Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
Die Leidendes jungen Werthers
Zweyter Theil
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am 4. Dez.
Ich bitte dich – siehst du, mit mir ist's aus – Ich trag das all nicht länger. Heut sas ich bey ihr – sas, sie spielte auf ihrem Clavier, manchfaltige Melodien und all den Ausdruk! all! all! – Was willst Du? – Ihr Schwestergen puzte ihre Puppe auf meinem Knie. Mir kamen die Thränen in die Augen. Ich neigte mich und ihr Trauring fiel mir in's Gesicht – Meine Thränen flossen – Und auf einmal fiel sie in die alte himmelsüsse Melodie ein, so auf einmal, und mir durch die Seele gehn ein Trostgefühl und eine Erinnerung all des Vergangenen, all der Zeiten, da ich das Lied gehört, all der düstern Zwischenräume des Verdrusses, der fehlgeschlagenen Hoffnungen, und dann – Ich gieng in der Stube auf und nieder, mein Herz erstikte unter all dem. Um [171] Gottes Willen, sagt ich, mit einem heftigen Ausbruch hin gegen sie fahrend, um Gottes Willen hören sie auf. Sie hielt, und sah mich starr an. Werther, sagte sie, mit einem Lächlen, das mir durch die Seele gieng, Werther, sie sind sehr krank, ihre Lieblingsgerichte widerstehen ihnen. Gehen sie! Ich bitte sie, beruhigen sie sich. Ich riß mich von ihr weg, und – Gott! du siehst mein Elend, und wirst es enden. |