B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



D e r   T o d   A d a m s .
E i n   T r a u e r s p i e l .


D r i t t e   H a n d l u n g .

__________________________________________


E r s t e r   A u f t r i t t .
Eva von einer, und Selima von der andern Seite.

S e l i m a. Ach da kömmt meine unglückselige Mutter! Nein! ich kann ihren Anblick nicht aushalten!
E v a. Alles ist hier so einsam! Wo ist Adam? Wo ist Seth? Wo ist Selima? O wo sind sie? daß ich ihnen alle meine Freuden, daß ich ihnen die ganze Glückseligkeit dieses Tages erzähle? Ach ich glückselige! Ich glückseligste unter den Müttern!


Z w e y t e r   A u f t r i t t .
Seth. Eva.

S e t h (eh ihn Eva sieht). Verstumme, du blutender Schmerz, verstumme! helft mir ihren Anblick, helft mir den aushalten, ihr Engel!
E v a. Da kömmt mein Sohn Seth! Mein Sohn Seth, ich bin die glückseligste unter den Müttern! Wo ist Adam? Ach, ich bin die glückseligste unter den Müttern!
S e t h. Adam schläft, meine Mutter.
E v a. Wo ist er? Wo schläft er? daß ich ihn aufwecke, und ihm alle meine Freuden sage!
S e t h. Er ist nur erst eingeschlummert. Laß ihn noch, meine Mutter!
E v a. Laß mich hingehn, mein Sohn. Ich muß ihn aufwecken! Ach ich Glückselige!
S e t h. Nein, thu es noch nicht, meine Mutter. Er bittet dich, daß du ihn nicht aufweckst. Er hat mirs gesagt.
E v a. Er wird in der Nähe so vieler Freuden nicht lange schlafen können. Er wird von sich selbst aufwachen. Ach, mein Sohn Seth! ich habe den Knaben, deinen jüngsten Bruder, ich habe Sunim wieder gefunden! Da er zu den Hütten seiner Brüder gehn wollte, hat er sich in einer Einöde diese lange traurige Zeit verlohren, und ist wunderbar erhalten, wunderbar errettet worden! Doch er soll dieß alles seinem Vater selbst erzählen. O wie wird ihm sein Herz schlagen, dem armen Sunim, daß er noch nicht bey seinem Vater ist! Aber ich hab ihn zurück gehalten. Er kömmt mit den drey Müttern. Ich wollt es Adam erst sagen, damit ihn die Freude nicht zu sehr bewegte, wenn er den Knaben auf einmal vor sich sähe! Er kömmt mit den Müttern. Die führen drey vollblühende Knaben. Und zu allen diesen Freuden kömmt noch diese, daß ich heut meinen Heman und meine Selima in die Brautlaube führe. Das dachtet ihr nicht, meine Kinder, daß euch Sunim die hochzeitliche Fackel tragen würde!
S e t h. O du geliebte Mutter!
E v a. Warum siehst du mich so ernst an, mein Sohn? Freuest du dich nicht mit deiner Mutter?
S e t h. So viel Freuden auf einmal machen mich ernst!
E v a. Ich sehe die Mütter von ferne kommen! Ich muß gehn, und Adam aufwecken.
S e t h. (der die Hände zusammen schlägt und gen Himmel sieht, vor sich) O du unglückselige Mutter! (zu Eva) dort ist Adam nicht, wo du ihn suchst.
E v a. Wo ist er denn, mein Sohn, wenn er schläft?
S e t h. Beym Altare.
E v a. Beym Altare schläft Adam?
S e t h. Er hat sich dort ein Lager bereitet. Dort will er nun immer schlafen.


D r i t t e r   A u f t r i t t .
Eva. Adam. Seth.

