August Lafontaine
1758 - 1831
Leben und Thaten des FreiherrnQuinctius Heymeran von Flaming
Zweiter Theil
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Quinctius Heymeran von Flaming.__________________
Zweiter Theil.
Der Baron brachte viele Sprachkenntnisse auf die Universität mit; auch hatte er alle Spitzfindigkeiten einer scholastischen Philosophie im Kopfe, und seine Menschenkenntniß vermehrte er ferner nach Campanella's Methode, die ihm freilich noch manche lächerliche Händel zuzog.Zuerst trieb er mit großem Fleiße Philosophie; allein er ließ bald nach: denn sein Lehrer darin, ein heller Kopf, war ein Anhänger von Hume, und spottete über die scholastischen Träume. Freilich gefiel es Anfangs dem Baron, hier sein Ungläubigkeits-System, womit er seinem Vater einmal alle Vorfahren raubte, erweisen zu hören; da aber die meisten Studenten eben dem System anhingen, und da er noch mit keinem Professor Umgang hatte, welcher es bestritt, so konnte er nicht damit glänzen. Er forderte zwar, wenn er mit Leibnizianern in Gesellschaft war, sie auf, die Notwendigkeit der Ur-Ideen zu beweisen; allein die Studenten waren ihm nicht gewachsen, und hörten ihm entweder gar nicht, oder doch sehr gleichgültig zu. Daher verließ er die rauhen Felder der Weisheit bald.Nun studierte er die Alterthümer. Der Lehrer derselben war der abgesagteste Feind aller neuen Sitten, Gewohnheiten, Kleidungen, Speisen, und Regierungsformen. Er bewies seinen Zuhörern täglich mit großem Eifer, daß nur die Griechen gegessen, sich gekleidet, und gelebt hätten; und daß die von ihnen entlehnten zwölf Tafeln der Römer mehr Weisheit enthielten, als die sämmtlichen Gesetzbücher der neueren Nationen. Die Eleusinischen Geheimnisse setzte er dem Christenthum an die Seite; und von Pythagoras' Zahlen redete er mit solcher Ehrfurcht und in einem so heiligen Dunkel, daß er um nichts verständlicher war als Pythagoras selbst. (Von diesem Augenblick an aß der Baron keine Bohnen mehr, und nahm ein Kollegium über die Algebra. Er begriff nichts davon, sprach aber doch beständig von den heiligen Zahlen.) Die Aegypter, meine hochgeehrtesten Herren“, sagte der Professor, die Aegypter haben mehr Weisheit in ihre Pyramiden und Obelisken eingegraben, als jetzt in allen Büchern der Welt steht; so wie eine Rhapsodie des Homer größeren Werth hat, als die sämmtlichen Bücher, die seit den letzten siebzehn Jahrhunderten geschrieben worden sind. Eine Lesart im Homer zu berichtigen, den Sinn eines Hieroglyphen an einem Obelisk zu entdecken, ist wichtiger als Luthers Reformation. Ach, meine Herren, was sind doch die großen Männer der neuen Zeit gegen die Alten! Nichts. Leibnitzen will ich ausnehmen; der wird unsterblich bleiben, wenn auch seine Philosophie gänzlich vergessen ist, die er freilich nur den Alten nachschrieb, ohne sie zu verstehen. Ein Gedanke hat ihn unsterblich gemacht, der eines Plato, eines Pythagoras würdig ist: der Gedanke, eine allgemeine Sprache, eine Ideen-Schrift zu erfinden. Eine Hieroglyphen-Schrift! Wehe dem Jahrhundert, das diese große Erfindung so kalt aufnahm, so leichtsinnig verwarf! Wer wird sie ausführen, diese große Idee! wer wird sich dadurch den Dank der Welt und der Nachwelt verdienen!“Ich! dachte der Baron; und nun mochte der Professor deklamiren, so viel er wollte, der Baron war in den Gedanken an eine allgemeine Sprache versunken. Er eilte nach Hause, schloß sich ein, nahm Papier, und mahlte, dachte und träumte einen ganzen Monat nichts als Hieroglyphen. Seine Bedienten, welche bei ihm Papier, Wände und Tische mit seltsamen Figuren vollgezeichnet sahen, glaubten, und schrieben nach Hause, ihr junger gnädiger Herr lerne jetzt das Zaubern. Der Baron schrieb in dieser Zeit an seine Mutter, und sie fand, anstatt der gewöhnlichen Wörter, Kreise, Dreiecke, Vierecke, Zahlen. Ein Postskript belehrte sie von der Idee ihres Sohnes; sonst hätte sie ihn für wahnsinnig gehalten.Nach einem Monate ging er mit seiner Arbeit zu seinem Lehrer, und zog ihn zu Rathe. Ich bitte Sie, Herr Baron, sagte der: wie kann man Ideen, etwas Unsichtbares, mit Zeichen, etwas Sichtbarem, darstellen, so daß diese Zeichen allgemein verständlich wären?Sie sagten aber in den Alterthümern, es würde ein Verdienst um die Menschheit seyn, diese allgemeine Sprache zu erfinden.“Ei! Herr Baron, das war auch in den Alterthümern bei Gelegenheit der Hieroglyphen. Da sagt und lobt man viel! Wer will sich mit so etwas den Kopf zerbrechen! Ich kann Ihnen keinen Rath geben; denn den Leibnitz habe ich nicht selbst gelesen, und die Hieroglyphen hat schon mancher feine Kopf erklären wollen, ohne es zu vermögen. Man ist ja noch in Streit, was die Pyramiden eigentlich sind. Vielleicht waren sie nur ein Einfall der Aegyptischen Priester, bei dem sie selbst nichts gedacht haben. Es geht den Herren Geistlichen manchmal so! ... Was wollen Sie sich darüber den Kopf erhitzen! Essen Sie mit mir, Herr Baron. – Man trug eben ein Gericht große Bohnen auf, die der Professor, dem weisen Pythagoras zum Trotze, sehr gern aß.Der Baron verließ den Professor mit Verachtung, und besuchte dessen Stunde nicht wieder. Aber so ganz konnte er die Idee, eine allgemeine Sprache zu erfinden, doch nicht fahren lassen. Ihm fiel die Lehre ein: Thu das Gegentheil von dem, was gethan wird, wenn du erfinden willst!“ Und in diesem Augenblicke trat der erste Gedanke an eine allgemeine Empfindungssprache vor seine Seele. Wie!“ dachte er; kann ich doch, wenn ich die Bewegungen eines Andren nachmache, in mir die Empfindungen erregen, die er hat! ... Sieh da!“ rief er nach einigem Sinnen, und klatschte in die Hände: hättest du wohl gedacht, großer Campanella, daß deine Methode der Keim einer Wissenschaft werden sollte, die vielleicht den ganzen Erdball umändert? Die Empfindungen jedes Menschen sind in mir selbst lesbar, sobald ich seine Bewegungen nachmache. Was bedarf ich weiter? Nichts, als mich nur im Lesen, und dann im Sprechen zu üben. Das kann so schwer nicht seyn. Und da“ – fuhr er fort zu grübeln – nach dem großen Hume, alle Ideen von den Erfahrungen durch die Uebung abgezogen sind, also doch einmal Empfindungen gewesen seyn müssen; so kann es nicht fehlen, jeder, auch der allerfeinste, abgezogenste Begriff muß seine Miene haben, die ihn auf dem Gesichte abspiegelt. Und so könnte es dahin kommen, daß meine Gesichtsbewegungs-Sprache die ganze Philosophie reinigte, ihre Gränzen bestimmte, das Denkbare und Undenkbare festsetzte, allen Wissenschaften, der Philosophie, ja der Religion selbst und der Moral, Gewißheit gäbe, ihre Principien entwickelte und ...“ – Er sprang mit Entzücken auf, jauchzte vor Freude, und fing sogleich seine Arbeit an. Schade, daß seine Aufsätze, seine Bemerkungen darüber, deren eine ungeheure Menge wurde, nicht in unsere Hände gekommen sind! Ganz unbekannt mögen sie indeß nicht geblieben seyn; des Barons Geist und Schriften scheinen mehrere Gelehrte beseelt zu haben: denn seitdem wurde die Physiognomik ausgearbeitet, und man las durch bloße Berührung der Schrift sogar unbekannte Sprachen.Natürlicher Weise trieb der Baron jetzt das Nachmachen der Mienen, der Bewegungen und der Stellungen in allen Gesellschaften sehr lebhaft. Besonders war er sehr eifrig, wenn er hörte, daß zwei Menschen sich in einer ihm unbekannten Sprache unterredeten. Dann stand er neben ihnen wie festgezaubert, und keine ihrer Bewegungen entging ihm. Sein Gesicht wurde so gelenksam, so geschmeidig, daß man ihn nicht ohne Erstaunen ansehen konnte. Und was war seinem Entzücken zu vergleichen, als er einige Male wirklich den Gegenstand eines Gespräches errieth, das zwei Leute in einer fremden Sprache führten! Ist es möglich?“ dachte er; blieb es mir vorbehalten zu entdecken, was die Gabe der fremden Sprachen bei den ersten Christen gewesen ist? Sie war nichts als meine allgemeine Bewegungssprache; und so ist das Wunder erklärt.“Er fing jetzt an, mit seiner Erfindung laut zu werden. Warum“, sagte er, sind alle wilden Völker so pantomimisch? warum reden sie mehr mit Gesicht, Händen und Füßen, als mit der Zunge? Natürlich! sie sprechen noch die Sprache, welche die Natur dem Menschen gab, und welche er durch seine so doppelsinnige Wortsprache verdrängt hat.“ Der Baron wurde über diese Aeußerungen bald verspottet. Besonders verfolgten ihn in allen Gesellschaften die Frauenzimmer mit ihren Einfällen. Er machte ihre Mienen nach, und wurde immer mehr von Mahomeds Satze überzeugt, daß die Weiber von Natur ungeheuer falsche, verläumderische, thörichte Spötterinnen alles Guten und Edlen sind.Das Alphabet der neuen Sprache war nun fertig, und bestand in lauter Gesichtern mit verzerrten Mienen, die ein Mahler nach des Barons Gesichte gezeichnet hatte. Das Gesicht ist der Spiegel der Seele; was also wirklich in der Seele ist, zeigt sich auf dem Gesichte. Denkt die Seele etwas, das nicht wirklich ist, so kann es sich auch nicht auf dem Gesichte abspiegeln. Was also auf dem Gesichte keine Bewegung macht, ist nicht wirklich da.“ Dies waren die Hauptsätze, welche unser Baron immer mehr und mehr ausarbeitete.Aber nach und nach mußte sein Eifer erkalten; denn Niemand wollte seine Sprache mit ihm reden, nur seine beiden Bedienten ausgenommen, die endlich seine Verzerrungen des Gesichtes verstehen lernten. Auf diese beiden Bedienten berief er sich immer, wenn man über seine neue Sprache spottete. Hiermit ging es endlich so weit, daß ihm die Kinder auf der Gasse in den Weg traten, und ihm Fratzengesichter machten. Er wurde der Märtyrer seiner Erfindung, tröstete sich aber damit, daß es allen großen Männern auf ähnliche Art gegangen sey. So wählte auch er das Mittel, das sie wählten, wenn sie konnten: er entfloh, und ging auf eine andere Universität, mit dem festen Vorsatze, seine Erfindung zu verschweigen. Allein er wurde auch hier bald zum Gespötte, da er die Gewohnheit nicht ablegen konnte, sogleich, wenn er Leute reden sah, das Gesicht zu verzerren, zu lachen, wenn sie lachten, den Kopf zu schütteln, wenn sie ihn schüttelten, sich zu bewegen, wie sie sich bewegten.Haben Sie den Baron von Flaming schon gesehen? fragte man überall. Man bedauerte ihn, und nannte seine Gewohnheit: Nervenschwäche, Krankheit. Nur ein Professor der Theologie wurde aufmerksamer auf ihn. Ist er etwa aus Amerika? fragte er jemanden, der den Baron kannte. – Nein; er ist ein Deutscher.“ – Oder seine Vorfahren? fragte der Professor weiter. – Auch nicht.“ Nun, ein Mongol muß er doch seyn! murmelte der Professor vor sich, und suchte Gelegenheit, den Baron zu sehen, die er auch in Kurzem fand.Der Professor sah den Baron starr an; sogleich betrachtete dieser ihn mit eben so starren Augen. Um Vergebung, Herr Baron, ist das Ihr eigenes Haar? fragte der Professor, und betrachtete Flamings blonden Kopf. – Ja, Herr Professor. Warum? Meinten Sie ...?“ – Ich dachte, weil es blond ist ... – Darf man kein blondes Haar tragen?“ – Man darf wohl; allein ich glaubte, Sie müßten schwarzes haben. – Ich, schwarzes? Warum denn eben ich?“Der Professor wurde verlegen, entfernte sich, und betrachtete den Baron mit Kopfschütteln.Herr Baron, fing er bald nachher wieder an, sind Sie aus Deutschland gebürtig? – Ihnen aufzuwarten.“ – Aber Ihre Vorfahren können doch nicht aus Deutschland seyn. – Warum denn nicht?“ – Ich glaubte, aus Amerika, sagte der Professor, und betrachtete den Baron wieder sehr aufmerksam. – Aber warum aus Amerika?“ – Der Professor wurde wieder verlegen, und ging.Flaming bemerkte, daß der Professor ihn immer in den Augen behielt. Geschwind machte er dem Manne alle Mienen nach, und hatte dabei keine üble Empfindung. Das Gesicht des Professors sagte ihm nur: ich bin aufmerksam auf dich, und werde an dir irre. Der Baron trat zu dem Professor hin, gab ihm die Hand sehr freundschaftlich, und sagte: Sie finden etwas an mir, das Sie sich nicht erklären können.“ Der Professor gestand das ganz offenherzig, und ging nun mit ihm in ein Fenster. Nicht wahr, Herr Baron, sagte er, Sie haben ein starkes Gedächtniß? Sprachen sind so recht Ihre Sache?Flaming stutzte. Hm! dachte er, weiß der etwa ...? – Nun ja, ich kann Ihnen das wohl gestehen, Herr Professor. Aber warum fragen Sie danach?“Ich errieth es aus Ihrem Wesen, sagte der Andre freundlich lächelnd.Der Baron erstaunte noch mehr. Er hatte schon von dem Professor als von einem großen Gelehrten, der aber manche seiner Kenntnisse dem Publikum gänzlich entzöge, sprechen hören. Sollte er etwa, dachte Flaming, gerade eben meine Wissenschaft verheimlichen?Aber, fing der Professor wieder an, aus Amerika muß doch einer Ihrer Vorfahren gewesen seyn?Nein, gewiß nicht.“Der Professor schüttelte den Kopf. Haben Sie denn die Gewohnheit, alle Mienen nachzumachen, von Jugend auf?Der Baron lächelte. Nein, ganz und gar nicht.“O, so vergeben Sie mir, sagte der Professor gutherzig. Also eine Krankheit?Auch das nicht. Ich thue das vorsetzlich; es ist Wissenschaft.“Wie so? fragte der Professor neugierig.Alle wilden Völker, Herr Professor, reden mehr durch Mienen, Geberden, ...“Nicht alle, nicht alle, fiel der Professor lächelnd ein; die vom Celtischen Völkerstamme gewiß nicht: darauf verlassen Sie sich, Herr Baron. Menschen von edleren Racen haben die Geschmeidigkeit des Körpers nicht, die dazu gehört. Die Celten auf der untersten Stufe ihrer Kultur redeten nie durch Mienen und Bewegungen; sie erfanden, aber sie ahmten nicht nach.Aber ich habe ja die Geschmeidigkeit, und bin ein Deutscher. Oder sind die Deutschen keine Celten?“O ja, Herr Baron. Eben deswegen fragte ich nach Ihrem Gedächtnisse, nach Ihren Vorfahren. Ich muß Ihnen in Vertrauen sagen, Herr Baron (er sah sich unruhig um), daß ich nun vierzig Jahre damit zugebracht habe, eine Wissenschaft zu studieren, die vielleicht einmal – jetzt sind die Zeiten noch nicht – hellen Tag in die Geschichte des Menschen bringen wird.Gewiß ist das eine allgemeine Sprache für alle Menschen der Erde durch die Bewegungen ...“Allgemein, Herr Baron? Wenn ich Ihnen nun beweise, daß die Menschen in Racen abgetheilt sind, die sich durch wesentliche Absonderungen der Natur stärker von einander unterscheiden, als die Racen der Thiere; so werden Sie mir leicht zugeben, daß eine allgemeine Sprache für das menschliche Geschlecht nicht möglich ist.Wenn Sie mir das beweisen, Herr Professor!“Das kann ich. Kommen Sie doch zu mir. Aber unsere Gespräche müssen unter uns bleiben, ganz unter uns!Der Professor war wirklich ein sehr gelehrter Mann. Von Jugend auf hatte er am liebsten Reisebeschreibungen und historische Schriften gelesen. Nichts war ihm dabei unbegreiflicher, als daß die Kultur in Asien, dem am längsten bewohnten Lande, keine, und in Europa so schnelle Fortschritte gemacht hat. Er dachte diesem Räthsel lange nach; auf einmal fuhr ihm wie ein Blitz der Gedanke durch die Seele: wie, wenn wir Europäer ganz andere Menschen wären, als die Asiaten! Sogleich fing er an, alle seine Kenntnisse unter diesem Gesichtspunkte noch einmal zu wiederholen, zu ordnen, und fest zu stellen. Alles wurde ihm nun klar: die verschiedenen Farben der Menschen, die verschiedene Form der Gesichter, die verschiedenen Sitten und Gewohnheiten, die verschiedene Stärke und Schwäche des Geistes bei den Völkern.Zwar erschrak er ein wenig, als er seine neue Theorie durchdachte, und sich dabei erinnerte, daß er Professor der Theologie war. Aber nein! rief er; es ist nicht möglich, daß Neger und Amerikaner, Kalmycken, Morgenländer, Griechen und Deutsche Alle von Adam abstammen können. Die Morgenländer, das gebe ich zu, und das ließe sich erweisen; aber nicht die Celten, nicht die Slaven. Er brachte nun sein System in Ordnung, und theilte die Menschen in vier Hauptstämme: in Mongolen (wozu er Neger und Amerikaner rechnete), in Morgenländer, Slaven, und Celten. Jeder Klasse gab er ihre Kennzeichen, ihre Farbe, ihre Sprache; ja, er unterschied sie durch die geringsten Kleinigkeiten. Je mehr er las, desto fester, desto unumstößlicher wurde ihm seine Theorie. Fand er etwas, das nicht hinein paßte, so machte das eine Ausnahme. Erzählte ein Reisebeschreiber Umstände, die sein System zum Wanken brachten, so hatte der Mann nicht die Wahrheit gesagt, oder nicht recht gesehen. Kurz, der Professor ging von seiner Hypothese aus, und wußte die Fakta nach ihr zu bilden.Jetzt hatte er sein System in Ordnung gebracht, und die vier Menschen-Racen in gehörige Schranken abgesondert, welche sie nicht überschreiten konnten, weil ihre innere Organisation sie an ihre Unvollkommenheiten band, und diese verewigte. Bald ließ er nun in Gesellschaft mit anderen Professoren etwas von seinem System merken; und nicht lange, so machte er auf dem Katheder das Dogma von der Erbsünde durch die Bedingung: wenn alle Menschen von Adam abstammen“, zweifelhaft. Mit jedem halben Jahre wurde er dreister, wie das bei den meisten Ketzern der Fall ist. Diesmal griff er die Erbsünde an; im folgenden halben Jahre zog er bei dem Hauptartikel der Dogmatik solche Folgerungen aus seiner Hypothese, daß den Studenten, welche es merkten, die Haare zu Berge standen. Kurz, nach einigen Jahren behauptete er ohne Scheu: für die Celten sey kein Erlöser nöthig gewesen; in Adam hätten nur die Morgenländer gesündigt.Das kam denn endlich aus. Nun bedauerte die theologische Fakultät nichts mehr, als daß man nicht mehr verbrennen dürfe. Die Mediciner behaupteten nach der Sektion eines Negers, aus dem Magen desselben, daß er gerade eben so denken müsse, wie ein Deutscher. Die Philosophen wollten nicht mit der Sprache heraus; als sie aber hörten, daß schwarzes Haar ein Zeichen von unedler Abkunft seyn sollte (alle vier Professoren der Fakultät hatten unglücklicher Weise schwarzes Haar): schlugen sie sich zu den Theologen. Die Juristen schrieen am meisten; denn, sagten sie, es geht gegen das Herkommen. Der einzige Kameralist, der vom Hofe zuweilen Aufträge im Finanzfache bekam, hielt es mit dem Professor, weil dieser ihm sagte, daß die Regierung mit gutem Gewissen jedem Schwarzkopf eine doppelte Kontribution auflegen könne. Man stritt und schrie so lange, bis der Hof sich ins Mittel legte. Der Professor mußte widerrufen, und durfte nicht mehr über die Dogmatik lesen. Nun brach die halbe Stadt ihren Umgang mit ihm ab, und der Kameralist zuerst.Man denke sich das Elend des guten Professors, der etwas Unerhörtes, noch nie Gesagtes, lehren konnte, und nicht durfte! Doch er hielt sich dadurch schadlos, daß er wenigstens manchem Einzelnen, zu dem er Vertrauen hatte, etwas von seinem System entdeckte. So auch bei dem Baron, an dem er seinen rechten Mann gefunden hatte, und dem er, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, alle seine Geheimnisse, alle seine Kollektaneen aus Reisebeschreibungen, mittheilte.Der Baron zog zu dem Professor ins Haus, nahm bei ihm ein Privatissimum über die neue Wissenschaft, und studierte mit solchem Eifer, daß er bald eben so weit war, wie sein Lehrer; ja, es gingen nur wenige Monate hin, so übertraf in der Anwendung des neuen Systems der Schüler seinen Meister.Der Professor lehrte ihn die Kennzeichen der verschiedenen Menschen-Racen. Der unedelste Menschenstamm, sagte er unter andern, hat wollichtes, starkes, schwarzes Haar, Stutznasen, dicke Lippen, große Beißmuskeln, starke Kinnladen, weißere Zähne, größere Köpfe, dicke Haut, runden Bauch, große Ohren, eingedrückte Stirnen, kleine tiefe Augen, und so weiter.Der Baron kehrte, nach seiner Lebhaftigkeit, den Satz um. Wer“, sagte er, eine Stutznase, dicke Lippen und so weiter hat, gehört zu dem unedelsten Menschenstamme. Ja, ja! darum betrog mich Marie; sie hatte schwarzes Haar und schwarze Augen. Jetzt seh ich's ein.“ Er träumte nun von nichts als von Menschen-Racen, und fing an, alles in dieses System hinein zu zwingen. Jetzt hatte er wieder jedermann in Augen, nicht um zu erfahren, wie er dächte, sondern um zu sehen, ob nicht ein Zeichen von unedler Abkunft an ihm zu entdecken wäre. Indeß war er doch mit dieser Hypothese ein wenig behutsamer, als mit der vorigen, so viele Mühe es ihm auch kostete, seine neuen Kenntnisse zu verbergen. Ich würde unglücklich werden, hatte der Professor zu ihm gesagt, wenn es auskäme, daß ich Sie unterrichtet habe. Der Baron schwieg daher und studierte desto emsiger mit seinem alten Freunde; doch endlich wurde es ihm allzu sauer, etwas zu verbergen, das er allein wußte. Er entschloß sich, die Universität zu verlassen, wo seine Eitelkeit so sehr in der Presse war, nahm von seinem Lehrer Abschied, und ging in die Residenz eines kleinen Deutschen Fürsten, in dessen Lande er vor Kurzem ein Gut von einem weitläuftigen Verwandten geerbt hatte.Nun miethete er ein Haus, ließ sich mehrere Domestiken, Equipage, und Möbel kommen, und richtete sich für die damalige Zeit sehr elegant ein. Bald wurde er bei Hofe vorgestellt, und gefiel sehr wohl. Natürlicher Weise bewarb man sich um seine Bekanntschaft, da man wußte, daß er sehr reich war. Alle Fräulein am Hofe warfen ihr Netz nach ihm aus; aber ein so seltsamer Mensch, wie der Baron, war ihnen noch nicht vorgekommen. Sobald er in eine Gesellschaft eintrat, schien er mit seinen Augen alle Anwesende verschlingen zu wollen, und besonders ließ er sie auf den Mädchen haften. Jedes Fräulein glaubte, wenn es seinen starren Blicken begegnete, ihn schon erobert zu haben; aber den Augenblick nachher war er so kalt, als ob Haubenköpfe rings um ihn wären. An dieser sah er schwarzes Haar; dort schreckten ihn zwei Reihen sehr weißer Zähne zurück; bei der schauderte er vor einer vollen Brust; diese war ihm zu rund; jene hatte eine Stutznase, eine andere zu dicke Lippen; kurz, an jeder war wenigstens Ein Kennzeichen von Slavischer Abkunft, das ihn abhielt, sich näher mit ihr einzulassen. Ueberdies steckte ihm noch immer der Koran im Kopfe, und vergiftete alles, was seine jetzige Hypothese ihm etwa Gutes von einem Mädchen sagte. Die Männer fand er etwas besser; nur beleidigte er auch bei ihnen sehr oft die gewöhnlichen Sitten.Man hielt den Baron für einen gelehrten Sonderling; und die Lebensart, die er in seinem Hause führte, rechtfertigte diese Benennung. Es wurde bei ihm sehr gut und eine Menge von Schüsseln gegessen; nur bekam man nie fettes Fleisch, und den Sallat beinahe ganz ohne Oel. Er gab sehr guten Wein, aber leichten, und wenig. Nach Tische wurde Limonade, oder ein andres kaltes Getränk präsentirt; Kaffee und Thee waren nicht bei dem Baron zu finden, und eben so wenig Karten. Man mochte ihm vorstellen, so viel man wollte, daß er sich nach der Mode richten müsse; er hatte immer nur die Eine Antwort: ich bin ein Celte, und will einer bleiben.“ Das ganze Jahr hindurch stand er sehr früh auf; und legte sich um zehn Uhr nieder. Er war ein Feind aller Komplimente, und würde selbst zu dem Fürsten, wenn dieser ihn besucht hätte, nur gesagt haben: seyn Sie mir willkommen!“ Jeder Unglückliche konnte sich dreist an ihn wenden, und bekam gewiß Hülfe, wenn er blondes Haar hatte. War er auch so unglücklich, ein Mongolisches Abzeichen an sich zu tragen, so half der Baron ihm wohl, aber doch nur mit einer gewissen Härte. Diese Verschiedenheit in seinem Betragen wußte niemand zu erklären, da der Baron bisher noch wenig von seinem System geäußert hatte. Man lachte über ihn, und auch über die seltsame Dekoration seiner Zimmer. An den Wänden hingen Kupferstiche und Zeichnungen von Menschenköpfen und Kleidungen, Hütten, Kähnen, Geräthen aus alten Ländern; auf dem Tische standen drei oder vier Todtenköpfe: einer von einem Kosaken; die anderen von Deutschen. Zwischen Büchern aller Art, doch meistens seltenen, lagen ganze Stöße Papiere voll der sonderbarsten Figuren, noch aus den Zeiten her, da der Baron sich mit der allgemeinen Sprache beschäftigte. Er lächelte immer sehr zufrieden, wenn jemand alles das betrachtete, ohne errathen zu können, was es bedeute.So hatte es ungefähr ein Jahr lang fortgedauert, als seine Hypothese losbrach. Die einträgliche Pfarre auf seinem Gute wurde vakant, und ein Kandidat in der Residenz wendete sich an die Geliebte des Fürsten, daß sie ihm eine Empfehlung verschaffen möchte. Der Fürst ließ den Baron durch den Hofmarschall ersuchen, dem Kandidaten die Pfarre zu geben; und der Baron versprach es halb und halb. Aber nun kam der Kandidat selbst zu ihm: ein Mensch mit einer Stutznase, kleinen schwarzen Augen und pechschwarzem Haar. Gnädiger Herr, hob er an, ich bin der Kandidat, dem Sie die Pfarre in ... – Das sind Sie?“ sagte der Baron. So bedaure ich; Sie können mein Pfarrer nicht werden.“ Er machte ihm eine ganz kalte Verbeugung, und ließ ihn gehen.Noch denselben Tag war der Hofmarschall bei dem Baron. Nun, lieber Herr Baron, ist der junge Mann bei Ihnen gewesen? Der Fürst verläßt sich darauf, daß Sie ihm die Pfarre geben. Er hat noch heute mit mir davon gesprochen.Ich bedaure – der Mann wird mein Pfarrer nicht.“Was sagen Sie, Herr Baron? Nicht möglich! Ich habe dem Fürsten Ihr und mein Wort darüber gegeben.Das thut mir in der That leid; aber mein Pfarrer wird er nicht: das ist so gewiß, als ich hier stehe.“Herr Baron, bedenken Sie auch ...? Sie werden den Fürsten beleidigen!Sehr möglich.“Der Fürst hat dem jungen Mann versprochen, daß er die Pfarre bekommen soll.Das durfte der Fürst nicht; denn ich habe die Pfarre zu vergeben, und ...“Sie scherzen, Herr Baron. Der Fürst hat doch Ihr Wort; und das müssen Sie halten.Ich gab ihm mein Wort nur unter Bedingungen. Wie ich Ihnen sage, es ist nicht möglich.“Aber warum nicht? Bedenken Sie, der Fürst ... Warum denn nicht?Der Mensch hat eine Stutznase, große dicke Lippen, schwarzes Haar, kleine schwarze Augen.“Nun sehe ich, daß Sie scherzen, Herr Baron; denn was kann der Mensch dafür, daß er schwarze Augen hat?Ich eben so wenig. Soll ich denn aber zum Reiten ein elendes Pferd nehmen, wenn ich einen Normann haben kann?“Was hat denn die Stutznase mit dem Predigen zu thun?Sehr viel, Herr Hofmarschall: mehr als Sie glauben; und die dicken Lippen dazu.“Der Mensch ist sehr geschickt, das versichere ich Ihnen. Fünf Sprachen soll er sprechen.Gedächtniß können die Stutznasen wohl haben. Ein Japaner, der Europa durchreiste, lernte jede Sprache in vier Wochen fertig reden; und die Japaner sind noch schlimmer daran, als Ihr Kandidat.“Aber, Herr Baron, bedenken Sie doch: der Fürst ...! Und dann kennen Sie ja den jungen Mann nicht.Herr Hofmarschall, er wird mein Pfarrer nicht; denn er hat alle Kennzeichen einer unedlen Abkunft an sich.“Muß denn Ihr Pfarrer von Adel seyn? Das ist wieder etwas Neues!Herr Hofmarschall, er soll mir seine Ahnen nicht beweisen; mir ist es gleich, ob sein Vater ein Tagelöhner war. Aber vom edlen Menschenstamme muß er seyn; kurz, ein Celte.“Sie haben ja nur drei Worte mit ihm gesprochen, als er bei Ihnen gewesen ist. Sprechen Sie einmal länger mit ihm! Ein gefälliger Mensch, Herr Baron; er läßt sich alles bieten, ist so geschmeidig –Ja, ja, das dacht' ich! Ganz recht! Und wenn er mir auch gefallen hätte, jetzt würde er doch nicht mein Pfarrer!“Weil er eine Stutznase und schwarzes Haar hat? Seltsam, Herr Baron! Die ganze Stadt wird darüber lachen, und der Hof dazu.Hof und Stadt lachen über mehr ernsthafte Dinge. Das mögen sie. Genug, mein Pfarrer wird der Kandidat nicht.“Der Fürst muß das ressentiren. Bedenken Sie, Herr Baron! Vielleicht kann er eben so wenig blaue Augen, lange Nasen, blondes Haar leiden; und Sie haben das alles.Von Nasen und Augen“, fuhr der Baron erhitzt auf, ist hier die Rede nicht; sondern von den Kennzeichen des innern Menschen, von edler oder unedler Race. Sehen Sie hier, Herr Hofmarschall!“ – Er stellte zwei Schedel vor ihm auf den Tisch. – Finden Sie keinen Unterschied zwischen diesen beiden Schedeln? Sehen Sie hier den Backenknochen! wie stark an diesem, wie flach an jenem! Sehen Sie diese beiden Stirnen, diese Nasenbeine, diese Kiefern, diese ganze Form der Köpfe. Wie verschieden! Der Fürst empfehle mir einen Menschen mit einem solchen Schedel, mit einer solchen Stirn; und ich schenke ihm vier Sprachen von fünfen.“Sie redeten ja nur so eben von der Nase und von der Farbe des Haars; und jetzt ...Rede ich von nichts Anderem; denn dieser Schedel kann kein anderes Haar treiben, als blondes, keine andere Nase bilden als eine edle lange; und das Gehirn in diesem stolz gewölbten Schedel kann keine andern Gedanken schaffen, als feine, edle, tugendhafte. Nun sehen Sie den andern Kopf! Hat die Natur nicht die Kinnladen auf Kosten des Uebrigen so vergrößert, als ob der, dem dieser Schedel ehemals gehörte, nichts zu thun haben sollte, als zu fressen und zu sterben?“Aber Herr Baron, wie gehört das hieher? Was hat denn dieser Todtenkopf mit dem Predigen zu thun? Sagen Sie um des Himmels willen!Die Natur, Herr Hofmarschall, schuf mehrere Menschenarten, wie mehrere Thierarten: eine edler als die andre, eine unter ihnen die edelste. Sie gab allen Arten ihre körperlichen Kennzeichen, wie Sie dieselben hier an diesen Köpfen sehen können. Dies ist der Schedel eines edlen Deutschen; und jener eines unedleren Kosaken. Nun, hoffe ich, wird man es mir nicht übel nehmen, wenn ich meinen Unterthanen einen Prediger aus dem edelsten Menschenstamme geben will.“Herr Baron, neu ist das alles, was Sie mir sagen; ist es aber auch gewiß? Wäre es das, so könnte der Fürst die Räthe entbehren, welche die Kandidaten examiniren müssen. Ist es wirklich gewiß, Herr Baron?So gewiß, als Erfahrung und Nachdenken irgend etwas machen können.“ Der Baron setzte nun mit einer triumphirenden Beredtsamkeit dem Hofmarschall die Kennzeichen der edleren und unedleren Menschen-Racen aus einander. Sehen Sie“, schloß er zuletzt, so steigt die Natur von den Insekten, die ganz Magen sind, bis zu den Thieren, bei denen der Kopf sich von dem übrigen Körper unterscheidet, und von dem untersten Thiere wieder bis zu dem edlen Pferde, oder Hirsche, welche die Köpfe empor heben; von da zu dem Affen, der von allen vierfüßigen Thieren allein aufrecht geht, bis zu dem Menschen. Im Menschen selbst geht die Natur den ganzen Raum, den sie schaffend durchlaufen hat, wiederholend durch, und bildet noch einmal die ganze Schöpfung. Da steht, von ihr geschaffen, der unedelste Menschenstamm. Bei ihm sind alle zum Essen nöthigen Theile des Kopfes größer und stärker, als bei den edleren Menschen. Die Beißmuskeln, die scharfen, spitzen, zackigen, weißen thierischen Zähne, die starken Backenknochen, die dicken, weiten Lippen, die sammetartige, undurchdringliche, schwarze Haut, der starke Bauch, das leblose Auge, die thierische hinten übergedrückte Stirn, das platte, runde Gesicht, die krummen Beine aller Negern, Amerikaner und südlichen Asiaten, zusammen genommen mit ihrer Reitzbarkeit, ihrem scharfen Sinnen, ihrem bloßen Wortgedächtnisse, ihrem Mangel an sittlichem Gefühl und Nachdenken, und den daraus folgenden Lastern: dies alles beweist hinlänglich, daß die Natur mit ihnen den Raum zwischen dem Thier und den edleren Menschen ausfüllen wollte. So steigt die Natur, vielleicht mit zwanzig verschiedenen Arten, bis zu dem Celten hinauf, der an seiner edlen schlanken Gestalt, auf seiner weißen zarten Haut, in seinem strahlenden blauen Auge, auf seiner erhabenen Stirn, in den blonden Haarlocken, auf der hohen Brust, auf dem schönen Oval seines Gesichts, auf den feinen, lächelnden Lippen den Stempel der vollendeten Schöpfung trägt, und durch Erfindungskraft, durch feines, zartes und rasches Gefühl für Schmerz und Sittlichkeit, durch Liebe zu Ordnung und Schönheit, durch zartere Lebenskraft, durch höhere Freude in Uebung seiner Geisteskräfte, durch leichten Ueberdruß im Genusse der Sinne sich auch des Vorrechtes werth macht, der Liebling des Himmels und der Herr der Schöpfung, selbst seiner unedleren Brüder, zu seyn.“ Des Barons Gesicht glühete bei dieser Rede vor Stolz und Freude. Und somit“, fing er nach einer Pause wieder an, sehen Sie wohl, kann ein Mensch, der die Kennzeichen einer unedleren Race an sich trägt, mein Pfarrer nicht werden.“Der Hofmarschall machte noch einige Versuche, mit seinem Verlangen durchzudringen; allein Flaming blieb fest, und der Kandidat mit der Stutznase wurde wirklich sein Pfarrer nicht.Natürlicher Weise machte unser Baron sich nun den Fürsten zum Feinde, und nicht allein den, sondern auch einige Dutzend Räthe, Kammerherren, Aerzte und Prediger, die entweder Stutznasen, oder schwarzes Haar, kurze Stirnen, runde Bäuche, starke Backenknochen, oder dicke weitgeschlitzte Lippen hatten. Zwar glaubte niemand an des Barons Eintheilung der Menschenstämme, welche bei dieser Gelegenheit durch den Hofmarschall und den Kandidaten allgemein bekannt geworden war; aber dennoch wurde sie von einigen Spöttern gebraucht, um Lachen damit zu erregen. Unglücklicher Weise ließ sich des Barons Folgerung aus dicken Lippen, kurzen Stirnen, dicken Bäuchen u.s.w. sogar auf einige von jenen Herren anwenden; es ist also leicht zu errathen, was von ihm und seinem Systeme gesprochen wurde.Nun hatte man des Herrn von Flaming Sonderbarkeit heraus, und erklärte ihn für einen ausgemachten Narren, wie der Fürst selbst ihn genannt hatte. Die Spötter in der Stadt und am Hofe suchten ganz hinter die Vorstellungsweise des Barons zu kommen. Ueberall, wo er sich sehen ließ, mußte er sein System aus einander setzen; und er that es mit der Eitelkeit eines jungen unerfahrnen Mannes. Jedes Mal, wenn er auf diesen Gegenstand kam, gerieth er in Feuer, und konnte also freilich nicht mit Behutsamkeit reden. Man widersprach; aber dann bewies er aus zehn Reisebeschreibungen, daß er Recht habe. Er erklärte alle Laster, alle Thorheiten, jeden Aberglauben, jede einfältige Gewohnheit, aus seiner Hypothese, mischte sie in alles, wendete sie auf alles an, und löste durch sie alles auf, was in der Stadt und bei Hofe an diesem und jenem Menschen für ein Räthsel galt. Sprach man z. B. von der Armuth der Unterthanen, so fand er die Ursache davon in dem dicken Bauche und den großen Ohren des ersten Geheimen Rathes.Der Geheimerath erfuhr, daß Flaming ihn für einen Mongolen erklärt hatte; und er war der Mann nicht, den man ungestraft beleidigen durfte. Augenblicklich sann er auf ein Mittel, sich zu rächen, und er fand es endlich in Verbindung mit einer gewissen Frau von Hausen.Die Frau von Hausen war erst nachher, als man das System des Barons schon kannte, in der Residenz angekommen. Sie nahm, als die Frauenzimmer den Baron in einer Gesellschaft neckten, sein System in Schutz, und ließ es sich geduldig von ihm aus einander setzen. Es war ihr nicht schwer, den gutherzigen, leichtgläubigen, eitlen jungen Mann in ihm zu erkennen; daher schien sie von seinen Sätzen ganz entzückt, und sprach den Nachmittag fast nur mit ihm. Man glaubte, sie wolle sich über ihn lustig machen; aber das war ihre Meinung gar nicht. Sie kannte den großen Reichthum des Barons von Flaming, und entwarf auf der Stelle den Plan, ihn für ihre Tochter einzufangen.Beim Weggehen drückte sie dem Baron die Hand, und bat ihn, sie zu besuchen. Man wird, sagte sie, von den meisten unserer jungen Herren so fade unterhalten, daß ich mich freue, Sie hier gefunden zu haben. Ich werde Ihre gelehrige Schülerin seyn. – Dieser Weihrauch ging nicht verloren; der Baron küßte ihr die Hand, und sagte: wenn Sie es erlauben, so komme ich morgen zu Ihnen.“Jettchen, sagte die Frau von Hausen diesen Abend zu ihrer Tochter, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die dich sehr interessirt: mit dem Baron von Flaming. Er ist ein sehr reicher Kavalier, gewiß der reichste im ganzen Fürstenthume; denn das Gut in unserem Lande ist nicht sein einziges. Du hast wohl von seinen Grillen gehört, von seinen Menschenstämmen. Nun ja, er ist ein wenig ein Thor, aber ein so gutherziger, daß man ihn lieben muß. Ich dächte, Jettchen, das wäre eine Partie für dich. Du hast nicht viel Vermögen, und die Besoldungen am Hofe sind knapp. Ueberleg es dir. Morgen kommt der Baron zu uns.Jettchen rümpfte die Nase; um einen Thoren war es ihr denn doch auch nicht zu thun! Indeß sie überlegte die Nacht hindurch, und den folgenden Mittag kam sie so schön frisirt, so geschmackvoll geputzt zum Vorschein, daß ihre Mutter sie über die rothe Wange streichelte. – Du bist wirklich heute bezaubernd, Jettchen. Wenn ich das Kirchenfenster-Gesicht, die Emilie, dagegen betrachte! Die zieht sich immer an wie ein Bauernmädchen. Von Jettchen solltest du lernen! Aber an dir ist Hopfen und Malz verloren. Wir werden dich wohl todt füttern müssen; denn wer wird dich nehmen? Nackt wie eine Made, und dann noch obendrein stolz! – Liebe Tante“, sagte Emilie sanft, ich habe ja den Putz nicht, den Jettchen hat.“ – So? Sehe nur einer, noch obendrein trotzig! Nicht wahr, ich soll es meinem Kinde entziehen, und dir geben? Nein, mit nichten. – Ach, liebste Tante, ich bin ja zufrieden mit dem, was ich habe.