B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .   E i n   F r a g m e n t .

1 7 9 0

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A U E R B A C H S   K E L L E R   I N   L E I P Z I G .
Zeche lustiger Gesellen.

F r o s c h.
550
Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seyd ja heut' wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.

B r a n d n e r.
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbey,
555
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.

F r o s c h (gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf).
Da hast du beydes!

B r a n d n e r.
                Doppelt Schwein!

F r o s c h.
Ihr wollt' es ja, man soll es seyn!

S i e b e l.
Zur Thür hinaus, wer sich entzweyt!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreyt!
560
Auf! Holla! ho!

A l t m a y e r.
                Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.


S i e b e l. Wenn das Gewölbe wiederschallt,
Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

F r o s c h.
So recht, hinaus mit dem, der etwas übel nimmt!
565
A! tara lara da!

A l t m a y e r.
                A! tara lara da!

F r o s c h.
                Die Kehlen sind gestimmt.
(Singt.)
Das liebe heil'ge Röm'sche Reich,
Wie hält's nur noch zusammen?

B r a n d n e r.
Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen,
570
Daß ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!
Ich halt' es wenigstens für reichlichen Gewinn,
Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
575
Ihr wißt, welch eine Qualität
Den Ausschlag gibt, den Mann erhöht.

F r o s c h (singt).
Schwing dich auf, Frau Nachtigall,
Grüß' mir mein Liebchen zehentausendmal.

S i e b e l.
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!

F r o s c h.
580
Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir's nicht verwehren!
(Singt.)
Riegel auf! in stiller Nacht.
Riegel auf! der Liebste wacht.
Riegel zu! des Morgens früh.

S i e b e l.
Ja, singe, singe nur und lob' und rühme sie!
585
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.
Sie hat mich angeführt, dir wird sie's auch so machen.
Zum Liebsten sey ein Kobold ihr bescheert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt
590
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut
Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!

B r a n d n e r (auf den Tisch schlagend).
595
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!
Ihr Herrn, gesteht, ich weiß zu leben,
Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum besten geben.
600
Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!
Und singt den Rundreim kräftig mit!
(Er singt.)
Es war eine Ratt' im Kellernest,
Lebte nur von Fett und Butter,
Hatte sich ein Ränzlein angemäst',
605
Als wie Doctor Luther.
Die Köchinn hatt ihr Gift gestellt;
Da ward's so eng' ihr in der Welt,
Als hätte sie Lieb' im Leibe.

C h o r u s (jauchzend).
Als hätte sie Lieb' im Leibe.

B r a n d n e r.
610
Sie fuhr herum sie fuhr heraus,
Und soff aus allen Pfützen,
Zernagt', zerkratzt' das ganze Haus,
Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
Sie thät gar manchen Ängstesprung,
615
Bald hatte das arme Thier genung,
Als hätt' es Lieb' im Leibe.

C h o r u s.
Als hätt es Lieb' im Leibe.

B r a n d n e r.
Sie kam für Angst am hellen Tag
Der Küche zugelaufen,
620
Fiel an den Herd und zuckt' und lag,
Und thät erbärmlich schnaufen.
Da lachte die Vergifterinn noch:
«Ha! sie pfeift' auf dem letzten Loch,
Als hätte sie Lieb' im Leibe.»

C h o r u s.
625
Als hätte sie Lieb' im Leibe.

S i e b e l.
Wie sich die platten Bursche freuen!
Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!

B r a n d n e r.
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?

A l t m a y e r.
630
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!
Das Unglück macht ihn zahm und mild;
Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.

Faust und Mephistopheles.

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich muß dich nun vor allen Dingen
635
In lustige Gesellschaft bringen,
Damit du siehst, wie leicht sich's leben läßt.
Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
640
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,
So lang der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.

B r a n d n e r.
Die kommen eben von der Reise,
645
Man sieht's an ihrer wunderlichen Weise;
Sie sind nicht eine Stunde hier.

F r o s c h.
Wahrhaftig du hast Recht! Mein Leipzig lob' ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.

S i e b e l.
Für was siehst du die Fremden an?

F r o s c h.
650
Laß mich nur gehn; bey einem vollen Glase
Zieh' ich, wie einen Kinderzahn,
Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.
Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.

