Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
Die Leidendes jungen Werthers
Erster Theil
|
|
____________________________________________
| |
[62] |
am 8. Juli.
Was man ein Kind ist! Was man nach so einem Blikke geizt! Was man ein Kind ist! Wir waren nach Wahlheim gegangen, die Frauenzimmer fuhren hinaus, und während unsrer Spaziergänge glaubt ich in Lottens schwarzen Augen – Ich bin ein Thor, verzeih mir's, du solltest sie sehn, diese Augen. Daß ich kurz bin, denn die Augen fallen mir zu vom Schlaf. Siehe die Frauenzimmer stiegen ein, da stunden um die Kutsche der junge W. . ., Selstadt und Audran und ich. Da ward aus dem Schlage geplaudert mit den Kerlgens, die freylich leicht und lüftig genug waren. Ich suchte Lottens Augen! Ach sie giengen von einem zum andern! Aber auf mich! Mich! Mich! der ganz allein auf sie resignirt dastund, fielen sie nicht! Mein Herz sagte ihr tausend Adieu! Und sie sah mich nicht! Die Kutsche fuhr vorbey und eine Thräne stund mir im Auge. Ich sah ihr nach! Und sah Lottens Kopfputz sich zum Schlag herauslehnen, und sie wandte sich um zu sehn. Ach! Nach mir? - [63] Lieber! In dieser Ungewißheit schweb ich! Das ist mein Trost. Vielleicht hat sie sich nach mir umgesehen. Vielleicht – Gute Nacht! O was ich ein Kind bin! |