“ – Und was hast du denn, Fräulein Armuth? Was du hast, ist von mir. Ein Kleidchen, eine elende Fahne von Batavia-Taffent, brachtest du zu mir ins Haus. Aber so geht es. Hätte dein Vater nicht dem Bettelvolke alles zugesteckt, so brauchte ich mir nicht das Brot abzudarben, um dich zu kleiden.Ach, gnädige Tante, ich habe meinen Vater so sehr geliebt!“ – So? Den, der dich in Armuth versinken ließ, den liebst du; mich aber nicht, und ich vertrete doch Mutterstelle bei dir. O, laß nur das Weinen! Ich kenne ja deine Krokodillsthränen schon. – Mein Vater hatte ja sein Unglück nicht verschuldet. Der Brand, die Feinde ...“ – Ei was! schweig! ... Jettchen, wie ich dir gesagt habe. Flaming ist ein sehr reicher Mann. Stoß dich nicht an seinen Grillen. Glaube mir, eine solche Grille ist oft besser, als gar keine. – Jettchen lächelte schon triumphirend.Hätte die Frau von Hausen die Grille des Herrn von Flaming genauer gekannt, sie würde ihrer Tochter den Rath gegeben haben, den betriegenden Flor auf der Brust etwas weniger zu blähen; denn auch ein Griechischer Busen gehörte bei ihm zu den Kennzeichen des Celtischen Stammes.Man empfing den Baron sehr artig, und die Frau von Hausen brachte das Gespräch dann bald auf die Menschen-Racen. Der Baron sprach mit Eifer. Die Mutter machte Einwürfe, ließ sich erklären, und hörte dabei zu ihrer großen Freude, daß langes blondes Haar ein sicheres Kennzeichen von Celtischer Abkunft wäre. Nun, so ist meine Tochter gewiß eine Celtin; denn die hat Haar, Herr Baron – schöner muß es keine Kaiserin haben. Das sah der Baron; aber zu gleicher Zeit bemerkte er an Jettchen, die er noch nicht aufmerksam betrachtet hatte, runde, zum Kuß gewölbte Lippen, und einen Busen, der eben auch nicht Celtisch schien.Nun? sagte die Frau von Hausen; Sie betrachten gewiß Jettchen, ob sie eine Celtin ist. Ja, das ist ein Deutsches Mädchen!So Deutsch eben nicht, dachte Flaming; und in diesem Augenblicke sah er, weil Jettchen einmal lachte, ihre nichts weniger als weißen Zähne.Ihre Zähne, gnädiges Fräulein“, hob er gutherzig an, haben eine schöne Farbe.“ Jettchen verlor beinahe die Besinnung, und die Mutter wußte nicht, was sie dazu denken sollte. Denn weiße, glänzende Zähne“, setzte der Baron hinzu, sind allemal das Zeichen eines thierischen Gemüths.“ Beide Damen erholten sich. Da haben Sie Recht, Herr Baron. Da ist meines Bruders Tochter hier im Hause; die hat Zähne im Munde, wie Alabaster so blendend weiß. Sehe doch einer! Ich hielt bis jetzt weiße Zähne für eine Schönheit, und habe das Mädchen manchmal darum beneidet.Da irrten Sie sehr, meine gnädige Frau. Alle Mohren haben blendend weiße, spitze Zähne, gleichsam um anzuzeigen, daß sie noch den Thieren ähnlich sind, und nur leben, um zu essen. Kein Wilder weiß von Zahnweh und übeln Zähnen. Das ist kein gutes Zeichen. Indeß Ihre Nichte ...“Nein, bei der trifft es auf ein Haar zu; sie weiß nichts als essen. Du mein Gott! sollte einer denken, daß Sie das alles so auf ein Haar wissen! ... Und bei meiner Tochter hat kein Zahnpulver, kein Abfeilen geholfen. Sagen Sie mir doch, wie haben Sie denn das alles gelernt?Der Baron war zu gutmüthig, und hatte zu wenig Weltkenntniß, um auch nur die Absicht eines so gemeinen Weibes, wie die Frau von Hausen, durchzusehen. Er ließ sich den Weihrauch wohlgefallen, den Mutter und Tochter an ihn verschwendeten, und nahm endlich mit dem Versprechen, recht oft wieder zu kommen, von ihnen Abschied.Er war bei der Frau von Hausen zu vergnügt gewesen, als daß er nicht hätte Wort halten sollen. Erst ging er alle acht, dann alle drei Tage, endlich sogar täglich hin, und immer fand er Jettchen reitzend gekleidet und freundlich. Mit jedem Male wurde sein Verlangen, sie wieder so reitzend und so freundlich zu sehen, stärker. Jetzt ließ sie schon zuweilen Launen blicken; aber er merkte sie nicht. Sie hatte die Migraine, wenn er kam, und lag auf ihrer Bergere, in einem reitzenden Nachtkleide, wie eine schlummernde Venus. Er saß eine Stunde neben ihr, tröstete sie, und drückte ihr die Stirn, ohne nur einen Augenblick an sein System zu denken.Die Frau von Hausen durfte es jetzt schon wagen, ihren Triumph öffentlich zu zeigen, und lud eine große Gesellschaft zum Diner ein. Der Baron konnte an diesem Tage kein Auge von Jettchen verwenden, die wie eine Prinzessin gekleidet war. Er hätte jetzt darauf geschworen, sie habe die feinsten Lippen von der Welt; auch fing er an, ihren Busen schön zu finden. Endlich war die Suppe aufgetragen. Jettchen nahm gleichgültig des Barons Arm, den er ihr mit Ehrerbietung bot, und ließ sich von ihm zu Tische führen. Als die Gesellschaft sich hinter den Stühlen ordnete, ging die Thür noch einmal auf. Emilie trat furchtsam herein, und machte der Gesellschaft eine stumme Verbeugung, die nicht Einer, den Baron ausgenommen, erwiederte. Ihr Kleid war nur von wollenem Zeuge und schlecht gemacht; aber dennoch konnte es die schlanke Gestalt des Mädchens nicht verbergen. Ihr blondes Haar war leicht frisirt, ganz ohne Schmuck und Kunst, und ein weißes, einfaches Tuch bedeckte den Hals bis unter das Kinn; aber, was man vom Halse sah, hatte die schönste Weiße. Sie schlug das Auge fast immer nieder; doch wenn sie es einmal erhob, strahlte eine so sanfte, wehmüthige Seele daraus hervor, daß man Mitleiden mit ihr hatte, ohne daran zu denken. Ein Officier bot ihr, als man sich setzen wollte, eine bessere Stelle; aber die Tante rief laut von oben herunter: Emilie! Wo denkt das Mädchen hin? Dort ganz unten ist dein Platz!Emilie setzte sich mit der größten Sanftheit. Man sah nichts auf ihrem Gesichte, keinen Unmuth, keinen Trotz, nur eine leichte Röthe, die über ihre Wange flog, sich aber den Augenblick wieder in die blendend weiße Farbe ihres Gesichtes verlor. Der Baron hatte zwar die Frau von Hausen und Jettchen oft von Emilien, und nicht zu ihrem Lobe, sprechen hören; aber gesehen hatte er sie noch nicht, so oft er auch da gewesen war. Jetzt – er wußte selbst nicht, wie es zuging – hingen seine Blicke immer an dem schönen Mädchen; so ungefähr, in dieser schlanken, leichten, reitzenden Gestalt, hatte er sich immer das Ideal seiner Celtin geträumt.Die Frau von Hausen wußte schon aus Erfahrung, daß man bisweilen Jettchen über Emilien vergessen konnte; daher hatte sie den Anzug der letztern selbst besorgt. Sie wollte es recht gut machen, und machte es in der That recht schlimm, als sie Emilien anhielt, ihre Brust bis an den Hals zu verhüllen. Welch eine jungfräuliche Züchtigkeit!“ dachte Flaming. Welch ein Celtischer Busen! Welch eine hohe Gestalt! So züchtig war Herrmanns Gattin, Thusnelda, gekleidet! So trug sie gewiß ihr blondes Haar, nicht mit dem häßlichen Firlefanz bedeckt, durch den Jettchen das ihrige immer entstellt!“ (Er sah Emilien essen; man bemerkte es kaum.) Welche Lippen! so zart! Der Mund so klein! Die Stirn, wie edel!“Solche Anmerkungen machte der Baron in jeder Minute, die Jettchen, seine Nachbarin, ihm nicht mit Fragen raubte; diese war aber ihres Sieges schon viel zu gewiß, um etwas zu bemerken oder von ihm zu befürchten. Einige Male begegneten Emiliens Augen den seinigen, und es schien ihm, als wäre ihr Blick nachdenkend und bittend. Das erregte seine Neugierde. Zum Glück fiel ihm seine Empfindungssprache wieder ein. Als er die Züge ihres Gesichtes, die Lage ihrer Augen, nachmachte, fühlte er, daß nur ein Unglücklicher so aussehen könne, und daß sie um Schutz, um Hülfe bitte. Emilie bemerkte, daß der Baron sie fast immer ansah, und erröthete. Das war sehr natürlich. Wohl hundertmal hatte die Tante zu ihr gesagt: heirathet Jettchen den Baron, so zieh' ich auf seine Güter, und du auch, wenn meine Kinder dich haben wollen. Aber, füttert der Baron dich nur erst – du sollst wohl noch sehen, was ich bin, und was fremde Leute sind! – Nun sah Emilie den Baron heute zum ersten Male, und blickte ihn darauf an, was sie von ihm zu erwarten hätte. Als sie von ihm beobachtet wurde, erröthete sie, und dachte nichts weniger, als daß er sie bewunderte.Des Barons Mitleiden, und sein Verlangen ihr zu helfen, wurden immer größer; denn das Schelten der Tante über den ganzen Tisch hin nahm kein Ende. Brauchte jemand etwas, so rief sie: aber, Emilie, wie sitzest du da? Ein Mädchen, wie du, muß die Augen allerwärts haben!“ Versah der Bediente etwas, so schrie sie: Emilie, von dir hat man doch auch gar keine Hülfe! Sieh doch, was Johann da macht! Ja, ich thäte wohl, wenn ich dich bediente; du bist zur Prinzessin geboren.“ Ein alter Officier, der das mit Verdruß hörte, und jedesmal Emilien mitleidig ansah, machte endlich die Frau von Hausen still. Sie erzählte, daß im dreißigjährigen Kriege die Güter ihrer Vorfahren von den Kaiserlichen ganz und gar verheert und abgebrannt wären. Und wer war Schuld daran? fuhr sie fort.Da unten, das schöne Mädchen, das an allem in der Welt Schuld ist“; sagte der Officier sehr trocken, und sah die Frau von Hausen starr an. Sie warf einen wüthenden Blick auf Emilien. Der Officier fühlte, daß er das Uebel noch verschlimmert hatte, und gerieth darüber in Verwirrung. Er suchte nun seinen Fehler durch Artigkeit gegen die Frau von Hausen wieder gut zu machen, und es gelang ihm, so seltsam er sich auch dabei nahm.Die Frau von Hausen wurde über seine Komplimente so heiter, daß sie Emilien ein halbes Glas Wein schickte. Diese trank es nur halb aus, und ließ, wie Flaming und der alte Officier bemerkten, eine Thräne hinein fallen. Als das Dessert kam, stand sie auf und ging aus dem Zimmer.Nach Tische nahm der alte Oberste heimlich Emiliens Glas mit der Neige Wein, und trank es mit Vergnügen aus. Sie haben das beste Glas Wein getrunken“, redete Flaming ihn an. – Haben Sie es auch bemerkt? fragte der Alte, und gab dem Baron die Hand. – Wie so? fragte Jettchen; was war es denn für Wein? – Hm!“ erwiederte der Baron; haben Sie je von der Kleopatra gehört? Die löste echte Perlen in Wein auf, und trank sie. Auch in diesem Weine, mein Fräulein, war eine Perle aufgelöst, und die köstlichste von der Welt.“ Der Oberste schlug den Baron herzlich auf die Schulter, und rief: Bravo! Ich kenne Sie zwar nicht; allein Sie haben Herz für so etwas. Wir müssen Freunde werden. Kommen Sie! Noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des lieben Mädchens! – Der Baron begriff nicht, wie ein Slave (wofür er den Obersten wegen seines Trinkens hielt) einer so feinen Empfindung fähig seyn konnte. Er lehnte dessen Aufforderung ab, drückte ihm indeß recht herzlich die Hand, ob er gleich ein Slave war.Hm! – dachte der Oberst, der sich bei Einigen in der Gesellschaft nach dem Baron erkundigt, und von ihnen gehört hatte, daß er ein ausgemachter Narr sey: – hm! das Herz ist doch ein gutes Ding; es macht auch den Thoren menschlich.Der Baron trat gleich nachher an ein Fenster, und schien die Scheiben zu zählen. Er dachte an nichts als an Emilien, die den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte. So ist es!“ murmelte er. Der Adel dieser Celtin ist bei dem ersten Anblicke sichtbar! Mein Auge hing an ihr, als sie in den Saal trat; und sogar ein Slave, der dickbäuchige, schwarzhaarige Oberst, fühlte die Würde des besseren Menschenstammes, und demüthigte sich vor ihr.“ Er nahm den Obersten, der ihn jetzt aufsuchte, bei Seite, und fragte neugierig: aber woran merkten Sie sogleich die Vortrefflichkeit des Mädchens? An dem schönen blonden Haar, oder an der Kleidung?“ Der Oberst sah ihn verwundert an. Ei, Herr Baron, ich weiß nicht einmal, ob das Mädchen eignes Haar hat oder eine Perücke trägt. Kleidung? Was kann man daraus sehen? Gar nichts. – Der Baron erwiederte lächelnd: Wie geht es denn aber zu, daß der Slave auch in wärmeren Gegenden seinen Schafpelz nicht ablegt, wenn nicht die Kleidung ...?“Was der Schafpelz mit dem lieben Mädchen zu thun haben soll, begreif ich nicht; aber stecken Sie das Mädchen in zehn Schafpelze, ich finde es dennoch heraus. Wie es zugeht, darauf kommt nichts an.Hm! dachte Flaming, auf Eine Art muß er doch errathen haben, daß Emilie eine Celtin ist! Woher denn die Ehrfurcht, die jeder Mohr, jeder Amerikaner dem Europäer, wenn er ihn zum ersten Male sieht, sogleich erzeigt? Irgend eine Stimme in seinem Innern muß ihm sagen: beuge dich, hier ist ein Celte! ... Aber, Herr Oberst“, hob er auf einmal wieder an, ihr helfen wollen und müssen wir. Die Eine Thräne, die sie weinte, hat mir das Herz umgewendet. Wehe dem Manne, der hier gleichgültig zusähe! Sie lebt in der Sklaverei einer tyrannischen Tante; aus der müssen wir sie erlösen. Was meinen Sie, Herr Oberst?“Was ich meine? Daß Sie recht haben. Ich gebe von Herzen gern, was ein alter Kriegsmann hat: gute Wünsche, und ein ernstes Vorwort. Aber erlösen? Lieber Herr, ich habe sechs Kinder, und stehe auf Gnadengehalt.Und ich bin zu jung, sie zu mir zu nehmen! ... Doch, einen Vorschlag, Herr Oberst. Nehmen Sie Emilien zu sich, und ich bezahle für sie. Geben Sie ihr Liebe, indeß ich ihr Unterhalt gebe. Ich beneide Sie, Herr Oberst. Wahrhaftig, ich wünschte, das Mädchen dürfte von Niemand anders etwas empfangen als von mir! ... Sind dreihundert Thaler jährlich genug? Für die Kleidung sorge ich natürlicher Weise außerdem.“Der Oberst konnte den Baron nicht begreifen, und schüttelte wieder den Kopf. – Laß seyn! – sagte er auf einmal ganz laut, und küßte den Baron – laß seyn! Ich halte mich an Ihr Herz! Leise setzte er hinzu, weil er merkte, daß die Gesellschaft anfing zu horchen: Wer keine Thränen sehen kann, ohne sie trocknen zu wollen, mag meinethalben Gras wachsen hören. Sie sehen so; ich anders. Nun, das ist Eins, wenn wir nur auf gleiche Weise handeln.Jetzt bildeten sie Beide den Plan aus, Emilien von ihrer Tante wegzubringen. Dreihundert Thaler waren dem Obersten zu viel; aber der Baron sagte: sie wird das Uebrige schon noch brauchen.“ Alles war unter ihnen verabredet; doch auf einmal dachte der Baron daran, daß der Oberst ein Slave war. Der ganze Handel wäre wieder rückgängig geworden, wenn er Emilien bei einem Blondkopfe für sechshundert Thaler hätte unterbringen können; jetzt aber mußte er sich freilich den Slaven gefallen lassen!Der Oberst suchte nun Emilien auf, und fand sie in einem kleinen Stübchen, wo sie an einem Kleide für die Tante nähete. Hören Sie, liebes Kind, sagte er: kann man wohl ein Wort in Vertrauen mit Ihnen sprechen? Bleiben Sie sitzen. Nähen Sie fort in Gottes Nahmen. Ich begreife wohl, daß Sie nicht viel Zeit übrig haben; und ein Geplauder mit einem alten Manne ersetzt die Schelte der Tante nicht. Ja, wenn es ein junger Herr wäre! ... Ich habe den Plan gemacht, Sie zu entführen, wenn Sie nichts dagegen einwenden. Sie kennen meine ältesten Töchter; wollen Sie mit denen leben? Ich will Ihr Vater seyn. Sie haben lange nicht empfunden, was Liebe heißt, und müssen es endlich wieder lernen. Nun, liebes Kind?Emilie ließ ihre Arbeit aus den Händen fallen, und blickte, mit Thränen des Leidens und der Dankbarkeit in den Augen, den Obersten an. Sie ergriff seine Hand, und küßte sie, eh' er es hindern konnte. Dann aber sank sie langsam zurück; und die Freude, die ihr Gesicht einige Augenblicke erheitert hatte, ging wieder in Kummer über. – Nun, liebes Kind? Antworten Sie doch!“ – Emilie sagte entschlossen: ich kann nicht, Herr Oberst.Nehmen Sie mir's nicht übel, Kind: das ist Ziererei. Sie leben hier bei Ihrer Tante in der Hölle. Warum können Sie nicht? Heraus mit der Sprache! Sie sind ein ehrliches Mädchen. Heraus!“ Emilie erröthete. Herr Oberst, meine Tante ist hart gegen mich; sie bezahlt sich selbst die Schulden, die ich bei ihr mache. Sie aber, Sie würden gütig gegen mich seyn; und wie sollte ich es da ertragen können, Ihnen zur Last zu fallen! Sie haben Kinder ...Und sind ein armer Teufel, wollen Sie sagen, gutes, liebes Kind. Das ist nicht unwahr. Aber, sehen Sie“ – fuhr er in einiger Verwirrung fort: Ihr seliger Vater ... war ein edler Mann. Sie ... haben wohl nie davon gehört, wie viele Verbindlichkeit ich ihm schuldig bin. Er sprach von seinen edelsten Handlungen nicht. Ich bin zwar wohl nicht reich, aber doch ehrlich; und so kann ich meine Schulden nicht unbezahlt lassen. Ihr Vater rettete mich einmal; was kann ich nun weniger thun, als seine Tochter aus einer Hölle retten? Behelfen sollen Sie Sich, sogar Ihren Unterhalt verdienen. Meine jüngsten Mädchen brauchen Unterricht, Erziehung ...“Emiliens Gesicht fing an heiter zu werden. Sie ergriff mit Feuer des Obersten Hand, und sagte: Ja, unter der Bedingung, daß Sie mich Ihre Haushaltung führen lassen. Ach, wie gern werde ich mit dem Freunde meines edlen Vaters gehen! Sie kannten ihn?Hören Sie, liebes Kind, lügen kann ich nicht, um keinen Preis. Ihren Vater habe ich nicht gekannt; aber ich kenne Sie. Seyn Sie meine Tochter. Sie selbst sind nicht arm. Hier meinen alten Kopf zum Unterpfande, daß Sie jährlich dreihundert Thaler haben.“Emilie erstaunte, und drang mit Fragen in ihn. Der Oberst, der so ungern eine fremde edle That verschwieg, platzte endlich mit dem Geheimnisse heraus. Mit Thränen der Dankbarkeit in den schönen Augen, aber auch mit entschlossenem Tone schlug es Emilie nun ab, mit ihm zu gehen. Als der Oberst das Ziererei nannte, sagte sie bittend: geben Sie meiner Weigerung nicht diesen bösen Nahmen. Möchten Sie wohl, daß eine Ihrer Töchter einem jungen Manne verbindlich würde?Der Oberst schwieg nachsinnend. Sie haben Recht“, sagte er endlich leise. Aber sieh, meine Tochter“, hob er nun desto feuriger an – nun lasse ich dich gar nicht los. Es ist wahr, was brauchst du einen jungen Laffen, und selbst mich? Da ist meine Cousine, die Gräfin Löwenhelm, eine sehr edle Frau. Die sucht eine Freundin, eine Gesellschafterin. Bei der, Emilie, bist du an deiner rechten Stelle. Sprichst du Französisch, liebe Tochter?“ Emilie bejahete diese Frage, und willigte in den Vorschlag, weil sie die Gräfin, eine vortreffliche Frau, schon kannte. Der Oberst sollte nun die Tante um Erlaubniß bitten, Emilien mit sich nehmen zu dürfen; und er that das noch in derselben Viertelstunde. Frau von Hausen sah ihn darauf an, machte Einwürfe, und verlangte einige Zeit sich zu bedenken. Sie fühlte doch einige Scham, ihres Bruders Tochter zu einem Fremden zu schicken, der überdies nicht halb so viel Vermögen hatte, als sie selbst. Allein sie hoffte, einen Vorwand zu finden, durch den sie den Tadel der Menschen von sich abwenden könnte.Gegen Abend verlor sich ein Theil der Gesellschaft, und die Wenigen, welche blieben, setzten sich zum Spiele. Der Oberst bat den Baron, eine Partie mit ihm und Jettchen zu machen. Das hätte aber der Baron beinahe übel genommen; er sagte: Herr Oberst, ein Celte spielt nicht“; und ging in das Nebenzimmer, um seinen Grillen nachzuhangen. Diese brachten ihn bald auf Emilien. O, sie spielt gewiß nicht“, dachte er, trat dann zu Jettchen an den Spieltisch, und sagte: mein Fräulein, geben Sie mir doch den Schlüssel zu Ihrem Zimmer. Ich will ein wenig lesen, und hier, wo die Bedienten immer hin und her laufen, ist es mir zu unruhig.“Jettchen gab ihm den Schlüssel, und er ging langsam über den Saal nach ihrem Zimmer zu. Nicht weit davon hörte er eine weibliche Stimme singen, näherte sich, und sah durch eine halb offne Thür, daß Emilie leise singend bei einer Arbeit saß. Sie sah nicht von ihrer Arbeit auf, und er betrachtete sie lange mit Vergnügen und Wohlwollen, ohne sie anzureden. Emilie!“ sagte er endlich, nicht in seinem gewöhnlichen Tone, sondern mit einer sehr natürlichen Rührung. Emilie stand auf, und erröthete. Er trat in das Zimmer, zog die Thür hinter sich zu, und küßte Emiliens Hand. Endlich“, sagte er, habe ich gefunden, was ich so lange suchte: ein edles Mädchen!“ Sie verstand nicht, was er damit sagen wollte, und erröthete aufs neue. O, erröthen Sie nur, Emilie; ja erröthen Sie: aber erschrecken Sie nicht! Denn ich bin Ihrer nicht unwerth. Warum soll ich Ihnen nicht sagen, was ich fühlte, als ich Sie zum ersten Male sah? Daß wir Beiden zusammen gehören, daß wir für einander geschaffen und durch ein besseres Band verbunden sind, als Sie durch die Bande des Bluts mit Ihren Verwandten: durch Aehnlichkeit, durch Verwandtschaft unsrer Herzen, unserer Seelen.“ Dabei hielt der Baron ihre Hand, und drückte sie zärtlich.Emilie glaubte eine Liebeserklärung in bester Form zu hören; und der Baron sprach von nichts als von seinem System. Sie wußte nicht, wohin sie ihre Augen wenden, und noch weniger, was sie sagen sollte. In ihrer Verlegenheit sann sie nach, was sie erwiedern könnte; und darüber ging die Zeit zur Antwort hin.Ich weiß nicht“, hob Flaming wieder an, ob der Oberst von Brensen ... – Er sah an Emiliens Erröthen, daß er das nicht hätte sagen müssen.Mein Geschick, sagte Emilie sanft, muß sich bald von selbst bestimmen. Sie waren sehr gütig, Herr Baron.Gütig? Was ich that, das hätte ich gethan, und wenn Sie auch nicht einen Zug dieses hohen, edlen Geistes an sich trügen; das hätte ich gethan, auch ohne Sie gesehen zu haben; das war Pflicht gegen das menschliche Geschlecht. Daß ich aber“ – er beugte sich tief vor ihr, und küßte ihre Hand mit Ehrerbietung – daß ich meine Ehrfurcht für Sie äußere, mich vor Ihnen beuge, wie ich mich vor keiner Fürstin beugen würde, wenn sie nicht so wäre wie Sie: auch das ist Pflicht, doch Pflicht gegen die edelste Gattung meines Geschlechts. Jenes war ich den Menschen schuldig; dies Ihnen, Emilie!“Er küßte ihr noch einmal die Hand. In diesem Augenblick öffnete Frau von Hausen die Thür, und sagte in einem freundlichen Tone, aber mit einem grimmigen Blicke auf Emilien: So, so! Machen Sie den Mädchen auf ihren Kammern die Cour, Herr Baron? Kommen Sie doch, kommen Sie! Sie zog ihn fast mit Gewalt aus Emiliens Zimmer, und schrie dann zehnmal aus Leibeskräften: Jettchen! bis ihre Tochter endlich kam. Hier! sagte die Mutter in einem widerlich scherzhaften Tone, und winkte Jettchen mit den Augen zu – hier hast du einen Gefangnen; er war bei Emilien, und küßte ihr die Hand. – Jettchen machte eine seltsame Miene, und nahm den Baron mit in das Spielzimmer.Die Frau von Hausen ging wieder zu Emilien, und ließ ihren Zorn aus. Mannssüchtig bist du“, rief sie; denn wer wird zu dir kommen, wenn du ihn nicht lockst? Aber da stellt sie sich hin, wo sie nur eine Mannsperson wittert, und singt! O, ich kenne deine Künste wohl! Ja, du mit deinem papiernen Gesicht, und mit der Hopfenstangen-Figur!“Der sanften Emilie riß endlich die Geduld. Mit einem vor Scham und Verdruß glühenden Gesichte sagte sie: O Tante, ich schmeichle keinen Männern, um sie an mich zu ziehen; eine Tochter habe ich nicht, und ich selbst verlange nicht zu heirathen.Verlange? verlange? Was sagte der Fuchs zu den Weintrauben, die er nicht erreichen konnte? Verlangen! Seh doch einer! ... Was hast du mit dem Baron gesprochen? Sag es ja ehrlich, das rath' ich dir! Denn er muß doch mit der Sprache heraus, wenn Jettchen ihn fragt.“Er sagte mir ... er sagte: wenn er eine Tochter hätte, er wollte sie lieber ermorden, als sie bei seinem Tode einer Schwester übergeben!Das sagte er?“ fragte die Frau von Hausen spöttisch. So sag du ihm, dies hätte ich geantwortet.“ Sie schlug Emilien wüthend ins Gesicht, und goß einen Strom von Scheltworten über sie aus.Am Abend, als die übrigen Gäste weggefahren und der Baron noch allein bei der Frau von Hausen und Jettchen war, fing man an ihn sehr strenge zu examiniren. Gleich auf die erste Frage der Mutter: wie Emilie ihm gefiele? antwortete er sehr offen: über alle Beschreibung. Auf Jettchens Frage, was er bei Emilien gemacht hätte, erwiederte er: ich habe ihr gesagt, wie sehr sie mir gefällt. Die Mutter zählte nun an Emilien so viele Fehler und Laster auf, daß selbst Jettchen davor erröthete, und ihrer Mutter ein- oder zweimal ins Wort fiel. Der Baron behauptete aber ganz ruhig: was Sie da sagen, ist nicht möglich; denn sie ist eine reine Celtin!“ Zum ersten Male widersprachen Mutter und Tochter dem Menschenracen-System. Der Baron erwiederte lächelnd: glauben Sie, was Sie wollen; aber Emilie ist das edelste Mädchen, das ich jemals gesehen habe.“Sie soll zum Obersten Brensen, Jettchen, sagte Frau von Hausen, als er fort war; und wenn die ganze Welt mich eine Rabenschwester nennte. Nein, die Liebe fängt von sich selbst an. Sie soll zu Brensen!Noch mehr wurde sie in ihren Gedanken bestärkt, als der Baron am folgenden Tage wohl hundert Versuche machte, Emilien zu sehen, so daß sie ihn nur mit vieler Mühe davon abbringen konnte. Er sprach heute auch sehr ernsthaft über ihre Härte gegen Emilien; und sie mußte freundlich bleiben, ob es gleich in ihrem Herzen kochte. Ich habe kein Vermögen, sagte sie; ich kann ihr keine bessere Kleidung geben, als sie hat. Daß der Anzug ihr nicht besser steht, ist nicht meine Schuld. Das Mädchen hat einen Leib, auf den nichts paßt und dem nichts sitzt.Wie?“ fragte der Baron erhitzt: wie? die Kleidung stände Emilien nicht? Gnädige Frau, sie war ja gestern gekleidet wie ein Engel. Von der Kleidung rede ich nicht. Diese schöne schlanke Gestalt; dieser Griechische Busen; dieser ...“Busen? Wo Sie doch wohl die Augen gehabt haben mögen, Herr Baron!Je, Mama! wenn nun der Herr Baron Emilien schön findet, wer kann es ihm wehren?Ja, Fräulein Jettchen, Sie wissen, wie gut ich Ihnen bin; aber seitdem ich Emilien gesehen habe, ist es mir noch mehr aufgefallen, daß Sie Sich fehlerhaft kleiden.“Je, Herr Baron, Sie dürfen ja nur sagen, wie Jettchen sich anziehen soll. Sie wissen, daß sie alles thut, was Sie wünschen. Was haben Sie denn an Jettchens Anzüge auszusetzen?Wie läßt sich das sagen! Sehen Sie, Emilie trat herein – ihr weißes Tuch verbarg die Brust bis an den Hals; ihr Busen war höchstens an einer ganz leichten Erhöhung zu bemerken. Jettchens Brust – das weiß ich jetzt von neulich her, wo ich sie Morgens noch ganz im Negligé antraf – ist eben so schön Celtisch; aber da hat sie die Grille, Flor, Tücher, und ich glaube gar Drath, unter ihr Tuch zu falten, bis sie den Busen einer häßlichen Lappländerin oder gar einer Kalmyckin bekommt.“Aber, mein Gott, das ist ja die neueste Mode, lieber Herr Baron! Was soll man denn machen?Mode, oder nicht! Ich will meinen Kopf zum Pfande setzen, eine wollüstige Slavin, die das blinde Schicksal irgendwo an einen Hof geworfen hatte, brachte diese Mode zuerst auf. Man lasse ihr das! Die Natur gab ihr diesen Busen, um die fürchterliche Leidenschaft der Wollust zu bezeichnen, die in ihren Adern wüthet. Was soll man von den jungen Mädchen jetzt glauben? Doch wohl nichts anders, als daß sie bei dem männlichen Geschlechte keine bessere Leidenschaft, als die Wollust, erregen wollen, weil sie selbst nichts als wollüstig sind.“Ja, Herr Baron, so denken Sie nach Ihrem System. Aber Andere kennen das nicht; die denken anders.Nein, gnädige Frau. Ich habe das System ausgearbeitet; aber jeder vernünftige Mann, wenn er es auch nicht kennt, fühlt es. Warum macht Emilie die Mode nicht mit? Es ist kein Tropfen Blut von einem Slaven in ihr. Holde Schamhaftigkeit begleitet alle ihre Schritte. Jettchen ist eben so keusch wie Emilie, das weiß ich; aber die verwünschte Mode! Wenn Jettchen geht, seh' ich allemal den Fuß; von Emilien nie. Das Gewand bedeckt ihr, wie einer Vestalin, auch die Spitze des Schuhes.“Ja, sagte die Frau von Hausen, weil sie einen Fuß hat, wie ein Trampelthier. Gieb doch einmal einen Schuh von ihr her! ... Da sehn Sie nur! Und hier haben Sie einen von Jettchen. Der da ist eine Hand breit länger.Wieder ein neuer Zug in dem Gemählde einer vollkommenen Celtin. Hätte Jettchen keinen größern Fuß, als er nach diesem Schuhe seyn müßte, so wäre er für ihren Wuchs zu kurz. Nur die Slavischen Völker, oder gar die Mongolen, als die Sinesen, binden sich die Füße, weil sie einen kleinen Fuß für eine Schönheit halten. Emiliens Fuß wird gerade die Länge der Schönheit haben.“Jettchen riß ihm die Schuhe aus der Hand. Sie wollen heute nun einmal Emilien loben! Nun meinetwegen! Gute Nacht! Ich bin müde.Jettchen wollte schlechterdings mit dem Baron brechen; die Mutter gab ihr aber zu bedenken, daß sein großes Vermögen keine Kleinigkeit sey. Am nächsten Morgen machte Frau von Hausen beim Ankleiden ihrer Tochter die Kammerjungfer; und wirklich gerieht der Baron in Entzücken, als er Jettchen sah, die heute Reifrock, Italiänische Blumen, Allongen, Busen und das ganze Modewesen abgelegt hatte. Dafür war aber dem Bedienten befohlen, heute jedermann abzuweisen; denn man schämte sich, natürlich zu seyn.Nun sollen Sie sehen“, sagte der Baron, daß Jettchen viel Aehnliches mit Emilien hat. Lassen Sie doch Ihre Nichte einmal kommen.“ Aber Emilie war zu einer Freundin gegangen, und blieb so lange aus, daß er sie nicht abwarten konnte.Wahrscheinlich würde der erste Eindruck, den Emilie auf des Barons Herz gemacht hatte, durch die Bemühungen der Frau von Hausen wieder erloschen seyn, wenn nicht die Kammerjungfer sich seiner aufkeimenden Liebe angenommen hätte. Jungfer Lieschen war die Vertraute ihrer gnädigen Frau, und wußte also recht gut, was diese fürchtete. Aber sie sprach bisweilen auch mit Emilien vertraut, sah ihre Thränen, und war die einzige im Hause, die Mitleiden für sie fühlte. Sie hatte Emiliens Gespräch mit dem Obersten an der Thür behorcht, und dachte nun dem allen nach. Wie? der Baron will jährlich dreihundert Thaler Kostgeld für das Fräulein bezahlen? Das thut man nicht aus bloßem Mitleiden. Dahinter steckt mehr, als das Fräulein glaubt.Lieschen klatschte vor Freude in die Hände: denn erstlich hatte sie Emilien herzlich lieb; zweitens sah sie voraus, daß es hier nothwendig eine Intrigue geben mußte; und drittens steckte ihr eigner Vortheil mit darunter: sie war nehmlich des Lebens bei der Frau von Hausen überdrüssig, und wünschte sich eine Herrschaft, wie die sanfte Emilie.Um die Bahn zu brechen, sagte sie bei der ersten Gelegenheit zu dieser: wenn Sie erst Frau von Flaming sind, gnädiges Fräulein, so empfehle ich mich in Ihre Dienste. Emilie sah sie mit kaltem Ernst an, und befahl ihr zu schweigen; aber Lieschen fing an ihr System aus einander zu setzen, und gab ihr versteckt den Rath, das Eisen zu schmieden, weil es warm sey. Emilie wurde böse, und drohete mit der Tante. Lieschen schlich davon, maulte, und – wurde wieder gut.Nun fiel sie auf einen Plan, der noch verwickelter und ihr eben deswegen desto angenehmer war: Emiliens und des Barons Liebe zu befördern, ohne daß Beide es wüßten. Als der Baron eines Abends wegging, ließ sie sich von ihm versprechen, daß er sie nicht verrathen wolle, und steckte ihm dann einen Zettel zu, worin sie ihm den Haß der Frau von Hausen gegen Emilien, und die Leiden des armen Mädchens klagte. Sie beschwor ihn, der Unglücklichen zu helfen, die auf ihn mit großem Zutrauen rechne. Auch sagte sie: man entferne Emilien durch alle möglichen Kunstgriffe von ihm, weil man fürchte, er werde ihre Vollkommenheiten bemerken, und ihr helfen. Noch setzte sie hinzu: sie ginge an den Abenden, wenn Assemblee wäre, mit Emilien auf dem Weidendamme vor dem Thore spazieren; wollte er sie sprechen, so wäre dies der rechte Ort. Zum Schlusse bat sie ihn dringend, Emilien ja zu verschweigen, daß sie ihm etwas von ihr gesagt hätte; denn Emilie wäre über diesen Punkt sehr empfindlich, und würde es ihr nie vergeben, wenn sie jemals etwas von dem Billet erführe.Der Baron las den Zettel zu wiederholten Malen. Ja“, sagte er dann; eine wahre Celtin! Sie ist unglücklich, und schweigt. Sie weiß, daß ich ihr helfen will, und schweigt dennoch! ... Ich will sie sehen.“ – Am Assemblee-Tage ging er nach dem Weidendamme, wo er seine Celtin und die Kammerjungfer antraf. Emilie erschrak, als er sie anredete, und nahm zitternd den Arm, den er ihr bot. Aber schon nach einigen Schritten sagte sie ängstlich, doch in einem sehr sanften Tone: ich muß Sie bitten, Herr Baron, mich zu verlassen. Meine Tante weiß nicht, daß ich hier mit Ihnen gehe. Ich darf es ihr auch nicht sagen; und was man nicht sagen darf, ist, dünkt mich, allemal unrecht.Edle, reine Seele!“ sagte der Baron mit Bewunderung, und ließ ihren Arm fahren. Aber helfen will ich Ihnen, wenn ich Sie auch nie wieder sehen sollte. Darf ich Ihnen schreiben, mein Fräulein?“Ich dürfte meiner Tante nicht sagen, daß Sie mir geschrieben haben! ... Ueberlassen Sie eine Unglückliche ihrem Schicksale. Es kann nicht immer so hart bleiben; die Zeit wird es lindern.Nein, Deutsches Mädchen, Mädchen von dem edelsten Menschenstamme, nicht die Zeit soll Ihr Schicksal lindern; ich will das thun. Ich!“ Er hatte bei diesen Worten Thränen in den Augen. Sie verneigte sich gegen ihn, um Abschied zu nehmen. – Aber, sagte Lieschen; das begreife ein Christenmensch! So reden Sie doch erst ab, wie ihr geholfen werden kann, da der Zufall Sie nun einmal zusammen geführt hat. – Emilie ging schon; aber Lieschen rief laut: nein! und wenn ich morgen meinen Dienst verlieren sollte, so muß ich meinen Willen haben. In einer Stunde bin ich wieder hier, und hole Sie ab, gnädiges Fräulein. Mit diesen Worten eilte sie davon, als ob Feinde hinter ihr her wären.Emilie war sehr bestürzt über Lieschens Streich. Indeß, sie konnte nicht mit dem Baron, und eben so wenig allein, zurückkehren; Beide gingen also auf dem einsamen Weidendamme hin und her. Der Baron setzte nun Emilien sein Menschen-Racen-System aus einander, und erklärte ihr, warum sie einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Jetzt sah Emilie wohl, daß er nicht Liebe für sie fühlte, und ihr wurde leichter um das Herz. Sie verstand zwar nicht recht viel von seinem System; er sagte ihr aber doch: Sehen Sie nun wohl, daß es meine heiligste Pflicht ist, Sie zu retten? und daß mich keine Umstände, keine Ausreden davon losmachen können? Sie sind eine Celtin. O, es wäre grausam, wenn Sie länger klagen müßten! Und ich? ich sollte Ihre Klagen hören, ohne Ihnen mehr als Mitleiden zu geben? Nein, Emilie, wenn Sie wollen, so führe ich Sie itzt gleich zu dem Obersten. Er ist zwar ein Slave; allein fürs erste müssen wir nehmen, was wir haben, bis es mir gelingt, Sie wieder zu Ihres Gleichen zu bringen. Doch hat mir der Oberst gesagt: alle seine Töchter wären Blondinen; und so hielten Sie Sich an die, und nicht an den Vater. Sein Herz ist edel, ist Celtisch, das gestehe ich; aber seine Sitten und sein Körper sind durchaus Slavisch.“ Emilie erklärte ihm, daß der Oberste heute wieder mit der Tante gesprochen hätte, und daß diese ihre Einwilligung wohl geben würde, daß aber sie selbst sich nicht zu dem Schritte entschließen könnte. So seltsam ihr übrigens alles klang, was sie von dem Baron hörte, so konnte sie doch nicht läugnen, daß ein recht guter Sinn darin lag. Man setze für Celte, dachte sie, ein guter Mensch; dann ist es doch rührend, die Rettung eines unglücklichen Guten für die heiligste Pflicht erklären zu hören. Genug, Emilie war geneigt, das schön zu finden, was der Baron sagte; und sie fand es so. Noch nie hatte ihr Herz die thätige Hülfe eines Menschen empfunden; und hier stand ein Mann, der sich mit vollem Herzen zu ihrem Schutz erbot, der es auf ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihre Augen, ihr Haar hin that. Welchem Mädchen ist das nicht schmeichelhaft, besonders wenn es, wie Emilie, fühlt, daß sein innerer Werth der Voraussetzung nicht widerspricht!Emilie hatte wirklich sehr tiefen, innigen Eindruck auf den Baron gemacht: nicht bloß durch ihre Schönheit, sondern hauptsächlich durch ihr Leiden, und durch die Geduld, mit der sie es ertrug. Als er nun bei der Unterredung mit ihr den reinen Ton ihrer Stimme hörte, ihr unschuldiges Gesicht, ihr frommes Auge, ihren freundlichen Mund, ihre wahrhaft schöne Gestalt erblickte, wurde der erste Eindruck noch tiefer, noch inniger. Nun hatte er ihr heute mehr zu sagen, als gewöhnlich Anderen; und er sagte ihr alles in einem Tone, dem sein bewegtes Herz etwas Natürliches, etwas Rührendes gab, das er sonst nicht hatte. Er sprach wieder von seinem System; aber es mußte Emilien ja schmeicheln, daß er in ihr sein Ideal fand. Ueber die Art, wie ihr zu helfen wäre, wurde nichts ausgemacht, sondern Beide kamen bald auf andere Gegenstände. Emilie erzählte von ihrem seligen Vater mit einer Herzlichkeit, die auch den Baron nicht kalt bleiben ließ. Er vergaß wirklich auf eine Viertelstunde sein System und seine Eitelkeit, um Emilien zu trösten, und erzählte ihr dann seine Jugendbegebenheiten, seinen Liebeshandel mit Käthen. Sie lächelte. Ach“, sagte der Baron seufzend, ich wußte damals nicht, was Liebe ist; allein ...“ Emilie sah ruhig und ernst vor sich auf den Weg, und er hatte nicht den Muth heraus zu sagen, was er sagen wollte: jetzt kenne ich sie.