B r a n d n e r.
655
Marktschreyer sind's gewiß, ich wette!

A l t m a y e r.
Vielleicht.

F r o s c h.
                Gib Acht, ich schraube sie!

M e p h i s t o p h e l e s (zu Faust).
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie bey'm Kragen hätte.

F a u s t.
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!

S i e b e l.
                Viel Dank zum Gegengruß.
(Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.)
660
Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?
Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

A l t m a y e r.
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.

F r o s c h.
665
Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?
Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis't?

M e p h i s t o p h e l e s.
Heut' sind wir ihn vorbey gereis't!;
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt' er viel zu sagen
670
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.
(Er neigt sich gegen Frosch.)

A l t m a y e r (leise).
Da hast du's! der versteht's!

S i e b e l.
                Ein pfiffiger Patron!

F r o s c h.
Nun, warte nur, ich krieg' ihn schon!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
675
Gewiß, Gesang muß trefflich hier
Von dieser Wölbung wieder klingen!

F r o s c h.
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?

M e p h i s t o p h e l e s.
O nein! Die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.

A l t m a y e r.
Gebt uns ein Lied!

M e p h i s t o p h e l e s.
                Wenn ihr begehrt, die Menge.

S i e b e l.
680
Nur auch ein nagelneues Stück!

M e p h i s t o p h e l e s.
Wir kommen erst aus Spanien zurück,
Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.
(Singt.)
Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh -

F r o s c h.
685
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?
Ein Floh ist mir ein saub'rer Gast.

M e p h i s t o p h e l e s (singt).
Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh,
Den liebt' er gar nicht wenig,
690
Als wie seinen eignen Sohn.
Da rief er seinen Schneider,
Der Schneider kam heran:
«Da miß dem Junker Kleider
Und miß ihm Hosen an.»

B r a n d n e r.
695
Vergeßt nur nicht, dem Schneider einzuschärfen,
Daß er mir auf's genauste mißt,
Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!

M e p h i s t o p h e l e s.
In Sammet und in Seide
700
War er nun angethan,
Hatte Bänder auf dem Kleide,
Hatt' auch ein Kreuz daran,
Und war sogleich Minister,
Und hatt' einen großen Stern.
705
Da wurden seine Geschwister
Bey Hof auch große Herrn.

Und Herrn und Fraun am Hofe,
Die waren sehr geplagt,
Die Königinn und die Zofe
710
Gestochen und genagt,
Und durften sie nicht knicken,
Und weg sie jucken nicht.
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.

C h o r u s (jauchzend).
715
Wir knicken und ersticken
Doch gleich, wenn einer sticht.

F r o s c h.
Bravo! Bravo! das war schön!

S i e b e l.
So soll es jedem Floh ergehn!

B r a n d n e r.
Spitzt die Finger und packt sie fein!

A l t m a y e r.
720
Es lebe die Freyheit! Es lebe der Wein!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu ehren,
Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.

S i e b e l.
Wir mögen das nicht wieder hören!

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich fürchte nur, der Wirth beschweret sich;
725
Sonst gäb' ich diesen werthen Gästen
Aus unserm Keller was zum Besten.

S i e b e l.
Nur immer her, ich nehm's auf mich.

F r o s c h.
Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
730
Denn wenn ich judiciren soll,
Verlang' ich auch das Maul recht voll.

A l t m a y e r (leise).
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.

M e p h i s t o p h e l e s.
Schafft einen Bohrer an.

B r a n d n e r.
                Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Thüre?

A l t m a y e r.
735
Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werkzeug stehn.

M e p h i s t o p h e l e s (nimmt den Bohrer. Zu Frosch).
Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?

F r o s c h.
Wie meint ihr das? Habt ihr so mancherley?

M e p h i s t o p h e l e s.
Ich stell es einem jeden frey.

A l t m a y e r (zu Frosch).
Aha! du fängst schon an die Lippen abzulecken.

F r o s c h.
740
Gut, wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.
Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.

M e p h i s t o p h e l e s (indem er an dem Platz,
wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt).

Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!

A l t m a y e r.
Ach, das sind Taschenspielersachen.

M e p h i s t o p h e l e s (zu Brander).
Und ihr?

