B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

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D E R   N A C H B A R I N N   H A U S .

M a r t h e (allein.)
Gott verzeih's meinem lieben Mann,
Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
1330
Thät ihn doch wahrlich nicht betrüben,
Thät ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.
(Sie weint.)
Vielleicht ist er gar todt! - O Pein! - -
Hätt' ich nur einen Todtenschein!

(Margarethe kommt.)

M a r g a r e t h e.
Frau Marthe!

M a r t h e.
     Grethelchen, was soll's?

M a r g a r e t h e.
1335
Fast sinken mir die Kniee nieder!
Da find' ich so ein Kästchen wieder,
In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erste war.

M a r t h e.
1340
Das muß Sie nicht der Mutter sagen,
Thät's wieder gleich zur Beichte tragen.

M a r g a r e t h e.
Ach seh' Sie nur! ach schau' Sie nur!

M a r t h e (putzt sie auf).
O du glücksel'ge Kreatur!

M a r g a r e t h e.
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
1345
Noch in der Kirche mit sehen lassen.

M a r t h e.
Komm du nur oft zu mir herüber,
Und leg' den Schmuck hier heimlich an;
Spazier' ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,
Wir haben unsre Freude dran;
1350
Und dann gibt's einen Anlaß, gibt's ein Fest,
Wo man's so nach und nach den Leuten sehen läßt,
Ein Kettchen erst, die Perle dann in's Ohr;
Die Mutter sieht's wohl nicht, man macht ihr auch was vor.

M a r g a r e t h e.
Wer konnte nur die beyden Kästchen bringen?
1355
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!
(Es klopft.)
Ach Gott! mag das meine Mutter seyn?

M a r t h e (durchs Vorhängel guckend).
Es ist ein fremder Herr - Herein!

(Mephistopheles tritt auf.)

M e p h i s t o p h e l e s.
Bin so frey g'rad herein zu treten
Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.
(Tritt ehrerbiethig vor Margarethen zurück.)
1360
Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!

M a r t h e.
Ich bin's, was hat der Herr zu sagen?

M e p h i s t o p h e l e s (leise zu ihr).
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
1365
Will nach Mittage wieder kommen.

M a r t h e (laut).
Denk, Kind, um alles in der Welt!
Der Herr dich für ein Fräulein hält.

M a r g a r e t h e.
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
1370
Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ach, es ist nicht der Schmuck allein,
Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich's, daß ich bleiben darf.

M a r t h e.
Was bringt Er denn? Verlange sehr -

M e p h i s t o p h e l e s.
1375
Ich wollt' ich hätt' eine frohere Mähr'!
Ich hoffe, Sie läßt mich's drum nicht büßen:
Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.

M a r t h e.
Ist todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist todt! Ach, ich vergeh'!

M a r g a r e t h e.
1380
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!

M e p h i s t o p h e l e s.
So hört die traurige Geschicht'!

M a r g a r e t h e.
Ich möchte drum mein Tag' nicht lieben,
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

M e p h i s t o p h e l e s.
Freud' muß Leid, Leid muß Freude haben.

M a r t h e.
1385
Erzählt mir seines Lebens Schluß!

M e p h i s t o p h e l e s.
Er liegt in Padua begraben
Bey'm heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.

M a r t h e.
1390
Habt ihr sonst nichts an mich zu bringen?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, eine Bitte, groß und schwer:
Lass' Sie doch ja für ihn drey hundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.

M a r t h e.
Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid'?
1395
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
Zum Angedenken aufbewahrt,
Und lieber hungert, lieber bettelt!

M e p h i s t o p h e l e s.
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
1400
Auch er bereute seine Fehler sehr,
Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.

M a r g a r e t h e.
Ach, daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch bethen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ihr wäret werth, gleich in die Eh' zu treten:
1405
Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.

M a r g a r e t h e.
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ist's nicht ein Mann, sey's derweil' ein Galan.
Es ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.

M a r g a r e t h e.
1410
Das ist des Landes nicht der Brauch.

M e p h i s t o p h e l e s.
Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.

M a r t h e.
Erzählt mir doch!

M e p h i s t o p h e l e s.
     Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halb gefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
1415
Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
«Wie», rief er, «muß ich mich von Grund aus hassen,
So mein Gewerb', mein Weib so zu verlassen!
Ach, die Erinnrung tödtet mich!
Vergäb' sie mir nur noch in diesem Leben!»

M a r t h e (weinend).
1420
Der gute Mann! ich hab' ihm längst vergeben.

M e p h i s t o p h e l e s.
«Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.»

M a r t h e.
Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
1425
«Ich hatte», sprach er, «nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
Erst Kinder, und dann Brod für sie zu schaffen,
Und Brodt im allerweit'sten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.»

M a r t h e.
Hat er so aller Treu', so aller Lieb' vergessen,
1430
Der Plackerey bey Tag und Nacht!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.
Er sprach: «Als ich nun weg von Malta ging,
Da bethet' ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,
1435
Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,
Das einen Schatz des großen Sultans führte.
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
Und ich empfing denn auch, wie sich's gebührte,
Mein wohlgemess'nes Theil davon.»

M a r t h e.
1440
Ey wie? Ey wo? Hat er's vielleicht vergraben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umher spazierte;
Sie hat an ihm viel Lieb's und Treu's gethan,
1445
Daß er's bis an sein selig Ende spürte.

M a r t h e.
Der Schelm! Der Dieb an seinen Kindern!
Auch alles Elend, alle Noth
Konnt' nicht sein schändlich Leben hindern!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja seht! dafür ist er nun todt.
1450
Wär' ich nun jetzt an euerm Platze,
Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
Visirte dann unterweil' nach einem neuen Schatze.

M a r t h e.
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find' ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
1455
Es konnte kaum ein herz'ger Närrchen seyn.
Er liebte nur das allzuviele Wandern,
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.

M e p h i s t o p h e l e s.
Nun, nun, so konnt' es gehn und stehen,
1460
Wenn er euch ungefähr so viel
Von seiner Seite nachgesehen.
Ich schwör' euch zu, mit dem Beding
Wechselt' ich selbst mit euch den Ring.

M a r t h e.
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).
1465
Nun mach' ich mich bey Zeiten fort!
Die hielte wohl den Teufel selbst bey'm Wort.
(Zu Grethchen.)
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

M a r g a r e t h e.
Was meint der Herr damit?

M e p h i s t o p h e l e s (für sich).
     Du gut's, unschuldig's Kind!
(Laut.)
Lebt wohl, ihr Fraun!

M a r g a r e t h e.
     Lebt wohl!

M a r t h e.
     O sagt mir doch geschwind'!
1470
Ich möchte gern ein Zeugniß haben,
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht' ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
1475
Wird allerwegs die Wahrheit kund;
Habe noch gar einen feinen Gesellen,
Den will ich euch vor den Richter stellen.
Ich bring' ihn her.

M a r t h e.
     O thut das ja!

M e p h i s t o p h e l e s.
Und hier die Jungfrau ist auch da?
1480
Ein braver Knab'! ist viel gereis't,
Fräuleins alle Höflichkeit erweis't.

M a r g a r e t h e.
Müßte vor dem Herren schamroth werden.

M e p h i s t o p h e l e s.
Vor keinem Könige der Erden.

M a r t h e.
Da hinter'm Haus in meinem Garten
1485
Wollen wir der Herrn heut' Abend warten.