Er faßte nie einen Gedanken, ohne auch zugleich zu sinnen, wie er auszuführen wäre. Was ist, dachte er, an allen diesen Verbrechen der Menschen Schuld, als die Phantasie, welche immer die Begierden in Feuer setzt? Hätte Pope seinen Versuch über den Menschen nicht in Versen geschrieben – ich will hier diese Wechsel gegen einen Heller wetten, der Ritter würde nicht daran gedacht haben, Gift daraus zu saugen. Aber da setzt er erst mit den Versen die Phantasie in Flammen; an der Phantasie hangen tausend Begierden, die nach dem Verbindungsgesetze der Ideen alle mit in Bewegung gebracht werden. Hätte Pope, anstatt die verdammten Verse zu machen, den Satz in gehöriger Schlußform bewiesen: so blieb die Phantasie aus dem Spiele; die Begierden regten sich nicht, und Jakobine lebte noch.

„Die Phantasie, lieber Hilbert!“ fing er auf einmal an, „ist an allem Schuld!“

Gott Lob! erwiederte Hilbert, daß Sie das endlich einmal fühlen.

Der Baron wollte die Idee, welche selbst Hilbert billigte, in der Stille durchdenken. Er stand auf, drückte Hilberten die Hand, und sagte: „Sie haben mich auf einen guten Gedanken gebracht. Ein ganz neuer Geist belebt mich; alle meine Irrthümer sind jetzt hoffentlich verschwunden. Ich will einen Spaziergang machen und weiter denken.“

Gehen Sie, Baron, und lassen Sie den Gedanken nicht wieder fahren.

