B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



D e r   T o d   A d a m s .
E i n   T r a u e r s p i e l .


E r s t e   H a n d l u n g .

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E r s t e r   A u f t r i t t .
Seth. Selima.

S e l i m a. Wie schön ist dieser glückselige Tag der Liebe! Wie hell ist er! Wie viel freudiger, als alle Tage, die ich gelebt habe! Und nun ist unsre Mutter auch hingegangen, daß sie sehe, wie ihre Töchter meine Brautlaube schmücken, und mit mütterlicher Hand auch einen Zweig in die Laube flechte. Ich habe kühlende Früchte abgebrochen. Ich habe sie schon auf die Teppiche geschüttet, daß unsre Brüder und Schwestern sich erfrischen, wenn sie von der Laube kommen. Ich habe sie mit röthlichen Trauben gekränzt. Die schönsten für Heman habe ich mit thauvollen Blättern bedeckt. Ich Glückselige! Der weise, der tugendhafte Heman hat Selima gewählt! Heman liebt Selima! Und dazu werden die Enkelinnen mit der Abendröthe kommen, und ihre dreyjährigen Knaben Adam das erste mal bringen, daß er sie segne, und uns mit allen seinen väterlichen Freuden in die Brautlaube führe. Aber warum siehst du mich so ernst an, mein Bruder? Warum lächelte dieses Lächeln nicht ganz?
S e t h. Meine Selima! Ich sann mit ernsten Freuden deiner Glückseligkeit nach.
S e l i m a. Aber du sagtest ja dieses - du sagtest es mit einer Stimme, die Unruh verschweigen wollte.
S e t h. Was kann ich dir, Selima, verbergen! Ich wollte es dir verbergen. Allein die reine Aufrichtigkeit meines Herzens, und dieser wartende Kummer, mit dem du vor mir stehst, zwingen mich, daß ich dir es sagen muß. Aber betrübe dich nicht, Selima. Die Liebe zu unserm Vater machte mich zu aufmerksam auf seinen Ernst, mit dem er zu Abels Altare hinein gieng, als du vor der Hütte standst, und Eva nachsahst.
S e l i m a. Soll ich hingehen, und seine Hand umfassen? und sie festhalten? und ihn kindlich ansehen? und ihm flehn, daß er nicht traurig sey? - Ach, mein Bruder! mein Bruder! du verschweigst mir noch etwas! So hab ich dich noch niemals weinen gesehn!
S e t h. Meine Selima, wärst du in der Vorhütte geblieben! Du hast mich zu sehr bewegt! Denn nun - ja nun muß ich dir alles sagen. Noch niemals hab ich unsern Vater so gesehn, wie er erst vor mir vorübergieng. Sein Gesicht war fürchterlich bleich! Er bebte fort, kaum gieng er. Seine Augen starrten auf mich her! Er sah mich nicht. Er gieng zum Altare hinein. Da hört ich ihn laut beten! und laut zittern! Aber ich verstand seine gebrochnen Worte nicht. Seitdem du hier bist, hör ich ihn nicht mehr. Ach Selima, du hast es gewollt. Ich hab es dir sagen müssen! - hörst du unsers Vaters Schritt? Er kömmt.


Z w e y t e r   A u f t r i t t .
Adam. Seth. Selima.

A d a m. Seth und Selima sind hier? - Es ist ein finstrer, es ist ein schreckenvoller Tag! - Er wird wieder heiter werden, Selima! Doch geh zu deiner Mutter, und lies Blumen mit ihr, deine Brautlaube zu schmücken. Sag ihr, daß es auf meinen Befehl geschieht, daß du hierinn wider die Gewohnheit einer Verlobten handelst.
S e l i m a. Ich gehe, mein Vater. -


D r i t t e r   A u f t r i t t .
Adam. Seth.

