B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


D e r   T r a g ö d i e   E r s t e r   T h e i l .

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[78]       S t u d i r z i m m e r .

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F a u s t   mit dem   P u d e l   hereintretend.
      Verlassen hab' ich Feld und Auen,
      Die eine tiefe Nacht bedeckt,
1180       Mit ahndungsvollem heil'gem Grauen
      In uns die bessre Seele weckt.
      Entschlafen sind nun wilde Triebe,
      Mit jedem ungestümen Thun;
      Es reget sich die Menschenliebe,
1185       Die Liebe Gottes regt sich nun.

Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
An der Schwelle was schnoperst du hier?
Lege dich hinter den Ofen nieder,
Mein bestes Kissen geb' ich dir.
[79] Wie du draußen auf dem bergigen Wege,
Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die Pflege,
Als ein willkommner stiller Gast.

      Ach wenn in unsrer engen Zelle
1195       Die Lampe freundlich wieder brennt,
      Dann wird's in unserm Busen helle,
      Im Herzen, das sich selber kennt.
      Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
      Und Hoffnung wieder an zu blühn,
1200       Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
      Ach! nach des Lebens Quelle hin.

Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel' umfassen,
Will der thierische Laut nicht passen.
1205 Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,
Was sie nicht verstehn,
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
Will es der Hund, wie sie, beknurren?
[80] Aber ach! schon fühl' ich, bey dem besten Willen,
Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab' ich so viel Erfahrung.
1215 Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,
Wir lernen das Ueberirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd'ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.
1220 Mich drängt's den Grundtext aufzuschlagen,
Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen,
      Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.
Geschrieben steht: «im Anfang war das Wort
1225 Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.
1230 Bedenke wohl die erste Zeile,
[81] Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
1235 Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rath
Und schreibe getrost: im Anfang war die That!

Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
Pudel, so laß das Heulen,
1240 So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beyden
Muß die Zelle meiden.
1245 Ungern heb ich das Gastrecht auf,
Die Thür' ist offen, hast freyen Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?
1250 Wie wird mein Pudel lang und breit!
Er hebt sich mit Gewalt,
[82] Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht' ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
1255 Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
O! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.

G e i s t e r auf dem Gange.
      Drinnen gefangen ist einer!
1260       Bleibet haußen, folg' ihm keiner!
      Wie im Eisen der Fuchs,
      Zagt ein alter Höllenluchs.
      Aber gebt Acht!
      Schwebet hin, schwebet wieder,
1265       Auf und nieder,
      Und er hat sich losgemacht.
      Könnt ihr ihm nützen,
      Laßt ihn nicht sitzen!
      Denn er that uns allen
1270       Schon viel zu Gefallen.

[83] F a u s t .
Erst zu begegnen dem Thiere,
Brauch ich den Spruch der Viere:
      Salamander soll glühen,
      Undene sich winden,
1275       Silphe verschwinden,
      Kobold sich mühen.

Wer sie nicht kennte
Die Elemente,
Ihre Kraft
1280 Und Eigenschaft,
Wäre kein Meister
Ueber die Geister.

      Verschwind' in Flammen,
      Salamander!
1285       Rauschend fließe zusammen,
      Undene!
      Leucht' in Meteoren=Schöne,
      Silphe!
      Bring' häusliche Hülfe,
[84]       Incubus! incubus!
      Tritt hervor und mache den Schluß.

Keines der Viere
Steckt in dem Thiere.
Es liegt ganz ruhig und grins't mich an,
1295 Ich hab' ihm noch nicht weh gethan.
Du sollst mich hören
Stärker beschwören.

      Bist du, Geselle
      Ein Flüchtling der Hölle?
1300       So sieh dies Zeichen!
      Dem sie sich beugen,
      Die schwarzen Schaaren.

Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.

      Verworfnes Wesen!
1305       Kannst du ihn lesen?
      Den nie entsprossnen,
      Unausgesprochnen,
      Durch alle Himmel gegossnen,
      Freventlich durchstochnen.

[85] Hinter den Ofen gebannt
Schwillt es wie ein Elefant,
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!
1315 Lege dich zu des Meisters Füßen!
Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreymal glühende Licht!
1320 Erwarte nicht
Die stärkste von meinen Künsten!

M e p h i s t o p h e l e s
      tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus,
          hinter dem Ofen hervor.

Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

F a u s t .
Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen.

M e p h i s t o p h e l e s .
1325 Ich salutire den gelehrten Herrn!
Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.

[86] F a u s t .
Wie nennst du dich?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Die Frage scheint mir klein,
Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
Der, weit entfernt von allem Schein,
1330 Nur in der Wesen Tiefe trachtet.

F a u s t .
Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzu deutlich weis't,
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.
1335 Nun gut, wer bist du denn?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Ein Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

F a u s t .
Was ist mit diesem Räthselwort gemeynt?

M e p h i s t o p h e l e s .
Ich bin der Geist der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht
1340 Ist werth daß es zu Grunde geht;
[87] Drum besser wär's daß nichts entstünde.
So ist denn alles was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

F a u s t .
1345 Du nennst dich einen Theil, und stehst doch ganz vor mir?

M e p h i s t o p h e l e s .
Bescheidne Wahrheit sprech' ich dir,
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,
1350 Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,
Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.
1355 Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
Ein Körper hemmt's auf seinem Gange,
So, hoff' ich, dauert es nicht lange
Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.