Der Baron ging wie ein Träumender, und mit Schweiß vor der Stirn, in den Thiergarten. Er wollte Licht in seine Ahnungen bringen; und – wem wäre es nicht gelungen, alles, was er will, zu beweisen? „Die Phantasie! die Begierden! die machen den Menschen lasterhaft; denn wenn er keine Begierden hätte – das muß ja der schwärzeste Neger einsehen –, so würde er das Böse nicht begehren, nicht lasterhaft seyn. – Aber daß ich nur nicht wieder in meinen alten Fehler falle! Was ist denn eine Begierde? was begehrt der Mensch? Er begehrt glücklich zu seyn. O, bei Gott! ich hab' es! ich hab' es! Da steckt es! Die Phantasie spiegelt ihm die Befriedigung der Sinnlichkeit als sein Glück vor; daher denn Wollust, Ehrsucht, Geldgeitz, Hochmuth, die doch am Ende augenscheinlich alle Laster hervorbringen. Wäre es denn gar nicht möglich, daß der Mensch nicht begehrte glücklich zu seyn, gar, gar nichts begehrte? Dann wäre auf einmal allen Lastern die Wurzel abgeschnitten. Die Stoiker hatten es so weit gebracht: der Weise begehrt nichts, fürchtet nichts, liebt nichts. Aber wenn der Mensch nichts begehren, nicht glücklich zu seyn wünschen sollte, so ginge die ganze menschliche Tugend mit verloren. Man muß ja doch dem Menschen sagen: sey tugendhaft; denn die Tugend macht glücklich. Aber dann – lieber Gott! – dann geht alles den vorigen Weg. Da heißt es wieder: Mensch, mache dich glücklich. Und wenn dann die Tugend nicht immer glücklich macht, die Begierden nach Glück aber durch die Lehre: mache dich glücklich! nun einmal entbrannt sind; so greift der sinnliche Mensch natürlich zu jedem Mittel, glücklich zu werden. Da sind wir also wieder auf dem vorigen Punkte. Ja, wenn man die Tugend so ohne allen Grund anbefehlen könnte, so bloß mit den Worten: du sollst tugendhaft seyn, Mensch, weil du sollst! Dann käme das Glück aus dem Spiele. Die Phantasie ließe sich am Ende wohl wegschaffen; die Begierden hätten dann keinen Gegenstand mehr, und man könnte sagen: begehre die Tugend, Mensch! Und wahrhaftig, die Stoiker sagten ja so; die Tugend war ja ihr höchstes Gut, oder vielmehr die Ruhe, eine Art von Apathie. Gerade so sagt Seneca: summum bonum est animus fortuita despiciens, virtute laetus. 10) Aber das verwünschte virtute laetus! 11) Jeder fragt sogleich: warum soll ich tugendhaft seyn? und niemand ist mit der Antwort zufrieden: du sollst, weil du sollst! Und wenn ich auch hundertmal das Glück, welches die Tugend giebt, von allem sinnlichen Glücke scheide, so ist es doch noch immer Glück, und ich muß den Menschen darauf hinweisen, sich glücklich zu machen. Da haben wir aber wieder das alte Spiel: Glück, Begierden, und ihr Gefolge, die Verbrechen. – Das Glück muß schlechterdings aus dem Spiele, das sehe ich! ... Aber wie? – Die Stoiker sind völlig meiner Meinung. Nec gaudium quidem, sagt Seneca, quod ex virtute oritur, quamvis bonum sit, absoluti tamen boni pars est. 12) Aber die Gründe dafür? Ja, lieber Gott, was der gute Seneca da sagt, damit darf jetzt kein ehrlicher Mann mehr kommen. Wenn man jetzt den Menschen versichern wollte: Gold ist so wenig Glück wie ein Ordensband; so lachten sie einen aus. Und im Grunde mag es wohl dem großen Römer nicht besser gegangen seyn. Das ist also nichts. – Wenn ich so von der Tugend sagen könnte wie vom Essen oder Trinken: du mußt essen, weil du mußt; du fühlst den Hunger. Aber, hilf gütiger Himmel! ist denn die Tugend nicht die Speise der Seele, und das moralische Gefühl ihr Hunger? O, wie ein Gleichniß einem auf die Sprünge helfen kann! Du sollst tugendhaft seyn, Mensch! – Warum? – Es ist kein Grund da; aber du fühlst bei dir, daß du sollst. Deine Vernunft zwingt dich dazu, weil sie dir das Gesetz vorschreibt. Du sollst essen, weil dich hungert; gerade so mit der Tugend! Du sollst tugendhaft seyn, weil du fühlst, daß du sollst. Ei, und ist denn das nicht ganz natürlich? Wer in aller Welt würde einem Menschen, wenn er fragte: warum soll ich essen? – wer würde ihm antworten: weil du dich glücklich machen mußt! Man sagt gerade: Narr, weil dich hungert! So ist auch die Tugend ein Befehl, ein kategorischer Befehl der Vernunft, bei dem ich nicht weiter fragen darf. Ich Glücklicher! da steht es ja verständlich, hell und deutlich. Weg ist das Glück, weg die Begierden, weg alle Laster! O heilige, ewige Vorsehung!“ – rief unser Baron mit ausgebreiteten Armen und flammenden Blicken – „mit Stolz sehe ich auf die Erde herab, die ich von allen Verbrechen befreiet habe! Jetzt erst hebt das Reich der Tugend an. Wenn es bisher tugendhafte Menschen gab, so war ihre Tugend eigentlich weiter nichts als ein feines Laster: Eigennutz; sie liebten die Tugend, weil die Tugend sie glücklich machte. Nein, es hat auf Erden noch keinen Tugendhaften gegeben, als jetzt. Hier steht der erste tugendhafte Mensch! Die Stoiker könnten zwar wohl sagen, sie hätten die Tugend geliebt; aber sie nannten die Tugend selbst das höchste Gut, und liebten sie, weil sie das höchste Gut war, also aus Eigennutz. Ich aber sage nun gar nicht, was die Tugend ist, und übe sie aus, weil meine Vernunft ...“

O, Ihr Gnaden, sagte ein Bettler, ganz nahe bei ihm; um der Tugend willen, schenken Sie mir ... – „Er ist ein Narr!“ rief der Baron zornig, weil er so in dem Laufe seiner Gedanken gestört wurde; „geh Er zum Teufel!“ – Zum Teufel? sagte der Bettler trotzig, und setzte den Hut auf; das soll mir eine Warnung seyn, nicht jeden, der die Hände gen Himmel hebt, für fromm zu halten. Tugend? Das mag die rechte Tugend seyn! Er wünscht einen Menschen zum Teufel!

