B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
Urfaust
     
   


U r f a u s t

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A M   B R U N N E N .
Gretgen und Liesgen mit Krügen.

L i e s g e n.
Hast nichts von Bärbelgen gehört?

G r e t g e n.
Kein Wort! ich komm gar wenig unter Leute.

L i e s g e n.
Gewiss, Sibille sagt mirs heute:
Die hat sich endlich auch betöhrt!
Da ist das vornehm tuhn!

G r e t g e n.
                Wie so?

L i e s g e n.
                Es stinckt!
Sie füttert zwey iezt, wenn sie isst und trinckt.

G r e t g e n.
Ach!

L i e s g e n.
                Ja, so ists ihr endlich gangen.
Wie lang hat s' an den Kerl gehangen!
Das war ein gespazieren,
Auf Dorf und Tanzplaz führen!
Musst überall die erste seyn,
Kurtesirt ihr immer mit Pastetgen und Wein,
Bildt sich was auf ihre Schönheit ein.
War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
Geschencke von ihm anzunehmen.
War ein Gekos und ein Geschleck,
Ja, da ist dann das Blümgen weg.

G r e t g e n.
Das arme Ding!

L i e s g e n.
                Bedauer sie kein Haar!
Wenn unser eins am Spinnen war,
Uns Nachts die Mutter nicht nabe lies,
Stand sie bey ihrem Bulen süs;
Auf der Tührbanck und dem dunckeln Gang
Ward ihnen keine Stund zu lang.
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdgen Kirchbus tuhn!

G r e t g e n.
Er nimmt sie gewiss zu seiner Frau.

L i e s g e n.
Er wär ein Narr! Ein flinker Jung
Hat anderwärts noch Lufft genung.
Er ist auch durch.

G r e t g e n.
                Das ist nicht schön.

L i e s g e n.
Kriegt sie ihn, solls ihr übel gehn.
Das Kränzel reissen die Buben ihr,
Und Hexel streuen wir vor die Tühr!
ab.

G r e t g e n heime gehend.
Wie konnt ich sonst so tapfer schmälen,
Wenn täht ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt ich über andrer Sünden
Nicht Worte gnug der Zunge finden!
Wie schien mirs schwarz, und schwärzts noch gar,
Mir nimmer doch nit schwarz gnug war.
Und seegnet mich und taht so gros,
Und binn nun selbst der Sünde blos!
Doch - alles, was mich dazu trieb,
Gott! war so gut! ach, war so lieb!