B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


D e r   T r a g ö d i e   E r s t e r   T h e i l .

________________________________________________


[242]       N a c h t .

      __________

      S t r a ß e   v o r   G r e t c h e n s   T h ü r e .

V a l e n t i n  Soldat, Gretchens Bruder.
3620 Wenn ich so saß bey einem Gelag,
Wo mancher sich berühmen mag,
Und die Gesellen mir den Flor
Der Mägdlein laut gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,
3625 Den Ellenbogen aufgestemmt;
Saß ich in meiner sichern Ruh
Hört' all' dem Schwadroniren zu.
Und streiche lächelnd meinen Bart,
Und kriege das volle Glas zur Hand
3630 Und sage: alles nach seiner Art!
Aber ist eine im ganzen Land,
[243] Die meiner trauten Gretel gleicht,
Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!
3635 Die einen schrieen: er hat Recht,
Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
Da saßen alle die Lober stumm.
Und nun! - um's Haar sich auszuraufen
Und an den Wänden hinauf zu laufen! -
3640 Mit Stichelreden, Naserümpfen
Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
Bey jedem Zufallswörtchen schwitzen!
Und möcht' ich sie zusammenschmeißen;
3645 Könnt' ich sie doch nicht Lügner heißen.

      Was kommt heran? Was schleicht herbey?
Irr' ich nicht, es sind ihrer zwey.
Ist er's, gleich pack' ich ihn beym Felle,
Soll nicht lebendig von der Stelle!

      F a u s t .  M e p h i s t o p h e l e s .

F a u s t .
3650 Wie von dem Fenster dort der Sakristey
[244] Aufwärts der Schein des Ew'gen Lämpchens flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
Und Finsterniß drängt ringsum bey!
So sieht's in meinem Busen nächtig.

M e p h i s t o p h e l e s .
3655 Und mir ist's wie dem Kätzlein schmächtig,
Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis' dann um die Mauern streicht;
Mir ist's ganz tugendlich dabey,
Ein Bißchen Diebsgelüst, ein Bißchen Rammeley.
3660 So spukt mir schon durch alle Glieder
Die herrliche Walpurgisnacht.
Die kommt uns übermorgen wieder,
Da weiß man doch warum man wacht.

F a u s t .
Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh'?
3665 Den ich dorthinten flimmern seh'.

M e p h i s t o p h e l e s .
Du kannst die Freude bald erleben,
Das Kesselchen herauszuheben.
Ich schielte neulich so hinein,
Sind herrliche Löwentaler drein.

[245] F a u s t .
3670 Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
Meine liebe Buhle damit zu zieren?

M e p h i s t o p h e l e s .
Ich sah dabey wohl so ein Ding,
Als wie eine Art von Perlenschnüren.

F a u s t .
So ist es Recht! Mir thut es weh,
3675 Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh'.

M e p h i s t o p h e l e s .
Es sollt' euch eben nicht verdrießen
Umsonst auch etwas zu genießen.
Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:
3680 Ich sing' ihr ein moralisch Lied,
Um sie gewisser zu bethören.
      Singt zur Zither.
      Was machst du mir
      Vor Liebchens Thür,
      Cathrinchen hier
3685       Bey frühem Tagesblicke?
      Laß, laß es seyn!
[246]       Er läßt dich ein
      Als Mädchen ein,
      Als Mädchen nicht zurücke.

3690       Nehmt euch in Acht!
      Ist es vollbracht,
      Dann gute Nacht
      Ihr armen, armen Dinger!
      Habt ihr euch lieb,
3695       Thut keinem Dieb
      Nur nichts zu Lieb',
      Als mit dem Ring am Finger.

V a l e n t i n  tritt vor.
Wen lockst du hier? beym Element!
Vermaledeyter Rattenfänger!
3700 Zum Teufel erst das Instrument!
Zum Teufel hinter drein den Sänger!

M e p h i s t o p h e l e s .
Die Zither ist entzwey! an der ist nichts zu halten.

V a l e n t i n .
Nun soll es an ein Schedelspalten!

[247] M e p h i s t o p h e l e s  zu Faust.
Herr Doctor, nicht gewichen! Frisch!
3705 Hart an mich an, wie ich euch führe.
Heraus mit eurem Flederwisch!
Nur zugestoßen! ich parire.

V a l e n t i n .
Parire den!

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Warum denn nicht?

V a l e n t i n .
Auch den!

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Gewiß!

V a l e n t i n .
                                    Ich glaub' der Teufel ficht!
3710 Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.

M e p h i s t o p h e l e s  zu Faust.
Stoß zu!

V a l e n t i n  fällt.
                  O weh!

M e p h i s t o p h e l e s .
                                    Nun ist der Lümmel zahm!
[248] Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrey.
Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,
3715 Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.

M a r t h e  am Fenster.
Heraus! Heraus!

G r e t c h e n am Fenster.
                  Herbey ein Licht!

M a r t h e  wie oben.
Man schilt und rauft, man schreit und ficht.

V o l k .
Da liegt schon einer todt!

M a r t h e  heraustretend.
Die Mörder sind sie denn entflohn?

G r e t c h e n  heraustretend.
3720 Wer liegt hier?

V o l k .
                  Deiner Mutter Sohn.

G r e t c h e n .
Allmächtiger! welche Noth!

[249] V a l e n t i n .
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und bälder noch gethan.
Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
3725 Kommt her und hört mich an!
      Alle treten um ihn.
Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheidt genung,
Machst deine Sachen schlecht.
Ich sag' dir's im Vertrauen nur:
3730 Du bist doch nun einmal eine Hur',
So sey's auch eben recht!

G r e t c h e n .
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?

V a l e n t i n .
Laß unsern Herrgott aus dem Spaß!
Geschehn ist leider nun geschehn
3735 Und wie es gehn kann, so wird's gehn.
Du fingst mit Einem heimlich an,
Bald kommen ihrer mehre dran,
Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
So hat dich auch die ganze Stadt.

[250]       Wenn erst die Schande wird geboren,
Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
Und man zieht den Schleyer der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;
Ja, man möchte sie gern ermorden.
3745 Wächst sie aber und macht sich groß,
Dann geht sie auch bey Tage bloß,
Und ist doch nicht schöner geworden.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
Je mehr sucht sie des Tageslicht.

3750       Ich seh' wahrhaftig schon die Zeit,
Daß alle brave Bürgersleut',
Wie von einer angesteckten Leichen,
Von dir, du Metze! seitab weichen.
Dir soll das Herz im Leib verzagen,
3755 Wenn sie dir in die Augen sehn!
Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
In einem schönen Spitzenkragen
Dich nicht beym Tanze wohlbehagen!
3760 In eine finstre Jammerecken
[251] Unter Bettler und Krüpel dich verstecken,
Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
Auf Erden seyn vermaledeyt!

M a r t h e .
Befehlt eure Seele Gott zu Gnaden!
3765 Wollt ihr noch Lästrung auf euch laden?

V a l e n t i n .
Könnt' ich dir nur an den dürren Leib,
Du schändlich kupplerisches Weib!
Da hofft' ich aller meiner Sünden
Vergebung reiche Maß zu finden.

G r e t c h e n .
3770 Mein Bruder! Welche Höllenpein!

V a l e n t i n .
Ich sage, laß die Thränen seyn!
Da du dich sprachst der Ehre los,
Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
Ich gehe durch den Todesschlaf
3775 Zu Gott ein als Soldat und brav.
      stirbt.