Der Baron kreuzte, als er sich von seinem Aerger erholt hatte, die Arme über die Brust, und bildete sein System noch einmal in allen Theilen aus. Er war indeß nicht einer von denen Philosophen, die Moralen schreiben, und selbst nicht darnach handeln. Vielmehr nahm er sich vor, nun völlig tugendhaft zu seyn. Er untersuchte jetzt noch: was heißt denn Tugend? stieg mit diesem Begriffe immer höher, und brachte endlich das Moralgesetz heraus: handle, als ob du Gott wärst! Dahin kam er durch einige sehr natürliche Schlüsse, und so schien ihm das Tugendgesetz am reinsten ausgedrückt, weil es die Begierden, alle Leidenschaften, alle anderen Seelenkräfte ausschloß. Er nahm sich fest vor, nichts mehr zu hoffen, zu wünschen, zu fürchten, zu lieben, zu verabscheuen. „O Himmel!“ rief er nun zuletzt fröhlich; „wie wird die Welt erstaunen, wenn ich ihr mein System vorlege! wie wird sie mich bewundern, wenn sie nun auf einmal erfährt, was Tugend ist! Denn bis jetzt hat es ja noch niemand gewußt.“

Unter dem letzten Selbstgespräche war er mechanisch vor seine Wohnung gerathen. Julie sah ihn schon von weitem die Straße herkommen, und rief ihren Bruder. Beide waren gar nicht mehr ungewiß, wodurch ihre Absichten auf den Baron verunglückt wären. Julie hatte beim Weggehen, zwar nur mit einem Blicke, aber doch ganz bestimmt, Iglou gesehen; und nun erinnerte sie sich obendrein, daß Emilie eine Madame Hilbert war. Der ganze Handel konnte also nichts seyn als ein angelegter Plan, den Baron von Julien abzuziehen. Der Baron besaß sein ganzes Vermögen noch. – Die Mohrin, die verdammte, listige Schwarze, sagte Hedler, hat doch den Sieg davon getragen! Julie, wie leicht wäre es uns gewesen, den reichen Thoren dahin zu bringen, daß er uns die Hälfte seines Vermögens gegeben hätte! wir durften ihn nur besser kennen. Und jetzt? Doch ich will ihm rathen, daß er ruhig ist!

Der Baron kam träumend vor das Haus, ging, wie er gewohnt war, in Juliens Zimmer, und sagte in seiner Träumerei mit seinem gewöhnlichen Tone: „guten Tag, liebe Julie!“ Aber jetzt besann er sich, wen er vor sich hatte. In seiner Brust regte sich ein bitteres Gefühl des Zorns, doch durchkreuzt von dem Gedanken: ich fürchte, hasse, hoffe, liebe nichts! Er setzte sich, so ruhig wie möglich, auf den Sofa; ja, es freute ihn, daß er hier sogleich seine Theorie ausüben konnte. Der Bruder hob mit einer lauernden Kälte an: Sie haben sehr viele Mühe gehabt, Herr Baron, etwas herauszubringen, das Sie auf dem geraden Wege von Julien oder von mir durch eine bloße Frage hätten erfahren können.

„Ich habe gar keine Mühe gehabt; gar nichts herausbringen wollen.“

Freilich wird der Haß Ihrer Freunde geschäftig genug gewesen seyn, dem Leichtsinne meiner Schwester die Farbe des Lasters zu geben; und es sollte mich gar nicht wundern, wenn Sie Julien jetzt haßten und verachteten.

„Ich hasse, ich verachte Julien nicht.“

Julie war jung, unbesonnen, aber nicht lasterhaft. Es schmeichelte ihrer Eitelkeit, eine Anzahl Liebhaber um sich zu sehen.

„Natürlich! ihre Phantasie spiegelte ihr das als ein Glück vor. Ich begreife das sehr wohl. Eitelkeit ohne Nachdenken!“

Aber nie verletzte sie ihre Unschuld, das schwöre ich Ihnen, Herr Baron. Sie sollen Juliens Begebenheiten erfahren. Julie ist nicht schlechter als Andere. Sie hat gefehlt, wie Millionen Andere fehlen.

„Wie Millionen? Glauben Sie mir, Herr Hedler, Sie können ganz dreist sagen: wie Alle; denn niemand ist eigentlich tugendhaft.“

Siehst du, Julie? Sagte ich dir nicht, der Baron würde dich besser kennen, als alle deine Feinde glauben? – Also, lieber Baron, Sie hassen Julien nicht?

„Nein, ich hasse sie nicht.“

Sie glauben nicht, wie listig man Julien zu der Unterredung, die Sie gehört haben, gebracht hat! – Nun, lieber Baron, wenn ich Sie überzeugen kann – freilich müssen Sie eine hohe Ueberzeugung haben; aber die hoffe ich Ihnen zu geben – wenn ich Sie überzeugen kann, daß Julie, trotz ihrem Leichtsinne, den Sie selbst so oft getadelt haben, unschuldig ist: hoffen Sie dann noch, glücklich mit ihr werden zu können?

