Karl Ludwig von Knebel
1744 - 1834
Schweizer WanderungenAn den Großherzog Carl August
1780
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Wasen, am Fuße des Gotthards, den 21. Juli.
Das Unangenehmste ist immer, nach zurückgelegtem schönen Wege hier in die engen, von Menschenhänden erbauten Hütten unterzukriechen.Wie man dort überall Zeichen der Majestät und Weisheit, so sieht man hier überall das Elend des menschlichen Bedürfnisses und seine Niedrigkeit. Ich habe den wahrhaft königlichen Weg von Stäg aus hieher in Zeit von fünf Stunden vollbracht, da es sonst nur drei kleine Stunden sind. Aber wer [123] verweilt nicht gern hier, wo man in aneinandergereihten Scenen der wunderbarsten, prächtigsten Natur fortschreitet? Als ich vom Stäg ausging, und eben erst an der Brücke war, that sich schon das große allmächtige Schauspiel über dem Maderaner Thal vor mir auf. Die Sonne stieg eben über seine Höhen empor, goß milde Anmuth herab, und hob zugleich mit ihrem Schimmer die Massen der tiefen Berge ins Ungeheuere heraus. Durch den schwarzen Schooß derselben schäumten die wilden Fluthen schneeweiß und zürnend heraus.Alles, was je von diesen Gegenden mit Pinsel oder Kreide ist nachgeahmt oder entworfen worden, verachtete ich, in einem kältern Augenblicke, hier aufs Tiefste. Wer mag hier nachahmen oder zeichnen? Das Große selbst ist der Gegenstand und die Sache. Wer mag einen Hügel von einem himmelhohen Berge durch wahres Gefühl unterscheiden, wenn dieser auf einem Quartblatt vorgetragen ist? Laßt noch so viel winzige Dörfer, Hütten und Menschen daneben setzen, man muß doch die Größe und ihre Gewalt nur schließend errathen, und kann sie nicht fühlen.
Cascaden
Ein wunderbarer Auftritt der Natur folgt hier auf den andern, so wie man nur weiter geht. Eine glänzende Cascade stürzte zu meiner Linken von dem Himmel herab, und strömte zu meinen Füßen, in diesem heißesten Sommertage, durch ein gewölbtes Thor von Eis und Schnee. Bald kam eine, die fast noch schöner schien. Der Stieg am Berge wendet sich wie in einem Haken, und aus der Mitte desselben strömt die weiße Fluth, wie ein Milchstrom von der Tafel der Götter, tief in das blühende Thal hinab. Ich glaubte gewiß, Goethe müsse eine seiner schönsten Stellen der Iphigenie hier geschrieben haben, wo er sagt: – denn es quilt heller nicht vom Parnaß die ewige Quelle sprudelnd so von Fels zu Fels ins goldne Thal hinab.“ –Lange blieb ich hier, verweilend, zufrieden und sehnend – und grub endlich meinen Namen unter einen Stein. [124]So kommt man, mit ungewünschter Eile, immer weiter auf dem Wege nach Wasen, und wünschte bei jedem Schritte zu verweilen und Betrachtungen anzustellen. Die Erhabenheit der schönsten und größten Bilder der Natur, die sich hier in einer ununterbrochenen Reihe folgen, ist nicht zu beschreiben. Alles, was Großes, Erhabenes die Einbildungskraft fassen mag, drängt sich in diesem großen Thale, zwischen Bergen und starrenden Felsen, und wunderbaren hohen Cascaden, fort. Es ist nicht zu viel, wenn wir sagen, daß Eine dieser letztern, auf die man in einem nahgelegenen Holze kommt, dem Rheinfall selbst an Größe und Erhabenheit nicht viel nachgibt. Aber ich bin bald des Erzählens müde, und es ist hier, wie so oft, kein andrer Pinsel zur würdigen Schilderung, als der: Komm und siehe!“
Auf dem Weg nach Wasen
Wir kamen nach Wasen in ein schlechtes Wirthshaus, wo wir doch theuer bezahlen mußten, wie hier überall in diesen Gegenden. Sie halten die Reisenden alle für Engländer und vornehme Leute, die zu ihrer Lust reisen, und da wissen sie nicht genug zu fordern, um sich an die kurze Visite einige Zeit lang erinnern zu können.Abends stieg ich hier mit einem Jungen auf die nahe in der Höhe liegende alte Schanze, Krystalle da zu suchen. Einer der höchsten Felsen, von dem ein Theil vor kurzer Zeit eingestürzt war, präsentirte sich unserm Anblick. Ich wollte auf den Trümmern hinauf zu der abgebrochenen Stelle steigen. Aber unser Auge findet in diesen Gegenden nicht so leicht den richtigen Maßstab. Ich stieg lange und lange, und kam ziemlich hoch, und hatte doch noch kaum die Hälfte erreicht.Im Heimgehen sang mir mein kleiner Begleiter Volkslieder vor, die durch Gesang und Inhalt gleichartig waren. |