“Nach einer Stunde kam Lieschen wieder, und der Baron trennte sich von Emilien. Lieschen sagte: künftige Woche hier wieder, wie heute! Emilie hörte es nicht, weil sie in Träume versunken war. Auch der Baron kam träumend zu Hause, mit einer Empfindung, die er bei Marien nie gehabt hatte: mit einem heiteren, fröhlichen Verlangen, Emilien wieder zu sehen, sie immer so bei sich zu haben, wie heute, ihre Hand auf seinem Arme ruhen zu lassen, und vertraulich mit ihr zu plaudern. Auf einmal haßte er die Frau von Hausen und Jettchen, obgleich Emilie sich nicht über sie beklagt hatte. Aber trotz dem allen beschloß er, – wie fein die Liebe macht! – morgen, so früh als es der Wohlstand erlaubte, wieder hin zu gehen und gegen Jettchen sehr freundlich zu seyn.Frau von Hausen empfing den Baron sehr zweideutig, und Jettchen verließ das Zimmer mit rothen Augen. Herr Baron, sagte die Mutter, wir haben einen Verdruß gehabt, den ich Ihnen nothwendig entdecken muß. Man beschuldigt Jettchen am Hofe eines zu vertrauten Umganges mit Ihnen. Es war gestern ein Gezischel über sie. Ich fragte, und erfuhr endlich, daß der gute Nahme meiner Tochter verloren sey, wenn sie nicht Ihre Hand erhalte. Es ist wahr, Herr Baron, der Hof hat nicht Unrecht. Sie ...Wie? nicht Unrecht? Ich mit Jettchen einen zu vertrauten Umgang? Wer sagt das? wer ...?“Der ganze Hof. Man hat auch Ursache dazu. Sie sind alle Tage in unserm Hause, sind Jettchens Moitié bei allen Partieen, sitzen bei Tische immer neben ihr. Natürlicher Weise fragt man: warum? Das hat man schon lange gefragt, und ich selbst habe Sie darauf aufmerksam gemacht. (Wirklich hatte sie dem Baron verschiedene Male in Scherz etwas davon gesagt; aber immer mit dem Zusatze: mögen sie reden!) Dennoch setzten Sie Ihre Besuche fort. Was sollte ich davon denken? Natürlicher Weise dachte ich, Sie würden dem Gerede des Hofes durch eine Heirath ein Ende machen. Dazu berechtigte mich Ihr vertrauter Ton. Sie nannten meine Tochter, sogar auch in Gesellschaft: Jettchen. Gestern war ich am Hofe im Gedränge, und sagte, Jettchen wäre Ihre Braut. Das mußte ich thun, um die Ehre meiner Tochter zu retten; und Sie, Herr Baron, was Sie thun müssen, das wird Ihnen Ihr Herz sagen.Der Baron stand da wie eine Bildsäule, sah die Frau von Hausen mit großen, stieren Augen an, und sprach nicht eine Sylbe. Vor acht Tagen dieselbe Scene; und er hätte sich auf der Stelle mit Jettchen verlobt. Aber jetzt war seine Liebe zu Emilien in ihrer vollen Stärke, und er fühlte, daß sie seine Frau werden müsse, wenn er glücklich seyn wolle.Nun trat Jettchen selbst, mit Thränen in den schönen blauen Augen, herein. Meine Ehre ... schluchzte sie; weiter konnte sie nichts sagen. Die Frau von Hausen wurde sehr verlegen, als der Baron noch immer auf derselben Stelle stand, und erst sie, dann Jettchen ansah, endlich aber gar nach Hut und Stock in die Ecke blickte. Jettchen faßte eine seiner Hände, und ihre Mutter die andere; – er zog sie beide zurück. Reden Sie, Herr Baron! sagte Jettchen schluchzend; – er sah Jettchen an. Reden Sie! rief die Mutter; – er sah die Mutter an. Herr Baron! fuhr diese heftig fort: Jettchen wird Ihre Gemahlin, oder Sie sind ein Bösewicht! Jettchen umfaßte ihn; er zog aber mechanisch den Kopf in die Höhe, damit Sie ihn nicht küssen sollte.Sieh! heulte die Mutter jetzt, und faßte ihre Tochter heftig an; ermorden will ich dich, wenn der Bösewicht dich nicht heirathet! – Ach ja! rief Jettchen; lieber will ich mich ins Wasser stürzen, als in Schande leben. Der Baron sah wieder nach seinem Hute in die Ecke. Jettchen sank vor Schmerz auf einen Stuhl; die Mutter streckte die Arme nach ihm aus. Beide thaten alles Mögliche, um ihn zu rühren; aber er war weder aus seiner Stellung, noch aus seinem Schweigen zu bringen.Also Sie wollen Jettchen nicht? fragte die Mutter endlich in einem spitzen Tone. Er schüttelte den Kopf. Ha! ha! ha! lachte die Mutter. Ha! ha! ha! lachte die Tochter. Den Baron überfiel ein Grauen. Aber Emilien wollen Sie? fragte die Mutter höhnisch; die schöne, schlanke Emilie? die reitzende, vollkommne Celtin, die mit Ihnen an den Assemblee-Abenden in den dunklen Weiden umher läuft? Ach, lieber Gott, über die keusche Celtin! ... Fühlen Sie denn nicht, Herr Baron, daß man zuweilen Narren zum Besten hat, um lachen zu können? So macht es ja der ganze Hof mit Ihnen! Ihr System ist bekannt genug. Aber Emilie ist selbst für einen Thoren zu gut. Nicht wahr: der Oberst sollte sie mitnehmen, um sie Ihnen in die Hände zu spielen? Nein! Sagen Sie dem Herrn Obersten nur: Emilie wäre in guten Händen. Sie haben uns zum letzten Male gesehen, mich, Jettchen, und Emilien.Jetzt bekam er endlich die Sprache wieder. Emilien nicht, gnädige Frau, ich stehe Ihnen dafür; und, beim Himmel! Sie sollen mir für jede Thräne, die sie vergießt, Rechenschaft geben.“ Die Frau von Hausen lachte mit erstickter Wuth. Ich wäre eine reiche Frau, wenn ich für jede Thräne, die Emilie seit gestern weint, und noch weinen wird, einen Thaler hätte. Leben Sie wohl, Herr Baron, und grüßen Sie Ihre Celten! Für die Celtin, die Närrin, Emilie, will ich sorgen, daß sie den Weidendamm nicht wieder sehen soll. – Jettchen öffnete dem Baron die Thür, und er ging langsam weg. Dicht hinter ihm wurde Lieschen aus dem Hause gestoßen. Kupple wieder! rief die gnädige Frau ihr nach, und die Thür flog hinter ihr zu.Der Baron nahm Lieschen mit nach seiner Wohnung, und ließ sich von ihr den Zusammenhang der Sache erzählen. Frau von Hausen hatte auf der Assemblee wirklich Verdruß gehabt, und sie noch vor Tische wieder verlassen. Sie hörte, daß Lieschen und Emilie spazieren gegangen wären, und wollte nun mit Jettchen auch noch ein wenig ins Freie. Das Ungefähr führte sie von hinten auf den Weidendamm, und da sahen sie Emilien am Arme des Barons vertraulich gehen. Jettchen wollte hin, und dem Baron seine Niederträchtigkeit vorwerfen; die Mutter hielt sie aber zurück. Beide gingen nach Hause, überlegten, und machten einen Plan. Abends examinirte die Tante erst Emilien, dann Lieschen, und erfuhr durch die Wahrheitsliebe der ersten die ganze Sache. Laß nur, Jettchen!“ sagte die Mutter. Er ist ein Narr. Wir wollen ihm morgen das Gewissen so rühren, daß er Gott danken soll, wenn er mit der Verlobung loskommt.“ Sie redeten ab, was wir schon wissen; und damit ihr Plan nicht gestört würde, bekam der Bediente Befehl, das Haus verschlossen zu halten, und niemanden weder aus- noch einzulassen, bis der Baron dagewesen wäre.Der Baron eilte nun zum Obersten, um sich bei dem Raths zu erholen. Was ist Ihnen begegnet? fragte der Oberst, als er den Baron todtenbleich sah. Emilie ist für uns verloren!“ rief dieser, und erzählte das Vorgefallene.Ho! rief der Oberst; hier gilt es Entschlossenheit. Die alte Zigeunerin, die Ihnen ihre Tochter aufkuppeln wollte, wird Himmel und Erde in Bewegung setzen, ehe sie uns Emilien ausliefert. Ich armer Sünder bekomme sie nun nicht, das seh' ich; denn sie wird sagen: ich bin ihre Tante; mein Bruder hat mir sein Kind übergeben. Sie aber bekämen sie wohl; denn Sie könnten sagen: Emilie soll meine Frau werden!Ja, bei Gott, liebster Freund, das soll sie! das soll sie!“ – Nun, wie stehen Sie denn mit dem Mädchen? Liebt Emilie Sie? Wird sie auch Ja sagen? – Das weiß der Himmel! Mein Vermögen gäb' ich darum, wenn ich wüßte, daß sie mich liebte!“Wissen müssen wir das vorher schlechterdings; sonst ... Was sollen wir thun? Es wird Künste kosten, zu Emilien durchzudringen! Da haben Sie Recht, eine Mongolin ist die Alte, trotz ihren blonden Haaren! Sehen Sie, Herr, das hatt' ich weg, als sie mir das erste Wort sagte. Eine Mongolin! Und wenn es noch elendere Menschen auf dem Erdboden giebt, so dürfen wir sie dreist dazu rechnen, ohne ihr Unrecht zu thun.O, lassen Sie die Frau seyn, was sie will, und geben Sie Rath. Wie Sprech' ich Emilien? wie seh' ich sie?“Lieber Baron, daß muß Lieschen uns sagen. Dazu sind wir Beide nicht pfiffig genug. Schicken Sie mir Lieschen. – Der Baron eilte nach Hause, und erfüllte dieses Verlangen.Frau von Hausen fuhr noch denselben Morgen umher, und erzählte überall: daß der Baron von Flaming um Jettchen angehalten, und daß sie auch nichts dagegen gehabt hätte. Auf einmal aber – fuhr sie fort – komme ich dahinter, daß er meines Bruders Tochter, Emilien, verführen will, oder – verführt hat, Gott mag es wissen. Wenn ich mit Jettchen in Gesellschaft bin, läuft er mit Emilien in der Stadt umher, oder sitzt bei ihr auf der Kammer. Sehen Sie, das ist der Mensch, der immer von Tugend spricht, der uns alle für Slaven, Mohren und Mongolen erklärt! Was konnte ich machen? Ich verbat mir seine Besuche, und das arme verführte Mädchen muß ich nun hüten, wie mein Auge im Kopfe. Ich bin es ja meinem seligen Bruder in der Erde schuldig.Das erzählte sie auch dem ersten Geheimenrathe, aus dessen dickem Bauche und langen Ohren der Baron die Armuth der Bauern im Fürstenthum erklärt hatte. Das ist ja unerhört!“ rief der, und legte beide Hände gefalten über seinen Bauch.Und denken Ew. Excellenz, er drohet mir die empfindlichste Rache; er drohet, Emilien zu entführen. Ins Gesicht hat er mir gesagt, daß er sie mir zum Trotze haben will!Ei! lassen Sie ihn nur. Er soll schon empfinden, daß die Gerechtigkeit in unsrem Lande nicht eingeschlafen ist. Geben Sie mir nur sogleich Nachricht, gnädige Frau, wenn etwas in der Sache vorfällt. Es ist doch gut, wenn man Se. Durchlaucht prävenirt. Ein unverschämter Mensch ist er, dieser Herr Baron, der sich über alle Leute aufhält, und selbst den Fürsten nicht verschont.“Ja wohl! Denken Sie nur, was ich mehr als Einmal aus seinem Munde gehört habe. Ich schäme mich, es nachzusagen.Nein, nein, erzählen Sie nur, erzählen Sie. So etwas muß an's Sonnenlicht. Was sagte er denn?“Die Frau von Koch (so hieß die Geliebte des Fürsten) wäre ... eine krummbeinige ... Ach nein! ich kann das häßliche Wort nicht über meine Zunge bringen.Wirklich hatte der Baron sehr oft in Gesellschaften behauptet: man finde hundert schwarzhaarige, runde, fette, krummbeinige, stutznasige und rundlippige H...n gegen Eine schlanke, langnasige, dünnlippige Blondine, die sich liederlich aufführe. Er dachte dabei an keine Person insbesondre. Die Zuhörer wollten aber vor Lachen fast ersticken, wenn er das sagte; denn Frau von Koch, die Geliebte des Fürsten, war brünett, etwas korpulent und rundlippig.Bis jetzt war der Geliebten des Fürsten diese Aeußerung des Barons verschwiegen geblieben; denn wer hatte das Herz, ihr etwas davon zu sagen? Nun aber spielte die Frau von Hausen diese unschuldige Bemerkung des Barons, und zwar hämisch verdrehet, in die Hände des Geheimenraths. Von ihm flog die Bemerkung in das Vorzimmer der Frau Geheimeräthin; von da kam sie zu der Kammerjungfer der Frau von Koch; und die lief hinauf, schlug in die Hände, und erzählte die Bemerkung, natürlicher Weise mit allen den Zusätzen, welche sie auf dem Wege zu ihr erhalten hatte.Die Mätresse war außer sich vor Zorn. Frau von Hausen machte den andren Tag einen Besuch bei ihr, und äußerte, daß der Baron nicht empfindlicher zu bestrafen wäre, als wenn man ihm Emilien, die er liebte, vorenthalten könnte. Nun wendete man sich an den Geheimenrath. Hm!“ sagte der; wenn das Fräulein ihn, und er das Fräulein will, so ist es nicht zu hindern, oder es müßte durch einen Machtspruch von obenher geschehen.“Aber wie kann ich dem Menschen meines Bruders Tochter geben? Er hat ja den Verstand verloren! Er ist ein Narr!Das müssen Sie gerichtlich erweisen. Ihre Niece hat kein Vermögen. Wahrhaftig, wenn er den rechten Weg geht, so gewinnt er.“Er soll sie nicht haben, rief die Frau von Koch, und wenn er Himmel und Erde umkehrte! Er soll nicht! – Der Geheimerath zuckte die Achseln.Habe ich denn nicht Mutterrecht über ein Mädchen, das ich ganz erhalten muß? Er soll sie nicht haben!Ja, die Gesetze fragen nach den Gründen, warum er sie nicht bekommen soll; und an denen fehlt es! Hat ihm denn Fräulein Emilie ihr Wort schon gegeben?“Noch nicht. Er kam in mein Haus, um Jettchen zu heirathen, und heimlich verführt er mir meine Nichte.Der alte Herr ließ sich erzählen. So, so!“ sagte er. Das ist ein Andres! Hinter Ihrem Rücken? verführt? und betriegt Fräulein Jettchen? Das ist ein Andres! O, lassen Sie nur. Da sollen die Gesetze schon gegen ihn sprechen. Das hieße ja der Verführung Thür und Thor öffnen, wenn man einen hinterlistigen Menschen seinen Zweck erreichen ließe. Des Exempels wegen, der Sitten wegen, die ohnehin schon verderbt genug sind, können die Gesetze und das Konsistorium das nicht erlauben. Nein, nein! Da er sich auf krummen Wegen hat wollen verheirathen, und noch obendrein, durch eine vorgespiegelte Verbindung mit einem andren Mädchen, die mütterliche Autorität hintergangen, betrogen, ja Ihres Bruders Tochter verführt hat; nein, das ist ein Andres. Er soll sie nicht haben! Lassen Sie mich nur sorgen!“So sprach der Geheimerath. Der Oberst hingegen sagte: Sie müssen das Mädchen haben, Baron. Vor allem brauchen wir aber Emiliens Jawort. Dann halten Sie bei der Tante ordentlich an. Sie bekommen abschlägige Antwort. Nun wohl! dann nehmen wir einen Advokaten, und der beweist, daß ein Mann, der liebt und geliebt wird, einem Mädchen näher ist, als alle Tanten in der Welt, besonders als so ein Satan von Tante, wie diese, die blondes Haar hat, und doch ein Satan ist.Und dann, lieber Oberst? dann?“ fragte der Baron eifrig.Dann? Wenn die Gesetze klug sind, und die Tante mit den blonden Haaren nicht etwa der Gerechtigkeit ein Bein unterschlägt, so treiben sie uns nicht aufs äußerste, sondern geben uns Emilien heraus, und wir machen Hochzeit.Lieber Oberst, der Geheimerath, auf den doch alles ankommt, hat einen gar zu dicken Bauch.“Ei, zum Teufel, dicker ist er doch nicht als meiner. Und was hat Ihnen mein Bauch je Uebles gethan? He?Das ist wahr; aber ich gäbe viel darum, wenn Sie ihn nicht hätten. Denn ...“Ei, das wollt' ich auch: denn er ist mir sehr unbequem; aber Ihnen nicht. – Wollen die Gesetze uns nicht hören, wie es sehr leicht der Fall seyn kann, so entführen wir die schöne, unglückliche Emilie; und dann ...Dann eile ich mit ihr über die Gränze. Da lernt sie mich erst kennen, ob ich ihrer, und ich sie, ob sie meiner werth ist.“Halt! Das ist nichts! Ueber der Gränze werdet ihr getrauet, und dann lernt einander kennen, so viel ihr wollt. Was kennen lernen! Warum nicht lieber gar erst ein Probejahr! Nichts, nichts! Gleich getrauet!Ich habe gerade nichts dagegen, wenn Emilie will; sonst sind die Probejahre sehr Celtisch, und gerade da noch Sitte, wo sich das reinste Celtische Blut erhalten hat: auf dem Schwarzwalde, in der Schweiz, in Schottland und Irland. Ich will Ihnen Reisebeschreibungen leihen; daraus können Sie sehen, daß die Sitte rein Celtisch ist. Wenn also Emilie selbst mich näher kennen lernen wollte, so ...“So hätten Sie nichts dagegen? Ich dann auch nichts. Aber ich stehe Ihnen dafür, daß Emilie, so eine reine Celtin sie auch seyn mag, nichts davon wird hören wollen. Den Teufel auch! das sollte sie erfahren! Sie schlüge sich den Augenblick auf die Seite der Schwarzköpfe, und lachte den Blondkopf aus. Den Teufel auch, mit Ihren Probejahren!Aber sie sind rein Celtisch, und müssen folglich auch weise und edel seyn.“Nun, wenn Sie noch immer nicht begreifen wollen, daß Ihr System hinkt, so weiß ich nicht, wie es mit Ihren Augen steht. Ein Paar Celtinnen haben Sie häßlich betrogen, und peinigen ein armes, unschuldiges Mädchen aufs Blut; hier steht ein Slave vor Ihnen, wie Sie mich nennen, und risse sich gern das Herz aus der Brust, um es mit eben dem Mädchen zu theilen.Ja, Sie sind ein edler Mann, liebster Herr Oberst, und ich begreife wahrhaftig nicht, wie Sie schwarzes Haar haben können. Aber lassen Sie das gut seyn, und sagen Sie mir, was zu thun ist. Wie bekommen wir Emiliens Jawort?“Das müssen Sie holen, und, wenn die Spartaner Celten gewesen sind, auf eine Celtische Weise. Sie steigen diese Nacht mit einer Leiter an Emiliens Fenster in die Höhe, (aber nicht etwa hinein), wechseln Ringe mit ihr, geben ihr einen Kuß, machen kein Geräusch, und lassen diese Schrift von ihr unterschreiben, wozu Sie eine Feder voll Tinte mitnehmen müssen. Emilie ist schon unterrichtet. Lieschen hat ihr einen Brief in die Hände zu spielen gewußt, der ihr von allem Nachricht giebt. Sie wird mit Ihnen gehen und Ihnen das Fenster zeigen. Dann haben wir Brief und Siegel, und fangen an zu trotzen.Es war alles so, wie der Oberste sagte; nur wußte er zwei kleine Umstände nicht: daß Emilie das, was dem alten biedern Manne so natürlich vorkam, für höchst unschicklich hielt; ferner, daß Frau von Hausen sie beim Lesen des Billets ertappt, und es ihr weggerissen hatte. Emilie wurde nun auf eine andere Kammer gebettet. Frau von Hausen nahm mit Jettchen und einigen Anverwandten Besitz von der, worin Emilie bisher geschlafen hatte, und wartete mit Ungeduld auf den Baron. Um halb zwei Uhr legte dieser eine Leiter an, und stieg in die Höhe. Das verabredete Zeichen, ein weißes Tuch, hing zum offnen Fenster heraus, und der Baron kam mit dem Kopfe davor. Kommen Sie herein! rief eine weibliche Stimme. Der Baron kletterte in das Fenster, sprang auf den Boden, nahm Emilie in die Arme, und drückte – nicht Einen Kuß auf ihre Lippen, wie der Oberst ihm befohlen hatte, sondern zehn und mehr. Die vermeinte Emilie schrie. Nun flog eine Nebenthür auf, und der Baron stand – in den Armen der Frau von Hausen, von zehn Menschen umringt, deren jeder ein Licht in der Hand hielt.Ha! der Baron Flaming! rief die Frau von Hausen. Was wollen Sie hier, mein Herr? – Was ich will?“ sagte der Baron bestürzt. – Ja, was Sie wollen! sagte ein Anderer. – Ich werde mich bei dem Fürsten über Sie beklagen, Herr Baron, und das liederliche Mädchen werde ich weg schaffen. – Liederlich?“ rief der Baron ergrimmt. Wer sagt das?“ – Nun fing Jettchen an: ein Mädchen, das des Nachts Besuche durch das Fenster von einem jungen Manne annimmt ... – Der Baron fiel ein: das Mädchen ist keuscher als Sie, mein Fräulein.“ Was? was? schrie Jettchen, und schien ihm die Augen auskratzen zu wollen. – Die Mutter machte die Thür auf, und ein Herr leuchtete. – Gehen Sie, Herr Baron. Sie sollen morgen mehr hören! riefen ihm noch einige Stimmen nach, als er aus dem Zimmer ging. Man begleitete ihn die Treppe hinunter, und öffnete die Hausthür. Er stand unten auf der Straße, und wußte nicht, wie ihm geschehen war.Am folgenden Tage erhielt er ein Billet von dem dicken Geheimenrathe, worin ihm im Nahmen des Fürsten angedeutet wurde, die Frau von Hausen und ihre ganze Familie künftig mit allen Anträgen, von welcher Art sie auch seyn möchten, in Ruhe zu lassen, da Se. Durchlaucht sehr ernstlich gewillet wären, nicht zu leiden, daß zügellose junge Herren hinter dem Rücken der Eltern, oder derer, die Eltern-Stelle verträten, Mädchen verführten, sich bei nächtlicher Zeit heimlich in die Häuser schlichen, so den Ungehorsam der Kinder gegen die Eltern und nächsten Anverwandten bestärkten, und Schande in die Familien brächten, weil selbst die Glückseligkeit des Staates auf dem kindlichen Gehorsam, auf der häuslichen und Familien-Eintracht, und auf einfachen unschuldigen Sitten beruhe. Dem Baron sey ja ein rechtlicher Weg offen gewesen, wenn er Absichten auf die Tochter oder Bruderstochter der Frau von Hausen gehabt habe; da er aber den strafbaren Weg der Verführung eingeschlagen, so würden die Gesetze, Andern zum Beispiel, nicht zugeben, daß ungehorsame Anverwandte, die ihre Pflegeeltern betrögen, Verbindungen vollführen könnten, wenn auch diese Verbindungen sonst nichts gegen sich hätten. Er habe also jede andere Verbindung, welche er wolle, ordentlich zu suchen; allein dagegen solle er alle Hoffnung fahren lassen, sich wider den Willen der Frau von Hausen mit ihrer Tochter zu verbinden.“Der Baron fand, als er dieses Billet gelesen hatte, daß der Weg Rechtens ihm nun gänzlich abgeschnitten wäre. Er eilte zum Obersten, erzählte ihm seine nächtliche Begebenheit, gab ihm das Billet, und bat ihn um Rath. Herr, sagte der Oberst, wenn ich mit Fleisch und Blut überlege, so sag' ich: nun genug! Wir haben gethan, was wir sollten. Der Fürst, und, was noch schlimmer ist, seine Geliebte, die Sie einmal eine Hure genannt haben sollen, weil sie schwarzes Haar und dicke Lippen hat, sind gegen uns. Sogar die Justiz nimmt, so unschuldig wir auch sind, Parthei wider uns. Der Geheimerath ist erschrecklich erbittert gegen Sie. Sie haben seine Ohren und seinen Bauch getadelt; also ...Aber ist es denn nicht wahr? Er hat ja einen Bauch wie eine Tonne; und wie geht es im Lande zu? Und hat denn nicht die Geliebte des Fürsten, wie Sie die Frau nennen, einen pechschwarzen Kopf, und Lippen wie eine Negerin?“Ja, ja! Aber so trösten Sie sich denn. Ihr System hat Sie um Ihre Geliebte gebracht, denn wenn Sie wußten, wie sehr elende Menschen die Rache lieben, so konnten Sie ja gleich befürchten, daß es mit Ihren Angelegenheiten schlecht stände.Aber ohne mein System hätte ich auch Emilien nie geliebt!“Herr, Sie lieben Emilien, weil sie liebenswürdig ist. Wären ihre Augen schwarz, und hätten so unschuldig geweint, wie die blauen: Sie würden das Mädchen eben so geliebt haben, dafür steh' ich Ihnen.Nein, liebster Oberst. Ich muß doch wissen, wie ich mit meinem Herzen daran bin. Es steckt ein gewisser Zug, ein gewisser Instinkt in uns, den Sie nicht abläugnen werden. Tausend Menschen haben sich auf den ersten Blick in ein Mädchen verliebt. Wie wollen Sie das anders erklären, als gerade dadurch?“Wodurch denn? wodurch?Sehen Sie, die edelste Menschennatur hat etwas, das an sich zieht, das Ehrerbietung und Vertrauen erregt, und zwar auf den ersten Blick.“Warum nicht gar wie der Basilisk durch ein Gift, das aus den Augen strömt! Seltsamer Mensch, warum suchen Sie denn immer meilenweit von sich, was Ihnen so nahe liegt? Ja, jeder edle Mensch hat etwas an sich, das anzieht und Vertrauen erregt: nehmlich die Gutherzigkeit auf dem Gesichte, die Redlichkeit im Auge, die Herzlichkeit im Blicke.Das ließe ich wohl bei einigen Menschen gelten; doch nicht bei allen: denn woher hätten die Indianer für die Europäer den überaus großen Respekt, der so weit geht, daß sie es für eine Ehre halten, wenn der Europäer bei ihren Weibern und Töchtern schläft? Doch wohl nur daher, weil sie ihre Nation durch besseres Blut veredeln wollen.“Aber, da müßte ja der Indianer, wenn das seine Absicht wäre, Ihr System von Grund aus kennen! ... Sehen Sie, die rohen wilden Matrosen stiegen unter den friedlichen, nackten, wehrlosen Indianern ans Land. Ihre Flinten, ihre Kartätschen, ihre Grausamkeiten, ihre unerhörte Barbarei verschafften ihnen bald Respekt. Nun griffen die wollüstigen Europäer nach den nackten Weibern, und ein Mann, der das nicht leiden wollte, wurde todt geschlagen. Das ist das ganze Räthsel. Die armen Indianer bringen den Europäern ihre Weiber, nicht um ihren Stamm zu veredeln, sondern, wie sie ihnen ihr Gold bringen, um das Leben zu behalten. Als ich noch jung war, kamen einmal Kosaken in meine Gegend. Sie sollten gesehen haben, welchen Respekt jedermann für diese rohen Leute hatte. Schlief ein solcher Kerl bei einem blonden Bauermädchen, so sagte der Vater kein Wort dazu, und wenn er auch dabei stand. Aber das thaten die Bauern wahrhaftig nicht, um ihr Blut zu veredeln; sondern, weil sie die langen Messer fürchteten, mit denen die Kerl den Leuten die Köpfe abschnitten. Wo ist denn nun Ihr geheimer Sinn, Ihr Instinkt?Ja, ja, zur Noth läßt sich das hören. Aber, Herr Oberst, warum soll ich diese Erklärung wählen, da ...“Warum? Weil sie die simpelste, weil sie deutlich ist, weil sie in die Augen springt.Aber sie paßt nicht in mein System, und das ist doch in tausend andern Fällen richtig.“Recht! Darum hole der Teufel alle Systeme; nur unser Planetensystem nicht! Da zerret Ihr so lange, bis alles hinein geht, es mag zu lang oder zu kurz seyn, wie der Räuber in dem Märchen, der ein eisernes Bett für alle Reisende hatte. Den Kleinen stampfte er so lange, bis er paßte; und dem Großen schnitt er so viel von Kopf und Füßen ab, daß auch er die rechte Länge bekam. So ein Bett ist Ihr System.Um des Himmels willen, lieber Oberst, ereifern Sie sich nur nicht!“Nicht ereifern? Wir sollten alle Tage den lieben Gott auf den Knieen bitten, daß er unsere Herzen mit Bruderliebe erfüllte, weil ohnehin Geitz, Haß, Neid, Reichthum und Armuth, Stolz und Narrheit dieser Liebe in den Weg treten; Sie aber kommen daher und schreien, wenn einer seine milde Hand öffnet: vorgesehen! der ist dein Bruder nicht! es ist ein Slave! ein Mongole! Sieh nur das schwarze Haar, den dicken Bauch! ... Ohnedies horchen jetzt die Menschen, wenn ihrer zwei zusammen kommen, erst hin, von welcher Religion, von welchem Stande, und wie ihre Meinungen sind. Nun sollen sie gar erst nachsehen, ob der Andre schwarzes Haar hat oder blondes. Baron! Baron!Die Wahrheit muß ich lehren, wenn sie auch noch so schrecklich ist; und darum ...“Die Wahrheit, Herr, ist nie schrecklich; denn sie kommt von Gott. Ich lasse Ihren Satz einmal gelten. Aber bei einer schrecklichen Wahrheit muß ich doch wohl erst recht genau untersuchen, ob sie Wahrheit ist; und kann ich das Ding auf irgend eine andre Art erklären, so muß ich: sonst bin ich ein Unmensch, oder, nach Ihrer Sprache, ein Mongol. Ich allein müßte im Stande seyn, Ihr System zu stürzen, weil sie in meinem dicken Leibe ein Herz, und in meinem schwarzen Kopfe Gehirn gefunden haben. Die Tante Hausen hat einen Kopf so blond wie ein reifes Kornfeld, und ist ein Satan. Das sind so ein Paar Exempel, Herr; und deren giebt es noch tausend.Mein System, Herr Oberst, wird ja nie Volks-System werden; und so kann es nicht schaden.“In Ihren Händen wohl nicht, weil Sie zum Glück ein Herz haben, das über Ihr System lacht. Aber denken Sie nur, wenn einmal ein Mensch, wie zum Exempel die Tante Hausen, Ihr System annähme, und eine Emilie ein Schwarzkopf wäre: was dann? Oder gar ein Fürst! Das gäbe eine herrliche Finanz-Spekulation! Jeder müßte sein schwarzes Haar und seinen Bauch verzollen. Visitatoren liefen im Lande umher, und mäßen Bauch und Brust und Beine; sie witterten aus, wo ein braver schwarzköpfiger junger Mensch eine Blondine heirathen wollte, und er müßte Lizent dafür bezahlen, oder er wäre gezwungen, sich schlechterdings in einen Schwarzkopf zu verlieben.O“, rief der Baron, das wäre sehr gut. Und spricht denn hier die Natur nicht deutlich? Es werden mehr Knaben geboren als Mädchen; aber nur in Europa, wo die Celten wohnen: in Asien, wo die Vielweiberei Statt findet, mehr Mädchen als Knaben. Wie wollte sonst die Vielweiberei dort herrschen können? Sehen Sie, die Natur hat sich entschieden erklärt. Die Knaben, die in Europa mehr geboren werden, bestimmte sie dazu, nach und nach die Nationen von schlechterem Stamme zu veredeln, bis nicht ein Tropfen unedles Blut mehr auf der Erde seyn wird. Und sehen Sie – ich habe in diesem Augenblick einen herrlichen Gedanken – darum eben war es bei unsern Vorfahren den Adeligen so streng verboten, eine Bürgerliche zu heirathen. Da steckt es. Der Adel enthielt das reine Blut der Celten. Slaven und Wenden hatten sich über Deutschland verbreitet. Man suchte durch Gesetze das Celtische Blut unvermischt, und mit ihm die edelsten Tugenden rein, zu erhalten.“Ei, lassen Sie uns davon schweigen!Nein, liebster Oberst, ich bitte Sie, lassen Sie uns das Gespräch fortsetzen. Der Adel ...“Und Emilie mag weinen, während Sie philosophiren! Nicht wahr?Emilie! O Himmel! wie befreien wir sie? Ich bin reich, Herr Oberst, sehr reich. Brauchen Sie mein Vermögen. Handeln Sie, als ob Emilie Ihre Tochter wäre. Leiden soll sie nicht länger. Ich weiß, was die Frau von Hausen will, ich soll das himmlische Mädchen nicht haben. So eben fällt mir ein Gedanke ein, liebster Oberst. Wenn ich mich nun verbindlich machte, Emilien nie zu heirathen – sollten wir sie auch dann nicht aus den Klauen der Tante retten können?“Den Teufel auch! So bekämen Sie ja Emilien nicht; und Sie lieben das Mädchen doch! ... Das ginge freilich, wenn es Ihr Ernst wäre.O, retten Sie! Brauchen Sie mein ganzes Vermögen; retten Sie Emilien! Ich will mich verbindlich machen, nie ihre Hand zu besitzen. Wenn ich sie nur zuweilen sehen kann, und wenn sie nur ruhig und glücklich lebt! Ach, Herr Oberst, ich liebe das Mädchen über alles; aber ...“Aber du Wetterjunge, rief der Oberst, und drückte den Baron fest an sein Herz: fühlst du denn nicht, daß ein solcher Entschluß mehr werth ist, als alle Systeme, die du erfinden kannst? Nein, du sollst Emilien haben, und wenn sie mit Ketten an die Tante gebunden wäre!Lieschen zog, auf des Obersten Befehl, Nachrichten von Emilien ein, die aber nicht sehr tröstlich waren. Die Tante Hausen marterte die Unglückliche auf alle nur ersinnliche Weise, und wollte sie zwingen, einen Eid abzulegen, daß sie nie an eine Heirath mit dem Baron denken würde. Emilie hatte das bestimmt abgeschlagen, und seitdem war ihr Zustand noch härter geworden. Der Baron wurde durch diese Nachricht sehr gerührt; dann aber erwachte sein Zorn, und er drohete sogar, die Tante zu ermorden, wenn er Emilien nicht anders retten könnte.Schöne Menschen! sagte der Oberst zornig; die Tante und ihre Tochter! Ich wollte ja lieber mitten in der Mongolei wohnen, lieber unter den Kamtschadalen, als unter solchen Celten!Nein!“ sagte der Baron: die Hausen ist keine Celtin; sie ist eine Kakerlake, eine Spielart der Natur!“So behüte uns Gott, daß die Natur nicht die Spielsucht bekommt, wenn diese Bestie eine Spielart ist! Noch Einen Gang für das Mädchen; und wenn der nicht hilft, so wollen wir die Domestiken der Hausen bestechen, so ungern ich alter, grauer, ehrlicher Kerl mich auch zu Spitzbübereien verstehe. Aber, soll nicht alles um einen her zu Grunde gehen, so muß man schon ein Spitzbube, ein Celte, mit seyn. Im Kriege war es immer, als ginge ich zum Tode, wenn ich mit meiner Schwadron marschiren mußte, um einer Stadt die Kontribution anzusagen. Doch, bei meiner Seele! über einen Auftrag hieher könnte ich mich jetzt freuen. Die Tante sollte ihren Teufel an mir haben! ... Meinen Pallasch, Johann! ... Ich wollte ihr die wildesten Kerl auf den Leib hetzen! ... Den Hut, den Stock! ... Sie sollte an den Husaren-Obersten denken! ... Bleiben Sie, Baron! Ich bin in einer halben Stunde wieder hier. Dann Viktoria; oder wir schießen mit goldnen Kugeln!In diesem Eifer ging der alte Baron zum Fürsten, ließ sich melden, und wurde vorgelassen. Ew. Durchlaucht, hob er ehrerbietig an, ich komme nicht in meiner eigenen Sache; und Gott sey Dank, daß es nicht meine eigene ist: sonst stände es schon toller oder gut! Ich komme, einige Worte für den Baron von Flaming zu reden.Der Baron Flaming ist ein zügelloser junger Mensch, Herr Oberst. Doch das bei Seite. Was wollen Sie für ihn?“Gerechtigkeit, Ew. Durchlaucht; nichts weiter. Der Baron ist mein Freund; und wenn graues Haar und ein, funfzig Jahre mit Ehre getragenes Portd'epee bei Ewr. Durchlaucht etwas gelten, so werden Sie mir glauben, daß Flaming ein edler Mann ist, der freilich seine Grillen hat, aber es wahrhaftig mit der Welt gut meint. Er liebt ein Mädchen, die Bruderstochter der Frau von Hausen. Ew. Durchlaucht, am ganzen Hofe sind vielleicht nicht zwei Damen, die so viele Achtung verdienen, als dieses Mädchen. Der Baron liebt sie, und sie ihn. Die Frau von Hausen, die nicht werth ist des Mädchens Tante zu seyn, widersetzt sich dieser ehrenvollen Verbindung; ich weiß nicht, warum.Der junge Mann hat das Mädchen, von dem Sie reden, verführt. Sie scheinen nicht zu wissen, daß er des Nachts zu ihr ins Fenster gestiegen ist.“Das weiß ich, Ew. Durchlaucht; denn ich selbst habe dem jungen Manne gesagt: steigen Sie ins Fenster. Ew. Durchlaucht, es ist eine Husaren-Regel: wenn der Feind von vorn nicht zu attakiren ist, so geht man ihm in die Flanke. Der Baron war die Nacht auf einem ehrlicheren Wege, als Mancher, der am hellen, lichten Tage, vor aller Menschen Augen, in die Hausthür geht. Er wollte ein unglückliches Mädchen aus der grausamsten Sklaverei befreien, worin Neid und Haß, Rache und Eifersucht es halten.Nun erzählte er den ganzen Vorgang der Sache. Der Fürst, trotz seinen Schwächen ein edler Mann, sah jetzt Alles in einem andern Lichte, und fragte: verhält es sich so, Herr Oberst?“Ew. Durchlaucht, ich bin ein alter Officier, und kann wahrhaftig nicht lügen. Es ist so, wie ich sage. Und Sie dürften nur das Mädchen einen Augenblick sehen, um überzeugt zu seyn, daß die Frau von Hausen Ewr. Durchlaucht Schutz zu einer Büberei gebraucht.Ich wäre doch neugierig“, sagte der Fürst lächelnd, ein Mädchen kennen zu lernen, das einen alten Husaren so in Feuer setzen kann!“Ich will sie holen, Ew. Durchlaucht, wenn Sie mir ein Paar Zeilen an die Tante mitgeben wollen.Der Fürst besann sich einen Augenblick. Befehlen kann ich in diesem Falle nicht; nur im Nahmen meiner Gemahlin bitten. Aber Frau von Hausen muß nicht gekränkt werden. Nehmen Sie ... ja, nehmen Sie den Kammerjunker mit.“ Er ging in das Vorzimmer, und sagte dem diensthabenden Kammerjunker: Begleiten Sie den Herrn Obersten zur Frau von Hausen, und sagen Sie ihr, daß alles, was er thut, mein Wille ist.“Der Oberst stieg mit dem Kammerjunker in den Wagen. Frau von Hausen wurde blaß, als sie ihn in ihr Zimmer treten sah. Gnädige Frau, Se. Durchlaucht wünschen Fräulein Emilien zu sehen. Wir sollen Sie sogleich mitbringen. Sie werden doch nichts dagegen haben? Wo ist das Fräulein?“ Die Tante ließ sie rufen, freilich sehr erbittert über den Obersten und über den Fürsten. Emilie kam mit Kummer im Gesichte, und mit Thränen in den Augen. Wie?“ rief der Oberst, als er sie sah, und drückte ihr die Hand: Thränen, mein gutes Kind? Aber gewiß es sind die letzten, die du weinst! Von nun an soll nur die Freude und die belohnte Tugend dir Thränen auspressen. Komm, meine Tochter.“ – Emilie sah rings umher Alle an, und konnte sich kaum besinnen. Die Tante stand da, wie eine häßliche Bildsäule, und rührte sich noch nicht, als der Wagen mit Emilien und ihren beiden Begleitern schon wieder die Straße hinunter nach dem Schlosse hin rollte.Emilie wollte fragen: bringen sie mich zu dem Baron? Aber sie erröthete nur, ohne zu sprechen, weil sie zu verschämt war, in Gegenwart des Fremden die Frage zu thun. – Auf dem Schloßhofe nahm der Oberst ihren Arm, und führte sie die Treppe hinauf in das Zimmer des Fürsten. Dies ist Emilie, sagte er mit einem triumphirenden Blick auf sie. – Fürchten Sie nichts, mein Kind“, redete der Fürst sie an, und beobachtete sie sehr aufmerksam: ich bin Ihr Freund!“Emilie erkannte ihn an dem Orden. Sie mußte sich sammeln, ehe sie sprechen konnte. Endlich sagte sie, halb zu dem Fürsten, halb zu dem Obersten: ich bin sehr unglücklich. O, ich bitte, gönnen Sie mir nur eine Freistätte, wo ich einsam seyn darf; glücklich will ich nicht werden.Der Fürst ergriff ihre Hand. Mein schönes Fräulein, wer so viele Freunde hat, wie Sie, darf mehr fordern. – Sagten Sie nicht von einem jungen Manne, den sie liebt, Herr Oberst?“ Emilie erröthete. Sieh da! nun weiß ich auch, wie dieses schöne blasse Gesicht aussehen wird, wenn die glückliche Liebe es gefärbt hat. Hören Sie, mein Fräulein, ich dächte, Sie ließen den Alten fahren, und schenkten mir Ihre Freundschaft. Wir wollten der bösen Tante schon vergelten.“ Emilie ergriff mit rascher Zärtlichkeit des Obersten Hand, und sagte bestürzt: es ist mein Vater!Ja, rief der Oberst: das bin ich; und was ich habe, ist dein, Emilie: ein Herz voll Muth und Liebe!Und ich“, sagte der Fürst scherzend zum Obersten, könnte ihr dennoch mehr geben, als Sie. ... Meinen Sie nicht, Fräulein, daß die Hand des jungen Barons mehr wäre, als die Liebe des alten Soldaten?“Emilie erröthete. Der Fürst wiederholte die Frage. Nun? lieben Sie den Baron? Seyn Sie aufrichtig, Fräulein!“Mein Herz ist so voll von Dankbarkeit, sagte sie, daß ... –Daß die Liebe keinen Platz mehr darin hat?“ fiel der Fürst ein.Daß auch meine Liebe nichts ist als Dankbarkeit, erwiederte sie leise. Ich habe ja von meinem Vater alles! setzte sie, mit einem zärtlichen Blick auf den Obersten, hinzu. Ach, Ew. Durchlaucht, ohne ihn wäre mein Unglück so groß!Der Fürst sah nach der Uhr. Ihr Unglück, liebes Kind? Ich glaube, ich selbst habe dazu beigetragen. Aber Geduld! Die Stunde ist gekommen, da Ihr Glück anfängt; und damit Sie diese Stunde nicht vergessen, so tragen Sie diese Uhr zum Andenken daran.“ Er hängte ihr die Uhr in das Schürzenband, ging in sein Kabinet, und schrieb auf eine Karte an die Frau von Hausen: Ich bin Emiliens Freund, und hoffe, niemand wird das von jetzt an vergessen. Von Zeit zu Zeit werde ich mich nach Emiliens Zustand erkundigen, und es Ihnen danken, wenn er glücklich ist.“ ... Geben Sie diese Karte Ihrer Tante“, sagte der Fürst zu Emilien; und nun leben Sie wohl. Es soll alles gut gehen.“ Er führte sie in das Vorzimmer, und befahl dem Kammerjunker, sie nach Hause zu begleiten.Nun, Herr Oberst, war es so recht? In der That, ein sehr liebenswürdiges Mädchen! Nach der kletterte ich selbst wohl einmal durch das Fenster.