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- B r i e f e
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- An Johann Christoph Schmidt
Winterthur, den 1.August 1750.
Ich bin hier, Sulzer, Schuldheis, Waser und Künzli zu besuchen, und die ersten beyden wieder mit zurück nach Zürch zu nehmen. Bodmer ist auch mit hier, und ich nehme ihnen eine schöne Morgenstunde an Sie zu schreiben.
Ich hätte Ihnen sehr viel zu schreiben; ich will mich aber nur bey der Farth auf dem Zürchersee aufhalten, die mir ehegestern ungemein viel Vergnügen gemacht hat. Ich kann Ihnen sagen, ich habe mich lange nicht so ununterbrochen, so wild und so lange Zeit auf Einmal, als diesen schönen Tag gefreut. Die Gesellschaft bestand aus sechzehn Personen, halb Frauenzimmer. Hier ist es Mode, daß die Mädchens die Mannspersonen ausschweifend selten sprechen, und sich nur unter einander Visiten geben. Man schmeichelte mir, ich hätte das Wunder einer so außerordentlichen Gesellschaft zu Wege gebracht. Wir fuhren Morgens um fünf Uhr auf einem der größten Schiffe des Sees aus. Der See ist unvergleichlich eben, hat grünlich helles Wasser, beide Gestade bestehen aus hohen Weingebirgen, die mit Landgütern und Lusthäusem ganz voll besäet sind. Wo sich der See wendet, sieht man eine lange Reihe Alpen gegen sich, die recht in den Himmel hineingränzen. Ich habe noch niemals eine so durchgehends schöne Aussicht gesehen.
Nachdem wir eine Stunde gefahren waren, frühstückten wir auf einem Landgute dicht an dem See. Hier breitete sich die Gesellschaft weiter aus und lernte sich völlig kennen. D. Hirzels Frau, jung, mit vielsagenden blauen Augen, die Hallers Doris unvergleichlich wehmüthig singt, war die Herrin der Gesellschaft; Sie verstehen es doch, weil sie mir zugegeben war. Ich wurde Ihr aber bey Zeiten untreu. Das jüngste Mädchen der Gesellschaft, die schönste unter allen, und die die schwärzesten Augen hatte, Mademoiselle Schinz, eines artigen jungen Menschen, der auch mit zugegen war, Schwester, brachte mich sehr bald zu dieser Untreue. So bald ich sie das erstemal auf Zwanzig Schritte sah, so schlug mir mein Herz schon: denn sie sah Derjenigen völlig gleich, die in ihrem zwölften Jahre zu mir sagte, daß sie ganz mein wäre. Diese Geschichte muß ich Ihnen nicht auserzählen. Ich habe dem Mädchen Dieß alles gesagt und noch viel mehr. Das Mädchen in ihrer siebenzehnjährigen Unschuld, da sie so unvermutet so viel und ihr so neue Sachen hörte, und zwar von mir hörte, vor dem sie ihr schwarzes schönes Auge mit einer so sanften und liebenswürdigen Ehrerbietung niederschlug, öfters große und unerwartete Gedanken sagte und einmal in einer entzückenden Stellung und Hitze erklärte, ich sollte selbst bedenken, wie hoch Derjenige von ihr geschätzt werden müßte, der sie zuerst gelehret hätte, sich würdigere Vorstellungen von Gott zu machen, - - - - (Ich muß hier noch die Anmerkung machen, daß ich dem guten Kinde auch sehr viel Mäulchen gegeben habe; die Erzählung oben möchte Ihnen sonst zu ernsthaft vorkommen).
Wir hatten zu Mittage etliche Meilen von Zürch auf einem Landhause gespeist. Wir fuhren hierauf dem See gegenüber auf eine mit einem Wald bedeckte Insel. Hier blieben wir am Längsten. Wir speisten gegen Abend an dem Ufer. Da wir abfuhren, stieg meine Untreue gegen Madam Hirzel auf den höchsten Grad: denn ich führte Mad. Schinz statt Ihrer ins Schiff. Wir stiegen unterwegs verschiedene mal aus, gingen an den Ufern spazieren und genossen den schönsten Abend ganz. Um zehn Uhr stiegen wir erst wieder in Zürch aus. Madam Müralt von der Familie des bekannten Müralt ist diejenige, bey der ich künftig Frauenzimmer gesellschaften antreffen werde. Ich habe Ihre Apotheosis u[nd] die Ueberzeugung den Mädchen öfters vorgelesen. Sie können leicht denken, daß die Mädchen wohl noch mehr Lieder von Ihnen sehen möchten. Schicken Sie mir welche. Die Mädchen sind Ihnen hier, nach mir, am meisten gut, u[nd] das hab' ich gemacht,
Ihr
Klopstock
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Der Text folgt der Hamburger Klopstock-Ausgabe «Friedrich Gottlieb Klopstock. Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, Berlin/New York 1974 ff.».
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