F a u s t .
Nun kenn' ich deine würd'gen Pflichten!
[88] Du kannst im Großen nichts vernichten
Und fängst es nun im Kleinen an.

M e p h i s t o p h e l e s .
Und freylich ist nicht viel damit gethan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,
1365 So viel als ich schon unternommen
Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Thier= und Menschenbrut,
1370 Dem ist nun gar nichts anzuhaben,
Wie viele hab' ich schon begraben!
Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser wie der Erden
1375 Entwinden tausend Keime sich,
Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt' ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
Ich hätte nichts apart's für mich.

F a u s t .
So setzest du der ewig regen,
[89] Der heilsam schaffenden Gewalt
Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
Was anders suche zu beginnen
Des Chaos wunderlicher Sohn!

M e p h i s t o p h e l e s .
1385 Wir wollen wirklich uns besinnen,
Die nächsten Male mehr davon!
Dürft' ich wohl diesmal mich entfernen?

F a u s t .
Ich sehe nicht warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen,
1390 Besuche nun mich wie du magst.
Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.

M e p h i s t o p h e l e s .
Gesteh' ich's nur! daß ich hinausspaziere
Verbietet mir ein kleines Hinderniß,
1395 Der Drudenfuß auf eurer Schwelle -

F a u s t .
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
[90] Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?

M e p h i s t o p h e l e s .
1400 Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

F a u s t .
Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?
1405 Das ist von ohngefähr gelungen!

M e p h i s t o p h e l e s .
Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus;
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

F a u s t .
Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

M e p h i s t o p h e l e s .
1410 's ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:
Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir Knechte.

F a u s t .
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
[91] Das find' ich gut, da ließe sich ein Packt,
1415 Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?

M e p h i s t o p h e l e s .
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
Dir wird davon nichts abgezwackt.
Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
Und wir besprechen das zunächst;
1420 Doch jetzo bitt' ich, hoch und höchst,
Für diesesmal mich zu entlassen.

F a u s t .
So bleibe doch noch einen Augenblick,
Um mir erst gute Mähr zu sagen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,
1425 Dann magst du nach Belieben fragen.

F a u s t .
Ich habe dir nicht nachgestellt,
Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
Den Teufel halte wer ihn hält!
Er wird ihn nicht so bald zum zweytenmale fangen.

M e p h i s t o p h e l e s .
1430 Wenn dir's beliebt, so bin ich auch bereit
[92] Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.

F a u s t .
Ich seh' es gern, das steht dir frey;
1435 Nur daß die Kunst gefällig sey!

M e p h i s t o p h e l e s .
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
In dieser Stunde mehr gewinnen,
Als in des Jahres Einerley.
Was dir die zarten Geister singen,
1440 Die schönen Bilder die sie bringen,
Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.
1445 Bereitung braucht es nicht voran,
Beysammen sind wir, fanget an!

G e i s t e r .
      Schwindet ihr dunkeln
      Wölbungen droben!
      Reizender schaue,
[93]       Freundlich, der blaue
      Aether herein!
      Wären die dunkeln
      Wolken zerronnen!
      Sternelein funkeln,
1455       Mildere Sonnen
      Scheinen darein.
      Himmlischer Söhne
      Geistige Schöne,
      Schwankende Beugung
1460       Schwebet vorüber.
      Sehnende Neigung
      Folget hinüber;
      Und der Gewänder
      Flatternde Bänder
1465       Decken die Länder,
      Decken die Laube,
      Wo sich für's Leben,
      Tief in Gedanken,
      Liebende geben.
1470       Laube bey Laube!
      Sprossende Ranken!
[94]       Lastende Traube
      Stürzt in's Behälter
      Drängender Kelter,
1475       Stürzen in Bächen
      Schäumende Weine,
      Rieseln durch reine,
      Edle Gesteine,
      Lassen die Höhen
1480       Hinter sich liegen,
      Breiten zu Seen
      Sich ums Genüge
      Grünender Hügel.
      Und das Geflügel
1485       Schlürfet sich Wonne,
      Flieget der Sonne,
      Flieget den hellen
      Inseln entgegen,
      Die sich auf Wellen
1490       Gauklend bewegen;
      Wo wir in Chören
      Jauchzende hören,
      Ueber den Auen
[95]       Tanzende schauen,
1495       Die sich im Freyen
      Alle zerstreuen.
      Einige glimmen
      Ueber die Höhen,
      Andere schwimmen
1500       Ueber die Seen,
      Andere schweben;
      Alle zum Leben,
      Alle zur Ferne
      Liebender Sterne
1505       Seliger Huld.

M e p h i s t o p h e l e s .
Er schläft! So recht, ihr luft'gen zarten Jungen!
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
Für dies Conzert bin ich in eurer Schuld.
Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu halten!
1510 Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,
Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten,
Bedarf ich eines Rattenzahns.
[96] Nicht lange brauch' ich zu beschwören,
1515 Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.

      Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
Befiehlt dir, dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen,
1520 So wie er sie mit Oel betupft -
Da kommst du schon hervorgehupft!
Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist's geschehn. -
1525 Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.

F a u s t erwachend.
Bin ich denn abermals betrogen?
Verschwindet so der geisterreiche Drang?
Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
Und daß ein Pudel mir entsprang?