“Der Oberst stand kalt da. Und nun Ew. Durchlaucht? Ich muß doch etwas ausgerichtet haben!Nun ja, die Frau von Hausen wird jetzt dem Baron die Hausthür wohl wieder öffnen; und quälen wird sie das Mädchen auch nicht mehr. Was kann ich mehr thun? Man muß doch das Aufsehen vermeiden. Es soll alles gut gehen. Leben Sie wohl.“Emilie war indessen zu Hause gekommen, und die Tante durchbohrte sie fast mit den Augen. Hast du den Fürsten gesprochen?“ fragte die Tante in einem spitzen, giftigen Tone. – Ja, meine liebste Tante, antwortete Emilie zärtlich; und er läßt sich Ihnen empfehlen. Der Oberst hatte ihn, glaube ich, an meinen seligen Vater erinnert, den er gekannt hat. Nun war er neugierig, mich zu sehen.Emilie war entschlossen, ihrer Tante die Karte des Fürsten nicht zu geben; und dieser großmüthige Entschluß bewirkte bei ihr eine gewisse Herzlichkeit. Sie küßte der Frau von Hausen die Hand, und sagte: liebste Tante, seyn Sie doch ein wenig gütig gegen mich; ich liebe Sie ja.Jetzt erblickte Frau von Hausen die Uhr. Was ist denn das?“ fragte sie mit einem Tone, worin Erbitterung mit einer falschen Freundlichkeit rang. – Der Fürst hat mir diese Uhr geschenkt. Sie soll ein Andenken seiner Freundschaft für mich seyn. – Die Tante wurde glühend roth, bald aber wieder grünlich blaß. Jetzt war sie verlegen, wie sie Emilien behandeln sollte. Sie fuhr nach ihrer Gewohnheit auf; doch plötzlich wandelte sich ihr heftiger Ton in den sanftesten um, den sie nur erzwingen konnte. Nach einigem Kampfe ließ sie sich von Emilien ihre Unterredung mit dem Fürsten ausführlich erzählen, und wurde immer freundlicher, als Emilie noch ein Paarmal erwähnte, daß der Fürst sie seines Schutzes, seiner Freundschaft versichert hätte.Jettchen, die von einem Gange zurückkam, erstaunte über Alles, was sie hörte. Die Mutter flisterte eine halbe Stunde mit ihr allein; und nun nannte Jettchen Emilien zum ersten Male: liebste Cousine. – Emilie wurde durch die zweideutigen Zeichen einer falschen Freundlichkeit so gerührt, daß sie die Uhr abband, und sie Jettchen schenken wollte. Diese weigerte sich, freilich mit habsüchtigen Blicken. O nehmen Sie“, sagte Emilie mit Thränen; und schenken Sie mir Ihre Liebe dafür.“Jettchen erröthete, und nahm die Uhr mit ungewisser Hand. Sie machte wirklich eine Bewegung, als wollte sie Emilien die Hand küssen; es wurde indeß eine Umarmung daraus. In diesem Augenblicke schalt die gnädige Frau den Bedienten sehr nachdrücklich, daß er für Fräulein Emilien kein Weinglas hingesetzt hatte. Sie und ihre Tochter waren den ganzen Tag hindurch äußerst verlegen, und wußten gar nicht, wie sie sich gegen Emilien betragen sollten.Der Oberst ging nach seiner Unterredung mit dem Fürsten zu dem Baron. Nun?“ rief dieser ihm lebhaft entgegen: wie ist es? wie steht's?“Ja, wie steht es! Gut, könnt' ich sagen; und, was Emilien betrifft, so steht es wirklich so. Ihr Fürst ist ein guter Mensch; ich wollte, ich könnte sagen: ein guter Fürst. Er hat Emilien gesehen, und sie feierlich seines Schutzes versichert. Wenn es nur hilft!O, warum nicht, lieber Herr Oberst? warum nicht? Weg mit den Runzeln von Ihrer Stirn! Ich bin so glücklich! Jetzt trägt die Tante Hausen Emilien gewiß auf den Händen. Was haben Sie denn gegen den Fürsten?“Was ich gegen ihn habe? Er war aufgebracht über Sie und Emilien. Man hatte ihm euch Beide gewiß nicht vorteilhaft geschildert. Ich beredete ihn, Emilien zu sehen. Er bewunderte sie, und hielt ihre Sache, ohne sie zu kennen, für gerecht, weil Emilie ein schönes Auge und eine schöne Figur hat! – Was soll man davon denken?Lieber Oberst, es ist ja beinahe, als ob Sie mir die schnelle, unerwartete Hülfe nicht gönnten!“Wenn es Hülfe ist, sage ich. Der Fürst denkt gut, denkt menschlich; aber, Baron, ein Fürst soll kalt urtheilen, kalt wie ein geschriebenes Gesetz, ehe er warm fühlt. Hätte er ruhig da gestanden, gezweifelt, gefragt, Emiliens Unschuld, Ihre Unschuld geprüft, sich überzeugt, und dann erst versprochen: so wollte ich hier einen Ehrensprung thun, und Sie müßten eine Flasche Wein auf sein Wohl mit mir trinken, oder sich mit mir schlagen. Aber nein; er sah Emilien, fand sie schön, und erklärte sie auf der Stelle für unschuldig. Ein Fürst muß keine Augen haben!Da sehen Sie ja, liebster Herzens-Oberst, was Sie immer nicht glauben wollen: die Wirkung der edlen Celtischen Natur. Der Fürst sah die Celtin mit der Empfindung, womit er ein höheres Wesen, einen Geist, erscheinen gesehen hätte: mit Ehrfurcht.“Ei was! Ich sehe nichts weiter, als daß der Fürst jedem Eindrucke folgt. Eine gefährliche Eigenschaft! Der Eindruck verfliegt; ein andrer schöner Mund behauptet, es sey nicht so: und der Fürst vergißt Emilien wieder. Doch wir wollen das Eisen schmieden, weil es warm ist. Auf morgen Nachmittag lassen wir uns bei der Tante melden. Jetzt zittert sie und giebt uns Emilien; dann wollen wir dem Fürsten danken, daß es so gegangen ist.Ja, das wollen wir“, rief der Baron, und drückte dem Obersten die Hand. Ich bin glücklich, daß ich Emiliens Auge nur ohne Thränen weiß. O, mein Vater! mehr als mein Vater! Emiliens Retter! wie dank' ich Ihnen!“Der Oberst hatte mit seinem Urtheile über den Fürsten nicht Unrecht. Bald nach der Unterredung mit Emilien fuhr dieser zu seiner Geliebten, und erzählte ihr sogleich die kleine Begebenheit. Nein, meine Liebe“, sagte er; Sie haben in der That keinen Begriff von der ganz eigenen Schönheit dieses Mädchens. Sie war blöde. Aber denken Sie ja nicht an die Blödigkeit, die so albern aussieht, an die dumme Ziererei, die närrische, lächerliche Verlegenheit, mit der ein Landmädchen sich zum ersten Male der Fürstin und dem Hofe präsentiren läßt! Gar nicht. Es war liebliche, sehr liebliche Unschuld. Und was sie sagte, kam so tief, so ohne Zwang aus der Seele hervor, und war so schön gesagt, daß sie schon dadurch höchst interessant werden mußte. Glauben Sie mir, Sie haben sich arg von der Hausen betriegen lassen. Ich will meine Ehre zum Pfande setzen, daß dieses Mädchen so tugendhaft als schön ist. Man darf nur ihre Stimme hören. So etwas Interessantes, ein so reiner, so inniger Ton, ist mir noch nie vorgekommen. Glauben Sie mir, Liebe, wären Sie nicht mein – zu der stiege ich selbst ins Fenster, und wenn ich zuverlässig wüßte, daß ich den Hals brechen würde.“Nun wahrhaftig, wo Sie doch die Augen zuweilen haben! Ein blasses, hageres Gesicht, ohne alles Feuer, ohne ...Aber das weiß ich: die Hausen ist kokett mit ihrer Tochter, wie sie es noch vor einigen Jahren auf ihre eigne Rechnung war; und so ein Gegenstück, wie Emilie, kann schaden. Geitzig ist die Frau dazu. Sie sollten nur die ärmliche Kleidung des Mädchens gesehen haben! Doch trotz der Kleidung eine Figur! o, eine Figur, so schlank, so edel!“Die Geliebte suchte das Gespräch auf etwas Andres zu leiten; doch vergebens. Der Fürst fing immer aufs neue an von Emilien zu sprechen. Er saß sogar einige Minuten schweigend da, und dachte an sie; denn mitten im Nachdenken sagte er auf einmal wieder: sie ist wunderschön!Mit einem solchen Enthusiasmus hatte der Fürst noch nie von einem Mädchen gesprochen. Der Frau von Koch wurde bange bei dem Handel, zumal da sie schon seit einiger Zeit gemerkt hatte, daß der Fürst in seinem Betragen gegen sie nachlässiger wurde. Sie zitterte, als er sagte: ich werde mich genau erkundigen lassen, wie die Hausen das Mädchen behandelt. Zwar denke ich, jetzt recht gut: denn ich habe Emilien eine Karte an sie mitgegeben; allein ich werde sie nächstens selbst überraschen, um zu sehen, wie man meine Befehle achtet.“ Den ganzen Abend sprach er von nichts, als von Emilien. Wenn Sie die Frau von Hausen sehen“, sagte er noch beim Abschiednehmen, so eröffnen Sie ihr meine Meinung.“Frau von Koch schlief sehr unruhig. Am folgenden Morgen fuhr sie ziemlich früh zu der Hausen, und war sehr artig, sehr freundlich. Sie kam bald auf Emilien, und horchte bei der Tante hin. Diese seufzte: was soll ich machen? Das Mädchen hat seinen Willen, und lacht mich obendrein aus. Die Koch lächelte. Fürchten Sie Sich vor der Karte, die der Fürst Ihnen geschrieben hat?“ – Welche Karte? – Man erklärte sich, und Emilie mußte die Karte hergeben. Frau von Koch rückte immer näher. Jetzt freilich“, sagte sie, ist wohl eigentlich nichts zu thun. Der Baron wird uns Beide auslachen. Ich bedaure nur Ihr armes Jettchen, wenn er das Mädchen bekommt. Das wird am Hofe einen Lärm geben!“ – Ja, das Mädchen ist ordentlich zu meinem Unglück geboren, seufzte die Tante.In diesem Augenblicke ließen der Oberst und der Baron sich auf den Nachmittag melden. Die Hausen sah die Frau von Koch verlegen an. Sie müssen verbitten lassen, aber höflich!“ meinte diese. Die Hausen bedauerte; sie wünschte die Ehre auf ein andermal zu haben. Frau von Koch drang nun darauf, daß sie dem Baron Emilien abschlagen sollte. Folgen Sie mir, Frau von Hausen; ich stehe für alles. Wenn Sie nicht Muth genug haben, so habe ich ihn. Geben Sie mir Emilien. Ich will sie fortschicken. Der Baron soll sie nicht bekommen, der unverschämte Geck! Und hier bleiben darf sie nicht. Nein, nimmermehr!“Frau von Koch wurde noch besorgter, als der Fürst auch heute wieder anfing von Emilien zu sprechen. Sind Sie bei der Hausen gewesen? Was macht Emilie? Wie gefällt sie Ihnen? Sie wird doch gut gehalten?“ So kam Frage auf Frage, bis Frau von Koch endlich ungeduldig wurde. Ja, sagte sie; ich habe das Mädchen gesehen. Sie ist niemals schlecht gehalten worden, und die Frau von Hausen beklagt sich bitter, daß Sie mit einer Karte, und obendrein mit einer unversiegelten, ihre Haushaltung und Kinderzucht reguliren wollen.Aber das Mädchen ist wahrhaftig unschuldig, liebste Frau von Koch! Sie sollten es nur gesehn haben.“Nun ja; ermordet hat sie keinen. Sie hat einen Liebeshandel hinter dem Rücken ihrer Tante getrieben, der Oberst, Ew. Durchlaucht, mag auch sagen, was er will. Ins Fenster ist der Baron doch geklettert. Nun lassen Sie die jungen Herren und die jungen Mädchen nur erfahren, was vorgefallen ist. Man braucht nur hübsch seyn, zum Fürsten zu gehen, und bei ihm zu klagen, so schreiben Se. Durchlaucht dem Mädchen einen Erlaubnißschein, durch Thür und Fenster so viele Liebhaber zu sich kommen zu lassen, als es nur will. Das wird eine schöne Kinderzucht werden! So hab' ich heute schon an drei Orten gehört.Wie, meine schöne Frau? Das hätte Jemand gesagt? Nicht möglich!“Warum nicht? Was wäre denn Unmögliches daran? Der Oberst hatte von dem reichen Baron ein Versprechen auf eine Pension von dreihundert Thalern jährlich bekommen. Dafür, hieß es, sollte er Emilien zu sich nehmen; denn das Mädchen zu heirathen, fiel dem Baron erst hinterher ein. Er wollte Emilien bei dem Herrn Obersten besuchen. Da war freilich keine Tante mehr, die ihn auffing, wenn er Nachts in das Fenster stieg. So stand es. Und nun geht auf einmal in der Stadt das Gerede, Se. Durchlaucht haben der Hausen befohlen, ihres Bruders Tochter schalten und walten zu lassen. Die Hausen ist eine Plaudertasche, und boshaft dazu. Da setzt sie sich hin, erzählt von Ihrer allerliebsten Karte und verdreht aus Bosheit den Sinn Ihrer Worte. Ich möchte immer in die Erde sinken, wenn ich solche schiefe Urtheile über Ew. Durchlaucht hören muß.Der Fürst runzelte die Stirn. Aber, wer mich kennt – und meine Unterthanen kennen mich ja –, der wird doch wissen, daß ich kein toller Tyrann bin, der den Eltern in ihre Erziehung greifen will!“Ja, wer kennt Sie denn so, wie ich!Was konnte ich denn anders thun? Das Mädchen redete wie ein guter Geist; der Oberst wie ein Buch. Ich hätte darauf schwören wollen, und will es noch, daß Emilie unschuldig ist.“O ja, das geb' ich zu. Wie gesagt, die Hausen ist boshaft und geitzig; sie mag das arme Mädchen genug gequält haben: denn sie wünschte sich den reichen Flaming zum Schwiegersohn. – Davon rede ich nicht; sondern von dem tollen Geschwätze, das in der Stadt auf Ihre Rechnung umherläuft. Ich habe mir heute schon das undankbare Geschäft gemacht, an drei Orte hin zu fahren, und dem Geschwätze laut zu widersprechen. Lassen Sie sich doch, sagte ich überall, von der Hausen die Karte Sr. Durchlaucht zeigen; eher müssen Sie nicht glauben.Nun, die Hausen wird das thun.“Das wird sie nicht. Hier ist die Karte. Es hat mir Mühe genug gekostet, sie der Frau aus den Händen zu schwatzen.Der Fürst nahm die Karte und zerriß sie. Sie sind eine liebenswürdige Frau! Aber was ist nun anzufangen?“Das Böse wieder gut zu machen, so viel es sich thun läßt. Der Baron kann für jetzt Emilien schlechterdings nicht bekommen. Wer weiß im Grunde auch, ob er sie will! Der Mensch ist ein Narr, und ich glaube, ein böser Mensch obendrein.Das glaube ich nicht, meine Liebe. Ein Narr, das gebe ich zu, mit seinen Menschen-Racen. Aber ein Mann, der den Armen so viel Gutes thut, und jedem Unglücklichen Hülfe und Schutz giebt, ist kein Bösewicht, gewiß nicht! Gäbe doch der Himmel, daß alle meine Unterthanen solche Bösewichter wären; ich wollte viel mit ihnen ausrichten!“Nun, Emilien kann er fürs erste doch nicht bekommen, oder Sie beleidigen Ihr Kabinet, Ihr Konsistorium, und, was noch schlimmer wäre, sich selbst. Die ganze Stadt weiß, was erst vor einigen Tagen geschehen ist.Freilich wohl, es ist ein fataler Handel. Ich wollte, der Baron hätte das Mädchen, und ich wäre aus dem Spiele.“Auch muß er sie haben; denn warum sollte man das Mädchen, dem hämischen Neide der Frau von Hausen zu gefallen, nicht glücklich machen? Aber nur jetzt nicht. Bleibt Emilie hier, so hat der Baron ja Ihre Einwilligung. Er entführt das Mädchen vor den Augen der Tante, und beruft sich dabei auf Sie. Was wollen Sie dann machen?Ei, die Frau von Hausen wird ja ein Mädchen hüten können! Nur so lange, bis die Sache sich verblutet hat.“Da dauert mich wieder das Mädchen, das die Hölle in dem Hause haben würde. Doch lassen Sie mich nur machen. Die Tante muß ihren Willen nicht haben, und Ihr Wort soll gerettet seyn.Sie sind wahrhaftig die klügste Frau von der Welt. Machen Sie nur, Liebe, daß Niemanden wehe geschieht. Jede Klage meiner Unterthanen scheint mich zu treffen; und wenn ich es bedenke, so ist es auch so: denn bin ich nicht der Fürst, der Vater des Landes? Hören Sie, daß ja Niemanden wehe geschieht!“Der Fürst war, wie diese Unterredung deutlich zeigt, ein recht guter, obgleich ein sehr schwacher, Mann. Auch umgaben ihn keine Bösewichter; nur Menschen, und in manchem Betrachte sogar gute Menschen. Selbst Frau von Koch war nicht schlecht. Man hatte Mühe gehabt sie in des Fürsten Arme zu liefern. Seitdem sie sich ihm auf vieles Zureden einmal ergeben hatte, betrachtete sie sich als seine Gattin, und war ihm pünktlich treu. Aus diesem Gesichtspunkte her hielt sie sich selbst für das züchtigste Weib im ganzen Fürstenthume. Sie konnte Beleidigungen ertragen; doch war sie unversöhnlich, wenn man ihre Tugend nur in den geringsten Zweifel zog. Aber nie mischte sie den Fürsten unmittelbar in ihre Händel. Sie nutzte sein Ansehen, um sich zu rächen; doch schonte sie dabei seiner Ehre. Der Fürst wußte das, und setzte um so größeres Vertrauen in sie.Der Baron hatte sie eine H..e“ genannt. Das glaubte sie um so fester, da er sie, wie jede Brünette, in Gesellschaften sehr nachlässig behandelte. Was Wunder, daß sie alles aufbot, den ersten Wunsch des Barons, Emiliens Besitz, zu vereiteln! Aber, dachte sie, die arme Emilie! Nun ich halte sie ja dadurch schadlos, daß ich sie von ihrer bösen Tante wegbringe. Mit ihrem Gesichte und ihrer Figur bekommt sie noch immer einen Mann, der klüger ist, als der Baron. Hier bleiben kann sie nun einmal nicht; ich muß sie dem Fürsten aus den Augen schaffen.Am folgenden Tage machte die Tante Hausen der Frau von Koch ihren Gegenbesuch, und hörte von ihr, daß der Fürst es gern sähe, wenn Emilie entfernt würde. Die Tante hatte nichts dagegen; nur bat sie, Emilien gut zu halten, weil sie doch ihres Bruders Tochter wäre. Frau von Koch lächelte, und sagte ein wenig boshaft: seyn Sie unbesorgt. Ihre Nichte soll wenigstens nichts verlieren.“Nun wurde ein Plan verabredet, von dem selbst Jettchen nichts wissen sollte. Am nächsten Morgen mußte diese einen Besuch machen, und Frau von Hausen ging mit Emilien spazieren. Vor dem Thore begegnete Frau von Koch diesen Beiden, und lud sie auf ihr Gartenhaus ein. Man unterhielt sich sehr angenehm, und Frau von Koch bat nun beide Damen zu Tische. Die Tante konnte nicht, weil sie in Gesellschaft mußte; Emilie aber blieb, mit ihrer Genehmigung.Sobald die Koch, in der That eine sehr liebenswürdige Frau, mit Emilien allein war, fing sie an mit ihr zu plaudern, machte sie treuherzig, ließ sich erzählen, und vergoß wirklich aufrichtige Thränen des Mitleidens. Bald drückte sie die arme Verlassene an ihre Brust, streichelte ihr die Wangen, und trocknete ihr die Augen; kurz, nach einer Stunde hatte sie Emiliens ganzes Herz.Beide aßen allein in einem Kabinette von Rosensträuchen. Seyn Sie heiter, liebe Emilie, sagte Frau von Koch; hier wird Ihnen nichts zu leide geschehen. – Ach“, erwiederte Emilie, könnte ich hier, oder an irgend einem andern Orte der Erde, der so schön wäre, wie dieser, immer leben!“ – Frau von Koch schloß das Mädchen in ihre Arme, und sagte: höre, liebe Emilie, sey meine Tochter, – oder meine Schwester, was du am liebsten willst. Du bist sechzehn Jahre, ich sechs und zwanzig. Das ist kein großer Unterschied. Schwester also. Oder willst du lieber Tochter? – Tochter!“ stammelte Emilie; und die Frau von Koch hatte eine Thräne im Auge. – Nun wohl, meine Liebe. Also von nun an meine Tochter! ... Deine Tante, gutes Kind, haßt dich. Sie glaubt, du habest Jettchen um den reichen Baron gebracht; und das vergiebt sie dir nie. Seit vorgestern war freilich alles in einem ziemlich guten Geleise. Der Oberst Brensen hatte das Eis gebrochen. Aber, sag mir, liebst du wirklich den Baron so innig? Dann wäre mein Plan nicht viel werth.Emilie antwortete gutmüthig: ich liebe ihn; denn er wollte mich ja von der Sklaverei meiner Tante befreien. Ach, gnädige Frau!“Mütterchen, willst du sagen.Mütterchen, Sie liebt jedermann; aber ich Arme, ich hatte auf der weiten Welt keinen Menschen, der mich liebte, der zu meiner Rettung nur einen Finger bewegt hätte. Glauben Sie mir, Mütterchen, manchmal war ich beinahe überzeugt, der Himmel müsse sich meiner annehmen und mir einen Retter schicken. Ach, wie will ich ihn lieben! dachte ich. Da kamen der Baron und der Oberst. – Sie wissen es nicht; nein, Sie können es nicht wissen, wie einer Verlassenen ist, wenn sie nun endlich Jemanden findet, der ihr Liebe zeigt.“Die Frau von Koch trocknete sich die Augen. Beinahe hätte der Baron gesiegt; sie wankte schon sehr stark.Sehen Sie“, fuhr Emilie fort; meine Tante verdrehet mir alles. Ich hatte den Baron von ungefähr auf dem Weidendamme getroffen; und nun, o Gott! nun schalt sie mich ein liederliches Mädchen, nannte mich öffentlich so. Denken Sie nur!“Der Entschluß der Frau von Koch wurde wieder fest. Der Narr, dachte sie, hat mich eine H..e geheißen; er soll sie nicht haben! Er soll nicht! Eine krummbeinige H..e! Hat der Narr meine Beine je gesehen?Ja sieh, liebes Töchterchen, wie es steht. Der Baron ... Gut, ich will glauben, daß er dich liebt. Aber heirathen? Ich zweifle, ob es gehen wird. Der Fürst hat es ihm schlechterdings untersagt; und wenn er es auch jetzt, da er dich kennt, erlauben wollte, so kann er doch nicht gut, eben weil er es verboten hat. Die Hausen dringt mit aller Gewalt darauf, daß der Baron dich nicht haben soll. Was läßt sich nun machen? Es ist ein dummer Handel. Und zu jung bist du im Grunde auch wohl. Nach einigen Jahren, freilich, da ließe sich eher etwas thun. Aber du willst nicht warten.Emilie erröthete. Nicht warten, liebste Mutter? O, sagen Sie das nie wieder! Warten will ich noch zehn Jahre, ja Lebenslang, wenn ... wenn ich ... nur nicht mit der Tante leben muß.“Gut, liebe Emilie; so fasse einen raschen Entschluß. Aber Kind, schweigen mußt du; oder du machst mich unglücklich!Schweigen wie das Grab, liebste, gütigste Mutter.“Ich habe heimlich ein Gut gekauft in der schönsten, angenehmsten Gegend der Welt. Da will ich meine Tage beschließen. Vielleicht ziehe ich bald, sehr bald dorthin, oder bin gezwungen es zu thun. Dahin geh, Emilie. Baue, verschönere das Paradies, das du dort finden wirst. Ich habe dort einen Verwalter, und weiß nicht, ob er mir treu ist, noch weniger, ob er die Unterthanen drückt. Sey die Aufseherin des Mannes, und die Mutter der Armen und Unglücklichen. Bringe alles in Stand. Ich hoffe und fürchte (setzte sie mit Thränen hinzu), ich werde dir bald nachkommen ... Du sollst alles erfahren, Emilie (fuhr sie nachdenkend, und mit niedergeschlagenen Augen fort); denn auch ich bedarf Liebe. Du kennst den Fürsten. Der Staat gab ihm eine Gemahlin; die Liebe gab ihm ein Weib, mich. Ach! ich liebte ihn, und liebe ihn noch. Ich zittre vor dem Augenblicke, da der Tod oder seine Untreue ihn von mir trennen wird; und doch kann dieser Augenblick schon nahe seyn. Gott Lob! ich habe nie einen Menschen beleidigt, nie die Gelder des Staates verschwendet, nie jemanden gedrückt. Aber dennoch weiß ich, daß ich verachtet und gehaßt seyn werde, so bald er stirbt, oder aufhört mich zu lieben. Auf diesen Fall, Emilie, habe ich mir das Gut gekauft, sogar ohne des Fürsten Wissen. Dort will ich einst meine Thränen verbergen. Dorthin, Emilie, geh, daß ich dann eine Freundin finde, an deren Busen ich weinen kann.Frau von Koch, die jetzt einen von ihren schwärmerischen Augenblicken hatte, zerfloß bei diesen Worten in Thränen, drückte Emilien an ihr Herz, küßte sie, und war außer sich. Emilie hing, wie alle Unglücklichen, auch ein wenig zur Schwärmerei hin, und weinte mit ihrer schönen Mutter. Ja“, sagte sie: ich will hin; Sie sollen dort ein Paradies finden, und ein Herz, das keine andere Freude kennen wird, als Sie zu erheitern.“Die Domestiken nahmen nun das Essen ab, und man plauderte von dem Wetter. Nach dem Kaffee überlegte man alles gehörig. Die Erlaubniß deiner Tante habe ich, Emilie. – Und der Baron, und der Oberst?“ – Schreib ein Billet, und nimm darin auf einige Jahre Abschied. So hast du obendrein den Vortheil, die Treue deines Geliebten prüfen zu können.“Frau von Koch mahlte die letzte Vorstellung noch aus, und Emiliens warme Phantasie ergriff sie lebhaft. Ja“, sagte diese, ich werde, wenn er mir treu bleibt, die seltene Gewißheit haben, daß er mich wirklich liebt. Aber, Mütterchen, wenn der Baron nun glaubte, mein Billet wäre erzwungen! Er trauet meiner Tante alles zu; sie könnte also Verdruß davon haben.“Beide waren jetzt zu allen romantischen Planen gestimmt. Frau von Koch schlug vor, und fand bei Emilien keinen Widerspruch. Sie ließ einen Miethswagen holen. Emilie stieg am Thor ein, hielt ein von ihr geschriebenes Billet in der Hand, und fuhr vor des Barons Haus. Ein sehr treuer Bursche der Frau von Koch, der, in einem Ueberrocke, hinten auf dem Wagen stand, ging hinein. Herr Baron, eine Dame will Sie auf einen Augenblick sprechen. Sie hält unten im Wagen vor der Thüre.“ Der Baron sprang hinunter. Emilie lächelte ihm aus dem Wagenfenster zu, und reichte ihm die Hand, die er küßte. Sie gab ihm ihr Billet mit den Worten: lesen Sie das, Herr Baron, und folgen Sie mir nicht.“ Nun fuhr der Wagen schnell wieder weg. Der Baron sah ihm nach, bis er verschwand, und ging dann langsam auf sein Zimmer. Es war Emilie! rief er dem Obersten entgegen; und hier ist ein Billet von ihr. Er riß es auf, und las:Ich verlasse Sie auf einige Zeit, mein theuerster, großmüthiger Freund: freiwillig; denn ich brachte Ihnen mein Lebewohl selbst. Seyn Sie nicht unruhig meinetwegen; ich bin glücklich. Sie lieben mich, und ich kenne keine größere Freude, als Ihnen die Treue aufzubewahren, die Ihnen mein Mund und mein Herz jetzt freiwillig geben. Von meinem zweiten Vater, dem Obersten, nehme ich mit Thränen Abschied. Sagen Sie ihm, daß ich zufrieden leben werde, bis mein vollendetes Glück mich Sie wieder finden läßt. Wir sehen uns wieder. Ihre treue Emilie.“Der Baron konnte vor Stammeln das Billet kaum auslesen. Was, in aller Welt, ist das? rief der Oberst. Wo war sie? wer saß bei ihr im Wagen? – Der Baron erzählte. – Ganz allein? So hat man sie nicht gezwungen, das Billet zu schreiben. Aber warum verläßt sie uns? – Jedes Wort in dem Billet wurde nun abgewogen, untersucht; doch man kam damit nicht weiter.Emilie war nun wieder zu der Frau von Koch gefahren, und diese hatte während der Zeit alles Nöthige zu ihrer Reise besorgt. Nachts um zwölf Uhr stiegen Beide in den Wagen: die Frau von Koch in schwermüthigem Nachdenken; Emilie mit fröhlichem Herzen, weil die schönsten Bilder eines freien, heiteren, dem Wohlthun gewidmeten Lebens in bunten Farben vor ihrer Seele schwebten.Als der Morgen anbrach, fand Emilie einen kleinen Wagen, der voraus gegangen war, und trennte sich nun von ihrer Freundin mit heißen Thränen. Sie fuhr, in Begleitung eines alten Bedienten, den die Frau von Koch in Ruhe setzen wollte, mit Postpferden weiter, und die letztere kehrte zurück.Niemand in der Stadt konnte errathen, wo Emilie geblieben war. Nun wird mir der Oberst Brensen wieder zusetzen!“ sagte der Fürst verdrießlich zu der Frau von Koch. Das arme Mädchen muß sich aus einem Winkel in den andern werfen lassen, weil Sie eine Grille im Kopfe haben!“Der Oberst wird Ihnen nicht zusetzen! Für Sie und Ihre Ehre habe ich gesorgt, so viel es mir auch gekostet hat. In acht Tagen sollen Sie einen Brief von Emilien lesen, woraus Sie sehen werden, daß sie ganz gern in dem Winkel ist, in den ich sie gestoßen habe. Meine Grille führte ich aus, um mir tausend andere zu ersparen, wozu ich leicht hätte Anlaß bekommen können. Es ist alles so besser. Wir, die Hausen, ich, und Emilie selbst, sind zufrieden; es wäre doch seltsam, wenn Sie allein unzufrieden wären. – Der Fürst schwieg, las wirklich nach acht Tagen einige Worte von Emilien, war zufrieden, und – vergaß sie.Der Baron allein und der Oberst waren unzufrieden. Ha! sagte dieser eifrig; dahinter steckt etwas. Emiliens Entschluß wegzureisen, kommt nicht von ihr selbst; sie ist viel zu einfach, um solche seltsame Einfälle zu haben. Ich setze meinen Kopf daran, die Tante ist im Spiele.Sie soll es gewiß verlieren! Ich will nicht eher ruhen, als bis ich Emilien finde.“ So sprachen Beide bis um Mitternacht hin. Am folgenden Morgen setzte sich der Baron zu Pferde, und sprengte die Straße hinunter, die Emilie gefahren war, zum Thor hinaus. Nicht weit davon theilte sich der Weg. Der Baron legte, weil er keine Gründe zur Wahl hatte, seinem Pferde den Zügel auf den Hals; und es ging gerade aus. Nun fragte er jeden Menschen, der ihm begegnete, ob er nicht einen Wagen mit einem Frauenzimmer gesehen habe; galoppirte hinter jeder Kutsche her, die er bemerkte, sah in jedes Kutschfenster, und – erfuhr nichts.So ritt er acht Tage auf allen Landstraßen die Kreuz und Quer, und erregte bei seinem Reitknechte den Argwohn, es müsse mit seinem Kopfe nicht richtig seyn. Abgemattet kam er endlich wieder zurück, und rief dem Obersten betrübt zu: ich habe sie nicht gefunden!“ – Wo haben Sie Emilien denn gesucht?“ – Ueberall; in jedem Wagen, dem ich begegnete.“ – Aber Sie müssen doch irgend eine Vermuthung gehabt haben, der Sie nachgeritten sind; sonst ...Nein, die hatte ich freilich nicht. Mein Engländer wird an den Kreuzzug denken! ... Sie ist verloren!“Jetzt theilte der Oberst ihm seine Vermuthungen mit. Er hatte Lieschen auf Kundschaft ausgesandt, und durch sie erfahren, daß Frau von Koch bei der Hausen, und dann diese wieder bei der Frau von Koch, gewesen war. Lieschen wußte auch, daß beide Damen mit großem Eifer von Emilien gesprochen hatten. Dann war Emilie mit ihrer Tante spazieren gegangen, und seitdem nicht zurückgekommen. Nun wurde der Miethkutscher ausgefragt. Er hatte das Fräulein vor dem Neuthore abgeholt, und es auch wieder auf eben die Stelle hingefahren. Vor diesem Thore lag das Gartenhaus der Frau von Koch, und Emilie hatte da gegessen. Frau von Koch war in der Nacht verreist, und erst am Mittage zurückgekommen. Wohin aber? das konnte man nicht heraus bringen, weil der Kutscher, der sie gefahren hatte, völlig verschwiegen war. Kurz und gut, sagte der Oberst, Frau von Koch hat Emilien weggebracht.Sehen Sie nun wohl?“ rief der Baron. Dachte ich es doch! Die Frau hat pechschwarzes Haar, dicke Lippen, eine ganz Slavische Nase, einen Fuß, so klein wie eine Chinesin, und Zähne wie Alabaster!“Aber zum Teufel, die Tante! Was hat denn die? Blondes Haar, und gar keine Zähne!Aber dicke Lippen, und einen Leib wie eine Trommel. Sie ist eine Spielart, wie eine Schecke.“Warum hatte denn aber die Allerwelts-Slavin, die Koch, nicht den gehörigen natürlichen Respekt für Emiliens edle Celten-Natur? He?Keinen Respekt? Hat sie es denn gewagt, Hand an Emilien zu legen? Ueberlistet wurde das arme Mädchen, daß sie mich freiwillig verließ. Gewalt würde sie gegen Emilien nie gewagt haben.“Nun, bei Gott! brummte der Oberst vor sich; einem Thoren fehlt es doch nie an einer Antwort! ... Meinetwegen! sagte er laut. Die Frau von Koch soll zuweilen Anfälle von Großmuth haben, und sie alsdann sehr weit treiben. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, und Emilien liebte, ich suchte die Freundschaft der Frau zu gewinnen.Ja, liebster Oberst, das will ich!“Und lassen Sie das ewige Schimpfen auf schwarzes Haar, und so weiter. Bis jetzt haben Sie Sich dadurch nur Feinde gemacht.Der Baron versprach, weil er Emilien liebte, was der Oberst verlangte. Er drängte sich in alle Gesellschaften, wo er die Frau von Koch zu finden hoffen konnte, bezeigte ihr viele Aufmerksamkeit, und hütete sich vor allen Ausfällen gegen schwarzes Haar und volle Busen. Frau von Koch näherte sich dem Baron nach und nach, zumal da Emiliens schwärmerische Briefe fast nur ihn betrafen. Sie machte auf einmal die Bemerkung, daß Flaming kein so übler Mann wäre, als man ihn ihr geschildert hätte. Und wie schnell that sie ihm Schritte entgegen, als sie ihn einmal eine ihr sehr wichtige Meinung mit unverstelltem Enthusiasmus vertheidigen hörte!Man sprach von einem jungen Manne, der ein Mädchen ohne Vermögen und von geringer Herkunft geheirathet hatte. Der Mensch ist ein Narr! hieß es. Aber ich sehe doch nicht“, sagte Flaming, warum er ein Narr seyn soll.“ Man setzte alle Gründe auseinander. Wie?“ rief Flaming mit Eifer; deswegen? Bei Gott! Sie müssen hier eine sonderbare Vorstellung von der Ehe haben. Wenn ich bedenke, was die Ehe nach den heiligen Gesetzen der Natur, die sie den edleren Völkerstämmen tief in die Seele drückte, seyn soll, so muß ich behaupten, daß tausend förmlich kopulirte Paare nicht in der Ehe leben. Der heirathet, um ein Haus zu machen; der, um bequeme Tage zu haben; jener aus politischen Gründen; dieser aus Geitz; ein Anderer, um in eine mächtige Familie zu kommen; Tausende, weil es Mode ist; Tausende aus Wollust. Sind das Ehen? Wenn man sie so nennt, bei Gott! so mißbraucht man einen der heiligsten Nahmen. Werfen Sie Ihre Augen auf die elendesten Völker der Erde. Sie heirathen alle aus eben diesen Gründen: die Mongolen, um Sklavinnen an ihren Weibern zu besitzen; die Morgenländer, ihre thierische Wollust zu befriedigen, oder um Nachkommen zu hinterlassen; die Amerikaner aus Trägheit, oder um doch auch ein Weib zu haben, wie Andre, so kalt sie auch sind. Lesen Sie den Gumilla oder den Charlevoix darüber. So sind die Ehen der allerverächtlichsten Völker auf dem Erdboden: von Eitelkeit, Hochmuth, Geitz, Tyrannei und Wollust gestiftet. Darum herrscht dort auch die Vielweiberei, und hier, wo man die Sitten dieser elenden Menschen nachahmt, die Untreue. Nein, die heilige, sanfte Flamme reiner Liebe, gegenseitiger Achtung und Freundschaft, das uneigennützige Vertauschen der Herzen gab die Natur nur ihren Lieblingen, den edelsten Menschen. Bei denen fragt der Mann seine Geliebte nicht: welchen Rang hast du? wie groß ist dein Vermögen? wirst du Kinder gebären können? hast du Reitze, die Wollust zu befriedigen? Er schauet dem holden, sittsamen Mädchen durch das Auge in die Seele, und fragt nur: bist du edel gesinnt wie ich? hast du die Tugend der edelsten Menschen? fließt dein Blut so rein wie das meinige durch dein Herz? liebst du mich, um mir alles in der Welt aufopfern zu können, das Scepter über die Erde für eine Hütte, in der ich lebe? Antwortet das Mädchen ihm Ja, schlingt es den Arm um seinen Hals, und drückt ihn an die keusche Brust, so ist die Ehe geschlossen. Die Natur beugt sich lächelnd und segnend auf die Liebenden herab; und dies ist die einzige wahre Ehe, im schönsten Sinne des Wortes. So heiratheten unsere edelsten Vorfahren; und darum wohnten Keuschheit, Zufriedenheit, Freiheit und Tugend mit ihnen in ihren Eichenwäldern.“Aber unsere Vorfahren verboten ja die Mißheirathen. Kein Adeliger durfte eine Bürgerliche zur Gattin nehmen.Ganz recht. Aber damals enthielt der Adel den edelsten Menschenstamm, und war vollkommen tugendhaft. Doch wie ist er jetzt von seiner Höhe herabgesunken! Man sieht ja ...“ Hier brach er ab; er wollte sagen: eben so viele Schwarzköpfe unter dem Adel, als Blondköpfe unter den Bürgern. Doch zum Glück dachte er an die Frau von Koch, die ihm mit großem Wohlgefallen zuhörte. – Jetzt“, fuhr er fort, wohnt die Tugend überall; und wohl dem, der sie zu finden weiß! Nach den Gesetzen der Natur könnte jetzt ein Fürst sein Herz einem Bauernmädchen anbieten; und die Natur, die Vorsehung, die Vernunft, alle Schutzgeister der Menschen würden diese Ehe rechtfertigen.“Frau von Koch erröthete vor Freude. Ja, dachte sie triumphirend, so ist es; so bin ich des Fürsten Weib, und die Fürstin ist – die Fürstin. Von diesem Augenblicke an war des Barons Glück bei ihr beschlossen. Sie schrieb an Emilien ganze Seiten voll, über den guten, liebenswürdigen Flaming; und sie hätte sogleich Emilien wiederkommen lassen, wenn ihr nicht die Vorstellung schwer geworden wäre, das Mädchen, das sie wirklich liebte, zu verlieren. Der Baron rückte täglich in ihrer Gunst so sichtbar vorwärts, daß er selbst die schönsten Hoffnungen faßte. Frau von Koch fing sogar schon freiwillig an, mit ihm von Emilien zu sprechen. Sie scherzte mit ihm, zeigte ihm mitunter schon, wenn er mit ihr allein war, einige Zeilen aus Emiliens Briefen; und diese Zeilen machten seine Liebe noch stärker: denn Emilie sprach von ihm mit einer Schwärmerei, wie ein reines Herz voll Liebe und Dankbarkeit sie immer hat. Er schrieb schon an den Obersten, der wieder abgereist war, sein Triumphlied. Aber auf einmal brach er selbst allen Umgang mit der Frau von Koch ab. Er war kalt, mißtrauisch gegen sie, und überlegte jetzt alles, was er ihr sagte, äußerst sorgfältig. Frau von Koch drang in ihn: er sollte ihr sagen, womit sie ihn beleidigt hätte; aber er zog dabei allemal die Stirn kraus, und schwieg.An den Obersten schrieb er: Liebster Oberst, ich habe meinen Umgang mit der Frau von Koch, von dem Sie Sich so viel versprachen, aufgeben müssen. Sie ist viel zu wollüstig, als daß ich ihr je trauen könnte. Ich habe sie einmal beleidigt; und ein Wollüstiger ist durchaus unversöhnlich. Emilien erwarte ich von der Hand des Schicksals, von ihr selbst, und von ihrer Liebe zu mir. Warum soll ich auch aus den Händen einer elenden Buhlerin ein Geschenk annehmen, das sie nur beflecken kann? Nein, ich traue jedem Menschen, nur dem Wollüstlinge nicht; er kann nicht vergeben. Ich trage geduldig, mit Fassung; aber Emilie ist mein: das fühl' ich wie mein Daseyn.“Was den Baron auf einmal so umgestimmt hatte? Er las, ich weiß nicht in welchem Buche: übergebogene Nägel auf den Fingern von sehr todtenweißer oder blauer Farbe, wären ein untrügliches Zeichen von der Liederlichkeit eines Weibes.“ Jetzt nahm er in jeder Gesellschaft, so viel er nur konnte, die Hände aller Mädchen, und besah die Nägel auf ihren Fingern sehr aufmerksam. Fast überall glaubte er todtenweiße oder blaue Nägel zu finden, und erstaunte nun über die Zügellosigkeit der Sitten unter dem weiblichen Geschlechte. Hm!“ sagte er, wenn von einem Mädchen die Rede war: ihre Unschuld ist dahin; denn ihre Nägel, ihre Nägel!“ Das wurde bekannt. Nun liefen die Mädchen vor dem Baron, als ob er die Pest hätte. Die jungen Herren machten es ihm nach; und seitdem trugen die Mädchen in Gesellschaften Fingerhandschuhe: nicht aus bösem Gewissen, sagten sie; aber wer will sich immer taxiren lassen!Der Baron hatte auch die Nägel der Frau von Koch besehen, und sie übergebogen, sehr todtenweiß gefunden. Er sagte nichts, und dachte bloß: Hm! bei der ist es kein Wunder; sie ist eine Slavin, und muß also wollüstig seyn. Wenn doch nun der Oberst noch hier wäre, und mit eignen Augen sähe, wie mein System so gänzlich zutrifft!