„Glücklich? Ei was! ich verlange nicht glücklich zu seyn.“

Liebster Baron, ich sehe aus Ihrer Kälte, daß Juliens Feinde ...

Der Baron lächelte. „Ich versichere Ihnen, ich habe keinen Haß auf Julien, keine Verachtung; ich hasse nichts, ich verachte nichts.“

Hedler war in großer Verlegenheit. Er fing an Juliens Begebenheiten zu erzählen, und betrachtete dabei den Baron sehr scharf. Der Baron schien mit Vergnügen zuzuhören. Nun, Herr Baron, fragte Hedler, so glauben Sie mir!

„O gewiß, Hedler, ich glaube Ihnen. Julie ist unschuldig; wußte sie denn, was Tugend ist? Wie kann man von einem Mädchen Tugend verlangen, da sie bis jetzt selbst den Philosophen nicht möglich war! Sie könnten mir sogar erzählen, daß Julie ihre Unschuld verloren, daß sie zu jenen verächtlichen Kreaturen gehört habe, die sich jedem für Geld Preis geben; ich würde Ihnen glauben.“

Wollen Sie spotten, Herr Baron?

„Spotten? Ich dächte, Sie sollten mich doch kennen, daß ich keines Spottes fähig bin! ... Ein Mädchen, wie Julie, mit diesem heißen Blute; mit dieser Sinnlichkeit; mit diesen feurigen Wünschen glücklich zu seyn; mit der Vorstellung: mache dich glücklich! erzogen – wie natürlich es ist, daß ein solches Mädchen sich in den Strudel der Vergnügen stürzt! wie natürlich sogar, wenn sie durch ihre Sinne betrogen, Einmal oder mehrere Male das Opfer ihrer Begierden wird! Ich würde erstaunen, wenn es anders wäre. Hedler, warum soll ich Julien – selbst wenn ich sie auch hassen könnte und möchte – um etwas hassen, das sie bis dahin mit allen Menschen gemein hatte? Juliens Begebenheit, auch wenn sie ganz so wäre, wie Hilbert sie erzählt, ist die Geschichte des menschlichen Geschlechtes.“

Sie verzeihen ihr also den Leichtsinn, der sie unglücklich, aber nicht lasterhaft machte?

„Von ganzem Herzen verzeihe ich ihr.“

Und doch sind Sie so kalt gegen sie! Lieben Sie denn Julien noch?

„Was soll die Frage heißen? Ich liebe sie noch, wenn es heißt: ich hasse sie nicht, ich wünsche ihr das höchste menschliche Glück, die Tugend, oder vielmehr, nicht das höchste Glück, sondern die Tugend, als Tugend. Meinen Sie aber, ob ich von ihr Glück erwarte, ob ich sie mir wünsche, ob ich von ihr hoffe? Nein, dann liebe ich sie nicht; dann habe ich vielleicht nie geliebt. Es war eine schnelle Betriegerei meiner Sinne, ein Irrthum, den ich abgelegt habe. Ich liebe nichts.“

So haben Sie Julien betrogen, als Sie ihr ewige Liebe zuschworen!

„Ganz natürlich. Ich betrog, und war betrogen.“

Ich bin ein Mann von Ehre, Herr Baron!

„Ich nicht.“

In der That, es scheint so.

„Es scheint nicht so; es ist so. Ehre! Was ist denn Ehre? Wieder so ein sinnlicher Betrug!“

Herr Baron, Ihre Kälte wird mich aufbringen.

„Ihre Hitze mich aber nicht.“

Sie sind ein Narr, mein Herr ...

„Ich war einer.“

Den ich zum Zimmer hinauswerfen werde.

„Sie dürfen es nur sagen; ich will von selbst gehen.“

Sie sind ein Schurke!

„Sie wissen ja wahrhaftig nicht, was ein Schurke ist.“

Ein feigherziger Kerl, der Stockprügel verdient, und der sie haben soll, wenn er nur noch ein Wort sagt.

Der Baron wurde, um seine Theorie auszuüben, immer kälter, je mehr Hedler in Hitze gerieth, und sah daher diesen mit dem ruhigsten Blicke an. Hedler war jetzt so zornig, daß er den Baron geschlagen haben würde, wenn ihn nicht dessen Ruhe aus der Fassung gebracht hätte. Der Baron lauerte recht auf den Stock des Geigenspielers; die Worte: „schlag, aber höre!“ schwebten ihm schon auf den Lippen.