E v a. (die den Teppich vor dem Altare aufzieht). Ach das ist seine unüberwindliche Traurigkeit wegen Abel! Warum hat er sein Antlitz bedeckt, mein Sohn? Was habt ihr dort aufgegraben? Hat Adam seines Sohns Gebeine gesucht? Ach der Schmerz um Abel wird Adam noch tödten! Du antwortest mir nicht?
S e t h. Es ist ein Grab, meine Mutter!
E v a. Verbergt mir die Gebeine! zeigt mir meines Sohnes Gebeine nicht! Mein Herz würde mir brechen, wenn ich sie sähe!
S e t h. Wir haben keine Gebeine.
E v a. So sind auch sie zu Staube geworden? - Seth! mein Sohn Seth! dein Vater schläft sehr ängstlich. Und diese Hände! O Himmel, diese bleichen Hände!
S e t h. (Der von der einen Seite zurückkömmt, vor sich). So dicht am Walde! (zu Eva) Meine Mutter! meine theure Mutter! Nein! nun kann ich nicht länger schweigen. (Er verhüllt sich) Es ist Adams Grab! - Er wird sterben, eh die Sonne den Cedernwald hinunter ist. - Er hat eine Erscheinung gehabt. Ich habe den Todesengel selbst gehöret - Der Todesengel kömmt wieder. Er kömmt bald. Dann stürzt der Fels an der Hütte ein, und dann -
(Eva sinkt an die andre Seite des Altars).
A d a m. (Der erwacht und sich aufdeckt). Das ist ein ängstlicher Schlummer gewesen! Du, in dieser Ruhestatt, du wirst süßer seyn! - Hast du Selima zu mir gebracht, Seth? Sey nicht so sehr gebeugt, Selima! deine Mutter, deine liebevolle Mutter lebt ja noch!
E v a. Ich bin - ach, wenn du diese gebrochne Stimme noch kennst, o Adam! - ich bin nicht Selima!
A d a m. O Tod, den ich sterbe!
S e t h. (der Adams Knie umfaßt). Mein Vater stirbst du?
A d a m. Stürzte der Fels ein?
S e t h. Der Fels stürzt nicht ein.
E v a. Leite mich zu ihm, Sohn! - Kennst du mich nun, Adam?
A d a m. Ich würde dich nicht ganz kennen, wenn ich deine Stimme nicht hörte.
E v a. Nannte denn der Todesengel meinen Namen nicht mit deinem Namen? Ach soll ich nicht mit dir sterben? Das war immer meine Zuflucht in meinen trüben Stunden, mein stiller einziger Trost war es dann, daß ich mit dir sterben würde. Ich bin ja mit Adam geschaffen! Aber ich Verlaßne! ich Einsame! soll ich nicht mit dir sterben?
A d a m. O du Geliebteste unter den Geliebten! Noch theurer! noch geliebter! an diesem dunkeln entsetzlichen Tage! Eva! Du Mitgeschaffne! Eva! meine Eva! (sehn kann mein Auge nicht mehr, aber es kann doch noch weinen!) Laß ab von mir! Er ist noch mehr Tod, der Tod, wenn ich deine Stimme höre!
S e t h (vor sich.) O Himmel! die Mütter kommen auch!
A d a m. Was für Fußtritte hör ich?
S e t h. Es sind die drey Mütter und Heman.


V i e r t e r   A u f t r i t t .
Die drey Mütter mit ihren Söhnen, und Sunim von einer,
Selima und Heman von der andern Seite.