“Der Baron hatte jetzt keine schlechtere Meinung von der Frau von Koch als vorher. Aber er las gerade damals Cromwells Leben. Die Freunde dieses Usurpators riethen ihm, sich mit Karln II. zu vergleichen, ihm die Hand seiner Tochter und mit ihr die Krone zu geben. Cromwell überlegte den Vorschlag sehr lange. Nein“, sagte endlich dieser Kenner des menschlichen Herzens: nein, Karl Stuart wird mir nie verzeihen; auch wenn er wollte, auch wenn er es verspräche. Er ist unversöhnlich, und ich darf ihm nie trauen; denn er ist ein Wollüstling.“ Der Baron begriff nicht, warum ein Wollüstling unversöhnlich seyn müsse; aber eben darum hatte diese Maxime so großen Reitz für ihn, und er wünschte sich eine Gelegenheit, sie wieder anzubringen. Jetzt dachte er an die übergebogenen Nägel der Frau von Koch. Nein“, sagte er; ich kann ihr nie trauen: denn sie ist ein wollüstiges Weib!“, und so brach er allen Umgang mit ihr ab.Vielleicht wäre dennoch alles gut gegangen, wenn er nur hätte schweigen können. Man fragte ihn um die Ursache seines Bruches mit der Frau von Koch. Er äußerte, was er dem Obersten geschrieben hatte: ich habe die Frau von Koch einmal beleidigt. Sie ist, wie ihre Nägel beweisen, wollüstig, und also durchaus unversöhnlich. Traue ihr, wer will; ich nicht!“Ein junger Mann, der sich einbildete, daß der Baron Flaming durch die Frau von Koch ein Amt suchte, welches er selbst gern haben wollte, wußte ihr diese Aeußerung zu hinterbringen. Man denke an ihre Empfindlichkeit in dem Punkte! Daß dieses Urtheil von dem Baron herrühre, daran konnte sie nicht zweifeln; denn sie erinnerte sich genau, daß er auch ihre Nägel besehen hatte. O, dachte sie; der elende Heuchler! Erst nennt er mich eine reine, unschuldige Seele, meine Verbindung mit dem Fürsten eine Ehe, welche die Natur mit lächelnden Blicken heilige; und jetzt? – Der elende Bösewicht geht umher, und nennt mich ein liederliches Weib, eine wollüstige Kreatur. Nein, er soll Emilien nicht haben!Sie verbarg nun ihren Haß gegen den Baron gar nicht mehr, sondern zeigte ihn öffentlich. Hierauf hatten seine zahlreichen Feinde nur gewartet, um ihm allen ersinnlichen Verdruß zu erregen. Er mochte nun thun, was er wollte; alles wurde schief ausgelegt und verlästert. Der Baron schrieb an den Obersten:Wie sehr hatte ich Recht, daß ich mich von der Koch trennte! Ein wollüstiges Weib ist unversöhnlich. Alles hat sich gegen mich verschworen. O, Sie glauben nicht, wie viel Slavisches Blut hier fließt! Und wenn ich noch nicht von meinem System überzeugt gewesen wäre, so würde ich es jetzt seyn. Die Koch mit ihrem schwarzen Haare, der Geheimerath mit seinem dicken Bauche, Jettchen mit ihrem Lappländischen Busen, und die Hausen mit ihren Negerlippen machen mir so viel Verdruß, daß ich meines Lebens nicht mehr froh werde. Wehe! wehe! daß die Slaven in Deutschland eindringen mußten! Wenn mich Emilie nicht hielte, glauben Sie mir, ich zöge heute nach Biscaya oder Asturien, und schlüge meine Hütte dort auf, wo jeder, auch der Viehhirt, ein Edelmann ist; ich zöge in eins von den beiden Ländern, in denen man das Celtische Blut noch allein unvermischt und rein antrifft, so rein, wie es vielleicht vor Jahrtausenden in den Adern der Einwohner vom Kaukasus floß: unter die Menschen, die Spanien seinen Stolz nennt, unter die edlen Biscayer. Ach, jetzt sehe ich erst, wie recht Sie einmal hatten, als Sie in Scherz sagten: man sollte jede Ehe zwischen einem Blondkopf und einem Schwarzkopf als Blutschande verbieten; und jeden Mann, der Mongolische Kennzeichen an sich trüge, ließe ich, wenn ich Fürst wäre, in meiner Kapelle Diskantsänger werden. Das wäre Aufklärung, wahre Menschlichkeit; und wenn nun einmal stehende Heere nothwendig sind, so müßte in meinem Lande jeder Schwarzkopf Soldat werden. Sie bewundern jetzt den großen König; ich bewundre ihn mit Ihnen. Aber betrachten Sie seinen Kopf, sehen Sie seine himmelblauen, großen, schön gespaltenen Augen, sein blondes Haar, seine edle Nase; dann werden Sie den Muth begreifen, womit er seine Feinde besiegt, und die Weisheit, womit er seine Völker glücklich macht. Er ist ein reiner Celte. Leben Sie wohl. Ich bleibe Emilien treu: das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.“Den Entschluß, die Residenz zu verlassen, hatte Flaming schon gefaßt; nur wußte er noch nicht, wohin er sich wenden, und was er unternehmen sollte. Er machte tausend Plane, und verwarf sie alle wieder. Eines Abends fiel ihm beim Lesen eines Buches folgende Stelle in die Augen: C'est à la campagne, que les écrivains acquièrent plus de noblesse et d'élevation dans les idées, deviennent plus forts et plus touchans; c'est-là que se developpent toutes les forces de l'âme 1). Diese Stelle wirkte mit großer Gewalt auf ihn. Er stützte den Kopf in die Hand, und las sie noch dreimal. Schon längst war er Willens gewesen, seine Ideen über die verschiednen Menschen-Racen zu Papier zu bringen, und hatte sogar schon angefangen; aber es fehlte ihm an Erhabenheit, und seine Ideen blieben so kalt. Hier wurden ihm nun Stärke, Rührung und Erhabenheit versprochen. Verwirrte Bilder eines philosophischen, ruhigen, gelehrten Lebens auf dem Lande, erhellt von dem Glanze eines unsterblichen Ruhms, flogen durch seinen Kopf. Aber“, dachte er, da wird dich niemand sehen, als die wenigen Bauern, die nicht wissen, wer du bist; die in dir nur ihren Gutsherrn, und nie den Mann achten, der die größte Revolution auf der Erde bewirken will: nehmlich das Laster, den Aberglauben in ihren Quellen zu verstopfen, und die Reinheit des menschlichen Geschlechtes wieder herzustellen.“ Er schüttelte traurig den Kopf, und las weiter: Enseigner la saine morale, combattre la superstition et le fanatisme, ruiner de vieux préjugés, rendre les hommes respectables! quel bien peut faire un philosophe à la campagne, s'il réunit un esprit juste à un cur honnête! 2) Dieser Schlag traf auch sein Herz, das so reitzbar für alles Gute war, und es entstand ein fröhlicher Tumult in seiner Seele. Er sah sich schon als den Schutzgeist von Hunderten guter Menschen, die ihn anbeteten, weil er sie ihren Werth fühlen und glücklich seyn gelehrt hatte. Ja!“ rief er entzückt; ich will die Welt unterrichten, und ihr zugleich ein Beispiel geben, wie man die Menschen glücklich machen soll!“ Sein Entschluß, die Residenz, worin er lebte, zu verlassen, wurde fest. Er verkaufte in aller Geschwindigkeit das Gut, das er in dem Fürstenthume geerbt hatte, weit unter dem Werthe, nahm sich kaum die Zeit seine Sachen in Ordnung zu bringen, packte seine Bücher, Todtenköpfe, Papiere und Instrumente ein, machte keine Abschiedsbesuche, und reiste in aller Stille nach seinem Geburtsorte ab, den er nun in sechs Jahren nicht gesehen, und den auch seine Mutter fast zu gleicher Zeit mit ihm verlassen hatte, weil sie Theils bei der Frau von Graßheim in Berlin, Theils auf einem ihr gehörigen Landhause in Schlesien leben wollte.An einem schönen September-Abende kam er vor dem Dorfe an, und dachte mit leuchtenden Augen: da wohnen die Menschen, die ich glücklich machen will!“ Er ließ den Wagen halten, und stieg aus, um durch das Dorf zu gehen. Gleich an dem ersten Hause begegnete ihm ein Bauerbursche mit blondem Haar und blauen Augen. Das nahm er als ein gutes Vorbedeutungszeichen auf. Er blieb stehen, und sah dem Burschen nach. Ist es nicht abscheulich?“ rief er laut, und schlug die Hände zusammen. Diese Menschen mit den Kennzeichen der edelsten Abkunft, geboren zu Glück durch Tugend, Weisheit und Selbstgefühl ihres Werthes, leben, um die schönsten Anlagen ihrer Seele unter niederdrückenden Arbeiten zu tödten! ... Aber“, rief er noch lauter, es soll anders werden!“Die Fenster in den Hütten öffneten sich, und man betrachtete den Fremden, der auf der Gasse mit sich selbst sprach. Flaming nickte jedem Gesichte einen freundlichen Gruß zu, und ging langsam weiter. Jetzt kam ihm ein Mädchen, die hübscheste Blondine im ganzen Dorfe, entgegen. Er erstaunte; denn sie hatte alle Zeichen der edelsten Abkunft an sich: eine schlanke Gestalt, einen Griechischen Busen, ein feines Gesichtchen, einen edlen Gang mit kleinen Schritten, und eine Kleidung von hellen Farben. O!“ sagte er so laut, daß die Blondine es beinahe hörte: der Himmel gebe mir hier zehn solche weibliche Geschöpfe, und ich trotze mit ihnen einer Welt voll Slaven!“Das Mädchen sah seine bedeutenden Blicke, und wollte ihm ausweichen; er trat ihr aber in den Weg, sah sie lächelnd an, umfaßte ihren schlanken Leib, und sagte dann, wie entzückt: Liebes, liebes Mädchen!“ Sie erröthete und wand sich aus seinen Armen. Recht, recht! liebes Deutsches Mädchen!“ rief der Baron, und ließ sie los; ich ehre die keusche Unschuld deiner Seele. Du bist vom edelsten Adel, mein Kind!“ – Sie sah ihn mit großen Augen an. Ich von Adel? fragte sie lächelnd, und wollte gehen. – Ja, von Adel!“ sagte Flaming, und ergriff ihre Hand. Wie heißest du, mein Kind?“ – Rosine Herrmann, antwortete das Mädchen verschämt. – Herrmann? Herrmann? Richtig! Alles stimmt zusammen; auch der Nahme. Herrmann! Dein Gesicht kann deine Geburt nicht verläugnen. Dein Vater, Mädchen, sage ich dir, ist vom edelsten Adel, edler als du glaubst. Du denkst, er ist ein Bauer; aber ich sage dir ...“ Das Mädchen entschlüpfte ihm, und ging in ein nahes Haus.Ist der Mensch ein Narr?“ fragte der Besitzer dieses Hauses Rosen. Du von Adel? Nahme und Gesicht stimmten zu? Dein Vater wäre ein Edelmann?“ – Ei, sagte Rose, der Mensch ist nicht gescheidt.Man sah dem Baron nach, und er blieb wohl noch zehnmal bei der Jugend seines Dorfes, besonders bei der weiblichen, stehen. Die Bauern in den Fenstern und vor den Thüren schüttelten die Köpfe über den Fremden, der während dessen immer auf den Edelhof zu ging. Nach einer halben Stunde wußte das ganze Dorf, daß der Fremde, der heute alle Mädchen angehalten hatte, Quinctius, der junge Baron, wäre. Jetzt wurde das Kopfschütteln der Bauern noch stärker und allgemeiner. Alle Nachbarn traten zusammen. Väter und Mütter fanden an der Freundlichkeit des gnädigen Herrn gegen ihre schlanken Töchter gar kein Behagen; und die jungen Bauerkerl, die vorher gelacht hatten, noch weniger. Aber am größten war die Unruhe bei Rosens Eltern. Rose hatte ihr Gespräch mit dem Baron ihrer Mutter erzählt; der Bauer, der es mit angehört hatte, ihrem Vater. Dieser stützte den Ellbogen auf den Tisch, und schüttelte bedenklich den Kopf. Rosens Vater soll ein Edelmann seyn? Herrmann? So heißt kein Anderer hier im Dorfe. Das ist doch seltsam!“ Er sprach mit seiner Frau darüber. Sie läugnete, daß der Baron so etwas gesagt habe. Das vermehrte seinen Argwohn, und brachte ihn in Hitze. Läugne nur nicht!“ rief er; ein Hurkind hat er Rosen geheißen. Veit hat es gehört. Nahme und Gesicht, hat er gesagt, träfen zu. Ein Edelmann, hat er gesagt, wäre ihr Vater!“ Die Mutter weinte und schimpfte; der Vater fluchte und lärmte. Auch Rose weinte; und nun kam ihr Bräutigam zu dieser Scene. Schon sein Gesicht sagte ihr, er wolle mit ihr zanken, daß sie sich von dem Edelmanne auf öffentlicher Straße habe in die Arme nehmen lassen. Kurz, die ganze Gemeinde dachte nichts weniger, als daß ihr Edelmann auf das Land gekommen sey, sie glücklich zu machen; und wo unser Baron, der am Abend spät noch einmal durch das Dorf ging, auf einen Bauer traf, da sah er auch ein kaltes, mürrisches Mißtrauen in dessen Gesichte. Die Mädchen aber liefen vor ihm, als ob er die Pest an sich hätte. Er konnte keine von allen Blondinen mehr zur Sprache bringen, und freute sich über ihre keusche Zurückgezogenheit, ohne an ein Verbot der Eltern und der jungen Bauerburschen zu denken.So bald er die nöthigen Einrichtungen zu seinem häuslichen Leben gemacht hatte, stellte er sich an das Fenster, und sah mit einer sehr fröhlichen Miene auf die Hütten herunter, die in dem blassen Lichte des Herbstabends ruhig vor ihm lagen. Tausend verworrene Bilder, Plane und Wünsche drängten sich vor seine Seele. Mit wohlwollenderem Blick und Herzen hat vielleicht nie ein Herr auf die Wohnungen seiner Unterthanen herabgesehen, als jetzt Flaming; und mit mehr Widerwillen haben wohl nie Unterthanen an ihre Herrschaft gedacht, als jetzt die seinigen.Genug“, rief Flaming endlich den Hütten zu; ich will euch glücklich machen. Euch habe ich meine heiße Begierde nach Ruhm und nach Ehre aufgeopfert! Euer Glück soll mein Stolz seyn; und wenn mein Nahme nur in diesen Hütten mit dankbaren Thränen der Freude genannt wird, so mag die übrige Welt immerhin nicht wissen, daß ich gelebt habe!“Diese so wohlthuenden Gefühle der Liebe gaben seinem Herzen eine stolze Fröhlichkeit. Er ging heiter im Zimmer auf und nieder, und sah entzückt rings umher, als ob er unter seinen glücklichen Unterthanen ginge. Und der Welt will ich zeigen“, rief er jetzt stillstehend, mit einem stolzen Lächeln, zu welchem hohen Grade der Vollkommenheit der Mensch steigen kann, wenn ein fühlendes Herz, wenn die Weisheit sich seiner annimmt.“ Der Zuwachs dieser Idee, von der Welt bewundert zu werden, hob seine Empfindung, so hoch sie steigen konnte. Er warf sich sogleich an den Schreibtisch, um nachzudenken, wie seine Unterthanen glücklich zu machen wären. Alles“, rief er, nachdem er eine halbe Stunde den Kopf gestützt hatte, alles beruhet im Grunde doch darauf, der Natur zu folgen. Sie zeichnete den Weg zum menschlichen Glücke so deutlich vor; und nie hat ein Philosoph einen andern finden können. Es kommt nur darauf an, meine theuren Unterthanen zum Gefühl ihres hohen Werthes zu bringen; sie zu der Vollkommenheit zu heben, welche der edelste Menschenstamm erreichen kann; alles wegzuschaffen, was Sitte der unedleren Slaven, oder gar Verderbniß Mongolischer Nationen ist. Nachkommen von Wenden, Polen, Böhmen, Russen oder andern Slavischen Nationen werden, leider, gewiß noch unter meinen Unterthanen seyn!“Er erinnerte sich jetzt, daß er sogar schon einige Bauern mit schwarzen Köpfen, Stutznasen, starken Backenknochen, oder krummen Beinen gesehen hatte. Wohl!“ rief er; auch sie sind da, um glücklich zu seyn. Ich will diesen versäumten Kindern der Natur ein zärtlicher Vater werden, und sie veredlen, ohne meinen Unterthanen von besserem Stamme zu schaden. Meine und deine Kinder, Emilie, sollen dann nur noch wenige Tropfen unedles Bluts aus meinem Dorfe wegzuschaffen haben!“Nun brachte er an seinem Schreibtische die halbe Nacht damit zu, einen Plan auszuarbeiten, wie er seine Unterthanen glücklich machen könnte; und hiermit wollte er schon den nächsten Tag anfangen. Er hatte den Justizamtmann ganz früh zu sich bestellen lassen; und am Morgen studierte er noch auf eine kleine Rede an ihn. Seine Theorie von den Menschen-Racen, ganz kurz gefaßt, lag bereit, daß er sie dem Amtmanne sogleich mittheilen könnte. Darin waren alle körperliche und moralische Kennzeichen der Menschenstämme angegeben, und es ließ sich nun mit einem Blick übersehen, was für Reformen noch auf dem Gute zu machen wären.Endlich wurde der Amtmann gemeldet. Flaming eilte, mit seinen Papieren in der Hand, mit geöffneten Lippen, auf die Thür zu. Sie ging auf; und ein kleiner, dickbäuchiger Mann mit schwarzem Haar, schwarzen Augen, und einem spitzen Kinne, trat ihm mit einigen tiefen Verbeugungen entgegen.Der Plan von Glückseligkeit, der groß und lebendig in Flamings Seele lag, schrumpfte, als er den Dickbauch erblickte, über die Hälfte zusammen. O weh!“ sagte er laut, und wendete sich, durch den ganz unerwarteten Anblick allzu sehr überrascht, unmuthig von ihm ab. Der Justizamtmann, der erst seit einigen Jahren hier stand, folglich den Baron noch nicht kannte, und ihm, nach den Erzählungen der Bauern im Dorfe, wenigstens keinen Glückseligkeitsplan für seine Unterthanen zutraute, war schon ohnedies sehr verlegen in das Zimmer getreten. Er wurde noch verlegener, als der Baron sich mit einem: o weh!“ von ihm wendete. Indeß fing er doch an zu reden, und wünschte dem Baron Glück zu seiner Ankunft. Seine Verlegenheit stieg aber mit jeder Minute, da Flaming keine Sylbe sagte, sondern mit krauser Stirn bald ein Papier, das er in der Hand hielt, bald ihn sehr starr betrachtete. Flaming konnte nicht antworten; denn er hatte nichts gehört. Er sah mit Verdruß, daß er dem Amtmanne seine Theorie von den Menschenstämmen nicht mittheilen konnte, ohne ihm wehe zu thun, weil an ihm selbst die meisten Kennzeichen einer Slavischen Abkunft in die Augen fielen.Wissen muß ich es doch, dachte er mit Kopfschütteln; und so fragte er auf einmal: was für ein Landsmann sind Sie, Herr Amtmann?“ Zu gleicher Zeit fing er an den Kopf des Mannes mit dem Kosaken-Schedel, der nebst andern Todtenköpfen schon ausgepackt war und auf dem Tische stand, zu vergleichen. – Ein Sachse, Herr Baron. – Flaming schüttelte den Kopf, und sah auf den Schedel. Aber Ihre Vorfahren?“ – Aus Preußen. – Hm! ganz recht! ganz recht! Das konnte nicht anders seyn!“ sagte Flaming, und lächelte, daß seine Theorie sich so gut hielt. Er ging einen Augenblick im Zimmer umher, und nickte sich freundlich Beifall zu. Dann zeigte er auf den Kosaken-Kopf, und sagte: das hab' ich wohl gedacht; das hab' ich wohl gedacht!“Der Amtmann folgte dem zeigenden Finger des Barons, bemerkte die Todtenköpfe, und wurde noch verlegner. Flaming hatte in diesem Augenblicke seinen Plan vergessen, und lächelte sehr freundlich, daß seine Theorie sich so richtig bewährte.Nicht wahr, Herr Amtmann“, fuhr er mit funkelnden Augen und einem gutherzigen Tone fort: Sie essen gerne fette, öhlichte Speisen? nicht wahr, ich hab' es erraten?“Der Amtmann erröthete, weil er die Frage für Spott über seinen Bauch hielt, und verbeugte sich mechanisch.O, ich will Ihnen wohl noch mehr sagen, Herr Amtmann“, fuhr der Baron sehr eifrig fort. Sie trinken lieber warme Getränke als kalte: nicht wahr? – Sie mögen Kleider von dunklen Farben lieber leiden, als von hellen: nicht wahr? Sie tragen gern weite Beinkleider: nicht wahr?“Der arme Amtmann, der ohnedies nicht zu den Dreistesten gehörte, hatte bei diesen Fragen, von denen er auch nicht das Mindeste begriff, fast die Besinnung verloren. Er wollte etwas sagen; es wurde aber nur eine Verbeugung daraus. Diese hielt der Baron für ein Ja. Nun legte er dem Amtmanne die Hand auf die Schulter, fuhr fort, und sah dabei von Zeit zu Zeit in sein Papier. Hören Sie nur zu, Herr Amtmann: Sie sind eifersüchtig, sehr eifersüchtig. Und“ – er sah wieder in sein Papier nach einem neuen Kennzeichen des Slavischen Völkerstammes – Sie sind doch verheirathet? ... Nun – seyn Sie einmal aufrichtig – Sie legten einen eingebildeten Werth auf die Jungferschaft Ihrer jetzigen Frau.“Aber, gnädiger Herr ... fing der Amtmann erröthend an, und konnte nicht endigen. Der Baron fuhr fort. Sie rauchen gern Taback, starken Taback? Und dann, nicht wahr: Sie sind ein Freund von starken Getränken?“Der Amtmann, der den Baron immer in das Papier blicken sah, glaubte bei ihm verläumdet zu seyn. Er unterbrach ihn hier: Trinken, gnädiger Herr, ist mein Fehler nicht. Zum Beweise dient meine feste Gesundheit; ich bin noch niemals in meinem Leben krank gewesen.Recht, recht!“ rief der Baron noch erhitzter; auch das hab' ich gewußt.“ Um den Amtmann zu überzeugen, daß er es wirklich gewußt habe, ließ er ihn auf dem Papiere folgende Worte sehen: er wird nie oder selten krank; und wird er es einmal, so bedarf er keiner Arzeneimittel. Die Natur ist sein Arzt; denn er hat sehr viel thierische Lebenskraft.“ ... Ist es nicht mit Ihnen so, wie es hier steht?“Jetzt versank der Amtmann in ein Erstaunen ohne Gleichen. Er war fest überzeugt, das Er auf dem Papiere solle ihn bezeichnen, da es doch nichts anders als der Slave bedeutete. Den letzten Umstand, der ihm vorgelesen war, gestand er ein, und erwartete nun ängstlich, was für Beschuldigungen diese Denunciation noch weiter enthalten würde.Der Baron glühete vor Freude, daß seine Hypothese so bestätigt wurde; allein auf einmal fiel ihm sein Glückseligkeitsplan in die Augen. Er legte seine Theorie von den Menschen-Racen hin, kreuzte die Arme über einander, seufzte tief, und sagte langsam: es ist doch Schade, sehr Schade!“Gnädiger Herr, was denn? fragte der Amtmann, dem der Muth bei des Barons Freundlichkeit gewachsen war. Was ist denn Schade?Daß Sie, daß Ihre Vorfahren aus Preußen abstammen, daß ... daß ... Sie können ein ehrlicher Mann seyn, Herr Amtmann, und ich wollte darauf schwören, daß Sie es sind; aber ...“Man hat mich verläumdet, Herr Baron! sagte der Amtmann mit einer Art von Heftigkeit.Verläumdet?“ Jetzt erst merkte Flaming, was der Amtmann von seinen Fragen denken mußte. Seyn Sie ruhig, Herr Amtmann“, sagte er mit Güte. Ich meine wahrhaftig nichts Uebles. Es sollte mir nahe gehen, wenn ich Sie beleidigt hätte; denn was können Sie für die Aehnlichkeit?“ Er sah aufs neue den Kosaken-Kopf an.Flaming suchte wirklich – so gutherzig war er – ein Mittel, den Mann zu rechtfertigen. Vielleicht, dachte er, war seine Mutter eine Deutsche; und dann ist er doch halb ein edler Celte. Wo stammt denn Ihre Mutter her?“ fragte er jetzt; doch gewiß aus Deutschland!“Nein, sie war eine Polin.Ei, so hol's der Henker!“ rief der Baron. Eine Polin? Ich wollte, daß ... Nun, zu ändern ist es nicht. Lassen Sie es gut seyn! Sie können nicht dafür, und ich eben so wenig.“ Mit diesen Worten ging er heftig im Zimmer auf und nieder, und brummte von Zeit zu Zeit: eine Polin! Hol's der Henker!“Der Amtmann wurde von Sekunde zu Sekunde verlegener, und dem gutherzigen Baron, der es bemerkte, ging seine Verlegenheit nahe. Er trat von neuem freundlich zu ihm hin, um ihm so schonend als möglich die Ursache seines Verdrusses zu entdecken. Sehen Sie, lieber Herr Amtmann“, fing er zutraulich an; ich bin hieher gekommen, meine Unterthanen so glücklich zu machen, als Menschen es nur seyn können. Mein Herz empfindet tief, unter welchem Elende, welchen Bedrückungen der edle menschliche Geist erliegt. Glückliche Zufälle und ein anhaltendes Studium haben mich mit den Hauptursachen des menschlichen Elendes, und mit den wahren Mitteln, ihnen abzuhelfen, bekannt gemacht. Ich bin reich genug, es mit allen Hindernissen aufzunehmen.“ (In dem Laufe dieser Ideen vergaß er, daß er einen Slaven vor sich hatte. Der Glückseligkeitsplan füllte seine Seele, und die Augen leuchteten ihm von Gutherzigkeit.) Ich will“, fuhr er mit erhobener Stimme fort, der Wohlthäter meiner Unterthanen seyn. Sie sollen mich wie ihren Vater lieben. Ihrer Glückseligkeit habe ich eine Laufbahn voll Ehre, eine heiße Leidenschaft, ein Leben voll Bequemlichkeit, voll der feinsten Freuden, auf die mein Stand, mein Reichthum und meine Verbindungen mit den größten Gelehrten mir Ansprüche gaben, aufgeopfert; ich will die stillern und ruhigern Freuden, welche Unschuld, Einsamkeit, Verborgenheit und die Natur geben, mit meinen Unterthanen theilen, und ihre Glückseligkeit soll meine einzige Belohnung dafür seyn. Sie, Herr Amtmann, müssen das Vertrauen belohnen, das ich Ihnen schenke, indem ich Ihnen einen Theil von der Glückseligkeit meiner Unterthanen anvertraue; Sie müssen mit mir gemeinschaftlich arbeiten, denken, wachen und ausführen. Meine Unterthanen sind meistens des höchsten menschlichen Glückes fähig; denn sie sind meistens reine Deutsche. Ich, Herr Amtmann, und Sie selbst ...“Auf einmal schwieg er mitten in dem feurigsten Strome seiner Beredtsamkeit. Er wollte sagen: Sie selbst sind ein Deutscher; und nun fiel ihm ein, daß ein Slave vor ihm stand. Er sah den Amtmann mit einer Miene an, die ihn und auch seine Unterthanen bedauerte.Der Amtmann war während der kleinen Anrede wieder zu sich selbst gekommen. Er nickte freundlich mit dem Kopfe, sann schon hin und her, welche Vorschläge er seinem enthusiastischen Edelmanne zum Wohl der Bauern zuerst thun wollte, und sagte, da der Baron nun schwieg, sehr gutherzig: Was ich zur Ausführung Ihrer edlen Absichten thun kann, gnädiger Herr, will ich sehr gern thun. Ihr Vertrauen ist mir sehr schmeichelhaft.Legen Sie mir nur nichts dabei in den Weg“, erwiederte Flaming mit einer so empfindlichen Kälte, daß dem Amtmanne das Wort zwischen den Lippen blieb. Der Baron machte eine Verbeugung. Der Amtmann dankte Gott, als er im Freien war, ging augenblicklich zu dem Prediger hin, und fluchte unterweges von Herzen auf den tollen Baron, der ihn so geängstigt hatte.Nun? wie haben Sie unsern jungen gnädigen Herrn gefunden?“ fragte der Prediger; und dessen Schwester kam bei dieser Frage aus dem Nebenzimmer hervor. Ja, wie hab' ich ihn gefunden! antwortete der Amtmann mit gerunzelter Stirn. Bei Verstande kann er unmöglich seyn, unmöglich; denn so durch einander spricht kein vernünftiger Mensch. Entweder hat er mich zum Narren gehabt, oder ich bin bei ihm verläumdet. Sehen Sie, diesen Augenblick ist er so freundlich, wie ein Mensch nur seyn kann, und spricht wie ein Buch; aber dann fährt er unvermuthet auf, man weiß nicht warum, und thut Fragen, als ob er nicht bei Sinnen wäre.Ja, sagte des Pastors Schwester; es wird wohl ein Wildfang seyn, der keinen Menschen ungeneckt lassen kann. Gestern hat er ja alle Mädchen angehalten.Das kann wohl seyn, erwiederte der Amtmann; ein Paar Aeußerungen von ihm klangen nicht sehr ehrbar. Er sagte mir mit einem spöttischen Lachen: ich sey eifersüchtig; und hernach hielt er sich darüber auf, daß meine Frau noch Jungfer gewesen wäre, als ich sie geheirathet hätte. Glauben Sie mir, wir werden unsere Noth mit ihm haben. Er sagte mir ins Gesicht, ich tränke.Es soll indeß ein gelehrter Mann seyn“, sagte der Prediger.Nun so hat er den Verstand wegstudiert. So etwas muß es auch seyn. Er hatte drei oder vier Todtenköpfe auf dem Tische stehen. Jetzt sprach er von anhaltendem Studium und von Verbindungen mit den größten Gelehrten; und dazwischen wieder das tollste Zeug.Der Amtmann ging sehr verdrießlich nach Hause. Der Prediger schüttelte schweigend den Kopf, und zog sich an, um selbst zu dem Baron zu gehen. So eben wollte er weg, als Flaming zu ihm kam.Das Herz schlug dem Baron, als der Amtmann von ihm gegangen war. Er fühlte, daß er den Mann beleidigt hatte, und daß er ihm Genugthuung geben mußte. Sogleich ging er nach dessen Wohnung, mit dem festen Vorsatze, seine Härte wieder gut zu machen und gar nicht an die Menschenstämme zu denken. Anstatt des Amtmannes, fand er dessen Frau, ein hübsches Weib, mit zwei liebenswürdigen Kindern, deren blondes Haar ihn völlig mit dem schwarzköpfigen Vater versöhnte. Er setzte sich bei ihr nieder, scherzte so vertraulich mit den Kleinen, und sagte der Mutter selbst so viel Gutes, daß diese ganz von ihm eingenommen wurde. Von ihr ging er, weil der Amtmann ihm zu lange ausblieb, zu dem Pfarrer, und traf diesen an der Thür.Auch bei dem war Flaming sehr artig und zutraulich. Mit ihm sowohl als mit seiner Schwester, einem liebenswürdigen Mädchen, das zwar dunkelbraunes Haar, aber doch blaue Augen hatte, schwatzte er so heiter und so unterhaltend, daß Beide nicht wußten, was sie von den Aeußerungen des Amtmanns denken sollten. Er war gegen Karolinen (so hieß das Mädchen) sehr bescheiden, und redete, als es eine Veranlassung dazu gab, von der Verführung und der Wollust mit einem so unverstellten Abscheu, daß sie anfing die Erzählungen der Bauern im Dorfe von gestern Abend zu bezweifeln.Genug, Beiden gefiel der Baron; und als sie Nachmittags den Amtmann besuchten, sprachen sie so einmüthig und so hitzig gegen dessen Behauptungen und Zweifel, daß er schweigen mußte.Flaming war unterdessen zu dem festen Entschlusse gekommen, die Theorie, auf welche er das Glück seiner Unterthanen gründen wollte, gänzlich zu verschweigen; denn überall traf er auf Umstände, die ihn dazu nöthigten.Der Amtmann war ein förmlicher Slave. Der Prediger hatte zwar blondes Haar und blaue Augen; allein in der Stunde, die der Baron mit ihm zugebracht, und in der er bei ihm über seine Hypothese ganz von weitem hingehorcht, hatte er auch bemerkt, daß der Mann steif und fest an eine gemeinschaftliche Abstammung des Menschengeschlechtes von Adam glaubte, und, was noch mehr war, diese Meinung mit seltener Gelehrsamkeit zu verfechten wußte. Trotz der Gelehrsamkeit des Predigers aber, und trotz dem schwarzen Haare, dem Slavischen Kinne und Gesichte des Amtmanns, würde Flaming dennoch mit seiner Hypothese auf den Kampfplatz gerückt seyn, wenn ihn nicht die Furcht, des Pastors Schwester zu beleidigen, davon abgehalten hätte. Er konnte sich nicht läugnen, daß an Karolinen manches Zeichen eine Slavische Abkunft verrieth; aber diese Slavischen Eigenthümlichkeiten standen dem Mädchen so gut, daß bei einem andern Manne, als unser Baron, dadurch die ganze Hypothese in Gefahr gerathen wäre.Flaming traf Karolinen in dem ungekünstelten Morgenanzuge. Ihr dunkelbraunes Haar ringelte sich auf einem weißen Halse so schön, daß in der That das blondeste diese Wirkung nicht hätte hervorbringen können. Ihr Busen war voll, wie ihre ganze Gestalt etwas üppig; ihr Arm und ihre Hand schön geformt und fleischig; ihre Lippen rosenroth und wie zum Kusse gewölbt; und über ihren Lippen stand ein hübsches Stutznäschen, das ihr Gesicht äußerst witzig machte. Wuchs und Gesicht, Arm und Busen waren nicht Celtisch, das sah Flaming wohl; aber – wie es zuging, das mag die Natur verantworten, die schon mehreren Systemen böse Streiche gespielt hat – er heftete seine Blicke mit Wohlgefallen auf diese reitzende Slavische Figur; und in manchem Augenblicke hätte er für alle Schätze der Welt ihr nicht Eins von allen diesen Zeichen eines unedlen Geschlechtes nehmen lassen. Dabei war Karoline sehr heiter. Sie lachte und plauderte, wenn sie einmal hineinkam, ohne Aufhören fort; aber sie zeigte beim Lachen einen Mund voll so schöner weißer Zähne, und beim Plaudern wurden Auge und Gesicht so angenehm lebendig, daß der Baron keinen Blick von ihr wendete, ob er gleich Plaudern, Lachen und sehr weiße Zähne ebenfalls für Zeichen einer unedlen Abkunft hielt. Kurz, er konnte schlechterdings nicht mit seinem System hervorrücken, weil es ihm unmöglich war Karolinen zu beleidigen. So entschloß er sich denn, die Glückseligkeit seiner Bauern ganz in der Stille zu gründen, ohne seine Theorie bekannt werden zu lassen; und damit machte er unverzüglich den Anfang.Den nächsten Tag ließ er die Hausväter und Hausmütter des Dorfes auf den großen Saal in seinem Schlosse zusammen kommen. Mißtrauisch standen die Alten in einem engen Kreise da, und flisterten mit einander. Noch mißtrauischer waren die jungen Männer junger hübscher Weiber; sie sahen jedem Bedienten, der durch den Saal ging, bedenklich nach. Endlich kam der Baron. Guten Tag, meine lieben Freunde und Kinder!“ sagte er mit einem zutraulichen Tone. Aber da war kein Blick, der ihm antwortete, kein Mund, der seinen Gruß erwiederte.Der Baron trat mitten unter die Bauern, und auf sein Winken schlossen sie einen Kreis um ihn her. Ich habe“, fing er freundlich an, die Stadt verlassen, meine Freunde, um in eurer Mitte glücklich zu seyn und mein Leben unter euch zu beschließen. Hier bin ich nun: nicht, wie viele meines Gleichen, euch zu drücken, eure Ernten durch meine Jagden zu zerstören; nein, euch glücklich zu machen. Ich verlange nichts von euch, als daß ihr meinem Rathe folgt, der nur auf euer Glück abzweckt. Um gleich meine Ankunft in eurer Mitte durch eine Wohlthat zu bezeichnen, will ich einigen von euch die Frohndienste erlassen, die ihr mir zu thun schuldig seyd. Ihr könnt leicht denken, daß ich Gründe haben muß, warum ich sie nicht allen erlasse; aber ich hoffe, daß es bald in meiner Gewalt stehen wird, gegen jeden von euch gleich gütig zu seyn.“Die Bauern, die das nicht erwartet hatten, sahen einander an und schwiegen, besonders als sie bemerkten, mit welcher Aufmerksamkeit der Baron sie alle, vorzüglich aber die jungen Weiber, betrachtete.Jetzt ließ sich der Baron das Dienstbuch bringen, und es mußte ein Hausvater nach dem andern mit seiner Frau herzutreten, wie ihre Nahmen im Buche folgten. Er betrachtete jedes Paar sehr lange, und schrieb dann etwas auf ein Blatt Papier. Es war eine Todtenstille im Saale, so lange die Musterung währte.Der Baron untersuchte bei jedem Paare ganz genau die Kennzeichen ihres edleren oder unedleren Ursprunges, um die Größe seiner Wohlthat darnach abzumessen. Er war vollkommen überzeugt, daß alle Menschen von unedleren Stämmen keine Ansprüche auf die Rechte und Freiheiten der edlen Celten machen könnten; ja, auch davon, daß die Slavischen Bauern seine Wohlthaten nur mißbrauchen würden. So hatte er denn an den Frohndiensten einen Zaum, mit dem er die unsittlichere Natur der Schwarzköpfe bändigen konnte. Es lag ihm sehr viel daran, diesen Unterschied gleich Anfangs fühlbar zu machen, damit der bedeutendste Theil seines Planes, die Heirathen zwischen den edleren und unedleren Menschen auf seinem Gute zu hindern, desto leichter auszuführen wäre.Jetzt las er die Nahmen der Glücklichen, denen er alle Frohndienste erlassen wollte, laut vor. Man kann leicht denken, daß es nur Blondköpfe mit blauen Augen waren. Den Köpfen mit braunem Haar erließ er die Hälfte, und allen Schwarzen doch etwas; nur bei Einem, der ein gar zu negerartiges Gesicht hatte, schüttelte er wohl zehnmal den Kopf, und erließ ihm gar nichts.Der Amtmann, welcher gegenwärtig war, um der Handlung gerichtliche Kraft zu geben, schüttelte den Kopf eben so oft als der Baron. Er sann hin und her über die Ursachen, die der Baron haben könnte, diesem zu erlassen und jenem nicht; aber er sann nichts heraus. Der alte Mann mit dem Negergesichte trat endlich bescheiden an den Tisch, und fragte den Baron mit bebender Stimme: was hab' ich denn Böses gethan, Ihr Gnaden, daß Sie mich vor der ganzen Gemeinde beschimpfen? Ich bin ein ehrlicher Mann, und seit zwanzig Jahren hier Schulze im Dorfe. Ihr hochseliger Herr Vater gab mir das Zeugniß der Ehrlichkeit dadurch, daß er mich zum Schulzen machte. Ich verlange keinen Erlaß meiner Dienste: denn Sie sind Herr zu schenken, wem Sie wollen; aber, Ihr Gnaden, bitten kann ich Sie doch wohl, daß Sie erklären, ob Sie mich für einen ehrlichen Mann halten, oder nicht.“Der Baron gerieth in Verlegenheit, als der Amtmann und die Gemeinde unaufgefordert dem Schulzen das beste Zeugniß gaben. Er war überzeugt, daß er diesem Negergesichte kein Unrecht gethan haben konnte; und doch erhob sich in seinem Innern eine Stimme, die für den Alten sprach. Also erklärte er öffentlich, daß er nichts gegen den Schulzen habe. Mehr wollte dieser nicht. Er schlug es sogar, doch ohne alle Bitterkeit, aus, als der Baron ihm eben so viel erlassen wollte, wie den übrigen Schwarzköpfen.Nun stand Flaming auf, und erklärte der Gemeinde noch zuletzt, daß er ihr eine Bedingung bekannt machen würde, die jeder beobachten müßte, wenn er die Freiheit auf seinem Gute behalten wollte. Die Bedingung ist nicht schwer, meine Freunde“, sagte er. Es ist eine Kleinigkeit, welche nichts als die natürliche Ordnung der Familien betrifft.