Julie machte die Thür auf. Herr Baron, sagte sie lachend, Sie sind ein großer Narr. Haben Sie die Güte zu gehen. – Der Baron, der bis dahin gesessen hatte, stand ruhig auf. „Leben Sie wohl, Julie!“ sagte er; „und bemerken Sie noch: die Tugend ...“

Ei, gehn Sie mit Ihrer Tugend! Ihre Tugend ist Ihre Narrheit. Sie sind ein einfältiger Mensch, und hätten Gott danken sollen, wenn ich Ihr Vormund geworden wäre, um Ihnen meinen Kopf zu leihen. Gehen Sie, Herr Baron. Sie sind ein Pinsel, und werden einer bleiben. Adieu.

„Liederliches Weibsbild!“ hob der Baron an, aus Zorn darüber, daß sie ihn einfältig genannt hatte; aber Julie schlug die Thür hinter ihm zu. Glühend roth im Gesichte, und an allen Gliedern zitternd, sagte er: „Tutus est sapiens, nec ulla affici contumelia potest! 13) ... Die liederliche Metze! Ich einfältig!“

Er ging wieder zu Hilbert, der unterdessen mit Emilien eine Reise zu dem alten Obersten Brensen verabredet hatte. Man that dem Baron den Vorschlag, mit zu reisen, und er sagte, freilich mit seiner jetzigen Apathie: nun ja.

Noch diesen Abend fuhr man ab, und am zweiten Tage war man bei dem Obersten. Der Oberste wußte eigentlich gar nichts von des Barons Begebenheiten; denn dieser hatte, seitdem ihm bei einem Französischen Schriftsteller die Bemerkung über das Briefschreiben vorgekommen war, alle seine Korrespondenzen, auch die mit Brensen, abgebrochen. Als der Wagen auf den Hof fuhr, eilte der alte ehrwürdige Mann hinzu. Flaming sprang in seine Arme, nach ihm Emilie. O Vater, lieber Vater Brensen! rief Emilie voll Freude, und drückte ihn an ihre Brust. Brensen umarmte bald den Baron, bald Emilien. Kinder! rief er in Absätzen; endlich! Gott Lob! Nun Viktoria! Als die Briefe ausblieben, da hätte ich geschworen, es wäre dem Herrn hier wieder ein System über den Weg gelaufen, und ... Nun, Gott Lob! Gott Lob, Baronchen!

Jetzt brachte Emilie ihm ihren Sohn. Der Oberste nahm ihn auf seine Arme, tanzte, so sehr der Junge auch schrie, laut singend mit ihm auf dem Hofe umher, und rief dabei: ein junger Celte! ein Celte! (Er ging mit dem Knaben zu dem Baron.) Nun, Baron, fängt Ihr System an mir zu gefallen; denn es bekommt Fleisch und Bein. Sie haben da einen prächtigen Jungen, lieber Baron.

„Es ist nicht mein Sohn“, sagte der Baron ruhig.

Was, zum Teufel! Emilie hat ihn mir ja gebracht.

„Emilie ist nicht meine Frau.“

Der Oberst sah sie Alle der Reihe nach an. Was? Baron! Emilie ...

„Ist die Frau des Mannes dort, Madame Hilbert!“

Emilie brachte ihren Mann. Der Oberst warf ihm einen finstern Blick zu. Aber, zum Guckguk! wie ist denn das gekommen? Ich will meinen grauen Kopf wetten, sein System hat ihn um die Frau gebracht. Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Hilbert: Sie müssen ein lieber Mann seyn, weil Emilie Ihre Frau ist; aber ... Potz alberne Dinge, und kein Ende! Nun reis't er uns – das sollen Sie sehen – noch an den Kaukasus, wo die reinsten Celten wohnen, und holt sich eine Frau. – Jetzt faßte Emilie mit holder Freundlichkeit Iglou's Hand, und führte sie dem Obersten näher. Hier, lieber Oberst, ist des Barons ...

Frau? rief der Oberst. Ich will es nicht hoffen. Lieber Gott, Emilie! ich will es nimmermehr hoffen! Eine Schwarze?

Des Barons zärtlichste Freundin, die Retterin seines Lebens und seiner Ehre, meine Wohlthäterin; das edelste Mädchen, das die Erde trägt.