A d a m. Sie hat eine schöne Seele! Wie sie es empfand, daß sie uns verlassen mußte. Mein Sohn! - - (Gott segne sie! Ich werde sie nicht wieder sehen! Sie ist wie Eva, da der Fluch noch nicht war! Gott segne sie!) Mein Sohn! Mein bester Sohn! Ich weis, wie du den Unerschaffnen kennst, und wie tief du ihn anbetest! Du bist ein Mann, mein Sohn! Ich kann dir alles sagen! - Heut sterb ich!
S e t h. Mein Vater! - Adam! mein Vater!
A d a m. (Vor sich) Er verstummt! Ich werde bald länger verstummen! (zu Seth) Mein ganzes Herz empört sich, da ich dich leiden sehe! Aber du mußt mich hören! Viel fürchterlicher war die Stimme, da ich das erstemal das erstaunungsvolle Wort, Tod! vernahm. Unter allen meinen Kindern bist du der einzige, der mich sterben sehen, der mir sterben helfen soll. So gewiß ich wußte, daß ich geschaffen war, da ich mich empor hub, und gen Himmel sah; so gewiß weis ich,- daß ich heut sterben werde! - Ich saß in der Vorhütte und überließ mich den Freuden über die Glückseligkeit meiner Kinder Heman und Selima ganz! Auf einmal, so sehr auf einmal, als je der schnellste Gedanke gedacht worden ist, erschütterte mich, kein Erstaunen, kein Schauer, keine Angst, der kommende Tod erschütterte mich, und strömte durch alle meine Gebeine! Itzt ist dieses mächtige Gefühl zur Betäubung geworden, sonst würde ich, wie du verstummen, oder du würdest doch die Sprache meiner Angst nicht verstehn! Mein theurer Sohn! Mein Sohn Seth! Du Bruder Abels! Ich will nicht klagen! Wie dürft ich klagen? Da ich diesen kommenden Tod empfand, da fuhr eben so schnell der Gedanke in meiner Seele auf, daß ich heut sterben würde! Tief grub er sich in mein Herz ein. Und noch denk ich nur ihn! Da schwebt er vor meiner Stirne! Hier schlägt er in meinem Herzen! Und noch Einer, den ich dir an dem Tage meines Todes nicht mehr verschweigen will, begleitet ihn, und ist so gewaltig, wie er! Als ich gerichtet ward, und nun von meiner Betäubung aufstand, trat ein Todesengel vor mich und sprach: Wenn du diesen Ausspruch verstehn wirst, den Tag, Adam; sollst du mich wieder sehen! Ich erwarte die Erscheinung, die furchtbare Erscheinung, so gewiß ich sie auch erwarte! doch würde sie noch furchtbarer seyn, wenn ich sie nicht erwartete! - Schau gen Himmel auf, mein Sohn! Der mich richtet, mischt Linderung in meine Todesangst! Aber das fühl ich von neuem, daß sein großes Urtheil: Ich sollte des Todes sterben, noch nicht vollzogen, und von viel tieferm Inhalt ist, als ich itzt noch verstehe. Du wirst meine Quaal sehn! Ich fürcht ihn nicht den Tod, zu dem ich mich Jahrhunderte bereitet habe: aber fühlen werd ich ihn!
S e t h. Sage mir, ach! sage mir, mein Vater: Du willst sterben?
A d a m. Wie gern blieb ich noch unter euch, meine Kinder!
S e t h. So bleib denn, mein Vater, bleib und stirb nicht!
A d a m. Laß mich, mein Sohn! Meine Seele hängt an deiner Seele! Laß mich! Du bist mein sehr theurer Sohn: Aber der das Todesurtheil über mich aussprach, ist anbetenswürdig!
S e t h. Er ist es! Er ist es! - Aber könnte dich, mein Vater, die Liebe zu deinen Kindern nicht täuschen, daß du eine starke Erschütterung deiner männlichen Gesundheit, dieser Gesundheit, die Jahrhunderte gedauert hat, für den kommenden Tod hieltest?
A d a m. Wie kann ich dem geliebtesten meiner Söhne antworten, wenn er so redet? O wenn es der Todesengel nur nicht zu schnell entscheidet! Wenn meines Sohns Augen den Furchtbaren nur nicht selbst sehn! - Dort ist Abels Altar, Sohn! dort, wo er noch mit dem Blute deines Bruders bezeichnet ist! dort faß ihn mit ringenden Händen! Dort hebe sie empor! Geh! werd erhört! Vielleicht daß du noch einen Tag zu meinem Leben erflehst!
S e t h. O Vater!- Adam, mein Vater! - Ich gehe.