“ Die Blonden dankten jetzt dem Baron, und die Schwarzhaarigen schüttelten die Köpfe. Der Baron verließ zufrieden den Saal, und alle Bauern gingen mit mannigfaltigen Gedanken und Empfindungen nach Hause.Die Schwarzköpfe blieben auf dem Kirchhofe stehen, und sahen mit finstern Blicken den Blondköpfen nach, die fröhlich zu ihren Hütten eilten. Was meint Ihr dazu? fragte ein Alter. Wie nennt Ihr das? – Alle kamen überein, daß der Baron sehr partheiisch wäre. Man ging die Lebensläufe der Blondköpfe durch, und fand schlechterdings keine Ursachen darin, die sie zu dem so ausgezeichneten Vorzuge berechtigten. Warum aber hat der Baron den Unterschied gemacht? fragte jeder. Es kamen so viele Hypothesen zum Vorschein, als Schwarzköpfe da waren; allein jede hatte ihre Schwierigkeiten. Einige meinten, die andere Parthei müsse sie verläumdet haben; aber das war nicht möglich: denn niemand hatte den Baron vorher gesprochen. Kurz, man stritt, man erhitzte sich, ohne etwas auszumachen, und am Ende ging jeder Schwarzkopf, mit Erbitterung gegen Flaming im Herzen, nach Hause.Auch die Blondköpfe nahmen die Ursache ihres Glückes in Ueberlegung, und brachten eben so wenig heraus. Indeß sie ließen es dahin gestellt seyn, und waren zufrieden. Natürlicher Weise erregte die Partheilichkeit des Barons auf der einen Seite Neid, auf der andern Stolz; und noch denselben Abend brachen ein Paar Weiber los. Die Brünette schrie der Blonden zu: ja, du hast eine hübsche Tochter; und wir wissen wohl, daß der Baron schon den ersten Tag freundlich mit ihr gesprochen hat. Eine Hand wäscht die andere; und wer giebt, will haben. Hätte ich eine hübsche Tochter, ich dürfte auch nicht mehr zur Frohne. Da, Herrmann ist auch los davon, und Veit und Richter. O, der gnädige Herr weiß wohl: wer fahren will, muß schmieren. Herrmanns Rosen hat er ja vor aller Menschen Augen in die Arme genommen; mit Richters Trinen hat er vor der Scheune geschwatzt, und Veits Dorthen sogar über den Steig geholfen. O ja, verkauft ihr nur euer Fleisch und Blut um Sündengeld! Wir wollen sehen, wer am weitsten kommt.Dieses Geschwätz der Weiber traf; denn so viel war richtig: die Eltern aller der Mädchen, mit denen der Edelmann die beiden Tage hindurch freundlich gesprochen hatte, waren unter der Zahl der Glücklichen. Die Töchter der Schwarzköpfe hingegen hatte er nicht angesehen, wenn sie ihm auch begegnet waren. O, man sieht es ja, hieß es schon den andern Tag im Dorfe allgemein: den Vätern schenkt der Baron die Frohndienste; aber die Töchter sollen sie bezahlen. Pfui, das Sündengeld!Obgleich diese Erklärung von des Barons Partheilichkeit auf keine Weise durch ihn selbst bestätigt wurde (denn alle Mädchen sahen sehr bald, daß sie vor ihm völlig sicher waren): so blieben dennoch die Schwarzköpfe bei ihrer Behauptung, weil sie auf solche Art wenigstens ihre Rache an den Blonden befriedigten.Die Bedingung, welche der Baron nun bekannt machte, vergrößerte die Erbitterung noch mehr. Sie setzte nehmlich fest, daß jeder, dem die Frohndienste erlassen waren, sogleich dieses Vorrecht wieder verlieren sollte, wenn er in eine Familie heirathete, welche dieses Vorrechtes nicht genösse. Der Baron hatte dabei eine doppelte Absicht: einmal, seine Celtischen Unterthanen unvermischt zu erhalten; und dann, durch Vortheile und Wohlthaten junge Blondköpfe aus den benachbarten Dörfern anzulocken, daß sie die schwarzköpfigen Mädchen seines Dorfes heiratheten, und so das Slavische Blut veredelten.Unmöglich konnten die Schwarzköpfe diese Verachtung mit Geduld ertragen. Der Haß gegen den Baron und gegen die glücklichen Blonden wurde glühend. Es kam zwischen beiden Theilen zu Neckereien, zu Händeln, zu Stößen, und zuletzt zu Schlägen. Natürlich waren die Schwarzköpfe allemal die Anstifter der Schlägereien; natürlich folgte die bürgerliche Strafe des Amtmanns; natürlich vergrößerte das den Triumph der einen, und den Haß der andern Parthei; und eben so natürlich wurde der Edelmann in seinem Glauben bestärkt, daß die Schwarzköpfe durch ihre Organisation mehr zu Lastern geneigt, und von unedlerer Natur wären, als die Blondköpfe, weil jene immer den Streit anfingen, und sich in ihrer Rache gar nicht mäßigen konnten. O“, sagte er, als ihm der Amtmann wieder einen Bericht von einer neuen Schlägerei brachte, da streiten die Philosophen schon Jahrtausende über die Ursachen der Freiheit und des Despotismus, über den Sklavensinn der Asiaten, und über das unauslöschliche Gefühl der Freiheit in der Brust der Europäer, über die Grausamkeit, den unbeugsamen Trotz so mancher Völker, und über die Humanität, die Lenksamkeit andrer; und hier, in meinem Dorfe, ist das Räthsel aufgelöst. Wohlthaten und Freiheiten sind die Bewegungsgründe zu allem Guten für meine edleren Unterthanen; und Kerker und Schläge können die wenigen Nachkommen eines unedleren Stammes nicht bändigen. Zufälle, sagen die Philosophen. Organisations-Unterschied, Racen-Unterschied, sag' ich. Da steckt es! Denn, Herr Amtmann“, – fuhr er eifrig fort, – hätte bei den Hindus, unter dem schönsten Himmel, wo die ganze Natur so sanft ist, der harte, dem Anscheine nach so unmenschliche, Casten-Unterschied entstehen können, wenn nicht die Natur selbst durch ihre Bildung der Menschen diese Scheidewand geheiligt hätte? Warum konnte sich der alte Deutsche Adel so hoch über die andern Stände erheben? Warum bestrafte Infamie die Verbindung eines Edeln mit einer Unedeln?“ – Es war doch hart! erwiederte der Amtmann. – Hart? Mit nichten, sage ich Ihnen. Der alte Adel hatte edleres Blut; eine edlere Organisation hob ihn empor, nicht Sitten, nicht Stolz, nicht Gebräuche. Warum sinkt jetzt der Adel immer tiefer? warum hat er die ehemalige große Verehrung verloren? An Stolz, an Ansprüchen darauf fehlt es ihm wahrhaftig nicht; aber die Unmöglichkeit stellt sich ihm in den Weg. Als der erste Adelsbrief für Geld gegeben wurde, war der Adel vernichtet. Edles Blut vermischte sich mit dem unedleren; es floß in alle Stände über, und mit ihm alle Tugenden des besseren Blutes. Das unedlere Blut hingegen mischte sich auch mit dem edleren: der Adel fühlte sich erniedrigt, und der unedlere Menschenstamm erhoben. O, glauben Sie mir, ich kenne nichts Abscheulicheres, als eine Mißheirath. Sie ist das größte, das einzige Verbrechen gegen die Natur. Aber, bei Gott! hier in meinem Dorfe soll es nicht Statt haben. Keine Mißheirath! das rath' ich Ihnen!“ – Mag er doch das halten, wie er will! dachte der Amtmann, der sehr wenig von des Barons Deklamation verstanden hatte, und gar nicht einmal daran dachte, daß er bei Mißheirath auch an seine Bauern denken könnte.Der Baron hatte Recht: täglich gab es Händel oder blutige Köpfe; und immerfort waren Schwarzköpfe die Anstifter. Er schärfte die Strafen für sie, und nahm sich der Blondköpfe bei allen Gelegenheiten an. Ja, er war parteiisch in der Gerechtigkeitspflege; denn er glaubte, daß einen Blondkopf ein Vorwurf, ein Tadel, eben so stark bestrafe, als einen Schwarzkopf acht Tage Gefängniß bei Wasser und Brot.Darüber nahm die Erbitterung der Schwarzköpfe, und der Stolz der Blondköpfe mit jedem Tage zu. Beide Partheien kamen nicht mehr zusammen, weder in der Schenke, noch auf den Feldern. Alle Verbindungen unter den Familien hörten auf, und der Unterschied zwischen beiden Arten wurde täglich größer, so wie man die Denkart des Edelmannes allmählig näher kennen lernte. Der Baron haßte alles, was den Wenden, Polen, oder Russen kenntlich macht. Die Blondköpfe, die ihren großen Vortheil dabei sahen, wenn sie die Wünsche ihres gütigen Herrn erfüllten, schafften nach und nach alles ab, was er nicht leiden konnte. Sie wählten zu ihrer Kleidung helle Farben; denn sie waren gewiß, daß der Baron ihnen dann die Hälfte der Kosten wiedergab. Die Mannspersonen trugen im Winter keine Schafpelze mehr; die Mädchen Röcke, welche wenigstens eine Handbreit länger waren, als sonst, und Schuhe mit hohen Absätzen. Sie suchten ihre Taille zu verlängern, schnürten sich fester, und machten, wenn sie gingen, kleinere Schritte. Der Baron war dafür bei allen Gelegenheiten ihr Wohlthäter. Er stellte Versuche an, den Schwarzköpfen eben diese Sitten angenehm zu machen; aber sie thaten gerade das Gegentheil, weil sie jetzt ein Mittel wußten, ihm Verdruß zu erregen. Die Mannspersonen dieser Parthei trugen sogar im Sommer Pelze und weite Beinkleider, und Schwarz wurde ihre Lieblingsfarbe. Die Mädchen machten ihre Röcke noch kürzer als sonst, banden sie hoch hinauf über die Hüften, und vergrößerten sowohl diese als den Busen durch eine Menge Röcke und Tücher über einander. Auch trugen sie ganz platte Schuhe.Sehen Sie doch nur!“ sagte der Baron zu dem Obersten Brensen, der ihn einmal besuchte, um etwas von Emilien zu erfahren. Finden Sie einen Blondkopf in meinem Dorfe, den Sie nicht sogleich auch an der Kleidung erkennen, so will ich mein System aufgeben. Ich bitte Sie, versuchen Sie es. Gehen Sie ein Paarmal im Dorfe auf und ab; und sind Sie dann nicht überzeugt, so will ich nie ein Wort mehr darüber verlieren.“ Der Oberst that das; und zu seinem Erstaunen sah er einen so auffallenden Unterschied in der Kleidung und dem Benehmen der Schwarz- und der Blondköpfe, daß er nicht mehr wußte, was er sagen sollte.Jetzt triumphirte der Baron sehr laut, und trieb seinen Satz so weit er konnte. Selbst die Zwietracht unter den beiden Partheien mußte zu seinem Triumphe beitragen. Die Natur hat sie getrennt“, sagte er, als er in Gegenwart des Obersten wieder Nachricht von Händeln unter beiden Partheien erhielt.Die Natur? erwiederte der Oberst; das ist nicht! das kann nicht seyn! Wie? die Natur, die unablässig das schöne Band der Liebe um alle Menschen zu schlingen bemühet ist, die Natur sollte hier Widerwillen, gegenseitigen Haß geschaffen haben und befestigen? Wenn das Wahrheit wäre, so hätte die Vernunft des Menschen nie etwas Schrecklicheres erdacht.Der Baron zuckte die Achseln. Der freien Vernunft“, sagte er mitleidig lächelnd, ist die schrecklichste Wahrheit lieber, als der angenehmste Traum.“Das mag seyn, erwiederte der Oberst, wenn ich streng, sehr streng beweisen kann: was ich glaube, sey Wahrheit. Ich bitte Sie, lieber Baron, bedenken Sie, was aus Ihren Sätzen folgt. Dem schrecklichsten Despotismus öffnen Sie Thor und Pforten. Sie erniedrigen Millionen Menschen auf einmal; rechtfertigen die Barbarei des einen gegen den andern; heiligen die Sklaverei, die Bedrückungen; setzen vielleicht auf zwei Drittel der Menschen das ewige, unauslöschliche Brandmahl der Leibeigenschaft, indem Sie die Natur zur Schöpferin der Sklaverei machen; Sie geben der Bosheit, der Gewinnsucht die sichersten Waffen, und bedecken sie mit dem Schilde eines Naturgesetzes.Der Baron zuckte die Achseln. Freilich, es thut mir weh um den armen Neger; allein die Natur schuf auch Esel und andere Lastthiere. Können wir sie zwingen, es anders zu machen?“Pfui! rief der Oberst: pfui! Esel und Menschen! Herr, lassen Sie uns davon schweigen! Traurig genug, daß ich mich vor dem Arme der Vorsehung in den Staub beugen muß, wenn er ganze Geschlechter von Menschen zerschmettert; aber fluchen würde ich der Vorsehung, wenn ich glauben müßte, daß Elend und Schande des halben menschlichen Geschlechtes ihr ewiges Gesetz wäre.Lieber Oberst, Sie reden von Elend, von Schande, und bedenken nicht, daß die Menschen von niederen Racen der Schande und der Härte, womit sie behandelt werden müssen, eine unüberwindliche Gefühllosigkeit entgegen setzen, die ihnen von der Natur als eine Entschädigung gegeben wurde; Sie bedenken nicht, daß diese Härte, diese Strenge, welche Sie Barbarei und Grausamkeit nennen, für die Mongolen nothwendig ist. Lesen Sie nur etwas über den Charakter der Negersklaven.“Recht! über ihren Charakter, den eure Grausamkeit ihnen giebt, so wie die Härte der Eltern die Kinder tückisch, starrköpfig und gefühllos macht! ... Guter Gott! dieser Mensch, der auf sein Herz stolz seyn könnte, künstelt in sich selbst eine unnatürliche Grausamkeit hinein, und beschuldigt die sanfte, liebende Natur einer Härte, deren er selbst nicht fähig ist! ... Herr, lassen Sie mir die Natur zufrieden!Wie aber, lieber Oberst, wenn wir besseren Menschen nun da wären, unsere versäumten Brüder zu veredeln? Unter den Celtischen Völkerschaften werden mehr Knaben als Mädchen geboren: das sagt Ihnen jede Todtenliste. Unter den Mongolen, Morgenländern u.s.w. mehr Mädchen als Knaben; denn sonst wäre die Vielweiberei bei ihnen nicht möglich. Wie? wenn die überzähligen Celtischen Männer von der Natur dazu bestimmt wären, durch Verbindungen mit den überzähligen Mädchen der unedleren Nationen diese nach und nach zu veredlen (wie es denn in Amerika und Ostindien schon der Fall ist), bis endlich die unedleren Menschen von der Erde weggeschafft würden?“Die Natur schafft nichts, was weggeschafft werden soll; sie macht keine Fehler, die wir zu verbessern hätten. Wehe dem Menschengeschlechte, wenn die Natur dessen Glückseligkeit dem Verstände der Menschen anvertrauen müßte! Nein, Herr, ich will Ihnen sagen, wie es ist. Sie putzen Ihr System mit allen Künsten, die Sie wissen, aus, um etwas Neues sagen zu können. Sie wollen Beweise für Ihr System, und finden sie. Ein ehrlicher Mann unter den Negern, Ein großer Mann unter den Amerikanern stürzt Ihr ganzes System, das ohnehin von der ewigen Güte schon verdammt ist, weil ich, zum Beispiel, wenn Ihr System ausgemacht richtig wäre, mit meinem schwarzen Haar und dicken Bauche die größten Bosheiten vertheidigen könnte. Die Vorsehung wäre ja dann die Mitschuldige der Mörder; der Richterstuhl des Ewigen würde ja umgestürzt: denn der Ewige hätte ja bei der Schöpfung der Mongolen das Laster gerechtfertigt und gesegnet. Herr, diese Lehre könnte nur ein Teufel erfinden, und ein Elender glauben, weil sie ihm Hoffnung gäbe, mit ihr die Wunden seines Gewissens zu heilen. Oder meinen Sie, daß ein Mensch, und wenn sein Haar auch so blond wäre, wie Flachs, sein Auge so blau wie dort der Himmel, und seine Nase so lang so fein, wie ... wie – meinen Sie, daß ein solcher Mensch noch einen Augenblick glauben könnte, Tugend sey Befehl der ewigen Güte, wenn er zugleich überzeugt wäre, daß Gott andere Menschen, Menschen, sage ich, vernünftige Wesen, durch ihre Organisation gezwungen habe, zugleich vernünftig und lasterhaft zu seyn?Sie werden hitzig, lieber Oberst. Wie kann ich mit Ihnen fortdisputiren?“Ei, gewisse Dinge sind so toll, daß sie jeden ehrlichen Mann mit toll machen! So – und, zum Henker! wer möchte da kalt bleiben? – könnte eben so gut ein Fürst auf den Einfall kommen, den Krieg und das Ermorden in Schlachten zu einem Gesetze der Natur und der Vorsehung zu machen, weil die Natur bei uns mehr Knaben als Mädchen geboren werden läßt. Die Natur ersetzt die Lücke, die der unmenschliche Krieg macht; aber sie schafft nicht, damit geschlachtet werden solle. So verhärtet die Natur auch Menschen, die unmenschlich behandelt werden; aber sie schafft sie nicht hart, um sie unmenschlich behandeln zu lassen. Was Sie zur Ursache machen, ist Wirkung. Kurz, Herr, so lange noch ein Menschenverstand etwas, und hätte es auch nur das Gewicht eines Sandkorns, gegen Ihr System aufbringen kann, so lange sollte kein ehrlicher Mann dies System behaupten, weil es abscheulich ist.Der Baron lächelte und schwieg. Er glaubte, der Oberst vertheidige das Gegentheil um seines eignen schwarzen Haares willen, und hörte nicht auf zu triumphiren. Eben dieser Triumph gab ihm auch die Stärke, jetzt den Bitten einer ganzen Familie, und, noch mehr, den Empfindungen seines eignen Herzens zu widerstehen.So groß auch der Haß beider Partheien im Dorfe gegen einander war, so hatte dennoch die Liebe einige junge Leute vor diesem Hasse bewahrt. Der Schulz mit dem Mohrengesichte war des blonden Herrmanns Nachbar. Sein Sohn und Herrmanns Tochter hatten als Kinder zusammen gespielt. Als Knabe und Mädchen waren sie immer zusammen im Garten, auf der Wiese, im Felde, auf der Scheuer. Sie hatten einander immer etwas zu sagen, das Niemand hören; immer etwas (eine Blume, ein Band, eine Hutschnalle) zu schenken, das Niemand sehen; sogar immer etwas mit einander zu zanken, in das sich Niemand mischen durfte.Unter diesen Vertraulichkeiten und kleinen Händeln waren Rosine und Konrad zwanzig Jahre alt geworden, ohne daß ihnen jemand dabei etwas in den Weg gelegt hatte; denn die Eltern waren beinahe eben so gute Freunde, wie die Kinder. Nun trennte sich das Dorf, wie gesagt, in zwei Partheien. Lange noch hielt sich der Schulz, ohne von dem Hasse der seinigen mit fortgerissen zu werden. Endlich aber mußte er, trotz seiner Gutmüthigkeit, dennoch die seinige ergreifen; denn auch er litt von den Bedrückungen des Barons.Flaming machte Anstalt, den Negerkopf des Schulzenamtes zu entsetzen, und es Herrmannen zu geben. Das merkte jener. Nun entstand die erste Kälte zwischen den beiden Nachbaren, die dann bald in den entschiedensten Haß überging. Der Schulz wies Rosinen mit Härte von seinem Brunnen weg, wo sie Wasser schöpfen wollte. Sie hatte in ihrem Hause die Meinung geltend zu machen gewußt, daß Schulzens Brunnen für Vieh und Menschen der gesundeste im Dorfe wäre; und wollte Jemand einen Trunk Wasser haben, so holte sie sogleich frisches von dessen Hofe.So wie der Schulz sie von seinem Brunnen gewiesen, sie darüber geweint, und ihren Vater mit Thränen gebeten, ja die alte Freundschaft wieder anzuknüpfen, aber von ihm den Befehl erhalten hatte, keinen Fuß mehr über des Schulzen Schwelle zu setzen; so konnte sie sich auch ohne Wasser aus dessen Brunnen behelfen, und bot Niemanden mehr ein Glas davon an. Dagegen aber war sie nun desto thätiger für die Haushaltung. Wenn ihre Eltern zu Bett gingen, rief sie: wie sieht das hier aus! und fing an, mancherlei, was von ihr selbst in den Weg gestellt war, wegzuräumen, hatte sich dann noch nicht ausgezogen, oder erschrak, wenn sie sich ausziehen mußte, über ein Loch in ihrer Schürze, suchte Nadeln und Zwirn, schlich aber, wenn die Eltern fort waren, zur Thür hinaus, streichelte den Hofhund, und ging an den Zaun, wo Konrad schon auf sie wartete.Konrad fluchte dann über den Baron, und wußte keinen andren Entschluß mehr, als Soldat zu werden und Rosinen mitzunehmen; sie aber fand in ihrer sanfteren Brust noch immer Hoffnungen, mit denen sie ihn hinhielt. Die Liebe der beiden jungen Leute bekam nun erst ihre größte Stärke durch die Schwierigkeiten, welche man ihr in den Weg legte, durch die verstohlnen Besuche, durch die gegenseitigen Tröstungen; und die furchtsame Rosine wurde durch ihre Liebe dreist, so wie der unbesonnene Konrad durch die seine vorsichtig.Der alte Schulz ertappte das liebende Paar eines Nachts, als die Pferde lärmten, und er endlich aufstand, um seinen Konrad zu wecken. Rosine entfloh, und Konrad hörte nur halb die Drohungen seines Vaters. Am andern Morgen hob der Schulze wieder an, und drohete seinem Sohne die härtesten Strafen, wenn er noch mit einem Gedanken an das Mädchen denken würde. Die Mutter, die ihren Sohn kannte, und einen Sturm zwischen ihm und dem Vater befürchtete, erstaunte, als Konrad ganz ruhig dastand und seinen Vater, ohne ihn zu unterbrechen, ausreden ließ. Vater, sagte dann Konrad, ich habe Euch angehört; nun hört auch mich an. Rosinen hab' ich lieb gehabt, das wißt Ihr, von Jugend auf. Ihr hattet zwanzig Jahre nichts dagegen. Nun auf einmal fordert Ihr, ich soll sie nicht mehr lieb haben, und Rosine hat mir doch nichts Leides, sondern alles Liebes gethan. Ihr könnt viel fordern; aber es ist doch auch die Frage, ob ich es thun kann. Seht, Vater, ich habe recht ordentlich überlegt, ob ich wohl von Rosinen lassen könnte; allein hier in meinem Gewissen ist eine Stimme, die ruft, wenn ich so überlege: nein! Ich habe es ihr hundertmal geschworen, sie nicht zu lassen; und ein ehrlicher Kerl will ich bleiben. Wollt Ihr es nun nicht zugeben; gut! so sagt es mir ordentlich und ein- für allemal: dann gehe ich unter das Volk. In den Zeitungen steht ja so, daß es in Ungarn bald wieder losbrechen wird. Gott mag mir und Euch dann gnädig seyn! Werd' ich todt geschossen, so war es Gottes und Euer Wille; und dann – fuhr er mit stillen Thränen fort – bitte ich Euch, nehmt Euch meiner lieben Rosine an, wenn sie wiederkommt: denn sie geht mit mir, das hat sie mir heilig geschworen.Dieser ruhige Ton und diese stillen Thränen (Konrad war sonst eben nicht für das Weinen) wirkten auf den Vater. Die Mutter hing schon an ihres Sohnes Halse, und schwor ihm, Rosine sollte sein werden, trotz dem Vater, dem Baron und Rosinens Eltern. Der Vater drehete sich bedächtig ab, murmelte etwas von ungerathnen Kindern, und die Sache blieb unentschieden.In Rosinens Hause ging eine beinahe ähnliche Scene vor. Der alte Herrmann, der von des Nachbars Hofe her ein Paar kräftige Ermahnungen bekommen hatte, auf seine Tochter zu achten, daß sie nicht des Nachts ehrliche Bursche an sich zöge, fragte und erfuhr. Er lief zornig in das Haus, und stürzte auf Rosinen zu. Rosine gab nun alles verloren, und in dieser Vorstellung fand sie eine ungewöhnliche Stärke. Sie sprang hinter ihrem Rade auf; ihr sanftes blaues Auge blitzte, und ein ungewöhnliches Feuer goß sich auf ihre Wangen. Ja, rief sie auf einmal mit einer Stimme, die man an ihr sonst gar nicht kannte: ja, ich habe ihn lieb, und werde ihn ewig lieb haben, und einen Eid habe ich darauf geschworen, daß ich seine Frau werden will; und wollt Ihr nicht, so wird er Soldat, und ich gehe mit ihm.Der Vater machte einen Versuch, den Muth seiner Tochter nieder zu schelten; aber vergebens. Sie versicherte sehr feierlich, daß sie mit Konraden nach Ungarn gegen die Türken gehen würde. Und bin ich da unglücklich, sagte sie, so habt Ihr es auf Eurem Gewissen! Mit diesen Worten ging sie zur Thür hinaus, auf den Hof. Konrad sah sie, und sprang an den Zaun. Sie sprachen da öffentlich mit einander, und gaben sich die Hände. Die Väter bemerkten es durch die Fenster, schüttelten die Köpfe, und schwiegen.Einige Tage sahen die Väter dem Umgange der jungen Leute stillschweigend und unthätig zu, dann grüßten sie einander über den Zaun hin, sagten ein Paar Worte, und versöhnten sich endlich vollkommen. Man sprach nun hin und her über die Verbindung der jungen Leute, und kam zuletzt überein, dem Baron die Sache vorzutragen. (Der alte Herrmann fand das nöthig, weil er die Freiheit seines Gutes nicht gern wieder verlieren wollte.)Wie?“ sagte der Baron; Eure Rosine und des Schulzen Sohn? Das ist nicht möglich! Herrmann, Ihr seyd betrogen, und Eure Tochter beschwatzt! Wie? dieser schwarze Krauskopf, dieses Gesicht mit den dicken Negerlippen? Herrmann, lieber gebt sie dem Teufel!“ – Herrmann kreuzte sich. Es ist aber doch ein Christenmensch, Ihr Gnaden. – Das ist wohl wahr; aber der Himmel mag wissen, wie dieser Mensch aus der Mongolei hierher nach Deutschland hat gerathen können. Nein, Herrmann, kurz und gut, Rosinen bekommt er nicht, wenn Euch noch das Geringste an meiner Freundschaft gelegen ist.“ Herrmann schlich nach Hause.Die beiden Familien wendeten sich um Vorbitte an den Amtmann, an den Prediger; der Baron blieb aber standhaft bei seiner Weigerung. Man wendete sich endlich an den Obersten. Da sehen Sie ja nun, hob dieser an, daß es nicht an der Natur liegt, wenn Ihre Schwarzköpfe von den Blondköpfen getrennt sind. Ein einziger solcher Fall, wie dieser, wo eine Blondine einen Schwarzen liebt, zeigt denn doch ...Liebt?“ fragte der Baron lächelnd. Von dem Negerkopfe glaube ich wohl, daß er die Celtin lieben mag; aber für das Mädchen stehe ich. Sie ist gezwungen von den Eltern, oder beschwatzt. Denn Sie sollten dieses Mädchen kennen: schön wie eine junge Nymphe, schlank, fein, züchtig! Kurz, es ist nicht möglich.“In dem Augenblicke ließ sich der Sohn des Schulzen melden. Nun sollen Sie sehen“, sagte der Baron. Geben Sie auf diesen Menschen mit seinem Negergesichte Acht, und dann bemerken Sie seine Aeußerungen, seinen Charakter. Ich hoffe, er soll ihn zeigen.“Konrad kam. Der Baron fuhr ihn an, um ihn furchtsam zu machen. Ich weiß, was du willst: Herrmanns Rosinen. Aber ich gebe meine Einwilligung niemals.“ Der junge Mensch blieb bescheiden, doch ohne Furcht, vor dem Baron stehen. Ja, Ihr Gnaden, ich will Sie bitten, meiner Heirath mit Rosinen nichts in den Weg zu legen. Eigentlich, Ihr Gnaden, wenn alles Recht wäre, was in der Ordnung ist, weiß ich nicht einmal, ob ich einen Menschen auf der Welt um seine Einwilligung zu bitten hätte. Ich habe Rosinen lieb, Rosine mich. Wir sind Beide im vernünftigen Alter. Ich kann arbeiten, sie auch. Ich bin ein ehrlicher Kerl, sie ein ehrliches Mädchen. Ich muß sie haben oder sterben, das fühl' ich hier in meiner Brust, so gut wie ich fühle, daß ich lebe. Sie sagt dasselbe; und mehr, Ihr Gnaden, glaube ich, fordert Gott nicht von einem Paar Menschen, die einander heirathen wollen.Der Oberst schlug die Arme unter, und lächelte. Der Baron sah es, und das Lächeln verdroß ihn. Höre“, wendete er sich zu dem Burschen: überleg, was ich dir sagen will. Was soll ich dir geben, wenn du Rosinen fahren lassest?“ – Wie? erwiederte Konrad, und das Blut stieg ihm ins Gesicht: – da sind Sie, da ist die ganze Welt zu arm, mir Rosinen zu bezahlen. Ja, dann verdient' ich Rosinen nicht, wenn ich sie verkaufen könnte! – Der Oberst lächelte noch mehr.Ich glaube, Bursche“, rief Flaming mit gerunzelter Stirn, du trotzest?“ – Ich habe nichts Uebles gethan, erwiederte der Jüngling, und weiß also nicht, wovor ich mich fürchten sollte.Du fürchtest also gar nicht, daß ich dir Rosinen abschlagen werde? Wohl denn! ich thu' es.“Das können Sie, Ihr Gnaden, sagte der Bauer mit fester Stimme; wenn aber der Vater will –Ich stehe dir dafür, der Vater wird nicht wollen. Du bekommst sie nicht.“Das können Sie nicht sagen, auch wenn ihr Vater nicht will. So lange Rosine mich lieb hat, und so lange diese beiden Arme (er hielt sie dem Baron geballt entgegen) arbeiten können, so lange kann kein Kaiser sagen, ich soll sie nicht haben. Unsre Eltern können uns enterben; das ist alles. Brot wächst auf der ganzen Erde für Menschen, die ehrlich und fleißig sind; das kann Rosine mit mir finden. Aber ob sie ohne mich einen Mann wieder findet, der sie so liebt wie ich ... – Ich fürchte mich nicht: also Ihr Gnaden ...Ich sage dir, du bekommst Rosinen nicht, und damit gut!“ – Der Bauer lächelte und ging.Gott segne mir, sagte nun der Oberst, die Mongolen, wenn sie alle so sind! Was haben Sie gegen den Burschen, Baron? edel, furchtlos, bestimmt, kalt, wie ein Mann seyn muß. Nun?Aber sahen Sie nicht das Gesicht? die dicken Lippen, das wollichte Haar, die kleinen brennenden Augen?“Recht verliebte Augen, voll Muth und Entschlossenheit, und ein Paar runde Lippen, recht zum Küssen.Ich sage Ihnen, das Mädchen liebt ihn nicht, so sehr der Bursche auch von ihr windbeutelte.“Man entschloß sich, das Mädchen holen zu lassen. Rosine kam, und bat den Baron mit allem, was die unglückliche Liebe, was der wahreste Schmerz, was die Furcht, ewig von dem Geliebten getrennt zu werden, was die Thränen eines gebrochenen, natürlichen Herzens, was Tugend, Schönheit nur Rührendes haben, sie ihrem Geliebten zu geben. Mädchen“, fragte der Baron hundertmal: wie ist es möglich? wie kannst du das Mohrengesicht lieben?“ Aber Rosine hielt dem Gesichte ihres Konrads eine eben so große Lobrede, als seinem Herzen, und fiel dann dem Baron zu Füßen. Er war gerührt, und konnte kaum widerstehen. – Diese Ehe, lieber Baron, sagte der Oberst, soll Sie künftig immer am Ohre zupfen, wenn Sie mit Ihrem Systeme schwärmen. Schwärmen?“ erwiederte der Baron, und das Mitleiden verschwand aus seinen Augen. Meinen Sie, daß die Thränen einer verirrten Thörin das Gebäude der Weisheit stürzen können? Es bleibt dabei“ – so wendete er sich an Rosinen – ich werde nie meine Einwilligung in eure Ehe geben. Das sag deinem Vater und dem jungen Menschen. Ich bedaure dich, armes Kind, aber es ist zu deinem Besten.“Rosine stand auf, trocknete geschwind ihre Augen, sah den Baron mit einer Art von Abscheu an, und sagte dann mit Heftigkeit: gut! ich will ... Sie erröthete, endigte nicht; und ging.Baron, fing nun der Oberst an, so hole doch der Teufel alle Systeme, wenn eins im Stande ist, ein solches Herz, wie das Ihrige, so von Grund aus zu versteinern! Wie können Sie des Jünglings Edelmuthe, seinem festen männlichen Trotze, wie den rührenden Thränen dieses Mädchens voll Liebe, dieses sanften Geschöpfes, widerstehen? Sie selbst müssen zugeben, daß Ihr System auf schreckliche Folgen führt. Sie können nicht läugnen, – denn, beim Himmel! in Ihrer Brust ist mein Zeuge – daß der Bursche mit dem Negergesichte sich wie ein edler Mensch betrug; nicht läugnen, daß die Celtin da den Menschen, trotz seiner Mongolen-Organisation, heftig und mit voller Seele liebt. Das ist Ein Beweis gegen Ihr abscheuliches System; und Ein Beweis dagegen muß Ihnen so viel seyn, als tausend, eben weil es abscheulich ist. Aus Ihrem eignen Systeme will ich Ihnen denn sogar beweisen, daß Sie selbst ein Mongol sind. Sie, Sie selbst ...Wie? ich?“ fragte der Baron voll Verwunderung.Ja, Sie selbst! Da liegt der Beweis, da unter Ihren Füßen. (Er zeigte auf einen Pudel, den der Baron unbeschreiblich lieb hatte.) Wohl hundertmal haben Sie mir gesagt, es sey ein sicheres Kennzeichen eines unedleren Stammes, wenn man große Liebe und Achtung für Thiere bezeige. Der Asiat trauet dem Elephanten Menschenverstand zu; der Araber verehrt sein Kameel, sein Roß; der Peruaner sein Lama; der Lappe sein Rennthier; der Kamtschadale seinen Hund, der ihn zieht und nährt. Alle lieben diese Thiere mehr als ihre Weiber. Sie haben mich aufgefordert, unter den Celtischen Nationen nur Eine zu nennen, welche die Thiere so verehre, wie jene die ihrigen. Da sind Sie selbst! Stunden lang können Sie von Ihrem Pudel reden, von seiner Treue, von seinem Verstande, von seiner Klugheit. Mehr kann der Peruaner sein Lastthier nicht lieben, als Sie Ihren Pudel. Entweder geben Sie zu, daß es mit den Kennzeichen der unedleren Menschen-Racen, und also mit Ihrem ganzen Systeme, nicht richtig ist, oder gestehen Sie, daß Sie selbst ein Mongol sind.Aber, Herr Oberst, sehen Sie denn nicht, daß alle diese Nationen mit ihren Thieren anders umgehen, als ich mit ...?“Ei ja! sie haben aber auch ganz andere Dienste von ihren Thieren, als Sie von dem Pudel. Und wie viel anders denn? Ich habe Sie schon Viertelstunden lang mit dem Pudel reden hören. Das kann eigentlich nur ein Rasender. Ich weiß wohl, man vergißt in einem solchen Augenblicke, daß man ein Thier vor sich hat. Jene Nationen auf ihrer Stufe der Kultur, die mit den Thieren aufgewachsen, an die Unterhaltung mit ihnen gewöhnt sind, von ihnen genährt und bekleidet werden: mich dünkt, man kann sie immer mit uns Menschen seyn lassen, und das Räthsel dennoch auflösen. Der Asiat liebt seinen Elephanten, wie Sie Ihren Pudel.Sie spotten, Herr Oberst! Ich liebe meinen Pudel nicht im mindesten, wenn Sie es so nehmen.“Wohl denn, Baron! so geben Sie ihn mir. Sie wissen, wie gern ich ihn schon lange gehabt hätte. Da Sie ihn nicht lieben, so verlieren Sie ja an ihm nichts.Flaming lächelte, lockte den Pudel an sich, und streichelte ihn. Ich muß Ihnen den Pudel abschlagen; wenn ich auch den Hund nicht liebe, so liebt der Pudel doch mich. Es würde dem armen Thiere nahe gehen, wenn es von mir getrennt würde. Der Pudel kann nicht eine Stunde ohne mich seyn, obwohl ich ohne ihn.“O pfui, Baron! Also dem häßlichen Thiere dort thut es weh, wenn es von Ihnen getrennt wird, und da fühlen Sie Mitleiden; aber, wenn zwei Menschenherzen von einander gerissen werden, die ohne einander unglücklich sind, da bleiben Sie hart? Großer Gott! dieser Mensch hat ein System erfunden, nach welchem es ihm erlaubt ist, gegen eine Bestie gütiger zu seyn, als gegen ein Geschöpf, in dessen Herzen sein Blut fließt, Menschenblut! Zum Teufel! ich will mich nicht weiter ärgern; und wenn Emilie nicht wäre, Sie sollten mich niemals wiedersehen! – Der Oberst ging voll Zorn hinaus.Flaming wurde nachdenkend: nicht über die Richtigkeit seines Systems (denn daran zweifelte er auf keine Weise, und er hatte sich so hinein gearbeitet, hatte alles in der Welt in so genaue Verbindung mit seinem System gebracht, dachte nichts in der Welt, las nichts, als nur in Beziehung auf sein System, so daß jeder Angriff darauf vergeblich seyn mußte); aber Rosinens Thränen, und der Kummer des jungen Menschen über die Trennung von seiner Geliebten lagen schwer auf seinem Herzen. Trotz seinem Systeme würde er dennoch zuletzt in die Verbindung der beiden jungen Leute gewilligt haben, wenn er nicht befürchtet hätte, daß er dann jedem erlauben müßte, eine Slavin, ja noch etwas ärgeres, wohl gar eine Zigeunerin (die er nicht wie sein Vater für Juden, sondern für die elendeste Caste der Hindus hielt), zu heirathen. Er seufzte tief. Lieber Gott! muß ich nicht hart seyn? kann ich die Glückseligkeit meiner Unterthanen so leichtsinnig aufs Spiel setzen? es wagen, daß einmal einer von den elenden Mongolen, die hier in Horden umherziehn ...? Nein! der Bursche ist ein Slave, und der Liebe nicht fähig. Sie wäre unglücklich mit ihm: denn sie forderte Liebe, Achtung; und er würde sie nach seiner Natur zur Sklavin erniedrigen. Sie wäre mit ihm unglücklich. Nein! nein!“Er ließ den alten Herrmann holen, und suchte ihn von der Idee, seine Tochter dem jungen Menschen zu geben, abzubringen. Der Alte aber blieb dabei, seine Tochter würde davon gehen. Warum, fragte er endlich, wollen es denn Ihr Gnaden nicht zugeben? – Herrmann“, sagte der Baron, nur um Eurer Tochter willen. Wenn Ihr es denn wissen wollt ... Aber ich sage Euch, schweigt! Seht doch nur dem Schulzen ins Gesicht! Bemerkt Ihr denn da gar nichts?“Nein, Ihr Gnaden, nicht das Mindeste. Er sieht aus wie alle andre Menschen.Herrmann, der alte Schulz sieht aus wie ein Zigeuner. Die Farbe, die Nase, die Augen, die Lippen ...“Behüte Gott! Ihr Gnaden wollen ihn doch nicht zu einem Diebe und Mörder machen?Ich nicht; aber daß er von Zigeunern abstammt, das weiß ich, und daß Art von Art nicht läßt, das weiß ich auch. Ihr, Herrmann, Ihr ein Abstämmling von den freien Sachsen, wie es Eure blauen Augen und Euer helles Haar beweisen – wollt Ihr Eure Tochter einem Abkömmlinge von Zigeunern, oder doch wenigstens einem Wenden, geben, so thut es; aber ich erlasse keinem Wenden die Frohndienste. Und Eure Tochter sollte doch von Euch erben, was Ihr von Euren Voreltern ererbt habt: reines Deutsches Blut!“Der alte Herrmann wischte sich die Stirn. Er sann einige Augenblicke nach, und dachte daran, daß der Baron keinem Schwarzkopfe die Frohndienste erlassen hatte. Auf einmal war ihm nun das Betragen des Barons deutlich. Kennt man denn die Wenden, fragte er, am schwarzen Haar, Ihr Gnaden?Nicht am Haar allein, Herrmann; noch an tausend anderen Zeichen. Aber ich bitte Euch, schweigt davon!“Nicht ein Wort, Ihr Gnaden! Und der Konrad soll sie nicht haben! Der Teufel traue den Wenden!Herrmann fand, als er zu Hause kam, Konraden, faßte ihn stillschweigend beim Arm, öffnete die Thür, und sagte: du bist zum letzten Male hier gewesen; meine Tochter ist nicht für dich! Damit warf er ihn zur Thür hinaus. Die Frau fragte ihn um die Ursache seiner schnellen Veränderung; er antwortete aber nur in Räthseln, und so wenig sie als Rosinens Thränen brachten etwas von ihm heraus. Der Schulz kam selbst; allein Herrmann behandelte den Alten so stolz, daß dieser seinem Sohne ebenfalls verbot, weiter an Rosinen zu denken. Konrad sprach seine Geliebte einige Augenblicke durch ein Loch, das in den Stall ging. Nachts um zwölf Uhr stand er, mit einem Pack Kleider und Wäsche unter dem Arm, und einem Bündelchen Geld in der Tasche, draußen vor dem Dorfe. Rosine kam eben so bepackt, warf sich in Konrads Arme, und benetzte ihn mit Thränen der Angst. Weine nicht, Rosine“, sagte er zuversichtlich, und hob ihr Gesicht gen Himmel. Da sieh hin! Gott ist uns gnädig; aber ich wollte alle mein Geld wegschenken, wenn er uns ein Zeichen seiner Gnade gäbe, damit du ruhig wärest.“ In diesem Augenblicke schneuzte sich ein Stern, und zog sich am Himmel herab, nach der Gegend, wohin sie wollten.Sieh, sieh! Gott ist uns gnädig! rief Rosine jauchzend. Er zeigt uns den Weg! – Konrad nahm die Geliebte in seine Arme, und sie flogen unter Liebkosungen den Weg, den ihnen die Lufterscheinung zeigte.Dies Ende hatte so wenig Herrmann als der Baron erwartet. Der Alte hätte, um es zu verhüten, seine Tochter lieber einem wirklichen Zigeuner gegeben; und der Baron konnte einige Tage hindurch den Gedanken nicht aus der Seele los werden: wie wird es den unglücklichen Flüchtlingen, wie nun den kinderlosen Eltern gehen! Und wer ist Schuld daran! – Noch tiefer und schmerzlicher drückte sich dieser Gedanke in sein Herz, als ein Bedienter ihm erzählte, daß der alte Schulze aus Kummer über die Flucht seines Sohnes sterbenskrank sey. Er verfinsterte die Stirn, ging den ganzen Tag unruhig, voll Reue, umher, verwünschte in Gedanken sein System, und erzeigte einigen Schwarzköpfen, die ihm in den Weg kamen, mit ausgezeichneter Güte Wohlthaten. Sobald er hörte, daß der alte Schulz wirklich dem Tode nahe wäre, drängte ihn sein Herz, den Mann zu besuchen und ihn um Vergebung zu bitten.Er ging zu ihm, so sehr er auch vor dem Anblick des unglücklichen Vaters zitterte. Da lag der Alte bleich auf dem Bette, kraft- und muthlos. Ach! auch das noch? rief er schauernd, als er den Baron erblickte, und versuchte sich umzuwenden. Nein“, sagte auf einmal der Baron mit dem Tone der Reue, der gutherzigsten Liebe, ging auf das Bett zu, und ergriff des Kranken Hand: nein, lieber Schulz, Ihr sollt nicht aus der Welt gehen, ohne mir vergeben zu haben. O, wendet Euer Auge nicht von mir! laßt mir die Hand! Denkt, Euer Sohn stände hier, und bäte um Euren Segen.“Ach, mein Sohn, mein armer Sohn! seufzte der Alte. Da wird er liegen auf dem Schlachtfelde, verwundet! Und niemand bringt ihm eine Erquickung, niemand verbindet ihn! niemand! Jammern wird er nach Trost und Hülfe; und niemand, niemand! – Diese Töne des bittersten Schmerzes, mit dem Accente des stärksten Jammers aus der Brust des Sterbenden hervorgehaucht, zerrissen des Barons Herz.Nein“, sagte er laut, und beugte sich über den Kranken: ich will dir deinen Sohn wiederschaffen. Du sollst nicht ohne ihn, nicht trostlos sterben!“ Ein Strahl von Freude stieg in das erloschne Auge des unglücklichen Vaters. Er ergriff des Barons Hand, und drückte sie an seine kalten Lippen. Gott!“ seufzte Flaming; was hab' ich gethan!“ – Er riß sich los, eilte nach Hause, und ließ satteln. Alle Bedienten, so viel ihrer da waren, mußten aufsitzen. Er vertheilte sie auf alle Straßen, und bat den Obersten, mit ihm selbst zu reiten. – Wohin? Zu Emilien? fragte dieser.Nicht zu Emilien. Ich suche die unglücklichen Liebenden auf, um sie ihren Eltern wiederzugeben, ihren Eltern, die ich unglücklich gemacht habe. Lassen Sie uns eilen!