Der Oberst nahm seinen Hut ab, und sagte freundlich zu dem Baron: und noch ein wenig schwärzer als Ihr Freund, der Oberst Brensen. Komm, du Schwarze! Wie war das? Das edelste Mädchen, das die Erde trägt? Viel gesagt, viel, in dem Munde eines Weibes, das selbst so gut ist, wie Emilie! Komm an meine Brust, gutes Mädchen! (Er küßte sie.) Aber kann denn der Baron es dir verzeihen, daß du sein Leben – war es nicht so? – und seine Ehre gerettet hast? Armes Geschöpf, wie oft mag er dir deine Farbe vorgeworfen haben, wie mir den dicken Bauch! Aber kehre dich an nichts! Wenn wir todt sind, so wird der Himmel dich so weiß waschen wie Schnee. – Und dann wird er mich lieben, sagte Iglou sanft. – Dann erst? Nein, wenn du nur halb so gut bist, wie Emilie sagt, so wird er dich noch hier lieben, trotz seinem Systeme und deiner Haut. Apropos, lieber Baron, mein Bauch ist um sechs Zoll dünner geworden. Was sagt Ihr System dazu? Bin ich nun nicht auch um sechs Zoll tugendhafter, klüger? ... Nun, kommt herein, Kinderchen; ihr sollt mir erzählen. – Er faßte Emilien an, und sie gingen mit ihm hinein.

Man mußte dem Obersten Alles sehr ausführlich erzählen; er fragte auch nach den kleinsten Umständen der Begebenheiten. Aber zum Henker, Emilie, sagte er endlich; Sie liebten ja doch den Baron!

Ich liebte ihn wirklich, lieber Oberst; doch seine Kälte, als er in Büdesheim war, und seine so kalten, so seltnen, so kurzen Briefe! Was sollte ich glauben?

Aber, lieber Baron, warum schrieben Sie denn nicht öfter und länger?

„Herr Oberst, nur ein Dummkopf kann lange Briefe schreiben.“

Ha! ha! ha! Wo steht das gedruckt, Baron? Heraus damit!

„Rousseau sagt es, so gut wie ich!“

Gebt Acht! die Bücher bringen den noch um alles. Um die Frau haben sie ihn schon gebracht!

Man erzählte weiter, und der Oberst begleitete alles mit seinen Anmerkungen. Am Ende sagte er lachend: nun, ich will nichts sagen. Sie reisen aus, um die weißeste Celtin in Deutschland aufzusuchen, und sie zu heirathen, zugleich auch, wie ich jetzt höre, die Celten am Rhein zu sehen, und was sie denn noch alles so beiher gewollt haben. Endlich kommt er wieder, und hat – eine Mohrin, schwarz wie die Nacht, bei sich, und eine Mohrin, vor der die meisten Celtinnen sich schämen müssen.

Der Oberst war heiter wie ein Kind. Er stellte seiner Fremden wegen eine große Gasterei an, so sehr Hilbert und Emilie es auch verbaten. Den Morgen trieb der alte Mann Emilien, sich ja so prächtig als möglich zu kleiden und alle ihre Juwelen anzubringen. Als seine Gäste beisammen waren, führte er Emilien selbst in die Gesellschaft ein. Ihr erster Blick fiel auf die Frau von Hausen und Jettchen. Sie flog sogleich auf ihre Tante zu, küßte ihr die Hand, umarmte sie, und vergoß Thränen an ihrem Halse. Die Tante wußte nicht, wie ihr geschah; sie kannte Emilien nicht. Emilie war jetzt in der vollen Blüte ihrer Schönheit, und die prächtige Kleidung machte sie noch unkenntlicher als die verflossenen Jahre. Emilie sagte endlich: O, liebe Tante, kennen Sie denn Ihre Emilie nicht mehr? – Ach, Emilie! erwiederte Frau von Hausen gezwungen freundlich, und faßte nun erst ihren Putz recht ins Auge. Sieh einmal, Jettchen! ist die Cousine nicht geputzt wie eine Fürstin? Welche Diamanten! ... Doch echt, Cousinchen?

