B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

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W A L D   U N D   H Ö H L E .

F a u s t (allein.)
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bath. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
1890
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freunds, zu schauen.
1895
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braus't und knarrt,
Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
1900
Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich:
1905
Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber, schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
Der Vorwelt silberne Gestalten auf
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

1910
O daß dem Menschen nichts vollkommnes wird,
Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah' und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
1915
Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,
Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml' ich von Begierde zu Genuß,
1920
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Habt ihr nun bald das Leben g'nug geführt?
Wie kann's euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man's einmal probirt;
Dann aber wieder zu was neuen.

F a u s t.
1925
Ich wollt', du hättest mehr zu thun,
Als mich am guten Tag zu plagen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, nun! ich lass' dich gerne ruhn,
Du darfst mir's nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen, unhold, barsch und toll,
1930
Ist wahrlich wenig zu verlieren.
Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.

F a u s t.
Das ist so just der rechte Ton!
1935
Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie hätt'st du, armer Erdensohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab' ich dich doch auf Zeiten lang curirt;
1940
Und wär' ich nicht, so wär'st du schon
Von diesem Erdball abspaziert.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein,
1945
Wie eine Kröte, Nahrung ein?
Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doctor noch im Leib.

F a u s t.
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Öde schafft?
1950
Ja würdest du es ahnden können,
Du wärest Teufel g'nug, mein Glück mir nicht zu gönnen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ein überirdisches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,
1955
Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,
Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durchwühlen,
Alle sechs Tagewerk' im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,
1960
Verschwunden ganz der Erdensohn,
Und dann die hohe Intuition - (mit einer Geberde.)
Ich darf nicht sagen, wie - zu schließen.

F a u s t.
Pfuy über dich!

M e p h i s t o p h e l e s.
                Das will euch nicht behagen
Ihr habt das Recht, gesittet pfuy zu sagen.
1965
Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn' Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.
1970
Du bist schon wieder abgetrieben,
Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus.
Genug damit! Dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng' und trüb'.
1975
Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,
Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
Du hast sie ihr in's Herz gegossen,
1980
Nun ist dein Bächlein wieder seicht.
Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ' es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.
1985
Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;
Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Über die alte Stadtmauer hin.
«Wenn ich ein Vöglein wär!» so geht ihr Gesang
Taglang, halbe Nächte lang.
1990
Einmal ist sie munter, meist betrübt,
Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie's scheint,
Und immer verliebt.

F a u s t.
Schlange! Schlange!

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).
1995
Gelt! daß ich dich fange!

F a u s t.
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
Bring die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!

M e p h i s t o p h e l e s.
2000
Was soll es denn? Sie meint, du sey'st entflohn,
Und halb und halb bist du es schon.

F a u s t.
Ich bin ihr nah', und wär' ich noch so fern,
Ich kann sie nie vergessen und verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,
2005
Wenn ihre Lippen ihn indess' berühren.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gar wohl, mein Freund! Ich hab' euch oft beneidet
Um's Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.

F a u s t.
Entfliehe, Kuppler!

M e p h i s t o p h e l e s.
                Schön! Ihr schimpft, und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub' und Mädchen schuf,
2010
Erkannte gleich den edelsten Beruf,
Auch selbst Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.

F a u s t.
2015
Was ist die Himmelsfreud' in ihren Armen?
Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl' ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht, der Unbehaus'te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh',
2020
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus'te,
Begierig wüthend, nach dem Abgrund zu?
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,
Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen
2025
Umfangen in der kleinen Welt.
Und ich, der Gottverhaßte,
Hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!
2030
Sie, ihren Frieden mußt' ich untergraben!
Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen!
Was muß geschehn, mag's gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen
2035
Und sie mit mir zu Grunde gehn!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wie's wieder siedet, wieder glüht!
Geh ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.
2040
Es lebe wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeschmackters find' ich auf der Welt
Als einen Teufel der verzweifelt.