“ Der Oberst umarmte den Baron, und sagte: jetzt, Baron, wären Sie mir ein Celte, und wenn Sie das Gesicht eines Mopses hätten. Zum Teufel! sehen Sie wohl, daß ich Recht habe? Sie reden oft, daß einem schaudern möchte. Aber Empfindung, sag' ich, Handeln, macht den Menschen, nicht das System: eben so wenig, wie eine Mopsnase, krumme Beine, gelbe Farbe, oder ein dicker Bauch. Lassen Sie uns reiten. Haben wir den Jungen mit seinem Mädchen wieder, so sollen Sie dem Negermaule einen Bruderkuß geben, und damit Ihr System den Abschied bekommen.Flaming sah und hörte nicht, sondern eilte vorwärts. Nach acht Tage langen vergeblichen Bemühungen kam er wieder zu Hause, und erfuhr zu seinem Schmerze, daß der Schulz vor einer Stunde gestorben war. Auch die Bedienten kamen zurück, ohne von dem jungen Paare Nachricht zu bringen. Der Baron that alles, um beiden Familien das Unrecht zu vergüten, das er ihnen gethan hatte. Er folgte der Leiche des Schulzen, und schämte sich der Thränen nicht, die er weinte, als man den Sarg versenkte.Doch endlich heilte die Zeit die Wunde aus, welche diese Begebenheit seinem Herzen geschlagen hatte; und so fing denn auch sein System allmählich wieder an empor zu kommen. Dadurch machte er aber seine Bauern immer unzufriedner. Ob er gleich die Blonden unter ihnen durch unerwartete, ja durch unnöthige Wohlthaten vor den Schwarzen auszeichnete, so war er dennoch auch für diese bei jedem Unglücke, das sie traf, ein hülfreicher Vater. Allein er verdarb jede Wohlthat, die er den Schwarzen erzeigte, durch sein Betragen dabei, durch eine Art von Verachtung; und wohl hundertmal mußte er ausrufen: die undankbaren, gefühllosen Seelen!“ Jetzt wurde auch das System des Edelmanns unter den Bauern bekannt; denn der alte Herrman war in seinem Schmerze über den Verlust seiner Tochter plauderhaft gewesen. Die Blonden sagten einander ins Ohr: der Edelmann habe in seinem Familienarchiv alte Nachrichten, woraus erhelle, daß die Vorfahren aller derer, denen er die Frohndienste nicht erlassen hätte, Zigeuner gewesen wären, wie man denn das auch noch aus dem schwarzen Haare dieser Leute sehen könne. Und wahr ist es, rief ein alter Bauer; denn denkt nur zurück: der selige Baron haßte nichts mehr als die Juden und die Zigeuner. Er hat es seinem Sohne noch auf dem Sterbebette anbefohlen, uns Andern die Frohndienste zu erlassen, und den Schwarzen nicht. – Das blieb Anfangs wie ein dumpfes Gespräch unter den Weißen; dann aber verbreitete es sich auch unter die Schwarzen, und endlich kam das Gerücht als Injurienklage vor den Amtmann.Ja! rief der Verklagte; ja, es ist wahr. Der gnädige Herr weiß es am besten. Im alten Buche steht es. Alle die mit schwarzen Köpfen sind Zigeuner; und darum müssen sie zur Frohne, und wir nicht, und darum dürfen wir ihnen auch unsere Töchter nicht geben. – Der Amtmann wollte lachen; allein die weitere Auseinandersetzung des Bauern überzeugte ihn bald, daß mehr an diesem Geschwätze seyn müsse. Er verglich die Partheien, und nun erinnerte er sich aller Reden des Barons. Auf einmal wurde ihm alles hell: die Auszeichnung der Blonden, die seltsamen, räthselhaften Gespräche des Edelmanns, das Heirathsverbot, und manche andere Dinge.Er ging zu dem Prediger, und sagte ihm seine Vermuthungen. Man lachte. Aber der Amtmann wurde ernsthaft genug, als sich von Tage zu Tage die Klagen über das Zigeunerschelten vermehrten, und jeder Verklagte sich auf den Baron und das alte Buch berief. Er sah sich endlich genöthigt, mit dem Baron darüber zu sprechen. Die Bauern haben so Unrecht nicht“, fing dieser lächelnd an. Er setzte nun so mild als möglich sein System von den Menschen-Racen auseinander. Indeß, so mild er es auch gethan hatte, so erröthete der Amtmann doch vor Verdruß, als er sah, daß auch er selbst von dem Baron mit zu den schlechteren Menschen gerechnet wurde. Dieser Gedanke brachte ihn nach und nach in Hitze, besonders, als der Baron bei der Erklärung seines Systems immer mehr vergaß, wen er vor sich hatte. Ich habe, hob er auf einmal an, schon manchen Narren mit blondem Haar und blauen Augen gesehen, Ihr Gnaden, das versichere ich Ihnen.Das haben Sie nicht, Herr Amtmann“, antwortete Flaming sehr gelassen. Es ist Ihnen so vorgekommen; denn um einen Menschen von der edelsten Race richtig zu beurtheilen, muß man selbst ein Celte seyn.“Ho! ho! rief der Amtmann, dem die Geduld verging; um einen Narren richtig zu beurtheilen ...Muß man selbst ein Narr seyn“, unterbrach Flaming den Amtmann ruhig, und legte die Hand auf dessen Arm.Wie? rief der Amtmann erhitzt; bin ich hier, um mich von Ihnen schimpfen zu lassen?Schimpfen?“ fragte der Baron befremdet; denn er hatte an nichts weniger gedacht, als den Amtmann zu beleidigen. Schimpfen? Wahrhaftig, ich weiß nicht, was Sie wollen, lieber Herr Amtmann. Denken Sie doch nur nach! Um einen Narren richtig zu beurtheilen, daß heißt, um einzusehen, wie seine Narrheiten in sich zusammenhangen, muß man etwas Aehnliches bei sich fühlen, also auch ein Narr seyn, so wie man durchaus ein Mensch seyn muß, um den Menschen richtig zu beurtheilen. Um also einen edleren Menschen richtig zu beurtheilen, muß man durchaus ein eben so edler Mensch seyn, eben die Reife der Urtheilskraft haben: sonst kann freilich der Celte oft dem Slaven wie ein Narr erscheinen, ohne daß er es ist.“O, alle diese Spitzfindigkeiten – fing der Amtmann erbittert, und doch verlegen an –Scheinen Ihnen nur so, lieber Herr Amtmann. Wer richtig und rein denken kann, redet nie so wie Sie. Die falschen Ausdrücke, die unbestimmten Worte, die man wählt, haben immer ihren Grund in verwirrten Vorstellungen. Man redet richtig, wenn man richtig denkt. Sehen Sie, lieber Herr Amtmann, sicher fließt schon in Ihren Adern edles, Celtisches Blut; es würde also nur auf Sie selbst ankommen, so rein und hell zu denken, wie es Ihnen möglich ist. Merken Sie nur fürs erste die neun Lateinischen Wörterchen, die wahrlich einen großen Sinn enthalten: an, quid, cur ...“Herr Baron! sagte der Amtmann entrüstet; ich bin der Schule entwachsen!Ich nie, Herr Amtmann“, antwortete der Baron lächelnd; und das, seh' ich jetzt, ist unser Unterschied. Ich lerne noch immer, weil ich noch immer lernen kann. Indeß, wie Sie wollen, Herr Amtmann.“ Er verbeugte sich. Der Amtmann ging, und der Baron sagte mitleidig: lieber Gott, wie sie einander ähneln, diese vernachlässigten Menschen-Racen! Gerade wie der Sinese, der, wenn er die Form kennt, in der er seine Verbeugungen zu machen hat, den edlen Celten mit seinem offnen freien Wesen verachtet!“Der Amtmann lief zornig zu dem Prediger, und klagte dem sein Leid. Der Letztere ließ sich weitläuftig alles erzählen, was der Baron gesagt hatte. Nun, meinte er dann, im Ganzen mag der Baron nicht Unrecht haben; denn in Absicht des ordentlichen, hellen Denkens seyd Ihr Juristen fast alle ein wenig Mongolisch.Herr Gevatter“, rief der Amtmann, bleiben Sie damit weg! Wenn Ein Stand in der Ordnung denkt und schreibt, so ist es der unsrige. Wir müssen ja alles bis ins Unendliche abtheilen.“Ihr schreibt freilich: erstlich, zweitens, und so weiter; aber das kommt mir, wenn ich eine juristische Schrift lese, gerade so vor, als wenn ich mit einem Rasenden rede, der seine tollen Ideen in einem guten Style vorträgt. Ein wenig Philosophie könnte wahrhaftig der ganzen Fakultät nicht schaden. – Der Prediger fing nun an das System, so viel ihm der Amtmann davon mittheilen konnte, zu studieren; und dann ging er zu dem Baron, ihm zu sagen, daß die ganze Gemeinde durch das System in Verwirrung geriethe. Er redete alle Sonntage von der Verträglichkeit, und hatte den Verdruß zu sehen, daß die jungen Bursche einander noch auf dem Kirchhofe vor seinen Augen bei den Köpfen nahmen, und die blonden und schwarzen Haare ausrauften.Der Baron setzte dem Prediger mit großem Triumphe sein System auseinander. Sie, lieber Pastor, werden es richtig beurtheilen; denn Sie selbst sind ein edler Celte.“Ihr System mag einmal wahr seyn; aber man sollte es doch verschweigen, wie den bösesten und schädlichsten Irrthum. Es sind nur erst ein Paar Züge davon unter Ihren Unterthanen bekannt geworden, und schon liegen beide Partheien einander alle Tage in den Haaren. Denken Sie sich nun den Fall, die Blondköpfe erführen Ihr System in seiner ganzen Ausdehnung; sie erführen, daß sie ganz andere Menschen sind als die übrigen, daß sie von edleren Urmenschen abstammen, daß die andere Parthei sie an Verstandeskräften nie erreichen kann, daß sie zu größeren Genüssen, daß sie zum Beherrschen der andern Parthei geboren sind: so werden ...So werden sie“, fiel der Baron ein, die Väter, die Lehrer, die Freunde, die Beschützer ihrer vernachlässigten Brüder werden.“Ja, wahrhaftig! sagte der Prediger; das sehen wir jetzt alle Tage! Die edlen Celten behandeln ihre von der Natur vernachlässigten Brüder mit aller Härte und Verachtung, die nur der dümmste Stolz geben kann; und die Andern bezahlen ihnen mit dem glühendsten Hasse. Wie soll das aber auch anders seyn? Warum soll ich den nicht verachten, den die Natur verachtet hat? warum den nicht hart behandeln, den die Natur hart behandelte? O, lassen Sie erst Ihr System bekannt seyn, und Sie sollen sehen, wie Grausamkeit, Stolz, Wollust, Härte, Bosheit diese Sätze brauchen werden, um alle ihre Verbrechen zu vertheidigen. Ich predige: liebet alle Menschen; denn es sind eure Verwandten, eure Brüder! Die Menschen werden dann sagen: nein, es sind Fremde, die ich beleidige; nicht meines Blutes, nicht Gesellen meiner Natur, halbe Thiere. Ich predige: liebet den Menschen; denn Gott, die Liebe, hat sie mit Vollkommenheit, zum Glück, erschaffen. Sie werden mir antworten: Gott schuf diese Menschen zur Sklaverei, zu unsern Knechten, und uns zu ihren Herren. Das wird die Folge seyn. Wen man verachtet, den kann man nicht lieben; und wer uns hasset, dem können wir nicht wohlthun.Wenn mein System wahr ist, lieber Prediger“, antwortete der Baron ganz kalt, so lassen Sie es immerhin bekannt werden. Die Natur mag die Folgen verantworten; was kümmern den Philosophen die Folgen der Wahrheit!“Der Prediger mochte die Wirkungen des Systems von Menschen-Racen auch noch so schrecklich mahlen; der Baron blieb immer gleich kalt. Er mußte endlich das System selbst angreifen. Da hatte Flaming ihn erwartet. Sie stritten und stritten; aber am Ende blieb jeder bei seiner Meinung.Die Unruhen, die Schlägereien unter den Bauern im Dorfe wirkten indeß auf den Baron doch so viel, daß er nichts weiter von seinem Systeme sprach; und da die schwarze Parthei der weißen drohete, ihre Sache an das höchste Landestribunal zu bringen, und von dem Baron den Beweis zu verlangen, daß schwarzes Haar eine Schande sey; da ferner der Amtmann dem Baron vorstellte, daß er leicht zu einer Ehrenerklärung angehalten werden könnte, indem sein System noch nicht privilegirt sey: so erging ein strenger Befehl an die Blonden, Niemanden sein schwarzes Haar weiter vorzuwerfen. Als dann der Amtmann den ersten Schuldigen wirklich ernstlich bestrafte, wurde die Ruhe leidlich wieder hergestellt. Nur hatte der Baron den Verdruß, daß jetzt auch die Blonden, trotz seinen Wohlthaten, ihn verlästerten.Die Liebe der Blonden zu dem Baron verwandelte sich endlich sogar in Haß. Es kam ein Officier in das Dorf, um die junge Mannschaft zu messen. Der Baron, bei dem er aß, erkundigte sich, welche Leute er zu Rekruten wählen würde. Der Officier nannte ihm zwei Schwarzköpfe und einen Blonden. Eben der zum Soldaten bestimmte Blonde stand, als dieses Gespräch anhob, vor der Thüre des Eßzimmers, weil er den Baron um seine Fürsprache bitten wollte. Er verlor kein Wort von der Unterredung. Auch die Beiden haben Sie gewählt?“ fragte der Baron, als er die Nahmen der Schwarzköpfe hörte, und zuckte die Achseln.Meinen Sie nicht, erwiederte der Officier, daß ich gut gewählt habe?Wenn die Größe den Soldaten macht, Herr Lieutenant, so haben Sie gut gewählt. Fordern Sie aber Muth, Treue, Entschlossenheit, Vaterlandsliebe, dann, freilich, haben Sie nicht gut gewählt. Unser König ist ein Deutscher; er will auch Deutsche haben, um sein Land zu beschützen: und diese beiden Menschen ...“Sind es Ausländer, Herr Baron? Freilich, dann –Sie heißen Deutsche, sind hier geboren und erzogen; allein ... Sehen Sie, Herr Lieutenant ...“ – Nun war er in seinem System, und bewies dem Officier, daß eine Armee mit blondem Haar und blauen Augen noch einmal so treu, so muthig, so einsichtsvoll, so entschlossen, so ausharrend fechten müsse, als eine mit schwarzem Haare. Freilich“, fuhr er fort, ist es auf der andern Seite Schade, daß solche Soldaten der Kriegesgefahr ausgesetzt werden, da es besser wäre, wenn sie alle das Leben zum Fortpflanzen behielten. Indeß ... Uebrigens kostet eine solche Armee mehr; denn der Celte kann sich nicht mit den elenden Nahrungsmitteln begnügen, mit denen ein Slave zufrieden ist. Eine Russische Armee lebt beinahe von nichts; ein Paar Zwiebeln, eine Handvoll Wurzeln nähren den Kosaken ganze Tage. Das kann ihm kein Deutscher nachthun; aber er kann ausharren, fechten, ohne je den Muth zu verlieren: das kann der Russe nicht. O, lebte Tacitus noch, und sähe jetzt eine Deutsche Armee, vor der Rom sonst zitterte; sähe er die vielen Schwarzköpfe darunter – er würde ausrufen: Schande für Deutschland! Das sind keine Teutonen mehr; das sind verächtliche Hunnen oder Sarmaten! Die fechten um Sold; nicht mehr für Freiheit und Vaterland!“Der Enthusiasmus des Barons wirkte auf den jungen Officier. Sie haben Recht, Herr Baron, sagte dieser. Wahrhaftig, man vergißt das alles, wenn man nichts als die Zolle, die der Bursche mißt, im Kopfe haben muß. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, von nun an nehm' ich nie einen andern Rekruten, als einen mit blondem Haar und blauen Augen. Für die beiden Schwarzköpfe wähle ich noch heute zwei Blonde.In diesem Augenblick entsprang der Weißkopf, der von dem Gespräche nichts weiter begriff, als daß der Baron dem Officier zugeredet hatte, nur Blondköpfe zu Soldaten auszuheben. Seine Erzählung davon durchlief das Dorf wie ein Blitz. Man glaubte sie nicht, weil man der Gunst des Barons zu gewiß war; aber wie erstaunten die Blonden, und wie triumphirten die Andern, als der Offizier, anstatt der beiden schwarzköpfigen Rekruten, ein Paar blonde nahm, und mit ihnen abmarschirte!Nun erwachte der Haß der Blondköpfe gegen ihren Beschützer fürchterlich. Die Eltern der beiden neuen Rekruten liefen heulend zu dem Baron, und machten ihm die bittersten Vorwürfe. Nie war er so in Verlegenheit gewesen, wie jetzt. Die Thränen, das Jammern der Eltern über ihre Söhne drang ihm durch das Herz, so unceltisch es ihm auch vorkam, daß sie gar nicht auf seine Vorstellung achteten, wie ehrenvoll es für sie und ihre Kinder sey, wenn ihnen, und nicht den Schwarzköpfen, das Vaterland seine Vertheidigung anvertraue. Er mußte ihnen zuletzt versprechen, sie wieder los zu machen; das allein konnte die Eltern beruhigen. Nun aber ging der Lärmen zwischen beiden Partheien aufs neue los. Die Schwarzen lachten und jubelten laut, und spotteten über die Gunst des Barons, der seine lieben Kinder unter die Soldaten bringe. Die Weißen riefen: euch will ja der König nicht! Schande genug für euch, daß der König euch nicht für werth hält, ihm zu dienen! – O, das mag er thun! antworteten die Schwarzen triumphirend.Die Elenden!“ rief der Baron. Wie? und man will noch mein System angreifen? will noch nicht sehen, wie feigherzig, wie gefühllos gegen die Schande diese Nachkommen der Slaven sind?“ Der gute Baron vergaß, wie gern seine blonden Unterthanen in dem Falle gewesen wären, eben das sagen zu können, was die Schwarzen sagten, und sah nicht, wie sehr sie ihn haßten, weil er sie in den Fall gesetzt hatte, sich so tapfer stellen zu müssen.Indeß, trotz allen Schwierigkeiten, die dem Baron in den Weg gelegt wurden, genoß er doch des Triumphes, seinen Glückseligkeitsplan immer mehr ausgeführt zu sehen. Das Herz lachte ihm vor Freude, wenn er seine Blondinen in ihren engen hellfarbigen Miedern und langen Röcken, mit kleinen Schritten, oder wenn er die jungen Bursche in hellblauen Röcken, engen Beinkleidern und Filzhüten über die Gassen gehen sah. Sehen Sie“, sagte er dann dem Obersten Brensen jedesmal, und drückte ihm die Hand; sehen Sie, wie schön der Strohhut über den blauen Augen steht!“ Und darin hatte er Recht. Die Mädchen putzten sich wie die Bräute; denn ihr Putz kostete ihnen nichts. Sie schonten Hände und Haut, denn der Baron gab ihnen so reichlich, daß sie keine harte Arbeit zu thun brauchten. Auch den Triumph hatte der Baron erlebt, daß sogar die Brünetten anfingen etwas von ihrer Liebe zu der Slavischen Kleidung nachzulassen. Er war fest überzeugt, daß seine Vorstellungen das bewirkt hätten; allein die armen Brünetten mußten wohl nachgeben, wenn sie nicht alle ihre Liebhaber verlieren wollten, denen die schlanken, wohlgekleideten Blondinen sehr in die Augen stachen.Fielen den Weißköpfen ihre Häuser zusammen, so unterstützte der Baron sie mit Geld und Baumaterialien, wenn sie so baueten, wie er wollte. Folglich ließ jeder Weißkopf sein Haus mit der Front, und nicht, wie sonst, mit dem Giebel, nach der Gasse hin bauen. Die Häuser bekamen hohe und helle Fenster. Das Vieh wurde weiter von dem Wohnhause abgesondert, und die Bauern befanden sich jetzt in ihren Celtischen Häusern wirklich besser, als vorher in ihren Slavischen Hütten. Dem Schwarzen hingegen gab der Baron bei einem Baue gar nichts, oder so wenig, daß er bei der vorigen Bauart bleiben mußte. Sehen Sie?“ sagte der Baron zu dem Obersten; selbst in diesen Kleinigkeiten hat die verschiedene Organisation den Celten von dem Slaven getrennt. Geben Sie Acht. Aus diesem neuen Hause en front, aus diesem hohen hellen Fenster, sieht gewiß ein Blondkopf; dort aus jenem Hause, das ebenfalls erst gebauet ist, das den Giebel auf die Gasse kehrt und so kleine dunkle Fenster hat, sieht ein Schwarzkopf. Nun? Was sagen Sie dazu?“Jener Mann wird wohlhabender seyn, als dieser.Mit nichten. Sie sind Beide gleich wohlhabend; allein die Organisation treibt jenen, sich hell und licht, und diesen, sich versteckt und dunkel anzubauen.“ Der Baron verschwieg sehr sorgfältig, daß er selbst das helle Haus gebauet hatte. Bei einem solchen Falle mußte der Oberst sich immer gefangen geben, weil er wirklich nichts davon begriff. Er schüttelte nur stillschweigend den Kopf über die seltsame Erklärung. Der Baron sah das Kopfschütteln, lächelte und sagte: warum bauet der Biber in Kanada und an der Elbe einerlei Gebäude? warum die Bienen in meinem Garten und in Asien gleiche Zellen? warum der Sperling in Europa und in Afrika ein ähnliches Nest? Die gleiche Organisation treibt sie dazu. Sehen Sie, aus demselben Grunde bauet der Slave in Asien eben das Haus, das der Slave auf meinen Gütern bauet: dunkel, eng und schmutzig; und der Celte am Kaukasus, wie in Deutschland, hell, groß, und reinlich. Zweifeln Sie noch? Ich könnte Ihnen das mit tausend anderen Fällen belegen, mit der Kleidung, mit dem Schnitte der Haare, mit den Möbeln, mit der Art zu sitzen, zu gehen, zu tanzen und so weiter, die allen Slaven und allen Celten eigenthümlich sind.“So hole der Teufel den Menschen, der bauen, essen, sitzen, tanzen, denken, fühlen und handeln muß, wie seine Organisation ihn zwingt! Fühlen Sie denn nicht, wozu Sie den Menschen machen? Zu einem Stocknarren der Natur, zu einer Marionette, die das hölzerne Maul aufreißt, und von Vernunft, von Moralität spricht, bloß um damit zu lachen zu machen. Herr, ich würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn ich Ihr System glauben müßte. Nein, zu allem Glücke sehen auch noch Weißköpfe aus engen, dunkeln Häusern hervor. Aber gewiß haben Sie nie einen Fuchs aus einem Bibergebäude hervorschauen sehen. Und das beweist eins für alles.Ich stehe Ihnen dafür, das Haus hat dann gewiß ein Slave gebauet, kein Celte; und nur davon ist die Rede.“ –Die Weißköpfe auf dem Gute des Barons lebten besser als die Schwarzen. Ihre Wohlhabenheit kam so schnell, so ohne Mühe, daß sie anfingen mehr auf Essen, Trinken und Betten zu wenden als sonst. Sie waren bequemer, als die Schwarzen. Der Oberst, der jetzt, wenn er bei dem Baron war, sich mehr um die Bauern bekümmerte, sagte ihm das, und warnte ihn vor ihrem Luxus.Sehen Sie, ein neuer Zug des Celten! Er muß besser essen, er kann nicht so hart liegen, als der Slave. Mit Einem Worte: der Celte ist weicher, zarter. Das werden Sie bei allen meinen Weißköpfen finden.“Aber Ihre Celten werden zuletzt verhungern müssen, wenn Sie fortfahren so zart zu seyn.Sorgen Sie nicht! Der Slave verschwelgt das auf einmal, wovon der Celte einen Monat lang genießt. Sehen Sie zu. Sie werden meine Weißköpfe wenigstens in eben so gutem Vermögenszustande finden, als die Schwarzen. Der Celte genießt mäßig; der Slave verschlingt, frißt. Bei den Mongolen ist das noch sichtbarer. Alle Theile des Kopfes, die zum Essen gehören, Beißmuskeln, Zähne, Backenknochen, sind bei ihnen um vieles größer und stärker, als bei den Celten. Sagen Sie selbst, muß ich nun nicht schließen, daß die Natur sie zum Verschlingen, zum Fressen, zu den elendesten Nahrungsmitteln bestimmt habe?“Aber, zum Teufel, Herr! wer heißt Sie so schließen? Die Mongolen sind durch den Grad ihrer Kultur, durch Klima, Beschäftigung, Lage, Umstände gezwungen, die härtesten Nahrungsmittel, rohes Fleisch, gedörrte Fische, Wallfischspeck, harte Wurzeln und dergleichen, zu verzehren. Ein Kind sieht ja ein, daß ein Mensch, der nur Suppen, Spinat, weich gekochtes Fleisch und Biskuit ißt, seine Beißmuskeln nicht so ausarbeiten kann, wie ein junger Mongol, dem die Mutter ein Stück rohes Fleisch zum Frühstücke giebt. Wer wird denn wohl, wenn er eines Bauern Hand und Arm befühlt, sagen: diese Hand ist härter, größer, muskulöser, stärker, knochiger, als meine; darum hat die Natur den Mann zu harten Arbeiten bestimmt, und mich für den Sofa! Des Mannes Hand ist durch die Arbeit härter geworden, wie des Mongolen Beißwerkzeuge durch die Arbeit stärker. Mit ihrer Art zu schließen könnte ich ja von einem Geräderten behaupten: die Natur hat diesen Unglücklichen bestimmt, auf das Rad geflochten zu werden; denn seht einmal her, wie viel geschmeidiger seine Knochen sind, als die meinigen! sie lassen sich biegen wie eine Weidenruthe.Ihre Vergleiche, Herr Oberst, sind so seltsam ...“Wie Ihre Beweise, Herr Baron.So zankten sie sich täglich; allein der Baron blieb unerschüttert. Er genoß des hohen Triumphes, fast alles, was Slavisch war, aus seinen Dörfern weggeschafft zu haben. Schon dreimal hatte er sogar das Glück gehabt, von auswärts her junge Blondköpfe mit drei Brünetten in seinem Dorfe zu verheirathen. Die Eltern sahen das gern; denn, so sehr sie die Blondköpfe auch haßten, so fühlten sie doch, daß es jetzt ein Glück sey, blondes Haar zu haben, besonders da der Baron die Befreiung von den Frohndiensten zum Preise dieser Verbindungen machte. Ein Paar Schwarzköpfe suchten voll Verdruß darüber, daß sie so zurückgesetzt wurden, ihre Höfe los zu werden. Der Baron kaufte sie, und verkaufte sie mit Schaden wieder, aber an die beiden blondesten Jünglinge, die in der Gegend zu finden waren. So sah er fröhlich dem Tage entgegen, da er rufen konnte: alle meine Unterthanen sind die edelsten Celten!Die Prophezeiungen des Amtmanns, der dem Dorfe den vollen Untergang verkündigt hatte, trafen nicht ein. Die Schwester des Predigers nahm den Baron sogar in Schutz. Ich verstehe von seinem Systeme nichts“, sagte sie, und mag nichts davon verstehen; aber daß Ihr Beide das System in die Hölle verdammt, begreife ich doch auch nicht. Der Baron ist nur zwei Jahre hier, und das Dorf hat zehn neue Häuser, in denen man nicht vor Gestank vergeht. Die Mädchen im Dorfe kleiden sich niedlich; die jungen Bursche auch: das mag ich leiden. Die Schulden des Dorfes sind bezahlt, und keiner hier leidet noch Noth. Nehmt es mir nicht übel; bringt ein System das in zwei Jahren hervor, so kann man ihm wohl zu gute halten, daß es schwarzes Haar und Augen verdammt, und dicke Bäuche haßt, obgleich Ihrer, Herr Amtmann, Ihnen recht hübsch läßt. Ich selbst mag lieber einen schlanken jungen Menschen leiden, als einen kurzen, dicken. – Die Bauern prügelten sich sonst alle Tage; aber das ist nun vorbei. Daß der Baron die Schwarzen aus dem Dorfe nach und nach wegschafft, kann ihm Niemand verdenken. Du schaffst ja nach und nach alle Pergamentbände aus deiner Bibliothek, und nimmst Franzbände; und da der Amtmann schafft alle Blumen, die nur einen gelben Punkt haben, ohne Gnade ab. Es sind aber Menschen, sagt Ihr. Nun wohl! Der Baron thut doch Keinem Unrecht, und jagt doch Keinen fort. Er kauft die Güter, und setzt, was Ihr nicht läugnen könnt, sehr hübsche junge Männer wieder hinein.“Aber, sagte der Prediger, was hätte mit eben dem Gelde, das dies alles kostet, nicht können gewirkt werden!Gebe der Himmel, daß erst alle Edelleute ihr Geld nur so anwenden, wie der Baron! Er läßt es sich etwas kosten, blonde Bauern in sein Dorf zu ziehen; aber er macht sie wohlhabend und glücklich. Andre Edelleute schaffen für ihr Geld Hunde, Pferde, Möbeln, und machen ihre Bauermädchen liederlich, ihre Bauern arm. Das System ist noch gut genug.“Wenn es nicht bekannter wird, sagte der Prediger, und es nur dabei bleibt; was ich aber nicht glaube!Bald nach dieser Unterredung hatte der Baron einen ziemlich lebhaften Streit mit dem Prediger, den er besuchte. Er behauptete: es sey ein Merkmahl unedler Abkunft, wenn ein Bräutigam ein sichtbares Zeichen der Keuschheit von seiner Braut fordere. Der Celte schätze nur die jungfräuliche Unschuld, ohne sich um ein sichtbares Zeichen der Jungferschaft zu kümmern.“Der Prediger erwiederte: aber was wäre denn unser Brautkranz anders?Der Baron mußte am Ende zugeben, daß der Prediger Recht habe; und von diesem Augenblick an lag ihm der Brautkranz, als die letzte Spur von Slavischen Sitten in seinem Dorfe, sehr schwer auf dem Herzen. Bald nachher sollte eine Hochzeit seyn. Er ließ den Bräutigam zu sich rufen, und sagte: höre, du sollst mir einen Gefallen thun.“ Der Bauer lächelte. Eine Kleinigkeit, die nichts in der Welt auf sich hat ... Du bist doch fest überzeugt, daß deine Braut noch Jungfer ist?“ – Der Bauer stutzte. O ja, Ihr Gnaden; ja, das bin ich. – Und du würdest doch gewiß kein Mädchen heirathen, von dem du vermuthen könntest, daß es sich schlecht aufgeführt hätte?“ – Nein, sagte der Bauer; wahrhaftig nicht! Glauben Ihr Gnaden, das thät' ich nimmermehr. Das weiß das ganze Dorf, so wie es weiß, daß meine Braut sich immer ehrlich aufgeführt hat, und unschuldig wie ein neugebornes Kind ist.Desto besser, wenn das Dorf so von dir und deiner Braut denkt! Um so leichter wirst du mir den Gefallen thun können, den ich von dir verlange. Laß dich mit deiner Braut trauen, ohne daß sie eine Brautkrone trägt; ich will dir auch ein ganz neues Wohnhaus bauen lassen.“ – Der Bauer stutzte wieder. Ihr Gnaden, sagte er mit argwöhnischen Blicken, wissen Sie etwa 'was, haben Sie 'was gehört, so sagen Sie. Wie? keine Krone? So weit wär' es?Der Baron beruhigte den Bauer. Eben weil wir, du, ich und das ganze Dorf, überzeugt sind, daß deine Braut eine reine Jungfer ist, so kann es dir ja einerlei seyn, ob sie eine Krone trägt oder nicht. Wie gesagt, ich will dir ...“Aber der Bauer schlug es kurz ab. Der Baron bat, befahl, drohete vergebens. Wenn nun aber deine Braut will?“ fragte er endlich. – Ihr Gnaden, erwiederte der Bauer erbittert: wenn meine Braut ohne Kranz in die Kirche käme – ja, bei meiner Seele! anstatt ihr die Hand zu geben als Mann, wollte ich sie zur Kirche hinaus prügeln!Aber, Mensch, wenn sie nun ein ehrliches Mädchen ist: kann es dir denn nicht gleichgültig seyn, ob ...?“Ob sie einen Kranz trägt? gleichgültig? Nein! nimmermehr! Wenn sie mir heute gestände: sieh, Hans, ich habe einmal gefehlt, ich bin einmal zu Falle gekommen; und es wüßte keiner darum, das wollt' ich ihr vergeben. Aber ohne Kranz in der Kirche – ich stieße sie mit den Füßen vom Altare weg! das thät' ich!Aber du Narr“, rief der Baron hitzig; ist dir denn das Zeichen der Sache lieber, als die Sache selbst?“Ei was! Sache hin, Sache her! das sind Possen. Darnach hör' ich nicht. Aber an den Brautkranz, nicht rühr an! Der ist das Beste an der ganzen Hochzeit; das ist ja ordentlich das Christenthum dabei. Lieber die Hand hier, als den Kranz! Ei, seh doch einer! ohne Kranz! lieber mein Leben!Der Baron machte einen neuen Versuch, der aber noch übler ablief. Er wurde endlich durch des Menschen Unvernunft, durch eine so unbegreifliche Anhänglichkeit an das Slaventhum, so erbittert, daß er schimpfte. Gestohlen“, rief er, gestohlen hast du das blonde Haar, die blauen Augen! Ein Bankert, ein Bastart bist du, du unvernünftiger Mensch! ein Hurkind! Ein Kakerlake war dein Vater. Alles an dir lügt. Und den Brautkranz soll deine Braut nicht tragen, und keine mehr im Dorfe, so lange ich lebe; oder ich lasse euch die Kirche verschließen! Keine, weder deine, du Elender, noch eine andre!“Der Bauer eilte wüthend zu Hause, und fand da eben seine Braut mit ihren Eltern und Anverwandten. Daß dich die Pest!“ rief er beim Hereintreten. Denkt nur! Der Edelmann will meiner Braut verbieten, sich in einem Kranze trauen zu lassen!“ – Alle sprangen auf, und schrieen durch einander: Wer, wie, was? Sie soll keinen Kranz tragen? – Wer? meine Tochter? was? hat sie sich nicht ehrlich aufgeführt? Das hat er gesagt, der Baron? – Das hat er gesagt!“ rief der erhitzte Bräutigam. Und mich hat er ein Hurkind genannt, hat gesagt, Ihr wärt mein Vater nicht, sondern ein – ich weiß nicht mehr, wie mein Vater heißen sollte.“Es entstand ein neuer Lärm. Du ein Hurkind? Wie? Ich wäre dein Vater nicht? – Des Bräutigams Mutter fing an eben so kräftig zu schreien, als der Braut Mutter schon schrie. Die Väter fluchten unter einander. Den Teufel auch! das wollen wir ihm wohl zeigen! Sie soll einen Kranz tragen; zwei, wenn wir's wollen! – Ja, seht nur zu!“ rief der Bräutigam: er will uns die Kirche vor der Nase zuschließen lassen.“ – Je, das ist doch unerhört! riefen die Alten. Unsere Kirche? Gebt Acht, das geht immer weiter! Zuerst hat er uns beredet, die Schwarzköpfe wären Zigeuner ... –Ja, ja, da seht Ihr's nun! hob ein alter Schwarzkopf an, ein Verwandter der Braut. Den seligen ehrlichen Schulzen hat er auch auf den Kirchhof gebracht! Wer weiß, wo sein Sohn jetzt modert, und Herrmanns Tochter in der Irre herumläuft!Herrmann sprang auf. Das ist wahr, rief er; durch ihn bin ich um meine Tochter gekommen. Ich leid' es nicht, das sag' ich.Ja, ja! Und darf er uns denn befehlen, an wen wir unsre Kinder verheirathen sollen? Das thut ja der König nicht einmal; und der Edelmann nimmt sich das heraus! Und hat er nicht Jost und Hennig so lange geplackt, bis sie ihm die Höfe verkaufen mußten? Und nachher handelt er mit unsern Gütern! Ist das recht?Und wir dürfen nicht tragen, was wir wollen! keine Pelzmützen! Und der Schäfer sogar hat müssen seinen Schafpelz ablegen! Und sagt noch lange, er ist uns gut, und bringt unsere Kinder unter die Soldaten!Und jetzt will er uns gar verbieten, unsere Töchter in Kränzen trauen zu lassen, als ob sie Huren wären! und da, den Bräutigam heißt er ein Hurkind!Das Schreien dieser Leute, die sich unter einander immer stärker erhitzten, zog mehr Leute herbei; und jedem wurde mit tausend Zusätzen erzählt, daß der Baron den Bräuten verwehren wolle, einen Kranz aufzusetzen.Endlich entschlossen sich die Väter des Brautpaares, zu dem Edelmanne zu gehen, und ihn zu fragen, ob das wirklich seine Meinung wäre. Der Baron saß eben und ärgerte sich über den Triumph, den der Prediger haben würde, wenn die Braut nun doch einen Kranz trüge. Er sann auf Mittel, die Eltern mit Güte auf seine Seite zu bringen, als gerade die beiden Väter zu ihm herein kamen. Sie fragten mit scheinbarer Unterthänigkeit, ob er den Bräuten verboten habe, Kränze zu tragen. Der Baron wollte versuchen, was Entschlossenheit ausrichten würde. Er sagte: ja, ich habe es verboten; und künftig trägt keine Braut einen Kranz mehr.“ – Und wollen denn Ihr Gnaden uns die Kirche zuschließen lassen? fragten die Bauern weiter. – Ja!“ sagte der Baron kurz ab; wenn Ihr nicht gehorchen wollt, ja!“ – Wir wollen Ihr Gnaden Antwort sagen, erwiederten die Bauern, und gingen.Sie kamen zu Hause, und brachten den Bescheid. Nun beschloß man allgemein, den Baron bei der Regierung zu verklagen. Der alte Schwarzkopf, auf dessen Verschmitztheit und Rachbegierde man sich verlassen konnte, erhielt den Auftrag, in einer benachbarten Stadt eine Klage von einem Advokaten aufsetzen zu lassen. Man gab ihm dazu eine Vollmacht; und der Alte ging unverzüglich mit dem Bräutigam und dem Vater der Braut nach der Stadt.Sie wendeten sich an einen Winkeladvokaten, den sie schon länger kannten, und der Muth genug hatte, selbst den König bei dem Könige zu verklagen; aber sogar dieser Mann erstaunte über die seltsame Klage der Bauern, und fragte mehrere Male: Leute, lügt Ihr auch nicht? Das ist ja nicht möglich! – Sie erzählten indeß so viele kleine Umstände, setzten alles so genau auseinander, und waren in ihrer Aussage so einstimmig, daß der Advokat nicht länger zweifeln konnte, und die Klage aufsetzte, so wie die Bauern sie haben wollten. Der Advokat war eine von jenen boshaften Seelen, die keine Gelegenheit vorüber gehen lassen, ehrliche Leute zu necken, von denen sie beleidigt zu seyn glauben. Der Regierungs-Präsident hatte ihn schon einige Male sehr ernstlich über sein Aufhetzen der Bauern zur Rede gestellt. Jetzt fand der Advokat eine Gelegenheit, sich an ihm, auf Kosten eines Dritten, so bitter zu rächen, als er nur wünschte. Boshaft lächelnd schrieb er, und reichte die Klage ein.Hier ist“, sagte der vortragende Rath in der nächsten Session, eine so seltsame Klage, daß man kaum seinen eigenen Augen trauet. Die Gemeinde in Zaringen beschwert sich, daß ihr Gutsherr, der Baron von Flaming, sie seit zwei Jahren auf die unerhörteste Art gemißhandelt und unterdrückt habe, und bittet um schleunige Hülfe. Sie sagt: Erstlich habe der Baron alle Familien gegen einander aufgehetzt, Haß und Zwietracht in der Gemeinde verbreitet, und seine Freude an den Schlägereien der Bauern gehabt, wie das die Akten des Justizamtmannes bewiesen, die man mit den Akten vor der Ankunft des Barons vergleichen müsse, um zu sehen, wie ruhig und friedlich die Gemeinde vorher gelebt hätte. Um diesen Haß recht glühend zu machen, habe der Baron den Bauern mit blondem Haar und blauen Augen vorgespiegelt: die mit schwarzem Haare wären Nachkommen von Zigeunern, und müßten eigentlich nur Leibeigene der andern seyn; so wie er denn auch alle Menschen, die schwarzes Haar und schwarze Augen, einen dicken Bauch und dicke Lippen hätten, und gar schwarze Kleider trügen, bitter haßte, und sie geradehin für Dummköpfe, Mörder, Hurer und Diebe erklärte, in welchem Stande und Würden diese Menschen auch lebten“; (Hier verzogen alle Anwesende die Lippen zum Lächeln, ausgenommen der Präsident, auf den die Beschreibung, selbst bis auf das schwarze Kleid, das er immer trug, völlig paßte. Bei diesem Punkte hatte der Koncipient der Klage sich auch am weitläuftigsten ausgelassen, weil es der Punkt seiner Rache war) – wie der Baron denn auch sogar den Justizamtmann damit verächtlich zu machen gesucht. Und so habe denn auch kein Bauer, der so unglücklich sey, schwarzes Haar zu haben, Gerechtigkeit erhalten, sondern wäre bedrückt, und oft ganz unschuldig mit Gefängniß und andern harten Strafen belegt worden, wie sich das aus den Akten des Dorfes ergeben würde. Der Baron habe ferner alle Heirathen zwischen Weiß- und Schwarzköpfen bei harter Strafe verboten, wie er denn auch ein Paar junge, gute Leute, den Sohn des Schulzen im Dorfe, und die Tochter des Bauern Herrmann, die mit Einwilligung ihrer Anverwandten sich verlobt gehabt, an ihrer Heirath gehindert, und sie endlich auf eine tyrannische Weise gezwungen, in die Welt zu gehen, worüber der alte Schulz vor Gram gestorben, und sein Hof noch leer stehe, weil man nicht erfahren können, wohin der junge Mensch gegangen sey. Ueberhaupt habe der Baron seine Unterthanen von schwarzer Farbe so gedrückt, daß sie sich aus Noth entschließen müssen, ihm ihre Güter zu verkaufen, und das Dorf, worin sie geboren worden, und ihre Familien zu verlassen. Zu diesen unerhörten, sinnlosen Bedrückungen gehöre, daß der Baron den Mannspersonen verboten habe, Pelzmützen, Pelze, weite Beinkleider und Röcke von schwarzer oder dunkelblauer Farbe zu tragen; die Mädchen hätten müssen in Einem Rocke, und beinahe ohne Bedeckung auf der Brust gehen. (Ein allgemeines Gelächter.) Sie hätten kein fettes Fleisch essen dürfen, und was dergleichen noch mehr wäre. Die Blonden hätte er auf eine andere Weise gedrückt. Er habe bei Aushebung der Rekruten den dazu kommandirten Officier zu bereden gewußt, nur Weißköpfe zu nehmen, und die Schwarzköpfe zu verschonen. Ferner habe er die Weißköpfe in ihrem Glauben irre gemacht, da er ohne Scheu öffentlich behauptet: sie stammten nicht von Adam ab, und die wahre Erbsünde sey ein dicker Bauch und schwarzes Haar. (Gelächter.) Er mache die Familien irre, indem er behaupte, daß der und der ein Bastart sey. Jetzt habe er nun gar jeder Braut verboten, einen Kranz zu tragen, und wolle dadurch die ehrlichen Mädchen zu Huren herabwürdigen; ja, er gehe in seiner Tyrannei so weit, daß er schon gedrohet habe, die Kirche, welche doch der Gemeinde gehöre, verschließen zu lassen. Die unglückliche und ganz verlassene Gemeinde von Zaringen bitte nun um Hülfe, Untersuchung ihrer gerechten Klagen, und schleunige Abhelfung ihrer Beschwerden, weil jetzt eine Braut befürchten müsse, ohne Kranz zur Trauung zu gehen, und sich dadurch auf ihr ganzes Leben zu beschimpfen.