Echt, gnädige Frau! antwortete Brensen; und sie hat noch nicht die Hälfte an sich. Sie sollten einmal den Schmuck zusammen sehen! Das hier ist nur der Reiseschmuck. Wissen Sie denn nicht, welch eine Partie Emilie gemacht hat? Den reichsten Mann in ganz Deutschland, hier den Herrn von Hilbert. – Nur Hilbert, Herr Oberst, sagte Emilie verweisend; mein Mann ist ein Kaufmann in Frankfurt. – Also eine Kaufmannsfrau? erwiederte Frau von Hausen lächelnd. Ja, ja, ein Kaufmann, platzte der Oberst heraus. Aber, damit Sie wissen, meine Gnädige, was das in Frankfurt heißt, so will ich Ihnen nur sagen ... – Ja, ja, Herr Oberst, fiel die Hausen ein; aber doch immer ein Kaufmann! ... Gehen Sie denn selbst in den Laden, Frau Cousine? – Diese Bosheit verdroß den Obersten. In den Laden? Sehen Sie, meine Gnädige, daß ich hier mein Amt verrichten muß? Der Kaufmann Hilbert ist nicht so ein Kaufmann, wie der, von dem Sie alle Tage Ihr Loth Kaffee holen lassen. – Schnell zog Emilie einen Brillanten-Ring von ihrem, und einen simpeln goldenen von Jettchens Finger, und sagte: erlauben Sie, liebe Tante, daß ich und Jettchen die Ringe zum Andenken wechseln? Da wurde das gelbrothe Gesicht der Hausen natürlich gefärbt, und es lagerte sich darin eine aufrichtige Freundlichkeit. Du bist noch immer so gut! sagte sie; aber mache uns doch mit deinem lieben Manne, dem Herrn Vetter, bekannt.

Der Oberst rief: Hilbert! Hilbert! Hier diese Dame, Emiliens Tante – will wissen, setzte er leise hinzu, ob Emilie selbst im Laden verkauft? – Nein, meine gnädige Frau, antwortete Hilbert ganz natürlich, wir handeln nur en gros, und Emilie lebt auf ihren Gütern. – Der böse Mann! sagte die Hausen, und schlug den Obersten mit dem Fächer; immer muß er spaßen! Also der Herr Baron von Flaming – ist der schon verheirathet?

Man präsentirte ihn der Hausen, die mit ungewöhnlicher Freundlichkeit die Bekanntschaft wieder erneuerte. Der Baron war auch jetzt, was ihm der Oberst schon vorgeworfen hatte, einsylbig, kalt und hölzern. Sie fragte, ob er denn wohl noch an seine alte Liebe zu Jettchen dächte. Er antwortete ruhig: „ich liebe, ich hasse, ich begehre nichts!“ (seine gewöhnliche Antwort, seit dem neuesten Systeme.) – Aber dabei können Sie nicht glücklich seyn. – „Glücklich? Ich weiß nichts von Glück, nichts von Unglück. Was ich sagen kann, ist: ich bin; ich denke; ich handle.“ – Frau von Hausen wollte die Bekanntschaft mit ihm wieder anknüpfen, und ließ sich durch alle diese Antworten nicht irre machen; aber zuletzt mußte sie die Hoffnung aufgeben, etwas Anderes von ihm zu hören, als: „ich liebe nichts, und hasse nichts!“ – Der Mensch ist ein vollkommner Narr! sagte sie nachher zu Jettchen; und Gott Lob, daß es so ist!

Emilie erkundigte sich mit großer Behutsamkeit nach den Umständen der Tante; sie schloß aus Jettchens sehr einfacher Kleidung, daß sie nicht die besten seyn müßten. Als sie unterrichtet war, wußte sie auf eine sehr zarte Weise der Tante eine Pension anzubieten. Die Hausen griff mit beiden Händen zu, und nannte Emilien nun: ihre beste Cousine. In der That fühlte sie etwas der Dankbarkeit Aehnliches. Sie zog Emilien auf die Seite, drückte ihr die Hand, und sagte ihr: berede doch deinen lieben Mann, daß er sich adeln läßt. Ich weiß nicht, liebe Cousine, wenn ich von dir reden will, wie ich dich nennen soll. – Emilie war auch von diesem Beweise ihrer Dankbarkeit gerührt. Ich will sehen, liebe Tante, erwiederte sie; nur muß ich Zeit dazu haben. Aber ich hoffe, mein Mann wird Ihren Wunsch erfüllen, daß Sie sich meines Nahmens nicht länger schämen dürfen. – Ei, liebes Kind, wer sagt von Schämen! – Schämen? rief der Oberst, der immer um die Hausen her schlich; schämen? Schämen Sie Sich, gnädige Frau? Nur immer zu! Die Schamröthe steht jedem Gesichte gut; und Ihrem Gesichte müßte sie besonders wohl lassen, wegen der Ungewohnheit. Ich finde es auch sehr natürlich, daß Sie von Schämen sprechen, wenn Sie Emilien ansehen. – Emilie unterbrach ihn; denn er wollte noch weiter fortfahren.

