B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


P r o l o g   i m   H i m m e l .

________________________________________________


[23]       Der Herr,
      die himmlischen Heerscharen,
      nachher Mephistopheles.

      Die drey Erzengel treten vor.


R a p h a e l .
Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
245 Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag.
Die unbegreiflich hohen Werke
250 Sind herrlich wie am ersten Tag.

G a b r i e l .
Und schnell und unbegreiflich schnelle
[24] Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses=Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht.
255 Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
Im ewig schnellem Sphärenlauf.

M i c h a e l .
Und Stürme brausen um die Wette
260 Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,
und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.
265 Doch deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln deines Tags.

Z u   D r e y .
Der Anblick giebt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke
270 Sind herrlich wie am ersten Tag.

[25] M e p h i s t o p h e l e s .
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bey uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
275 Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen,
280 Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd' er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
285 Er nennts Vernunft und braucht's allein,
Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
290 Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
[26] Und läg' er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.

D e r   H e r r .
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
295 Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

M e p h i s t o p h e l e s .
Nein Herr! ich find' es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.

D e r   H e r r .
Kennst du den Faust?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Den Doctor?

D e r   H e r r .
                                    Meinen Knecht!

M e p h i s t o p h e l e s .
300 Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.
Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne
[27] Und von der Erde jede höchste Lust,
Und alle Näh' und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

D e r   H e r r .
Wenn er mir auch nur verworren dient;
So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen.
310 Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,
Das Blüt' und Frucht die künft'gen Jahre zieren.

M e p h i s t o p h e l e s .
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen.

D e r   H e r r .
315 So lang' er auf der Erde lebt,
So lange sey dir's nicht verboten.
Es irrt der Mensch so lang er strebt.

M e p h i s t o p h e l e s .
Da dank' ich euch; denn mit den Todten
Hab' ich mich niemals gern befangen.
320 A{m} meisten lieb' ich mir die vollen frischen Wangen.
Für einem Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

[28] D e r   H e r r .
Nun gut, es sey dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,
325 Und führ' ihn, kannst du ihn erfassen
Auf deinem Wege mit herab,
Und steh' beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

M e p h i s t o p h e l e s .
330 Schon gut! nur dauert es nicht lange.
Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,
335 Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

D e r   H e r r .
Du darfst auch da nur frey erscheinen;
Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
340 Des Menschen Thätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;
[29] Drum geb' ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
Doch ihr, die ächten Göttersöhne,
345 Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken!

      Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich,

M e p h i s t o p h e l e s allein.
350 Von Zeit zu Zeit seh' ich den Alten gern,
Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.


[30] Vakatseite