S e l i m a. Nun will ich mitgehn. Nun will ich auch hineingehn!
H e m a n. Ich will auch mitgehn, meine Selima! Ach meine Selima! Nein, ich kanns noch nicht glauben!
E i n e    M u t t e r. Komm, Sunim!
N o c h    E i n e. Was seh ich!
D i e    D r i t t e. Ist das unser Vater?
A d a m. Geh zu ihnen, mein Sohn Seth.
S e t h. Schaut mich nicht an, sonst verstumm ich vor euch! (Die erste verhüllt sich; die zweyte sieht weg, die dritte beugt sich über ihren Sohn). Es ist schon lange her, daß ich diese Todesangst fühle, die euch sagen muß: Eh die Sonne die Cedern hinunter ist, stirbt Adam! Er hat einen Todesengel gesehn. Der kömmt wieder. Wenn der Fels an der Hütte einstürzt, dann ist er da. Dann stirbt Adam! Hier ist sein Grab! - O wendet euch, und schaut nach seinem Grabe nicht hin!
A d a m. Was ist das für eine Stimme unter den Stimmen der Weinenden, der ich mich nicht genug erinnre? Das ist keine von den Müttern! Das ist auch nicht die Stimme Selima oder Hemans.
S e t h. So freu dich denn noch einmal in deinem Leben, mein Vater! Es ist Sunims Stimme. Sie haben deinen Sohn Sunim wieder gefunden.
A d a m. Will mich mein Sohn Seth in meinem Tode täuschen, der mich in meinem Leben nie getäuscht hat, damit ich mich noch einmal freue? Wisse Sohn, für mich ist hier keine Freude mehr!
S e t h. Mein Vater! -
A d a m. Aber - warum redet Sunim nicht, daß ich seine Stimme höre?
S e t h. Der Knabe ist vor Schmerz verstummt.
A d a m. So führ ihn denn her zu mir, daß ich seine starken Locken, daß ich die Wange des Knabens fühle.
S e t h. Hier ist er.
A d a m. (zu Sunim, der sein Knie umfaßt). Du bist es! Du bist es! du bist mein Sohn Sunim!
S u n i m. Ich bin Sunim! -
A d a m. Geh zu deiner Mutter, mein Sohn! (Sunim geht zu Eva)
E v a. Geh zu deinem Bruder Seth! Ach du hast keine Mutter mehr!
(Sunim lehnt sich an Seth)
S e t h. O du Todesurtheil, das über sie gesprochen ward! - - - Richte dich auf, mein Sunim! Laß mich! Ich komme eilend zu dir zurück. (Da er zurückkömmt) Mein Vater! denn heut ist kein Tag des Schonens! kein Tag des Schweigens! Die Sonne steigt hinunter! die Cedern fangen schon an sie zu decken. Gieb uns deinen Segen, mein Vater!
A d a m. Sie steigt hinunter? - Komm, komm, o Tod, so komm denn Tod! - Ich kann euch nicht segnen, meine Kinder. Der euch geschaffen hat, segne euch! Ich kann euch nicht segnen! der Fluch ruht auf mir!
A l l e. Gieb uns deinen Segen! Gieb uns deinen Segen! - -
A d a m. Ich habe keinen Segen! - (vor sich) Sie ist noch nicht vorüber, die namlose Angst! Sie steigt noch! Mit diesen neuen Empfindungen steigt sie! Mein Leben, das Leben meiner ersten Tage empört sich noch einmal ganz in mir! Meine erste Unsterblichkeit, sie, sie ist es, die in meinen Gebeinen bebt! - Wo werd ich hingeführt? - Auch die Dunkelheit fällt von meinen Augen! Aber ach, sie fällt, daß ich diese todesvollen Gefilde sehe! - Kehrt eure Blicke von mir, ihr starren Augen! Du rufst laut, Blut, Blut der Erschlagenen! Du rufst laut! trübes, schwarzes, zu schreckliches Blut, wende deinen Strom, und fleuch! Oder daß jene Gebirge dich bedecken! - Ach! und diese Mutter mit gerungnen Händen, die gen Himmel ruft! Und dieser todte Jüngling mit der stummen Lippe! Er war ihr einziger Sohn! Jener fortgerißne Arm! - Dieser rauchende Schädel! - Flieht! flieht! Erbarmt euch meiner, meine Kinder! ihr einsamen Uebrigen! und führt mich von diesem Gefilde weg! -
S e t h. (der gen Himmel sieht) Wenn diese gerungnen Hände, wenn dieß Herz, das mit seinem Herzen bricht - -
A d a m. Ist Seth, ist mein Sohn Seth so nahe bey mir? Ich hörte deine Stimme, Seth. Ach, ich habe so sanft geschlummert.
S e t h. O ihr Engel, er lächelt! - Kommt, kommt! Komm Eva! komm Heman und Selima! und Sunim, du! Kommt ihr Mütter! laßt uns sein letztes Lächeln sehn! Wir sind alle hier. Segne uns, mein Vater!
A d a m. Kommt her, meine Kinder! Wo bist du, Seth, daß ich meine Rechte auf dich lege, auf dich Heman, meine Linke. Selima neige sich an Heman, und Sunim an Seth. Kommt, ihr Mütter, und führt mir eure Söhne her. Eva segne ihre Kinder mit mir!
(Sie knien um ihn)
E v a. (indem sie zuletzt auch niederkniet) Du mußt mich auch segnen, Adam!
A d a m. Ich soll Eva auch segnen? Da hast du meinen Segen: Komm mir eilend nach! Du wurdest bald nach mir geschaffen, du Mutter der Menschen! So müssest du nach mir sterben! Hier ist mein Grab!
E v a. Das waren Worte eines Engels, die du sprachst, o Adam!
A d a m. Das ist mein Segen, meine Kinder! das ist mein Segen, mit dem ich die Enkel eurer Enkel, mit dem ich das ganze Geschlecht der Menschen segne. - Der Gott eures Vaters, der Staub zum Menschen empor gehoben, und ihm eine unsterbliche Seele eingehaucht hat! dessen Erscheinungen ich gesehn habe! der mich gesegnet, und gerichtet hat! - Er, der große Angebetete, geb euch - viel Schmerzen - und viel Freude! und so erinnere er euch oft, daß ihr sterben müßt, wieder unsterblich zu werden. Was nur die Erde giebt, und der Leib des Todes nur empfängt, das nehmt, wie der Wandrer, der sich an der Quelle nicht hinsetzt, sondern eilt. Seyd weise, daß euer Herz edel werde! Seyd so edel, daß ihr den großen Werth der Trübsale dieses Lebens ganz verstehn lernt. Liebt euch untereinander! Ihr seyd Brüder! Menschlichkeit müsse eure Wonne seyn! Der sey der größte Mann unter euch, der der menschlichste ist! Es müsse euch an Seths nicht fehlen, die euch an Gott erinnern! Und wenn der Gott eures Vaters und euer Gott den großen Verheißnen, zu dem ich itzt gehe, euch sendet: so hebt euer Haupt auf, und schaut gen Himmel, und betet an, und dankt, daß ihr geschaffen seyd! - Aber auch dann noch seyd ihr Erde, und müßt zu Erde werden! -
(Indem er diese letztern Worte spricht, wird ein dumpfes Geräusch in der Ferne gehört).
S e t h. (der ängstlich aufspringt) Hört ihr die Felsen beben?
E v a. Adam!
S e t h. Sie beben immer näher herauf!
A d a m. Richter der Welt! ich komme! (indem der Fels krachend einstürzt) O Tod! - Du bists! Ich sterbe!