V i e r t e r   A u f t r i t t .
Adam allein.

Er ist hingegangen! Wenn er auch wird beten können; wird er doch nicht erhört werden! - Was ist das in mir! Hört die Betäubung auf? Und fängt die Empfindung des Todes mit allen ihren Schrecken wieder an? Itzt steh ich noch über dem Staube! In wenigen Stunden werd ich unter ihm verwesen! Und wenn nun meine geliebte Eva, wenn nun meine Kinder kommen, und mich sterben sehen! - Nein, so entsetzlich ist der Gedanke von der Verwesung nicht; als der, wenn mich Eva sterben sieht! - Die Mitgeschaffne! die Geliebteste unter den Geliebten, wird sie mit mir sterben? Du weißt es, und nur du, der den Fluch über uns aussprach!


F ü n f t e r   A u f t r i t t .
Adam. Seth.

A d a m. Du kömmst wieder. Hast du gebetet, Sohn?
S e t h. Wie ich noch nie gebetet habe. Schauer auf Schauer! Das war mein Gebet.
A d a m. Aber, mein Sohn! Wenn nun Eva mit ihren Kindern käme! Sollen sie mich sterben sehen? Geh, Sohn, und sage ihnen, daß ich allein opfern wolle, und daß sie erst kommen, wenn die Sonne untergegangen ist.
S e t h. Ich kann dich itzt nicht verlassen, mein Vater, das kann ich nicht! Ich habe dir in meinem ganzen Leben gehorcht. Doch heute kann ich dich nicht verlassen! Dazu ist Selima schon hingegangen und hat sie traurig gemacht! Denn sie bat mich, und überwand mein Herz. Ich sagte ihr, mit welcher Bangigkeit du zum Altare hineingiengst.
A d a m. So kommen sie denn! Nun, so wird mein Herz eher brechen.
S e t h. Ich höre Fußtritte. Das sind die Füsse Selima.
A d a m. Itzt kommen sie schon! O meine Kinder, meine Kinder! Ich unglückseligster unter den Vätern!


S e c h s t e r   A u f t r i t t .
Adam. Seth. Selima.

A d a m. (Vor sich) Sie ist todtblaß, wie Abel war, da er am Altare lag! (zu Selima) Warum bist du so bekümmert, Selima? Sey ruhig, meine Tochter.
S e l i m a. Zürne nicht mit mir, mein Vater, daß ich dir nicht gehorchte. Habe Mitleiden mit deiner Selima. Da ich eilte zu meiner Mutter zu gehn, da wurde ich so bang, so beklommen über das, was mir Seth von dir gesagt hatte, daß es mir auf einmal dunkel vor meinen Augen ward. Weiter weis ich nicht was geschah. Ich habe mich seitdem unter den Blumen wieder gefunden. Ach, zürne nicht, daß ich nicht zur Laube gegangen bin. Mein Vater! (Sie umfaßt seine Knie) sey nicht traurig, mein Vater! Soll ich kühlende Blätter auf deinen Sommersitz streuen? und ihn überschatten, daß du da sitzest, und deine Kinder kommen sehest?
A d a m. Steh auf, Selima! Du bist meine geliebte Tochter! Sey meinetwegen nicht bekümmert. Ich habe nur eine ernsthafte Unterredung mit Seth. Ich bin in der Vorhütte gewesen. Du hast den Weinstock noch nicht so hoch an den Ulm hinauf gewunden, als du mir sagtest, daß du thun wolltest. Du bist meine geliebte Selima. Geh hin, und sey ruhig. Du weißt, ich liebe diesen Ulmbaum vor allen unsern nachbarlichen Bäumen.