B r a n d n e r.
                Ich will Champagner Wein,
745
Und recht mussirend soll er seyn!

(Mephistopheles bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.)

B r a n d n e r.
Man kann nicht stets das Fremde meiden,
Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter Deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.

S i e b e l (indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert).
750
Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,
Gebt mir ein Glas vom echten süßen!

M e p h i s t o p h e l e s (bohrt).
Euch soll sogleich Tokayer fließen.

A l t m a y e r.
Nein, Herren, seht mir ins Gesicht!
Ich seh' es ein, ihr habt uns nur zum Besten.

M e p h i s t o p h e l e s.
755
Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen
Wär' es ein Bißchen viel gewagt.
Geschwind! Nur g'rad heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?

A l t m a y e r.
Mit jedem! Nur nicht lang' gefragt.

(Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,)

M e p h i s t o p h e l e s (mit seltsamen Geberden).
760
Trauben trägt der Weinstock!
Hörner der Ziegenbock.
Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
Ein tiefer Blick in die Natur!
765
Hier ist ein Wunder, glaubet nur!
Nun zieht die Pfropfen und genießt!

A l l e (indem sie die Pfropfen ziehen und jedem der verlangte Wein in's Glas läuft).
O schöner Brunnen, der uns fließt!

M e p h i s t o p h e l e s.
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!
(Sie trinken wiederhohlt.)

A l l e (singen).
Uns ist ganz kannibalisch wohl,
770
Als wie fünf hundert Säuen!

M e p h i s t o p h e l e s.
Das Volk ist frey, seht an, wie wohl's ihm geht!

F a u s t.
Ich hätte Lust nun abzufahren.

M e p h i s t o p h e l e s.
Gib nur erst Acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.

S i e b e l (trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde und wird zur Flamme).
775
Helft! Feuer! helft! Die Hölle brennt!

M e p h i s t o p h e l e s (die Flamme besprechend).
Sey ruhig, freundlich Element! (Zu dem Gesellen.)
Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.

S i e b e l.
Was soll das seyn? Wart'! ihr bezahlt es theuer!
Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.

F r o s c h.
780
Laß Er uns das zum zweytenmale bleiben!

A l t m a y e r,
Ich dächt', wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.

S i e b e l.
Was, Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?

M e p h i s t o p h e l e s.
Still, altes Weinfaß!

S i e b e l.
                Besenstiel!
785
Du willst uns gar noch grob begegnen?

B r a n d n e r.
Wart nur'! es sollen Schläge regnen.

A l t m a y e r (zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen).
Ich brenne! ich brenne!

S i e b e l.
                Zauberey!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrey!

(Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.)

M e p h i s t o p h e l e s (mit ernsthafter Geberde).
Falsch Gebild und Wort
790
Verändern Sinn und Ort!
Seyd hier und dort!

(Sie stehn erstaunt und sehn einander an.)

A l t m a y e r.
Wo bin ich? Welches schöne Land!

F r o s c h.
Weinberge! Seh' ich recht?

S i e b e l.
                Und Trauben gleich zur Hand!

B r a n d n e r.
Hier unter diesem grünen Laube,
795
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!
(Er faßt Siebeln bey der Nase, die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.)

M e p h i s t o p h e l e s (wie oben).
Irrthum, laß los der Augen Band!
Und merkt euch, wie der Teufel spaße.
(Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren aus einander.)

S i e b e l.
Was gibt's?

A l t m a y e r.
                Wie?

F r o s c h.
War das deine Nase?

B r a n d n e r (zu Siebel).
800
Und deine hab' ich in der Hand!

A l t m a y e r.
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!
Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!

F r o s c h.
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?

S i e b e l.
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
805
Er soll mir nicht lebendig gehn!

A l t m a y e r.
Ich hab' ihn selbst hinaus zur Kellerthüre
Auf einem Fasse reiten sehn - -
Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.
(Sich nach dem Tische wendend.)
Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?

S i e b e l.
810
Betrug war alles, Lug und Schein.

F r o s c h.
Mir deuchte doch, als tränk' ich Wein.

B r a n d n e r.
Aber wie war es mit den Trauben?

A l t m a y e r.
Nun sag' mir eins, man soll kein Wunder glauben!