“Die ganze Versammlung sah einander an, lachte, und zweifelte. Dieser dachte sich den Baron so, jener anders. Ein junger Rath sagte mit funkelnden Augen: das ist ein boshafter Mensch, der sein Vergnügen daran findet, Menschen zu martern, ein Ungeheuer, wenn nur die Hälfte von dem Allen wahr ist!“ – Ich vermuthe“, sagte ein anderer schmunzelnd, es ist ein Bon vivant, ein Mädchenjäger. Er zwingt die Mädchen, halb nackend zu gehen. Die Bauern sind eifersüchtig. So läßt sich das Andere erklären.“ – Ein Spottvogel“, rief ein dritter, der den Prediger, den Amtmann und die ganze Welt zu Narren macht. Das wird es seyn; denn es ist gar zu toll.“ – Oder der Baron muß den Verstand verloren haben“, sagte ein vierter. – Ich setze meinen Kopf zum Pfande, er ist alles zusammen“, sagte der Präsident; und ein neumodiger Philosoph dazu, der es gern sähe, wenn die Räthe der Landeskollegien in Reitjacken gingen! Der Narr, der!“Ein Rath bekam nun den Auftrag, die Klage an Ort und Stelle zu untersuchen; und dem Prediger in Zaringen wurde sogleich befohlen, die Braut mit einem Kranze zu trauen, wenn sonst nichts im Wege stände. Der deputirte Rath schickte dem Baron die Klage der Gemeinde nebst seinem Kommissoriale zu, und bestimmte den Tag, wann er in Zaringen eintreffen würde.Die Klage kam dem Baron so unerwartet, daß er kaum seinen Augen traute, als er sie las. Er schickte zu dem Amtmanne, der eben so sehr erstaunte. Als dann der Prediger dazu kam, fand man die Ursache der Klage so ziemlich aus. Auch die Gemeinde erhielt das Kommissoriale von der Regierung; und so geschäftig der Baron mit dem Amtmann und dem Prediger war, einen Entschluß zu fassen, so thätig waren auch die Urheber der Klage, die übrigen, welche noch nichts von der Sache wußten, auf ihre Seite zu bringen. Die Weißköpfe ließen sich überreden, weil man ihnen vormahlte, daß der Baron jetzt gezwungen werden solle, die Befreiung ihrer Güter von Frohndiensten ganz unbedingt fest zu setzen.Der Amtmann machte einen Versuch, die Gemeinde zu bereden, daß sie die Klage zurücknehmen möchte. Der Prediger aber versprach sich davon nichts; und seine Prophezeiung traf ein. Die Bauern wurden jetzt erst recht eifrig; sie hielten diesen Vorschlag für eine Anerkennung, daß sie den Prozeß gewinnen müßten. Der Prediger erkundigte sich heimlich nach der eigentlichen Absicht der Bauern; denn so viel sah er wohl ein, daß sie selbst es mit dieser Klage nicht recht ernstlich meinen, und höchstens, weil der Schein für sie war, eine Demüthigung des Edelmannes bewirken konnten. Er brachte bald heraus, daß sie hofften, bei dieser Gelegenheit unbedingte Befreiung von den Frohndiensten zu erhalten. Dies sagte er dem Baron, und stellte ihm zugleich vor, daß er, da der Schein ganz gegen ihn sey, in diesem Prozesse eine schlechte, demüthigende Rolle spielen werde. Er gab ihm sogar zu verstehen, daß er mit einem kleinen Opfer, welches er den Bauern freiwillig brächte, sie leicht bewegen würde, die Klage zurückzunehmen.Wie?“ sagte Flaming: diese Undankbaren sollten mich zwingen, ihnen die Wohlthaten zu geben, die ich ihnen freiwillig antrug, nur unter der Bedingung, daß ich sie glücklich machen dürfte? Nimmermehr! Habe ich denn Unrecht? O, die Undankbaren! Da stehen, anstatt verfallener Hütten, reinliche Häuser; anstatt unfruchtbarer Aecker, reiche Ernten. Da gehen sie, sonst wie zerlumpte Bettler, jetzt anständig und reinlich gekleidet! und mich, der ich ihnen das alles gab, mich klagen sie als einen Tyrannen, als einen Rasenden an? O, lassen Sie mich! Ich werde stillschweigend den Kommissarius bei der Hand nehmen, und ihm die reinlichen Häuser zeigen, die Ställe voll Pferde, die Heerden Kühe und Schafe, die Aecker voll Dünger und Saat. Ich werde ihm die Bücher aufschlagen, ihm die Schulden zeigen, welche die undankbaren Menschen seit den zwei Jahren, die ich hier bin, abbezahlt haben. Dann will ich ihn fragen: bin ich ein Tyrann, bin ich ein Rasender? und die Elenden werden verstummen.“Sie kennen die Bauern nicht! sagte der Prediger. Trotz dem Allen werden die Ihrigen auf Untersuchung der einzelnen Klagepunkte dringen! und da ist der Schein gegen Sie, Herr Baron.Nein, nein! das können sie nicht. Menschen mit blondem Haar, mit blauen Augen! das können sie nicht! Wahrhaftig, es wäre ein Mongolen-Streich!“Bauern, Ew. Gnaden, sind Mongolen, so lange sie nicht besser erzogen werden. Der Mensch ohne Bildung der Seele ist immer mehr oder weniger Mongol. Der gebildete Mann ist der einzige Celte auf der Erde.Hier unterbrach der Amtmann den Baron, der so eben anfangen wollte, sein System zu vertheidigen: Mir fällt etwas ein. Ew. Gnaden haben Recht. Abzwingen muß man sich nichts lassen. Versprechen Sie den Weißköpfen die vollkommene Freiheit von dem Frohndienste, so machen wir die Gemeinde uneinig, und der Sieg ist unser. Die Weißen treten dann auf unsere Seite, dafür steh' ich Ihnen.Der Baron sah den Amtmann verächtlich an: Wie? ich soll mich zu Künsten herablassen? den Betrieger spielen? ... List und Verschmitztheit, Herr Amtmann, sind nicht die Waffen, womit ein Celte sich vertheidigt. Hätte ich Unrecht, so würde ich geradezu sagen: ich bin schuldig. Allein ich habe Recht; und das Recht geht keine Schleifwege. Wie? sollen meine Unterthanen von mir lernen, daß Betriegen erlaubt ist? Lassen Sie mich! Ich werde mich vertheidigen. Und was sorg' ich? Ich will der Regierung mein ganzes System vorlegen; ja, vielleicht ist dies der Zeitpunkt, den die Vorsehung herbei führt, das Auge des Staates auf mein System zu richten.“Der Prediger schwieg mit einer bedauernden Miene, und ging; denn hier war jetzt kein Rath mehr möglich. Aber er ging, mit Achtung für das Herz des Barons.Flaming war nun fest entschlossen, die Sache ihren Gang gehen zu lassen; aber dabei wurde auch die Vorstellung sehr rege, daß er sich bisher durch sein System nichts als bittre Feinde gemacht hätte. Seine natürliche Gutherzigkeit führte ihn zugleich auf den Gedanken, daß sein System auch Andern eben so vielen Verdruß erregt habe, als ihm selbst. Ja“, dachte er; es ist wahr! Wie weh muß es nicht einem Manne thun, wenn er sich auf einmal aus der Klasse der besseren Menschen weggestoßen sieht! ... Wohl! noch einmal also will ich mein System vorlegen, und dann es auf ewig in meine Brust verschließen. Unbemerkt will ich thun, was ich kann; verborgen will ich jede Ehe der Celten mit den unedleren Slaven verhindern. Alles Andre überlasse ich der Vorsehung.“ Er stand auf, und ritt sehr ruhig durch die Fluren seines Dorfes. Von einer Anhöhe betrachtete er die schönen Häuser, welche aus den üppigen Blüthen der Fruchtbäume hervorsahen. Sey es, wie es sey; sie sind jetzt glücklicher, als ehemals. Undank belohnte von jeher die Wohlthäter der Menschen; und ihr Undank soll mich nicht abhalten, ihnen Gutes zu erweisen. Ja, ihr sollt frei seyn von allen Frohndiensten! Ihr haßt mich, und ich will euch wohlthun!“Dieses Gefühl gab ihm jenen edlen Stolz, der das Herz erhebt. Langsam ritt er durch die Gassen seines Dorfes, freuete sich über den Wohlstand seiner undankbaren Bauern, und beschloß, gleich nach Beendigung des Prozesses Schwarzen und Blonden die Freiheit von allen Diensten unbedingt zu geben.Der zur Untersuchung bestimmte Tag rückte heran. Der Regierungsrath hatte ein elendes, verfallenes Dorf erwartet, und fand zu seinem Erstaunen große, reinliche Häuser. Sein Begleiter, ein junger Referendar, machte ihn aufmerksam auf die wohlgekleideten Bauermädchen, und auf die frohen, gesunden Kinder, die vor den Häusern spielten.Der Baron empfing sie mit Anstand, bescheiden, ohne jene falsche Höflichkeit, die den Richter bestechen, ohne den erborgten Trotz, der ihn schrecken soll. Doch fuhr er ein wenig zusammen, als er sah, daß der Regierungsrath mehrere Kennzeichen einer Slavischen Abkunft an sich hatte. Er war Willens gewesen, ihm sein System, ganz ins Kurze gezogen, nebst einer Vertheidigung gegen die einzelnen Klagpunkte, vorzulegen. Aber nun schob er sein Heft unter seine andern Papiere. Himmel! seufzte er heimlich; ist es nicht, als ob mir alle Slaven auf den Leib gebannt wären?Meine Bauern“, fing er endlich an, haben mich angeklagt, ich sey ihr Tyrann, ihr Unterdrücker, ein Rasender, der sein Vergnügen daran finde, sie unglücklich zu machen. Ueber die einzelnen Punkte müssen wir freilich auch reden; allein erlauben Sie, Herr Regierungsrath, daß ich zuerst im Allgemeinen meine Vertheidigung führen darf.“ Die Bauern wurden auf das Schloß beschieden. Als sie da waren, wollte der Regierungsrath anfangen protokolliren zu lassen; allein der Baron hielt ihn davon ab. Was ich sagen will, mag ungeschrieben bleiben. Es betrifft nur mich.“ Er ließ das Hypothekenbuch bringen, schlug einen Bauern nach dem andern auf, und zeigte dem Regierungsrathe die Summen, die jeder vor zwei Jahren schuldig gewesen war, und nun schon abbezahlt hatte. Dann setzte er dem Regierungsrath aus einander, und zwar in Gegenwart der Bauern, daß er ihnen Summen ohne Zinsen, oder doch zu ganz unbedeutenden, vorgeschossen, und die Bezahlung in Korn zu hohen Preisen zurückgenommen habe. Kurz, er machte dem Rathe deutlich, daß die Bauern durch ihn schuldenfrei waren. Sie gestanden das zu; und der Regierungsrath wendete sich nun zornig zu ihnen. Ich bitte Sie“, sagte der Baron; weiter!“ – Jeder Bauer mußte angeben, wie viel Vieh er vor zwei Jahren gehabt, und wie viel er jetzt habe. Der Unterschied war auffallend. Alle gestanden ebenfalls, daß der Baron es ihnen Theils zu sehr mäßigen Preisen auf Kredit verkauft, Theils auch völlig geschenkt hätte. – Sie selbst“, fuhr der Baron fort, sind durch die Flur gekommen, und werden nun leicht begreifen, warum sich die hiesigen Felder vor den benachbarten auszeichnen. Das Dorf haben Sie gesehen, Herr Rath; ich wollte, Sie hätten es auch vor zwei Jahren gesehen. Die Häuser hab' ich Theils ganz auf meine Kosten bauen lassen, Theils die Baumaterialien dazu geschenkt. Wenn einer – hier stehen sie Alle, sie mögen reden – wenn einer von ihnen ein Unglück hatte, Hagelschlag oder Ueberschwemmung, so habe ich den Schaden ersetzt. Wenn einer von ihnen krank lag, so habe ich den Arzt holen lassen, ihn und die Arzenei bezahlt. In jeder Noth konnten sie sich frei an mich wenden, und niemand kann sagen, daß er ohne Hülfe von mir gegangen ist.“ Die Bauern schwiegen. Einem Theile von ihnen“, hob der Baron nach einer Pause wieder an, hab' ich die Dienste erlassen, die sie mir schuldig waren. Jetzt, Herr Rath, kennen Sie den Tyrannen, den Unterdrücker dieser Menschen. Das hab' ich ihnen gethan.“Nun wollte der Regierungsrath anheben. Der Baron aber fiel ein: Nein, Herr Rath, seyn Sie ruhig. Dies ist nichts als ein Privatakt. – Jetzt mit euch ein Paar Worte, ihr Undankbaren! Ich habe euch Gutes erzeigt, das werdet ihr nicht läugnen. Zum Dank dafür verschreiet ihr mich als ein Ungeheuer. Aber ich will Frieden. Wollt ihr eure Klage zurücknehmen?“ – Es entstand ein Gemurmel. – Jetzt keine Antwort. Besinnt euch. Nachmittags sagt mir, was ihr thun wollt.“ Die Bauern gingen, und auch der Baron entfernte sich, um keinen Verdacht zu erregen.Der Rath konnte sich von seinem Erstaunen nicht erholen. Er sagte zu dem Prediger, der zur Gesellschaft bei ihm blieb: das ist mir unbegreiflich; die Klage der Gemeinde ...Ist, unterbrach ihn der Prediger, einzeln genommen, so wahr, wie des Barons Vertheidigung.Das ist nicht möglich, sagte der Rath: denn das sind Handlungen eines rasenden Tyrannen; und Ihr Baron ...Ist ein edler Mann, wollen Sie sagen, und Sie haben Recht. Eine einzige Grille von ihm, seltsame Zufälle, einzelne Handlungen, die rasend scheinen, ohne es zu seyn, unzusammenhängend, und sehr wohl zusammenhangen, haben die Klage veranlaßt, die, so seltsam sie auch klingt, dennoch wahr ist. Die Bauern haben Recht, und der Baron nicht weniger. Ich glaube übrigens, Herr Regierungsrath, auch Sie müssen auf Ihrer Hut seyn, daß die Grille des Barons Sie nicht mehr beleidigt, als eine bloße Grille es eigentlich sollte. Doch verzeihen Sie. Vielleicht nehmen die Bauern ihre Klage zurück; und dann ist jedes Wort, das ich gesagt habe, und das nicht zu des Barons Lobe ist, schon zu viel.Die Bauern nahmen, so sehr auch das Betragen des Barons sie in Bestürzung gesetzt hatte, ihre Klage nicht zurück, weil der Schwarzkopf seine Rachsucht allen Andern mitzutheilen wußte. Sie ließen Nachmittags dem Baron sagen: die Sache wäre einmal angefangen, und sollte den Weg Rechtens gehen.Die Undankbaren!“ rief der Baron mit Unwillen: die Elenden! die Niederträchtigen! Wohl denn! von nun an will ich ihr Herr seyn! Sie stoßen die Würde, welche die Natur ihnen gegeben hat, von sich. Wohl denn! so sollen sie mir die Dienste leisten, wozu die Natur nur den Slaven verdammte. Ich habe ihnen einen Vergleich angeboten; das soll meine letzte Güte gegen sie seyn!“ Aber da dachte er wieder an den Rath mit dem schwarzen Haar. Er stützte nachdenkend den Kopf in die Hand. Also bin ich gezwungen, noch einmal einem Menschen wehe zu thun, der in dem glücklichen Wahne ist, zu den besseren Menschen zu gehören?“ Dieser Gedanke fiel sehr schwer auf das Herz des Barons. – Nein!“ rief er bald; er bleibe in dem süßen Wahne!“ – Es kostete ihm nicht viele Mühe, seine Begierde nach Rache an den Bauern zu unterdrücken. Er eilte zu ihnen. Ihr sollt euren Willen haben“, sagte er ohne alle Hitze. Laßt eure Töchter mit Kränzen trauen; ja, meinetwegen hängt ihnen das Laken des Brautbettes um, und führt sie so mit Trompeten im Dorfe umher; kleidet euch in Pelz, wenn ihr wollt: ich will es gern sehen. Zieht euren Töchtern zehn Röcke über einander an, mir soll es künftig gleichgültig seyn. Gebt euren Töchtern meinethalben Neger zu Männern. Aber nehmt eure Klage zurück; und ich erlasse dafür euch Allen, Schwarzen und Blonden, die Frohndienste.“Doch ohne alle Bedingung? fragte der Schwarzkopf.Ohne alle Bedingung, wenn Ihr die Klage zurücknehmt.“Die Bauern thaten das, und der ganze Handel endigte sich mit einem Vivat hoch!“, das sie dem Baron brachten, sobald sie das Instrument, welches ihnen die Freiheit sicherte, in Händen hatten. Noch an eben dem Tage gab der Baron ihnen einige Tonnen Bier zu trinken, wobei denn natürlicher Weise auch getanzt wurde. Sehen Sie“, flisterte er dem Prediger zu; sie sind doch nicht so undankbar, als Sie glauben. Ich kannte sie dennoch besser, als Sie.“Beinahe hätte er ihnen noch mehr gegeben, als sie verlangten; denn sogar die Töchter der Schwarzköpfe waren heute beim Tanze so schlank und so hellfarbig gekleidet, wie die Blondinen.Reitzende Mädchen! sagte der junge Referendar zu dem Baron. Solche allerliebste schlanke Bauernmädchen hab' ich in meinem Leben nicht gesehen. – Ich bin's“, sagte der Baron mit Stolz, der sie so reitzend gemacht hat; und eben darum haben die Väter mich verklagt!“Am andern Morgen fuhren der Rath und sein Gehülfe wieder ab, bezaubert von dem Edelmuthe des Barons, und noch immer in Ungewißheit, wie eine solche Klage gegen ihn möglich gewesen sey.Der Baron war durch die anscheinende Dankbarkeit seiner Bauern völlig mit ihnen ausgesöhnt, und sann schon die Nacht hindurch wieder auf Mittel, sie zu völligen Celten zu machen. Die Bauern aber handelten gerade wie alle rohe Menschen. Sie fühlten, daß sie den Baron beleidigt hatten, und glaubten, ihn zu seiner letzten großen Wohlthat gezwungen zu haben; daher erwarteten sie jetzt von ihm alles mögliche Böse. Sie setzten sich gegen ihn gewissermaßen in Vertheidigungsstand, waren völlig entschlossen, ihm so viel Verdruß zu machen, als sie von ihm befürchteten, und fingen, nach Art aller rohen Menschen, unverzüglich mit der Ausführung an. Zu gleicher Zeit glaubten sie, das wahre Mittel gefunden zu haben, wie sie von dem Baron alles erlangen könnten, was sie wollten; und das, meinten sie, wäre Trotz, und die Drohung zu klagen. Nachdem einige Tage ruhig verlaufen waren, hatte die Gemeinde eine Forderung an den Baron. Er war in der Stimmung, sie ihnen zu gewähren; allein sie machten die Forderung mit einem solchen Ungestüm, daß er beinahe nicht umhin konnte, sie ihnen abzuschlagen. Der Abgeordnete der Bauern drohete nun sogleich in sehr harten Ausdrücken dem Baron mit einer Klage. Dieser verlor die Geduld, warf den Bauer zum Zimmer hinaus, und ließ ihn einstecken.Jetzt war der Krieg öffentlich erklärt. Die Bauern klagten wirklich, und wurden abgewiesen. Nun schlug die Flamme der Rache hoch auf. Der bestrafte Abgeordnete, ein Blondkopf, trug schon an eben dem Tage, da er aus dem Gefängnisse gekommen war, einen Schafpelz und weite Beinkleider. Seine Töchter mußten, schwarz gekleidet, mit wenigstens sechs hoch hinauf gebundenen Röcken, dem Baron überall begegnen. Der Baron ließ sich seinen Verdruß darüber zu sehr merken; und jeder Bauer, dem er auch das Unmögliche abschlug, kroch nun sogleich mit seiner Familie in Schafpelze und dunkelfarbige Kleider. Wollte das nicht helfen, so drohete er mit einem schwarzköpfigen Schwiegersohne; ach! und der Baron mußte in der That sehen, daß zwei seiner schönsten Blondinen an Schwarzköpfe verheirathet wurden, ohne daß er es hindern konnte.Diese Unannehmlichkeiten verleideten ihm den Aufenthalt auf seinem Gute. Er war entschlossen, es zu verlassen; nur hatte er noch keine bestimmte Vorstellung, wohin er sollte. Emiliens reitzendes Bild, das bis jetzt unter dem Plane, seine Bauern zu veredeln, begraben gelegen hatte, hob sich jetzt wieder mit hellen Farben in seiner Phantasie hervor. Aber wo wollte er Emilien finden?Der Oberst hatte die Frau von Koch wieder gesprochen, und sie zu einer Versöhnung mit dem Baron geneigt gefunden. Machen Sie ihr doch, sagte er zu Flaming, nur einen Besuch. Während Sie sich hier mit Ihren Bauern zanken, um eine Handvoll blondes Haar mehr in ihr Dorf zu schaffen, könnten Sie selbst schon ein Paar Jungen oder Mädchen von Emilien im Hause herumlaufen haben, die ja, wenn Ihr System nur halb richtig ist, um den Kopf so blond seyn müssen, wie Kanarienvögel. Wie gesagt, machen Sie der Koch einen Besuch. Die Frau ist so schlimm nicht, wie Sie glauben.Nie mit der Koch ein Wort von Emilien, Herr Oberst! Ich habe sie beleidigt; und wollüstige Menschen, wie ich Ihnen sage, können nie vergeben, auch wenn sie schwören, auch selbst wenn sie wollen.“Aber, zum Teufel, Baron ...Fluchen Sie, so viel Sie wollen. Das kann mich nicht dahin bringen, von meiner Ueberzeugung abzugehen. Emilie soll mein seyn, ohne die Frau von Koch.“Der Oberst schwieg, reiste aber bald wieder nach der Residenz des kleinen Fürsten, um für den Baron thätig zu seyn. Als er dahin kam, war die Frau von Koch kurze Zeit vorher auf einmal verschwunden. Der Fürst hatte ein schönes Mädchen sehr ausgezeichnet unterschieden. Frau von Koch versuchte erst alle Mittel, ihn von seiner Leidenschaft zurückzubringen; als sie das unmöglich fand, verkaufte sie ihr Haus, ihre Möbeln, und reiste in aller Stille ab, ohne daß man errathen konnte, wohin. Man wollte wissen, daß ihre Entfernung dem Fürsten Thränen gekostet hätte. So viel behauptete man mit Gewißheit, daß er kein Geld gespart habe, den Weg, den sie genommen, und ihren Aufenthalt aufzuspüren. Ob es ihm gelungen sey, konnte man nicht sagen. Er war eine Zeitlang weg gewesen, man wußte nicht wo, und dann in sehr übler Laune zurückgekommen.Mit diesen Nachrichten reiste der Oberst wieder zu dem Baron, und theilte sie ihm ganz kalt mit. Die Einzige, – so endigte er – die Emiliens Aufenthalt wußte, ist nun verschwunden, und also ... Ich wasche meine Hände in Unschuld.Der Baron antwortete sehr ruhig: Nun wohl! so suchen wir sie auf. Sie wird doch irgendwo auf der Erde zu finden seyn; und dann hab' ich der Frau von Koch, die ich nun einmal hasse, nichts zu verdanken. In einigen Tagen reis' ich ab; und wahrhaftig, lieber Oberst, ich werde nicht eher zurückkehren, als bis ich Emilien gefunden habe.“Sie verwickeln sich da in unendliche Schwierigkeiten. In dem weiten Deutschland ein Mädchen aufzusuchen!Emilie verdient es. Seyn Sie ganz ruhig; ich werde sie finden.“Der Oberst begriff nicht, warum der Baron auf einmal mit solchem Enthusiasmus Emilien aufsuchen wollte. Allerdings war dem Baron die Idee interessant, seine Geliebte als den Preis seiner Reise zurückzubringen; aber zugleich hatte er auch noch einen andren Zweck: seine Theorie durch die Praxis zu bestätigen. Der Prediger hatte ihm oft den Einwurf gemacht: Sie reden mit solcher Gewißheit von den Sitten der Celten und Slaven, als ob Sie Ihr ganzes Leben hindurch auf Reisen an Ort und Stelle Versuche mit Ihrer Theorie angestellt hätten; und doch haben Sie seit der Erfindung Ihres Systems noch nicht mehr als zwei oder drei Punkte von Ihrem Vaterlande gesehen.Wohl! dachte der Baron nun; so will ich denn Deutschland durchstreifen, überall die Slaven und die Celten belauern, und dann endlich den Unglauben völlig besiegen! Ja, ich will die Celten aufsuchen, wo sie noch echt und ungemischt sind: in den geistlichen Fürstenthümern. An ihrem Urbilde will ich mein Auge üben, bis ich selbst den kleinsten Zug der Celtischen Schönheit in dem Nebel der Slavischen Gestalt auffinden kann. –Aber noch mehr. Erst vor einigen Tagen war der Baron in einer benachbarten Stadt gewesen, und man hatte da in einer Gesellschaft über den Werth der alten und der neueren Gelehrten gesprochen. Wie ist es möglich, sagte ein sehr gelehrter Mann von großen Kenntnissen, daß die jetzigen Gelehrten den Alten gleich kommen können? Unsre Philosophie schwebt ewig in dem Gebiete des Himmels; die Alten hatten wirkliche Lebensphilosophie: und daher denn die Energie, die hohe Einfalt in ihren Schriften. Wie ist es dagegen bei uns? Der Gelehrte muß ein Amt annehmen, das ihn an sein Zimmer, an seinen Wohnort fesselt. Er lernt die Menschen, für die er arbeitet, nicht anders kennen, als aus Büchern. Wie dürftig sind daher bei uns die Moralphilosophie und die Gesetzgebung, die beiden Wissenschaften, auf denen die Glückseligkeit des menschlichen Geschlechtes beruhet! Der Gelehrte hat selten Leidenschaften, und den Menschen in der Welt sieht er nie; er kennt also die Kraft des Hebels nicht, der den Menschen in Bewegung setzt: die Gewalt, das Wesen der Leidenschaften. Die Erziehung und die Moral überläßt er daher dem Zufalle, und die Gesetzgebung dem Finanz-Minister. Er selbst bringt sein Leben damit zu, neue Lesarten zu finden, eine verlorne Stelle in einem Schriftsteller zu ergänzen, oder Dinge zu erklären, die sich nicht erklären lassen. Der Griechische Philosoph lebte unter seinen Mitbürgern; kannte sie, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche, ihre Leidenschaften; kannte die Verfassung seines Vaterlandes und der benachbarten Staaten. Er machte weite Reisen, untersuchte an Ort und Stelle, sah den Menschen in allen Verhältnissen; und dieser Mensch und dessen Herz war sein Studium. Wehe uns, wenn die alten Schriftsteller verloren gingen, oder wenn wir uns einbildeten, wir könnten ihrer entbehren! Mit ihnen ginge alle Moralphilosophie, alle Gesetzgebung verloren; denn was der Gelehrte von dem Menschen noch weiß, hat er nur aus den Alten. Wo ist denn der Reiche unter uns, der einen Theil seines Vermögens aufwendete, um sein Vaterland, und die Menschen, auf Reisen zu studieren? Man geht an die Höfe, besieht die Bildergalerien, besucht die Vorzimmer der Großen, und kommt zurück, ohne einen Menschen gesehen zu haben. Wo ist denn bei uns ein Montesquieu?Das Herz schlug dem Baron ungestüm. Er drängte sich begierig an den Mann, der gesprochen hatte, schnitt ihn von der übrigen Gesellschaft ab, und bemerkte Niemanden als ihn allein. Bald zog er den Mann in ein tiefes Gespräch, und sagte ihm dabei mit innerer, heimlicher Freude: ich bin schon lange entschlossen, eine solche Reise zu machen, wie die, von der Sie gesprochen haben.“ Er bat sich den Rath des Gelehrten aus. Dieser freuete sich, daß ein Mann, von dessen Kenntnissen er schon viel gehört hatte, ihn um Rath fragte, und hielt dem Baron also eine Vorlesung über die Einrichtung einer solchen Reise. Der Baron schien aufmerksam zuzuhören; er dachte aber an nichts, als an das Erstaunen, worein der Gelehrte gerathen müßte, hier einen Montesquieu, einen Xenophon, vor sich zu sehen. Gewiß“, sagte der Baron beim Abschiede zu ihm: ich komme nicht eher wieder, als bis ich unter den Menschen die Gründe der Moral und der Gesetzgebung gefunden habe.“Am folgenden Morgen ging er zu dem Prediger, um dem seinen Plan zu einer philosophischen Reise mitzutheilen. Er fand ihn nicht, wohl aber dessen Schwester bei einem Buche, das sie mit Thränen benetzte. Warum weinen Sie?“ fragte er. – O, erwiederte Karoline: wenn ich reich und ein Mann wäre! – Nun? dann würden Sie ...?“Das thun, sagte das Mädchen mit großer Rührung, was hier in diesem Buche ein sehr edler Mensch thut. Ein sehr reicher junger Mann, den Ehre und Liebe locken, verläßt alles, und macht eine Reise durch Frankreich, um die Orte des Elendes aufzusuchen, die Gefängnisse, die Hütten der Armen, der Kranken, die Strohlager der Bettler, den Aufenthalt der Unterdrückten. Ach, Sie glauben nicht, Herr Baron, welche rührende Scenen das veranlaßt! Hören Sie nur! – Sie las ihm einige solche Scenen vor; und der Baron wurde gerührt. – O, Herr Baron, ist es nicht wahr, was er sagt? Sie las aus l'homme voyageur. Jedes Fest, das ein Reicher feiert, ist die schreiendste Ungerechtigkeit, so lange noch in dem ganzen Umfange Frankreichs ein Mensch lebt, der ohne Brot sich auf sein Bund Stroh wirft; jeder Pallast ein Denkmahl der Grausamkeit, so lange noch eine Familie im Königreiche ohne Obdach, dem Sturm, dem Regen ausgesetzt, umher irrt; jeder Edelstein blitzt zu eurer Schande, so lange noch eine Mutter aus Verzweiflung schreiet, daß sie keine Lumpen hat, ihr Kind einzuhüllen. Tausend reisen: der, um die Gelehrsamkeit mit unnützen Schlüssen zu verwirren; jener, um die Verzeichnisse der Bildsäulen zu vermehren; dieser, um sagen zu können, er habe auf den Alpen gestanden; der, um die Verfassung seiner Nachbaren kennen zu lernen. Ach, wann wird denn einmal ein Mensch zu Menschen und um Menschen reisen! wann wird der Schmerz eines Elenden, der im Gefängnisse wehklagt, eines Armen, der um Brot schreiet für seine Kinder, wenn sie ihre um Hülfe jammernden Blicke auf ihn wenden – wann wird dieser Schmerz einmal einem Reisenden so interessant seyn, wie der todte Schmerz des Laokoon! Wann wird eine Mutter, die an der Leiche ihres Kindes sich das Haar ausrauft, weil sie es vor Hunger mußte sterben lassen, eure grausamen Blicke von der marmornen Mutter, der Niobe, und ihren Kindern abziehn! Wer wird der erste Mensch seyn, der als Mensch reist!“Ich“, rief der Baron; ich will der erste seyn!“Der Baron mußte Karolinen die Hand darauf geben, daß er eine solche Reise machen wollte. Er that es von Herzen; nur bat er sie, die Absicht seiner Reise zu verschweigen. Sie versprach das; allein er mußte ihr dagegen versprechen, daß er ihr alle Scenen, die er sehen würde, ausführlich erzählen wollte.Nach einigen Tagen wurden die Anstalten zur Reise gemacht. Der Baron brachte alle seine Kapitalien, um seine Angelegenheiten leichter übersehen zu können, bei einem großen Handlungshause unter, und setzte sich dann, mit guten Wechseln, in den Wagen. In der einen Tasche des Wagens steckten Montesquieu, und Emiliens Brieftasche mit ihrem Portrait, die sie ihm von dem Gute der Frau von Koch geschickt hatte; in der andern l'homme voyageur, und das System von den Kennzeichen der Menschen-Racen. Der Baron hatte also die vierfachen Absichten seiner Reise immer bei der Hand. Ja“, sagte er vor sich, Emilie! deinetwegen verlasse ich meine Ruhe, um sie wieder mit dir zu theilen!“ Nach einigen Augenblicken flisterte er: so in Bücher und Kapitel, wie Montesquieu, theile ich meine Bemerkungen nicht ein; das macht den Styl trocken.“ Nun sah er zum Wagen hinaus, ob sich nicht bald ein Unglücklicher finden würde, dem er helfen könnte; und dann zog er sein System hervor, schlug frohlockend auf die Hefte, und rief: es soll mich doch wundern, wie die Domherren in Mainz aussehen werden!“ – So rollte der Wagen immer den Weg nach Berlin zu.Er kam in Berlin an, und wunderte sich selbst darüber, daß er nicht Eine Gelegenheit gehabt hatte, irgend etwas Anderes in sein Taschenbuch einzuzeichnen, als die Nahmen der Poststationen. O, wahrhaftig“, dachte er, wenn das so fortgeht, so weiß ich, und wenn ich auch Jahre lang reise, nichts zu sagen, als daß ich Jahre lang gereist bin. Da ist kein Dorf, in welchem nicht dem homme voyageur aus einer Hütte das Geschrei eines Elenden entgegenschallt. Entweder es muß im Preußischen anders seyn, als in Frankreich, oder ich bin unter einem Unglücksgestirne geboren.“Wirklich hatte der Baron, so oft bei einer Brücke oder sonst irgendwo ein Armer seine Hand bittend ausgestreckt, still halten lassen, den Armen angeredet, und ihn befragt, um eine interessante Begebenheit zu hören; aber alle diese Bettler wiederholten immer nur ihr: Gott wird's vergelten! Davon ließ sich nun nichts aufschreiben, oder erzählen. Kurz, der Baron war in Berlin, und hatte zu seinem Verdrusse keinen recht Unglücklichen gesehen, keiner Mutter seinen Mantel geben können, um ihr Kind darin einzuhüllen.Er stieg bei der Frau von Graßheim ab, und die Freude, einander wiederzusehen, war auf beiden Seiten sehr groß. Käthe erzählte von ihrer Kindheit, und ließ sich von Quinctius erzählen. Ach, sagte sie zuletzt mit einem sehr sehnsuchtsvollen Blicke: die Freuden der Kindheit, lieber Vetter, sind doch das Einzige, warum es werth ist, gelebt zu haben! ... Haben Sie nie wieder etwas von Lissow gehört? fragte sie dann mit ungewisser Stimme. Nicht das mindeste“, antwortete der Baron; und ein kleiner Seufzer stahl sich aus ihrem Busen hervor. Käthe war nicht unglücklich: sie hatte Ueberfluß, und ihr Mann liebte sie; allein er war an das Stadtleben gewöhnt, und sie an die Ergießungen eines immer vollen Herzens in ruhiger Einsamkeit. Sie hatte vielleicht seit Jahren nicht an Lissow gedacht; jetzt aber berührte der schöne Geist der Kindheit ihre Seele, und durch des Barons Gegenwart wurden alle die alten Eindrücke, alle die alten Gefühle, wieder lebendig.Käthe nahm den Baron immer allein, um ihn an dies oder jenes zu erinnern; und der Herr von Graßheim gab ihm zu Ehren eine Fete nach der andern, wobei sie lange Weile hatte, weil sie nicht von Lissow, von ihrer Schreibstunde u.s.w. erzählen konnte. Der Baron versicherte Käthen, daß es eine Hauptabsicht seiner Reise sey, Lissowen aufzusuchen; und er versprach ihr, nicht ohne ihn zurückzukommen. Einmal möchte ich ihn wohl noch sehen! sagte Frau von Graßheim. Ob er wohl verheirathet seyn mag? ... O, ich wünsche ihm eine Frau, die ihn liebt, und ... die er liebt, setzte sie seufzend hinzu.Der Baron wurde bald von den Spaziergängen und Spazierfahrten, die er mit Käthen machen mußte, bald von den Bällen und Gesellschaften, die Graßheim seinetwegen gab, so beschäftigt, daß er noch immer nicht Einen Elenden zu Gesichte bekam; und in Berlin hatte er sich doch eine Menge der rührendsten Begebenheiten versprochen! – Er philosophirte auch nicht über die Einwohner der großen Stadt, und sogar sein Veredlungs-System vergaß er halb und halb. Als er sich nach Emilien erkundigte, hatte niemand auch nur ihren Familien-Nahmen gehört. Kurz, es wollte mit seiner Reise nicht gehen, so viele Zwecke er auch dabei hatte. Er wünschte sich von Berlin weg, und nur Käthens herzliche Bitten hielten ihn noch.Eines Tages machte er mit ihr und ihrem jüngsten Knaben wieder eine Spazierfahrt über Friedrichsfelde. Käthe ließ in diesem Dorfe halten, um dem Kleinen, der sie in ihren Gesprächen immer mit Fragen störte, Kirschen zu kaufen. Man stieg aus. Jedesmal, wenn ich ein Dorf mit einem Schlosse sehe, sagt Käthe, fällt mir Zaringen ein; und – nicht wahr, lieber Vetter, so ungefähr lag unser Schloß, wo wir in der Jugend so vergnügt waren? O lassen Sie uns einmal durch das Dorf gehen! Sie hängte sich an des Barons Arm, schlenderte die Gasse hinauf, und behauptete von jeder Gruppe Bäume, daß auch in Zaringen da oder dort eine ähnliche gestanden habe. Der Baron lächelte. – Auf einmal blieb Käthens Sohn stehen, zeigte auf ein Paar Kinder, die vor einem kleinen Hause spielten, und sagte sehr freudig: Mama, das sind Kinder, die beiden! Soll ich ihnen Kirschen abgeben? – Thu das! erwiederte seine Mutter. Der Knabe lief auf das Haus zu, blieb einige Schritte weit von den Kindern stehen, und hielt ihnen stumm den Hut hin. Da! rief er endlich, als sie ihn nur betrachteten und nicht näher kamen: Kirschen!Sehen Sie den Alten, lieber Vetter! sagte Käthe, die mit dem Baron stehen blieb. – Der Mann saß mit gefaltenen Händen auf einem Rasen vor dem Hause unter einem Baume, und hatte den Blick an den Boden geheftet. In dieser Stellung war etwas sehr Rührendes. Der Baron machte sich von Käthen los, weil ihm auf einmal sein l'homme voyageur einfiel, und trat dem alten Manne näher, der nun aufblickte, und seine Mütze von einem schneeweißen Haare nahm. Er war reinlich, aber sehr ärmlich gekleidet; die Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, schön wie Amor und Psyche, eben so, und in Trauer.Der Baron fragte den Alten etwas Gleichgültiges, um nur ein Gespräch mit ihm anzufangen. Käthe setzte sich nieder, nahm die beiden Kinder vor sich, liebkos'te ihnen, drückte sie an sich, und rief einmal über das andere: welch ein Paar Engel!Der Alte schien mit einer gewissen Aengstlichkeit zu reden, und das Gespräch gern abbrechen zu wollen; Flaming aber war, nach seinem gewöhnlichen Ungestüm, gar nicht Willens, das geschehen zu lassen. Er setzte sich vertraulich zu dem Alten auf den Rasen. Lieber Vater, Ihr scheint unglücklich. Ich bin ein Mensch. Faßt Vertrauen zu mir! Kann ich Euch helfen?“ – Der Alte schüttelte traurig den Kopf. Der Baron wurde noch eifriger. Ich bin reich, sehr reich!“ –Armuth? sagte der Alte, und lächelte mit einem unbeschreiblich rührenden Ausdruck im Gesichte. O, ich wollte mit diesen beiden Kindern von einem Hause zum andern gehen; mein graues Haar und ihre Unschuld würden Tausende rühren. Armuth ist kein Unglück.Nun? was denn sonst?“ fragte der Baron sehr innig gerührt, und faßte des Alten Hand. Käthe näherte sich jetzt. Was ist denn sonst Unglück?“ fragte der Baron zum zweiten Male.Verzweiflung an der Menschheit, sagte der Alte mit bebender Stimme, und mit Thränen in den Augen. Hier ist ein Mensch!“ rief der Baron, und zeigte auf sich.Der Alte sah durch seine Thränen den Baron lächelnd an. Ich danke Ihnen, mein Herr; aber ich muß Sie bitten, uns zu verlassen. Wir sind so unglücklich (seine Stimme wurde schluchzend), daß ... daß ... Die Hoffnung, die Sie uns geben könnten, wäre nur ein Dolch mehr, der durch unser Herz führe. Ich bitte Sie, uns zu verlassen. Geht hinein, Kinder; geht, und sucht den Vater. – Die Kleinen gingen, und der Alte stand auf.Ist den Kindern etwa die Mutter gestorben? fragte Käthe gerührt; sie sind in Trauer.Der Alte winkte, und antwortete leise: ja! Nun wissen Sie unser Unglück; und nun bitte ich Sie ...Das ist zwar sehr traurig, sagte Käthe beruhigend; aber die Zeit wird ...Sterben ist kein Unglück, erwiederte der Alte; man begräbt ja seinen geliebten Todten neben seinem eigenen Grabe. Aber dieser Tod ...Nun denn? fragte Käthe: was ist denn das Traurige an diesem Tode? Laßt es uns doch wissen, lieber Vater.Darf ich nicht einen Augenblick eintreten?“ fragte der Baron. Wenn Geld nicht helfen kann, so hab' ich Mitleiden, Thränen.“Er näherte sich der Thür. Der Alte faßte seine Hand, und hielt ihn auf. Ich bitte Sie, thun Sie es nicht. Der Unglückliche, den Sie sehen wollen, haßt die Menschen. Ihr Anblick würde ihn zu sehr erschüttern; ja, ich kann Ihnen nicht dafür stehen, ob er Sie nicht beleidigte. |
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