S i e b e n d e r   A u f t r i t t .
Adam. Seth.

A d a m. Wäre sie länger geblieben, so hätte ich ihren Anblick nicht mehr aushalten können. Ach, du kannst mir es nicht nachempfinden, Seth, wie unglücklich ich bin! Diese Blume, diese unschuldvolle Blume wird auch abfallen, und in Staub sinken! und die Enkelinnen ihrer Enkelinnen auch! Du weißt es, und du verstandst mich immer am meisten, wenn ich euch erzählte, wer ich nach meiner Schöpfung war! Aber nun muß ich sterben! und alle meine Kinder müssen sterben! Er liegt wie ein Gebirge auf mir! Es ist ein entsetzlicher Gedanke! - Geh, mein Sohn, und heitre Selima auf. Ich will hingehen und mir bey dem Altare ein Grab machen.
S e t h. Ich verlasse dich nicht! Und du sollst dir kein Grab machen! Ich beschwöre dich bey dem lebendigen Gott! mach dir kein Grab!
A d a m. Abel liegt dort begraben! Ich will dort auch begraben liegen! Wollt ihr mich vor euren Augen verwesen sehn?
S e t h. Du furchtbarer Gott, der uns gerichtet hat! -
A d a m. Die Schrecken des Allmächtigen ergreifen mich zu sehr! Ich muß mein Antlitz von dir wenden, Sohn! - Es ist ein dunkler Tag! Was bebt dort? Ein schwarzer entsetzlicher Tag! - Hörst du die Felsen beben, Sohn? Er wandelt immer näher herauf! Vernahmst du wie itzt der Hügel an unsrer Hütte bewegt ward? Auf dem Hügel steht er! Siehst du den Fürchterlichen?
S e t h. Es ist Nacht um mich; aber mein Ohr hört!
A d a m. (Zu Seth) So hör denn mich und ihn! (zum Todesengel) Ich kannte den Fußtritt deines Ganges wohl, Gesandter des Gerichts! Todesengel! Verderber! hier bin ich!
D e r    T o d e s e n g e l. So sagt der, der dich aus Staube zum Menschen schuf: Eh die Sonne den Cedernwald hinunter gestiegen ist; sollst du des Todes sterben! Einige deiner Nachkommen werden entschlummern; einige sterben: aber du sollst des Todes sterben! Das sollst du, wenn ich wiederkomme, und auf diesen Felsen trete, und ihn erschüttre, daß er hinstürzt. Dein Auge wird dunkel seyn, und nicht sehen; aber dein Ohr wird den donnernden Felsen hören, eh die Sonne den Cedernwald hinunter gestiegen ist.
A d a m. Sage dem, der mich geschaffen und gerichtet hat, daß ich mich aufmache, und komme, und anbete! Fleh ihn an, du Furchtbarer, daß er Lindrung in meine Todesangst mische.
S e t h. O du mein theurer Vater, ich will mit dir sterben! Warum gehst du von mir, mein Vater?
A d a m. Anzubeten!


A c h t e r   A u f t r i t t .
Seth allein.

Zu bittrer, unaussprechlicher Schmerz! Du namlosester unter den Schmerzen! Du wirst mein Leben zerreißen, bis ich mich auch bey seinen Gebeinen niederlege! Ach du erster und bester der Väter! Vater der Unmündigen und Ungebohrnen! - (Meine Ungebohrnen werden seine grauen Haare nicht sehn!) Du Todestag! Ach, du Todestag meines Vaters! wie schnell bist du gekommen, mich laut zu fragen: Ob ich Gott fürchte? - Ich will hingehen und mich mit meinem Vater vor den Altar legen. Dieser bebende Arm soll ihm sein Grab mit aufgraben! O du Grab! du Grab meines Vaters! Und du erschreckliche Stimme: Eh die Sonne den Cedernwald hinunter gestiegen ist!