Die Tante reiste wieder ab, und war von Emiliens Güte bezaubert. Nun, sagte sie im Wagen, schuldig ist sie es mir. Hab' ich sie denn nicht auferzogen, gekleidet, ihr zu essen und zu trinken gegeben? Sie bezahlt mir jetzt das Kostgeld. – Liebe Mutter, das würde doch wohl so sehr viel eben nicht seyn! – Ei, schweig! Man muß das sagen, Jettchen; was würden sonst die Leute davon denken, daß wir von einer Kaufmannsfrau eine Pension annehmen!

Hilbert und seine Emilie verließen den Obersten, nachdem dieser noch alle seine Galle über den Baron ausgeschüttet hatte, weil er an seiner Freude so wenig Theil nahm. Hilbert flisterte dem Obersten zu: lassen Sie ihn! Er ist jetzt in dem Zustande der Zerknirschung.

Man reiste wieder nach Berlin. Auch Hilbert trennte sich bald von dem Baron, und kehrte nach Frankfurt zurück. Der Baron hatte auf Iglou's Bitte seine Sachen aus seiner vorigen Wohnung holen lassen. Auch er packte nach Hilberts Abreise sogleich ein, um nach Zaringen zu gehen. Als er aus dem Thore fuhr, sagte er, halb zu Iglou, die neben ihm im Wagen saß, halb zu Berlin: „intus omne posui bonum; non egere felicitate, felicitas mea est. 14) Ja, Iglou, jetzt bin ich glücklich, über das menschliche Geschick erhaben! Ich liebe nichts mehr, ich hasse nichts mehr; ich verlange, ich bedarf kein Glück.“

Iglou antwortete nicht. Sie sang, indeß der Wagen in dem Sande langsam hin fuhr, mit ihrer schönen Stimme:

 

Freud' und Kummer sind die Zeugen

Schöner, hoher Menschlichkeit.

Fremder Kummer sey mein eigen;

Und des Grames düstres Schweigen

Ehre meine Traurigkeit!

 

Freud' und Kummer sind die Zeugen

Schöner, hoher Menschlichkeit.

Fremde Freude sey mein eigen;

Und des Glückes frohe Reigen

Störe nie mein eignes Leid!

 

Iglou sang mit zärtlicher Stimme. „O“, rief der Baron von der Wahrheit in dem Liede, das er noch nie gehört hatte, überwältigt: „O, Iglou, wie gut bist du!“ Aber nach einer kleinen Pause, in der er sich besann, sagte er murmelnd: „ferenda facili animo omnia, et humanius est deridere vitam, quam deplorare 15).“ Er legte sich mit einem kalten Gesichte ohne alle Theilnahme in die Ecke des Wagens, und schwieg.

 

Ende des dritten Theils.

 

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1) Diese Behauptung hat sich sogar bis auf unsere Zeiten erhalten. Einer von den ersten Schriftstellern unserer Nation empfahl noch vor Kurzem die Sprache der Römer, und den Generalbaß, als die sichersten Gegengifte gegen die Wollust. 

2) Cato hat einen Ausweg! 

3) Unglück stärkt die Tugend! 

4) Das Schicksal führt uns; daher müssen wir alles standhaft ertragen. Schon lange wurde bestimmt, worüber wir uns freuen, worüber wir weinen sollen. 

5) Leicht ist der Weg in das Grab! Ihr bebt; und der Tod ist ein Augenblick? 

6) Der erhabne Mann hat keine Leidenschaft. 

7) Der Philosoph nennt etwas ganz Anderes Schande und Unglück, als was die Welt so nennt. Er geht immer seinen eigenen Weg; und so wie die Sterne sich gerade der Erde entgegen wälzen, so geht er gerade den Meinungen Aller entgegen. 

8) Der vollkommne Staat. 

9) Ihr habt einen Ausweg; wollt ihr nicht kämpfen, so könnt ihr doch fliehen. 

10) Das höchste Gut ist eine Seele, die alles Zufällige verachtet, und durch Tugend froh ist. 

11) Durch Tugend froh. 

12) Selbst die Freude, die aus der Tugend entspringt, ist, obgleich ein Gut, dennoch kein Theil des höchsten Gutes. 

13) Der Weise ist sicher, und keine Beschimpfung kann ihn treffen. 

14) Ich habe alles Gute in mir. Mein Glück besteht darin, daß ich keines Glückes bedarf. 

15) Alles muß man mit leichtem Herzen ertragen, und es ist menschlicher, das Leben zu verlachen, als es zu beweinen.